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Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 10. August 2015)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung-
Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, wirbt dafür, dass der Westen und die Nato trotz aller Enttäuschungen mit Russland wieder ins Gespräch kommen. Gegen die aggressive Moskauer Politik gegen die Ukraine „brauchen wir nicht nur eine militärische Eindämmungs- und Rückversicherungsstrategie, sondern müssen diese ergänzen durch eine Strategie, die die Tür gegenüber Moskau offen hält und Russland zeigt, dass seine Westgrenze nicht bedroht ist“, sagte Ischinger in einem Interview mit der Berliner Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungsdatum 10. August).
Es müsse deutlich gemacht werden, „dass EU und Nato keine Absichten haben, die mit russischen Sicherheitsinteressen nicht vereinbar sind“.
Anerkannt müsse aber auch sein, dass die östlichen Nato-Partner das Bedürfnis hätten, abgesichert zu sein. Ischinger: „Sie haben nach den Ereignissen in der Ukraine Angst vor möglichen russischen Übergriffen. Insoweit haben sie denselben Anspruch auf Solidarität der Nato, den wir Deutschen für selbstverständlich gehalten haben über Jahrzehnte des Kalten Krieges.“
Ischinger wandte sich auch gegen die westliche Anerkennung eines Moskauer Sicherheitsinteresses, „das sich nur befriedigen lässt, wenn Länder wie die Ukraine oder Georgien einen Status minderer Souveränität hätten, wenn sie akzeptierten, zur russischen Einflusssphäre zu zählen“. „Hier können wir Russland nicht entgegenkommen“, sagte der frühere Staatssekretär im Auswärtigen Amt. „Wir würden unsere eigenen Werte verraten, die eben auch darin bestehen, dass jeder Staat sich seine Allianzen, seine Zugehörigkeiten selbst wählen können soll.“
Das Interview im Wortlaut:
Herr Ischinger, hätten Sie es vor zwei Jahren für möglich gehalten, dass ein Großkonflikt mit Russland zurückkehrt, wie wir ihn jetzt in der Ukraine erleben?
Nein, ich hätte mir nicht vorstellen können, dass die europäische Sicherheitsordnung, die wir mit dem Helsinki-Prozess errichtet haben, 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges so tiefgreifend erschüttert wird.
Warum ist für Russland die Ukraine so wichtig, dass es so viel riskiert?
Aus meiner Sicht geht es bei der russischen Strategie nur vordergründig um die Ukraine. Es geht in Wirklichkeit um das strategische Verhältnis zwischen Russland und Amerika, es geht um Moskaus Rolle in der Welt. Es geht darum, welches Verhältnis Russland zur Nato und zur Europäischen Union entwickelt. Es geht also um sehr viel grundsätzlichere, strategische Fragen als nur um den Donbass oder die Krim.
Welche Interessen hat die EU an einer Heranführung der Ukraine?
Wir sollten zunächst von den Wünschen ausgehen, die unsere Nachbarn an uns richten. Die Osteuropäer hatten nach dem Zerfall der Sowjetunion und des Warschauer Paktes den dringenden Wunsch, sich der westlichen Welt anzuschließen, sowohl was die Mitgliedschaft der Nato anging, als auch die wirtschaftlich und politisch noch viel bedeutsamere Zugehörigkeit zur EU. Die ukrainische Führung hat lange gezögert. Aber die Ukrainer haben sich dagegen aufgelehnt, als im Winter 2013/2014 die ukrainische Führung einen Schritt in Richtung Westorientierung zurücknahm. Das führte zu den Ereignissen auf dem Majdan und zur revolutionsartigen Verabschiedung des damaligen Präsidenten Viktor Janukowytsch. Es gab und gibt in osteuropäischen Ländern ein starkes Interesse, sich dem westlichen und offenen Gesellschaftmodell anzuschließen, sich zu befreien von den Zwängen korrupter Gesellschaften, die aus den früheren kommunistischen Regimen hervorgegangen sind. Diesen Wunsch können wir doch nicht ignorieren.
Solche Wünsche existierten in den 1990er Jahren in Russland auch. Welche Versuche gab es, auf Russland zuzugehen?
Es gab die Vorstellung, dass man angesichts der beginnenden Nato-Erweiterung auch mit Russland einen Prozess beginnt, der zu einem kooperativen Miteinander führen würde. Diese Vorstellung hat sich nicht verwirklichen lassen und ich denke, daran tragen alle Beteiligten, auch Russland selbst, eine erhebliche Mitverantwortung. Es ist uns nicht gelungen, das Verhältnis zwischen Nato und Russland so weiterzuentwickeln, dass man in Moskau das Gefühl entwickelt hat, man gehört dazu.
Sehen Sie Ansatzpunkte, eines Tages zu einem solchen Verhältnis zu kommen?
