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Berlin: (hib/JOH) Den Schutz der Religions- und Glaubensfreiheit in Deutschland und der Welt sehen zahlreiche Experten als große Herausforderungen der Gegenwart an. Das wurde in einer öffentlichen Anhörung des Menschenrechtsausschusses deutlich. Als Ursachen nannten die fünf geladenen Sachverständigen die schwierige Lage im Nahen Osten, die Zuwanderungsbewegungen nach Europa und die zunehmende Radikalisierung vieler junger Menschen auch in den Demokratien Europas.
Andreas Jacobs von der Middle East Faculty am Nato Defense College in Rom berichtete, dass in vielen muslimischen Ländern der Einsatz für Menschenrechte und Religionsfreiheit immer schwieriger werde. Weil das Umfeld gerade im Nahen Osten "sehr sicherheitspolitisch dominiert" sei, werde das Thema häufig als "Luxusproblem" angesehen. Zudem seien in vielen Staaten des Nahen Ostens Rechte zur freien Religionsausübung zwar auf dem Papier geregelt, jedoch würden sie in der Praxis nicht angewandt. Als Beispiele nannte Jacobs die Möglichkeit eines Religionswechsels, den Umgang mit dem Abfall von der Religion (Apostasie) oder den Kirchenbau. Er urteilte, die Gewährung und Sicherung von Religionsfreiheit in Deutschland und Europa sei "eine zentrale Grundlage für eine glaubwürdige Forderung von Demokratie und Religionsfreiheit weltweit". Nur wenn Muslime hierzulande die praktische Erfahrung machten, dass Religionsfreiheit auch für sie gelte und dass die freie Entfaltung muslimischen Lebens möglich sei, könne Religionsfreiheit auch glaubhaft gegenüber muslimischen Ländern eingefordert werden.
Christine Schirrmacher vom Institut für Orient- und Asienwissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn hob hervor, dass sich die religiöse Landschaft in Deutschland unter anderem wegen der Flüchtlingskrise verändere. Auch islamistische und salafistische Kräfte, denen die Demokratie "ein Dorn im Auge" sei, verzeichneten großen Zulauf. Die Themen Religionsfreiheit und Demokratieentwicklung hätten daher eine immer größere innenpolitische Bedeutung. Schirrmacher sieht die Herausforderung für Deutschland darin, die Freiheit und das friedliche Miteinander der Religionen und Weltanschauungen zu sichern. Dafür brauche es ihrer Ansicht nach "eine neue öffentliche Begründung und Werbung für die Religionsfreiheit in Schulen, Universitäten und allen Bildungsplattformen, weil diese uns in dem neuen Miteinander nicht einfach einen Schoß fallen wird". Ausdrücklich wandte sich Schirrmacher gegen Forderungen, die Religion in den privaten Raum zurückzudrängen. Solche Bestrebungen trügen nicht zu einem friedlichen Miteinander und einer echten Toleranz und Akzeptanz bei, warnte sie. Sie forderte hingegen "eine faktenorientierte und kompetente öffentliche Debatte über die Grenzen zwischen Religion und Politik, eine Bejahung religiöser Ausdrucksformen in ihrer ganzen Vielfalt, aber auch eine entschiedene Zurückweisung politischer Ansprüche im Namen der Religion".
Ähnlich äußerte sich die Journalistin Khola Maryam Hübsch. Ihrer Ansicht nach bedrohen Forderungen nach einem Burka-Verbot oder einem Kopftuch-Verbot für Lehrerinnen an Schulen die säkulare und freiheitliche Grundlage der Gesellschaft mehr anstatt sie zu verteidigen. "Die Verbannung der Religion aus dem öffentlichen Raum führt nicht dazu, dass das tolerante Miteinander der Religionen gefördert wird." Sie schüre vielmehr Misstrauen, verstärke das Ausgrenzungsgefühl gerade vieler Muslime und schaffe einen "Nährboden für Islamismus", warnte Hübsch. Angesichts von "einigen hundert" Burkaträgerinnen in Deutschland könne man zudem nicht von einer Störung des öffentlichen Friedens sprechen. Die Forderung nach einem Verbot sei daher "reine Symbolpolitik", mit der niemanden geholfen werde. Hübsch zeigte sich zudem überzeugt davon, dass eine offene, freundliche Flüchtlingspolitik dazu beitragen könne, das Bild des Westens in der islamischen Welt zu verbessern. Auch dies könne den Terrorismus einzudämmen.
Professor Matthias König von der Georg-August-Universität Göttingen und dem Max Planck Institut für die Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften bezeichnete es als "unstrittig", dass die Einschränkung der Religions- und Glaubensfreiheit die friedliche Koexistenz von Religionsgemeinschaften erschwere und zur Exklusion von Minderheiten beitrage. Er betonte, es bleibe "genuine Aufgabe der Politik, Arrangements religiöser Diversität auszuhandeln". Angesichts einer "tiefgreifenden Globalisierung religiöser und nichtreligiöser Überzeugungen in der Gegenwart" sei dies eine "Herausforderung von hoher Brisanz und Aktualität". König empfahl, zur Stärkung der Religions- und Glaubensfreiheit auf multilaterale Instrumente zu setzen. Neuere Studien zeigten, dass der völkerrechtliche Menschenrechtsschutz in der faktischen Umsetzung vor Ort langfristige Wirkungen entfalten könne. So könnten Menschenrechtskonventionen wegen ihrer hohen Legitimation durchaus die binnenpolitische Agenda in anderen Ländern beeinflussen.
Kirsten Wiese von der Humanistischen Union e.V. in Berlin bekräftigte im Menschenrechtsausschuss die Forderung ihres Verbandes nach einer vollständigen Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften und kritisierte in diesem Zusammenhang die "starke Vermengung" des Staates mit den christlichen Kirchen in Deutschland. Den Kirchen würden zahlreiche Privilegien gewährt, etwa durch den staatlichen Kirchensteuereinzug, Steuer- und Gebührenbefreiungen und jährliche Staatsleistungen durch die Bundesländer. Dies stehe jedoch im Widerspruch zum staatlichen Neutralitätsgebot. "Damit die Religionsfreiheit in Deutschland konsequent gewährleistet werden kann, müssen jegliche Privilegien für die Kirchen abgeschafft werden", forderte Wiese.
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