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15. Wahlperiode
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   151. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005

   Beginn: 8.30 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B – V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Der Kollege Lothar Ibrügger feierte am 24. Dezember seinen 60. Geburtstag, der Kollege Heinrich-Wilhelm Ronsöhr am 8. Januar ebenfalls seinen 60. Geburtstag und der Kollege Franz Müntefering beging am 16. Januar seinen 65. Geburtstag. Im Namen des Hauses gratuliere ich den genannten Kollegen sehr herzlich und wünsche alles Gute!

(Beifall)

   Sodann teile ich mit, dass die Kollegin Antje Hermenau am 19. Dezember 2004 auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat. Als Nachfolgerin hat die Abgeordnete Monika Lazar am 21. Dezember 2004 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die neue Kollegin sehr herzlich.

(Beifall)

   Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass der Kollege Hans-Peter Kemper als Mitglied aus dem Gremium nach Art. 13 Abs. 6 des Grundgesetzes und als stellvertretendes Mitglied aus dem Kontrollausschuss beim Bundesausgleichsamt ausscheidet. Als Nachfolger wird jeweils der Kollege Dr. Hans-Ulrich Krüger vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege Krüger als Mitglied in das Gremium nach Art. 13 Abs. 6 des Grundgesetzes und als stellvertretendes Mitglied in den Kontrollausschuss beim Bundesausgleichsamt gewählt.

(Jörg Tauss (SPD): Ein guter Mann!)

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Beratung der Verordnung der Bundesregierung: Dritte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung

– Drucksache 15/4642 –

(siehe 150. Sitzung)

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft

ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Haltung der Bundesregierung zu überhöhten Dioxinwerten in Hühnereiern aus Freilandhaltung

(siehe 150. Sitzung)

ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 24)

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Eichhorn, Dr. Maria Böhmer, Claudia Nolte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Deutsch-russischen Jugendaustausch weiter entwickeln

– Drucksache 15/4655 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Haupt, Ina Lenke, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Weichenstellungen für ein deutsch-russisches Jugendwerk

– Drucksache 15/1240 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)Auswärtiger AusschussAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss

ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 25)

a) Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (6. Ausschuss): Übersicht 9 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht

– Drucksache 15/4663 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zur Dritten Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung

– Drucksache 15/4642, 15/4674 –

Berichterstattung:Abgeordnete Gerd Friedrich BollmannWerner WittlichDr. Antje Vogel-SperlBirgit Homburger

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU: Vorstoß des Bundeskanzlers zur Lockerung der Kriterien des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, um mehr Flexibilität bei der Neuverschuldung zu erhalten

   Von der Frist für den Beginn der Beratung soll – soweit erforderlich – abgewichen werden.

   Die Tagesordnungspunkte 10, 13 und 20 sollen abgesetzt werden.

   Außerdem ergeben sich folgende weitere Änderungen im Beratungsverlauf: Nach dem Tagesordnungspunkt 9 werden zunächst der bisher ohne Debatte vorgesehene Tagesordnungspunkt 24 g – Aussetzung der Wehrpflicht – mit 30 Minuten und dann der bisher für Freitag vorgesehene Tagesordnungspunkt 18 – Elektro- und Elektronikgerätegesetz – beraten. Ferner soll Tagesordnungspunkt 12 mit Tagesordnungspunkt 11 getauscht werden.

   Am Freitag wird der Tagesordnungspunkt 22 bereits nach Tagesordnungspunkt 17 aufgerufen.

   Außerdem mache ich auf nachträgliche Überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

Der in der 148. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (12. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.

Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Neuordnung der Reserve der Streitkräfte und zur Rechtsbereinigung des Wehrpflichtgesetzes (Streitkräftereserve-Neuordnungsgesetz – SkResNOG)

– Drucksache 15/4485 –

Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss (f)InnenausschussRechtsausschuss Haushaltsausschuss

   Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (17. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Burchardt, Jörg Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Forschung für Nachhaltigkeit – Motor für Innovationen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Katherina Reiche, Thomas Rachel, Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Mit Innovationen auf Wachstumskurs – eine einheitliche Strategie

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Christoph Hartmann (Homburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Innovationsstrategie für Deutschland – Wissenschaft und Wirtschaft stärken

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bundesbericht Forschung 2004

– Drucksachen 15/3452, 15/2971, 15/3332, 15/3300, 15/4216 –

Berichterstattung:Abgeordnete Ulrike Flach Jörg Tauss Katherina Reiche Hans-Josef Fell

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katherina Reiche, Thomas Rachel, Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Informatives Berichtswesen als Grundlage einer guten Forschungs- und Technologiepolitik

– Drucksache 15/4497 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Ulla Burchardt, SPD-Fraktion, das Wort.

Ulla Burchardt (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn möchte ich Ministerin Bulmahn ganz herzlich zum ausgesprochen glücklichen Auftakt des Einstein-Jahres gratulieren. Ich denke, so setzt man Zeichen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg van Essen (FDP): Die Frau Ministerin hat die Formel nicht erfunden!)

   Ob Zufall oder Absicht, es passt ganz gut, dass es am heutigen Tage nicht nur um die Themen Forschung für Nachhaltigkeit und Innovation geht, sondern dass später am Nachmittag auch die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung auf der Plenartagesordnung steht. Bei beiden Punkten geht es um zentrale Weichenstellungen und Wege, wie Politik eine Entwicklung einleiten soll, die nicht nur für den Standort Deutschland, sondern auch im globalen Maßstab zukunftsfähig ist.

   Eine ganze Reihe von Ihnen wissen es: Bei der Weltkonferenz in Rio haben sich die damaligen Regierungen darauf verständigt, ihre nationalen Politiken auf das Leitbild der Nachhaltigkeit auszurichten. Die damalige deutsche Bundesregierung hat die Agenda 21 mit beschlossen, in der stand, dass man die nachhaltige Bildungs- und Forschungspolitik vorantreiben will.

   Wie hat das in der Bundesrepublik ausgesehen? Kolleginnen und Kollegen, ich denke, man kann selbstbewusst feststellen, dass insbesondere der Deutsche Bundestag für die deutsche Politik wesentliche Arbeiten zur Konkretisierung des Leitbildes der Nachhaltigkeit und der nachhaltigen Entwicklung geleistet hat. Das darf man auch einmal ganz laut sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Das ist aber ein bisschen schwach!)

Daran waren auch viele Kollegen von Ihnen, der Opposition, beteiligt. Daher brauchen Sie nicht so verlegen in Ihren Zetteln zu blättern.

   Ganz entscheidend waren dabei die Arbeiten der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“, deren Handlungsempfehlungen 1997 in einer Beschlussempfehlung des Forschungsausschusses zu dem Antrag „Forschungspolitik für eine zukunftsverträgliche Gestaltung der Industriegesellschaft“ mündeten.

   Wenn ich mich hier umschaue, muss ich feststellen: Viele, die heute in den Ausschüssen sitzen, sind damals nicht dabei gewesen. Dieser Text hat die Qualität eines politischen Innovationsprogramms. Deswegen möchte ich kurz daraus zitieren:

Ziel einer Innovationsoffensive für eine nachhaltige Entwicklung sollte es sein, „wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt so zu gestalten, daß die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes dauerhaft gesichert wird … Deshalb ist eine Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft nötig, die die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, den Erhalt der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, die gerechte Verteilung von Arbeit, Einkommen und Lebenschancen als gleichrangige Ziele verfolgt … Neues Wissen und seine intelligente Nutzung sind der Schlüssel zur Lösung der ökologischen und ökonomischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts … Für diesen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Innovationsprozess ist eine Neuorientierung staatlicher Innovationspolitik und ihrer Instrumente entscheidend.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Fast auf den Tag genau acht Jahre ist es her, dass dieser Text einstimmig – das heißt, auch mit den Stimmen der damaligen Mehrheitsfraktionen CDU/CSU und FDP – hier im Deutschen Bundestag beschlossen wurde, übrigens auf der Basis eines Antrages der SPD-Fraktion.

(Jörg Tauss (SPD): Sehr weise!)

Nun meinen einige von Ihnen vielleicht: „Schnee von gestern“. Aber wenn man sich die ökonomischen, ökologischen und sozialen Problemlagen in der Welt ansieht, muss man feststellen: Die Fragestellung nachhaltiger Innovationspolitik ist aktueller denn je.

   Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, sehe ich mir Ihre Anträge zu Innovationen an. Dabei fällt mir auf, dass alle vernünftigen Forderungen, die aufgestellt werden, bereits in Angriff genommen wurden bzw. erledigt sind. Noch auffälliger ist, dass bei Ihnen weder Nachhaltigkeit noch eine andere Gestaltungsperspektive überhaupt vorkommt. Ihr Innovationsverständnis ist buchstäblich von gestern und wird den Herausforderungen von heute und morgen in keiner Weise gerecht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Im Gegensatz dazu hat die rot-grüne Mehrheit 1998 mit der Umsetzung begonnen. Die Nachhaltigkeitsstrategie mit den vier Zielen Generationengerechtigkeit, Lebensqualität, sozialer Friede und internationale Verantwortung wurde in Angriff genommen und im Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen weiterentwickelt. Heute Nachmittag wird der erste Fortschrittsbericht diskutiert. In der letzten Legislaturperiode wurde die Neuausrichtung der Forschungspolitik zugunsten von Nachhaltigkeit zu einer systemisch ausgerichteten Innovationsstrategie begonnen. Mit dem neuen Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltigkeit“ wird diese weiterentwickelt. Ganz konkret geht es bei den Projekten darum, Ideen und Konzepte für innovative Produkte, Verfahren und Dienstleistungen zu entwickeln, mit denen es gelingt, dass Unternehmen, aber auch ganze Branchen oder Regionen weniger Energie und Ressourcen verbrauchen. Innovationspolitik – da kommt uns die nachhaltige Entwicklung in unserem Verständnis von Innovation ausgesprochen gut zupass – ist weit mehr als Technikförderung; das ist zwischenzeitlich eine wissenschaftliche Binsenweisheit. Es geht auch um organisatorische, institutionelle und soziale Innovationen. Deswegen beinhaltet das Rahmenprogramm richtigerweise auch Themen, zum Beispiel wie sich die Potenziale älterer Menschen in der Gesellschaft des langen Lebens besser erschließen lassen oder wie die Globalisierung sozial und ökologisch gestaltet werden kann – sie ist kein Schicksal, sie muss im Interesse der Menschen gestaltet werden. Allein für die Nachhaltigkeitsforschung stehen in den nächsten Jahren im Schnitt 160 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung.

   Doch das Geld alleine ist nicht das Entscheidende, sondern die Frage ist: Was wird gefördert? Worüber wird geforscht? Wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Entwicklungen werden erst dann zu einer Innovation, wenn sie Nutzen stiften, wenn sie auf Nachfrage stoßen – das hat etwas mit Märkten zu tun, auf denen Produkte nachgefragt werden – und wenn die Menschen diese Innovation auch wollen.

   Das beste Negativbeispiel für eine Sache, die die Menschen nicht wollen, ist die Kernenergie, auch wenn sie von der Opposition noch immer als Heilsbringer für nahezu alles mystifiziert wird. Man muss festhalten, dass die Menschen hier in Deutschland sie nicht wollen. Ohne massiven Staatsinterventionismus wäre sie nirgendwo auf der Welt durchgesetzt worden und hätte sie nirgendwo auf der Welt die Chance, genutzt zu werden oder gar rentabel zu sein. Manchmal sollten Sie sich Ihre Forderung vor dem Hintergrund Ihrer ordnungspolitischen Vorstellungen ein bisschen genauer überlegen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Ich glaube, es gibt auch noch andere Meinungen!)

   Von den Lasten, die der nächsten Generation durch 1 000 Jahre lang strahlenden Atommüll aufgebürdet werden, will ich erst gar nicht reden.

   Wer für die Kernenergie spricht, sollte das Wort „Generationengerechtigkeit“ besser nicht in den Mund nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: – Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Unsinn!)

Generationengerecht ist das, was die Umwelt schützt und Arbeitsplätze schafft. Der Handwerker, der Solaranlagen wartet, der Mann im Blaumann, der Windanlagen baut, die Ingenieurin, die Wärmedämmungstechniken für Altbauten entwickelt und die Betriebswirtin, die in einer Ratingagentur für umweltorientierte Geldanlagen arbeitet – sie alle verdanken ihren Arbeitsplatz der Tatsache, dass sich die Nachhaltigkeit zunehmend zu einem bedeutsamen Wirtschaftsfaktor entwickelt hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man sich allein den statistisch erfassbaren Bereich des Umweltschutzes, also einen kleinen Teil des gesamten Nachhaltigkeitsbereichs, ansieht, dann stellt man fest, dass in diesem mittlerweile 1,5 Millionen Menschen beschäftigt sind. Damit sind dort mehr Menschen als im Maschinen- oder im Fahrzeugbau tätig.

   Deutschland ist weltweit Spitze bei den umweltrelevanten Patenten und der nationale Technikvorsprung zahlt sich aus. Weltweit sind wir zweitgrößter Exporteur von Umweltgütern. „Made in Germany“ ist längst Synonym für global nachhaltige Produkte, Dienstleistungen und Konzepte geworden. Wenn ich mir beispielsweise die durch das Hause Bulmahn unterstützten Wasserversorgungstechniken für den Iran anschaue, dann stelle ich fest, dass diese global zukunftsfähig sind und sich ausgesprochen gut verkaufen.

   Auch wenn Sie es nicht glauben: Die Wissenschaftscommunity stellt uns für die Nachhaltigkeitsforschung ein ausgesprochen gutes Zeugnis aus. Das tut auch die EU-Kommission in einer Vergleichsstudie, in der mehrere europäische Länder, die Nachhaltigkeitsforschung betreiben, bewertet worden sind. Dieses Lob der EU sollte uns Verpflichtung sein, beim 7. Forschungsrahmenprogramm darauf zu drängen, dass nicht nur noch große Forschungscluster und die Interessen der Großindustrie gefördert werden und dass es in punkto Forschungsförderung für Nachhaltigkeit nicht zu einem Rückfall kommt, weil der gesellschaftliche Innovationsbedarf und die kleinen innovationsorientierten Forschungseinrichtungen sonst unter die Räder kommen. Das möchten wir der Bundesregierung an dieser Stelle gern mit auf den Weg nach Brüssel geben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Der Schlüssel für nachhaltige Innovationen – dies war bereits in der Agenda 21 nachzulesen und wurde auf der Weltkonferenz in Johannesburg noch einmal bekräftigt – ist die Ressource Wissen und das Ausschöpfen derselben, das heißt mehr Bildung. Auch dazu kommen von der Opposition nur die altbekannten altbackenen Vorschläge. Wenn man sich das alles einmal zu Gemüte führt, dann stellt man fest, dass Ihre Vorstellung von bildungspolitischem Fortschritt im Festschreiben eines Bildungssystems aus dem vorletzten Jahrhundert und dem Verschließen von Hochschultüren für soziale Schwächere gipfelt. Das mag ideologisch sauber sein, ist aber innovationsfeindlich. Nötig sind das Fördern und das Ausschöpfen aller Bildungspotenziale. Wir haben die Initiative ergriffen: von der Vorschulbildung, die wir nun fördern, über Ganztagsschulen, den Ausbildungspakt und die Modernisierung der beruflichen Bildung bis hin zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie insbesondere von Frauen in der Wissenschaft.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihnen liegt der Antrag „Forschung für Nachhaltigkeit – Motor für Innovationen“ vor. Wir knüpfen damit an die Plattform an, die wir vor einigen Jahren gemeinsam beschlossen haben. Wir bauen sie aus und geben zukunftsweisende Hinweise darauf, was in der Forschungspolitik noch weiter zu tun ist. Ich lade Sie ganz herzlich ein, sich dieser damals gemeinsam formulierten Position anzuschließen und an ihrer Weiterentwicklung mitzuarbeiten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegin Katherina Reiche, CDU/CDU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss (SPD): Leute, haltet mich fest!)

Katherina Reiche (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland braucht wieder mehr Wachstum. Ludwig Erhard hat in seinem Werk „Wohlstand für alle“ ausgeführt – ich zitiere –:

Es ist viel leichter, jedem Einzelnen aus einem immer größer werdenden Kuchen ein größeres Stück zu gewähren, als einen Gewinn aus einer Auseinandersetzung um die Verteilung des Kuchens ziehen zu wollen, weil auf diese Weise jeder Vorteil mit einem Nachteil bezahlt werden muss.

   Wenn es richtig ist, dass sieben Achtel des Wirtschaftswachstums mit Innovationen zusammenhängen, dann hat Rot-Grün hier kläglich versagt. Trotz des Jahres der Technik bzw. der Innovationen passierte im letzten Jahr wenig bzw. gar nichts. Auch die Bilanz der Vorjahre nimmt sich erschreckend kläglich aus – kläglich deshalb, weil wir im OECD-Vergleich ins Mittelfeld abgerutscht sind, kläglich auch deshalb, weil seitens des Staates zu wenig in Bildung und Forschung investiert wird, kläglich auch deshalb, weil die notwendigen Strukturreformen entweder ausgeblieben sind oder vor die Wand gefahren wurden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Was war das für ein Tamtam zur Eröffnung des Jahres der Technik! Was war das gestern für eine Show zur Eröffnung des Einstein-Jahres!

(Zurufe von der SPD)

Aber wo sind die handfesten Ergebnisse? Wo ist die Aufbruchstimmung? Fehlanzeige bei Rot-Grün!

   Vor rund vier Wochen haben wir hier in diesem Hause bereits die Bilanz des Jahres der Technik debattiert. Meine Einschätzung heute unterscheidet sich nicht von meiner Einschätzung von vor vier Wochen. Im Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit, der Ende des letzten Jahres vorgestellt wurde, wird überdeutlich: Deutschland ist zu langsam und hinkt beim Technologietransfer hinterher.

   Der Anteil des Staates an FuE-Finanzierung ist von Mitte der 90er-Jahre bis heute von 38 Prozent auf 31 Prozent gesunken. Das liegt in Ihrer Verantwortung, meine Damen und Herren von Rot-Grün. Der Anteil der Wirtschaft ist im betrachteten Zeitraum von 60 auf 66 Prozent gestiegen. Wenn sich in unserem arbeitsteiligen System der Forschungsförderung die Wirtschaft eher mit der anwendungsorientierten Forschungs- und Produktentwicklung beschäftigt und der Staat für die Grundlagenforschung zuständig ist, dann heißt das, dass wir einen Einbruch bei den Basisinnovationen zu befürchten haben. Genau das ist für den Produktionsstandort Deutschland schädlich. Da liegen die Verantwortung und das Versagen von Rot-Grün.

   So resümiert der Bericht: Deutschland hat bereits Rangplätze verloren und droht weiter zurückzufallen, wenn nicht Entscheidendes geschieht. – Ich habe nicht den Eindruck, dass etwas geschieht. Diesen Eindruck habe nicht nur ich nichzt, sondern den hat unter anderem auch Fraunhofer-Chef Bullinger nicht, der im Dezember 2004 beklagte, es sei bislang nichts geschehen und es gebe kein klares Regierungsprogramm und keine Strategie zum Lissabon-Prozess.

   Die Defizite sind bekannt – diese können Sie nicht länger leugnen –: Die Hochschulen sind unterfinanziert – nicht nur seitens des Bundes; das gebe ich gerne zu – und unterliegen einem anachronistischen Rahmengesetz. Es wird öffentlich wie privat zu wenig in Bildung und Forschung investiert. Der Anteil der Ausgaben für Bildung und Wissenschaft stagniert seit 1995 bei 9,1 Prozent. Im Forschungssystem wird eine „Versäulung“ und „Erstarrung“ sowie die Erosion der universitären Forschung beklagt. Der innovative Mittelstand kämpft mit Kapitalknappheit. Der Fachkräftemangel ist zum Greifen nahe.

   Hinzu kommt, dass diejenigen, die hier hervorragend ausgebildet werden, abwandern, und zwar meistens ins Mekka der Forschung, in die USA. 15 000 bis 20 000 Deutsche arbeiten nach den Daten des Current Population Survey hochschulnah oder in den Hochschulen der Vereinigten Staaten. Wer dort erst einmal seinen PhD gemacht hat, bleibt meist dort.

   Aber die Bundesregierung und auch Sie von der Koalition wollen das nicht hören. Sie diffamieren jeden, der Ihnen unangenehme Wahrheiten sagt, als Schwarzmaler.

(Ulla Burchardt (SPD): Das ist wohl wahr!)

Aber ich sage Ihnen: Wir haben kein Problem mit der Schwarzmalerei. Wir haben ein Problem mit dem Schönreden und dem Ignorieren einer brisanten und bitterernsten Situation.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Frau Bulmahn hat vor fast genau einem Jahr zu Beginn des Jahres der Technik – Zitat – „eine radikale Modernisierung des Forschungssystems“ angekündigt. Wo ist sie denn? Um sich nicht an den Worten von gestern, heute und auch morgen erinnern zu müssen, stürzen Sie sich in die nächste PR-Schlacht. Diese heißt seit diesem Jahr Einstein-Jahr und kostet 10 Millionen Euro. In der FAZ vom 15. Januar dieses Jahres stand ein kleiner Bericht über eine Sitzung des SPD-Präsidiums. Am Schluss der Vorhabenliste soll der Vorsitzende Franz Müntefering gesagt haben:

Dann haben wir noch Einstein-Jahr. Einstein kennt jeder. Hat die Relativitätstheorie erfunden.

Bundeskanzler Schröder soll geantwortet haben:

Was immer das auch sein mag.

   Nun muss der Bundeskanzler Schröder nicht wissen, was die Relativitätstheorie ist.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Das ist auch schwer zu verstehen!)

Aber aus dem Artikel wurde eines überdeutlich: Es geht gar nicht um die Faszination und die Folgen dieser wirklich alles verändernden Theorie. Es geht ausschließlich um das Instrumentalisieren von Albert Einstein. Es wird ein kulturelles Jahr mit Einstein als Popikone mit, wie gesagt, 10 Millionen Euro inszeniert. Wenn das Ihre Forschungspolitik ist, dann gute Nacht Deutschland!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Sie sind ja nur neidisch!)

   Man kann in der Tat mit hervorragenden Vorbildern und Leistungen junge Menschen faszinieren und für Wissenschaft und Forschung begeistern. Nur taugt weder die Bundesbildungsministerin noch die Bundesregierung tatsächlich als Vorbild.

   Es ist richtig, dass wir 100 Jahre Relativitätstheorie feiern. Einstein hat mit der Speziellen und mit der Allgemeinen Relativitätstheorie unsere Weltsicht verändert, er hat eine neue Physik mitbegründet und er ist auch noch heute ein Faszinosum für Jung und Alt. Aber was würde uns Einstein heute lehren? Einstein hat schon damals gesagt: Persönlichkeiten werden nicht durch schöne Reden geformt, sondern durch Arbeit und eigene Leistung.

(Ute Kumpf (SPD): Merken Sie sich das, Frau Reiche!)

Aber darum geht es bei Rot-Grün nicht – Einstein als Popikone.

   Was verbessert sich für die Wissenschaft, wenn mit viel Geld, das die Forschung so dringend braucht, Einstein-Zitate an öffentliche Gebäude gestrahlt werden? Was hat das eigentlich mit der Aufgabe des Forschungsministeriums als Impulsgeber, als Treiber des Wandels zu tun?

   Wahrscheinlich haben Sie von der Relativitätstheorie noch eines in Erinnerung: Das war die Sache mit der Krümmung. Nun hat Albert Einstein die Krümmung des Lichts und nicht die Krümmung des Forschungshaushaltes gemeint. Die Staatsverschuldung ist so hoch wie nie. Der Forschungshaushalt muss mit bluten. Die Forschungs- und Innovationspolitik der Bundesregierung ist in der Tat sehr „relativ“, nämlich relativ ziel-, plan- und erfolglos.

   Das liegt im Kern an folgenden Defiziten: einem geradezu epidemischen Kurzfristdenken und einem auf schnelle Effekte ausgerichteten Handeln, ein Verlust von Denken in Zusammenhängen und Ursachenketten und einem fatalen Verständnis von Forschung und Wissenschaft, von Bildung und Hochschulen, die man zuletzt auf Missionen ausrichten zu müssen glaubte. Innovation ist eine Kette, deren Glieder Schulen, Hochschulen, Forschung und die Vernetzung von Forschung mit Wirtschaft und innovativen Unternehmen sind. Das muss man als Einheit betrachten, sonst endet man wie Rot-Grün in Schubladendenken.

   Wir haben bereits Anfang des vergangenen Jahres eine komplette Innovationsstrategie in den Deutschen Bundestag eingebracht – Köpfe, Konzepte, Kapital und Klima. Wir sind am Beginn dieses Einstein-Jahres keinen Schritt weiter, als wir am Beginn des Jahres der Technik waren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Wahrheit ist doch: Es gab 2004 für Bildung und Forschung keinen Cent mehr aus dem Bundeshaushalt. Es gab Minderausgaben, Sparauflagen und Sperrungen. Jetzt steht die Sperrung der Eigenheimzulage für 2005 an. Auch das wird in diesem Jahr wohl wieder als Minusgeschäft enden. Auch für die Hochschulen war 2004 ein verlorenes Jahr. Angefangen hat das mit dem Placebo der Eliteuni und der Kürzung der Hochschulbaumittel. Das Einzige, was wir mit Hängen und Würgen geschafft haben, war, für die Universitäten eine Selbstauswahl für die zulassungsbeschränkten Fächer von 60 Prozent hinzubekommen. Das zweite Halbjahr hat das BMBF damit verbracht, sich vom Nackenschlag des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Juniorprofessur zu erholen. Nach diesem Urteil sind wir wieder auf dem Stand von 2002. Eine verfassungskonforme Einführung der Juniorprofessur hätten Sie haben können; aber Sie wollten mit dem Kopf durch die Wand und sind vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert.

   Frau Bulmahn, Sie verweigern sich zudem einer Debatte über Studienbeiträge und machen einen auf Vogel Strauß.

(Jörg Tauss (SPD): Studentensteuer meinen Sie!)

Doch wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

(Ulla Burchardt (SPD): Abgaben erhöhen! Neue Abgaben einführen!)

Vielleicht ahnen Sie schon, was Karlsruhe nächste Woche sagt. Sie scheinen sich nicht vorzubereiten, sondern wiederholen stoisch Ihren Satz: Mit mir sind Studiengebühren nicht zu machen. – Doch ist seit langem klar, dass die Hochschulen mehr Geld brauchen. Warum ergreifen Sie nicht die Initiative und diskutieren mit uns und den Ländern über ein sozialverträgliches Studienbeitragsmodell? Wir brauchen grundlegende Veränderungen in der Bildungsfinanzierung für ein lebenslanges Lernen. Es ist ungerecht, wenn Kindergartenplätze 500 oder 600 Euro pro Kind und Monat kosten, Hochschulbildung aber umsonst zu haben ist.

(Beifall bei der CDU/CSU – Ute Kumpf (SPD): Wo leben Sie denn, Frau Reiche?)

Hochschulbeiträge sind unabdingbar. Die Einführung ist Sache der Länder und Hochschulen; aber Sie, Frau Bulmahn, könnten den Weg dafür frei machen.

   Noch einmal zurück zu den Eliteunis. Eliteunis kauft man nicht wie einen Sack Kartoffeln. Wissenschaft redet übrigens nicht von Elite,

(Ulla Burchardt (SPD): Wir auch nicht, Sie reden von Elite!)

Wissenschaft redet von Exzellenz. Damit Exzellenz entstehen kann, bedarf es bestimmter Voraussetzungen. Man braucht Universalität, Transdisziplinarität, die Befreiung von Strukturen wie dem jetzigen HRG, der ZVS, dem Professorenbesoldungsgesetz und vor allem ein offenes Klima für Forschung und Entwicklung.

(Jörg Tauss (SPD): Siehe Baden-Württemberg!)

Der Glaube soll ja bekanntlich Berge versetzen können. Ich wäre schon zufrieden, wenn ich glauben könnte, dass Sie endlich die Geröllhalden Ihres mentalen Widerstandes gegen notwendige Reformen im Hochschulsystem abräumen würden. Wir sollten zum Beispiel – um einen konkreten Vorschlag zu machen – die Vollkostenrechnung in der Forschung einführen und der DFG die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen, damit sie bei Drittmittelprojekten einen Overhead für die Grundausstattung finanzieren kann. Wir werden dazu einen entsprechenden Antrag vorlegen.

   Der nächste Punkt betrifft die Strategien. Wenn Forschung und Entwicklung zu Innovationen werden sollen, dann brauchen wir Strategien. Wir haben in diesem Haus bereits Strategien für die Biotechnologie, die Nanotechnologie und die Energieforschung vorgelegt. Chip- und Mikrosystemtechnik kurzerhand in Nanotechnik umzubenennen ist hingegen noch keine Strategie.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ohne Kerntechnik wird es auch in Deutschland nicht gehen, Frau Burchardt. Es dauert zehn Jahre, bis wir das aufgeholt haben, was wir zurzeit im Bereich der Kernforschung verpassen.

(Widerspruch bei der SPD)

Der Fadenriss ist sichtbar und Sie haben ihn zu verantworten.

(Beifall bei der CDU/CSU – Ulla Burchardt (SPD): Zentralstaatliches Planungswesen! Ist es das, was Sie im Kopf haben?)

   Die Ampel für die Grüne Gentechnik steht auf Dauerrot. Während die Gesamtanbaufläche im vergangenen Jahr weltweit um 20 Prozent auf rund 81 Millionen Hektar gestiegen ist – das wurde zu Beginn des Jahres vermeldet –, versinkt bei uns die Grüne Gentechnik im politischen Treibsand von Rot-Grün.

   Der DFG-Präsident Winnacker hat in seiner Neujahrsansprache sein Augenmerk auf das Gentechnikgesetz gerichtet. Er hat deutlich gemacht, dass junge Wissenschaftler im Ausland die Entwicklung hier sehr genau beobachten und sich Gedanken darüber machen, ob sie nach Deutschland zurückkehren sollen. Diese jungen Wissenschaftler verstehen Wissenschaft nämlich als Einheit und sehen in einer solchen in der Tat sehr spezifischen Entscheidung eine Gefahr für das Ganze. So werden wir die Köpfe für den Innovationsstandort Deutschland nicht zurückholen.

   Frau Bulmahn, die Impulskreise, Working Groups, Horizontpapiere und Pionieraktivitäten – dabei handelt es sich um das, was im Jahr der Technik 2004 herausgekommen ist – sind keine Innovationen. Wenn Sie uns schon nicht glauben, dann aber vielleicht dem alten Goethe, der gesagt hat: Die Macht soll handeln und nicht reden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegen Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Reiche, Sie haben in Ihrer bekannten polemischen Art ausgeführt, Deutschland versage unter Rot-Grün, die Wirtschaft, die Wissenschaft und andere Bereiche lägen am Boden. – Man kann das kaum noch hören und glauben.

(Jörg Tauss (SPD): Auswandern!)

   Wir haben mit der grünen Bundestagsfraktion – Frau Reiche, ich bitte Sie, zuzuhören –

(Werner Lensing (CDU/CSU): Das muss sich auch lohnen!)

in den Räumen von General Electric in Garching bei München einen Kongress durchgeführt. General Electric ist, wie Sie wissen, kein kleiner, sondern ein sehr großer Player im Weltkonzert der Wirtschaft. Für uns war es sehr erstaunlich, dass die Vorstände in ihren Vorträgen immer wieder gesagt haben: Wir haben unsere Entscheidung für dieses neue Forschungszentrum hier getroffen, weil Deutschland ein starker Wirtschaftsstandort ist, weil in Deutschland die Forschung besonders stark ist

(Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Bayern! – Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Kommen Sie nach München!)

und weil durch diese Regierung in Deutschland ganz neue Strategien und Wege aufgezeigt wurden. Deswegen, Frau Reiche, haben wir einen Kongress zur Forschung im Energiebereich mit dem Schwerpunkt erneuerbare Energien durchgeführt.

   Wenn Sie von Strategien in der Energieforschung reden, dann meinen Sie – wir kennen das bereits – immer nur Kernfusion und Kernenergie. Das haben Sie auch hier wieder bestätigt. Es sollte Ihnen aber klar sein, dass General Electric gerade deshalb nach Deutschland gekommen ist, weil hier eine andere Energiepolitik betrieben wird. Wir beharren eben nicht mehr auf den alten, überkommenen Strategien, die Sie für richtig halten und die seit 50 Jahren gescheitert sind. General Electric hat gemeinsam mit der rot-grünen Bundesregierung und anderen den Blick nach vorne gerichtet – ganz im Gegensatz zu Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Dieser neue Weg nicht nur in der Energiepolitik, sondern auch in vielen anderen Fragen wird zeigen, dass wir eine wesentlich bessere Forschungspolitik betreiben, als Sie es darstellen.

   Übrigens enthält der Bundesbericht Forschung 2004, der der heutigen Debatte zugrunde liegt, eine riesige Menge an Daten und Fakten betreffend Bund und Länder, die eigentlich diese Tendenzen – im Gegensatz zu Ihren Äußerungen – aufzeigen.

   Ich will Ihnen zugestehen, dass Ihr Antrag auf Verbesserung des Berichtswesens irgendwo Sinn macht; denn es ist sinnvoll – deshalb werden wir ja das Berichtswesen verändern und umstellen –, beispielsweise die entsprechenden Daten auf die Wirkung der eingesetzten Mittel in den verschiedenen Bereichen hin zu analysieren. In diesem Zusammenhang komme ich auf das Beispiel Energie zurück. Es muss doch einmal analysiert werden, dass wir 50 Jahre lang für Kernenergie und Kernfusion in erheblichem Umfang Gelder ausgegeben haben, die praktisch wirkungslos geblieben sind. Mit der Kernfusion wird bis heute keine Kilowattstunde Strom erzeugt. Das wird auch in den nächsten 50 Jahren so sein.

(Michael Kretschmer (CDU/CSU): Wer sagt das denn?)

– Das sagen uns alle Wissenschaftler. Gehen Sie doch einmal zum IPP in Garching! Dort wird man Ihnen das bestätigen.

   Sie beharren aber auf Ihrem Standpunkt und wollen weiter Gelder für Kernenergie und Kernfusion ausgeben. Wo bleibt denn die Effizienz der dafür ausgegebenen Gelder? Es ist richtig, dass wir das Berichtswesen genau analysieren müssen, um herauszufinden, ob die Gelder effizient eingesetzt werden. Dann werden viele Ihrer Vorstellungen sicherlich in einem ganz anderen Licht erscheinen.

   Es ehrt Sie ja, dass Sie die Daten und das Berichtswesen so hoch halten; denn aus dem Bundesbericht Forschung 2004 geht ganz klar hervor, dass wir den Anteil von Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt von 2,3 auf 2,5 Prozent im Jahre 2002 angehoben haben. Im Vergleich zu Ihrer alten Regierungspolitik hat es also unter Rot-Grün eine Steigerung, eine Verbesserung gegeben. Es ist gut, dass Sie immer wieder darauf beharren, dass diese Ergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

   Wir wollen mehr Geld für die Forschung bereitstellen.

(Michael Kretschmer (CDU/CSU): Dann tun Sie es doch einfach!)

Wir wissen ebenfalls, wie wir das finanzieren wollen. Beispielsweise wollen wir die Eigenheimzulage, die sehr wenig effektiv und kaum zukunftsfördernd ist, abbauen. Wir warten nun gespannt ab, was der Vermittlungsausschuss tun wird. Auf dem Papier sitzen dort lauter Leute, denen bereits seit 1956 die Bedeutung von Forschung und Innovationen klar ist und denen die Förderung dieser Bereiche am Herzen liegt. Wir sind gespannt, was bei den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss herauskommt, ob es endlich einen Durchbruch für mehr Geld für Bildung und Forschung gibt, so wie Sie es verlangen. Wir erwarten, dass Sie hier mitmachen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

   Wir brauchen nicht nur mehr Geld für die Forschung, sondern auch eine bessere Forschung für die öffentlichen Gelder. Deswegen sehen wir sowohl in der Stärkung von Grundprinzipien wie dem der Nachhaltigkeit in der Forschung – Frau Burchardt hat hierzu vieles ausgeführt – als auch in neuen Rahmenkonzepten – als Beispiel nenne ich nur die in der Nanotechnologie eroberten Märkte – wichtige Schwerpunkte. Ich möchte hier nicht auf alle Felder eingehen, sondern nur die Biotechnologie als Beispiel nennen. Es gibt sicherlich sehr viele Bereiche – ob es der Gesundheits-, der Energie-, der Ernährungsbereich oder die Stoffwirtschaft ist –, in denen es Probleme gibt, die wir dringend lösen müssen. Aber wir werden uns nicht wie Sie von der Union auf einen winzigen Bereich der Biotechnologie, die Gentechnologie, beschränken, sondern wir werden das weite Feld der Biotechnologie beispielsweise für die Entwicklung neuer Kraftstoffe und neuer Chemieprodukte aus nachwachsenden Rohstoffen nutzen. Uns ist Ihr Biotechnologiebegriff viel zu verengt. Genau deswegen schadet er einem weiteren Vorangehen in der Biotechnologie.

   Ein weiteres wichtiges Anliegen sind für uns notwendige Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die Umsetzung von Forschungsergebnissen in unternehmerisches Handeln, was ebenfalls einigen Anträgen zur heutigen Debatte zugrunde liegt. Ich nenne nur den Hightech-Masterplan der Bundesregierung, die Gründungsinitiative sowie den Pakt für Forschung und Innovation.

   Ich möchte außerdem darauf hinweisen, dass wir einen Dachfonds für Venturecapital eingeführt haben. Dieser Dachfonds beginnt seine Wirkung zu entfalten. Die ersten Fonds sind geschlossen. Wir werden darauf achten, dass dieser Dachfonds in Zukunft auch zur Förderung neuer Technologien im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe genutzt werden kann.

   Ich glaube, dass wir angesichts des Aufwuchses der Mittel auf einem guten Weg sind, das Ziel zu erreichen, dass der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt insgesamt bei 3 Prozent liegt. Wir werden unsere gemeinsamen Anstrengungen dafür verstärken. Dies wird die Attraktivität des Standortes Deutschland weiter verbessern. Vielleicht gibt es dann noch mehr große Firmen, die zu uns kommen, weil Deutschland ein starker Wirtschafts- und Forschungsstandort ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Ulrike Flach, FDPFraktion.

Ulrike Flach (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Geist Albert Einsteins weht hier sozusagen durch den Raum. Liebe Frau Reiche, ich glaube, nicht nur der Bundeskanzler ist nicht so ganz in der Lage, die Relativitätstheorie wirklich nachzuvollziehen, sondern auch viele andere hier. Einstein hat eines gesagt, was auch wir alle verstehen können: Masse verschwindet nicht, sondern sie wandelt sich in Energie um. Liebe Frau Bulmahn, ich bin der Meinung, dass Sie diese Theorie für sich offensichtlich ganz neu entwickelt haben. Die Entwicklung in Deutschland sieht folgendermaßen aus: Die Masse der Investitionen in Forschung und Entwicklung verschwindet; aber die entfaltete Energie, die Dynamik, die wir alle für dieses Land erhoffen – darüber diskutieren wir hier immer wieder –, ist relativ gering.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Deutschland kommt auch 2005 dem Ziel, 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Investitionen in Forschung und Entwicklung fließen zu lassen, nicht näher. Der Aufwuchs von Mitteln im Forschungshaushalt wird durch den Abbau bildungs- und forschungsrelevanter Bereiche in den Haushalten vieler anderer Ministerien relativiert. Als besonders schlechtes Beispiel nenne ich den Verteidigungshaushalt, der im Forschungsbereich um 50 Millionen Euro gekürzt wird, und das in einer Zeit, in der alle mit uns konkurrierenden Länder die Mittel in genau diesem Bereich hochfahren.

   Der beste Kronzeuge für die Absenkung der Mittel ist übrigens das Bundesfinanzministerium: Es bestätigt, dass die Gesamtausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung von 11,6 Milliarden Euro auf 11,3 Milliarden Euro in 2005 sinken. Das ist, was die Forschungsmittel angeht, kein Aufschwung, sondern das sind ganz eindeutig 300 Millionen Euro weniger. Das sollte man im EinsteinJahr verstehen und auch so werten.

(Beifall bei der FDP)

   Auch der Aufwuchs im Etat von Frau Bulmahn ist nicht sicher. Frau Reiche hat schon eben auf die Eigenheimzulage verwiesen. Ich glaube nicht, dass wir erleben werden, dass das entsprechende Vorhaben so umgesetzt wird. Die globale Minderausgabe könnte noch größer werden. Es ist für uns nicht zufriedenstellend, wie die 500 Millionen Euro für die Flutopfer finanziert werden. Wir wollen natürlich wissen, wo das im Etat auftaucht.

(René Röspel (SPD): Vorschläge!)

   Hinzu kommen die unterschiedlichsten Blockaden. Darüber haben wir schon gestern im Ausschuss diskutiert. Ihr Programm zur Förderung von Exzellenz an Hochschulen, das die FDP immer ausdrücklich unterstützt hat, wird von den unionsregierten Ländern deutlich und sichtbar blockiert. Wir haben noch immer keinen Ansatz für ein modernes Wissenschaftstarifvertragsrecht. In diesem Fall wird sowohl von SPD- als auch von CDU-geführten Ländern blockiert. Den sinnvollen Ansätzen bei Bio- und Nanotechnologie im BMBF stehen Blockaden des Koalitionspartners, von Teilen der SPD und natürlich auch von Teilen der CDU gegenüber.

   In der Energieforschung haben Sie sich von den Grünen zu dem Kurs eines überteuerten, übersubventionierten Energieerzeugungssystems verleiten lassen. Liebe Frau Burchardt, Staatsinterventionismus mit Windmühlen ist das ganz bestimmt.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Ja!)

   Der Chemiestandort wird durch die Chemikalienrichtlinie aus Brüssel schwer belastet. Denken Sie an die Gesundheitsreform! Gerade in dieser Woche hören wir: Der Kanzler spricht wieder mit den Vertretern der Pharmaindustrie. Sie bitten händeringend darum, dass forschungsintensive Produkte endlich so bezahlt werden, wie sie bezahlt werden müssten. Denken Sie an den Hightech-Masterplan! Lieber Herr Fell, im Dezember haben sie ihn endlich notdürftig „zum Rumpeln gebracht“. Ich hoffe für Sie alle, dass er voll und ganz umgesetzt wird. Der Streit in der Bundestaatskommission über die Zuständigkeiten in Bildungs- und Forschungspolitik zwischen Bund und Ländern ist eine Blockade, die uns alle hier massiv tangiert.

   Ich glaube nicht, dass irgendein Mensch hier in Deutschland Verständnis dafür hat, was wir uns auf diesem Gebiet zurzeit leisten.

(Jörg Tauss (SPD): Nicht wir, die da auf der Bundesratsbank!)

Wir, die Bundesregierung und die Landesregierungen – sie sind wieder einmal nur spärlich anwesend – blockieren uns gegenseitig auf den wichtigsten Feldern, und das in einem Jahr, das wir zum Jahr der Innovationen machen möchten. So wird das nicht funktionieren, Frau Bulmahn.

   Da die Zeit der FDP leider immer sehr kurz bemessen ist,

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Zeit der FDP läuft ab!)

möchte ich nur noch Folgendes sagen: Liebe Frau Bulmahn, Herr Wowereit hat gestern gesagt, man sollte jetzt an den Verhandlungstisch zurückkehren. Deshalb will ich an dieser Stelle einmal einen ganz deutlichen Appell an die Ministerpräsidenten richten. Dieses Land wird sich in Bildung und Forschung nur dann weiterentwickeln, wenn die Ministerpräsidenten endlich aufhören, politisch zu taktieren, und wenn sie die Kompetenz wieder an die Fachminister zurückgeben. Dann werden wir in der Lage sein, eine Lösung für dieses Land zu finden, damit endlich alle gemeinsam einen Schritt nach vorn gehen können und wir die Bürger nicht weiter mit Diskussionen über Sachen langweilen, die in anderen Ländern längst entschieden sind.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) – Jörg Tauss (SPD): Da hat sie Recht!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegin Andrea Wicklein, SPD-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Andrea Wicklein (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist das richtige Signal, „Forschung und Innovation“ heute, in der ersten Plenarwoche des neuen Jahres, zu diskutieren. Wir wissen, dass Forschung und Innovation die zentralen Handlungsfelder für Wohlstand, für Arbeitsplätze, für soziale Sicherheit und für nachhaltige Entwicklung sind, nicht nur für Deutschland, sondern für Europa insgesamt. Deshalb werden wir den erfolgreichen Weg der rot-grünen Regierungskoalition fortsetzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Es ist an dieser Stelle ganz wichtig, dass wir uns noch einmal an etwas erinnern, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Unter der Regierung Kohl wurde der Forschungsetat bis 1998 dramatisch abgebaut. Der staatliche Finanzierungsanteil bei Forschung und Entwicklung sank pro Jahr um 1,2 Prozent. Deutschland rutschte im internationalen Vergleich von Platz drei auf Platz neun ab – mit negativen Folgen für den Standort Deutschland und für unsere Gesellschaft, Folgen, die die Regierung unter Bundeskanzler Schröder nun Schritt für Schritt, auch durch die Umsetzung der Agenda 2010, in den Griff bekommt.

   Ich freue mich darüber, dass die vorliegenden Anträge der Opposition zeigen: Union und FDP unterstützen heute mit ihren Forderungen nach mehr Innovation in weiten Teilen die Politik der Regierungskoalition. Im Prinzip fordern sie jetzt zum Teil das, was Rot-Grün schon seit dem Regierungsantritt 1998 verwirklicht. Seitdem sind die Ausgaben des Bundes für Bildung und Forschung um mehr als 2,7 Milliarden Euro auf jetzt rund 10 Milliarden Euro gestiegen.

(Katherina Reiche (CDU/CSU): Sie sind gesunken!)

Das ist eine Steigerung um fast 40 Prozent gegenüber 1998.

   Bei den Spitzentechnologien verzeichnet Deutschland einen Exportüberschuss von 132 Milliarden Euro. Bei den forschungsintensiven Gütern liegt Deutschland mit einem Weltmarktanteil von 14,9 Prozent nach den USA weltweit auf Platz zwei. Mit 127 weltmarktrelevanten Patenten je 1 Million Einwohner liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf Platz zwei hinter Japan. Wir konnten erreichen, dass sich 72 Prozent mehr junge Menschen für ein Studium der Naturwissenschaften und Technik entscheiden als noch 1998. Rund 35 Prozent sind es bei den Ingenieurwissenschaften. Das kommt nicht von ungefähr.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist eine Bilanz, die eindeutig zeigt: Die Prioritätensetzung der rot-grünen Regierungskoalition auf Bildung und Forschung trägt Früchte.

   Ein Aspekt ist für mich besonders wichtig. Er ist in den letzten Jahren zum Markenzeichen rot-grüner Politik geworden und spiegelt einen Politikstil wider, der von Teilen der Opposition, wie wir auch gerade wieder hören mussten, kritisiert wird, weil Sie von der Opposition offensichtlich nicht verstanden haben, worum es dabei geht. Der Bundesregierung ist es gemeinsam mit vielen Partnern gelungen, einen breiten Dialog von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zu initiieren. Hervorzuheben ist dabei vor allem die Initiative „Wissenschaft im Dialog“, die von allen großen Forschungsorganisationen, dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung getragen wird. Seit 2000 wird in jedem Jahr ein bestimmtes Wissenschaftsgebiet in den Fokus der breiten Öffentlichkeit gerückt und damit werden Verständnis, Neugier und Begeisterung für Wissenschaft und Forschung geweckt. Deshalb ist es völlig absurd, wenn Frau Reiche, wie jüngst und auch heute wieder hier im Bundestag, die über 1 100 erfolgreichen Veranstaltungen mit mehr als 1 Million Besuchern im Jahr der Technik 2004 als Rummel oder die Eröffnungsveranstaltung, die sehr erfolgreich war, als Show bezeichnet.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg Tauss (SPD): Das ist unglaublich! – Siegfried Scheffler (SPD): Bei Frau Reiche ist sowieso alles relativ!)

Mit dem Einstein-Jahr 2005 werden wir diese Erfolgsgeschichte weiterschreiben.

(Katherina Reiche (CDU/CSU): Mit noch mehr Shows!)

Ich finde es geradezu phänomenal, dass sich deutschlandweit etwa 20 000 Schulen an diesem Projekt beteiligen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade die jüngsten wissenschaftlichen Fortschritte im Bereich der Biomedizin, der Genomforschung und der grünen Gentechnik machen deutlich, dass nur die Wissenschaft Unterstützung und Akzeptanz findet, die die Erwartungen und die Kritik der Menschen aufnimmt und entsprechend berücksichtigt. Gerade da sehe ich gravierende Unterschiede zwischen den Auffassungen von Regierung und Opposition.

   Ein Beispiel, das heute schon des Öfteren genannt wurde, ist die Energieforschung. Sie verlangen die Rücknahme der Entscheidung für den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie, obwohl es einen breiten gesellschaftlichen Konsens für diesen Ausstieg gibt. Ich frage Sie: Haben Sie Lösungen für die Aufbereitung und Endlagerung? Was passiert 2035, wenn die Uranvorkommen zur Neige gehen? Sind die vereinbarten Restlaufzeiten nicht vernünftige Kompromisse zwischen Sicherheit, Ökologie und Wirtschaftlichkeit?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Auch bei der Kernfusion haben die immensen finanziellen Aufwendungen immer noch nicht zu einer nutzbaren Anwendung geführt. Nach Ansicht führender Forscher wird die Kernfusion auch in den nächsten 50 Jahren keinen entscheidenden Beitrag zur Energieversorgung leisten können. Die Fusion bleibt zwar auch für uns ein wichtiges Feld für die Grundlagenforschung, aber es ist doch sinnvoll – das wird auch von der Bevölkerung so gesehen –, die staatlichen Forschungsmittel im Energiebereich schwerpunktmäßig für erneuerbare Energien, Energieeinsparung und Energieeffizienz einzusetzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ein weiteres Beispiel ist die Grüne Gentechnik. Sie fordern die Rücknahme der gesetzlichen Regelungen zur Grünen Gentechnik, obwohl 87 Prozent der Bevölkerung gentechnisch veränderte Nahrungsmittel ablehnen. Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Das Gentechnikgesetz enthält deshalb wichtige Rahmenbedingungen, um die Sicherheit der Verbraucher zu gewährleisten, und trägt dazu bei, Vertrauen und Akzeptanz zu erhöhen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Vertrauen und Akzeptanz der Menschen gegenüber der Wissenschaft – das sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die auch die Forscherinnen und Forscher brauchen. Wir brauchen ein Klima in der Gesellschaft, das Fortschritt unterstützt und dazu führt, dass wissenschaftliche Ergebnisse schneller in absatzfähige Produkte überführt werden.

(Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Sagen Sie das mal Herrn Fell!)

   Ich freue mich, dass auch EU-Forschungskommissar Potocnik die Wissenschaft und die Forschung auf die Marktplätze holen will.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit einem breiten Angebot an Partizipationsmöglichkeiten ist es uns gelungen, die noch vorhandenen Elfenbeintürme der Wissenschaft zu öffnen und mehr und mehr vor allem junge Menschen zu begeistern und auf diesem Weg mitzunehmen.

   Mit dem Beschluss von Lissabon im Jahre 2000 haben die EU-Mitgliedstaaten das ehrgeizige Ziel beschlossen, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis zum Jahr 2010 auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Natürlich ist auch hier ganz klar die Wirtschaft gefragt.

(Michael Kretschmer (CDU/CSU): Die Wirtschaft erhöht ihren Anteil!)

Wir wissen, dass bis dahin noch ein steiniger Weg vor uns liegt. Unser Ziel ist es, dem Einzelnen die Chance auf Teilhabe zu bieten, auf ein Leben in einer lebenswerten Umwelt, verbunden mit einem hohen Maß an sozialer Sicherheit. Wir werden alles daransetzen, dieses Ziel zu erreichen. Forschung und Wissenschaft werden von Menschen für Menschen gemacht. Gut gebildete Menschen sind die wichtigste Ressource, um das Morgen zu gestalten.

Ein guter Forschungsstandort braucht Investitionen in die Köpfe und das kostet Geld. Damit bin ich beim Punkt Finanzen, bei der Abschaffung der Eigenheimzulage, die dem Bund, den Ländern und den Kommunen bis 2012 fast 6 Milliarden Euro bringen würde. Sie beharren auf der Eigenheimzulage; wir dagegen wollen die Mittel in die Zukunftsförderung investieren. Sicher ist die Abschaffung der Eigenheimzulage hart für diejenigen, die heute diese staatliche Förderung brauchen; aber wir müssen uns entscheiden. Mit mehr Bildung verbessern sich zukünftig für viele Menschen die Aussichten, ihr Heim mit ihren eigenen Mitteln, mit ihrem eigenen Einkommen zu finanzieren. Die Politik muss sich entscheiden, ob sie Fische verschenken will oder Angeln.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns allen muss klar sein, dass unser Land nur über Investitionen in Ideen, in Wissen und Kompetenzen im globalen Wettbewerb bestehen kann. Wir setzen dabei auf die Hebelwirkung unserer Maßnahmen in Bildung und Ausbildung, in Wissenschaft und Forschung. Dazu bedarf es einer besseren Zusammenarbeit von Bund und Ländern. Daran ändert auch der vorläufige Ausgang der Föderalismusdebatte nichts. Bund und Länder müssen gemeinsam einen Weg in die Zukunft finden, damit es nicht zu einem Stillstand in der Bildungs- und Forschungspolitik kommt. Wir sind offen für Gespräche.

   Wir richten die Bildungs- und Forschungspolitik am Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung aus und setzen uns dafür auch auf europäischer Ebene innerhalb des 7. Forschungsrahmenprogramms ein. Nachhaltigkeit ist das Lösungsmodell, um die globalen Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Die Zukunft für Deutschland hat schon begonnen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Michael Kretschmer, CDU/CSU-Fraktion.

Michael Kretschmer (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle vier Jahre kommt der Bundesforschungsbericht heraus und gibt eine Bestandsaufnahme der Forschungsförderung in Deutschland. Von Mal zu Mal wird er dicker. Mit rund 800 Seiten ist das aktuelle Werk im Vergleich zum vorherigen Bericht noch einmal um 200 Seiten angeschwollen. Die Frage ist allerdings: Hält der Inhalt, was die Optik verspricht? Schon Georg Christoph Lichtenberg meinte, bei manchem Werk möchte man lieber lesen, was weggestrichen wurde, als das, was man hat stehen gelassen. So verhält es sich auch hier.

   Wir vermissen zum Beispiel einen Hinweis auf die soeben angesprochene Lissabon-Strategie, immerhin ein Schwergewicht der europäischen und nationalen Forschungsförderung, die Ihr Kanzler durch seine Unterschrift mit angestoßen hat. Die Halbzeitbilanz der Lissabon-Strategie ist für die Bundesregierung sehr unschmeichelhaft ausgefallen. Die Sachverständigen kamen zu dem Schluss, dass sich die Fortschritte viel zu langsam einstellen und dass es am entschlossenen politischen Handeln fehlt. Asien und Nordamerika haben es geschafft, auch unter schwierigen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen den Abstand zu Europa zu vergrößern. 74 Prozent der 300 führenden IT-Unternehmen und 46 Prozent der Top 300 bezüglich Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind mittlerweile in den Vereinigten Staaten von Amerika ansässig.

   Und Deutschland? Als größte Volkswirtschaft in der Europäischen Union hätte die Bundesregierung im Sinne der Lissabon-Strategie erheblich größere Anstrengungen unternehmen müssen. Mit Mühe haben Sie es geschafft, Herrn Eichel wenigstens einen geringen Aufwuchs Ihres Haushalts abzuringen. Dafür, Frau Bulmahn, verdienen Sie zunächst einmal Respekt. Wir wissen aber auch: Dieser Aufwuchs existiert nur virtuell. Die Erhöhungen verpuffen durch Sparpakete und globale Minderausgaben.

(Ulrike Flach (FDP): So ist es!)

   Darüber hinaus schadet es Deutschland, dass Sie andauernd versuchen, Frau Minister, das BMBF von einem Innovationsministerium zu einer Schulbehörde umzufunktionieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hören Sie endlich auf, zweifelhafte Bildungsprojekte zu initiieren, die maximal am Rande Ihrer Zuständigkeit liegen! Beenden Sie die Geisterfahrt, die Sie ständig auf Kollisionskurs mit den Ländern bringt!

(Jörg Tauss (SPD): Konkret! – Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Was meinen Sie denn damit?)

Forschung, Innovation und Hochschulbau sind Ihre Baustellen. Die brauchen dringend mehr Aufmerksamkeit vonseiten des Bundesforschungsministeriums.

(Beifall bei der CDU/CSU – Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Den Hochschulbau wollen doch die Länder alleine machen! – Jörg Tauss (SPD): Den Hochschulbau wollt ihr doch!)

   Deutschland ist durch seine Wachstumsschwäche maßgeblich verantwortlich dafür, dass auch die Europäische Union insgesamt nur ein geringes Wachstum aufzuweisen hat. Das hat natürlich Auswirkungen auf das Lissabon-Ziel.

   Besonders schlimm ist aber, dass die Bundesregierung und vor allem ihr grüner Teil Zukunftstechnologien mit großem Wachstumspotenzial behindert. Nehmen Sie nur die Grüne Gentechnologie. Hier hat die Bundesregierung die Gesetzeslage zum Nachteil unserer Forscher und Anwender erheblich verschärft. Mit der Einführung der verschuldensunabhängigen Haftung ohne Haftungsobergrenzen haben Sie die Hürden unerträglich hoch gesetzt und die Stimmung in unserem Land für diese Zukunftstechnologie vergiftet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Statt die Chancen zu sehen und den Menschen Mut zu machen, konstruieren Sie Risiken und sorgen für Skepsis gegenüber dieser neuen Zukunftstechnologie. Mit Ihrem Gesetz haben Sie die Anwendung der Grünen Gentechnik faktisch ausgeschlossen. Sie haben so willentlich die Chancen engagierter Wissenschaftler zerstört. Sollen doch die Pflanzen von morgen wachsen und gedeihen, wo sie wollen: Hauptsache nicht bei uns in Deutschland.

   Die Folgen sind klar. Um mit Ihren Worten, Frau Minister, zu sprechen: Wenn ich heute schon das Morgen denke, dann sehe ich eine Forschung, die ins Ausland abgewandert ist, und mit ihr das Wissen und die guten Ideen, die in der Vergangenheit aus Ihrem Etat finanziert worden sind. Warum haben wir überhaupt seit 1998 über 100 Millionen Euro in die Pflanzenbiotechnologie investiert? Wir haben diese Förderung begrüßt und haben sogar mehr Geld gefordert. Dabei hatten wir aber die Erwartung, dass die Förderung der Forschung auch zur Anwendung in Deutschland führt, wodurch Arbeitsplätze geschaffen werden können, die wir so dringend brauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Es ist eine Tatsache, dass seit dem Amtsantritt der rot-grünen Regierung über 1 Million Arbeitsplätze in diesem Land verloren gegangen sind. Von einem wirtschaftlichen Aufschwung kann ebenfalls keine Rede sein. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Jetzt machen Sie auch noch diese Zukunftstechnologien, in denen unsere Chance auf neue Arbeitsplätze liegt, kaputt.

   Ich will noch einige wenige Bemerkungen zu ITER, zur Kernfusion und Kerntechnologie machen. Was Sie sagen, ist einfach nicht richtig: Die USA, Japan und die Europäische Union setzen sich für die Kernfusion ein und streiten darum, wo der nächste Kernfusionsreaktor gebaut werden soll. Aber Deutschland, also das Land, in dem diese Technologie erfunden worden ist und das bei der Kernfusion führend ist, vollzieht derzeit einen Roll-back und steigt aus dieser Technologie aus.

(Ulla Burchardt (SPD): Im Wettbewerb wird sie sich nie durchsetzen, Herr Kretschmer!)

Die Wissenschaftler reiben sich verwundert die Augen, weil wir über diese Entwicklung so erstaunt sind. Sie betreiben den Abbau des wissenschaftlichen Potenzials. Das schadet dem Standort Deutschland ganz stark.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die genehmigten Versuchsfelder in Golm, in Pillnitz und in Quedlinburg – ich weiß nicht, ob die Frau Minister jemals dort gewesen ist – sind von Ökoterroristen zerstört worden. Dies zeigt, was passiert, wenn sich die Politik nicht hinter Zukunftstechnologien stellt, sondern mit ihren Gesetzen Stimmung gegen diese neuen Technologien macht. Wir brauchen ein klares Ja zur Biotechnologie und kein Hin und Her, das die Menschen verunsichert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Vor wenigen Tagen ist das Jahr der Innovation zu Ende gegangen. Der Laie staunt, weil er sich kaum noch an diesen Schwerpunkt erinnern kann, und der Experte ist enttäuscht, weil außer PR und Reden nichts wirklich Innovatives in diesem Jahr passiert ist. Nehmen Sie die Förderung der Gründungs- und Wachstumsfinanzierung. Sie beschreiben das Problem in Ihrem Forschungsbericht. Dort steht, dass gerade den F-und-E-intensiven Unternehmensgründungen Eigenkapital fehlt. Der Befund ist richtig; aber Sie handeln nicht.

   Nichts ist in diesem und im vergangenen Jahr passiert. Im Gegenteil: Sie haben eines der wichtigsten Programme, nämlich das Programm Futour, gestrichen, obwohl sein Fortbestand dringend notwendig gewesen wäre. Denn es war das letzte Programm, mit dem Forschungs- und Entwicklungsausgründungen aus Hochschulen gefördert wurden. Genau das ist Ihr Fehler: Entweder Sie erkennen das Problem, sind aber nicht fähig, es zu lösen, oder aber Sie dürfen mit Rücksicht auf den grünen Partner – wie bei der Grünen Gentechnik und der Kernfusion – die Probleme nicht angehen und lösen.

   Wir haben diese Denkblockaden nicht. Wir setzen uns für eine umfassende Reform unserer Forschungsförderung ein. Unsere Forscher sollen sich in Deutschland so wohl fühlen, dass sie gar nicht daran denken, dauerhaft das Land zu verlassen. Wir stellen uns damit auch dem Problem des Braindrain. Ich kann es nicht ertragen, wenn die Forschungsministerin und auch ihre Kollegen in der Fraktion die Augen vor diesem Problem verschließen und bestreiten, dass es eine Abwanderung von jungen Wissenschaftlern gibt. Tatsache ist doch: Die besten Wissenschaftler verlassen unser Land in Richtung Amerika. Wir müssen diesen Trend ganz schnell stoppen. Dazu müssen wir uns aber dem Problem stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg van Essen (FDP) – Ulla Burchardt (SPD): Es geht doch um Austausch!)

   Ein Lösungsansatz ist die Forschungsprämie. Frau Minister, anstatt einen Elitewettbewerb auszuloben – mittlerweile spricht man nicht mehr von Elite –, sondern von Spitzenuniversitäten –, der konträr zu den Interessen der Länder organisiert worden ist, wäre diese Prämie ein vernünftiger Ansatz gewesen.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Es gibt doch eine Vereinbarung mit den Ländern!)

Die Resonanz aus der Wissenschaft zeigt, dass wir damit auf einem richtigen Weg sind. Wir möchten Sie herzlich einladen, mit uns gemeinsam über eine Forschungsprämie und über einen Overhead-Bonus für eingeworbene Drittmittel der Universitäten und Hochschulen zu diskutieren. Wir glauben, dass die Vollkostenfinanzierung ein innovativer Ansatz ist. Dieser neue Ansatz der Finanzierung würde Ihrem Forschungsbericht deutlich mehr Klasse und der Forschung mehr Gewicht geben.

   Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Reinhard Loske, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich meine eigenen Argumente darstelle, eine kleine Replik auf die Dinge, die meine Vorredner angesprochen haben. Zunächst zu der Philippika von Frau Reiche, die sie wieder einmal abgelassen hat. Ich habe mir die Worte aufgeschrieben; es war von „kläglicher“ Forschungspolitik, von einem „Einbruch bei den Basisinnovationen“ und davon die Rede, dass Wissenschaftler abwandern.

(Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr gut! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Gut, dass Sie es notiert haben!)

Richtig ist, dass man Dinge nicht schönreden soll; man braucht eine realistische Problemanalyse.

(Michael Kretschmer (CDU/CSU): Dann fangen Sie einmal an!)

Aber ganz schlimm ist – das muss ich einmal sagen – die Art der Schwarzmalerei, die Sie hier betreiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wir haben in Deutschland in der Klima- und Geoforschung, der Bioforschung, der Biotechnologieforschung, in der Nanotechnologie, der Energie-, der Verkehrs- und der Materialforschung Institute von Weltrang. Es wundert mich in ganz besonderer Weise, dass Ihnen, Frau Reiche, als Abgeordnete aus Brandenburg nicht einfällt, dass wir im Bereich der Klima- und Geoforschung Institute von Weltrang haben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie reden alles schlecht. Das ist absolut unakzeptabel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Herr Kretschmer, ich kenne Sie zwar nicht persönlich; aber ich glaube, Sie kommen aus Sachsen. Es wäre schön gewesen, wenn Sie darauf hingewiesen hätten, dass wir mit dem Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle im Bereich der Umweltsanierung ein Institut von Weltrang haben. Auch dazu kein Wort! Sie können nur mies machen und schlechtreden. Das ist vollkommen unakzeptabel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ein weiterer Themenkreis betraf die Mitteldefizite. Wir alle sind uns einig: Wir brauchen mehr Geld für die Forschung; das ist gar keine Frage. Nur, ich muss darauf hinweisen, dass bei Ihnen eines nicht zusammenpasst: Sie blockieren die Abschaffung der Eigenheimzulage und den Pakt für Forschung und Innovation.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Sie blockieren das Exzellenzprogramm für die Hochschulen. Ich fordere Sie auf: Verlassen Sie den Pfad der Blockade bei der Eigenheimzulage! Nehmen Sie Einfluss auf die von Ihrer Partei regierten Länder und machen Sie den Weg frei für zusätzliche Mittel für die Forschung! Das ist ganz wichtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Jetzt zu Frau Flach. Auch da gibt es viel zu sagen; ich will nur zwei Punkte ansprechen. Frau Flach, Sie haben beklagt, dass Deutschland – ich habe es mir aufgeschrieben – die Mittel für die militärische Forschung nicht hinreichend aufstockt. Ich muss hier ganz klar festhalten: Wir haben kein Problem damit, dass wir die Mittel für die Forschung an Bio-, Chemie- und Nuklearwaffen nicht aufstocken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ich möchte an den viel zitierten Herrn Einstein erinnern, den wir alle zu Recht bewundern. Vielleicht können nicht mehr alle von uns die Relativitätstheorie rekonstruieren; das ist wohl wahr. Aber wir alle haben in Erinnerung, dass Einstein sich dafür eingesetzt hat, dass mit dem Wettrüsten Schluss sein muss, weil das die Menschheit ins Verderben führt. Auch dazu hätte ich gern ein Wort gehört.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Einstein steht für Wissenschaft in Verantwortung. Das ist genau unser Punkt.

(Abg. Ulrike Flach (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen. –

(Ulrike Flach (FDP): Das ist aber schade!)

   Das, Frau Flach, unterscheidet uns auch beim Thema Biowissenschaft. Nehmen Sie doch bitte endlich einmal zur Kenntnis, dass in diesem Hohen Hause insgesamt die Meinung vorherrscht, dass man bei der Diskussion über das Thema Biowissenschaften und Gentechnik auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Chancen auf der einen und ethischen Grenzen auf der anderen Seite zu achten hat. Sie sehen immer nur die eine Seite der Medaille. Das wollen die Menschen nicht. Das werden auch Sie merken und das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ulrike Flach (FDP): Wir wollen vorwärts!)

Eine reine technische Durchbrecherstrategie ist unakzeptabel.

   Herr Kretschmer – auch wenn Sie gerade telefonieren –, der Blödsinn, den Sie gerade erzählt haben, dass nämlich Ökoterroristen nachgerade durch die Politik aufgefordert würden, Felder zu zertrampeln,

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

ist wirklich Mist. Entschuldigung, dass ich das so sage!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wir haben ein Gesetz, mit dem wir Transparenz und die Einhaltung des Verursacherprinzips sicherstellen. Das ist der einzige Grund für dieses Gesetz. Dies ist voll und ganz angemessen und diese Einsicht wird sich über kurz oder lang durchsetzen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir wollen nicht, dass die Biotechnik auf einen Bereich reduziert wird. Auch dieser Bereich soll zwar seine Chance haben; das ist gar keine Frage.

(Ulrike Flach (FDP): Wo denn?)

Aber auch für viele andere Bereiche, ob es die Biokatalyse, die Bionik oder der Biolandbau ist, brauchen wir Forschungsmittel. Es kann nicht alles auf eine Karte gesetzt werden, wie Sie das wollen. Das geht nicht. Das machen wir nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Der letzte Punkt meiner Vorbemerkungen betrifft die Kerntechnik. Es ist ganz klar und offenkundig: Wir wollen einen anderen Weg. Im Zentrum unseres Weges in der Energiepolitik und Energieforschung stehen Einsparungen, mehr Effizienz und der Einsatz erneuerbarer Energien. Sie wollen auf den nuklearen Pfad zurück. Das ist ein klarer Unterschied und diesen Unterschied werden wir herausarbeiten, wenn es darum geht, dass die Menschen darüber abstimmen, welchen Weg sie wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Jetzt zu den Innovationsfeldern. Mir bleibt noch eine Redezeit von zwei Minuten; zwei Drittel meiner Redezeit habe ich schon verbraucht.

(Siegfried Scheffler (SPD): Das war aber notwendig!)

   Erstens. Im Bereich der Energie bestehen im Moment riesige Möglichkeiten. Das Fenster der Möglichkeiten wird sich in den nächsten zehn bis 15 Jahren öffnen, weil eine Kraftwerksleistung von 30 000 bis 40 000 Megawatt vom Netz gehen wird. Hier besteht ein Reinvestitionsbedarf von 30 Milliarden Euro. In dieses Fenster der Möglichkeiten müssen wir mit modernsten Technologien einsteigen. Das ist ganz wichtig.

   In diesem Bereich verfügen wir über exzellente Unternehmen und über exzellente Forschung. Dabei geht es nicht immer nur um jene großen Unternehmen, die hier beschworen werden, sondern auch um mittelgroße Unternehmen wie – wenn ich ausnahmsweise einmal einen Namen nennen darf – die Firma Vaillant in Nordrhein-Westfalen, die in der Brennstoffzellenforschung sehr innovativ ist. Diese Technologien sind klimaverträglich sowie exportfähig und wirtschaftlich. Dafür setzen wir uns ein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Zweitens zur Mobilität: Verliefe die Entwicklung in allen Ländern so, wie sie historisch bei uns verlaufen ist, stellte dies im Hinblick auf den Klimawandel ein riesiges Problem dar. Deswegen brauchen wir anspruchsvolle Verbrauchsstandards bei den Automobilen. Die Automobilindustrie täte gut daran, zur Kenntnis zu nehmen, dass zum Beispiel in China und bald auch in Kalifornien klare Verbrauchsstandards eingeführt werden. In Zukunft wird also auf diesen Märkten nur noch derjenige mitspielen können, der verbrauchsarme Autos anbietet. Dies müssen wir pushen, denn auf diesem Gebiet haben wir etwas anzubieten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Auch beim Dieselrußfilter ist ein mittelständischer Unternehmer aus Nordrhein-Westfalen führend. Ich nenne jetzt keinen Namen; wir haben ihm im letzten Jahr den Umweltpreis verliehen. Der Dieselrußfilter ist vorhanden. Die Partikelemissionen, die viele Menschen krank machen, können in unseren Städten deutlich – fast auf Null – reduziert werden. Diese Technologie ist schnell einzuführen; dies wollen wir.

   Ich hätte noch viel zur Materialforschung zu sagen, die ebenfalls viele Möglichkeiten aufweist, was die Ressourceneffizienz oder den Ersatz von energieintensiven chemischen Prozessen durch biologische Prozesse anbetrifft. Wir nennen dies Weiße Biotechnologie. Auch hier gibt es ein riesiges Feld der Möglichkeiten.

   Bei all dem dürfen wir – auch dies ist ganz wichtig – die Sozial- und Geisteswissenschaften nicht vergessen.

(Beifall der Abg. Ulla Burchardt (SPD) sowie der Abg. Andrea Wicklein (SPD))

Einseitig nur auf Technologie zu setzen und außen vor zu lassen, was dies für die Gesellschaft bedeutet, wäre falsch. Die Notwendigkeit der sozial- und geisteswissenschaftlichen Begleitforschung gilt insbesondere für den Bereich der Bio- und Nanotechnologie.

   Ich komme zum Schluss. Es geht nicht darum, die Situation schönzureden. Wir brauchen eine realistische Problemanalyse und wir können und müssen besser werden. Was wir aber wirklich nicht gebrauchen können, meine Damen und Herren von der Opposition, ist das Schlechtreden des Forschungsstandorts Deutschland. Dies entspricht auch nicht der Realität.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegen Hellmut Königshaus, FDP-Fraktion, das Wort.

Hellmut Königshaus (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bisherige Diskussion hat gezeigt, dass wir uns wieder einmal alle im Grundsatz einig sind, uns aber bei den konkreten Details Welten von der Koalition trennen. Der Forschungsbericht und die Redebeiträge, speziell der des Kollegen Loske, den wir gerade gehört haben, haben gezeigt, dass Sie ganz wesentliche Bereiche des Forschungsspektrums vernachlässigen und darauf auch noch stolz sind. Ich will dies nicht wiederholen; das ist alles schon erörtert worden.

   Herr Kollege Loske, nicht alles, was man Ihnen anlastet, wird dem Standort Deutschland angelastet. Wir haben eine schlechte Bundesregierung; aber damit ist der Standort Deutschland nicht schlecht. Bei einer anderen Regierung wäre er deutlich besser.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Hören Sie doch auf, alles in Ihren knallbunten Farben zu malen. Die Tatsache, dass Ihre Anträge von zweifelhafter Qualität sind, haben Sie damit belegt, dass Sie sich einbilden, in den Forschungsansätzen des Militärhaushalts seien nur Waffenforschungsmittel enthalten. Das ist so abstrus und dumm, dass man wirklich fast verzweifeln kann, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Fragen Sie doch den Kollegen Tauss. Er hätte längst einen Zwischenruf gemacht, wenn er nicht auch dies besser wüsste.

(Heiterkeit)

– Er ist wirklich nicht so primitiv, wie er manchmal wirkt. Er kann Ihnen zu diesen Themen Hervorragendes sagen.

(Heiterkeit – Zurufe von der SPD)

   Forschungspolitik taugt nur dann, wenn sie die richtigen Rahmenbedingungen setzt. Wo haben wir darüber etwas in Ihrem Bericht lesen können? Die Grundlagen für die Innovation, die Sie hier immer beschwören, müssten organisiert werden, damit wir nachhaltiges Wachstum, Strukturwandel und Arbeitsplätze schaffen können. Wo steht denn dies in Ihrem Bericht oder in Ihrem Antrag? Nirgendwo! Nichts war davon zu hören. Die Bundesregierung darf sich doch nicht von Ideologen und Kleinmütigen bedrängen lassen. Sie tut es aber.

   Auf immer mehr Gebieten werden wir forschungspolitisch isoliert. Das Ergebnis ist klar erkennbar: Das Defizit bei den Patenten und Erfindungen, aber auch bei Ingenieurleistungen wird immer größer; wir müssen sie weltweit einkaufen. Dies zeigt die Bilanz der technologischen Dienstleistungen in erschreckender Deutlichkeit. Der Negativsaldo beträgt 1,7 Milliarden Euro. Ich habe leider nicht so viel Zeit, Ihnen das im Detail zu erläutern.

(Ulla Burchardt (SPD): Wovon träumen Sie eigentlich nachts?)

– Stellen Sie doch eine Zwischenfrage.

   Wir bekommen von Ihnen keine Antworten auf die drängenden Fragen. Die Bundesregierung hat uns 800 Seiten Papier abgeliefert, aber keine Antwort gegeben. Das ist Ihr Bericht, Frau Ministerin.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Warum haben wir in Deutschland per Saldo eine so große Abwanderung von wissenschaftlichen Kräften? Sie fragen gar nicht, warum sie in die USA, nach Großbritannien und in die Schweiz gehen. Sie ignorieren die Motive der Abwanderung. Was mich besonders wundert, da Sie dieses Thema doch sonst immer in den Vordergrund stellen, ist, dass Sie nicht die erbärmlichen Bedingungen für junge Mütter im Wissenschaftsbereich aufgreifen. Nichts davon ist in Ihrem Bericht zu lesen. Nichts davon ist von Ihnen zu hören. Sie reden immer nur in Ihren Sonntagsreden darüber.

(Ulla Burchardt (SPD): Sie haben null Ahnung!)

– Wenn Sie eine Frage zu diesem Thema haben, dann stellen Sie doch eine Zwischenfrage.

   Meine Damen und Herren, mit Wirklichkeitsverweigerung, wie wir sie aus der Rede von Herrn Loske und Ihren Zwischenrufen heraushören können, ist dem Wissenschaftsstandort Deutschland nicht geholfen. Lassen Sie uns entschieden die Aufgaben im Bereich der Forschungs- und Technologieförderung angehen! Lassen Sie uns endlich die Zuständigkeiten bündeln und damit über die Ressortgrenze hinaus die Bundesregierung dazu drängen, sich insgesamt dafür verantwortlich zu fühlen. Bisher gibt es doch überall ideologische Vorbehalte, Kleinmütigkeit und im Übrigen auch Ressortegoismen.

   Verehrte Frau Bundesministerin, die Bundesregierung erschlägt uns und die Wissenschaft durch Ihren Bericht mit vielen Worten. Was uns aber fehlt, sind Taten und Mut. In diesem Kabinett könnten Sie doch wirklich der stärkste Mann sein, Frau Ministerin. Trauen Sie sich doch einmal etwas!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss (SPD): Sie ist die stärkste Frau!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Bundesministerin Edelgard Bulmahn das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Wir starten das Jahr 2005 mit einer Debatte zur Innovation. Das ist gut und auch richtig. Gleichzeitig haben wir dieses Jahr mit einer großen Veranstaltung zum Gedenken an Einstein gestartet, da es ein Einstein-Jahr sein wird. Ich glaube, wir sollten in dieser Debatte deutlich machen, wofür Einstein steht. Er steht für Kreativität, Experimentierbereitschaft und Neugier. All das ist Voraussetzung für ein leistungsfähiges Forschungssystem und für die Innovationsfähigkeit unseres Wirtschaftssystems. Dies wiederum sind die beiden Eckpfeiler für Wirtschaftswachstum, die Schaffung zukunftssicherer Arbeitsplätze und für soziale Sicherheit.

   Der Bundesforschungsbericht 2004 enthält die ganz eindeutige Feststellung, dass Deutschland seit 1998 auf Innovationskurs ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Bundesregierung setzt klare Schwerpunkte; das wird im Bundesforschungsbericht deutlich herausgestellt. Wir bauen die Forschungsförderung in wichtigen Zukunftsbranchen aus. Entscheidend ist, dass unsere Politik auch Wirkung zeigt. Von daher wäre es gut, den Bundesforschungsbericht zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Der Bericht zeigt auf, dass Deutschland seine Position auf den internationalen Märkten verbessert hat. Mit einem Weltmarktanteil von 15,6 Prozent bei den forschungsintensiven Gütern in der Hoch- und Spitzentechnologie liegen wir weltweit hinter den USA auf Platz zwei. Auch bei den weltmarktrelevanten Patenten liegen wir auf Platz zwei. Nach dem Report des World Economic Forum liegen wir bei der Wertschöpfung in diesem Bereich sogar auf Platz eins. So sieht es in der Realität aus. Das heißt: Wir können uns sehen lassen.

   Wir sind vom Importeur der Lasertechnik in den 80er-Jahren inzwischen zum Weltmarktführer geworden.

(Ulrike Flach (FDP): Das haben wir ja auch eingeleitet!)

– Sicherlich, Frau Flach, ist es in der Forschung oft so, dass Erfolge nicht im ersten oder zweiten Jahr festgestellt werden können, sondern erst im dritten oder vierten oder auch erst im sechsten oder siebten Jahr. Was wir hier aber auf vielen Feldern erreicht haben, belegt ausdrücklich, dass wir ein forschungsstarker Standort sind. Ich werde nachher deutlich machen, dass wir auf die richtigen Forschungsfelder setzen: XXXXX

auf die Materialwissenschaften, auf die Biotechnologie, auf die Informations- und Kommunikationstechnologien, auf die Nanotechnologie und auch auf die Umwelttechnologie. Im Bereich der Nanotechnologie haben wir die Forschungsausgaben in den letzten Jahren erheblich gesteigert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das zeigt sich auch an den Erfolgen. In der Nanotechnologie sind wir weltweit führend. Das wissen Sie. Wenn Sie hier so tun, als wenn wir in diesem Bereich überhaupt keine Rolle spielten, ist das wirklich absurd.

(Ulrike Flach (FDP): Das habe ich doch nicht getan!)

Wir gehören auf dem Feld der Biotechnologie in Europa und auch weltweit zu den führenden Nationen; wir stehen in Europa an der Spitze, was die Zahl der neu gegründeten Unternehmen angeht. Wir haben das aufgeholt, was in den 80er- und teilweise in den 90er-Jahren durch die alte CDU/CSU-FDP-Bundesregierung verspielt worden war. Das ist die Realität.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrike Flach (FDP): Aber woher ist das denn gekommen?)

   Ich sage noch einmal ausdrücklich: Auch in der Nanotechnologie, die ja Wachstumstreiber für eine ganze Reihe wichtiger Industriebranchen ist, ist unser Land stark. Wir sind in diesem Bereich führend in der Forschung und wir haben durch unsere Strategie der Ausrichtung der Nanotechnologie auf die wirtschaftlich wichtigen Branchen, wie die Automobilbranche, die Optoelektronik, die Elektronikbranche und das Gesundheitswesen, genau die Verbindung zu den für unsere Volkswirtschaft wichtigen Bereichen hinbekommen. Ich muss fragen: Wo ist da eigentlich Ihre Strategie? Frau Reiche, Sie sagen immer: „Wir haben eine Strategie“ – dann erklären Sie sie doch einmal.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben kein einziges Wort über eine eigene Strategie gesagt.

(Katherina Reiche (CDU/CSU): Dann müssen Sie lesen!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Ja.

Ulrike Flach (FDP):

Frau Ministerin Bulmahn, stimmen Sie mit mir überein, dass das Wachstum der Biotechnologieunternehmen von einer Regierung begründet wurde, die nicht von Ihrer Partei gestellt wurde, dass vielmehr der Impetus durch eine Initiative erfolgte, die wir beide sehr gut kennen, nämlich Bio-Regio, und dass in den Jahren danach natürlich ein Aufwuchs stattfand, aber dass wir uns jetzt in einem Stadium befinden, in dem auch die Biotechnologieunternehmen selbst davon reden, dass es sich um eine Konsolidierungsphase handelt, dass wir also im Augenblick nicht davon reden können, dass in jedem Jahr auf diesem Gebiet zügig neue Arbeitsplätze geschaffen werden, dass wir es somit mit einer Stabilisierungsphase zu tun haben? Auch darauf können wir ja in der Zukunft stolz sein.

(Ulla Burchardt (SPD): Noch nie was von Strukturwandel gehört?)

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Ich stimme Ihnen nicht zu, Frau Flach, weil der Bio-Regio-Wettbewerb, der zweifelsohne unter der damaligen CDU/CDU-FDP-Regierung gestartet wurde und der ein wichtiger Ansatz

(Ulrike Flach (FDP): Also doch!)

war – er ist ja in der Innovationspolitik seit langem gefordert worden –, nicht zu dem Erfolg geführt hätte, wenn diese Bundesregierung ihn nicht weiterentwickelt hätte.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben ihn zum Beispiel über Biochance weiterentwickelt, weil der Bio-Regio-Wettbewerb keine speziellen Ansätze für die Förderung von Existenzgründungen und von Jungunternehmen beinhaltete.

(Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht!)

– Doch, was ich sagte, ist genau richtig. Er beinhaltete keine Komponenten für die Förderung von Nachwuchs.

   Darüber hinaus wäre es falsch gewesen, wenn man sich auf die Förderung von drei Regionen und einer kleinen Restförderung einer vierten Region beschränkt hätte. Wir hätten dann nicht die Entwicklung nehmen können, die wir genommen haben.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD))

Wir haben daher über die zusätzlichen Wettbewerbe wie Biochance, über die Wettbewerbe der Nachwuchswissenschaftler, aber auch über die weitere Förderung von Regionen, über die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen und schließlich durch den Start des Genomforschungsnetzes einen qualitativen Sprung hinbekommen. Das bedeutete eine deutliche Verbesserung und Stärkung der Entwicklung,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

die wir allein durch das Verharren beim bzw. die Finanzierung des Bio-Regio-Wettbewerbs nicht geschafft hätten.

   Ich stimme Ihnen im Übrigen auch nicht zu, wenn Sie sagen, dass in diesem Bereich Stagnation herrscht.

(Ulrike Flach (FDP): Aber es ist so!)

Vielmehr gibt es hier im Vergleich zu anderen Ländern auf der Welt eine sehr positive Entwicklung, weil die Zahl der Arbeitsplätze immer weiter wächst und weil immer wieder neue Unternehmen entstehen. Die Zahl der Unternehmen, die den Crash des New Market nicht nur überstanden haben, sondern die sich auch behauptet haben, ist ziemlich groß, wohingegen die Zahl der Unternehmen, die Pleite gegangen sind, tatsächlich viel kleiner ist, als es alle Experten erwartet haben. Sie ist sehr klein.

(Lachen bei Abgeordneten der FDP)

– Wenn ich das Gelächter da höre, möchte ich einfach nur sagen: Bei allen neuen Technologien ist es so, dass es nicht 100 Prozent der an den Start gegangenen Unternehmen schaffen werden. Wenn die Zahl der erfolgreichen Unternehmen größer ist als die der Pleite gegangenen – das ist bei der Biotechnologie der Fall –, dann ist das wirklich ein Erfolg. Daran zeigt sich, dass die Förderstrategie der Bundesregierung wirklich erfolgreich war.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Investitionen in Bildung und Forschung – das sind die Position und die Politik der Bundesregierung – sind die wirkungsvollste Strategie, um unser Land zukunftsfähig zu machen. Mit dem Haushalt 2005 haben wir ein klares Bekenntnis zu Bildung und Forschung abgegeben. Wir stellen insgesamt rund 10 Milliarden Euro zur Verfügung. Das, was wir hier trotz des Konsolidierungsdrucks, der auf dem Bundeshaushalt lastet, erreicht haben, ist ein historischer Höchststand.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Von vielen Rednern ist gesagt worden, dass Geld wichtig ist; das unterstreiche ich ausdrücklich. Ich sage ganz klar: Ich halte es für verantwortungslos, dass die Opposition – das gilt für die CDU/CSU – die Streichung der Eigenheimzulage, die ihre Funktion nicht mehr erfüllt, wie sie es noch vor wenigen Jahren getan hat, blockiert. Das führt dazu, dass uns die notwendigen finanziellen Ressourcen, die wir für Bildung und Forschung brauchen und die übrigens zu 60 Prozent den Ländern zukommen würden, in Zukunft nicht zur Verfügung stehen werden. Das ist Ihre Verantwortung. Das müssen Sie gegenüber den Schulen, den Hochschulen und den Forschungseinrichtungen rechtfertigen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir werden nicht lockerlassen und die wichtigen Strukturreformen, die wir in den vergangenen Jahren eingeleitet haben, weiterführen. Die Opposition hat sich ja nie getraut, diese Themen anzupacken. Wir haben zum Beispiel die wettbewerbliche Förderung erheblich ausgebaut. Als Beispiel nenne ich nur die Umstellung der Finanzierung der Helmholtz-Gemeinschaft. Im Forschungsausschuss wurde seit Ende der 80er-Jahre über die Notwendigkeit, dies zu tun, diskutiert. Ich selbst habe – wie viele andere, die hier sitzen – an diesen Diskussionen teilgenommen und es umgesetzt. Das ist der Unterschied zwischen denjenigen, die vor mir geredet haben, und denjenigen, die jetzt politische Verantwortung tragen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ulrike Flach (FDP): Aber mit unseren Stimmen, Frau Bulmahn!)

   Wir machen Ernst mit dem Abbau bürokratischer Hemmnisse. Wir haben den Forschungsorganisationen erheblich mehr Freiheiten übertragen. Inzwischen haben sie Globalhaushalte. Das ist genau der richtige Weg. Ich würde mir wünschen, dass diejenigen, die genau das vehement verlangen, dann auch ihre eigenen Ministerpräsidenten – das betrifft insbesondere die CDU-regierten Länder – auffordern, dies in ihrem Verantwortungsbereich zu tun;

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

denn die Hochschulen leiden nicht unter dem Bundesgesetz, sondern unter den restriktiven Landeshochschulgesetzen. Wer das völlig ignoriert, verkennt die Wirklichkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg Tauss (SPD): Das muss einmal gesagt werden!)

   Unsere geowissenschaftliche Forschung ist äußerst leistungsfähig; darauf ist bereits hingewiesen worden. Mit dem Konzept zum Aufbau eines Tsunami-Frühwarnsystems, das ich gestern in Kobe vorgestellt habe, hat insbesondere die Helmholtz-Gemeinschaft erneut ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Für uns als hoch entwickelte Industrienation ist es selbstverständlich, das Know-how und die Kompetenzen, die wir in diesem Bereich haben, anzubieten und einzusetzen, um Menschenleben zu retten und zu schützen.

   Die Initiative „Partner für Innovation“ ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die Bundesregierung das Klima für Innovationen in Deutschland spürbar verbessert. Gemeinsam mit Vertretern aus Wissenschaft und Wirtschaft schaffen wir den Rahmen für einen nachhaltigen Innovationsprozess, an dem die gesamte Gesellschaft beteiligt ist. Für die Zukunftssektoren Energie, Mobilität, Medien, Vernetzung und Gesundheit werden Pionieraktivitäten aufgezeigt und ganz konkrete Schritte formuliert, wie die vielen guten Ideen, die es in Deutschland gibt und die auch durch Forschungsförderung entstanden sind und sich entwickelt haben, schneller in marktfähige Produkte umgesetzt werden können.

   Um neue Forschungsergebnisse schneller in Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum umzusetzen, fördern wir gezielt den Wissenstransfer zwischen Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Unternehmen. Wir haben eine ganze Reihe von Programmen aufgelegt, mit denen wir genau dies unterstützen. Dabei handelt es sich teilweise um fachbezogene Programme und teilweise um breit angelegte Programme wie zum Beispiel das Programm „EXIST“, mit dem wir Ausgründungen aus Hochschulen generell unterstützen. Das tun wir aber auch innerhalb der Fachprogramme.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Daher ist es falsch, was vorhin gesagt wurde, nämlich dass das letzte Programm beendet worden sei.

(Jörg Tauss (SPD): Absolut falsch!)

   Das Bundeswirtschaftsministerium führt ebenfalls weiterhin Programme durch, um neue Unternehmen zu unterstützen; das ist auch richtig. Denn nur so bleibt eine Volkswirtschaft dynamisch und nur so können sich neue Unternehmen zu starken und wachsenden Unternehmen entwickeln.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Im Übrigen finde ich es erwähnenswert, dass gerade kleine und mittlere Unternehmen, die das Rückgrat unserer technologischen Leistungsfähigkeit bilden, unter dieser Bundesregierung verstärkt in die Netzwerke der Spitzenforschung eingebunden worden sind. Die Anzahl der geförderten kleinen und mittleren Unternehmen ist im Rahmen der Projektförderung des BMBF von 1998 bis 2003 um über 70 Prozent auf knapp 1 900 Unternehmen angewachsen. Auch das ist ein Erfolg der Politik dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Meine sehr geehrten Damen und Herren, Deutschlands Reichtum sind seine Menschen. Ihre Kompetenz, ihr Wissen und ihr Einsatz sind die Voraussetzungen für unseren leistungsstarken Forschungsstandort. Diesen Reichtum dürfen wir nicht aus der Hand geben. Deshalb ist es falsch, wenn hier ein Gegensatz zwischen Bildung und Forschung aufgebaut wird. Natürlich brauchen wir in unserem Land sehr gute Schulen. Dafür haben die Länder die Verantwortung. Die Bundesregierung unterstützt die Länder dabei mit dem Ganztagsschulprogramm. Natürlich brauchen wir – das ist jedenfalls unsere Auffassung – deutlich mehr sehr gut ausgebildete junge Menschen. Ich bin sehr stolz darauf, dass die Zahl der Studierenden unter dieser Bundesregierung wirklich deutlich gestiegen ist: auf jetzt fast 37 Prozent eines Jahrgangs.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulrike Flach (FDP): Was ist mit der der Absolventen?)

Das heißt, wir nähern uns massiv der Zielmarke von 40 Prozent eines Jahrgangs. Dieser Anteil lag bei unter 28 Prozent, als ich Bundesministerin wurde. Von daher kann die Opposition nicht behaupten, dass sie da während ihrer Regierungszeit etwas geschafft hat. Wir haben etwas geschafft und wir werden das auch fortsetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Es geht aber auch – ich sage das ausdrücklich – um die jungen Wissenschaftler. Auch hier ist die Realität völlig verzerrt dargestellt worden.

(Michael Kretschmer (CDU/CSU): Nein, sie ist genau richtig dargestellt worden!)

Mit mir hat eine Bundesministerin, hat eine Bundesregierung dieses zum ersten Mal überhaupt thematisiert; ich denke, das wird auch jeder anerkennen. Ich kann Ihnen zahlreiche junge Wissenschaftler nennen, die in den 80er- und in den 90er-Jahren in die USA gegangen sind, weil sie hier keine Karrieremöglichkeiten hatten. Inzwischen hat sich die Richtung gedreht. In der OECD-Studie wurde festgestellt, dass Deutschland inzwischen wieder zu den Gewinnern der so genannten Brain Circulation gehört.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es wäre gut, wenn Sie zur Kenntnis nehmen würden, dass das nicht von allein gekommen ist. Es hängt damit zusammen, dass wir neue Karrierewege eröffnet haben, dass wir attraktive Preise wie den Sofia-Kovalewskaja-Preis ausgelobt haben, dass wir das Ausländerrecht insgesamt verändert haben und dass wir gerade durch die Juniorprofessur einen wirklich attraktiven Karriereweg eröffnet haben.

   Deshalb meine eindringliche Bitte, mein Appell an die Opposition: Blockieren Sie nicht länger die notwendigen Weichenstellungen und die weiteren Schritte, die wir brauchen. Die Exzellenzinitiative ist entscheidend für die Weiterentwicklung unseres Hochschulsystems. Es ist falsch, wenn zwar die außeruniversitäre Forschung, auch durch die massive Förderung des Bundes, sehr gut ist – was für sich allein notwendig ist und woran uns gelegen sein muss –, die Universitäten aber zu den Verlierern werden. Die Bundesregierung hat die Finanzierung der Hochschulen deutlich verbessert, aber wir brauchen darüber hinaus die Exzellenzinitiative, die die CDU/CSU-Länder seit mehreren Monaten blockieren.

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Ministerin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Diese Initiative ist zum Spielball geworden. Das schadet den Universitäten. Geben Sie diese Blockade deshalb endlich auf! Nutzen Sie Ihren Einfluss auf Ihre Ministerpräsidenten

(Ulrike Flach (FDP): Aber Sie auch, Frau Bulmahn!)

und machen Sie ihnen deutlich, wie wichtig das für unser Land und unser Wissenschaftssystem ist!

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegen Heinz Riesenhuber, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss (SPD): Bitte mehrere Mikrofone aufstellen!)

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Bulmahn hat hier voller Begeisterung festgestellt, dass Deutschland seit 1998 auf Innovationskurs ist. Frau Wicklein, Sie haben hier ganz konkret über die Zahl der Hochschulabsolventen gesprochen. Wir freuen uns, dass die Zahl der Hochschulabsolventen zunimmt. Aber wir haben mit Vergnügen den Nachtrag zu dem Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands gelesen. Darin ist immer dieser wunderbare Stern abgebildet, den ich Ihnen hier zeige. Gelb ist dargestellt, wo wir Anfang der 90er-Jahre standen. Rot ist, wo wir jetzt stehen. Das heißt, unser Kompetenzkern schmilzt.

   Frau Wicklein, ich muss zugeben: Die Zahl der Hochschulabsolventen in den technischen Fächern hat zugenommen. Aber im Vergleich der betrachteten Länder – das sind die G 7 plus Schweiz, Schweden, Finnland, Niederlande und Südkorea – sind wir von Platz fünf auf Platz zehn zurückgefallen. Dies gilt auch für viele andere Bereiche: Unsere IuK-Ausgaben gehen zurück, bei den Bildungsausgaben rutschen wir von Platz fünf auf Platz acht, bei der Forschungsbeachtung – trotz Einstein-Jahr und Jahr der Innovation – von Platz vier auf Platz acht.

(Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In welchem Zeitraum?)

   Wir sind vielleicht schrittweise besser geworden, andere sind aber schneller besser geworden. Es kommt darauf an, dass wir im Wettbewerb die Nase vorn behalten. Das ist die entscheidende Frage.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulla Burchardt (SPD): Weil die 80er-Jahre verschlafen worden sind!)

– Nein, nein, Entschuldigung, wir sprechen hier von Anfang der 90er-Jahre und nicht von einem Vergleich der 80er-Jahre mit den 90er-Jahren. Wir waren damals besser, als Sie es heute sind. Verstehen Sie das?

(Ulla Burchardt (SPD): Nein! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)

   Das ist die Logik der Sache. – Die Lektüre der Berichte, die der Debatte zugrunde liegen, ist eine intellektuelle Herausforderung – ich weiß das –, sie hilft bei der rationalen Debatte aber enorm.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP – Ulla Burchardt (SPD): Sagen Sie das mal Ihrem Verein!)

   Herr Loske hat zu Recht gesagt, wir sollten die Situation nicht schlechtreden. Herr Loske, damit haben Sie natürlich Recht. Deshalb reden wir voller Begeisterung von der von uns geförderten glanzvollen Forschung der Grünen Gentechnik in Deutschland. Gleichzeitig weisen wir aber darauf hin, was mit den Gesetzen geschieht. Man kann mit den Händen aufbauen und mit dem Hintern umstoßen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn dies der Beschluss der Bundesregierung ist, dann muss das hingenommen werden.

   Sie reden voller Begeisterung von dem Geo-Forschungszentrum. Natürlich ist das ein großartiges Zentrum. Jetzt aber wird der Haushaltsansatz überwälzt und es gibt keinen Aufwuchs – nicht einmal entsprechend der Tarifsteigerung.

(Katherina Reiche (CDU/CSU): Ja, genau! – Ulrike Flach (FDP): So ist das!)

Sie sprechen hier mit Begeisterung von der Geoforschung. Seit wir sie mit dem Kontinentalen Tiefbohrprogramm hochgezogen haben, ist das eine glanzvolle Wissenschaft in Deutschland. Die Projektmittel sind aber von 83 Millionen Euro auf 78 Millionen Euro gesunken. Das ist die Realität.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Reden Sie nicht über den Glanz der Verhältnisse, sondern tun Sie etwas dafür, dass die Wirklichkeit so wird, wie sie sein soll!

   Wir können auch über die Maut reden. Ich finde es prima, dass das Mautsystem funktioniert. Ich bin glücklich und dankbar. Gleichzeitig könnten wir uns aber darüber auseinander setzen, ob die Bundesregierung nicht zunehmend lernen könnte, wie man mit PPP – Public Private Partnership – umgeht und dass man keine Verträge macht, in denen knappe Termine vereinbart werden und auf die entsprechende Haftung verzichtet wird.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

   Ich habe das, was der Debatte zugrunde liegt, nämlich den Bericht und die Beschlussempfehlung, mit Vergnügen gelesen. Die Koalition hat acht Punkte aufgezählt – diese hat sie mit ihrer Mehrheit beschlossen –, die sie als wichtig ansieht. Ich kann das hier nur ganz kurz angehen.

   Lieber Herr Fell, Sie sind Physiker. Ich freue mich über jeden Naturwissenschaftler, der im Parlament sitzt. Das ist eine beglückende, wenn auch rare Erfahrung.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich finde es prima, dass wir alle uns darin einig sind, dass mehr Geld nötig ist. Sie sind in Ihrem Antrag übrigens bescheidener als Frau Bulmahn. Frau Bulmahn hat in ihrem Bundesforschungsbericht geschrieben: Wenn wir auf 3 Prozent in Europa kommen wollen, müssen wir in Deutschland 3,5 Prozent des Bruttosozialprodukts für Forschung aufwenden. Das sind die Zahlen.

(Ulrike Flach (FDP): So ist das!)

Wenn wir das wollen, dann müssten wir selbst bei einem Nullwachstum noch 600 Millionen Euro zusätzlich veranschlagen. Wo soll das Geld herkommen?

(Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist mit der Eigenheimzulage?)

– Die Diskussion über die Eigenheimzulage im Jahre 2005 entspricht der Diskussion über den Starfighter von früher.

   Erwägen Sie bitte eines – es geht um Punkt 3 Ihres Antrages –: Für die erneuerbaren Energien gibt es Ansätze von etwa 260 Millionen Euro im Jahr.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Über die Eigenheimzulage gehen Sie schnell hinweg, Herr Kollege!)

– Stellen Sie eine Zwischenfrage, dann kann ich länger reden. – Ein Zehnfaches davon wurde für die Förderung der Windenergie eingesetzt. Dass sie nicht im Haushalt stehen, ist ein Schönheitsfehler bzw. -gewinn, ganz wie Sie wollen. 2,5 Milliarden Euro für eine einzige Energieart – das ist eine abenteuerliche Angelegenheit außerhalb jeder vernünftigen Proportion. Setzen Sie das Geld für das ein, was wir wirklich brauchen!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Setzen Sie die Prioritäten so, dass die Forschung vorangebracht wird! Das sind gewaltige Beträge.

   Hier wurde eine ergiebige Debatte darüber geführt, ob die Kerntechnik notwendig ist oder nicht. Darüber können wir uns noch lange streiten. Eine große Aufgabe der Politik ist es, dafür zu sorgen, dass die Debatte ein kleines Stück an Rationalität gewinnt. Das wäre schon viel. Wenn Sie ein Energieprogramm vorlegen würden – ich würde es mir mit Freude ansehen und darüber mit Ihnen diskutieren –, würde sich zeigen, was Sie täten, wenn die Kernenergie als Grundlastträger der Stromversorgung wegfiele.

(Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Geothermie, Wasserkraft, Bioenergie!

– Biomasse und Geothermie? Was passiert mit dem CO2-Ausstoß? Ich kann Ihnen zu jedem Thema eine Rede halten, wenn mir der Präsident dafür eine reichliche Zeit zumisst.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen, dann werde ich das zu Ihrer Erleuchtung in allen Einzelheiten erläutern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich möchte ein Konzept der Bundesregierung sehen. Wie bringen Sie die Teile zusammen? Jedes für sich genommen ist wunderbar. Aber machen Sie daraus ein Gesamtkonzept, eine Strategie. Legen Sie etwas vor! Dann werden wir darüber diskutieren, was möglich und sinnvoll ist und jeder einzelne Energieträger leisten kann.

   Ich kann leider die vielen wunderbaren Punkte nicht nach Kräften würdigen. Sie haben viele prächtige Vorschläge gemacht. Die Idee, Steuergutschriften – Tax Credits – für FuE-Ausgaben zu prüfen, finde ich prima; darüber ist in verschiedenen anderen Ländern schon lange diskutiert worden und viele Länder haben sie. Bitte sprechen Sie sorgfältig darüber, damit nicht wieder nur ein Beschluss auf einem Parteitag herauskommt, von dem man nie wieder etwas hört – so geschehen im Zusammenhang mit der Wesentlichkeitsgrenze bei Beteiligungen: Der Beschluss war zwar vernünftig, aber es ist nichts umgesetzt worden. So unwahrscheinlich das klingt: Sie sind in der Regierung. Sie müssen nicht nur intelligent diskutieren, sondern auch entscheiden und die Wirklichkeit verändern.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Sie sprechen hier – auch darin stimme ich Ihnen zu – von der Steigerung der Mittel für Projektforschung im Haushalt. Das ist eine prächtige Sache. Aber diese Mittel gingen im vorletzten Jahr um rund 4 Prozent und im letzten Jahr um rund 11 Prozent zurück. Jetzt sollen sie, in der Theorie, um 2,8 Prozent aufwachsen; aber wir wissen ja, dass das real immer weniger wird.

   Ich kann hier den reichen Strauß der Falschinformationen, den Frau Bulmahn dargereicht hat, nicht nach Kräften würdigen. Was haben wir in den frühen 80er-Jahren – zuvor regierte ein SPD-Kanzler – bei der Biotechnologie vorgefunden? Nicht ein einziges Institut in Deutschland hat hauptamtlich Gentechnologie betrieben! Es gab fünf Dutzend Institute, die sich einmal damit beschäftigt hatten. Wir haben eine Forschungslandschaft aufgebaut – Bioforschungszentren, Centers of Excellence, das EMBL, das Europäische Molekularbiologische Labor, haben wir nach Deutschland gebracht und gleichzeitig eine Strategie der Gründung von Unternehmen betrieben, deren Dynamik in den 90er-Jahren zum Tragen gekommen ist. Sie ernten!

   Genauso verhält es sich mit dem Airbus: Ich sehe mit Begeisterung, wie Schröder voll Fröhlichkeit vor dem neuen Airbus steht. Das finde ich prima.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ich freue mich über die Technikbegeisterung des Bundeskanzlers. Ich freue mich auch, dass er das Wort Innovation in den Mund nimmt. Das ist eine große intellektuelle Leistung.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Aber auch wenn das Projekt damals alle möglichen Leute bekämpft haben: Gemacht hat es Franz Josef Strauß. Er wird auf seiner rosaroten Wolke im Himmel sitzen und sich über Schröder und seine Technikbegeisterung freuen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen vor einer schwierigen Aufgabe. Ich würde gerne mit Ihnen über die restriktiven Ländergesetze diskutieren, liebe Frau Bulmahn. Ein Beispiel: Die Technische Universität Darmstadt ist völlig liberalisiert. Sie kann über alles entscheiden: von den Berufungen über die Vermögensverwaltung bis zur Prüfungsordnung. So etwas möchte ich in ganz Deutschland sehen. Das wäre ein strahlender und offener Wettbewerb. Die Länder sind dynamisch, wenn der Bund nicht versucht, sie mit irgendwelchen Rahmengesetzen – an der Grenze der Verfassungsmäßigkeit – von dem abzuhalten, was rational nötig ist. Hierüber werden die Bundesgerichte entscheiden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich wünsche uns einen fröhlichen und entschlossenen Aufbruch. Ich wünsche uns, dass die Regierung dort handelt, wo es notwendig ist. Ich wünsche uns, dass wir mit wachsender Begeisterung über das reden können, was in Deutschland gut ist, weil es die Regierung in ihrer Weisheit und Schaffenskraft so gefügt hat, dass wir alle nur begeistert sein können. Dann können wir ein gutes Deutschland übernehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin Abgeordnete der PDS. – Nachhaltigkeit ist ein schönes, viel missbrauchtes Wort. Jeder führt es gern im Munde. Sogar Harald Schmidt erklärt auf die Frage der „Welt am Sonntag“ – ich zitiere –:

Sie machen seit 1990 im Grunde das gleiche, egal wie die Show heißt. Können Sie Ihr Image überhaupt ändern?

Darauf Harald Schmidt:

Das ist meine neue Aufgabe. Nachhaltigkeit ist das Stichwort.

Ich finde, ironischer kann man den Begriff Nachhaltigkeit gar nicht auf den Punkt bringen. Die rot-grüne Regierung ist seit 1998 auf Sendung und hat in beiden Koalitionsvereinbarungen die Notwendigkeit nachhaltiger Entwicklung als Programm ausgegeben. Doch wenn man den Koalitionsantrag „Forschung für Nachhaltigkeit – Motor für Innovationen“ liest, könnte man den Eindruck bekommen, dass die Regierung erst seit ein paar Tagen im Amt ist. Im letzten Jahr – fünf Jahre nach dem Regierungswechsel – wurde die Einrichtung eines Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung beschlossen.

(Ulla Burchardt (SPD): Dafür war aber nicht die Regierung verantwortlich!)

Ich gehe davon aus, dass diese Legislaturperiode zu Ende geht und wir noch keine verwertbaren Ergebnisse dieses Beirats haben werden.

   Ich will mich nur auf einen Aspekt konzentrieren, der auch in Ihrer Koalitionsvereinbarung völlig zu Recht verankert ist. Ihr erklärtes Ziel, meine Damen und Herren von Rot-Grün, war es, Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit zu einer nachhaltigen Entwicklung zu verbinden. Ich will über soziale Gerechtigkeit sprechen. Sie werden mit einer nachhaltigen Politik keinen Erfolg haben, wenn es Ihnen nicht gelingt, Ihre Politik sozial gerecht zu gestalten.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Die soziale Schieflage in Deutschland gefährdet eine wirklich nachhaltige Entwicklung. Die Bundesregierung war mit dem Versprechen angetreten, die Gerechtigkeitslücke zu schließen. Sie hat sie nicht geschlossen, sondern vergrößert. Ich weiß nicht, ob Sie es nicht besser können oder ob Sie es gar nicht anders wollen.

   Übrigens, Wissenschaftspolitik haben Sie in Ihrem Antrag gleich ganz weggelassen. Sie verkürzen alles auf Forschung, Technologie und Innovationen. Doch Sie müssen bei den Wissenschaften ansetzen, um langfristig Erfolg zu haben.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Sie denken nur noch in Begriffen von Produkt- und Technologieinnovationen, doch wir müssen an die Wissenschaften höhere Anforderungen stellen. Unsere Gesellschaft braucht dringend soziale Innovationen. Ich meine damit Innovationen, die die Menschen nicht gegeneinander aufbringen, sondern wieder zusammenbringen, die die Menschen nicht entwerten, sondern in ihrem Wert schätzen und in die Gesellschaft einbinden.

   Da die Regierung keine sozialen Innovationen von der Wissenschaft gefordert und soziale Innovationen nicht gefördert hat, hat Rot-Grün auf alte amerikanische Konkurrenzmodelle zurückgegriffen. Die Menschen werden gegeneinander in Stellung gebracht. Eine Armee von Ich-AGs, Minijobbern und 1-Euro-Jobbern wird gegen die Menschen ins Feld geführt, die noch versicherungspflichtige Vollzeitjobs haben. Ich kenne keine einzige soziale Innovation dieser Bundesregierung. Alle Reformen, von Hartz I bis Hartz IV genauso wie die Gesundheitsreform, waren Abriss- und Rückbaureformen. Der rheinische Kapitalismus, den Sie jetzt zu Grabe tragen, war im Verhältnis zu dem, was Sie jetzt machen, wirklich sozial innovativ.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Wir, die PDS, verfolgen in unserer Wissenschaftspolitik einen breiteren Ansatz. Wir sind der festen Überzeugung, dass soziale Innovationen dringend notwendig sind. Die besten Produkte und Technologien werden uns nicht aus der Krise führen, wenn wir nicht gleichzeitig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ermuntern und ausreichend finanzieren, um über soziale Innovationen nachzudenken und Konzepte zu entwickeln. Ich will nicht behaupten, dass die PDS die sozialen Innovationen und Konzepte im Keller hortet; aber wenn die Regierung den von mir vorgeschlagenen Weg gehen will, dann sind wir von der PDS gern dabei. Es muss nur eine Voraussetzung erfüllt sein: Soziale Innovationen müssen immer den Solidargedanken zur Grundlage haben.

   Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Marion Seib, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Marion Seib (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen.“ Dieses Zitat stammt nicht von Albert Einstein, sondern von Max Planck. Dieses Zitat bringt die Sache aber auf den Punkt. Wir müssen erkennen, dass Deutschland in vielen Bereichen der technologischen Entwicklung von anderen Ländern abgehängt worden ist. Wir müssen erkennen, dass unserem Land ein mühsamer Aufholprozess bevorsteht, um mit den dynamischen Wirtschafts- und Forschungsregionen in anderen Teilen der Welt Schritt halten zu können.

   Die Ausgangsbedingungen sind nicht schlecht. Deutschland verfügt über eine im Kern beeindruckende und leistungsfähige Forschungslandschaft.

(Beifall des Abg. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Jörg Tauss (SPD): Na prima!)

Zitiert seien die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft und die Leibniz-Gemeinschaft. Diese Einrichtungen tragen in erheblichem Maße dazu bei, dass in Deutschland wissenschaftliche Spitzenleistungen erzielt werden können. Durch die Einsatzbereitschaft der Wissenschaftler in den Forschungseinrichtungen konnte Deutschland in einigen Bereichen seine Spitzenposition wahren.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Na eben!)

   Der Bericht zur technologischen Leistungsbereitschaft Deutschlands 2003/2004 zeigt aber, dass die finanziellen Aufwendungen des Staates und der Wirtschaft nicht ausreichen, um mit der technologischen Dynamik in anderen Staaten Schritt halten zu können. Wenn wir im internationalen Vergleich nicht ins Hintertreffen geraten wollen, dann müssen wir Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen stärker verknüpfen, die Autonomie ausweiten und die Interdisziplinarität fördern.

   Wir müssen aber auch auf Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft Wert legen. Die technologische Forschung und Entwicklung in den Unternehmen macht nämlich den harten Kern eines innovativen Landes aus. Allein in Deutschland stellt die Wirtschaft 70 Prozent aller Forschungskapazitäten bereit. Mehr als 60 Prozent der Wissenschaftler sind in der Wirtschaft beschäftigt. In konkreten Zahlen bedeutet das: Die deutsche Wirtschaft investiert 36 Milliarden Euro in den Bereich Forschung und Entwicklung. Über 300 000 Menschen arbeiten in diesem Bereich.

   Weltweit vollzieht sich ein Verlagerungsprozess der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten nach Nordamerika und Asien. Das macht uns zu schaffen, darüber können wir nicht hinwegsehen. Die Achillesferse dabei ist der deutsche Mittelstand. Im Mittelstand aber werden 75 Prozent aller Patente entwickelt und 18 Prozent des Forschungspersonals beschäftigt. 12,5 Prozent aller Forschungsaufwendungen erfolgen in diesem Bereich. Die Zahl der forschenden mittelständischen Unternehmen ist jedoch in den vergangenen Jahren um gut 5 Prozent zurückgegangen.

   Wir brauchen in der Forschungsförderung eine einheitliche und langfristige Strategie für den Mittelstand. Unsere Vorschläge dazu liegen bereits vor: Zusammenlegung der Mittelstandsprogramme, mehr Transparenz und Beständigkeit, Förderinstrumente für längerfristige Innovationspartnerschaften zwischen Mittelstand und Hochschulen, verbesserte Zugangsmöglichkeiten zum Kapitalmarkt und vor allem eine Wirtschaftspolitik, die den Potenzialen des Mittelstands bessere Chancen einräumt.

   Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der Aspekt der Nachhaltigkeit, auf den sich der Antrag der Koalition bezieht, ist nur ein Ansatzpunkt. Ich warne davor, in politischer Selbstgerechtigkeit den Begriff der Nachhaltigkeit zu missbrauchen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn wir Deutschland nachhaltig vorwärts bringen wollen, dann kommt es darauf an, dass wir nicht nur die Risiken sehen, sondern vor allem auch die Chancen wahrnehmen. Die Zweifel überwiegen allerdings, wenn man im Antrag von SPD und Grüne liest:

Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass die Bundesregierung mit dem neuen Rahmenprogramm ... „Forschung für Nachhaltigkeit“ die in der letzten Legislaturperiode begonnene Neuausrichtung der Bildungs- und Forschungspolitik … konsequent weiterführt.

Bedeutet ein „konsequentes Weiterführen“, dass die Grüne Gentechnik weiter verhindert wird? Bedeutet das wirklich, dass die nukleare Energieforschung weiterhin keinen Stellenwert hat?

(Ulla Burchardt (SPD): Das hatten wir heute schon mehrfach!)

Bedeutet das auch, dass der Dialog zwischen Politik und Wissenschaft weiterhin dürftig bleibt?

(Ulla Burchardt (SPD): Nein! Er ist sehr intensiv, Frau Kollegin!)

Bedeutet das, dass die Bürokratie nicht abgebaut wird? Bedeutet das, dass der Mittelstand weiterhin zu wenige Chancen im Forschungs- und Entwicklungsbereich hat? Ich hoffe, nicht.

   Der den Mittelstand betreffende Teil der Forschung muss eine höhere Priorität bekommen. Im Mittelstand sind nämlich die Strukturen vorhanden, die die Ergebnisse der Entwicklungen schnellstmöglich in den Wirtschaftskreislauf befördern. Zentralistische und wirtschaftsferne Vorgaben für Forschung und Entwicklung, wie sie in Ihrem Forderungskatalog vorliegen, sind das Letzte, was wir in Deutschland brauchen können.

   Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Herausforderungen in der Forschungspolitik sind zu groß, als dass sie nur mit halber Kraft bewältigt werden können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Sascha Raabe (SPD): Dafür brauchen wir die Länder!)

Wenn wir Deutschland als ein innovatives und wettbewerbsfähiges Land erhalten wollen, dann brauchen wir eine Ministerin, die sich mit ganzer Kraft für den Forschungsstandort Deutschland einsetzt und sich nicht im Streit mit den Ländern verzettelt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

   Die Länder müssen mit den notwendigen Finanzen ausgestattet werden, um die im Grundgesetz festgelegten Aufgaben ordentlich erfüllen zu können.

   Ich bedanke mich sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegen Jörg Tauss, SPD-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Jörg Tauss (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Lieber Kollege Riesenhuber, Sie haben in Ihrer leidenschaftlichen Art fast gefleht, dass wir auch einmal die Leistungen anerkennen sollten, die Sie früher erbracht haben. Ich bestätige Ihnen gerne: Wir haben nie behauptet, dass Sie nur Mist gemacht hätten. Sie haben ganz Ordentliches auf den Weg gebracht. Aber eines haben wir von Ihnen nicht übernommen: Ihre Kürzungen im Haushalt für Bildung und Forschung. So sah Ihre Erbschaft aus.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ihre Begeisterung für die Universität Darmstadt teilen wir in vollem Umfang. Dort ist ein großartiges Reformprojekt auf den Weg gebracht worden. Aber ich bitte, der Korrektheit halber, auch die andere Seite der Medaille zu erwähnen. Der Präsident der von Ihnen so hochgelobten Universität hat sich in einer Anhörung des Deutschen Bundestages nachdrücklich dagegen gewandt, Ihr Studiengebührenmodell in die Realität umzusetzen, weil er der Meinung ist, dass es uns weder zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch in Zukunft etwas nutzt.

(Beifall bei der SPD)

   Da Sie Hessen angesprochen haben – Sie kommen ja aus diesem Bundesland –: Schauen Sie sich einmal das Hochschulgesetz an, das in Hessen auf den Weg gebracht worden ist und das alles, was wir hier gemeinsam auf den Weg gebracht haben – Tenure-Track, Berufung von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern usw. –, nicht enthält! Die Universitäten in Hessen laufen Sturm gegen dieses Hochschulgesetz. In Hessen sind also noch viele Hausaufgaben zu erledigen. Ich würde mich freuen, wenn wir uns einig würden. Das gilt übrigens auch für andere Hochschulgesetze, zum Beispiel für das von Baden-Württemberg.

   Im Unionsantrag steht drin:

Die Freiheit der Forschung ist zu gewährleisten und gegen jede politische Einmischung und Einflussnahme zu schützen.

Ein wunderbarer Satz, den ich Ihnen sofort unterschreibe! Aber in Baden-Württemberg bringen Sie ein Hochschulgesetz auf den Weg, das die Einsetzung von externen Aufsichtsräten aus der Wirtschaft vorsieht, die der Wissenschaft genau diese Freiheit nehmen sollen. Die dortigen Hochschulen sind dann in ihren Entscheidungen nicht mehr selbstständig. Deswegen laufen die Hochschulen in Baden-Württemberg – genauso wie die in Hessen – gegen ihre Hochschulpläne Sturm. Erledigen Sie also Ihre Hausaufgaben vor Ort!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Der Kollege Königshaus hat in seiner Rede – er ist leider nicht mehr anwesend – einen ganz wichtigen Punkt angesprochen, nämlich die Bedingungen für junge Mütter in der Wissenschaft. Ich halte dies für einen wesentlichen Punkt, über den wir diskutieren müssen, und zwar nicht nur unter dem Gesichtspunkt Betreuung an Ganztagsschulen. Ende letzten Jahres habe ich das Forschungszentrum in Karlsruhe als Mitglied des Senats dieses Zentrums bzw. der Helmholtz-Gemeinschaft besucht. Dort haben wir einen Betriebskindergarten eingeweiht, wie wir ihn an allen Helmholtz-Zentren realisieren wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zu Ihrer Zeit hätte das Forschungszentrum Mittel des Bundes nicht für die Errichtung eines Betriebskindergartens ausgeben dürfen. Heute darf man das und es wird gemacht. Es wird also auch hier ein Stück weit dessen realisiert, was Sie fordern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Zum Hochschulbau: Lieber Herr Kretschmer, da Sie nun Generalsekretär der CDU Sachsen sind, bin ich gespannt, was Sie uns demnächst in Sachsen servieren werden. Sie haben hier leidenschaftlich die Verantwortung des Bundes für den Hochschulbau gefordert. Aber die Ministerpräsidenten – darunter auch der sächsische Ministerpräsident – haben den Hochschulbau einstimmig als zukünftige und alleinige Aufgabe der Länder definiert. Wenn Sie der Auffassung sind, dass die Ministerpräsidenten an dieser Stelle irren, ist das kein Problem. Dann liegen unsere Positionen nämlich sehr nah beieinander. Auch ich halte das in der Tat für unvernünftig. Es muss zwar nicht sein – darin stimme ich Ihnen völlig zu –, dass Bund und Länder jede Kantine gemeinsam realisieren. Aber im Bereich der Großgeräte, auch bei denjenigen mit regionaler Bedeutung, sollte eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern doch möglich sein. Lieber Herr Kretschmer, es würde uns freuen, wenn Sie uns dabei helfen würden und wenn es in Sachsen zu einer veränderten Politik käme. Dort gibt es ja inzwischen eine bessere Regierung unter SPD-Beteiligung. Die Chancen stehen also gut. Aber sorgen Sie in Ihrer Partei ebenfalls für Veränderungen!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Tauss, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kretschmer?

