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Die CDU-Abgeordnete Elisabeth Schwarzhaupt berichtet im Plenum über die Beratungen im Rechtsausschuss; rechts oben Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier © dpa-Bildarchiv
Vor 60 Jahren, am Dienstag, 6. März 1956, hat der Deutsche Bundestag die Wehrverfassung und das Soldatengesetz verabschiedet. Mit dem zweiten Wehrergänzungsgesetz des Grundgesetzes legten die Abgeordneten den Grundstein zu einer Bundeswehr mit allgemeiner Wehrpflicht. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte es zunächst nicht so ausgesehen als würde es jemals wieder deutsche Streitkräfte geben. Auf der Potsdamer Konferenz von 1945 hatten die Alliierten die komplette Demilitarisierung Deutschlands beschlossen. Auch das Grundgesetz enthielt, als es im Mai 1949 in Kraft trat, keine Regelungen über die Aufstellung deutscher Streitkräfte. Für die neugegründete Bundesrepublik waren keine eigenen Streitkräfte vorgesehen.
Auch der erste Deutsche Bundestag hatte sich in seiner ersten außenpolitischen Debatte im November 1949 noch gegen eine nationale Wiederbewaffnung ausgesprochen. Angesichts des sich verstärkenden Ost-West-Konflikts mehrten sich, trotz heftiger Proteste von Opposition und Öffentlichkeit, in der von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) geführten Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP bald die Stimmen für eine deutsche Wiederbewaffnung und einen europäischen Verteidigungsbeitrag.
Mit der Ratifizierung der Pariser Verträge am 27. Februar 1955 hatte das Parlament schließlich die Voraussetzungen dafür geschaffen. Nach einer über mehrere Jahre politisch und gesellschaftlich äußerst kontrovers geführten Debatte um die Frage der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland hatte sich die schwarz-gelbe Regierungskoalition mit mehr als zwei Drittel der Stimmen des Bundestages gegen die Stimmen der Opposition durchgesetzt.
Die von den westlichen Verbündeten und der Bundesrepublik Deutschland unter Bundeskanzler Adenauer am 23. Oktober 1954 unterzeichneten Verträge schufen die Voraussetzungen für den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Westeuropäischen Union (WEU) und zur Nato (North Atlantic Treaty Organization) und ebneten damit den Weg zur Aufstellung eigener Streitkräfte.
Trotz der Proteste der Sozialdemokraten und außerparlamentarischer Gruppen gegen die Wiederbewaffnung trat die Bundesrepublik vier Tage nach dem Inkrafttreten der Verträge am 9. Mai 1955 der Nato bei. Am 7. Juni 1955 wurde das Bundesverteidigungsministerium gegründet. Der CDU-Abgeordnete Theodor Blank wurde erster Bundesverteidigungsminister. Gut zwei Wochen später verabschiedete der Bundestag das so genannte Freiwilligengesetz. Es gestattete die Rekrutierung von 6.000 Freiwilligen für die neuen Streitkräfte. Am 12. November 1955 bekamen die ersten 101 Freiwilligen ihre Ernennungsurkunden ausgehändigt.
Nach den jahrelangen Kontroversen in der Frage der Wiederbewaffnung ging es in der Debatte zu den dadurch notwendig gewordenen Verfassungsänderungen (2/124, 2/125, 2/171, 2/2150) und dem Soldatengesetz (2/1700, 2/2140), das die Rechte und Pflichten des Soldaten im Sinne des „Bürgers in Uniform“ regeln soll, eher sachlich zu. In zahlreichen Ausschusssitzungen hatten sich Opposition und Koalition um einen möglichst breiten Konsens für die Ergänzungen des Grundgesetzes bemüht.
In der dritten Lesung könne es deshalb auch nur noch darum gehen, die Grundsätze aufzuzeigen, erklärte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, der CSU-Abgeordnete Dr. Richard Jaeger. Angesichts der großen Bedeutung der Frage, die heute zu entscheiden sei und die nach der Entscheidung über die außenpolitischen Verträge wohl die wichtigste sei, über die der Bundestag bisher zu entscheiden hatte, sei es auch nicht mehr angebracht, auf Einzelheiten einzugehen. Diese seien längst diskutiert. Für seine Fraktion betonte er, dass die Fraktion der Christlich-Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union, auch wenn sie im einzelnen Bedenken haben möge, im Ganzen aus Überzeugung zustimme.
