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In Deutschland ansässige Technologiefirmen ermöglichen nach den Worten eines IT-Experten aus den USA autoritären Regimen weltweit die Bespitzelung und Überwachung ihrer Bürger. "Deutschland ist nicht unschuldig, auch an Ihren Händen klebt Blut", sagte der Informatiker Christopher Soghoian am Donnerstag, 8. September 2016, in einer öffentlichen Anhörung vor dem 1. Untersuchungsausschuss (NSA) unter Vorsitz von Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU).
Der heute 35-jährige gebürtige Kalifornier ist als "Cheftechniker" bei der American Civil Liberties Union (ACLU) tätig, der größten und zweitältesten Bürgerrechtsorganisation in den Vereinigten Staaten. Er gilt als Experte für Angriffe auf das Internet durch Behörden und als Kritiker von Softwarefirmen, die dem Staat die dafür erforderlichen Mittel an die Hand geben. In Deutschland hätten Unternehmen ihren Sitz, die "einige der repressivsten Staaten der Welt" mit Spionagesoftware belieferten, sagte Soghoian. Als Beispiel nannte er die britisch-deutsche Gamma Group. Dem Ausschuss empfahl er, sich bei Gelegenheit die Kundenlisten dieser Firmen anzuschauen.
Zum Verhältnis zwischen Telekommunikationsanbietern und Geheimdiensten in den USA sagte Soghoian, dieses sei seit jeher außerordentlich eng: "Die Telekomfirmen nehmen die Bedürfnisse der Nachrichtendienste sehr ernst und sind ihnen gewogen." Das habe zum Teil historische Gründe aus Zeiten, in denen Telefongesellschaften ein "Arm der Regierung" gewesen seien. Es habe aber auch mit der starken Regulierung zu tun, der die Anbieter in den Vereinigten Staaten unterlägen.
Die zuständige Bundesbehörde, die Federal Communications Commission (FCC), die jedes neue Kabel zu genehmigen habe, nutze diese Befugnis, um die Unternehmen auf maximales Entgegenkommen gegenüber Ausspähwünschen der Dienste festzulegen: "Die FCC kann sie geschäftlich fördern oder ruinieren."
Anders liege der Fall von Internet-Unternehmen wie Google, Facebook oder Microsoft. Diese legten dem libertären Geist des Silicon Valley gemäß im Prinzip Wert auf Staatsferne. Ihnen sei aber das Treiben der Geheimdienste im Internet lange Jahre gleichgültig gewesen. Sie hätten lediglich selbst emsig die Daten ihrer Kunden gesammelt. Sie hätten wohl auch die Kosten der Investition in verlässliche Verschlüsselungstechniken gescheut.
Dies habe sich erst 2013 nach den Enthüllungen des Geheimdienstkritikers Edward Snowden über die Schnüffelaktivitäten der National Security Agency (NSA) schlagartig geändert: "Egal, was die Sicherheitsleute von Google jetzt wollen, die bekommen alles."
Für Soghoian liegt die Antwort auf rechtsstaatlich bedenklichen Überwachungseifer von Geheimdiensten nicht so sehr in neuen und schärferen Gesetzen wie in der Entwicklung effizienter und wasserdichter Verschlüsselungssoftware. "Die Regulatoren müssen mutig vorgehen und Cybersicherheit über die Bedürfnisse der eigenen Sicherheitsbehörden stellen", forderte er vor dem Ausschuss.
Soghoian räumte ein, dass daraus ein Dilemma erwachsen könne, wenn Terroristen sich mit Methoden der Kryptografie dem Zugriff der Ermittler entzögen: "Die Politik muss eine Entscheidung treffen, wovor man mehr Angst hat und was man stärker schützen möchte. Wollen wir eine Gesellschaft, in der keine Kommunikation vor der Polizei sicher ist, oder eine Gesellschaft, in der keine Kommunikation überwacht wird?"
Es gebe im Übrigen keine Verschlüsselungstechnik, die nicht mit einigem Aufwand doch zu knacken sei. Nur stiegen dann die Kosten, was die Behörden dazu anhalten werde, auf anlasslose Massenüberwachung zu verzichten und sich auf die wirklichen Verdachtsfälle zu konzentrieren.