Jörg Tauss (SPD):

Selbstverständlich. Bitte schön. – Lieber Kollege Kretschmer, vielleicht können Sie auf das, was ich gesagt habe, gleich antworten.

Präsident Wolfgang Thierse:

Bitte, Herr Kretschmer.

Michael Kretschmer (CDU/CSU):

Lieber Herr Kollege Tauss, herzlichen Dank, dass Sie so gut zugehört haben, als ich über den Hochschulbau, den die Ministerin vernachlässigt, gesprochen habe.

Jörg Tauss (SPD):

Ich bin immer aufmerksam.

Michael Kretschmer (CDU/CSU):

Stimmen Sie mir zu, dass in den vergangenen Jahren und in der Finanzvorschau für die kommenden Jahre eine deutliche Abschmelzung der Bundesmittel für den Hochschulbau vorgenommen worden ist und dass deswegen meine Kritik an der Ministerin und der Hinweis, sich diese Aufgabe genauer anzuschauen, berechtigt sind?

Jörg Tauss (SPD):

Nein, lieber Kollege Kretschmer, darin stimme ich Ihnen nicht zu; denn ich habe noch sehr gut in Erinnerung – damals waren Sie noch nicht Mitglied des Bundestages –, dass unsere Vorgängerregierung ihren Anforderungen und Verpflichtungen im Hochschulbau nicht nachgekommen ist. Damals sind wir immer mehr in die Miesen geraten; das machte über 1 Milliarde Euro aus. Das haben wir erst einmal mühsam ausgeglichen. Dann wurde im letzten Jahr in der Tat eine Kürzung vorgenommen. Hier habe ich ein gewisses Verständnis für Hans Eichel. Denn die Ministerpräsidenten haben mitten in den Haushaltsberatungen gesagt: Der Hochschulbau sollte nicht mehr eine Aufgabe des Bundes sein. Diese wollen wir künftig alleine erledigen. Ein Finanzminister wäre mit dem Klammerbeutel gepudert – bitte bleiben Sie stehen, Herr Kretschmer –, wenn er eine solche Steilvorlage nicht nutzen würde. So war die Realität, um das noch einmal zu sagen.

   Lieber Kollege Riesenhuber, ich komme auf Sie zurück; denn Sie waren wirklich der Einzige, dessen Rede wenigstens ein bisschen spannend war. Ich kenne Sie als jemanden, der immer leidenschaftlich, aber seriös gewesen ist. Bitte, halten Sie uns jetzt nicht die niedrigen Absolventenzahlen im Bereich der Ingenieurwissenschaften vor. Diese Absolventen haben ihr Studium begonnen, als Sie regiert haben, und sie haben es beendet, als wir regiert haben. Wenn man schon einen Vergleich zieht, dann sollte man die Studienanfängerzahlen vergleichen. Diese Zahlen trage ich Ihnen gerne vor: 1998 haben das Studium der Ingenieurwissenschaften 44 900 begonnen, jetzt sind es 60 800. Das ist eine Steigerung um sage und schreibe 35 Prozent. In den anderen Naturwissenschaften ist es noch besser: Dort liegt die Steigerung bei 72 Prozent.

   Jetzt stellt sich die spannende Frage – ich bin gern bereit, mit allen über Studienkonten, Studiengebühren und Studentensteuern zu diskutieren –, was nach der Einführung von Studentensteuern eigentlich passiert: Wird die Anzahl derjenigen, die ein naturwissenschaftliches Studium beginnen, aufrechterhalten werden können oder werden die jungen Menschen sagen: „Das Risiko, ein Studium zu beginnen und hinterher 40 000 Euro oder 80 000 Euro Schulden zu haben, ist mir zu groß“? Ich fände es sehr sympathisch, wenn wir darüber einmal diskutieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Bitte ziehen Sie nicht diese merkwürdigen Vergleiche zwischen Studiengebühren und Kindergartengebühren. Auch da sollten Sie einmal konsistent werden. Wenn die Studenten mehr zahlen sollen, damit die Universitäten mehr Geld bekommen, dann fließt davon kein einziger müder Euro an die Kindergärten. Wenn die Studierenden die Kindergärten finanzieren, dann fließt kein einziger müder Euro an die Universitäten. Das passt nicht zusammen. Die Folge Ihrer Politik wäre, dass die Eltern zunächst Kindergartengebühren und später für ihre erwachsenen Kinder Studiengebühren zahlen. Damit würden die Familien doppelt belastet.

(Beifall bei der SPD – Ulrike Flach (FDP): Das fordert aber keiner, Herr Tauss!)

   Was die Weiterbildung angeht – Sie haben dieses Thema angesprochen –, warten wir auf ein interessantes Konzept. In Bezug auf Schülerinnen und Schüler sowie Schulen kann ich Ihnen nur sagen: Ich stimme Ihnen in vielem zu. Heute sitzen auf der Besuchertribüne viele Fachleute. Viele Schülerinnen und Schüler sind da. Der Unterricht in vielen Ländern ist schlecht. Wir haben zu wenige Ganztagsschulen und es gibt insgesamt zu wenig Betreuung.

   Eines ist zunächst einmal klar: Der Bund trägt dafür keine Verantwortung. Herr Koch aus Hessen fordert, dass der Bund künftig überhaupt keine Zuständigkeiten mehr hat. Überlegen Sie sich bitte, was Sie von uns fordern: das Eintreten für mehr oder für weniger Bildungszuständigkeit des Bundes? Ich akzeptiere aber nicht, dass wir es über die Entwicklungshilfe oder sonst wie ermöglichen sollen, dass in Afrika mehr Schulen errichtet werden, während hier in Deutschland keine Schulen mehr gebaut werden dürfen, noch nicht einmal dann, wenn sich Bund und Länder darauf verständigt haben. Das ist doch keine Politik, das ist doch keine Innovation, das ist doch nichts Zukunftsgerichtetes, sondern blanker Unfug.

   Was das Stiftungsrecht angeht, warten wir auf Ihre Initiativen. Frau Reiche, wir sind ins Mittelfeld nicht abgerutscht, sondern hochgerutscht. Ich stimme Ihnen völlig zu, wenn Sie sagen, dass das alles noch nicht ausreicht. Unter anderem deswegen gibt es das EinsteinJahr. Wenn Sie die Beteiligung von 15 000 Schulen als Show diskreditieren, dann kann ich dazu nur sagen: Hoffentlich haben nicht eine Schülerin und nicht ein Schüler zugehört. Wir kümmern uns um Einstein, Sie um Einbau. Das ist eine gute Aufgabenverteilung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 15/4216. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/3452 mit dem Titel „Forschung für Nachhaltigkeit – Motor für Innovationen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

   Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/2971 mit dem Titel „Mit Innovationen auf Wachstumskurs – eine einheitliche Strategie“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit der gleichen Mehrheit wie zuvor angenommen.

   Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/3332 mit dem Titel „Innovationsstrategie für Deutschland – Wissenschaft und Wirtschaft stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.

   Unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4216 empfiehlt der Ausschuss, in Kenntnis des Bundesberichts Forschung 2004 auf Drucksache 15/3300 eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

   Tagesordnungspunkt 3 b: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/4497 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

   Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Johannes Singhammer, Dagmar Wöhrl, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Standort Deutschland – Innovation und Wachstum stärken durch Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen

– Drucksache 15/4503 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)Rechtsausschuss FinanzausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Wider die Vertrauenskrise – Für eine konsistente und konstante Wirtschaftspolitik

– Drucksache 15/1589 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)RechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Dagmar Wöhrl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Brüderle (FDP))

Dagmar Wöhrl (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn es um unseren Standort geht, brauchen wir weder Schwarzmalerei noch Schönfärberei. Was wir brauchen, ist eine nüchterne und ehrliche Bestandsaufnahme. Lieber Herr Minister, ich frage Sie: Würden Sie, wenn Deutschland ein börsennotiertes Unternehmen wäre, eine Aktie kaufen? Ich würde es tun, ich glaube, Sie auch; denn unser Standort hat viel Substanz und viel Potenzial. Aber es gibt auch eine Gefahr, und zwar besteht die Gefahr, dass diese Aktie durch Ihr Missmanagement immer mehr an Wert verliert. Das wird so bleiben, wenn Sie so weitermachen, wenn nichts passiert, wenn Sie nicht eingreifen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Liebe Kollegen von Rot-Grün, Sie phantasieren hier vom Aufschwung, Sie sagen, Deutschland sei wieder auf dem Wachstumspfad. Sie wissen aber ganz genau – Sie sind die größten Statistikakrobaten, die es in diesem Hause je gegeben hat –:

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Echt?)

Wenn man den Effekt zusätzlicher Arbeitstage herausrechnete, würden wir dieses Jahr ein Wachstum von nur 1,1 Prozent haben, und das, obwohl wir letztes Jahr durch eine wachsende Weltwirtschaft, wie es sie seit 1976 nicht mehr gegeben hat, ein kolossales kostenloses Konjunkturprogramm hatten. Hier muss man sich schon fragen: Warum konnten wir auf dieses Pferd nicht mit aufspringen?

(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Genau! Sehr richtig!)

Warum sind wir im Vergleich zu vielen anderen unserer europäischen Nachbarn von dieser Entwicklung abgekoppelt?

   Wir haben eine immens starke Exportwirtschaft, aber wir schaffen es nicht, dass der Funke dieser Exportwirtschaft auf unsere Binnenkonjunktur überspringt. Es ist ein Aberglaube, dass Exportüberschüsse gleichzeitig für die Wettbewerbsfähigkeit eines Standorts sprechen. Das Gegenteil kann der Fall sein. Wir haben gemerkt, dass Exportüberschüsse gerade dann erzielt werden, wenn die Investoren und Unternehmer von einem Land weggehen und im Ausland Arbeitsplätze schaffen. Wir importieren immer mehr Vorleistungen. Immer mehr Wertschöpfung findet im Ausland statt. Wir haben eine zu starke Regulierung. Wir haben zu hohe Lohnnebenkosten. Wir haben zu hohe Steuern und Abgaben und wir haben zu hohe Energiekosten.

   Energiepolitik ist Wirtschaftspolitik. Wenn man sich die Entwicklung unserer Strompreise seit 1998 anschaut, die Sie zu verantworten haben, stellt man fest: Der staatliche Anteil an den Strompreisen betrug 1998 noch 2,3 Milliarden Euro. Inzwischen sind es fast 15 Milliarden Euro. Wenn man sich klar macht, dass allein 1,5 Millionen Arbeitsplätze von der energieintensiven Produktion abhängen und dass Sie auch jetzt noch über weitere Erhöhungen nachdenken, dann muss man sich schon fragen, wie Sie es schaffen wollen, diese Arbeitsplätze im Land zu halten.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, was tun Sie, um neue Arbeitsplätze zu schaffen? Was tun Sie, um für die Unternehmer Anreize zu schaffen, damit sie investieren und auch hier Jobs schaffen? Der Funke, der von der Exportwirtschaft überspringt, genügt nicht; das hat man gesehen. Allein im letzten Jahr ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten um 430 000 gesunken und auch für dieses Jahr ist mit sinkenden Beschäftigungszahlen zu rechnen. Es gibt doch eine ganz einfache Gleichung, von deren Richtigkeit auch ich felsenfest überzeugt bin: Was gut für ein Unternehmen ist, ist auch gut für die Volkswirtschaft.

   Sie wissen doch auch, dass die Unternehmen die Arbeitsplätze schaffen und nicht der Staat. In unserem Mittelstand steckt ein großes Innovationspotenzial und Innovation ist das Ticket für die Zukunft. Sehen Sie sich nur einmal die Patentanmeldungen an! Zwei Drittel aller Patentanmeldungen sind entweder Einzelanmeldungen oder kommen von mittelständischen Unternehmen. Von 61 der wichtigsten Erfindungen dieses Jahrhunderts stammen nur zwölf von Großunternehmen. Deshalb müssen Sie sich aufraffen und erkennen, dass wir eine positive Vision „Mittelstand 2020“ brauchen.

   Sicher ist Hartz IV ein Schritt in die richtige Richtung, aber Hartz IV wird ein Torso bleiben, weil Sie nur auf der Angebotsseite ansetzen, statt neue Jobs zu schaffen. Der Beschäftigungsabbau geht ungebremst weiter. Allein im Handwerk wurden im letzten Jahr 180 000 Jobs abgebaut, in diesem Jahr wird mit weiteren 100 000 gerechnet.

   Es ist doch grotesk bei uns. Ihre Politik belastet den Unternehmer, der sich aufrafft und den Mut hat, hier noch Arbeitsplätze zu schaffen, durch immer mehr kostentreibende Auflagen: Arbeitsstättenverordnung, Betriebsverfassungsgesetz, Kündigungsschutzgesetz, Teilzeit- und Befristungsgesetz. Wir haben ein Minenfeld von Schwellenwerten in unserem Land. Ab fünf Mitarbeitern kann ein Betriebsrat gegründet werden. Ab elf Mitarbeitern greift der Kündigungsschutz und muss den Beschäftigten ein Pausenraum eingerichtet werden. Ab 16 Mitarbeitern hat jeder Mitarbeiter einen Anspruch auf Teilzeit. Bei 199 Beschäftigten muss man sich überlegen, ob man den 200. Mitarbeiter noch einstellt, weil der als Betriebsrat ja freizustellen wäre. Er würde nicht arbeiten, aber Kosten bis zu 60 000 Euro verursachen. Bei insgesamt 160 solcher Schwellen in unseren Gesetzen muss man sich doch fragen: Wie soll ein kleiner Unternehmer hier überhaupt den Überblick behalten?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Und dann kündigt der Minister einen Masterplan an. Der Plan ist gut, Herr Minister Clement; wir haben ihn befürwortet. Doch wie sieht die Bilanz aus? Von den über tausend Vorschlägen, die die Wirtschaft eingebracht hat, beschloss das Kabinett 29 und von diesen 29 Vorschlägen wurden im letzten Jahr neun verabschiedet. Wenn Sie mich jetzt fragen, ob darin ganz große Dinge enthalten waren, muss ich sagen: Mir fällt nichts ein. Mir fällt lediglich ein, dass Sie die Arbeitsstättenverordnung dahin gehend geändert haben, dass der Schwellenwert von sechs Mitarbeitern, ab dem getrennte Toilettenräume für Männer und Frauen einzurichten sind, zukünftig entfällt. Dazu sage ich: Herzlichen Glückwunsch! Damit haben Sie wirklich eine ganz tolle Entbürokratisierung auf den Weg gebracht.

(Ute Kumpf (SPD): Die Handwerksmeister haben das immer gefordert!)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, den allergrößten Bock Ihrer politischen Arbeit werden Sie jedoch mit Ihrem Antidiskriminierungsgesetz schießen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das Ziel, Minderheiten zu schützen, ist richtig und ehrenhaft. Deshalb unterstützen wir es auch. Aber was wird zukünftig sein? Zukünftig wird man diese Minderheiten meiden, weil man Angst hat, von ihnen verklagt zu werden. Die Zeiten, in denen Rechtsverhältnisse nach eigenem Willen und ohne staatlichen Einfluss geschlossen werden können, sind damit vorbei. Ludwig Erhard, der Vater der sozialen Marktwirtschaft, würde sich im Grabe umdrehen, wenn er so etwas mitbekäme.

(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Leibrecht (FDP): Hat er schon!)

Sie fassen bei diesem Gesetz den Personenkreis so weit, dass jeder, der eine Wohnung oder einen Arbeitsvertrag haben möchte, aber nicht zum Zuge kommt, weil der Vertrag mit einem anderen Bewerber abgeschlossen wird, wegen Ungleichbehandlung klagen kann. Die Beweislast liegt zukünftig beim Vermieter oder beim Arbeitgeber. Er wird beweisen müssen, dass er nicht diskriminieren wollte, sondern dass er sachliche Gründe für die Ablehnung des Bewerbers hatte. Wie soll das in der Praxis geschehen? Der Vermieter oder Arbeitgeber wird den Beweis nie erbringen können. Er muss damit rechnen, dass er zukünftig im zivilrechtlichen Bereich mit von ihm nicht gewünschten Partnern einen Vertrag abschließen muss. So schaffen Sie doch kein Wirtschaftswachstum in unserem Land, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich will hier gar nicht auf irgendwelche internationalen Berichte eingehen, sei es der „Global Competitiveness Report 2004-2005“ vom World Economic Forum oder der „Economic Freedom“-Report. Sie alle bescheinigen uns unisono, dass unser größtes Problem die Überregulierung unseres Arbeitsmarktes ist. Von 95 untersuchten Nationen liegen wir bezüglich der Regulierung auf Platz 94.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Hört! Hört!)

Wir brauchen gar nicht so weit zu gehen; schauen wir doch einmal in unsere Nachbarschaft, zum Beispiel nach Österreich. Dort liegt die Produktivität so hoch wie bei uns; die Löhne aber liegen 20 Prozent niedriger und Kündigungsschutz und Arbeitsrecht sind liberalisiert worden. Das Ausmaß der Bürokratie ist bei weitem niedriger als bei uns; so werden Genehmigungsverfahren binnen drei Monaten abgeschlossen. Was ist das Resultat? Die EU-Kommission prophezeit Österreich nächstes Jahr ein Wachstum von 2,4 Prozent. Während Sie hier das Grab des Stabilitätspaktes schaufeln, wird Österreich in diesem Jahr eine Neuverschuldung von 2 Prozent haben. Auf Irland, den Musterstandort schlechthin, will ich jetzt gar nicht eingehen. Es reicht, auf unseren Nachbarn Österreich zu schauen.

   Lassen Sie mich weitere Vergleiche anstellen bezüglich des Klimas für Unternehmensgründungen und Unternehmer in unserem Land. Wir haben hier im Vergleich zu anderen europäischen Ländern immense Defizite. Unsere Selbstständigenquote liegt bei nur noch 9 Prozent. Im Vergleich zu Frankreich und Großbritannien haben wir 700 000 Selbstständige weniger. Da muss man doch schauen, wie wir es schaffen können, den Standort Deutschland wieder unternehmerfreundlicher zu machen. Es darf doch nicht sein, dass 90 Prozent der Bevölkerung fragen: „Wer stellt mich ein?“ und sich nur 10 Prozent Gedanken darüber machen, wie sie selbst Arbeitsplätze schaffen können. Ein Blick auf unsere Schulen und auf unsere Universitäten zeigt den Grund: Wo wird denn da noch eigenverantwortliches, risikoorientiertes Handeln und unternehmerisches Denken vermittelt?

   Wir müssen eine neue Unternehmerkultur in Deutschland schaffen. Die Unternehmer in unserem Land sind doch die wirtschaftliche Lokomotive. Sie bringen das Land nach vorne, investieren und schaffen Arbeitsplätze. Deshalb müssen wir schauen, dass wir die Menschen dazu bekommen und sie ermutigen, wieder gerne unternehmerisch tätig zu sein und Lust auf Leistung zu haben. Unter Ihrer Regierung braucht man allerdings sehr oft großen Wagemut, wenn man sich selbstständig machen will.

   Sie machen wahnsinnig viele Marketingkampagnen in eigener Sache, um Ihre verkorkste Politik in der Öffentlichkeit mit Hochglanzbroschüren ganz toll darzustellen. Ich fordere Sie nun auf, auch einmal eine andere Marketingoffensive zu starten: Machen Sie eine Marketingkampagne, die herausstellt, inwiefern es positiv ist, wenn man sich selbstständig macht und unternehmerisch betätigt! Degradieren Sie unsere Leistungsträger nicht zu Lastenträgern, sondern stilisieren Sie sie zu Hoffnungsträgern! Das waren sie ja auch wirklich in der Vergangenheit.

   Aber was machen Sie? Sie diskutieren wieder über eine höhere Erbschaftsteuer. Frau Simonis hat dieses Thema wieder in die Diskussion gebracht. Man muss sich da schon fragen, ob diese Frau nicht weiß, dass allein in diesem Jahr 70 000 Unternehmen an Nachfolger übergeben werden und dass Zehntausende dieser Betriebe allein aufgrund der Erbschaftsteuer nicht mehr fortgeführt werden können, sondern verkauft werden müssen.

(Ute Kumpf (SPD): Das ist aber dummes Zeug!)

Angesichts dessen ist es nicht richtig, über eine Erhöhung der Erbschaftsteuer nachzudenken, sondern richtiger wäre es, diese Betriebe zu entlasten, indem man jemandem, der den Betrieb übernimmt, die Erbschaftsteuer stundet und sie ihm nach zehn Jahren ganz erlässt. Das Fortführen eines Betriebes über zehn Jahre bringt nämlich mehr für die Volkswirtschaft als die einmalige Abführung der Erbschaftsteuer, die oft nur dadurch möglich ist, dass man den Betrieb verkauft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir müssen uns zum Ziel setzen, dass die deutsche Wirtschaft im internationalen Wettbewerb so viel besser ist, wie sie teurer ist. Wir müssen uns zum Ziel setzen, 1 000 Arbeitsplätze am Tag zu schaffen, statt zuzulassen, dass, wie es momentan der Fall ist, täglich 1 000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Wir haben das Potenzial. Wenn man die Chancen nutzt, was Sie leider nicht tun, bin ich ganz sicher, dass wir zukünftig in der Weltwirtschaft wieder ganz weit vorne mitspielen werden.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Brandner, SPD-Fraktion.

Klaus Brandner (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Wöhrls Rede und der Antrag der CDU/CSU geben, so finde ich, ein hervorragendes Bild über die wirtschafts- und finanzpolitischen Vorstellungen der Opposition.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Decken sich mit denen der Gewerkschaftsfunktionäre nicht!)

Es ist eine Aneinanderreihung von Banalitäten, Allgemeinplätzen und Unverbindlichkeiten.

   Ich habe mich beim Lesen des Antrags gefragt: Was ist nun die Konzeption, wo ist die Kritik und was sind die konkreten Forderungen der CDU/CSU?

(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Hätten Sie doch zugehört!)

Ich wollte auch wissen, sehr geehrter Herr Singhammer, mit welchen Konzepten Ihr Kollege Laumann in den nordrhein-westfälischen Wahlkampf geht, um dort Arbeitsminister werden.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Ihr Konzept jedenfalls ist gescheitert!)

   Wenn Ihre Forderungen in diesem Antrag aber die Grundlage Ihrer Wirtschaftspolitik sein soll, dann kann der Standort Deutschland froh sein, dass CDU und CSU hier in der Opposition sind.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Jetzt sind wir gespannt, was Sie machen!)

Herr Schartau kann sich beruhigt zurücklehnen; denn das, was Sie bisher inhaltlich an Positionen geboten haben, ist sicherlich nicht dazu geeignet, Ihre Regierungsfähigkeit zu zeigen.

   Ich habe in den letzten Tagen sehr aufmerksam die Presse zu wirtschaftspolitischen Themen gelesen. Frau Wöhrl, Sie mögen noch so rackern und mögen sich noch so abmühen und in Allgemeinplätzen überbieten: Die Auffassung der Wirtschaftspresse ist eindeutig. Beispielsweise schreibt das „Handelsblatt“ unter der Überschrift „Union verliert“:

Das Vertrauen in die Regierungsfähigkeit von CDU und CSU schwindet, nicht nur in Meinungsumfragen. Auch in der Wirtschaft, einst unerschütterliche Basis von Union und FDP, wachsen die Zweifel an der Kompetenz der heutigen Opposition.

Ich finde, das „Handelsblatt“ hat gut beobachtet. Dem ist im Kern nichts hinzuzufügen.

   Ich unterstelle, dass Sie Ihren Antrag ernst nehmen und ihn als Grundlage Ihrer Wirtschaftspolitik nehmen wollen und dass Sie keine Showdebatte führen wollen. Deshalb möchte ich daraus einen Ihrer Allgemeinplätze zitieren:

... den kausalen Zusammenhang zwischen der technologischen Kompetenz ... und dem Erhalt und Aufbau von Arbeitsplätzen zu akzeptieren ...

Dieser Satz ist so vielsagend, dass ich ihn gern wiederhole:

... den kausalen Zusammenhang zwischen der technologischen Kompetenz ... und dem Erhalt und Aufbau von Arbeitsplätzen zu akzeptieren ...

Über solch eine solche Neuigkeit bin ich wirklich überrascht. Wer akzeptiert denn diesen Zusammenhang nicht? Wir jedenfalls haben unsere Politik auf Innovationen ausgerichtet und mit unseren Rahmenbedingungen Innovationen gefördert. Mit Ihren Allgemeinplätzen hingegen haben Sie die Wirtschaft in unserem Land nicht einen Millimeter vorangebracht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer (CDU/CSU): Was ist mit den Arbeitsplätzen?)

   Wir haben die Weichen für einen erfolgreichen Forschungs- und Innovationsstandort gestellt. Die vorherige Debatte hat das noch einmal deutlich gemacht. Die Erfolge werden schon sichtbar. Beispielsweise entstehen in Dresden, dem Silicon Valley des Ostens, zusätzlich 10 000 direkte Arbeitsplätze in der Hochtechnologie.

(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Wo die CDU regiert!)

In München investiert General Electric in ein großes Forschungszentrum. Damit werden zukunftsfähige Arbeitsplätze geschaffen. Das zeigt beispielhaft, dass Deutschland als Forschungsstandort attraktiv ist.

   Lassen Sie mich noch anfügen: Die Stärkung der technologischen Kompetenz heißt für uns auch Ausbau von Ganztagsschulen, Qualifizierung der Arbeitnehmer und Nutzung der Mitbestimmung in den Betrieben. Das sind Standortvorteile, auf die wir zukünftig noch stärker bauen müssen.

   Ihr Antrag enthält aber nicht nur Banalitäten, er ist auch in sich widersprüchlich. So fordern Sie

… industriepolitische Interventionen zu unterlassen und zu verhindern, dass benachbarte EU-Mitgliedsstaaten ihrerseits mit solchen Interventionen den freien Wettbewerb ... unterbinden oder verfälschen ...

Welch eine Binsenweisheit! Wofür haben wir denn die europäische Beihilfepolitik organisiert? Sie ist erfolgreich, wenn es um gleiche Wettbewerbschancen für alle Länder geht. Welche industriepolitische Interventionen meinen Sie eigentlich? Sie sind doch die Ersten, die die Regierung in Krisensituationen auffordern, die Unternehmen nicht allein zu lassen. Ich frage mich also, wie Ihre Forderung nach industriepolitischer Enthaltsamkeit mit Ihrer Forderung im gleichen Antrag zusammenpassen soll, wonach deutschen Unternehmen mehr Hilfestellung bei internationalen Aktivitäten zu leisten sei. Das ist eine Aufgabe, die auch wir sehen. Bei Ihnen ist aber eine eindeutige Linie absolut nicht erkennbar. Ihr Hin und Her ist keine Linie, auf die sich die Wirtschaft in diesem Land verlassen kann. Sie müssen sich nämlich schon entscheiden, ob Sie deutsche Unternehmen unterstützen wollen oder nicht.

   Die SPD jedenfalls beurteilt Industriepolitik positiv. Natürlich helfen wir deutschen Unternehmen auf Auslandsmärkten. Sie sehen, dass die breite außenwirtschaftliche Kompetenz und das Instrumentarium, das wir vorhalten, wirken. Dies sind die Hermesbürgschaften, die Messeförderung, die Förderung des Exports von erneuerbaren Energien, die Bundesagentur für Außenwirtschaft und die Förderung von Direktinvestitionen in Deutschland. Allein für 2005 hat die Bundesregierung die Mittel für die Außenwirtschaftsförderung noch einmal von 100 Millionen auf 114 Millionen Euro aufgestockt. Für uns hat die Außenwirtschaftsförderung hohe Priorität.

   Bei Ihnen scheint eine gewisse Beliebigkeit Fuß zu fassen. Einerseits wollen Sie industriepolitische Interventionen abschaffen, andererseits wollen Sie Unternehmen bei Auslandsaktivitäten unterstützen. Klarer kann Ihr wirtschaftspolitischer Zickzackkurs nicht deutlich gemacht werden.

   Der Rückzug von Herrn Merz aus der Wirtschafts- und Finanzpolitik scheint aus meiner Sicht eine deutliche Lücke hinterlassen zu haben. Die Wirtschaftsverbände haben erst in dieser Woche das Fehlen eines Unionskonzepts zur Unternehmensbesteuerung bemängelt. Eine Wirtschaftszeitung kommentiert zu Recht, wie ich finde, dass die dünnen Thesen des Unionspapiers in erstaunlichem Kontrast zum pompösen Titel „Konzept 21“ stehen.

   Meine Damen und Herren, Deutschland hat in den vergangenen anderthalb Jahren weitgehende Reformen hinter sich gebracht. Mit der Agenda 2010 haben wir richtige Antworten auf die Globalisierung, die Demographie und den Strukturwandel gegeben. Wir haben Kurs gehalten und uns nicht von populistischem Schlechtreden abbringen lassen. In den jüngsten Umfragen wird gerade das honoriert. Kurs halten, Klarheit schaffen und den Menschen Vertrauen geben – auch das ist wirtschaftspolitische Kompetenz.

   In einer aktuellen Umfrage des „Business-Monitor International“ bewerten ausländische Manager die Reformfortschritte in Deutschland als sehr positiv. Der Standort Deutschland sei der Aufsteiger des Jahres,

(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Auch bei den Arbeitslosen!)

so sagt das Meinungsforschungsinstitut Psephos, das regelmäßig für das „Handelsblatt“ aktiv ist. Herr Singhammer, ich möchte Sie auf Folgendes hinweisen: Nicht die Bundesregierung, sondern ein bedeutendes Wirtschaftsmagazin hat dieses Meinungsforschungsinstitut beauftragt. Dessen positive Ergebnisse sollten Sie zur Kenntnis nehmen.

   Ihnen gehen die Reformen nicht schnell und nicht weit genug; wir wissen das. Sie gefallen sich im Schlechtreden. Wissen Sie eigentlich, dass Sie damit dem Land und der Wirtschaft einen Bärendienst erweisen? Die Miesmacherstimmung irritiert zumindest die öffentliche Meinung.

   Die Zahlen, die eine wirtschaftliche Besserung belegen, sprechen eine völlig andere Sprache:

   Erstens. Nach drei Jahren Stagnation haben wir im vergangenen Jahr ein Wachstum von 1,7 Prozent gehabt, und zwar trotz des hohen Eurokurses und trotz der sehr hohen Rohstoffpreise. Ich will an Folgendes erinnern: 1996 und 1997 hatten wir unter Ihrer Regierung Wachstumsraten von 0,8 bzw. 1,4 Prozent.

(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Aber null hatten wir noch nie! – Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Minus hatten wir nie!)

– Ihre Erinnerung ist schlecht, Herr Fuchs. – Meckern Sie also nicht immer darüber, wie mager alles ist!

   Zweitens. Die deutschen Unternehmen verdienen deutlich mehr. In 2004 stiegen die Gewinne aus Unternehmertätigkeit und Vermögen um 10 Prozent. Das zeigt: Am Standort Deutschland kann man gutes Geld verdienen..

