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"Die Klimakatastrophe hat längst begonnen!" Mit einem Hinweis auf Irland, wo wegen der anhaltenden Unwetter dieses Winters über die Aufgabe ganzer Ortschaften diskutiert werde, unterstrich Dr. Anton Hofreiter die Notwendigkeit einer ambitionierteren europäischen Energiepolitik. Dieses Jahr, betonte der Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, sei ganz entscheidend für den Kampf gegen den Klimawandel. Die EU lege 2014 ihre Klimaziele bis 2030 fest, mit denen sie dann in die Internationale Klimakonferenz in Paris 2015 gehen wolle.
Allerdings sind die deutschen Grünen mit den sich abzeichnenden EU-Klimazielen überhaupt nicht einverstanden und damit auch nicht mit der Position der Bundesregierung. Dies bringen sie in ihrem Antrag "Die Energiewende europäisch verankern" (18/777) zum Ausdruck, über den der Bundestag am Donnerstag, 13. März 2014, debattierte und zur weiteren Beratung an den federführenden Wirtschaftsausschuss überwies. Darin wird eine Reduktion des Kohlendioxidausstoßes bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 verlangt, während die Bundesregierung im Einklang mit der EU-Kommission 40 Prozent anstrebt. Zudem fordern die Grünen, anders als in der EU geplant, verbindliche europaweite Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien und für die Senkung des Energieverbrauchs.
Letzteres Ziel bezeichnete Hofreiter auch im Blick auf die Energiekosten als sinnvoll: "Die billigste Kilowattstunde Strom ist die Kilowattstunde, die wir gar nicht benötigen." Als wichtiges Mittel, die Klimaziele zu erreichen, bezeichnete Hofreiter die Stärkung des EU-Emissionshandelssystems. Dazu schlagen die Grünen ein Bündel von Maßnahmen vor. "Es kann nicht sein, dass eine Tonne Kohlendioxid nicht viel mehr kostet als eine Zigarettenschachtel", sagte Hofreiter zur Begründung.
Bei den Koalitionsfraktionen stießen die Vorschläge auf Ablehnung auf der ganzen Linie. Die Grünen setzten "auf nationale Kleinstaaterei, auf staatlichen Zwang und planwirtschaftliche Instrumente, die immer nur zu weiteren Belastungen führen, aber sicher nicht im europäischen Sinne sind", sagte Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU). Wolfgang Tiefensee (SPD) sekundierte: "Wir lehnen den Antrag ab, weil er die deutsche Energiewende unreflektiert in den Mittelpunkt einer europäischen Vereinbarung stellt." Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den europäischen Ländern blende der Antrag aus.
Pfeiffer unterstützte im Gegensatz zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen die Absicht der Bundesregierung, nur ein Klimaziel festzulegen, nämlich für den Kohlendioxidausstoß: "Wenn die Lage so ist, wie gerade von Herrn Hofreiter am Beispiel Irlands beschrieben, dass der Weltuntergang unmittelbar bevorsteht", dann müsse es doch richtig sein, alles an diesem Ziel festzumachen. Tatsächlich hatte sich die EU 2007 noch das Ziel "3x20" gesetzt: 20 Prozent Kohlendioxid-Reduktion, 20 Prozent mehr Energieeffizienz und 20 Prozet erneuerbare Energie bis 2020. Aber, so Pfeiffer, "man lernt ja dazu".
Die Grünen stören sich, ebenso wie die Fraktion Die Linke, insbesondere daran, dass das Kohlendioxid-Ziel, wenn es alleine steht, auch mit einem Ausbau der Kernenergie erreicht werden kann. Doch Redner der Koalitionsfraktionen verwiesen darauf, dass die deutsche Haltung zur Kernenergie nicht von allen EU-Partnern geteilt wird.
Dirk Becker (SPD) brachte das so auf den Punkt: "Wenn Deutschland sagt, wir machen keine Vereinbarung mit, in der Kernenergie als Klimaschutzinstrument drinsteht, dann versagen uns die Briten im Gegenzug die Zustimmung zu den 40 Prozent." Becker verwahrte sich auch dagegen, der Bundesregierung die Schuld daran zu geben, dass in der EU-Vorlage nicht mehr als 40 Prozent als Reduktionsziel für den Kohlendioxidausstoß stehen. "Dass da 40 Prozent überhaupt drinstehen, ist nicht gegen, sondern wegen Deutschland erreicht worden."
Die Fraktion Die Linke vertrat ähnliche Positionen wie Bündnis 90/Die Grünen. Bei den auch von der EU-Kommission kritisierten Industrierabatten bei der Ökostrom-Abgabe nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz fordert Die Linke allerdings noch deutlichere Einschränkungen als die Grünen. Das derzeitige System bedeute nichts anderes, sagte Caren Lay (Die Linke), "als dass beispielsweise der Hartz-IV-Empfänger oder die alleinerziehende Mutter für den Braunkohlekonzern Vattenfall die Stromrechnung mitbezahlt".
Ebenso ungerecht sei, dass die Großbäckerei von der Abgaben befreit sei, der Bäcker an der Ecke aber nicht. Mit der von ihrer Partei vorgeschlagenen Beschränkung der Energierabatte würde eine durchschnittliche Familie 180 Euro Stromkosten im Jahr sparen, ohne dass die Ausbauziele für erneuerbare Energien gefährdet würden.
Lays Fraktionskollege Alexander Ulrich forderte, dass Deutschland aus der europäischen Organisation Euratom aussteigt und auch keine Hermes-Bürgschaften für den Bau von Atomkraftwerken anderswo in der Welt mehr gibt. Zudem kritisierte Ulrich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) dafür, dass er jüngst in Kiew angeregt hat, die Ukraine könne Strom in die EU exportieren. Dieser Strom sei zu 90 Prozent mit Atomkraft und Kohle produziert, bemängelte Ulrich.
Der Ukraine-Konflikt hatte schon Eingangs Anton Hofreiter ein Argument für die Energiewende geliefert. Unter Hinweis auf die derzeit große Abhängigkeit von fossilen Energieträgern aus Russland sagte der Grüne: "Wind und Sonne schicken uns keine Rechnung. Das System Putin schickt uns durchaus eine Rechnung." (pst/13.03.2013)