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Vizepräsidentin Claudia Roth (Fünfte von links) begrüßte die Gäste; rechts neben ihr Ahmed Kharchi, Vorsitzender der Algerisch-Deutschen Freundschaftsgruppe. © DBT/Melde
Der Ausbau wirtschaftlicher Beziehungen sowie die Stärkung kultureller Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Algerien waren zwei zentrale Themen beim Besuch einer Delegation algerischer Parlamentarier, die von Montag, 30. Mai, bis Freitag, 3. Juni 2016, im Bundestag zu Gast war und von Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) offiziell begrüßt wurde. „Algerien ist das größte Land Afrikas, gehört geografisch gesehen zu unseren Nachbarn und hat ganz ähnliche Interessen wie Deutschland – etwa wenn es um die Sicherheitslage und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus geht“, sagt Gabriela Heinrich (SPD), Vorsitzende der Parlamentariergruppe Maghreb-Staaten im Bundestag über das nordafrikanische Land.
Ihrer Einladung waren die sieben Mitglieder der Nationalen Volksversammlung in Algier – Ahmed Kharchi, Kheira Benzenati, Kada Boulaga, Ahmed Zeroual (alle Nationale Befreiungsfront – FNL), Fouad Benmerabet, Fatiha Meskini (beide Nationale Demokratische Sammlung – RND) und Abdelaziz Belkaid (Allianz „Grünes Algerien“ – AAV), nach Berlin gefolgt. Der Besuch, dem eine Reise deutscher Parlamentarier im Januar 2015 nach Algerien vorausgegangen war, galt dem Informationsaustausch und insbesondere der Intensivierung der Kontakte.
Denn obwohl in den vergangenen sechs Monaten sowohl Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière (CDU) und Entwicklungshilfeminister Dr. Gerd Müller (CSU) zu Gesprächen nach Algerien gereist sind und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) 2015 mit seinem algerischen Kollegen eine Energiepartnerschaft unterzeichnet hat – die Beziehungen zwischen Deutschland und Algerien, so findet Heinrich, seien noch ausbaufähig. Beide Seiten, deutsche wie algerische Parlamentarier, hätten im Austausch miteinander festgestellt, „dass wir wirklich mehr voneinander wissen wollen“, so die Abgeordnete aus Nürnberg, die Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Bundestag ist.
So nutzten die Gäste den Besuch, um eine Reihe von Gesprächen zu führen: Unter anderem trafen sie im Bundestag mit den Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses zusammen, mit dem Vorsitzenden Ansgar Heveling (CDU/CSU) und den Mitgliedern des Innenausschusses, mit der Vorsitzenden des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, Patricia Lips (CDU/CSU), sowie mit Heinz-Joachim Barchmann (SPD), dem stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union.
Im Bundesrat und im Abgeordnetenhaus von Berlin ließen sich die Algerier zudem über den föderalen Aufbau der Bundesrepublik sowie über die Gesetzgebungskompetenzen der Länder informieren.
Darüber hinaus standen ein Treffen mit Günter Nooke (CDU), Afrikabeauftragter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, sowie ein Besuch beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag auf dem Programm der algerischen Abgeordneten. „Algerien wünscht sich ein größeres Engagement deutscher Unternehmen“, erläutert Gabriela Heinrich.
Derzeit sind nach Angaben der deutschen Botschaft in Algier etwa 200 deutsche Unternehmen mit Niederlassungen, Repräsentanzen und Verbindungsbüros in Algerien vertreten. Grundsätzlich sei das Land für deutsche Unternehmen aufgrund seines recht großen Marktes mit einer wachsenden Bevölkerung, reichen Rohstoffvorkommen und einer guten Erreichbarkeit aus Deutschland sehr interessant, sagt Heinrich.
„Doch Algerien muss noch deutlicher machen, wo die Chancen für deutsche Unternehmen liegen“, so die Vorsitzende der Parlamentariergruppe Maghreb-Staaten. Das hätten Vertreter der IHK im Gespräch mit den Gästen aus Algier betont. Aufgrund der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Lage, die durch sinkende Ölpreise ausgelöst wurde, arbeitet die algerische Regierung daran, die Attraktivität Algeriens für ausländische Investoren zu verbessern.
So soll im Rahmen eines geplanten Investitionsgesetzes unter anderem die Mehrheitsbeteiligungsregel von 49/51-Prozent für ausländische Investitionen aufgehoben werden. Diese 2009 eingeführte Regelung gilt im Bereich der Güterproduktion, dem Dienstleistungssektor und generell bei Importgeschäften und soll dem Schutz des algerischen Marktes dienen. „Meines Wissens besteht diese Regel fort“, betont Heinrich. „Sollte es anders sein, dann wäre das ein Zeichen dafür, dass der Informationsfluss tatsächlich verbesserungswürdig ist.“
Ein weiteres Anliegen der Algerier sei ein Ausbau des kulturellen Austauschs mit Deutschland, berichtet Heinrich. „Sie wünschen sich zum Beispiel mehr gemeinsame Kulturprojekte, um das Wissen übereinander zu verbessern und sich näherzukommen.“ Dafür sei die deutsche Seite grundsätzlich „offen“, so die SPD-Politikerin: „Deutschland wirkt seit Längerem auf den Abschluss eines Kulturabkommens hin.“
Ein entsprechender Vorvertrag liege dazu nun vor, hat Heinrich von der algerischen Botschaft in Berlin erfahren. Wenn dem so sei, könnten nun „offene Statusfragen“ unter anderem des Goethe-Instituts und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) geklärt werden: „Derzeit haben DAAD und die Stiftungen in Algerien keine Präsenzen“, erklärt Heinrich.
Die Arbeit der politischen Stiftungen sei zudem durch ein im Dezember 2012 verabschiedetes Vereinsgesetz erschwert. Das Gesetz verleiht den Behörden umfassende Befugnisse, Nichtregierungsorganisationen (NRO) vorübergehend die Arbeit zu untersagen oder sie aufzulösen. Zudem wurde die Zulassung und Finanzierung von NROs weiter erschwert. Umso mehr freut es Heinrich, dass sich hier jedoch zumindest für die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) eine Lockerung abzeichnet: „Die FES hat die Vorerlaubnis, in Algier ein Büro zu eröffnen.“
Ein Treffen der algerischen Delegation mit Vertretern von Friedrich-Ebert- Stiftung und Konrad-Adenauer-Stiftung, das im Rahmen des Besuchs in Berlin stattfand, habe aber gezeigt, dass den algerischen Abgeordneten dieses Thema „gar nicht präsent“ gewesen sei. Heinrich ist nun vorsichtig optimistisch: „Ich hoffe sehr, dass die Öffnung gegenüber der FES auch auf andere politische Stiftungen auswirken wird.“
Anders als die Stiftungen ist das Goethe-Institut nach Jahren der Stilllegung (1994 bis 2001) während der Zeit des Bürgerkrieges wieder in Algier aktiv. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liege allerdings auf der Spracharbeit, erklärt Heinrich. „Außerdem wird nur mit einer ganz kleinen Besetzung gearbeitet.“ Mit dem Kulturabkommen könnte sich das ändern. „Es wäre schön, wenn das Interesse der algerischen Parlamentarier ein Hinweis darauf wäre, dass das Goethe-Institut in Algier künftig auch im Bereich der Kulturarbeit tätig sein kann“, sagt Heinrich.
Dass beide Seiten, Deutsche wie Algerier, von einem stärkeren kulturellen Austausch profitieren würden, steht für die Abgeordnete fest. Algerien sei aus vielerlei Hinsicht interessant, findet sie: „Das ist ein unglaublich spannender Teil der Welt, der uns zwar gleichzeitig geografisch nah ist, aber auch sehr fremd aufgrund seiner arabisch-nordafrikanischen Kultur.“ (sas/06.06.2016)