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Reden Sie einmal von den Insolvenzen!)

   Drittens. Im Jahr 2004 ist die Zahl der Erwerbstätigen – das zeigt, dass in den Standort Deutschland investiert wird – um 128 000 gestiegen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir das in diesem Jahr deutlich toppen werden.

(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Das ist der Gipfel der Unseriosität! 1-Euro-Jobs!)

– Regen Sie sich doch nicht auf! Die 1-Euro-Jobs gab es doch noch gar nicht in 2004. Die haben wir doch erst am 1. Januar 2005 eingeführt. Herr Singhammer, Sie sind nicht auf der Höhe der Zeit. Bleiben Sie ganz ruhig, helfen Sie der Wirtschaft durch sachliche Arbeit und stören Sie nicht durch Ihre hektische Polemik!

   Ich sage Ihnen: Unternehmensgewinne dürfen auch in Zeiten des Shareholder-Value nicht nur für die Finanzmärkte erwirtschaftet werden. Der Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen um 1,2 Prozent in 2004 ist ein erstes ermutigendes Zeichen, dem weitere folgen müssen. Unternehmensgewinne sind kein Selbstzweck. Sie müssen sich immer auch an gesellschaftlichen Zielen messen lassen.

Nur so ist das Ziel zu erreichen, Wohlstand für alle zu mehren und soziale Gerechtigkeit in Deutschland dauerhaft zu ermöglichen.

   Viertens: Deutschland ist auch im Jahr 2004 Exportweltmeister. 2004 stiegen die Exporte noch einmal um 10 Prozent gegenüber dem bisherigen Rekordjahr 2003 – ein Zeichen hoher Wettbewerbsfähigkeit.

   Das positive Bild zeigt sich auch an den Direktinvestitionen: In den 90er-Jahren war, wie wir alle wissen, der Saldo der Direktinvestitionen durchgängig negativ. In den Jahren 2000, 2002 und 2003 gab es hingegen einen positiven Saldo. Das heißt, es kamen mehr Direktinvestitionen nach Deutschland als umgekehrt.

   Diesen Trend wollen wir durch eine solide Wirtschaftspolitik beibehalten. Deshalb fordere ich Sie auf, das Land nicht weiter schlecht zu reden. Sie haben bisher kein Konzept vorgelegt. Helfen Sie durch positive Unterstützung mit, die Kultur der Zuversicht und der Ermutigung zu stärken, anstatt der Wirtschaft durch Ihr Schlechtreden einen Bärendienst zu erweisen.

   Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Rainer Brüderle, FDP-Fraktion, das Wort.

Rainer Brüderle (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach drei langen Jahren der Rezession und der Stagnation wächst die deutsche Wirtschaft zum Glück wieder. Das Wirtschaftswachstum im Jahre 2004 stellte aber eine zweifache Leihgabe dar: Die erste Leihgabe kam von der Weltwirtschaft. Der Rest der Welt ist dreimal so schnell wie Deutschland gewachsen. Während die Weltwirtschaft das größte Wachstum seit 20 Jahren zu verzeichnen hatte, hinken wir hinterher. Die zweite Leihgabe war ein erheblicher Kalendereffekt mit einigen zusätzlichen Arbeitstagen. Dies sollten sich vor allem diejenigen hinter die Ohren schreiben, die 20 Jahre Seit’ an Seit’ mit der IG Metall für Arbeitszeitverkürzung und die 35-Stunden-Woche gekämpft haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   2005 muss Deutschland ohne die Sondereinflüsse des Kalenders und der Weltkonjunktur auskommen. Normalerweise springt der Exportboom auf die Binnenkonjunktur über und stimuliert zusätzliche Binnennachfrage. Unter Grün-Rot stellt sich aber die klassische Choreografie des Aufschwungs schon lange nicht mehr ein; der Exportboom springt nicht über. Bundesbank, Wirtschaftsweise und Konjunkturinstitute sagen immer wieder, das Wachstumspotenzial für Deutschland sei für einen selbsttragenden weiteren Aufschwung und für mehr Beschäftigung zu schwach.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

   Nun wollen Sie offenbar mit neuen Schulden das Wachstum ankurbeln. Anders ist der durchsichtige Vorstoß des Bundeskanzlers zur faktischen Abschaffung des Stabilitätspaktes nicht zu deuten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

In den letzten Jahren hatten wir in Deutschland Nullwachstum bei gleichzeitiger Rekordverschuldung. Ich frage Sie: Wie hoch hätte nach Meinung der Regierung die Verschuldung in Deutschland sein müssen, um einen positiven Wachstumsbeitrag in unserem Lande zu erzielen? Nach meiner Auffassung kostet Verschuldungspolitik Wachstum. Ihr Parteifreund und Wirtschaftsweiser Professor Wiegard hat mit dem von ihm im letzten Jahresgutachten des Sachverständigenrats ausführlich dargelegten Zusammenhang von öffentlichem Sparen und Wirtschaftswachstum völlig Recht. Stabile Preise und solide Staatsfinanzen sind Voraussetzung für mehr Wachstum. Sie sind offenbar vom Gegenteil überzeugt; Sie wollen mit weniger Preisstabilität und mehr Schulden die Wachstumsbasis verstärken. Dies ist absurd.

(Beifall bei der FDP)

   Doch Sie wollen nicht nur die Verschuldung ausweiten, Sie wollen offenbar auch Steuern erhöhen. Das Trojanische Pferd für Ihre Steuererhöhungsfantasien steht in Kiel. Frau Simonis und ihr wild gewordener Finanzminister machen Wahlkampf mit einem Steuererhöhungspaket von rund 20 Milliarden Euro. In der größten Konsumflaute wollen sie allen Ernstes die Mehrwertsteuer auf 19 Punkte erhöhen und damit den privaten Haushalten die Chance auf mehr Kaufkraft und mehr Konsum wegnehmen.

(Beifall bei der FDP)

   Allein die Ankündigung von Steuererhöhung durch Kiel ist ein Stück wirtschaftspolitischer Vaterlandsverrat. So etwas verunsichert die Menschen und Unternehmen und schafft die Angststarre nicht ab, sondern verstärkt sie. Erzählen Sie nicht, Sie wollten mit den Steuermehreinnahmen die Lohnnebenkosten senken; dies hat schon bei der Ökosteuer nicht geklappt.

   (Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Grünen haben kein Interesse, die Angststarre in Deutschland zu beseitigen; sie sind selbst ein Produkt der Angstgesellschaft. Sie profitieren von der Angst. Sie verbreiten auch Angst vor der Gentechnik. Das Resultat ist, dass synthetisch sauberes Insulin heute ein Importgut ist. Der damalige hessische Umweltminister Joseph Fischer hat mit seiner Angstpolitik die Produktion dieses Stoffes durch die Farbwerke Hoechst verhindert. Damit hat er die Basis dafür gelegt, dass 20 Jahre später die pharmazeutische Produktion durch die Farbwerke Hoechst dort nicht mehr stattfindet. So sieht nachhaltige Politik der Grünen aus!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mit der Grünen Gentechnik geschieht heute durch Frau Künast das Gleiche. Sie macht Wahlkampf für gentechnikfreie Bundesländer. Damit werden wir keine Aufbruchstimmung in diesem wichtigen Sektor erreichen.

   Der Kanzler hat längst die Parole „ruhige Hand Teil 2“ ausgegeben. Das Kabinett gleicht einer Ansammlung von Wacholderdrosseln. Sie flattern heftig mit den Flügeln, aber bewegen nichts. Die Probleme in Deutschland lassen sich aber nicht „wegflattern“.

   Der Bundeskanzler hat Ihnen, Herr Clement, persönlich die Verantwortung für die Situation auf dem Arbeitsmarkt zugeschoben. Man bekommt den Eindruck, dies sei ein neuer Karrieresprung vom Superminister zum Sündenbock. Die Regierung verspricht seit sechs Jahren etwas anderes: Zuerst sollte die Arbeitslosigkeit auf 3,5 Millionen Arbeitslose gesenkt werden; da war das Thema Beschäftigung noch Chefsache von Herrn Schröder. Peter Hartz hat dann 2 Millionen Arbeitslose weniger versprochen. Sie behaupten, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2010 zu halbieren. Die Realität aber sieht anders aus: Auch ohne die Hartz-IV-Effekte haben wir die höchste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung zu verzeichnen. Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe war richtig. Dies war jedoch nur eine isolierte Maßnahme, aber kein Konzept für mehr Wachstum und Beschäftigung.

   Sie lassen das Tarifkartell unangetastet. Helmut Schmidt wird nicht müde zu mahnen, dass hier aus seiner Sicht die entscheidende Schwachstelle liegt. Er hat Recht. Die Lohnnebenkosten gehen eher hoch als runter. Die Steuerlast der Unternehmen macht sie immer noch nicht wettbewerbsfähig. Der Schlüsselbegriff lautet „mehr Wettbewerb“. Man könnte in Analogie zu einer erfolgreichen Handelswerbung sagen: Wettbewerb ist geil. Vielleicht verstehen Sie es so besser. Sie müssen dies aber auch konkret umsetzen. Das Gegenteil aber ist der Fall: Die Regulierung nimmt eher zu. Im Arbeitsrecht gibt es eine absurde Anzahl von Schwellenwerten, von der Pflicht für getrennte Toiletten bei einem Ein-Frau- oder einem Ein-Mann-Betrieb bis zur paritätischen Besetzung der Aufsichtsräte in Großkonzernen.

   Eine Reform des Arbeitsrechts kostet keinen Cent, nur ein paar Pfründe der Gewerkschaftsfunktionäre.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich kann mich gut daran erinnern, als von Rot-Grün im letzten Jahr ein Antrag zur Fusionsrichtlinie eingebracht wurde, mit dem Herr Clement aufgefordert wurde, in Brüssel für die paritätische Mitbestimmung in deutschen Aufsichtsräten zu kämpfen.

(Dr. Uwe Küster (SPD): Gut so!)

Er konnte und wollte sich nicht durchsetzen. Am deutschen Mitbestimmungswesen wird Europa eben nicht genesen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir müssen etwas tun. Ansonsten nimmt die Zahl der Firmensitze in Deutschland ab. Wir wissen doch aus Erfahrung, dass in den Firmenzentralen entschieden wird, wo am Schluss die Zahl der Arbeitsplätze vermindert wird.

(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Sehr richtig!)

Wenn wir die Kommandozentralen aus Deutschland vertreiben, werden wir unserem Standort nichts Gutes tun. Sie müssen in Deutschland gehalten werden.

(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Sehr richtig!)

   Eines wird in dieser Debatte völlig übersehen: Bush ist in Deutschland zwar nicht sehr populär. Viele lehnen ihn ab, begründet oder unbegründet. Er ist aber dabei, in den USA etwas fundamental Neues auf den Weg zu bringen. Dies ist auch ein Schlüsselbegriff seiner Kampagne. Die Ownership Society, die Eigentümergesellschaft, wird – ähnlich wie bei Ronald Reagan – einen weiteren Effizienz- und Produktivitätssprung der amerikanischen Wirtschaft auslösen. Die USA haben schon heute einen volkswirtschaftlichen Produktivitätsvorsprung von etwa 30 Prozent. Ganz simpel gesprochen: 1 000 Personen produzieren in zehn Stunden bei gleicher Maschinenzahl 30 Prozent mehr Autos. Das Gap, der Abstand, ist in der Tendenz eher steigend. Diese Umstrukturierung, die ich für Deutschland so nicht empfehle, etwa die Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme, wird die USA bezüglich der Wettbewerbselastizitäten weiter nachhaltig stärken.

   Neben dem zu geringen Wachstumspotenzial ist die mangelnde Elastizität, die mangelnde Anpassungsfähigkeit unserer deutschen Volkswirtschaft, bei externen Veränderungen unsere zweite Schwäche. Sie ist in Bezug auf die vielen Risiken zu schwach.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Rainer Brüderle (FDP):

Deshalb sind wir anfällig, wenn es draußen entsprechende Veränderungen gibt. – Herr Lammert, das war der letzte Satz.

(Dr. Uwe Küster (SPD): Sie sind am Ende, Herr Brüderle!)

– Ich bin noch lange nicht am Ende, aber Ihre Zwischenrufe zeigen: Ihnen fällt nichts ein.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Fritz Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man für die Wirtschaft in Deutschland und damit für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit etwas Gutes tun will, dann muss man offen und klar über die Stärken in Deutschland reden; man muss aber ebenso offen und klar über die Schwächen reden. Das habe ich bisher in der Debatte vermisst. Sie verharren in den Ihnen zugewiesenen Rollen. Frau Wöhrl muss sagen, dass es schlecht sei; Herr Brüderle hat ein paar ordnungspolitische Bedenken vorgetragen.

(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Das hat sie doch gar nicht gesagt! Kollegin Wöhrl hat gesagt: Rot-Grün ist schlecht! – Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Gehen Sie doch auf meine Rede ein!)

– Was Sie über Deutschland und Österreich gesagt haben, darf man ja in Bayern nicht laut sagen,

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Das ist die Realität!)

wenn ich mir die Probleme der bayerischen Wirtschaft anschaue.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Wir schauen den Tatsachen ins Auge!)

So meine ich das.

   Ich will jetzt einen Überblick darüber geben, was eigentlich los ist.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Glänzen Sie doch einmal als leuchtendes Beispiel!)

Wenn Sie sich einmal die Entwicklung des letzten Jahres und die Prognose für 2005 anschauen, dann sehen Sie, dass die Reformen in Deutschland anziehen. Vor allem das Ausland erkennt an, dass sich dieses Land bewegt.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Das ist doch alles Wunschdenken!)

Daran können Sie auch mit all Ihrem Schlechtreden nicht rütteln: Im Ausland erkennt man an: Deutschland reformiert sich Schritt für Schritt. Nicht alles schaffen wir sofort, aber der Wille und die Konzepte sind da und die Richtung stimmt.

(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Was ist denn mit den Arbeitslosen?)

Dies wird positiv bewertet.

   Schauen Sie sich doch die ökonomischen Indikatoren an. Wir haben Waren und Dienstleistungen im Wert von 731 Milliarden Euro aus Deutschland exportiert.

(Johannes Singhammer (CDU/CSU): 6 Millionen ohne Beschäftigung!)

Damit sind alle Vorleistungsanteile ausgeglichen. Die These der Basar-Ökonomie ist ja albern. Wir sind also im Export erfolgreich. Die Lohnstückkosten in Deutschland sind in den letzten Jahren fast konstant geblieben; seit 1995 sind sie nur um 2 Prozent gestiegen, während sie im EU-Durchschnitt um 10 Prozent gestiegen sind.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Warum haben wir so viele Arbeitslose? Reden Sie doch einmal von den Arbeitslosen!)

Diese Indikatoren zeigen doch, dass es auf der einen Seite eine maßvolle Lohnentwicklung und auf der anderen Seite eine gute Steigerung der Produktivität gegeben hat. Denn anderenfalls wären solche Lohnstückkosten nicht zustande gekommen.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Sie sollten einmal darüber reden, wie die Leute Arbeit kriegen!)

Frau Wöhrl, solche Entwicklungen sollten Sie einfach anerkennen, wenn Sie vernünftig und richtig über die Bundesrepublik Deutschland und ihre wirtschaftliche Fähigkeit sprechen wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ich will Ihnen einmal drei Beispiele für die Alternativen, die die Union in dieser Reformwerkstatt Bundesrepublik Deutschland fabriziert, nennen, Beispiele, bei denen ich der Meinung bin: Sie sollten noch einmal in sich gehen.

(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Sagen Sie doch mal was zu den Arbeitslosen! – Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Wir kriegen immer mehr Arbeitslose!)

   Erstens. Sie brüten über ein halbes Jahr – und langweilen damit die deutsche Öffentlichkeit – darüber, wie zum Zweck der weiteren Senkung der Lohnnebenkosten die Krankenversicherung reformiert werden soll. Alle, auch Sie selber in den eigenen Reihen, gestehen ein: Das, was bei den merkelschen Kopfpauschalen herausgekommen ist, ist nichts anderes als ein Murks. Alle, auch Leute von Ihnen, Vertreter der Wirtschaftsverbände, sagen: Selbstverständlich werden wir diesen Merkel- und Stoiber-Murks nicht unterstützen, weil er keinen Fortschritt hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung darstellt.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Aber Ihre Bürgerversicherung lehnen wir erst recht ab!)

Das, was der erste Meilenstein beim Reformpaket der Union sein sollte, stellt sich als Murks bei der weiteren Reform der sozialen Sicherungssysteme heraus.

   Ferner haben Sie steuerpolitische Vorschläge gemacht. Da bin ich gespannt, wie Sie von denen wieder herunterkommen wollen. Gestern, am 19. Januar, gab es dazu eine Anhörung des Finanzausschusses. Ich will Ihnen vortragen, wie von den Professoren Rürup,

(Zuruf von der CDU/CSU: Rürup war gar nicht da!)

Wiegard und Christoph Spengel vom ZEW in Mannheim die Vorschläge von Union und FDP bewertet worden sind.

(Abg. Hans Michelbach (CDU/CSU) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Danach können wir sehen, ob Sie, Herr Michelbach, noch in der Lage sind, eine Zwischenfrage zu stellen.

   Sie von der Union haben im Wesentlichen eine Einkommensteuerreform vorgeschlagen, in der Sie die Steuersätze weiter senken wollen. Dazu sagen die Sachverständigen – ich darf zitieren –:

Gemessen am internationalen Niveau besteht aus deutscher Sicht derzeit jedoch keine Notwendigkeit zur Senkung der Einkommensteuersätze. Seit dem 1. Januar 2005 gelten die niedrigsten Werte seit Bestehen der Bundesrepublik.

Die Professoren führen weiter aus:

Im EU-Vergleich ist der Spitzensteuersatz (42 Prozent) äußerst moderat, der Eingangssteuersatz (15 Prozent) liegt sogar um über fünf Prozentpunkte unter dem europäischen Durchschnittswert.

Zu den körperschaftsteuerpflichtigen Betrieben heißt es:

Die tarifliche Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften würde nach den Vorstellungen beider Parteien

– gemeint sind Union und FDP –

steigen.

   Mein Fazit dieser Bewertung lautet: Sie legen ein Einkommensteuerpaket vor, das überflüssig ist und uns die Mittel für Investitionen, zum Beispiel in Forschung und Bildung, raubt. Bei den Unternehmensteuern tendieren Sie zu einer zusätzlichen Steuerbelastung.

(Abg. Hans Michelbach (CDU/CSU) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Dazu kann ich nur sagen: Das ist ein Volltreffer im Reformpaket der Reformwerkstatt Union. Offensichtlich schaden Sie durch Ihre Steuerpolitik dem Standort Deutschland. Deswegen sollten Sie ganz leise, ruhig und vorsichtig sein, wenn Sie die Steuerpolitik, die die Bundesregierung in den letzten Jahren betrieben hat, angreifen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Kuhn!

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein, ich möchte weitermachen.

   Der dritte Punkt. Offensichtlich haben Sie nicht verstanden, wie man in Deutschland Innovationen schafft.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Das muss richtig gestellt werden! Sie waren nämlich nicht anwesend!)

– Ihnen steht noch Redezeit zu. All Ihre neuen Sprecher können reden. –

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Innovation erreichen wir nur dann, wenn wir in Deutschland mehr für Forschung, Bildung, Schule, Ausbildung und Weiterbildung tun. Das ist der Kernpunkt der gesamten Innovationsdebatte. Alle Vorschläge, die wir gemacht haben, damit in diesem Bereich mehr geschieht, werden von der Union blockiert, weil Sie die Finanzierungsinstrumente, die wir vorsehen – zum Beispiel den Abbau von Subventionen wie der Eigenheimzulage –, nicht mittragen; denn Sie brauchen sie, um Ihren absurden Vorschlag, die Einkommensteuersätze zu senken, umzusetzen.

   Durch Ihre Steuerpolitik verhindern Sie Innovationen, weil Sie Forschung, Bildung und Forschungsdienstleistungen in Deutschland nicht stärken wollen und nicht stärken können. Die Vorschläge, die Sie gemacht haben, sind innovationsfeindlich. Das müssen Sie sich anhören, wenn Sie hier so locker und fröhlich über den Standort Bundesrepublik reden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Sie sagen, wir sollen uns nicht weiter verschulden. Das ist richtig und das wollen wir auch nicht tun. Aber die Finanzierung der Vorschläge, die Sie zur Steuerpolitik gemacht haben, ist in einer Größenordnung von mindestens 10 Milliarden Euro nicht gedeckt. Die Steuerpolitik von Union und FDP würde dazu führen, dass die Bundesrepublik Deutschland zusätzliche Schulden machen müsste. Sie müssen es sich leider gefallen lassen, dass mein Fazit lautet: Sie haben keine stimmige Konzeption zur Reform der Bundesrepublik Deutschland.

   Es ist wirklich leichter, in der Opposition Konzepte zu erarbeiten, als sie in der Regierung umzusetzen.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Machen Sie lieber erst mal Konzepte! – Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Dann treten Sie doch zurück!)

Ich glaube, das ist eine Binsenweisheit, die sowohl für die Länder als auch für den Bund gilt. Aber man muss sich von der Öffentlichkeit fragen lassen – diese Frage wird auch gestellt –: Wenn die Reformvorschläge, die die Union, wenn sie in der Opposition ist, produziert, nur Murks sind, wie es zum Beispiel bei den Kopfpauschalen und in der Steuerpolitik der Fall ist, was wird dieses Land erst erwarten dürfen, wenn Sie im Jahr 2006, was Gott verhindern möge, wieder an die Regierung kommen?

   Die Bevölkerung in Deutschland merkt das. Sie hat verstanden, was es bedeutet, dass Frau Merkel das Personal wegläuft. Ihre kompetenten Leute, die etwas von Wirtschaftspolitik verstehen, wollen diesen Murks nicht mehr nach außen repräsentieren. Sie verziehen sich lieber in Steuer- bzw. Rechtsanwaltskanzleien. Jetzt müssen Sie Herrn Kauder schon fünfmal einsetzen, um Ihre Personalvorschläge überhaupt noch politisch realisieren zu können. Genau das ist der Punkt, an dem es bei Ihnen hakt. Sie haben für die Bundesrepublik Deutschland keine Konzepte. Ich glaube, diesen Eindruck hat auch die Bevölkerung.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Kuhn, würden Sie nun eine Zwischenfrage des Kollegen Brüderle gestatten?

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein, ich will weitermachen

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

– ich habe noch eine Minute Redezeit –; denn ich habe, was die Zwischenfragen von Herrn Brüderle betrifft, die Erfahrung gemacht, dass sie nicht als ernste Fragen, sondern als Polemik gemeint sind. Deswegen will ich mir diese Zeit sparen.

(Dirk Niebel (FDP): Herr Kuhn, jetzt verschwenden Sie Ihre gute Redezeit für Ihre eigene Polemik!)

   Ich will noch einen Punkt ansprechen, der uns Grünen wichtig ist:

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Hört! Hört!)

Herr Minister Clement, wir betrachten die Reformen, die wir durchgeführt haben, vor allem für die Arbeitsmarktpolitik als entscheidend. Aber die Reformwerkstatt Bundesrepublik Deutschland darf nicht aufhören, weiter zu reformieren. Das trifft natürlich für die gesetzliche Krankenversicherung zu; das ist innerhalb der Koalition Konsens.

Wir brauchen ferner eine Reform der Pflegeversicherung. Da steht die Union auf der Bremse und blockiert, weswegen es schwierig ist, da weiterzukommen. Und wir müssen beim Bürokratieabbau vorankommen. Ich will ganz deutlich sagen, dass ich das Vorgehen, jetzt Vorschläge einzusammeln und sie nach Schwerpunkten abzuarbeiten, für richtig halte.

(Gudrun Kopp (FDP): Schwerpunkte! – Johannes Singhammer (CDU/CSU): Nach sieben Jahren!)

Wir müssen weitere Bürokratieabbauinitiativen unternehmen.

(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Was haben Sie bisher gemacht? – Gudrun Kopp (FDP): Sie kommen doch gar nicht weiter!)

Dazu gehört auch eine Steuerreform, bei der es nicht um die Senkung der Steuertarife geht, sondern bei der die systematische Vereinfachung unseres Steuerrechts in den Vordergrund rückt. Die Betriebe klagen über Bürokratie, weil sie ganz stark unter unserem zu komplizierten Steuerrecht leiden und unter der Notwendigkeit, Firmengestaltungen zum Teil im Hinblick auf das Steuerrecht vorzunehmen statt nach ökonomischer Vernunft.

   Ich sage Ihnen klar: Wir müssen bei den Innovationen vorankommen. Die Finanzierung innovativer Betriebe, insbesondere über Venturecapital, ist in Deutschland im internationalen Vergleich noch nicht konkurrenzfähig. Das ist ein unangenehmes Thema, es ist ein schwieriges Thema. Wir haben jetzt Erfolge erzielt: Über die Dachfonds hat sich ein bisschen was bewegt, aber in der Summe sind wir – wie gestern im „Handelsblatt“ nachzulesen war – an der Stelle noch nicht so weit, wie wir sein müssten.

   Deswegen heißt unsere Botschaft – damit komme ich zum Schluss –: Wir sind auf einem guten Weg bei den Reformen. Die Menschen draußen spüren das. Die Wirtschaft spürt das: Die Stimmung ist wieder positiver. Aber wir sind nicht am Ende.

(Dirk Niebel (FDP): Natürlich sind Sie am Ende!)

Wir müssen und wir werden weiterreformieren, ganz egal ob die Union blockiert oder nicht. Wir werden konsequent – auch ordnungspolitisch – den Weg für eine bessere Wirtschaftsordnung und mehr Arbeitsplätze in Deutschland gehen.

   Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Michelbach das Wort.

Hans Michelbach (CDU/CSU):

Herr Kollege Kuhn! Sie haben hier ein falsches Zitat verwandt. Die Professoren Wiegard, Spengel und Rürup waren gestern bei der Sachverständigenanhörung gar nicht anwesend.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie manipulieren damit eine Sachverständigenanhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages. Tatsache ist: Die Steuerreformvorschläge der CDU/CSU wurden von den anwesenden Professoren Kirchhof, Eekhoff, Arndt und Bareis als Schritt in die richtige Richtung ausdrücklich gelobt und als positiv angesehen.

(Dirk Niebel (FDP): Wo war denn Herr Kuhn bei der Anhörung?)

Damit ist der Nachweis erbracht, dass eine Steuerreform, wie sie CDU und CSU vorschlagen, notwendig und dringend ist. Wir benötigen die volkswirtschaftlichen Vorteile, die Effizienzgewinne einer Vereinfachung des Steuerrechts für den Standort Deutschland. Die Finanzierung kann letzten Endes geleistet werden, weil die Mittel dafür durch die Konjunkturbelebung und die Wachstumseffizienz, die mit dieser Vereinfachung einhergehen, frei werden. Reformstillstand und Manipulation sollten wir uns in diesem Land in einer solch wichtigen Frage nicht leisten, Herr Kollege Kuhn. Ein Reformstillstand in der Steuerpolitik durch Herrn Eichel bis 2008 wäre das Schlimmste, was dem Wirtschaftsstandort passieren könnte. Gehen Sie deshalb mit uns gemeinsam mit dem Konzept 21 in die Offensive!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Runde, Zwischenfragen bei Kurzinterventionen gibt es nicht. Aber es gibt die Möglichkeit der direkten Erwiderung durch den Angesprochenen. Herr Kollege Kuhn, bitte schön.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Wir können es ganz kurz machen: Lieber Herr Michelbach, ich habe sauber und präzise aus einer Stellungnahme der drei genannten Professoren anlässlich der Anhörung zitiert; der schriftliche Text liegt ja vor, er lag Ihnen auch gestern als Material zur Anhörung vor.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Nein, hat nicht vorgelegen!)

– Ich habe ihn doch nicht vom Christkind geschenkt bekommen.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Den haben Sie vielleicht bestellt!)

Der Text lag anlässlich der Anhörung vor und daraus habe ich vorgelesen. Es ist ein öffentliches Dokument;

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Das haben Sie bestellt! Alles SPD-Mitglieder!)

wir können es Ihnen auch kopieren, falls Sie keine Kopierer in der Fraktion haben; darüber brauchen wir nicht zu streiten.

   Ich wollte die Auffassung dieser Professoren, die Sie gerne zitieren, wenn es für Sie günstig ist, hier kundtun.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Sie haben von der Sachverständigenanhörung geredet! Sie waren doch gar nicht anwesend!)

Sie haben klar und einfach gesagt – jetzt hören Sie doch einmal zu, Herr Michelbach –, wie unsere Position aussieht: Das Volumen der Steuertarifsenkung beträgt seit 1998 insgesamt 60 Milliarden Euro. Im internationalen Vergleich betrachtet gibt es bei der Einkommensteuer keinen Bedarf für weitere Steuersenkungen. Es gibt sicher einen Reformbedarf bei der Unternehmensteuer. Deswegen verfolgen wir auch in unseren Reihen die Diskussion über die Möglichkeit eines dualen Steuersystems, wie es im Finanzministerium ebenfalls beraten und erarbeitet wird, sehr aufmerksam; das ist doch logisch.

   Man hat Ihnen nachgewiesen: Das, was Sie vorgelegt haben, ist ein überflüssiges Konzept für eine Einkommensteuerreform. Das betrifft nicht die Vereinfachung, die nicht überflüssig ist. Sie sind mit Ihrem Konzept aber auf dem Bauch gelandet und haben es nicht richtig vorangebracht. Deswegen wird diesem Steuerkonzept in der politischen Auseinandersetzung der nächsten Monate keine Strahlkraft innewohnen. Es tut mir Leid für Sie, dass es so ist.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!)

– Gut, wir wollen ehrlich bleiben: Arg Leid tut es mir nicht. – Sie müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass Sie mit dem Konzept durchgefallen sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile nun dem Kollegen Johannes Singhammer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Dr. Uwe Küster (SPD): Das wird auch nicht besser!)

Johannes Singhammer (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Clement, bei 4,5 Millionen offiziell gemeldeten Arbeitslosen und mindestens 6 Millionen Menschen ohne Beschäftigung muss sich in Deutschland etwas ändern. Deutschlands Wirtschaft wird abgehängt, während in anderen Ländern erfreuliche Wachstumsraten zu verzeichnen sind. Zu Recht kommentiert der Chefökonom des Ifo-Instituts:

Obwohl der Rest der Welt wächst wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr, kommt Deutschland nicht voran.

