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Als im Sommer 2013 Edward Snowden mit seinen Enthüllungen an die Öffentlichkeit ging, da stand ein amerikanischer Geheimdienst am Pranger, die National Security Agency (NSA). Drei Jahre später sind es deutsche Schlapphüte, die eigenen Leute, über die Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) sein unnachsichtiges Urteil spricht: „Da ist über zehn, zwölf Jahre ein rechtswidriges System aufgebaut worden“, sagt der Obmann der Grünen im 1. Untersuchungsausschuss (NSA), „von dem wir bis heute nichts wüssten, wenn es Snowden nicht gäbe.“
Vor nunmehr 27 Monaten hat der Ausschuss seine Ermittlungen aufgenommen, bisher weit über 100 Zeugen befragt und mehr als 470 Stunden lang getagt. Und wenn sich in all dieser Zeit ein fraktionsübergreifender Konsens herausgebildet hat, ohne dass ihn jeder so scharf formulieren würde wie von Notz, so lautet er: Es liegt einiges im Argen bei den deutschen Geheimdiensten.
Von „erheblichen technischen und organisatorischen Mängeln“ und „erheblichen Defiziten im rechtlichen Rahmen“ spricht SPD-Obmann Christian Flisek. Die Überwachung ausländischer Telekommunikationsverkehre durch den Bundesnachrichtendienst (BND) spiele sich in einem „völligen rechtlichen Graubereich“ ab.
Es gebe „kaum ein Verantwortlichkeitsregime, kaum parlamentarische Kontrolle“. Immerhin, meint Flisek, habe der Ausschuss auch einige schlimme Vermutungen entkräften können, etwa, dass deutsche Bürger „massenhaft“ überwacht würden oder westliche Nachrichtendienste hierzulande „exzessive Wirtschaftsspionage“ trieben.
CDU/CSU-Obfrau Nina Warken erinnert daran, dass es gut anderthalb Jahre gedauert hat, bis BND-Spitze und Kanzleramt von der Entdeckung fragwürdiger Selektoren in der Abhöranlage in Bad Aibling im Spätsommer 2013 erfuhren. Beim deutschen Auslandsgeheimdienst gebe es also „schon Defizite im Ablauf“.
Sicherzustellen sei zudem, dass bei der Überwachung ausländischer Fernmeldeverkehre deutsche „Grundrechtsträger“ nicht mit erfasst werden. Die dazu eingesetzte Technik müsse ständig weiterentwickelt werden, um das zu gewährleisten. „Da kann man besser werden, gezielter werden, systematischer.“
Obfrau Martina Renner (Die Linke) wirft der BND-Spitze vor, zugelassen zu haben, dass „eine ganze Abteilung“ des Hauses, nämlich die für Überwachungsmaßnahmen zuständige Sektion „Technische Aufklärung“ (TA), ein „Eigenleben entwickelte“, unbehelligt von Vorgesetzten wie von der Rechts- und Fachaufsicht im Kanzleramt. Wie die Kollegen der NSA seien auch deutsche Abhörexperten nach dem Prinzip verfahren, einfach „möglichst viel an Daten zu erheben“. Sammeln als Selbstzweck: „Dass die rechtlichen Grundlagen das nicht hergeben“, sei den Zuständigen bewusst gewesen. Sie seien aber davon ausgegangen, ohnehin nicht erwischt zu werden.
Dass ein NSA-Ausschuss sich bisher hauptsächlich mit BND und Verfassungsschutz beschäftigt, hat für Renner auch mit dem ausgeprägten Unwillen offizieller US-Dienststellen zu tun, zur Aufklärung beizutragen. Was die NSA außerhalb von Kooperationen mit dem BND in Deutschland treibt, sei deswegen „offen geblieben“. Über das Zusammenwirken von BND und NSA habe der Ausschuss indes „im Kern das gefunden, was in den Snowden-Dokumenten beschrieben wird“.