Etwas mehr Erklärungsbedarf hatte hingegen die SPD. Sie war jahrelang gegen eine Wiederbewaffnung und die Einbindung der Bundesrepublik in ein westliches Bündnis eingetreten und auch nach wie vor der Ansicht, dass dies die deutsche Teilung nur noch verstärken und die deutsche Einheit behindern würde. Auch war die Zustimmung zur Wehrverfassung in der SPD nicht unumstritten.
Ausführlich begründete deshalb der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Wilhelm Mellies die Zustimmung seiner Fraktion zu dieser Ergänzung des Grundgesetzes. Zwar habe sich an der Ablehnung der Wiederbewaffnung nichts geändert, doch bei der Grundgesetzänderung gehe es nicht um die Wehrfrage, sondern um die innere Freiheit, um die Demokratie sowie um die Bürger- und Menschenrechte.
Nachdem die Wiederbewaffnung gegen die Stimmen SPD beschlossen worden sei, sehe sie es als ihre Pflicht an, für die Demokratie innerhalb und außerhalb der in der Entstehung begriffenen Bundeswehr zu sorgen. Ihre Zustimmung zur Wehrverfassung begründeten die Sozialdemokraten auch damit, dass sie, wenn schon aufgerüstet werde, wenigstens dafür Sorge tragen wollten, die Demokratie bei den Streitkräften zu wahren. Sie wolle damit Konsequenzen aus negativen Erfahrungen der Weimarer Republik ziehen, in der sich die Reichswehr zum Staat im Staate entwickelt hatte.
Nicht alle Abgeordneten der SPD folgten dieser Erklärung und stimmten für die Wehrverfassung. Insgesamt sprachen sich 390 Abgeordnete für die damit verbundenen Ergänzungen des Grundgesetzes aus. 20 Abgeordnete stimmten dagegen. Es gab keine Enthaltungen. Damit war die Wehrverfassung mit der für eine Grundgesetzänderung notwendigen Zweidrittelmehrheit der Mitglieder des Bundestages angenommen und trat am 22. März 1956 in Kraft.
Die Wehrverfassung bildet allerdings keinen eigenen neuen Teil des Grundgesetzes. Zu den Bestimmungen über die Streitkräfte, die sich über das gesamte Grundgesetz verteilen, zählt unter anderem Artikel 87a, in dem es heißt: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“ Diese unterstehen in Friedenszeiten dem Verteidigungsminister (Artikel 65a), im Verteidigungsfall dem Bundeskanzler (Artikel 115b). Dass der Verteidigungsfall eingetreten ist, muss der Bundestag feststellen (Artikel 115a).
Das Parlament übt die Kontrolle über die Streitkräfte durch die Budgetbewilligung - Stärke und Organisation der Bundeswehr ergeben sich aus dem Haushaltsplan des Bundes (Artikel 87a) - und den Verteidigungsausschuss (Artikel 45a) aus. Der Verteidigungsausschuss erhält außerdem die Rechte eines Untersuchungsausschusses.
Ergänzt wird die parlamentarische Kontrolle durch die Einführung eines Wehrbeauftragten (Artikel 45b), der den Schutz der Grundrechte gewährleisten soll. Kriegsdienstverweigerer leisten einen Ersatzdienst (Artikel 12a). Frauen müssen keinen Wehrdienst leisten. Für die Dauer der Dienstzeit können die Grundrechte der Soldaten und der Wehrdienstleistenden eingeschränkt werden (Artikel 17a). Im Rahmen der Notstandsgesetzgebung von 1968 wurde Artikel 87a des Grundgesetzes neu formuliert und ergänzt.
Gegen die Stimmen der SPD verabschiedete der Bundestag das Soldatengesetz. Die Sozialdemokraten lehnten das Gesetz als Folgegesetz der Pariser Verträge ab. Trotzdem sei die SPD ihrer Pflicht nachgekommen, möglichst viel von den eigenen Standpunkten zur Rolle des Staatsbürgers in der Bundeswehr und dem Schutz seiner Persönlichkeitsrechte durchzusetzen, betonte Fritz Erler in seiner Erklärung für die SPD-Fraktion.
Das Soldatengesetz regelt nicht nur die Rechte und Pflichten der Berufssoldaten, der Soldaten auf Zeit und der Wehrpflichtigen. Mit dem Inkrafttreten des Soldatengesetzes am 1. April 1956 erhielten die neuen Streitkräfte auch den Namen „Bundeswehr“. (klz/26.02.2016)