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Im Bundesnachrichtendienst (BND) ist die politische Diskussion um die Grenzen des Zulässigen in der Fernmeldeüberwachung als schmerzliche Einschränkung der eigenen Tätigkeit empfunden worden. Dies machte am Donnerstag, 29. September 2016, ein Sachgebietsleiter der Abteilung Technische Aufklärung (TA) vor dem 1. Untersuchungsausschuss (NSA) unter Vorsitz von Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) deutlich. "Im Moment ist es schwieriger, Selektoren einzustellen, weil sie mehrere Prüfschritte durchlaufen", sagte der Zeuge B.R. Der heute 55-jährige Oberstleutnant war nach 18 Jahren bei der Bundeswehr 1998 zum BND gewechselt, wo er seit 2008 in seiner derzeitigen Funktion tätig ist. In den vergangenen Jahren zählte der Schutz deutscher Soldaten in Afghanistan vor Terroranschlägen zu seinen Hauptaufgaben.
Als im Herbst 2013 beim BND die Entscheidung fiel, alle Suchmerkmale zu deaktivieren, die zur Ausspähung von EU- und Nato-Partnern geeignet waren, habe er die Auswirkungen in seinem Zuständigkeitsbereich unmittelbar gespürt, berichtete der Zeuge. Etliche Selektoren, mit denen er bislang gearbeitet habe, seien plötzlich nicht mehr verfügbar gewesen.
Er habe negative Folgen für die Informationsgewinnung befürchtet: "Mal schauen, was jetzt weniger kommt", sei sein erster Gedanke gewesen. Er habe sich dann mit seinen Mitarbeitern zusammengesetzt, um zu überlegen: "Wie kann man das auffangen?" Allerdings sei er bald zu dem Schluss gekommen, dass das "im Grunde nicht" möglich sei.
Überraschend habe ihn die Entscheidung dennoch nicht getroffen, betonte der Zeuge, denn er sei damals bereits seit einem halben Jahr an Überlegungen beteiligt gewesen, die bisherige Praxis der Fernmeldeaufklärung und des Einsatzes von Selektoren auf eine neue, rechtlich sichere Grundlage zu stellen: "Ich wusste, wo die Fahrt hinging."
Der Anstoß dazu war "im zweiten Quartal 2013" von seinem damaligen Unterabteilungsleiter D.B. ausgegangen, der ihn und drei weitere Mitarbeiter beauftragt habe, Ideen für einen entsprechenden Weisungsentwurf zu entwickeln. Das Ziel sei gewesen, dem einzelnen Sachbearbeiter, der jeweils vor der Entscheidung stand, ob ein bestimmtes Suchmerkmal aus rechtlichen oder politischen Gründen womöglich fragwürdig war, "in einfacher Form" eine Anleitung an die Hand zu geben, aus der hervorgehen sollte, "was er darf und was nicht".
Der Zeuge machte deutlich, dass die bis dahin geübte Praxis aus seiner Sicht keineswegs rechtlich unzulässig gewesen sei. Der Kurswechsel beim BND im Herbst 2013 sei auf eine "politische Änderung" zurückzuführen gewesen. Diese habe sich aus den damaligen Äußerungen der Kanzlerin zum vertrauensvollen Umgang unter Partnerstaaten ergeben.
Bei ihrer Sommerpressekonferenz am 19. Juli 2013 hatte Angela Merkel zum Thema Fernmeldeüberwachung erklärt, "dass man das unter Freunden nicht macht. Das geht nicht." Am 23. Oktober 2013 sprach sie die seither geflügelten Worte: "Abhören unter Freunden, das geht gar nicht."
Er habe diese Äußerungen als Bestätigung der in seiner Abteilung bereits seit dem Frühjahr 2013 angestellten Überlegungen empfunden, sagte der Zeuge. "Wir haben geguckt, ob unsere Fahrt in die richtige Richtung geht. Sie ging in die richtige Richtung." Bereits im August 2013 habe er deswegen etwa 700 fragwürdige BND-Selektoren abgeschaltet. Der gesamte übrige als politisch unerwünscht identifizierte Bestand, insgesamt 15.000 BND-eigene Selektoren zu 3.300 Zielen, sei Anfang November automatisch deaktiviert und in einer gegen fremde Zugriffe abgeschirmten "Gruppenliste" untergebracht worden.
