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Über die Bewertung der Ergebnisse des nationalen Bildungsberichts 2014 waren sich Regierung und CDU/CSU auf der einen Seite und die Opposition auf der anderen Seite weitgehend uneinig. Während Özcan Mutlu (Bündnis 90/ Die Grünen) der Bundesregierung eine glatte Sechs als Note ausstellte, lobte Bundesbildungs- und -forschungsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka (CDU) die Fortschritte. Der Debatte am Freitag, 16. Januar 2015, lagen der nationale Bildungsbericht 2014 und die Stellungnahme der Bundesregierung (18/2990), der Antrag der CDU/CSU/ und SPD „Bildung in Deutschland gemeinsam voranbringen, Lehren aus dem Nationalen Bildungsbericht 2014 ziehen, Chancen der Inklusion nutzen“ (18/3546), der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen „Bildung schafft Teilhabe und Chancengleichheit – Empfehlungen des Nationalen Bildungsberichts 2014 zügig umsetzen“ (18/3412) und der Antrag der Linken „Bildungsverantwortung gemeinsam wahrnehmen – Konsequenzen aus dem Bildungsbericht ziehen“ (18/3728) zugrunde.
Wanka betonte, dass sich die Investitionen der letzten Jahre in die Bildung ausgezahlt hätten. Die Schulabbrecherquote sei auf 5,9 Prozent gefallen. Zum Vergleich: 2008 habe diese bei sieben Prozent, 2001 bei 9,7 Prozent gelegen. Und auch die Zahl der jungen Menschen, die nach der Schule im Übergangsbereich landen, sei erheblich gesunken. Ferner nannte sie als Erfolg die Studienanfängerquote, die mittlerweile bei über 50 Prozent liege, und betonte die Zuwächse an Studenten in den sogenannte MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik), und dabei vor allem den Zuwachs weiblicher Studenten.
Auch ging die Ministerin auf den immer wieder vorgetragenen Vorwurf ein, dass es in Deutschland Bildungsungerechtigkeit gebe. Sie rechnete vor, dass Kinder mit Migrationshintergrund in den Jahren zwischen 2003 bis 2012 in der Bildungskompetenz um 24 Prozent zugelegt hätten. Bei Kindern ohne Migrationshintergrund habe die Steigerung nur bei 3,6 Prozent gelegen. Gleichwohl relativierte Wanka auch diesen Erfolg, da trotz des Erfolges Kinder mit Migrationshintergrund noch immer nicht auf dem Niveau von Kindern ohne Migrationshintergrund seien. „Aber sie holen auf“, sagte Wanka.
Wanka ging auch auf die Inklusion ein, dem Schwerpunktkapitel des Nationalen Bildungsberichts und lobte die große Datengrundlage, die nun erstmals für die Bundesrepublik zu diesem Thema vorliege. Auch wenn bei der Inklusion von Kindern und Jugendlichen noch viel zu tun sei, solle man nicht den Fehler machen, lediglich Systeme anderer Länder zu übernehmen sondern sich auch auf eingeführte nationale Strukturen besinnen. Sie nannte unter anderem die Förderschulen und geschützte Werkstätten.
Die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Dr. Rosemarie Hein, warf einen anderen Blick auf die Bildungspolitik: „Der nationale Bildungsbericht gibt Anlass, den Zustand des Bildungssystems kritisch zu beleuchten.“ Sie betonte die große soziale Ungerechtigkeit im Bildungssystem. Kinder von Eltern, die keinen akademischen Abschluss hätten, gingen sehr viel seltener an ein Gymnasium als Kinder aus Akademikerhaushalten und studierten auch deutlich seltener.
Insgesamt würden diese Kinder sechs Mal häufiger an Hauptschulen landen. „So kann es im Bildungssystem in Deutschland nicht weitergehen“, sagte Hein. Außerdem sprach sie die berufliche Bildung an. Es gebe erneut weniger Ausbildungsabschlüsse. Und dieser Rückgang sei nicht mit „Passungsproblemen“ zu erklären, wie es zuvor Bundesbildungsministerin Wanka in ihrer Rede getan hatte. Unter Passungsproblemen versteht man, dass der Bewerber eine für ihn geeignete Lehrstelle in der Breite der Angebote wahrnimmt und angeboten bekommt. Laut Hein ist das Angebot an sich zu gering.
Im vergangenen Jahr hätten 81.000 Bewerber keinen Ausbildungsvertrag bekommen. Im Bereich frühkindliche Bildung lobte sie, dass die Betreuungsplätze für unter Dreijährige stark gestiegen, die gesetzten Ziele dennoch nicht erreicht worden seien. Grundsätzlich resümierte Hein: „Wir fordern erneut die Einführung einer Gemeinschaftsaufgabe Bildung.“ Es solle nicht ständig die Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern geklärt werden müssen.
