Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Die Niedrigzinsphase auf dem Kapitalmarkt hat zwei Seiten: Vorteile bietet sie für die Finanzminister, aber auch private Kreditnehmer, die sich billiger verschulden können. Nachteile haben die Geldgeber, zum Beispiel die Kunden von Lebensversicherungen, deren einst hohe Erträge dahin schmelzen wie Schnee in der Sonne. Um die Lage der Lebensversicherungen zu stabilisieren, nahm der Bundestag am Freitag, 4. Juli 2014, den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte (18/1772, 18/2016). „Wenn wir nicht handeln, fahren wir einen wesentlichen Teil der privaten Altersvorsorge an die Wand“, begründete Dr. h.c. Hans Michelbach (CDU/CSU) die Aktivitäten der Großen Koalition.
Mit dem Gesetz sollen unter anderem die Beteiligung der Versicherten an den Risikoüberschüssen der Unternehmen von 75 auf 90 Prozent erhöht und die Verwendung der Bewertungsreserven geändert werden. Zugleich wird die Garantieverzinsung für Neuverträge (Höchstrechnungszins) von derzeit 1,75 auf 1,25 Prozent gesenkt.
Nachdem die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD im Finanzausschuss des Bundestages noch einige Änderungen an dem Entwurf vorgenommen hatten, stimmte die Koalitionsmehrheit dem Gesetzentwurf zu. Die Oppositionsfraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen lehnten den Entwurf ab.
Michelbach verteidigte die Maßnahme mit dem Hinweis, eine Trendumkehr bei den Zinsen sei nicht in Sicht. Vielmehr habe die Europäische Zentralbank (EZB) gerade erst wieder die Zinsen gesenkt. Da ein erheblicher Teil der privaten Altersvorsorge in Lebensversicherungen stecke, bestehe Handlungsbedarf.
Es sei doch paradox, dass Lebensversicherungen um so mehr Geld ausschütten müssten, je niedriger die Zinsen seien. Bewertungsreserven, an denen die Kunden beteiligt werden müssen, entstehen durch Kurssteigerungen festverzinslicher Wertpapiere wie Bundesanleihen. Zu diesen Kurssteigerungen kommt es, wenn die Zinsen sinken.
Zu den wesentlichen Inhalten des Gesetzentwurfs gehört deshalb, dass die Ausschüttung von Bewertungsreserven an Kunden, deren Verträge enden, begrenzt wird, sofern die von einem Versicherungsunternehmen gebildeten Rückstellungen bei den gegenwärtig niedrigen Zinsen nicht ausreichen, um die den verbleibenden Versicherten gegebenen Garantiezusagen zu finanzieren.
Weiter können den Versicherungsunternehmen Ausschüttungen an Aktionäre untersagt werden, um die Erfüllung der garantierten Zusagen sicherzustellen. Vom Bundestag abgelehnt wurden zwei Änderungsanträge der Linksfraktion (18/2025, 18/2026) zu Bewertungsreserven und Überschussbeteiligung. Ebenfalls abgelehnt wurde ein Entschließungsantrag der Linksfraktion (18/2027), in dem diese einen Verzicht auf die Einschränkung der Versichertenbeteiligung an den Bewertungsreserven gefordert hatte.
Die Oppositionsfraktionen wandten sich strikt gegen die Maßnahmen. „Sie sind vor der Versicherungslobby eingeknickt“, rief Susanna Karawanskij (Die Linke). Den von der Koalition angekündigten fairen Interessenausgleich zwischen Versicherten und Unternehmen gebe es nicht.
Die Abgeordnete erklärte, der Gesetzentwurf bringe wenig Gutes für die Versicherten. Bei den Änderungen an den Bewertungsreserven würden die Versicherten gegeneinander ausgespielt.
Dr. Gerhard Schick (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, es dürfe nicht nur auf der Kundenseite etwas gemacht werden, sondern es müsse eine wirksame Ausschüttungssperre für Eigentümer geben. Die von der Koalition beschlossene Ausschüttungssperre greife aber bei vielen Unternehmen nicht, „und das ist ein massives Problem“.
Mit Blick auf die von der Sperre nicht betroffenen Lebensversicherungen, die mit ihren Muttergesellschaften Gewinnabführungsverträge haben, forderte Schick eine „effektive Ausschüttungssperre“. Auch die Eigenmittelausstattung der Lebensversicherungen sei mit 1,4 Prozent „unterirdisch gering“.
Manfred Zöllmer (SPD) entgegnete, für viele Menschen sei die Lebensversicherung eine wichtige Säule der Altersversorgung: „Sie sind deshalb existenziell darauf angewiesen, auf Dauer stabile Lebensversicherungen zu haben.“
Angesichts der durchschnittlichen Rendite deutscher Anleihen von 1,6 Prozent und des durchschnittlichen Garantiezinses der Lebensversicherungen von 3,2 Prozent „muss man nicht zwölf Semester Volkswirtschaft studiert haben, um zu erkennen: Da gibt es ein Problem.“ Alle Sachverständigen hätten in der Anhörung auch den Handlungsbedarf bestätigt. Außerdem soll die Kostentransparenz der Versicherungsprodukte erhöht werden.
Die Koalition änderte allerdings den Entwurf der Regierung, der eine Offenlegung der Höhe der Provisionen der Versicherungsvermittler vorgesehen hatte. Dies könnte zu Wettbewerbsverzerrungen führen, da die Provision in unterschiedlichen Vertriebswegen eine unterschiedliche Bedeutung und Höhe habe, begründeten die Koalitionsfraktionen die von ihnen im Finanzausschuss durchgesetzte Änderung. Zur Verbesserung der Produkttransparenz sollen die Effektivkosten der Lebensversicherungsverträge angegeben werden.
Mit 437 Gegenstimmen bei 47 Befürwortern und 54 Enthaltungen abgelehnt wurde ein Antrag der Linksfraktion (18/1815), in dem die Bundesregierung aufgefordert worden war, möglichst bald belastbare Zahlen zu Lebens- und Rentenversicherungen vorzulegen. Außerdem hatte die Fraktion mehr Zeit für die Beratungen gefordert. (hle/04.07.2014)