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Der öffentliche Meinungsstreit über das zwischen der Europäischen Union und Kanada geplante Freihandelsabkommen Ceta (Comprehensive Economic and Trade Agreement) hat sich bei einer Expertenanhörung des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Energie unter der Leitung von Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU) am Montag, 5. September 2016, widergespiegelt. Bei der Bewertung verfassungs- und europarechtlicher Fragen setzte Deutschlands juristischer Sachverstand unterschiedliche Akzente.
Laut Prof. Christian Tietje, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, "spricht viel dafür, dass die EU ausschließliche Kompetenz hat". Auch Prof. Dr. Christoph Herrmann, Universität Passau, vertrat die Auffassung, die EU könne Ceta auch allein abschließen. Die Einstufung als gemischtes Abkommen mit Zuständigkeiten der EU einerseits und der einzelnen Mitgliedstaaten andererseits sei "rechtlich nicht zwingend geboten". Gilt es als gemischtes Abkommen, sei die vorläufige Anwendung "praktisch bedeutsam".
Prof. Dr. Steffen Hindelang, Freie Universität Berlin, wies darauf hin, Ceta sehe "explizit die Möglichkeit zur vorläufigen Anwendung vor".
Prof. Dr. Franz Mayer, Universität Bielefeld, beschied: "Ohne Zustimmung des Bundestages keine deutsche Ratifikation." Es sei klar, dass Ceta als gemischter Vertrag behandelt werde. Prof. Christoph Möllers, Humboldt-Universität Berlin, befand, der einen kanadischen Seite stünden EU und Mitgliedstaaten als Vertragspartner gegenüber. Für den mitgliedstaatlichen Teil könne die Zustimmung des Bundestages erforderlich sein.
Prof. Dr. Wolfgang Weiß, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer, machte "europa- und verfassungsrechtliche Bedenken" gegen die vorläufige Ceta-Anwendung geltend. So führten die Regelungen über die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zu dauerhaften Konsequenzen, selbst wenn Ceta endgültig scheitere. Ohne Mitwirkung des Bundestages sei eine vorläufige Anwendung überdies "unzulässig".
Dr. Till Patrik Holterhus vom Institut für Völkerrecht und Europarecht der Georg-August-Universität Göttingen sah ein "Zustimmungserfordernis des Bundestages" bei mitgliedstaatlichen Bereichen.
Zum Auftakt der Anhörungsrunde über inhaltliche Aspekte des Ceta-Vertrages zollte Dr. Sabine Weyand, Europäische Kommission, dem Abkommen ein dickes Lob: "Das Gesamtpaket stellt ein ausgezeichnetes Ergebnis von erheblichem wirtschaftlichem Wert für europäische Unternehmen, Verbraucher und Haushalte dar." Sie unterstrich: Die EU gehe "keinerlei Verpflichtungen ein, die öffentliche Dienstleistungen betreffen".
"Insgesamt positiv" bewerte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) das Abkommen und setzte sich für eine schnelle Ratifizierung und Inkraftsetzung ein, erklärte Markus Kerber. Indes: "Im Bereich der regulatorischen Zusammenarbeit muss das Abkommen erst noch mit Leben erfüllt werden." Volker Treier vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) meinte, Ceta könne "ein Wegbereiter für moderne Freihandelsabkommen" sei. Wobei auch für den DIHK feststehe, "dass europäische Schutzniveaus erhalten bleiben müssen".
Stefan Körzell versicherte namens des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), der DGB lehne Freihandel nicht ab. Er rief die "ablehnende Position" von Ende 2014 in Erinnerung. Zwar habe es in der Zwischenzeit Verbesserungen gegeben. Doch insgesamt entspreche der Text "noch nicht den gewerkschaftlichen Anforderungen an ein zustimmungsfähiges Abkommen".
Ähnlich äußerte sich Hubert Weiger vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND). So werde ausländischen Firmen weiterhin eine Paralleljustiz gewährt. Auch sieht er den Weg für die Gentechnik in der EU geebnet und die öffentliche Daseinsvorsorge gefährdet. Jürgen Maier, Forum Umwelt & Entwicklung, plädierte für die Ablehnung von Ceta: "Die Gestaltung der Globalisierung könne nicht so aussehen, dass man "im Wesentlichen so weit wie möglich alle Märkte öffnet", alle Regulierungsmöglichkeiten im öffentlichen Interesse unter den Vorhalt von Handelshemmnissen stelle und eine "Paralleljustiz und damit Klagerechte exklusiv für ausländische Investoren" einführe.
Prof. Dr. Peter-Tobias Stoll vom Institut für Völkerrecht und Europarecht der Georg-August-Universität Göttingen kritisierte, mit dem vorgesehenen Investitionsschutz würden "ohne Not" wesentliche Grundsätze der europäischen und deutschen Rechts- und Wettbewerbsordnung infrage gestellt.
Der Deutsche Städtetag appelliere, so Detlef Raphael, an die Bundesregierung, "im EU-Ministerrat einer vorläufigen Anwendung aller Regelungen in Bezug auf die öffentliche Daseinsvorsorge und zum Investitionsschutz auf keinen Fall zuzustimmen". Diese fielen in die nationale Zuständigkeit.
Die Anhörung fußte auf den EU-Ratsdokumenten 10970/16, 10968/16 und 10696/16. Zudem ging es um Anträge aus dem Bundestag: Die Linke fordert, die vorläufige Anwendung des Ceta-Abkommens zu verweigern (18/8391) und Bundestag und Bundesrat an der Abstimmung über Ceta zu beteiligen (18/9030). Bündnis 90/Die Grünen wollen, dass dem Ceta-Abkommen so nicht zugestimmt (18/6201) und der Bundestag im Vorfeld der Genehmigung der vorläufigen Ceta-Anwendung beteiligt wird (18/9038). (fla/05.09.2016)
1. Teil: Verfassungs- und europarechtliche Fragestellungen:
2. Teil: Inhaltliche Aspekte des Ceta-Vertrages: