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Die Opposition im Bundestag ist mit zwei Anträgen zur weiteren Unterstützung freiberuflicher Hebammen gescheitert. Union und SPD wiesen am Donnerstag, 12. Mai 2016, nach einer neuerlichen kontroversen Debatte die Anträge der Fraktionen Die Linke (18/1483) und Bündnis 90/Die Grünen (18/850), die noch aus dem Jahr 2014 stammen, als sich die Lage für die Hebammen wegen sprunghaft steigender Prämien für die Berufshaftpflichtversicherung dramatisch verschärfte, zurück. Der Bundestag folgte damit einer Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses (18/8426).
In den Anträgen wurde unter anderem ein Haftungsfonds gefordert, der Schäden oberhalb einer bestimmten Summe tragen sollte. Nach Ansicht der Grünen sollte auch geprüft werden, ob die Prinzipien der gesetzlichen Unfallversicherung auf die Haftpflicht für alle Gesundheitsberufe übertragen werden könnte. Zwischenzeitlich sind jedoch mehrere gesetzliche Änderungen in Kraft getreten, mit denen die Geburtshelferinnen deutlich entlastet werden. Deswegen sehen die Koalitionsfraktionen derzeit keinen zwingenden Handlungsbedarf mehr.
So wurden die Krankenkassen dazu verpflichtet, zusätzliche Mittel bereitzustellen für jene Hebammen, die nur wenige Geburten im Jahr betreuen und daher von den hohen Haftpflichtprämien besonders belastet sind. Außerdem müssen Krankenkassen steigende Haftpflichtprämien bei der Vergütung der Hebammen berücksichtigen. Seit Juli 2015 werden Hebammen in der Geburtshilfe durch einen Sicherstellungszuschlag dauerhaft finanziell entlastet. Dies soll die flächendeckende Versorgung mit Geburtshelferinnen sicherstellen.
Da sich die Habammenverbände mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zunächst nicht auf die Höhe des Zuschlags einigen konnten, wurde das gesetzlich vorgesehene Schiedsverfahren eingeleitet. Nach einem Schiedsspruch vom Herbst 2015 werden die Zuschläge zum Ausgleich der Versicherungsprämien nach Angaben des Gesundheitsministeriums inzwischen ausgezahlt. Der Deutsche Hebammenverband (DHV) hält die Prämien allerdings nach wie vor für zu niedrig, um die Kosten zu decken.
Im Versorgungsstärkungsgesetz ist geregelt, dass Kranken- und Pflegekassen darauf verzichten sollen, Regressforderungen gegenüber freiberuflichen Hebammen zu erheben. Das soll dazu beitragen, die Versicherungsprämien für die Hebammen zu stabilisieren und die Zahl der zuletzt kaum noch verfügbaren Versicherungsanbieter zu erhöhen.
Zugleich soll sichergestellt werden, dass bei einem Behandlungsfehler das geschädigte Kleinkind bestmöglich versorgt wird. Zwar ist die Zahl der von Hebammen verschuldeten Geburtsschäden ausgesprochen gering, dafür sind die Kosten für die anschließende langfristige Behandlung der geschädigten Kinder exorbitant gestiegen.
Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums wird der Gruppenversicherungsvertrag des DHV weiter angeboten. Im November 2015 habe ein Versicherungskonsortium dem DHV ein Angebot vorgelegt, den Gruppenvertrag bis Mitte 2018 zu verlängern. Nach Aussage des DHV steigen die Prämien jedoch weiter. Für die freiberuflichen Hebammen in der Geburtshilfe steigt die Prämie für die Berufshaftpflicht laut DHV ab Juli 2016 auf 6.842 Euro.
In der Schlussdebatte verwiesen Redner von Union und SPD auf die gesetzlichen Änderungen, mit denen die Lage deutlich entschärft worden sei. Dr. Roy Kühne (CDU/CSU) sagte, die nötigen Schritte seien eingeleitet worden, die Rahmenbedingungen hätten sich positiv verändert. Mit dem Sicherstellungszuschlag sei erreicht worden, dass selbst Hebammen mit nur vier Geburten pro Jahr finanziell nicht überlastet werden.
