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Zu der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen geforderten Einführung sogenannter Gruppenverfahren wird es nicht kommen. Der Bundestag lehnte am Donnerstag, 5. November 2015, einen dahingehenden Gesetzentwurf (18/1464) mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ab. Grünen- und Linksfraktion hatten für die Regelung votiert, die eine Bündelung individueller Ansprüche – ähnlich den Regelungen im Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, wenngleich auch mit abgesenkten Zugangsschranken im Vergleich dazu – vorsah.
Der Gesetzentwurf sei weder verhältnismäßig noch verfassungskonform, urteilte der Unionsabgeordnete Sebastian Steineke während der Debatte. Dirk Wiese (SPD) sagte, man sei sich mit den Grünen einig im Grundziel, doch müsse der Weg ein anderer sein.
Auch von Seiten der EU-Kommission sei die Einführung von Gruppenverfahren empfohlen worden, betonte hingen Caren Lay (Die Linke). Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) warb für den Entwurf ihrer Fraktion mit dem Hinweis, dass sich derzeit viele Menschen nicht trauen würden, gegen große Unternehmen und deren Rechtsabteilungen zu klagen.
Das Vorhaben der Grünen bringe eine enorme Belastung der Justiz mit sich und schaffe zusätzliches Streitpotenzial, bemängelte Dirk Wiese. Es sei richtig, dass Verbrauchern geholfen werden müsse, ihre Rechte vor Gericht im Falle von unlauteren Geschäftspraktiken, unzulässigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder kartellbedingt überhöhten Preisen möglichst wirksam durchsetzen zu können.
Gleichzeitig müsse aber auch verhindert werden, dass die Möglichkeit von Sammelklagen missbraucht wird und spezialisierte Großkanzleien die Gruppenklage zu ihrem Hauptgeschäftsfeld machen, sagte der SPD-Abgeordnete. Seiner Ansicht nach ist die Musterfeststellungsklage aus dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz als Grundgerüst für eine entsprechende Klage geeignet. Dahingehende Regelungen würden derzeit auch im Verbraucherschutzministerium erarbeitet, sagte Wiese.
In vielen anderen europäischen Ländern gebe es bereits die Möglichkeit von Gruppenverfahren, sagte Caren Lay. „Deutschland hinkt da hinterher“, kritisierte sie. Das von ihrem Vorredner ins Spiel gebrachte Verfahren der Musterfeststellungsklage nannte die Linke-Abgeordnete „besser als gar nichts“. Es habe aber einen entscheidenden Nachteil, so Lay. Zwar habe dann ein Gericht entschieden, dass das beklagte Unternehmen rechtswidrig gehandelt hat, doch habe das keine automatischen Folgen. Jeder einzelne Geschädigte müsse trotzdem vor Gericht ziehen und seine Entschädigung individuell einklagen.
Lay sagte weiter, ihre Fraktion stimme dem auf dem Tisch liegenden Vorschlag der Grünen zu. „Vage Ankündigungen, dass von der Regierung etwas kommt, stehen heute nicht zur Abstimmung“, so die Linke-Abgeordnete.
Es gebe in der Zivilprozessordnung (ZPO) schon jetzt Möglichkeiten des kollektiven Rechtsschutzes, sagte Sebastian Steineke. In den vergangenen Jahren habe es diverse erfolgreiche Sammelklagen gegen Energieversorger, Banken und Versicherungen gegeben. Verbände könnten zudem nach dem Unterlassungsklagegesetz oder dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb bereits heute Sammelklagen erheben, so der Unionsabgeordnete. Insofern müsse man sich fragen, ob das mit dem Grünen-Entwurf einhergehende „Auf-den-Kopf-Stellen“ der ZPO verhältnismäßig sei, gab Steineke zu bedenken.
Außerdem könne gerade für mittlere und größere Unternehmen ein Auswuchs an Sammelklagen eine erhebliche und unangemessene Belastung darstellen. Problematisch sei auch die Missbrauchsanfälligkeit des Instruments, die immanent sei. Schließlich verdiene ein Anwalt mit einer von vielen unterstützten Gruppenklage mehr, was nahezu eine Aufforderung zum Rechtsstreit sei.
„Beutelschneiderei“ von Anwälten ist aus Sicht von Renate Künast nicht das Problem. Vielmehr sei es doch so, dass sich viele „kleine Individuen“ gerade bei vordergründig kleineren Beträgen nicht trauten, gegen große Unternehmen zu klagen, sagte die Grünen-Abgeordnete. Dazu habe ihr Vorredner aber ebenso kein Wort verloren wie zum Fall VW, durch den Hunderttausende verunsichert seien.
Für VW, so ihre These, wäre es am Ende sogar besser, es gäbe eine Sammelklage statt Hunderttausende Einzelklagen. Auch für Amtsgerichte wären Gruppenverfahren effizienter als viele Einzelverfahren, befand Künast. Was die Musterfeststellungsklage angeht, so kann diese ihrer Ansicht nach eine Ergänzung zum Gruppenverfahren sein, „mehr aber auch nicht“. (hau/05.11.2015)