Das sieht auch der Grüne von Notz mittlerweile als gesichertes Ergebnis: „Deutschland ist ein ganz wichtiger Dreh- und Angelpunkt im globalen Überwachungsnetzwerk.“ Dass die Bundesregierung darüber nicht im Bilde gewesen sei, hält er für widerlegt: „Man wusste, was da läuft.“
Von Notz ist sich auch weniger sicher als Flisek, dass es keinen Massenabfluss von Daten deutscher Bürger an die NSA gegeben hat. Dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zufolge sollen es 500 Millionen am Tag gewesen sein: „Der Spiegel konnte das nachher nicht beweisen“, räumt von Notz ein, meint aber zur Darstellung des damaligen Kanzleramtsschefs Ronald Pofalla (CDU), es habe sich um Daten mutmaßlicher Terroristen aus dem Mittleren Osten gehandelt: „Ich habe sehr starke Zweifel, dass es stimmt.“ Immerhin enthalte die einschlägige Snowden-Folie den Vermerk, der Datenabgriff richte sich „against Germany“, gegen Deutschland.
Der Verdacht, die Deutschen könnten in den Drohnenkrieg der USA verwickelt sein, ist ein weiterer Schwerpunkt der Ermittlungen. Er stützt sich auf zwei Vorwürfe: Die Bundesregierung dulde den Betrieb einer Relaisstation für Funksignale zur Steuerung von Drohnen auf dem US-Stützpunkt Ramstein. Und deutsche Sicherheitsbehörden gäben Daten über mutmaßliche radikalislamische Terroristen weiter, die zur Lokalisierung der Verdächtigen geeignet seien.
Die Aussagen der bisher dazu gehörten Zeugen, dass die übermittelten Daten nach ihrer Überzeugung nicht zur Lokalisierung geeignet seien, hält CDU-Obfrau Warken für glaubwürdig. Die deutschen Sicherheitsbehörden würden bei jeder Übermittlung festlegen, dass eine Nutzung der weitergegebenen Daten für solche Zwecke auch nicht zulässig sei. Forderungen nach einer Beendigung der Zusammenarbeit mit ausländischen Partnerdiensten erteilt Warken angesichts der Bedrohung durch den weltweit agierenden islamistischen Terrorismus eine Absage.
Skeptischer gibt sich der SPD-Kollege Flisek: „Wir wissen nicht genau, welche technischen Fähigkeiten die Amerikaner haben.“ Daraus folge, dass „die deutsche Seite mangels Wissens nicht ausschließen kann, für welche Zwecke Daten verwendet werden“. Sie könne also nicht sagen: „Da lassen wir fünf gerade sein.“ Den Grünen von Notz erinnert das Verhalten der Regierungszeugen an die berühmten drei Affen - nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Natürlich seien Handydaten zur Personenortung geeignet, „das ist völlig unstreitig“, und natürlich könne das jeder wissen: „Der Verfassungsschutz glaubt, dass er mit der Haltung durchkommt: Da haben wir uns nicht schlau gemacht, ich hab's halt nicht gewusst.“ Von Notz findet das „zynisch“ und „menschenverachtend“.
Nach der Sommerpause will sich der Ausschuss mit technischen Aspekten des Drohnenkrieges befassen, Bürgerrechtler, Experten und Vertreter von Telekom-Firmen aus den USA anhören, die Rolle britischer Geheimdienste und das Thema der BND-eigenen Selektoren aufarbeiten. Mit letztlich welchem Ergebnis? Auf eine „höhere Sensibilität“ für Fragen der Datensicherheit in der Öffentlichkeit wie bei Zuständigen in Politik und Wirtschaft hofft die Linken-Obfrau Renner, meint aber auch: „Aus jedem Geheimdienstskandal der Bundesrepublik Deutschland sind die Dienste gestärkt und nicht geschwächt hervorgegangen.“ (wid/20.07.2016)