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Vor dem 1. Untersuchungsausschuss ("NSA") unter Vorsitz von Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) hat ein weiterer Beamter der Bundesregierung bestritten, von einer Nutzung des US-Luftwaffenstützpunkts Ramstein im Drohnenkrieg der Vereinigten Staaten Kenntnis zu haben. "Die Hypothesen sind im Raum", sagte Ministerialrat Stefan Sohm bei seiner Vernehmung am Donnerstag, 18. Februar 2016. "Abschließende Erkenntnisse habe ich dazu nicht, inwieweit sich dort eine Relaisstation befindet, und inwieweit die genutzt wird." Der 52-jährige Jurist leitet seit Januar 2013 im Bundesverteidigungsministerium das Referat für Völkerrecht und die rechtlichen Grundlagen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr.
Am 15. Oktober vorigen Jahres hatte der ehemalige US-Drohnenpilot Brandon Bryant dem Ausschuss berichtet, dass Ramstein unentbehrlich sei als Relaisstation für die Übermittlung von Daten aus den USA an unbemannte bewaffnete Flugkörper, die über Afrika und dem Mittleren Osten operieren. An jedem seiner Einsatztage habe er bei Dienstantritt zuerst in Ramstein angerufen, sagte Bryant. Auch das Verwaltungsgericht in Köln, das im Mai 2015 über eine Klage von Angehörigen zweier jemenitischer Drohnenopfer gegen die Bundesrepublik verhandelte, hatte die Angaben über eine Relaisstation in Ramstein als wahr unterstellt. "Ich persönlich kann es nicht bestätigen, genauso wenig ausschließen", sagte dagegen Sohm.
Er fügte hinzu, selbst wenn es die Relaisstation in Ramstein gäbe, wäre dies nicht zwangsläufig ein völkerrechtswidriger Tatbestand. Es seien durchaus Situationen vorstellbar, in denen eine tödliche Drohnenattacke etwa in einem bewaffneten Konflikt mit dem Völkerrecht völlig konform sein könne. Umgekehrt gelte: "Es gibt bei fast jedem Waffensystem Einsatzmöglichkeiten, die es völkerrechtswidrig machen."
Auch in dem Verfahren vor dem Kölner Verwaltungsgericht, in dem Sohm an der Abfassung des Schriftsatzes der Bundesregierung mitgewirkt hatte, sei es keineswegs um die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Drohnenangriffs vom 29. August 2012 im Osten des Jemen gegangen. Die drei Kläger, die dabei einen Cousin und einen Neffen verloren hatten, hatten keine Entschädigung erwirken, sondern mit Unterstützung internationaler Menschenrechtsorganisationen die Bundesregierung verpflichten wollen, den Betrieb der Relaisstation in Ramstein zu unterbinden.
Das Gericht habe zu entscheiden gehabt, ob jemenitische Staatsbürger einen solchen Anspruch gegen die Bundesrepublik geltend machen könnten. Es sei der Rechtsauffassung der Regierung gefolgt und habe die Klage als unbegründet verworfen. Die Revision ist vor dem Oberverwaltungsgericht Münster anhängig.
Gewiss sei die Bundesregierung dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verpflichtet. Doch auch dies könne kein zwingender Grund sein, dem Begehren der jemenitischen Kläger gemäß tätig zu werden. Die Rechtsprechung billige der Regierung einen großen Gestaltungsfreiraum in der Wahrnehmung ihrer grundrechtlichen Schutzpflicht zu, weil andernfalls ihre außenpolitischen Handlungsmöglichkeiten unzulässig eingeschränkt würden. Zu einem von der jemenitischen Regierung gebilligten US-Drohneneinsatz gegen jemenitische Bürger sei die Bundesregierung "in jedem Fall der falsche Ansprechpartner".
Sohm machte deutlich, dass die deutsche Seite ohnehin wenig in der Hand hätte, wollte sie tatsächlich gegen eine mutmaßliche Nutzung des Stützpunkts Ramstein im Drohnenkrieg einschreiten. Dieses Thema wäre nicht mit rechtlichen, sondern allenfalls mit diplomatisch-politischen Mitteln zu behandeln.
