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Als Jonas Hektor für die deutsche Nationalmannschaft gegen Italien den letzten Elfmeter versenkt hat, war der Jubel bei Snejina Kalendjieva groß – ebenso wie die Enttäuschung nach dem Ausscheiden gegen Frankreich. „Ich bin ein Fußballfan und bei der Europameisterschaft natürlich für Deutschland“, sagt die Bulgarin. Ihre Unterstützung für das DFB-Team hat auch ein bisschen damit zu tun, dass Bulgarien nicht für das Turnier qualifiziert war.
„Ja, die Zeiten von 1994, als Bulgarien Deutschland im Viertelfinale der WM geschlagen hat, sind lange vorbei“, seufzt sie. Die Unterstützung für Müller und Co ist aber auch Folge der durch das Elternhaus geprägten Zuneigung zu Deutschland. „Ich liebe Deutschland und fühle mich sehr wohl hier“, sagt die 27-Jährige, die die vergangenen Monate in der deutschen Hauptstadt Berlin verbracht hat. Snejina Kalendjieva war Teilnehmerin am Programm des Internationalen Parlamentsstipendiums (IPS) des Deutschen Bundestages und absolvierte ein Praktikum im Büro des Bundestagsabgeordneten Norbert Brackmann (CDU/CSU).
Für die junge Bulgarin eine tolle Erfahrung. „Es war sehr interessant, so viele junge Menschen aus verschiedenen Ländern – sogar aus dem Nahen Osten – kennenzulernen“, freut sie sich. Den Plan, am IPS teilzunehmen, verfolgte sie schon lange. Schon vor vier Jahren habe sie an ihrer Universität in Sofia von dem Programm gehört und gewusst: Das will ich machen. Am Ende klappte es erst 2016, nachdem sie das Staatsexamen abgelegt hatte. Das Jurastudium ist eben ein schwieriges und ein langes – auch in Bulgarien.
Neben dem Studienabschluss ist das Beherrschen der deutschen Sprache eine weitere entscheidende Voraussetzung, um am Programm teilzunehmen. Hier kommen ihre Eltern ins Spiel. „Meine Eltern haben schon in der Vorwendezeit den Kommunismus abgelehnt und sich eher in Richtung Westen orientiert“, erzählt sie. Der Vater ein germanophiler Ingenieur, die Mutter Literaturlehrerin – „da gab es schon durch Schiller und Goethe das Interesse an Deutschland“. Snejina Kalendjieva ging dann fast folgerichtig auf das Deutsche Gymnasium in der bulgarischen Hauptstadt.
Als 1989 geborene hat sie die „kommunistische Zeit“ nicht selbst erlebt, bekam aber von Eltern und Geschwistern viel darüber berichtet. Heute sagt sie: „Die Zeit ist in Bulgarien noch immer nicht richtig aufgearbeitet. Mit der Erinnerungskultur ist es nicht weit her.“ Snejina Kalendjieva bedauert das und würde bei der Aufarbeitung gerne mittun. Ihr junges Alter sieht sie dem nicht im Wege stehen. „Man muss die Zeit nicht unbedingt erlebt haben, um Vorteile und Nachteile zu erkennen.“
Was ihre berufliche Zukunft angeht, so hofft sie als Juristin in einer der angesehenen Kanzleien Sofias arbeiten zu dürfen. Politisch engagiert ist sie und wird sie auch in der Zukunft dennoch sein. „Ich bin vor sechs Jahren in die Partei, Demokraten für ein starkes Bulgarien‘ (DSB) eingetreten“, sagt sie. „Wir waren in der Regierung, sind jetzt aber in der Opposition“, sagt Snejina Kalendjieva. Die DSB habe in der Regierung den Justizminister gestellt, der eine „dringend benötigte“ Justizreform geplant hatte.
Denn: „Das größte Problem in Bulgarien ist, dass die Menschen den Eindruck haben, vor dem Gesetz sind nicht alle gleich“, sagt die Juristin. Das sei sehr gefährlich für die Demokratie, schätzt sie ein. Nationalistische Parteien versuchten mit dadurch entstehenden Ängsten der Menschen zu spielen. „Aber wenn die Menschen den Eindruck gewinnen, es gibt in der Justiz Korruption, dahingehend, dass einer, der sehr reich ist nicht ins Gefängnis muss, ist das ein Problem.“
Gute Vorschläge habe ihre Partei für die Justizreform gehabt – im Parlament aber keine Mehrheit dafür gefunden, bedauert Snejina Kalendjieva.
Die Konsequenz: Der Minister trat zurück, die Partei verließ die Regierung. Dass Bulgarien im Justizbereich Probleme hat, belegt auch das Korruptionsranking der EU: „Wir belegen da den letzten Platz, obwohl es schon ein paar Änderungen in Gesetzen und Verfassung, mit dem Ziel die Korruption anzugehen, gegeben hat.“
Auch was das Einkommen angeht, liegt Bulgarien weit hinten. Vom Armenhaus Europas ist oft die Rede. Empfindet das die junge Bulgarin auch so? Ja und nein, sagt sie. In der Hauptstadt Sofia beispielsweise gibt es ihrer Aussage nach für junge gut ausgebildete Leute viele Möglichkeiten. „Aber nur 50 oder 100 Kilometer weg von Sofia in den ländlichen Regionen kann man schon die Armut sehen“, räumt sie ein.
Das sei einer der Unterschiede im Vergleich zu Deutschland. „Ob in Berlin, Hamburg, München oder in Lauenburg, wo Norbert Brackmann seinen Wahlkreis hat – man kann sich in Deutschland in Großstädten aber auch in ländlichen Regionen wohlfühlen“, lautet ihr Eindruck.
Ein Problem für die Entwicklung ihres Heimatlandes stellt die Abwanderung junger Leute dar. Diese Tendenz gebe es schon seit 1989, sagt Snejina Kalendjieva. Mehr als eine Million Menschen hätten seitdem Bulgarien verlassen. Auch von ihrer Abiturklasse sei mehr als die Hälfte der Schüler ins Ausland gegangen. „Hier muss die Politik aktiv werden“, fordert die 27-Jährige.
Ist für sie selbst eine politische Karriere denkbar. „Theoretisch ja“, sagt Snejina Kalendjieva, die einst in die Partei eingetreten ist, als sie merkte, den politischen Austausch zu brauchen und damit die Hoffnung verbindet, politisch etwas bewegen zu können. Als Berufsziel sieht sie die Politik derzeit nicht. „Zuerst muss ich zeigen, dass ich in dem gut bin, was ich studiert habe – also als Juristin.“ Wer weiß - hat sie erstmal genug berufliche Erfahrungen gesammelt führt ihr Weg sie vielleicht doch noch in die Politik. (19.07.2016)