Wir reden Deutschland nicht schlecht, Sie reden die Arbeitslosenzahlen aber schön. Das ist das Problem.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Hier wird immer die Exportkraft der deutschen Wirtschaft angeführt. Wir sind stolz, dass es so ist. Die Aussagekraft der Statistik bezogen auf den Export hat aber abgenommen. Herr Kuhn, ich nenne Ihnen ein ganz einfaches Beispiel, falls Sie es noch nicht kennen: Der Porsche Cayenne – ein schönes Auto – wird in Leipzig hergestellt. Die Vorfertigung geschieht in der Slowakei. Dieses Auto mit einem gewissen Wert wird exportiert und erscheint in der Exportstatistik. Die tatsächliche Wertschöpfung in Deutschland – in Leipzig – beträgt nur 15 Prozent des Wertes. Das ist doch das Problem. Wenn Sie auf die Exportstatistik abstellen, dann müssen Sie doch auch die andere Seite der Medaille kennen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Auf dem Weg der Deindustrialisierung Deutschlands sind Sie leider ein gutes Stück vorangekommen. Ich nenne zwei Bereiche:

   Die Pharmaindustrie. Deutschland war einst die Apotheke der Welt, heute ist es ein Filialunternehmen, in dem zwar verkauft, aber immer weniger produziert wird. In den letzten 14 Jahren ist in unserem Land die Zahl der Beschäftigten nur in dieser Branche um 5 Prozent zurückgegangen, während die Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich in den Vereinigten Staaten im gleichen Zeitraum um 10 Prozent gewachsen ist. Das zeigt das Problem.

   Die Wehrtechnik. Sie ist durch die Demontage des Rüstungshaushaltes nur noch ein Schatten ihrer selbst.

   Ich sage an dieser Stelle: Ohne Industrie geht es nicht und ohne eine breite industrielle Basis gibt es auch keinen starken Dienstleistungsstandort. Hinzu kommt: Mit Dienstleistungen wird auf dem Weltmarkt eine bei weitem nicht so hohe Wertschöpfung erzielt wie mit industrieller Produktion. Deutschland war traditionell das Land der Ingenieure und Innovationen und bleibt es auch. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, ist Deutschland nach wie vor besser als viele andere.

   Um aus der Misere herauszukommen, brauchen wir täglich statt eines Verlusts von tausend sozialversicherungspflichtigen Vollarbeitsplätzen tausend Arbeitsplätze mehr. Wir brauchen einen Wachstumsschub. Die zukunftssichersten Arbeitsplätze gibt es meist im industriellen und im hochtechnologischen Bereich. Nur die Technologieführerschaft sichert Wirtschaftlichkeit und damit das langfristige Überleben im globalen Wettbewerb.

   Ich sage es auch hier noch einmal: Deutschland muss um so viel besser sein, als unsere Produkte oft teurer sind. Das trifft vor allem auch für die wirtschaftlich etwas schwächeren Regionen in unserem Land zu.

   Notwendig ist ein neues Denken in Wertschöpfungsketten zwischen Forschung, Entwicklung und Produktion. Ganz entscheidend ist auch die enge örtliche Nachbarschaft, die Vernetzung zwischen Hochschulen, Unternehmen, Zulieferern und Entwicklern. Das neudeutsche Wort dafür ist Clusterbildung.

   Einige Bundesländer haben erfolgreich vorgemacht, wie es funktioniert. Ich nenne einmal Bayern – das wird Sie nicht wundern, aber ich darf es trotzdem sagen – und seine Neutronenquelle. Die Neutronenquelle in Garching ist gegen heftigsten Widerstand durchgesetzt worden. Dieses Spitzeninstitut der Forschung zieht jetzt andere Entwicklungsunternehmen an. Heute ist mehrfach General Electric genannt worden, das sich mit einem Entwicklungszentrum in der Nähe von Garching angesiedelt hat. Die Grünen haben vorhin in der Debatte darauf hingewiesen, dass sie dorthin eingeladen worden seien und wie wunderbar es gewesen sei. Das ist schön für sie. Glauben Sie denn wirklich, dass General Electric nach Garching gezogen ist, weil der Herr Trittin in Deutschland Umweltminister ist? Die Firma ist deswegen nach Garching gezogen, weil dort die Neutronenquelle gebaut worden ist und sie diese räumliche Nähe wollte.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer weiß!)

   Sachsens Zentrum für Mikrochips bei Dresden ist ein anderes glänzendes Beispiel. Auch viele andere Bundesländer haben es vorgemacht. Aber Deutschland als Ganzes fehlt dieser Masterplan, wo was mit Aussicht auf Erfolg angesiedelt werden kann. Was sind die Schlüsseltechnologien dieses 21. Jahrhunderts? Welche administrativen Hemmnisse stören uns? Wo muss sich die Bundesregierung im Interesse Deutschlands in der EU durchsetzen? Ich nenne einmal das Beispiel REACH-Programm. Das ist für die chemische Industrie wichtig. Wo ist der zentrale Standort der Chemieindustrie in Europa? Er ist in Deutschland. Deshalb trifft diese Richtlinie und ihre Wirkungen kein anderes Land mehr als Deutschland. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie diesen Gesichtspunkt nicht nur erkennt, sondern auch Gegenmaßnahmen ergreift.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wir wollen keine staatliche Industriepolitik; denn Deutschland profitiert vom freien Welthandel und von international ungehindert fließenden Investitionsströmen. Wir wollen keinen neuen Protektionismus. Nun wird aber in der SPD über die Errichtung einer eigenen staatlichen Agentur zur Unterstützung der Industrie nachgedacht. Ich habe gestern in einer dpa-Meldung gelesen, dass der saarländische SPD-Chef Heiko Maas erklärt hat, er halte es für richtig, eine eigene Stelle zu schaffen, die allerdings wegen der Haushaltslage nicht mit einer allzu üppigen Förderung rechnen könne. Mit Letzterem hat er Recht, mit dem Ersteren befindet er sich auf dem Irrweg.

   Wir brauchen keine neue Bürokratie. Wir brauchen keine neue Behörde für nationale Industriepolitik – Herr Kollege Brandner, jetzt hören Sie gut zu; Sie haben ja vorhin behauptet, in unserer Argumentation sei ein Widerspruch –,

(Klaus Brandner (SPD): Ist er auch!)

sondern wir brauchen eine Bundesregierung, Herr Minister Clement, die auch gegenüber unseren Partnern und Freunden nationale deutsche Industrieinteressen vertritt. Ich nenne hier nur die Stichworte Sanofi, Aventis, Siemens und Alstom. Ich frage die Bundesregierung: Was ist, wenn in anderen europäischen Staaten die Grundsätze staatlicher Nichteinmischung verletzt und nationale Champions mit einem klaren politischen Regierungskonzept auf europäischer Ebene gezielt gefördert werden? Was ist, wenn sich ausländische Konzerne in Deutschland am Markt beteiligen, die selbst von ihren eigenen staatlichen Regierungen gefördert und gelenkt werden?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Sie wissen, dass es hier eine ganze Reihe solcher Firmen gibt. Ich nenne auch einen Namen, zum Beispiel EnBW. Der französische Energiemarkt im Strombereich ist anderen Unternehmen weitgehend nicht zugänglich. Auf der anderen Seite ist der deutsche Markt offen. Es genügt nicht, wenn die Bundesregierung, Herr Minister, hinter vorgehaltener Hand kritische Worte flüstert. Es genügt auch nicht, wenn Gespräche mit der französischen Regierung angekündigt, aber konkrete Ergebnisse nirgendwo sichtbar werden. Es liegt nicht im deutschen Interesse, wenn folgender Trend an Fahrt gewinnt: Unternehmenszentralen in Paris, Filialen in Berlin.

   Der Chef des Ifo-Instituts, Professor Sinn, schreibt zutreffend:

Wo die Unternehmenszentralen sind, entstehen auch hochwertige und gut bezahlte Jobs, es bilden sich qualifizierte Dienstleistungsunternehmen heraus. Solche Zentralen sind auch im Sponsoring für kulturelle und soziale Zwecke tätig.

Wo glauben Sie, Herr Minister, werden im Zweifelsfall die Arbeitsplätze zuerst eingespart, in der Filiale oder in der Zentrale?

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): So ist es!)

   Airbus und EADS: Vor zwei Tagen ist der europäische Supervogel A380 zum ersten Mal aus der Produktionshalle in Toulouse gerollt. Das war ein Quantensprung in der Entwicklung von modernem Fluggerät. Es war Franz Josef Strauß, der 1968 mit anderen Partnern den Airbus auf diesen erfolgreichen Weg gesetzt hat. Das war richtig und erfolgreich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Erfolg von Airbus wird heute nicht durch mangelnde technologische oder Marketingfähigkeiten aufgehalten; zunehmend erweist sich als Störfaktor, dass die deutsch-französische Balance in der Unternehmensführung systematisch gekippt werden soll. Wenn Sie uns nicht glauben, dann hören Sie wenigstens auf die Vertreter des Gesamtbetriebsrats. Frau Ingrid Lüllmann hat gesagt, die Belegschaft befürchte, von den Franzosen dominiert zu werden, und in Deutschland fehle es an industriepolitischer Sorgfalt.

(Jörg Tauss (SPD): Was jetzt? Nicht zu fassen!)

Das ist der Punkt.

   Wenn sich eine uns in Freundschaft verbundene Partnerregierung sehr massiv einbringt, dann hilft Leisetreterei nicht, um auch nur einen einzigen deutschen Arbeitsplatz zu sichern.

(Jörg Tauss (SPD): Für und gegen, immer alles gleichzeitig!)

Deutschlands Zukunft besteht nicht darin, Vertriebsorganisationen und Filialen ohne eigene Produktion und ohne eigene Konzernzentralen zu beherbergen. Deshalb erwarten wir von der Bundesregierung, unfaire und wettbewerbsschädigende Attacken zu verhindern und strategische deutsche Interessen mit dem Ziel einzubringen, Vorsprung durch Technologieführung zu erreichen.

   Der Flugzeugbauer in der Montagehalle bei Airbus und der Chemiefacharbeiter bei Sanofi – früher Hoechst in Frankfurt – erwarten, dass sich die Bundesregierung für die deutschen Arbeitsplätze genauso einsetzt wie die französische Regierung für die Arbeitsplätze in Frankreich – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Für die Bundesregierung hat nun der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement, das Wort.

(Beifall bei der SPD – Hans Michelbach (CDU/CSU): „Ich kündige an!“)

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich bisher gefragt, warum die Debatte jetzt auf der Basis dieses Antrags stattfindet.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Damit Sie wieder mal was ankündigen können!)

Ich bin vorhin von einer Kollegin gefragt worden: Worüber diskutieren Sie eigentlich gleich? Ich habe gesagt: Ich kann das an diesem Antrag auch nicht erkennen. Es fällt mir wirklich schwer.

(Beifall bei der SPD)

Aber jetzt, nachdem Herr Kollege Singhammer gesprochen hat, habe ich es begriffen. Es muss gelingen, den Airbus A380 oder anderes in irgendeiner Weise auf Franz Josef Strauß zurückzuführen. Das ist Ihnen in meisterhafter Weise gelungen. Niemand hat bemerkt, dass dieser wirklich gepflegte Übergang von der damaligen auf die gegenwärtige europäische Industriepolitik auf Franz Josef Strauß zurückzuführen ist.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Konzentrieren Sie sich einmal auf Ihre Wirtschaftspolitik!)

Das war wirklich mustergültig und bewunderungswürdig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Der Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, enthält nichts, was die Bundesregierung nicht täte oder nicht schon getan hat.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Nur angekündigt!)

Er enthält aber einiges, was frühere Bundesregierungen hätten tun sollen.

(Beifall bei der SPD)

Ich lese beispielsweise in Ihrem Antrag, wir sollten „Forschung und Wissenschaft deutlich ... verstärken.“ Ich muss Ihnen sagen: Hätten Sie das mal früher getan.

(Beifall bei der SPD)

Vorhin in der Debatte hat Herr Kollege Riesenhuber gesprochen. Sie hätten sich doch erinnern können, was in seiner Zeit und auch noch in der seines Nachfolgers in Sachen Forschung und Wissenschaft geschehen ist.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Mehr als bei Ihnen!)

Sie fordern auch, technologisch wichtige Branchen, beispielsweise die Rüstungswirtschaft, vor Eingriffen „anderer Regierungen zu Lasten der deutschen Interessen am Erhalt technologischer Kompetenz...“ zu schützen. Wir waren es, die ein Gesetz eingebracht – nicht mit Ihrer Unterstützung und auch nicht auf Ihre Initiative hin – und dafür gesorgt haben, dass in Zukunft Unternehmen, die in Deutschland Rüstungsgüter produzieren, nicht ohne Genehmigung der Bundesregierung übernommen werden können.

   Ich wüsste ganz gerne, was Sie eigentlich mit dem Antrag bezwecken. Einen Passus haben wir schon vorhin gehört. Er ist grammatisch nicht ganz in Ordnung, aber das – das unterstelle ich einmal – ist ein Druckfehler.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Oberlehrer!)

Dann aber lese ich, wir sollten „den kausalen Zusammenhang zwischen der technologischen Kompetenz ... und dem Erhalt und Aufbau von Arbeitsplätzen ... akzeptieren“.

Was Sie einem damit zumuten, ist doch Klippschule.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Des Weiteren fordern Sie allen Ernstes, die Bundesregierung solle deutschen Unternehmen mehr Hilfestellung bei internationalen Aktivitäten leisten. Der Exporterfolg der deutschen Wirtschaft ist doch nicht völlig ohne unsere Mitwirkung zustande gekommen. Irgendwann müssten Sie zu der Erkenntnis kommen, das alles auf Ursachen zurückzuführen ist, an denen diese Bundesregierung in irgendeiner Form positiv mitgewirkt haben könnte.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Bei den Arbeitslosenzahlen!)

Sie müssen uns ja nicht gleich loben.

   Herr Brüderle, Sie haben vorhin, glaube ich, von einem „geliehenen Aufschwung“ gesprochen und damit wohl gemeint, dass die Exportwirtschaft die deutsche Wirtschaft bestimmt. Sie stellt doch das Zentrum der deutschen Wirtschaft dar. Was ist in diesem Zusammenhang geliehen? Es sind deutsche Unternehmen, die diese Exportkraft haben, deutsche Technologen, deutsche Arbeitnehmer und deutsche Ingenieure. Was wollen Sie mehr, als dass diese die weltweit stärkste Exportwirtschaft in der Geschichte der Bundesrepublik stellen?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans Michelbach (CDU/CSU): Dazu haben Sie doch keinen Beitrag geleistet! Wo haben Sie denn einen Beitrag geleistet?)

Zudem ist die stärkste Zunahme der deutschen Exportkraft zu verzeichnen. Sie aber bezeichnen den Aufschwung als geliehen. Was ist das für ein verschrobenes Bild, das Sie verbreiten? Das ist doch Unsinn.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Es trifft zu, was der Kollege Kuhn vorhin ausgeführt hat. Solche Debatten machen relativ wenig Sinn. Das sind nur Rituale.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Sagen Sie einmal, was Sie jetzt weiter tun!)

   Wir befinden uns in Deutschland in einem Prozess der Veränderung. Sie müssen zur Kenntnis nehmen – wenn Sie das nicht tun, werden Sie den Anschluss verpassen –, dass der wissenschaftliche Sachverstand auf internationaler Ebene – darauf hat der Kollege Kuhn hingewiesen – und auch in Deutschland den von uns verfolgten Kurs zugunsten von Wachstum und Innovation als prinzipiell richtig bestätigt. Wir sind zwar noch lange nicht am Ziel, aber ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass wir im vergangenen Jahr ein Wachstum von 1,7 Prozent erzielt haben. Ich muss fast sagen: Sie haben das wohl nicht gewollt.

(Gudrun Kopp (FDP): Nun werden Sie mal nicht so polemisch!)

Als wir in unserer Projektion von 1,8 Prozent ausgegangen sind, haben Sie versucht, mich lächerlich zu machen. Sie haben mich als Berufsoptimist bezeichnet und davon gesprochen, dass ich blauäugig sei und alles nur schönrede.

(Dirk Niebel (FDP): Aber die Beschäftigungsschwelle haben Sie immer noch nicht erreicht!)

Es muss verdammt schwer für Sie sein, dass es Deutschland besser geht und dass wir auf einem vernünftigen und guten Weg sind, den wir auch weiter beschreiten werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Minister, darf Ihnen der Kollege Brüderle eine Zwischenfrage stellen?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Selbstverständlich darf er das.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Sagen Sie mal etwas zur Arbeitslosigkeit!)

   – Selbstverständlich werde ich das auch tun. Vor allen Dingen werde ich etwas zum Bürokratieabbau sagen. Wenn ich bedenke, was Sie uns im Vermittlungsverfahren zu Hartz IV an zusätzlicher Bürokratie aufgebürdet haben –

(Zuruf von der SPD: Das ist alles vergessen!)

   die wir, die Bundesagentur, die Kommunen und viele andere zurzeit abarbeiten müssen –, dann muss ich Ihnen entgegenhalten: Das war zwar kein Beitrag zum Bürokratieabbau, aber wir schaffen es trotzdem.

   Herr Kollege Brüderle.

Rainer Brüderle (FDP):

Herr Minister, um Ihnen den Begriff „geliehener Aufschwung“ zu erläutern, frage ich Sie, ob Sie mir zustimmen, dass die Produkte, die wir im Binnenmarkt anbieten, von genauso tüchtigen deutschen Arbeitnehmern und begabten Ingenieuren hergestellt werden wie die Exportgüter, dass aber in Deutschland nicht entsprechend mehr verkauft wird, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Die Binnennachfrage macht 60 Prozent des Sozialprodukts aus. Wir müssen zu einem intakten Binnenmarkt kommen. Das ist die Begründung für das, was ich als geliehene Wirtschaftsentwicklung bezeichne.

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Der Ausdruck ist und bleibt verschroben, Herr Kollege. Falsch ist auch – ich glaube, das haben Sie ausgeführt, Frau Kollegin Wöhrl –, dass der Export vor allen Dingen auf die Produktionsverlagerung zurückzuführen sei und dass er hier zu Verlusten geführt habe. Das ist ebenfalls ein Irrtum, der auf Herrn Sinn zurückgeht.

(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Nein! Wertschöpfung hat er gesagt!)

Alles, was Sie ausgeführt haben, beruht auf dem, was Herr Professor Sinn in der Öffentlichkeit verbreitet.

(Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unsinn! Blödsinn!)

Das lohnt zwar durchaus eine Auseinandersetzung, aber es ist letztlich falsch. Die Exportleistungen der deutschen Wirtschaft haben zwar auch mit der Kostenreduktion durch Produktionsverlagerung zu tun, aber nach allem, was wir wissen, führen sie nicht zu einem Arbeitsplatzabbau. Vielmehr kommt das, was wir an wirtschaftlicher Kraft gewinnen, in Deutschland zum Tragen.

   Insofern ist auch Ihre Unterstellung falsch, Herr Kollege Brüderle. Die Wirtschaft springt nämlich an. Auch wenn Sie es nicht gerne zur Kenntnis nehmen wollen, nehmen die Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland wie auch die Investitionen insgesamt zu – das ist nach einer langen Phase der Stagnation unausweichlich notwendig – und die Nachfrage springt wieder an. Wenn Sie sich nicht so viel Mühe gäben, die Leute zu deprimieren, dann würde das vielleicht noch etwas schneller gehen.

(Beifall bei der SPD)

   Kurz und gut:

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Alles ist bestens, Herr Minister!)

Durch das, was in Deutschland mit dem Reformprozess in Gang ist, haben wir schon wesentliche Voraussetzungen dafür geschaffen, ein lang anhaltendes wirtschaftliches Wachstum zu erreichen. Ich lade Sie gerne ein, daran mitzuarbeiten. Ihr Antrag könnte ein Signal sein. Sie wollen im Grunde genommen nichts anderes als das, was wir bereits tun.

   Ich könnte jetzt jeden einzelnen Punkt durchbuchstabieren. Es ist völlig unstrittig, dass wir REACH ändern, Herr Kollege Singhammer.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Weil Herr Trittin da sitzt, wo Sie sitzen sollten!)

Daran arbeiten der Verband der Chemischen Industrie, die Chemiegewerkschaft und die Bundesregierung. Herr Verheugen hat dieses Thema gerade in die Europäische Kommission eingebracht und deutlich gemacht, dass vor allen Dingen nichts zulasten der kleinen und mittleren Unternehmen unternommen werden darf.

   Besser als an diesem Beispiel kann man kaum aufzeigen, wie präzise die Industriepolitik der Bundesregierung arbeitet. Der Bundeskanzler, der französische Präsident und der britische Premier haben dafür gesorgt, dass wir zurzeit eine Änderung der europäischen Industriepolitik erleben. Das wird sich auch auf andere Bereiche auswirken.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Minister, darf auch der Kollege Niebel Ihnen eine Zwischenfrage stellen?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Er darf nicht fehlen. Natürlich.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Bitte, Herr Niebel.

(Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Arbeitsamtsrambo!)

Dirk Niebel (FDP):

Vielen Dank, Herr Minister.

   Die Passage, zu der ich eine Frage stellen möchte, liegt leider schon etwas zurück.

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Dann verzichten Sie doch einfach darauf.

Dirk Niebel (FDP):

   Nein. Die Passage ist ja durchaus interessant. Sonst würde ich zu ihr keine Frage stellen, wie Sie sich vorstellen können, Herr Minister.

   Sie haben gesagt, dass ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent im letzten Jahr ein gutes Ergebnis sei. Vor dem Hintergrund, dass die Beschäftigungsschwelle in aller Regel zwischen 2 und 2,5 Prozent liegt und dass im letzten Jahr mit 4,5 Millionen Arbeitslosen das erklärte Ziel der Bundesregierung deutlich verfehlt worden ist, kann ich nur die Frage stellen, ob Sie das tatsächlich als einen so großen Erfolg ansehen, ob sich mit einem Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent tatsächlich die Probleme dieses Landes bewältigen lassen.

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Das tue ich nicht. Das habe ich auch nicht gesagt. Ich bitte Sie, mich richtig zu zitieren. Ich habe einfach darauf hingewiesen, dass wir nach einer langen Phase wirtschaftlicher Stagnation im vergangenen Jahr ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent hatten und dass es in diesem Jahr ebenfalls ein wirtschaftliches Wachstum geben wird, das wir, wie ich gerade gesagt habe, in einen Pfad lang anhaltenden, starken Wachstums münden lassen müssen. Das ist das eine.

   Das andere ist: Die Unterstellungen in Ihrer Frage sind falsch. Erstens. Ein positiver Beschäftigungseffekt setzt in Deutschland nun schon bei einem Wachstum von 1 Prozent ein. Dann nimmt die Erwerbstätigkeit in Deutschland zu, beispielsweise in den Bereichen der gering qualifizierten Jobs und der Selbstständigkeit. Frau Kollegin Wöhrl, wenn Sie über Existenzgründungen sprechen, dann empfehle ich Ihnen, auch zu erwähnen, dass wir in diesem Bereich seit langem wieder einen positiven Saldo haben.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Aber nur bei den Ich-AGs!)

Es gibt über 100 000 Existenzgründungen mehr als Insolvenzen.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Ich rede von richtigen Selbstständigen!)

   Wie gesagt, bereits ab einem Wirtschaftswachstum von 1 Prozent erhöht sich die Erwerbstätigkeit in Deutschland. Deshalb gibt es nun eine enorme Erhöhung der Erwerbstätigkeit. Bei einem Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent nimmt das Arbeitsvolumen zu. Das wirkt sich positiv auf die Vollzeitbeschäftigung aus, allerdings mit einer gewissen Verzögerung. Das sind ungefähr die Daten. Es gibt also nicht erst bei einem Wirtschaftswachstum von 2 oder 2,5 Prozent einen positiven Beschäftigungseffekt.

   Herr Kollege Niebel, damit Sie mich nicht falsch verstehen: Das heißt nicht, dass ich ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent für ausreichend halte. Ich weise Sie nur auf den Sachverhalt hin, dass es im Bereich der gering qualifizierten Jobs einen positiven Beschäftigungseffekt schon ab einem Wirtschaftswachstum von 1 Prozent gibt. Nicht, dass Sie demnächst behaupten, dass mir ein Wachstum von 1 Prozent ausreicht. Tatsächlich brauchen wir ein Wirtschaftswachstum von deutlich über 2 Prozent. Aber positive Beschäftigungseffekte treten, wie gesagt, schon vorher ein. So ist das.

   Ich empfehle Ihnen, uns sachlich zu begleiten. Wie kann man ausgerechnet in einem Monat, in dem die letzte Stufe unserer Steuerreform wirksam geworden ist, fordern – ich weiß nicht mehr, ob dies der Kollege Singhammer oder Herr Michelbach gesagt hat –, dass für weitere steuerliche Erleichterungen gesorgt werden müsse? Wir tun das Notwendige, um das wirtschaftliche Wachstum zu stärken. Es ist doch nicht zu bestreiten, dass Sie hier auf dem falschen Bein Hurra schreien. Die Einkommensteuer ist nicht mehr das Entscheidende in Deutschland. Die Steuern sind niedriger, als Sie es sich jemals erträumt haben. Der Eingangssteuersatz liegt nur noch bei 15 Prozent. Das ist die wahre Situation.

   Zweitens. Herr Kollege Brüderle, es ist falsch, dass die Lohnnebenkosten weiter steigen. Im Gegenteil: Sie sinken. Zum 1. Juli dieses Jahres werden die Unternehmen, und zwar vor allen Dingen die kleinen und mittleren, durch die Maßnahmen, die wir getroffen haben – hier haben Sie nicht mitgemacht –, erneut um 4,5 Milliarden Euro bei den Lohnnebenkosten entlastet. Aber Sie lamentieren nur, wenn es um die kleinen und mittleren Unternehmen geht. Irgendwann werden auch Sie registrieren müssen, dass sich das, was wir tun, tatsächlich zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen auswirkt. Das ist einfach nicht zu übersehen.

   Da ständig von Bürokratieabbau die Rede ist: Frau Kollegin Wöhrl, wir sind beim Bürokratieabbau noch lange nicht am Ende. Ich wäre dankbar, wenn auch in den Ländern, in denen die Union maßgeblich Verantwortung hat, etwas beim Bürokratieabbau geschehen würde, und zwar bis in die Kommunen hinein; denn das betrifft alle Ebenen. Wir haben unter anderem eine Reform der Handwerksordnung umgesetzt. Das ist nichts anderes als Bürokratieabbau. Aber Sie, meine Damen und Herren von der Union, wollten das nicht. Sie suchen sich – genauso wie die Kolleginnen und Kollegen von der FDP – die Felder aus, auf denen Sie sich bewegen wollen, und behaupten anschließend, dass Sie für Bürokratieabbau seien. Das sind Sie aber nicht gewesen. Sie waren gegen diese Reform. Sie sehen doch – gestern Abend konnten Sie es buchstäblich mit Händen greifen –, wie wichtig diese Reform für das Handwerk ist.

   Wir haben außerdem die berufliche Ausbildung – das setzen wir fort – und die Arbeitsstättenverordnung reformiert. Wir haben die statistischen Belastungen der Wirtschaft reduziert. Wir haben eine Reform im Bereich der Geräte- und Produktsicherheit realisiert. Die 29 Vorschläge aus den Regionen befinden sich zurzeit in der gesetzlichen Umsetzung. Wir haben für Entlastungen im Bereich der Außenhandelsstatistik gesorgt. Zurzeit sind im Gang – bei all dem können Sie mitmachen –: Verschlankung des Vergaberechts, Vereinfachung der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure, Mediakomm-Transfer, Modernisierung des Eichwesens, Neuordnung des deutschen Akkreditierungswesens. Die Umsetzung dieser Vorhaben ist teuflisch schwer. Sie reden hier über Bürokratieabbau. Wenn ich unterwegs bin, dann begegne ich aber nur den Gegnern des Bürokratieabbaus.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Minister, die Opposition möchte Ihre Redezeit gerne verlängern. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Michelbach?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Aufgrund ihres Antrages – darin steht ja nichts – kann ich verstehen, dass sie jetzt wissen will, worum es in Deutschland wirklich geht. Das ist Wissbegierde.

   Bitte sehr, Herr Kollege.

Hans Michelbach (CDU/CSU):

Herr Minister, vielen Dank. –

   Sie haben mich in Sachen Steuerpolitik angesprochen. Können Sie bestätigen, dass die Steuerreform zum 1. Januar 2005 zwar eine Entlastung von 6,75 Milliarden Euro gebracht hat, dass es in diesem Jahr aber zu einer zusätzlichen Belastung von 8,5 Milliarden Euro kommt, wodurch die konjunkturelle Entwicklung, die notwendig ist, um am Arbeitsmarkt und in der Binnenwirtschaft Lösungen zu finden, nicht in Gang kommt? Können Sie ebenfalls bestätigen, dass es zum Beispiel bei der Gesellschafterfremdfinanzierung und bei der Mindestbesteuerung zu Erschwernissen gekommen ist, wodurch Investitionen gewissermaßen zwangsläufig im Ausland getätigt werden?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Das kann ich Ihnen nicht bestätigen, Herr Kollege. Damit betrachte ich Ihre Frage als beantwortet.

   An dem, was Sie in Bezug auf die Industriepolitik angesprochen haben, ist etwas dran. Allerdings kann man nicht nach der Schlachtordnung vorgehen, die Sie hier dargestellt haben. Sagen Sie beispielsweise einmal etwas zum Fall Aventis. Was dort geschehen ist – unter anderem die Orientierung in Richtung Frankreich –, ist nicht in meiner Zeit als Minister geschehen. Sagen Sie einmal, welches deutsche Unternehmen in der Lage gewesen wäre, dort statt Sanofi einzusteigen. Sie müssen doch einmal konkret werden. Es hat doch keinen Zweck, hier anklagend die Hände zu erheben.

   Die deutsche Automobilindustrie ist noch immer sehr gut. Wir sind diejenigen, die jetzt unter der Federführung des EUKommissars Verheugen dafür sorgen wollen, dass die Automobilindustrie in Europa wirklich ein Levelplaying Field mit Japanern, mit Amerikanern und anderen bekommt. Hier in Europa sind nämlich einige Bedingungen geschaffen worden, die die weltweite Wettbewerbsfähigkeit gefährden können. Was wir dort betreiben, ist Industriepolitik.

   Was die Chemikalienpolitik angeht, habe ich Ihnen gesagt, was dort stattfindet. Was die Energiewirtschaft angeht, werde ich Ihnen sagen, was dort zu tun ist. In Bezug auf die Textilindustrie haben wir das Nötige getan. Wo sollen wir eigentlich antreten? Was meinen Sie konkret? Wenn französische Unternehmen mit staatlicher Beteiligung in Deutschland aktiv werden wollen, beispielsweise im Schiffbau, dann sagen wir in aller Deutlichkeit: Nein, solange französische Unternehmen mit staatlicher Beteiligung agieren, wird es keine Beteiligung unsererseits geben.

   Außerdem ist der deutsche Schiffbau im Werftenverbund wesentlich weiter als alle anderen europäischen Schiffbaunationen. Unsere Situation dort ist zurzeit völlig konsolidiert. Was meinen Sie eigentlich, wenn Sie unsere Industriepolitik so pauschal kritisieren? Lassen Sie uns einmal ernsthaft und in der Sache diskutieren. Sie können nicht mehr bestreiten, dass es dort erhebliche Fortschritte gibt.