Zuvor hatte die Zeugin Doreen Delmdahl berichtet, die Spionagesoftware XKeyscore werde beim Bundesamt für Verfasssungsschutz (BfV) in einer abgespeckten Variante genutzt, derzeit allerdings immer noch auf Probe. Sie sei für die Bedürfnisse ihrer Behörde auch nicht uneingeschränkt geeignet, sagte die 39-jährige Juristin.
Sie ist seit 2008 beim Verfassungsschutz tätig, zunächst einige Monate in der Abteilung Islamismus, seither als G10-Sachverständige bei der Auswertung der Ergebnisse von Abhörmaßnahmen. Seit Anfang 2010 leitet sie in der Berliner Niederlassung das Referat 3G/6.
Entwickelt wurde XKeyscore von der amerikanischen National Security Agency (NSA). Das System ist in der Lage, Kommunikationsdaten massenhaft zu erfassen und in großer Geschwindigkeit zu sortieren, zu analysieren und zu verknüpfen. Auf diese Weise lassen sich von Zielpersonen exakte Profile gewinnen. Der Bundesnachrichtendienst (BND) nutzt XKeyscore seit 2007 in der Abhöranlage in Bad Aibling. Nach einer Vorführung des Systems 2011 interessierte sich auch der Verfassungsschutz dafür. Zur Leiterin einer Arbeitsgruppe, die die Installierung von XKeyscore betreuen sollte, wurde im Herbst 2012 die Zeugin Delmdahl berufen.
Ihre Qualifikation, meinte sie, habe sich aus ihrer Tätigkeit als G10-Juristin ergeben, die bei Abhörmaßnahmen die Wahrung der Rechte vom Fernmeldegeheimnis geschützter und keiner Straftat verdächtiger deutscher Staatsbürger zu überwachen hat. Aus Presseveröffentlichungen im vergangenen Jahr war hervorgegangen, dass der Verfassungsschutz sich im Gegenzug für die Überlassung von XKeyscore verpflichtet hatte, der NSA "in größtmöglichem Umfang" eigene Erkenntnisse mitzuteilen.
Der Inhalt der Vereinbarung, der sogenannten "Terms of Reference" (ToR), sei ihr bekannt, erklärte die Zeugin. Sie wolle die Darstellung der Medien in öffentlicher Vernehmung aber weder bestätigen noch dementieren. In jedem Fall halte sich der Verfassungsschutz beim Datenaustausch mit auswärtigen Diensten strikt an die Vorgaben des deutschen Rechts. Er habe weder Zugriff auf Datenbanken der NSA noch sei dies umgekehrt der Fall.
Aus den Worten der Zeugin konnte sich der Eindruck ergeben, dass sich der Verfassungsschutz nicht sicher ist, was er sich mit XKeyscore eingehandelt hat. Zwar wurde aus der 2012 gebildeten Arbeitsgruppe 2014 ein Aufbaustab, der sich im April 2015 zur Referatsgruppe 3A verfestigte. Doch noch immer läuft XKeyscore nur im Probebetrieb. Das bedeutet, dass das System zwar bereits echte Daten bearbeitet, aber lediglich in begrenzter Anzahl.
Bisher stehen der Abschluss der Sicherheitsprüfung und eine Unbedenklichkeitserklärung des Bundesamtes für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) noch aus: "Wir kennen den Quellcode nicht. Wir wissen nicht, wie es arbeitet. Wir haben es geschenkt bekommen, aber das heißt nicht... Wir müssen sicher sein, dass wirklich nichts nach außen gelangt", sagte Delmdahl.
Der Verfassungsschutz nutzt nur die Analyse-, nicht die Erfassungsfunktion des Systems. Dafür gebe es keinen Bedarf, weil die Behörde über eine eigene Abhöranlage mit dem Namen "Perseus" in der Kölner Zentrale verfügt, sagte Delmdahl. Nach ihren Worten ist XKeyscore auf einem Rechner in Berlin installiert, der keine Verbindung nach außen hat. Dort werden Kopien der in Köln erfassten Daten eingespeist und nach Analyse gelöscht. Da es dem Verfassungsschutz weniger um die Filterung großer Datenmassen als um Kommunikationsinhalte im Einzelfall gehe, sei das System auf seine Bedürfnisse nicht ohne weiteres zugeschnitten. (wid/19.02.2016)