Je nach Höhe der Prämie übernehme die GKV Kosten zwischen 4.000 bis über 6.500 Euro pro Hebamme. Mit dem Regressverzicht sei ein Prozess eingeleitet worden, um die Prämien zu begrenzen. Kühne räumte ein, es müsse abgewartet werden, wie sich das langfristig auf die Prämien auswirke. Die Koalition habe jedenfalls gezeigt, dass sie die Probleme der Hebammen ernst nehme und "die Sache anpackt".
Auch Bettina Müller (SPD) warnte vor Schwarzmalerei und betonte, bei der Geburtshilfe könne in Deutschland von einer flächendeckenden Versorgung auf qualitativ hohem Niveau gesprochen werden. Jüngste Zahlen zeigten im Übrigen, dass die Zahl der freiberuflichen Hebammen 2015 wieder leicht gestiegen sei. Die Koalition habe wegen der akuten Probleme "geliefert" und damit auch die Forderungen der Opposition "weitgehend abgeräumt".
Vor allem mit dem Regressverzicht sei die SPD-Fraktion den Hebammen sehr weit entgegengekommen und habe einem Systembruch zugestimmt, weil den Mitgliedern der GKV eine Übernahme der Kosten zugemutet werde. Folgekosten von Behandlungsfehlern seien eigentlich Sache der Berufshaftpflicht. Müller verwies auf den neuen Gruppenversicherungsvertrag und meinte, dadurch bestehe nun "ein hohes Maß an Planungssicherheit für alle Beteiligten".
Allerdings müsse eine Lösung gefunden werden, um die "ewige Preisspirale nach oben" und die Abhängigkeit von einem "Monopolversicherer" zu beenden. Bei den vorgeschlagenen Lösungen über einen Haftpflichtfonds oder die gesetzliche Unfallversicherung hätten sich jedoch viele versicherungsrechtliche und verfassungsrechtliche Probleme aufgetan.
Cornelia Möhring (Die Linke) warf der Koalition vor, die Tatsachen völlig zu verkennen. Um die Geburtshilfe in Deutschland sei es seit Jahren schlecht bestellt. Der Beruf sei in großer Gefahr, und die Regierung habe "mitnichten irgendetwas angeschoben, was diese Situation wirklich nachhaltig verbessert". Die zahlreichen Petitionen an den Bundestag machten deutlich, wie sehr das Thema die Bürger bewege. Von den rund 21.000 Hebammen in Deutschland böten nur noch 2.500 freiberufliche Geburtshilfe an. Die meisten Hebammen seien auf die Geburtsvorbereitung und die Wochenbettpflege beschränkt, weil sie sich die hohen Versicherungsprämien für die Geburtshilfe nicht mehr leisten könnten.
Zugleich seien die Einkommen gering. Der Jahresumsatz einer freiberuflichen Hebamme liege im Schnitt bei rund 24.000 Euro brutto. In den Krankenhäusern müssten oft mehrere Geburten gleichzeitig betreut werden, weil es an Personal mangele. Auch deswegen gäben viele Hebammen ihren Beruf auf. Es müsse schnell gehandelt werden, denn die Lage sei weiter kritisch, sagte Möhring und forderte die Einführung eines Haftungsfonds.
Auch die Grünen sehen weiter Handlungsbedarf. Elisabeth Scharfenberg sagte, gerade im ländlichen Bereich sei die Versorgung nicht mehr gesichert, weil die Anfahrtswege immer länger würden und sich irgendwann die Frage stelle, ob die schwangeren Frauen die Kliniken noch rechtzeitig erreichen könnten. Die auf den Weg gebrachten Gesetze reichten offensichtlich nicht aus. So solle der Regressverzicht dazu beitragen, die Prämien zu senken. Die Regelung sei jedoch so ausgestaltet, dass diese Fälle selten aufträten und die Prämien weiter stiegen.
Zudem blieben die Hebammen bei der Haftpflichtprämie auf einem hohen Eigenanteil von rund 2.000 Euro sitzen. Scharfenberg forderte, die Haftpflichtfrage müsse für alle Gesundheitsberufe dauerhaft gelöst werden. Zudem sollte die wirkliche Versorgungslage in Deutschland umfassend analysiert werden, um bei Engpässen gezielt gegensteuern zu können, wie dies ja auch bei den Ärzten gemacht werde. (pk/13.05.2016)