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Eine Offensive auf 32 Feldern zur Sicherung des Fachkräftebedarfs in Deutschland hat der Bundestag am Donnerstag, 2. Juni 2016, auf den Weg gebracht. Die Maßnahmen sind aufgelistet in einem Antrag der Koalitionsfraktionen mit der Überschrift „Das Fachkräftepotenzial ausschöpfen – Zukunftschancen der deutschen Wirtschaft sichern“ (18/8614). Er wurde mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD angenommen – gegen die Stimmen von den Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen.
In der Debatte machte sich Axel Knoerig (CDU/CSU) für ein „Umdenken bei der Fachkräfte-Rekrutierung“ stark. Er hob damit einerseits auf die Digitalisierung mit ihrem „großem Wachstumspotenzial“ ab. Nicht die Technik stehe dabei im Mittelpunkt, sondern der Mensch: „Das Wissen ist der Motor für die Innovationen von morgen.“ Anderseits beschwor er „alarmierende Zahlen“ infolge des demografischen Wandels – womöglich bis 2035 pro Jahr eine halbe Million Arbeitnehmer weniger.
Knoerig ging speziell auf eine „lebensphasenorientierte Personalpolitik“ ein. Um Fachkräfte an den Betrieb zu binden, müsse auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmer eingegangen werden – Karriere, aber auch Elternzeit oder Ehrenamt oder Pflege von Angehörigen. Schließlich gelte für die Betriebe: „Der wirtschaftliche Erfolg baut immer mehr auf Mitarbeitern auf.“
Sabine Zimmermann (Die Linke) erklärte, für einen solchen „Schaufensterantrag“ stehe ihre Fraktion „nicht zur Verfügung“. Viele der angesprochenen Maßnahmen könne Die Linke durchaus unterstützen. Indes werde die Vorgabe gemacht, alle Vorstöße müssten im Rahmen der vorhandenen Haushaltsmittel unternommen werden. Damit seien alle „Träume“ dann schnell ausgeträumt.
Zimmermann hielt der Koalition vor, sie wolle nur die Firmen vor dem freien Markt schützen. Doch dass bei einem Fachkräftemangel der Preis für Arbeitnehmer steige, sei „gut so“. Den Pflegesektor als einen Bereich mit Personalengpass griff sie besonders heraus. Sie prangerte die schlechte Entlohnung an: „Der Pflegenotstand ist hausgemacht.“ Beim Blick auf technische Berufe wies sie darauf hin, dass nur noch 20 Prozent aller Betriebe ausbildeten. Sie setzte sich für eine Ausbildungsplatzumlage ein.
Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD) rühmte das „wunderbare System der Fachkräfte-Ausbildung“ in Deutschland. Doch auch was gut sei, müsse ständig angepasst werden. Er stellte fest, dass es hierzulande 2,8 Millionen Studierende gebe – Tendenz steigend. Aber nur 1,4 Millionen junge Leute machten eine Ausbildung – stetig sinkende Zahl. Freilich müsse bedacht werden: „Ohne die Basis von Facharbeit würden wir als Industrieland an Bedeutung verlieren.“ Schabedoth kritisierte zudem, dass Frauen noch immer schlechter bezahlt würden als Männer. Das habe etwa „Männerbündisches“.
Zudem dürfe es nicht sein, dass „der Dienst am Menschen schlechter bezahlt wird als der Dienst am Auto“. Er forderte ein „kluges Einwanderungsmanagement“. Viele Industrieländer sprächen „Einladungen an die Besten“ aus. Lebenslanges Lernen sei unverzichtbar: „Es ist eine Lüge, dass Hans nicht mehr lernen könnte, was Hänschen nicht gelernt hat.“
Dieter Janecek (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte nicht die 32 Maßnahmen. Doch die „Grundlinien“ der Koalitionspolitik sähen anders aus. Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt? Erst nächstes Jahr werde sich entscheiden, ob überhaupt ein Einwanderungsgesetz komme. Frauenförderung? Das Betreuungsgeld halte Frauen von einer Job-Aufnahme ab. Flexibel länger arbeiten? Dazu passe nicht die von der Koalition durchgesetzte Rente mit 63.
Janecek lenkte den Blick auf die nötigen Rahmenbedingungen, um einem Fachkräfteengpass in Regionen wie dem Osten Deutschlands zu begegnen. So müsse die Bezahlung stimmen. Er hielt die Ansicht für „überhöht“, dass mit der Flüchtlingsintegration „per se eine wirtschaftliche Chance“ verbunden sei. Schließlich seien die Flüchtlinge nicht aus wirtschaftlichen Gründen gekommen. Es sei eine andere Kultur nötig als die, die sich „in der Beschimpfung von Nationalspielern“ äußere.
CDU/CSU und SPD halten es, wie es in ihrem Antrag heißt, unter anderem für erforderlich, „Anreize für eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen zu schaffen“. Das gelte insbesondere für die naturwissenschaftlich-technischen Bereiche („MINT-Berufe“), in denen insgesamt mehr Menschen gebraucht würden. Ein Engpass an Fachkräften sei zudem absehbar in den Feldern soziale Arbeit, Gesundheit und frühkindliche Erziehung. Auf die Chancen in diesen „SAGE-Berufen“ sollten gerade junge Menschen frühzeitig hingewiesen werden. Anerkannten Asylbewerbern und Flüchtlingen mit guter Bleibeperspektive solle ein schnellerer Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ermöglicht werden.
Zwar sei „aktuell noch kein flächendeckender Fachkräftemangel in Deutschland festzustellen“, stellen die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag fest. Doch bereits jetzt hätten insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen Schwierigkeiten, ihren Bedarf vor allem an Fachkräften mit abgeschlossener Berufsausbildung zu decken. Laut einer Studie gebe es die größten Engpässe in den Berufsfeldern „Gesundheit, Soziales, Bildung“, „Energie, Elektro und Mechatronik“ sowie „Bau- und Gebäudetechnik“. (fla/02.06.2016)