In der Außenpolitik gilt immer der Satz „It takes two to tango“. Wir können noch so schöne Konzeptionen in unseren Planungsstäben entwickeln: Wenn die andere Seite nicht will, wird daraus nichts. Moskau fordert die Anerkennung eines Sicherheitsinteresses, das sich nur befriedigen lässt, wenn Länder wie die Ukraine oder Georgien einen Status minderer Souveränität hätten, wenn sie akzeptierten, zur russischen Einflusssphäre zu zählen. Hier können wir Russland nicht entgegenkommen. Wir würden unsere eigenen Werte verraten, die eben auch darin bestehen, dass jeder Staat sich seine Allianzen, seine Zugehörigkeiten selbst wählen können soll. Wir können nicht im Nachhinein verordnen, dass die Ukraine nicht die gleichen Freiheits- und Zugehörigkeitsrechte für sich in Anspruch nehmen kann wie etwa Litauen oder Bulgarien.
Sind Sanktionen und eine erhöhte Verteidigungsbereitschaft der Nato in Osteuropa angemessene und auch wirksame Antworten auf das russische Vorgehen?
Unsere östlichen Nato-Partner haben das Bedürfnis, abgesichert zu sein. Sie haben nach den Ereignissen in der Ukraine Angst vor möglichen russischen Übergriffen. Insoweit haben sie denselben Anspruch auf Solidarität der Nato, den wir Deutschen für selbstverständlich gehalten haben über Jahrzehnte des Kalten Krieges. Wir brauchen aber nicht nur eine militärische Eindämmungs- und Rückversicherungsstrategie, sondern müssen diese ergänzen durch eine Strategie, die die Tür gegenüber Moskau offen hält und Russland zeigt, dass seine Westgrenze nicht bedroht ist. Wir müssen deutlich machen, dass EU und Nato keine Absichten haben, die mit russischen Sicherheitsinteressen nicht vereinbar sind. Dieses Missverständnis auszuräumen, mit Russland wieder ins Gespräch zu kommen und die gegenwärtige Sprachlosigkeit zu überwinden, muss der zweite Teil unserer Doppelstrategie sein.
In der russischen Wahrnehmung regiert der Hausherr im Kreml ein riesiges, aber dünn besiedeltes Land mit Grenzen zu China und zur islamischen Welt und sieht sich mit der Möglichkeit konfrontiert, dass die Nato eines Tages direkt an der russischen Grenze stehen könnte. Ist die russische Sorge vor einer „Einkreisung“ von der Hand zu weisen?
Dass in Moskau solche Sorgen existieren, ist richtig. Wenn man westliche Raketensysteme etwa im Osten Polens stationieren will, muss man zur Kenntnis nehmen, wie kurz die Vorwarnzeiten für Städte wie Sankt Petersburg oder Moskau wären und dass das aus russischer Sicht eine untragbare Gefährdung der eigenen Sicherheitslage darstellen würde. Das Traurige ist, dass wir uns seit 20 Jahren gegenseitig versichern, dass wir uns nicht mehr als Gegner betrachten, sondern Partner sein wollen. Wir müssen jetzt leider wieder bei null anfangen, etwa bei der Frage, wie wir militärisches Vertrauen aufbauen und auf dem militärischen Vertrauen aufbauend auch politisches und gesellschaftliches.
Wie könnte das konkret gehen?
Wir haben in den vergangenen Monaten militärische Muskelspiele erlebt, Flugbewegungen über dem Nordatlantik etwa, mit denen man sich gegenseitig zeigt, dass man für Radarschirme unsichtbar den Luftraum beherrscht. All dies ist hochgefährlich. Ein falscher Knopfdruck, und unkontrollierbare Folgen könnten eintreten. Der erste notwendige Schritt wäre, dass die Nato und Russland sich auf Spielregeln für solche manöverartigen Bewegungen einigen, gegenseitige Zurückhaltung üben. Das wäre ein erster Schritt der Vertrauensbildung. Er würde die Glaubwürdigkeit gegenseitiger Versicherungen erhöhen und möglicherweise die Tür öffnen für Gespräche auch über andere Bereiche.
Ist ein neuer Helsinki-Prozess nötig?
Es gibt keinen Grund, warum es zwischen Russland und den westlichen Führungsmächten keine Bekräftigung der Grundregeln geben sollte, die wir mit Helsinki und der Charta von Paris gefunden haben. Es ist damals in Zeiten schwerster gegenseitiger Bedrohung gelungen, Elemente einer gemeinsamen Sicherheitsordnung aufzubauen. Ich bin derzeit Vorsitzender eines Panels der OSZE, das bis Ende des Jahres Empfehlungen geben soll, wie die europäische Sicherheitsordnung widerstandsfähiger gegen solche Krisen gemacht werden könnte. Man braucht aus meiner Sicht kleinere Formate, wie wir sie beispielsweise in der Ukraine-Krise mit dem Normandie-Format und im Falle des Irans mit den Drei-Plus-Drei-Gesprächen gefunden haben. Solche Gesprächskreise könnten hilfreich sein, um einen – nennen wir ihn mal Helsinki-2-Prozess – in Gang zu setzen, der im Rahmen der OSZE auch zu einem Gipfeltreffen und zur Bekräftigung einer allseits akzeptierten Sicherheitsordnung des 21. Jahrhunderts führen könnte. Das ist ein großes und wichtiges Ziel und wir werden hoffentlich am Ende des Jahres dazu sinnvolle Vorschläge präsentieren können.
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