Grundsätzlich plädierten die Redner der SPD dafür, gute wie schlechte Ergebnisse des nationalen Bildungsberichts gleichermaßen zu analysieren und der stellvertretende Fraktionschef, Hubertus Heil, nannte im weiteren Verlauf der Debatte als Kritikpunkt auch die Bildungsungerechtigkeit, die es nach wie vor in Deutschland gebe. Die behindertenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Kerstin Tack, widmete ihre Rede ausschließlich der Lage von Menschen mit Behinderung, dem Schwerpunktthema des Bildungsberichts 2014.
Auch wenn mittlerweile 35 Prozent der Kindertagesstätten inklusiv arbeiteten, machte Tack gleich am Anfang grundsätzlich deutlich: „Wir haben noch einen langen Weg vor uns.“ Von den 500.000 Kindern (6,6 Prozent), die einen sonderpädagogischen Förderbedarf hätten, gingen 72 Prozent in die Förderschule. Nur 28 Prozent würden in allgemeinbildenden Schulen unterrichtet werden.
Mit steigendem Alter nehme die Inklusion grundsätzlich ab und drei Viertel der Förderschüler machten nicht einmal einen Schulabschluss. Tack mahnte an, dass die Lehrer für die Inklusion besser ausgebildet werden müssten: „Wir sind noch weit vor dem gemeinsam gesteckten Ziel.“ Es reiche nicht, ein Kind aus einer Förderschule in eine allgemeinbildende Schule zu geben und ihm einige wenige Förderstunden zuzubilligen.
„Das ist ja nicht mehr als eine Einzelintegration“, sagte Tack. „Wir wollen Inklusion. Wir wollen die Veränderung der Systeme.“ Alle Kinder und Jugendlichen sollten eine gute Förderung erhalten, unabhängig von Behinderungen. Sie machte auf die Hürden bei der Umsetzung aufmerksam und verwies dabei auch auf die unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern.
Der Sprecher für Sport und Bildungspolitik von Bündnis 90/Die Grünen, Özcan Mutlu, kritisierte die Bundesregierung scharf. Mutlu rechnete auf der Grundlage der in der vergangenen Woche herausgegebenen DGB-Studie von Prof. Dr. Klaus Klemm vor, dass die Bundesregierung ihre eigenen Bildungsziele verfehlt habe. Ziel des Bildungsgipfels 2008 sei gewesen, die Schulabbrecherquote von acht auf vier Prozent zu halbieren. Sie sei jedoch lediglich auf 5,9 Prozent gesunken. Ferner sollte die Quote von jungen Erwachsenen ohne Berufsausbildung von 17 auf 8,5 Prozent halbiert werden. Aktuell liege die Quote aber bei 13,8 Prozent, rechnete Mutlu.
Auch die Erhöhung des Bildungsetats auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts sei nicht erreicht worden. An die Adresse der Bundesregierung gerichtet fuhr er fort: „Damit sind Sie in den Kernbereichen des Bildungsgipfels gescheitert.“ Gleichzeitig ging er aber auch auf positive Entwicklungen ein und nannte insbesondere die Studienanfängerquote und die Weiterbildungsquote. Sehr kritisch beleuchtete er, wie schon zuvor seine Kollegin Hein von der Linken, die Bildungsungerechtigkeit in Deutschland. Die von der Bundesregierung ausgerufene Bildungsrepublik sei nichts anderes als eine „Republik der Bildungsungerechtigkeit“.
Xaver Jung (CDU/CSU), der bildungspolitische Sprecher der CDU/CSU, lobte die Bildungspolitik und verwies auf eine aktuelle Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). „Wir sind auf einem guten Weg. Die Aufwüchse im Bildungsetat zeigten eine gute Richtung.“ Das Ergebnis sei der Beleg für eine vorausschauende Bildungspolitik. Als Beispiel nannte er unter anderem die Betreuung von unter Dreijährigen und die steigende Zahl junger Menschen, die einen Berufsabschluss erlangen.
Junge Menschen mit Migrationshintergrund würden besser integriert, und das duale Ausbildungssystem genieße einen sehr guten Ruf in der Welt. Gleichwohl zeige der Bildungsbericht auch auf, wo es in der Bildungspolitik Nachholbedarf gebe. Den Vorschlägen wolle man nachkommen. Jung nannte unter anderem den Einsatz für ein besseres Betreuungsangebot in Kindertagesstätten und ein wohnortnahes differenziertes Schulsystem. (rol/16.01.2015)