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„Lesen und Schreiben ist ein wesentlicher Schlüssel der Teilhabe am täglichen Leben“, sagte Xaver Jung (CDU/CSU) in der Debatte „Zugang und Teilhabe ermöglichen - Die Dekade für Alphabetisierung in Deutschland umsetzen“, in der sich am Freitag, 2. Oktober 2015, die Redner aller Fraktionen einig waren: Gegen den Analphabetismus in Deutschland muss etwas getan werden, die Zahl von 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten in Deutschland ist erschreckend. „Statistisch gesehen hat jeder mindestens einen Nachbarn“, der betroffen ist, verdeutlichte Jung das Problem.
Die hohe Zahl von funktionalen Analphabeten, sei „für ein Hochtechnologieland wie Deutschland nicht hinnehmbar“. Von funktionalem Analphabetismus spricht man, wenn die Kompetenzen in Schrift und Sprache von Erwachsenen niedriger sind als die jeweiligen beruflichen und gesellschaftlichen Anforderungen. Jung machte in der Debatte zu einem Antrag von CDU/CSU und SPD (18/5090, 18/6179) darauf aufmerksam, dass die meisten funktionalen Analphabeten Muttersprachler seien und sogar 80 Prozent einen Schulabschluss hätten, „wie auch immer die das geschafft haben“. Der Antrag wurde bei Enthaltung der Opposition angenommen.
Mit einem Programm in Höhe von 180 Millionen Euro, verteilt auf zehn Jahre, will die Bundesregierung die Zahl der funktionalen Analphabeten in Deutschland spürbar senken. In der dafür ausgerufenen „Nationalen Dekade für Alphabetisierung“ sollen vor allem die oft unterentwickelten Lese- und Schreibfähigkeiten erwachsener Erwerbstätiger verbessert werden, Alphabetisierungsprojekte gefördert, Kurskonzepte und Selbstlernmöglichkeiten geschaffen werden.
Dr. Rosemarie Hein (Die Linke) lobte den Antrag, betonte aber auch, dass dieser nicht weit genug gehe. Mit der neuen Dekade seien keine wesentlich anderen Maßnahmen oder neue Ziele verbunden. Hein forderte, nicht nur an den Symptomen „herumzudoktern“, sondern auch die Ursachen für Analphabetismus zu erforschen, Defizite müssten rechtzeitig erkannt werden.
Die Frage, die stärker in der Vordergrund gerückt werden müsse, heißt für sie: Wie entsteht Analphabetismus überhaupt? Und wieso entsteht er auch noch nach einem erworbenen Schulabschluss? Die Abgeordnete setzte sich dafür ein, ein Forschungsprogramm aufzulegen.
Marianne Schieder (SPD) bezeichnete die bisherigen Projekte im Kampf gegen Analphabetismus als erfolgreich und erwiderte auf die Kritik von Rosemarie Hein: „Das Rad muss nicht neu erfunden werden. Es gibt bereits viele neue gute Ansätze.“ Gleichwohl müssten Pilotprojekte, die sich bewährt hätten, in die Breite getragen werden. Sie forderte neue Förderprogramme, um die Träger der Erwachsenenbildung zu motivieren, entsprechende Neuangebote zu entwickeln.
Zudem sprach sich dafür aus, das Thema Analphabetismus in den Bildungsbericht aufzunehmen. Ferner forderte sie, die Bundesmittel aufzustocken. Die 180 Millionen Euro, die für die nächsten zehn Jahre im Kampf gegen Analphabetismus angesetzt seien, würden nicht ausreichen, da diese Zahl vor der Flüchtlingswelle berechnet worden sei, worunter auch Analphabeten seien.
„Es ist richtig, für Flüchtlinge Angebote zu schaffen. Aber es müssen auch weiter Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden“, forderte Schieder. Neben dem individuellen Nutzen betonte sie auch den gesamtgesellschaftlichen Sinn der Bekämpfung von Analphabetismus. „Das Angebot an Arbeitsplätzen für Menschen, die nicht richtig lesen und schreiben können, wird in diesem Land weniger und nicht mehr.“
Auch Özcan Mutlu von Bündnis 90/Die Grünen sprach von „erschreckenden“ Zahlen und wies darauf hin, dass es neben den 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten noch weitere 2,3 Millionen Menschen der erwerbsfähigen Bevölkerung gebe, die sogar unter Analphabetismus im engeren Sinn litten. Diese Menschen können zwar einzelne Wörter lesen, verstehen und schreiben, nicht jedoch ganze Sätze. Weitere 13 Millionen Menschen würden die deutsche Rechtschreibung nicht richtig beherrschen.
„Die bisher ergriffenen Maßnahmen reichen nicht aus“, sagte der Abgeordnete und rechnete vor, dass von den veranschlagten 180 Millionen gerade mal 2,40 Euro auf eine Person mit Förderbedarf komme. „Die Politik repariert an etwas, was nie hätte passieren dürfen. Früher und gezielter investieren, das muss das Motto sein.“ (rol/02.10.2015)