Mit ihrer Bemerkung, befreundete Staaten sollten einander nicht bespitzeln, hatte Kanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) den BND in erhebliche Verlegenheit gestürzt. Dies berichtete der seinerzeit zuständige Unterabteilungsleiter D.B. im Ausschuss.
Erst aus Anlass dieser Äußerung Merkels habe der damalige BND-Präsident Gerhard Schindler erfahren, dass auch die eigene Behörde in ihrer Fernmeldeaufklärung Selektoren "steuerte", die zur Ausspähung von Regierungsstellen und anderen Zielen in EU- und Nato-Ländern geeignet waren, sagte der Zeuge D.B. Der heute 56-Jährige war von Juli 2011 bis Oktober 2014 als Unterabteilungsleiter zuständig für Nachrichtenbearbeitung in der Abteilung Technische Aufklärung (TA).
"Abhören unter Freunden, das geht gar nicht", hatte Merkel am 23. Oktober 2013 erklärt, nachdem bekannt geworden war, dass die amerikanische National Security Agency (NSA) ihr Mobiltelefon belauscht hatte. Seine erste Reaktion darauf sei gewesen, berichtete der Zeuge, dass er sich die Frage gestellt habe: "Wie wirkt sich das konkret auf unsere Steuerung aus?" Die Äußerung Merkels habe im BND einigen Wellenschlag erzeugt: "Es gab dazu Gespräche."
Präsident Schindler habe sich mit der Abteilung TA in Verbindung gesetzt und sich sowohl schriftlich als auch mündlich über die Verwendung der Selektoren unterrichten lassen. Er habe anschließend persönlich das Kanzleramt informiert und von dort die strikte Weisung mitgebracht, die Ausspähung von EU- und Nato-Partnern umgehend zu beenden.
Er selber habe am 28. Oktober 2013 im Beisein eines zuständigen Referatsleiters den entsprechenden Anruf Schindlers entgegengenommen, berichtete der Zeuge. Er habe in den folgenden Wochen überdies Gelegenheit gehabt, die Vorgänge im Kanzleramt persönlich zu erläutern. Er sei zwei Jahre später auch Ansprechpartner der "Task Force" gewesen, der Ermittlergruppe, die das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) eingesetzt hatte, nachdem die Information über die Verwendung politisch fragwürdiger Selektoren durch den BND auch dort angekommen war.
Der Zeuge betonte allerdings, er selbst habe bereits im Frühjahr 2013, also vor Beginn der Snowden-Affäre, die bisherige Praxis, auch Verbündete ins Visier zu nehmen, kritisch hinterfragt. Bis dahin habe es für die Prüfung der Zulässigkeit eines Suchmerkmals in der Fernmeldeaufklärung nur zwei Kriterien gegeben. Das eine sei die Frage gewesen, ob ein Selektor ins Auftragsprofil des BND passte. Das andere, ob deutsche "Grundrechtsträger" betroffen waren. Bürger oder Institutionen anderer, auch verbündeter, Länder seien nicht relevant gewesen.
Im Frühjahr 2013 habe er in einer der wöchentlichen Referatsleiterbesprechungen erstmals die Frage aufgeworfen, ob es nicht einer eigenen Weisung bedürfe, um mehr Rechtssicherheit zu gewinnen, sagte der Zeuge. Einen "konkreten Anlass", ein "besonderes Ereignis", wodurch das Thema zwingend auf die Tagesordnung gekommen wäre, habe es nicht gegeben. Die Teilnehmer der Besprechung seien sich einig gewesen, dass möglicherweise ein Regelungsbedarf, aber "kein unmittelbarer Handlungsbedarf" vorliege. Sie hätten deshalb die Amtsspitze auch nicht eingeweiht.
Er selber habe dann bis September in mehreren Varianten einen Weisungsentwurf entwickelt und im August einige der problematischen BND-Selektoren auch schon abschalten lassen. Die Weisung des Präsidenten habe seine Vorarbeiten aber überholt, sagte der Zeuge. (wid/30.09.2016)