Die Snowden-Affäre hat in den Vereinigten Staaten nicht nur eine breite Debatte über den Schutz der Privatsphäre ausgelöst, sondern auch die umfassendste Reform der Geheimdienste seit vielen Jahrzehnten, wie Vertreter von Bürgerrechtsorganisationen und Wissenschaftler in der Sitzung berichteten. Hervorzuheben sei insbesondere, dass erstmals eine US-Regierung ihre Geheimdienste auf den Schutz der Privatsphäre auch der Bürger von Drittländern verpflichtet habe.
Zugleich äußerten die fünf Experten aus den USA mehrheitlich die Ansicht, dass die bisherigen Reformen zwar in die richtige Richtung gingen, aber für eine wirksame Garantie der Bürgerrechte bei Weitem nicht ausreichten.
Mit seinen Enthüllungen über die Schnüffelpraktiken der National Security Agency (NSA) habe Edward Snowden 2013 den Anstoß zur größten Reform der Nachrichtendienste seit den siebziger Jahren gegeben, sagte Timothy Edgar, seit 2012 Juraprofessor an der renommierten Brown University im Bundesstaat Rhode Island.
Er war als junger Anwalt für die American Civil Liberties Union (ACLU) tätig gewesen, bevor er 2006 als Beauftragter für Bürgerrechte ins Büro des Geheimdienstkoordinators des US-Präsidenten wechselte. Die Tätigkeit im Weißen Haus habe ihm erst die Augen geöffnet, sagte Edgar. Er sei "schockiert" gewesen über das tatsächliche Ausmaß der Massenüberwachung durch die NSA. Ein Hauptproblem sei gewesen, dass die damaligen gesetzlichen Vorgaben den Bedingungen des digitalen Zeitalters nicht mehr entsprochen hätten.
Erst Snowden habe dann die "offene Debatte" ausgelöst, "die wir immer wollten", sagte Edgar. Dabei sei es das Verdienst von Präsident Barack Obama gewesen, dass er nicht versucht habe, die Affäre auszusitzen, sondern sich für Transparenz entschieden und "Zehntausende Seiten" geheimer Dokumente freigegeben habe. Im Januar 2014 erließ Obama eine Richtlinie, in der unter anderem die Geheimdienste erstmals verpflichtet wurden, die Privatsphäre von Ausländern in Drittstaaten in gleichem Maße zu achten wie die von US-Bürgern im eigenen Land.
Als "gute Reform" und Schritt in die richtige Richtung würdigte auch Ashley Gorski, Anwältin bei der ACLU, den Obama-Erlass. Er gehe aber "nicht annähernd weit genug". Unzureichend sei nach wie vor auch der Rechtsschutz gegen Geheimdienstübergriffe für Bürger der USA. So müsse ein Kläger nachweisen, dass er persönlich bespitzelt werde, bevor er vor Gericht ziehen könne. Durch die Snowden-Enthüllungen sei der Öffentlichkeit bewusst geworden, dass Massenüberwachung nicht nur möglich sei, sondern auch praktiziert werde.
Der Politikwissenschaftler und frühere Regierungsberater Morton Halperin plädierte für einen Dialog und einen Pakt aller demokratischen Staaten, um die Aktivitäten von Geheimdiensten weltweit zu regulieren. Es müsse sichergestellt werde, dass niemand anlasslos überwacht werde und jedem von Geheimdienstmaßnahmen Betroffenen der Rechtsweg offenstehe.
Der Informatiker Chris Soghoian nannte die Snowden-Affäre einen "Weckruf für die Informationsgesellschaft". Der Skandal sei nicht, dass die NSA elektronische Kommunikationswege überwache, sondern, dass diese Wege noch immer so unzureichend gesichert seien. Die Verbreitung von Verschlüsselungstechniken dürfe auch nicht durch Einwände von Sicherheitsbehörden behindert werden.
Dass zahlreiche Regierungen versuchten, die Entwicklung von Verschlüsselungstechniken einzuschränken, beklagte auch die Netzaktivistin Amie Stepanovich von der Organisation Access Now. (wid/09.09.2016)