   Natürlich haben wir Probleme. Natürlich gibt es auch in Bayern Probleme. Mit einem großen Problem habe zurzeit auch ich ein bisschen zu tun; jedenfalls beobachte ich es mit großer Aufmerksamkeit. Lassen Sie uns doch hier nicht mit diesen pauschalen Vorwürfen arbeiten.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Sie machen doch immer neue Vorwürfe!)

– Herr Kollege, Sie benutzen doch wirklich nur Pauschalbegriffe.

   Wir befinden uns in Deutschland in einem Erneuerungsprozess, der ein bisschen mehr verlangt, als mit einem Antrag wie Ihrem zu wedeln. Dieser Antrag ist doch wirklich kein Beitrag, durch den diese Diskussion vorangebracht wird.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Arroganz lässt grüßen!)

   Ich habe Ihnen gesagt, was hier stattfindet. Ich habe Sie auf die Steuerreform hingewiesen. Wir senken die Steuern, damit es zu mehr Investitionen kommt. Ich habe darauf hingewiesen, dass die Lohnnebenkosten in Deutschland sinken. Natürlich sinken sie noch nicht genug. Sie müssen längerfristig deutlich unter 40 Prozent liegen. Aber machen Sie doch dazu einmal konkrete Vorschläge.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Reden Sie mal von 20 Milliarden Ökosteuer pro Jahr! Sie belasten doch immer mehr!)

   Die Arbeitsmarktreform – wollen Sie etwas anderes? – wird jetzt realisiert. Machen Sie da lieber mit! Veranstalten Sie einmal Jugendkonferenzen! Sorgen Sie in den Ländern dafür, dass dort Jugendkonferenzen stattfinden, damit die Jugendarbeitslosigkeit abnimmt! Machen Sie beim Bürokratieabbau mit! Fragen Sie nicht immer nur anklagend andere! Wir alle, die wir auf diesen Sektoren tätig sind, sind gefragt. Was ist mit der Föderalismusreform? Sorgen Sie doch dafür, dass sich auch die CDU- oder CSU-geführten Länder bewegen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Dazu höre ich von Ihnen wirklich schrecklich wenig. In der Industriepolitik haben Sie wirklich keinen Grund – –

(Zurufe von der CDU/CSU)

– Was wollen Sie denn bei der Föderalismusreform? Sagen Sie doch einmal, was Sie wollen!

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Was wollen Sie denn? Sie haben sie an die Wand fahren lassen!)

Halten Sie es für richtig, dass in Bildung, Wissenschaft und Forschung alles so bleibt, wie es ist? Ich habe von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nichts Konstruktives, jedenfalls nichts Weiterführendes dazu gehört.

   Zu noch etwas habe ich nichts gehört. Sie reden über Wissenschaft und Forschung. Da wüsste ich gern einmal, wie Sie sich die Finanzierung der Stärkung dieses Bereichs vorstellen. Warum blockieren Sie in der Frage der Eigenheimzulage? Da muss der Subventionsabbau stattfinden.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Selbstverständlich! Sie müssen doch die Frage beantworten, woher die Mittel kommen sollen. Sie agieren allein mit pauschalen Vorwürfen. Das ist ein Ritual. Das alles ist zu akzeptieren. Man wird das nicht verhindern können. Sie werden weiterhin solche Anträge wie den vorliegenden Antrag einbringen. Nur, Sie bleiben am Wegesrand zurück, wenn Sie die Diskussion so führen, wie Sie das in diesem Antrag zu Papier gebracht haben. Der Antrag wird wirklich nicht dazu beitragen, dass die Bundesrepublik vorankommt.

   Die Entwicklung geht weiter. Die Reformprozesse gehen weiter.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Bei Ihnen geht es rückwärts! – Johannes Singhammer (CDU/CSU): Leider gehen auch die Arbeitslosenzahlen weiter aufwärts!)

Sie müssen weitergehen. Sie müssen sich vor allem überlegen, woher in den Bereichen Wissenschaft und Forschung von Ihrer Seite die Initiativen kommen sollen.

(Abg. Gudrun Kopp (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Bitte.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Kollegin Kopp.

Gudrun Kopp (FDP):

Herzlichen Dank, Herr Minister. Meine Frage mag Ihnen jetzt die Chance zum Luftholen geben.

   Herr Minister Clement, beim Thema Bürokratieabbau fühlen wir als Liberale uns auf den Plan gerufen, Sie noch einmal sehr konkret nach Ihrem wirklich großspurig angekündigten Masterplan für Bürokratieabbau zu fragen.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Im Ankündigen ist er ganz groß!)

Das Institut für den Mittelstand in Bonn hat erst kürzlich in einer Studie festgestellt – Sie wissen das wahrscheinlich –, dass sich während der letzten acht bis zehn Jahre die Bürokratieausgaben um etwa 50 Prozent erhöht haben,

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): 30 neue Behörden!)

nämlich auf 46 Milliarden Euro. Das betrifft gerade mittelständische Unternehmen. Das ist ein alarmierendes Zeichen.

   Sie haben sich von dem ursprünglich versprochenen Ausrufen von Testregionen für die Experimentierklauseln beim Bürokratieabbau leider verabschiedet. Ich komme aus einer solchen Testregion. Wir haben uns viele Hoffnungen gemacht. Aus einer Liste von mehreren Hundert sehr konkreten Vorschlägen zum Bürokratieabbau haben Sie nur eine minimale Anzahl von wirklich kleinen Schritten zum Bürokratieabbau umsetzen können. Beantworten Sie uns doch bitte die Frage: Wann endlich kommt denn Ihr großer Wurf, bei dem wir im Mittelstand oder in der Wirtschaft insgesamt tatsächlich von Bürokratieabbau sprechen können?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Die Ironie, Frau Kollegin, die aus Ihrer Frage spricht, ist geradezu niederschmetternd. So freundlich Sie mich gefragt haben: Ich kann auch Ihnen einen Vorwurf nicht ersparen. Wir alle haben unsere Sünden auf diesen Feldern. Sie haben die Sünden beispielsweise im Bereich des Handwerksrechts begangen. Da haben Sie alles blockiert.

(Gudrun Kopp (FDP): Das ist nicht wahr!)

– Sie können natürlich immer Nein sagen. – Im gesamten Gesundheitsbereich verweigern Sie bis heute jeglichen Ansatz zur Stärkung des Wettbewerbs.

   Bei den Vorschlägen aus den Regionen, die Sie genannt haben – Sie reden da immer von 1 000 Vorschlägen –, handelt es sich überwiegend um Vorschläge der Wirtschaftsverbände. Zum großen Teil betreffen sie materielles Recht. Materielles Recht können wir im Zuge des Bürokratieabbaus nicht ändern. Flächendeckend kommt da die Forderung, den Kündigungsschutz abzuschaffen. Das wird dann mit dem Begriff Bürokratieabbau etikettiert. Ich werde anschließend gefragt: Was tun Sie auf diesem Feld? Darauf antworte ich klar: Der Kündigungsschutz ist reformiert, wird von uns nicht weiter reformiert und hat im Übrigen mit Bürokratieabbau nichts zu tun. Punkt, aus.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie werden das nicht akzeptieren. Deshalb werden Sie Ihre Polemik dazu fortführen.

   Wir haben 29 Vorschläge. Das ist nicht viel; das gebe ich zu. Ich bin mit dem, was wir da bisher erreicht haben, auch wirklich nicht zufrieden.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Endlich einmal eine klare Aussage!)

Ich habe nicht nur kein Problem damit, das zuzugeben, sondern ich lade alle ein, mitzumachen.

(Gudrun Kopp (FDP): Wir haben lange mitgemacht! – Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Sagen Sie was zur Antidiskriminierungsrichtlinie!)

Nur, ich erlebe flächendeckend, wie schwierig das ist.

   In Kürze kommt der nächste Wurf – da werden Sie mich wieder fragen: Wo ist Ihr großer Wurf? –, die Dienstleistungsrichtlinie. In dem Rahmen werden wir in Deutschland – das ist aus meiner Sicht das Kernstück dieser Richtlinie – One-Stop-Shops einrichten müssen. Wenn die Dienstleistungsrichtlinie in Kraft ist, dann wird für jeden Dienstleister, der hierher kommt, eine einzige Behörde da sein müssen, an die er seine Anfragen richten kann, bei der er seine Genehmigungen bekommt etc. Das ist dann wirklich eine Revolution beim Bürokratieabbau. Die gelingt so nicht. Überall – ich erlebe das in der Regierung, ich erlebe das in der Koalition, ich erlebe das mit Ihnen – gibt es Einzelkämpfe um jede einzelne Vorschrift. Deshalb ist das Feld, über das wir reden, ein entsetzlich schwieriges Feld. Ich habe es bei der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure sowie beim Handwerksrecht erlebt.

(Gudrun Kopp (FDP): Ich war dabei!)

Bei all diesen Fragen hat man überall die Widerstände, in Ihren Truppen doch auch.

(Gudrun Kopp (FDP): Das stimmt überhaupt nicht!)

   Sie haben mich so freundlich gefragt, deshalb antworte ich: Jawohl, es ist sehr schwierig. Aber Sie haben auf diesen Feldern bisher überhaupt nichts erreicht.

(Gudrun Kopp (FDP): Doch!)

Sie waren an allen Regierungen beteiligt. Sie haben immer mehr Gesetze geschaffen. Sie fordern hier auch ständig Gesetze. Sie fordern, dass wir auf Gesetze verzichten; im selben Atemzug fordern Sie, dass wir die betrieblichen Bündnisse gesetzlich regeln.

Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des Bundeswirtschaftsministers erwecken den Eindruck: In diesem Land ist alles in Ordnung.

(Gudrun Kopp (FDP): Alles prima!)

Wir brauchen eigentlich keine weiteren Reformen. Auch der Bundeskanzler hat gesagt: Wir wollen jetzt alles ein bisschen langsamer angehen. Bloß keine Härten mehr. Alles ist gut.

   Das ist es aber nicht. Herr Bundesminister, beginnen wir mit dem Thema Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosenzahl ist der Beweis für das Versagen Ihrer Regierung. Sie ist der Beweis dafür, dass von Ihrem gesamten Reformwerk bis jetzt eigentlich nichts gegriffen hat. Ich werde es Ihnen genau erläutern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Es dauert nur noch einige Monate bis zum Sommer, obwohl es draußen noch nicht so aussieht. Bis zum Sommer dieses Jahres sollte nach den Ankündigungen der Bundesregierung die Arbeitslosigkeit halbiert werden. 2 Millionen weniger Arbeitslose bis zum Sommer dieses Jahres hat uns Herr Hartz im Französischen Dom verkündet. Er hat dort den göttlichen Beistand herbeigesehnt. Das ist wahrscheinlich das Einzige, was Ihnen noch hilft. In Wahrheit wird die Arbeitslosigkeit bis zum Sommer nicht halbiert werden.

   Die Ich-AGs sollten 1 Million Arbeitslose in Job und Arbeit bringen. Was ist passiert? 220 000 Ich-AGs wurden gegründet. Das ist eine ganz ordentliche Zahl, aber wir müssen die Überlebenszeit dieser Ich-AGs abwarten. Ob sie dauerhaft bestehen werden, zeigt sich erst im dritten Jahr, wenn sie keine zusätzlichen Leistungen der Bundesagentur mehr bekommen.

   Bei den PSAs sieht es noch schlechter aus. 700 000 erfolgreiche Jobvermittlungen sollte es geben. Kennen Sie die tatsächliche Zahl? Herr Brandner telefoniert und kennt die Zahl nicht. Ich verrate sie ihm: Von 700 000 versprochenen Jobvermittlungen wurden 23 000 realisiert.

   Es gab auch den Jobfloater. Sie mussten englische Ausdrücke finden, damit nur ja kein Bürger versteht, was Sie meinen. Der Jobfloater ist ein Jobflopper geworden und hat gar nichts gebracht. Deshalb haben Sie ihn auch stillschweigend beerdigt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

130 000 Arbeitsplätze sollten durch dieses Instrument entstehen; nicht einmal 12 000 sind es geworden.

   Ich bin mit Ihnen völlig einer Meinung, dass wir in Deutschland wieder industrielle Produktion brauchen. Aber wie sehen die Zahlen bei der industriellen Produktion aus, Herr Minister? Nur noch 22 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland sind Industriearbeitsplätze.

   Sie haben unseren tollen Export erwähnt. Auch darauf möchte ich näher eingehen. Es stimmt, wir sind Exportweltmeister. Wir sind aber auch Importweltmeister. Beides hängt direkt zusammen. Im letzten Jahr stieg der Export um 10 Prozent; wir hatten aber auch annähernd 10 Prozent Wachstum beim Import, weil wir ja fast alles, was wir exportieren, zuerst importieren.

Die Weltwirtschaft ist um 5 Prozent gewachsen, die deutsche Wirtschaft um 1,7 Prozent. Das heißt, da wir gerade einmal ein Drittel des weltwirtschaftlichen Wachstums erreicht haben, verlieren wir im internationalen Vergleich ständig an Fahrt. Das sollte Ihnen zu denken geben, denn Sie sind dafür verantwortlich.

   Die Wirtschaft hat überall auf der Welt geboomt, ob in China, in den übrigen asiatischen Ökonomien oder in den USA. Auch in Europa hätte sie geboomt. Wenn es nämlich nicht die lahmen Deutschen gäbe, wäre das europäische Wachstum ähnlich stark gewesen. Mich bedrückt das sehr und mich stört es, dass wir, Herr Bundeswirtschaftsminister, nach wie vor die rote Laterne bezüglich des Wachstums in Europa tragen. Sie können doch nicht hier sagen, alles sei gut.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Nun komme ich zur Exportbilanz: Die gute Exportbilanz verdanken wir zunächst einmal den Wechselkursschwankungen, die uns auf diesem Sektor in diesem Jahr besonders geholfen haben. Das wissen Sie. Allerdings ist der Anteil der Wertschöpfung an den exportierten Gütern in Deutschland in den letzten Jahren immer weiter zurückgegangen. Das bedeutet: Im Ausland wird gearbeitet, von Deutschland aus das fertige Produkt verkauft. In der Situation befinden wir uns doch. Der Ifo-Präsident Sinn nennt dieses Phänomen Basar-Ökonomie. Infolge Ihrer Politik sind wir da gelandet.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unsinn! – Klaus Brandner (SPD): Unsinn!)

Deutsche Unternehmen produzieren einen Großteil der Waren, die sie exportieren, im Ausland. In Deutschland verbleiben lediglich das Management und einige zentrale Dienste wie Forschung und Marketing. Das Signet „made in Germany“ dürfen doch viele deutsche Firmen überhaupt nicht mehr auf ihre Produkte schreiben. Der Anteil der Innenwertschöpfung an der Gesamtwertschöpfung ist nicht groß genug. Es gibt kein einziges deutsches Auto mehr, das als „made in Germany“ bezeichnet werden kann.

(Hans-Werner Bertl (SPD): Das ist Unsinn! Das ist doch peinlich! Eine Zumutung, was Sie hier machen!)

   Eben ist schon, ich glaube vom Kollegen Singhammer, das Porsche-Werk in Leipzig angesprochen worden. 700 Mitarbeiter produzieren in diesem Werk 40 000 Autos. Das zeigt uns doch, was da los ist. Es handelt sich um eine Assembly Line: Das Auto wird zusammengebastelt, die Reifen werden angeschraubt und dann fährt es vom Band. Hier soll dann Wertschöpfung in Deutschland stattgefunden haben. Das kann nicht gehen. Es weiß jeder, dass man mit 700 Menschen schlecht 40 000 Autos produzieren kann. Wir sind also nicht mehr in der Lage, für Wertschöpfung in Deutschland zu sorgen und damit Arbeitsplätze zu schaffen. Das Ganze führt dazu, dass immer weniger Arbeitsplätze in der Industrie vorhanden sind.

   Sie verantworten 4,5 Millionen Arbeitslose. Wenn Sie ehrlich wären, müssten Sie auch diejenigen einbeziehen, die in Weiterbildungsmaßnahmen und all dem, was sich darum gruppiert, geparkt sind. Damit kämen wir auf weit über 6 Millionen. Sie, Herr Minister, haben aber vor, der deutschen Wirtschaft weitere Hemmschuhe in den Weg zu werfen. Ich bin mir ziemlich sicher: Sie hätten das, was ich jetzt anspreche, lieber anders geregelt.

(Zuruf von der SPD)

Ich nehme Ihnen auch Ihren guten Willen bezüglich des Bürokratieabbaus ab. Aber ernst nehmen kann ich Sie nicht. Nachdem eine Parlamentarische Staatssekretärin ungestraft und von Ihnen ungerügt folgenden Satz sagen durfte – es handelt sich um Frau Vogt –: Ein schlanker Staat, der dünn ist und keine Kraft hat, ist nicht das, was wir uns wünschen,

(Hans-Werner Bertl (SPD): Richtig!)

weiß ich, dass Bürokratieabbau für Sie sehr schwierig ist.

(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Sehr gut!)

   Angesichts der Tatsache, dass zusätzliche Bürokratie aufgebaut wird, frage ich mich aber, was Sie tun. Warum schreien Sie im Kabinett nicht „Aua“ und sagen: So geht das nicht weiter. Ich denke insbesondere an das sensationelle Gesetz mit dem Namen ADG – Antidiskriminierungsgesetz. Ich bin ziemlich sicher, Herr Minister, dass Sie nicht in der Kabinettssitzung gewesen sind, in der das beraten wurde. Ansonsten hätten Sie die deutsche Wirtschaft vor diesem Unsinn bewahrt. Wir haben es hier mit einem Beschäftigungsprogramm für arbeitslose Juristen und Abmahnvereine zu tun. Wir werden eine Prozessschwemme bekommen, wie wir sie noch nie erlebt haben. Das Gesetz wird auch dazu führen, dass kein Unternehmen mehr weiß, wie es Einstellungen vornehmen soll. Ich habe mit jemandem von Fraport gesprochen. Dort werden im Jahr 16 000 Menschen eingestellt. Es wurde mir gesagt, dass das neue Gesetz dazu führt, dass 16 000-mal dokumentiert werden muss, warum die Person A eingestellt wurde und nicht die Person B. Überlegen Sie bitte einmal, was für eine Bürokratie in den Unternehmen damit geschaffen wird. Verhindern Sie das bitte. Das wäre Ihre vornehmste Aufgabe.

   Statt von Bürokratieabbau zu sprechen, sollten Sie endlich Bürokratie abbauen. Sie können doch nicht einerseits der Opposition vorwerfen, sie hätte an einigen Stellen nicht mitgemacht, während andererseits eine große Anzahl von Vorhaben, die Sie umsetzen wollten, am Widerstand des Kabinetts gescheitert ist.

   Sie haben doch dem Kabinett 56 verschiedene Vorschläge vorgelegt. Übrig blieben 17 Vorschläge. Es gab 1 000 Vorschläge aus den Regionen. Die Menschen dort waren begierig, mitzumachen und diese Vorschläge umzusetzen. Wo ist denn die Umsetzung auf regionaler Ebene? Nichts ist passiert. In den Regionen ist man sauer auf Sie, weil man sich fragt, warum man sich die überflüssige Arbeit gemacht hat.

   Wenn Sie so mit den Menschen umgehen, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass der Bürokratieabbau in Deutschland nicht vorankommt. Er wäre aber dringend notwendig. Denn die Bürokratie kostet jedes Jahr – die Kollegin Kopp hat es vorhin völlig zu Recht gesagt – 46 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass pro Arbeitsplatz Kosten in Höhe von 3 200 Euro anfallen. Diese Kosten haben Sie zu verantworten, weil Sie nichts gegen die Bürokratie tun.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Wilfried Schreck, SPD-Fraktion.

Wilfried Schreck (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem sich mein Kollege Brandner in erster Linie mit dem Antrag der CDU/CSU auseinander gesetzt hat und der Bundeswirtschaftsminister einen sehr aktuellen und umfassenden Abriss der deutschen Wirtschaftspolitik gegeben sowie etwas zur Qualität des Antrags der CDU/CSU gesagt hat, möchte ich mich hauptsächlich mit dem Antrag der FDP auseinander setzen.

(Gudrun Kopp (FDP): Sehr gut!)

   Der Titel dieses Antrags lautet „Wider die Vertrauenskrise – Für eine konsistente und konstante Wirtschaftspolitik“. Er ist zwar vom 24. September 2003 und damit schon etwas antiquiert,

(Gudrun Kopp (FDP): Immer noch aktuell! Leider!)

er kann aber sehr gut als Stichwortgeber für die seit diesem Zeitraum sichtbaren Veränderungen dienen. Außerdem haben Sie diesen Antrag nicht zurückgezogen. Daraus kann man schließen, dass Sie weiterhin auf dieser Grundlage diskutieren wollen.

(Gudrun Kopp (FDP): Die Probleme sind noch nicht gelöst!)

   Am FDP-Antrag ist bemerkenswert, dass allein auf der ersten Seite siebenmal das Wort „Krise“ vorkommt. Zweifellos waren wir Ende 2003 in schwierigem wirtschafts- und gesellschaftspolitischem Fahrwasser. Aber wer sich daran erinnert, der weiß: Die Agenda 2010 war im Rohr; wir waren mitten im Gesetzgebungprozess und hatten noch vor Weihnachten die notwendigen Gesetze verabschiedet. Bei etwas mehr gutem Willen hätte man durchaus Dynamik erkennen können.

(Lachen des Abg. Eckart von Klaeden (CDU/CSU))

   Die erste gravierende Fehleinschätzung der FDP war wohl die Konjunkturprognose für das Jahr 2004. Sie haben mit der Fortsetzung der Werte von 2002/2003 gerechnet, also nahe Null. Nun wissen wir um die Schwierigkeiten von Prognosen, erst recht, wenn sie weit in die Zukunft reichen. Sie haben ja auch mit den Prognosen im Zusammenhang mit der Bundestagswahl Ihre Probleme gehabt. Umso mehr freuen wir uns, dass in 2004 die Konjunktur deutlich angezogen hat. Nach ersten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes wird das Wachstum 1,7 Prozent betragen.

   Es wurde uns unterstellt, dass wir bei der Umgestaltung der sozialen Sicherungssysteme eigentlich nur Schönheitsreparaturen betreiben würden. Ich bin der Meinung, dass die Gesetze, die auf der Agenda 2010 basieren, die tiefstgreifende Reform der Arbeits- und Sozialgesetzgebung seit vielen Jahren sind.

   Es besteht inzwischen parteiübergreifend und in breiten Schichten der Gesellschaft Konsens, dass das alles viel früher hätte geschehen müssen.

(Dirk Niebel (FDP): Ich habe es schon vor vier Jahren gefordert! Das haben Sie abgelehnt!)

Wenn man die Agenda 2010 als Flickenteppich bezeichnet, missachtet man die Komplexität dieses Reformwerkes. Natürlich war es schwer, die fast ein Dutzend Gesetze, die wir zu diesem Zeitpunkt im Rahmen der Agenda 2010 bearbeitet haben, in Relation zu setzen und ihre genaue Wirkung einzuschätzen. Heute wird deutlich, dass dieses Puzzle von Maßnahmen ein Bild ergibt und seine Wirkung entfaltet.

   Aber anders als bei einem Puzzle, bei dem man nicht an den feinen Konturen, an den Ecken und Kanten feilen darf, muss man bei Gesetzen mitunter an der einen oder anderen Stelle nachjustieren, um sie der Lebenswirklichkeit anzupassen. Ich bin der Meinung, „Nachbessern“ ist hierfür nicht der richtige Begriff. Bei der Komplexität der zu regelnden Sachverhalte ist es notwendig, dass man nach dem Wirksamwerden der Gesetze immer wieder genau hinschaut und dort, wo Veränderungen notwendig sind, diese auch vornimmt.

   Geradezu dreist ist die immer wiederholte Behauptung, dass die arbeitsmarktpolitischen Reformen gescheitert seien. Wir alle wissen, dass erst mit Wirkung zum 1. Januar 2005 Hartz IV, eines der wichtigsten Elemente der Arbeitsmarktreform, in Kraft getreten ist. Wenn es nach Ihnen von der Opposition gegangen wäre, hätten wir auch diesen Zeitpunkt nicht erreicht. Aber Sie sollten sich vielleicht mit uns freuen, dass trotz einiger unvermeidbarer und einiger vielleicht vermeidbarer Probleme auch dieser Teil der Reformen angelaufen ist.

   Ich warne immer wieder vor der anzutreffenden Fehleinschätzung, dass durch die Arbeitsmarktreformen direkt Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt entstehen. Ich erinnere daran: Der Grundgedanke der Hartz-Gesetzgebung ist in erster Linie die bessere und stärker zielgerichtete Vermittlung von Arbeitssuchenden, was natürlich in Zeiten einer anspringenden Konjunktur viel besser gelingt als in einer Stagnationsphase.

(Dirk Niebel (FDP): Aber Vermittlung fand ja nicht mehr statt! Das Kerngeschäft ist ja völlig vernachlässigt worden!)

Insofern kommt uns der positive Trend beim Wirtschaftswachstum in 2004 entgegen, der sich laut DIW in den Jahren 2005 und 2006 fortsetzen wird. Das Wirtschaftswachstum wird dann voraussichtlich 1,8 bis 2 Prozent betragen.

   Auf das Stichwort „Exportweltmeister 2003/2004“ ist aus unserer Sicht ausreichend eingegangen worden.

   Unverständlich ist, was Sie als „Hofieren von Großunternehmen zulasten der mittelständischen Wirtschaft“ bezeichnen. Meine Erlebniswelt in Ostdeutschland belegt das Gegenteil. Gerade den Erhalt und die Ansiedlung von Großunternehmen wie zum Beispiel in der Kohle- und Energiewirtschaft in meiner Region, in der Lausitz, bezeichne ich als das wirksamste Mittelstandsprogramm für diesen Teil unseres Landes. Ähnlich verhält es sich mit der Luft- und Raumfahrtindustrie in Ludwigsfelde, den Hochtechnologiezentren im Großraum Dresden und Jena und den Autoherstellern in Leipzig, um nur einige Beispiele zu nennen. Die dort stattfindende Wertschöpfung hat eine breite Ausstrahlung auf den Mittelstand und bringt Aufträge und Arbeit in die Region.

   Um Innovationen und technischem Fortschritt zum Durchbruch zu verhelfen, muss man manchmal einfach die Nerven behalten und darf man das Ziel nicht aus dem Auge verlieren. Als Beispiel hierfür möchte ich die LKW-Maut anführen. Sie ist zwar verspätet eingeführt worden, hat aber jetzt das Potenzial, Exportschlager zu werden. In Deutschland war es in den letzten Jahren durchaus üblich, das eigene Licht unter den Scheffel zu stellen. Krisengeschrei und Miesmacherei stehen auf der Tagesordnung. Ähnlich wie im Handwerk gehört überall Klagen zum guten Ton. Dieser Ansatz taugt aber keineswegs zur Bewertung unseres Standorts Deutschland.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Ein bisschen Mittelstandsbeschimpfung!)

Im Gegenteil: Er richtet erheblichen Schaden an. Was noch wichtiger ist: Er entspricht nicht den Tatsachen.

   Insofern ist es gut, Außenstehende zu befragen. So fasst Peter Englisch von der weltweit zweitgrößten Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young die Ergebnisse der Untersuchung seiner Firma wie folgt zusammen: Gerade unter ausländischen Investoren ist der Standort Deutschland deutlich besser als sein Ruf im Inland. – Die Befragung von über 500 internationalen Managern hat ergeben: Deutschland zählt hinter China und den USA zu den drei Topstandorten weltweit. Eine direktere Einschätzung unserer Reformen kommt in der Bewertung des Europaökonomen der Bank of America, Lorenzo Codogno, zum Ausdruck, wenn er sagt: Deutschland hat deutlich mehr an sich gearbeitet als andere große europäische Staaten wie Frankreich und Italien. Das zahlt sich langsam aus. Für ausländische Investoren ist Deutschland dank der Reformen dort deutlich attraktiver geworden.

   Ich hoffe, dass auch dieser Prozess weiter an Fahrt gewinnt. Ich bin durchaus kein Umfragefetischist; aber die wachsende Zustimmung für die Regierungskoalition bedeutet: Unser Mosaik, unser Puzzle ist fast komplett. Die Konturen sind mehr als deutlich zu erkennen. Die Bürgerinnen und Bürger gewinnen Vertrauen in unsere Politik. Trotzdem gibt es weiter Aufklärungs- und Diskussionsbedarf, insbesondere in Ostdeutschland. Wir werden uns dem stellen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/4503 und 15/1589 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das scheint so zu sein. Dann ist das so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis 24 f sowie die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf:

24. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der soldatenversorgungsrechtlichen Berufsförderung (Berufsförderungsfortentwicklungsgesetz – BfFEntwG)

– Drucksache 15/4639 –

Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss (f)InnenausschussSportausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschuss gemäß § 96 GO

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung luftversicherungsrechtlicher Vorschriften

– Drucksache 15/4637 –

Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)Ausschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Tourismus

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung bestimmter Altforderungen (Altforderungsregelungsgesetz – AFRG)

– Drucksache 15/4640 –

Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler

– Drucksache 15/4486 –

Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Seemannsgesetzes

– Drucksache 15/4638 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Absatzfondsgesetzes und des Holzabsatzfondsgesetzes

– Drucksache 15/4641 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft

ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Eichhorn, Dr. Maria Böhmer, Claudia Nolte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Deutsch-russischen Jugendaustausch weiterentwickeln

– Drucksache 15/4655 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Haupt, Ina Lenke, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Weichenstellungen für ein deutsch-russisches Jugendwerk

– Drucksache 15/1240 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)Auswärtiger AusschussAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss

   Hier handelt es sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.

   Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 15/4638 zum Tagesordnungspunkt 24 e soll zusätzlich an den Rechtsausschuss, an den Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung, an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und an den Haushaltsausschuss gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. – Auch hierzu darf ich Einvernehmen feststellen. Dann ist das so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 c sowie die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf. Auch hier handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

   Tagesordnungspunkt 25 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von wegerechtlichen Vorschriften

- Drucksache 15/3982 -

(Erste Beratung 135. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (14. Ausschuss)

- Drucksache 15/4468 -

Berichterstattung:Abgeordneter Horst Friedrich (Bayreuth)

   Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache 15/4468, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

   Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 25 b:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung der Bundes-Tierärzteordnung

- Drucksache 15/4023 –

(Erste Beratung 138. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung (13. Ausschuss)

- Drucksache 15/4662 -

Berichterstattung:Abgeordneter Karsten Schönfeld

   Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung empfiehlt auf Drucksache 15/4662, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 25 c:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen(14. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bericht der Bundesregierung 2001 über die Entwicklung der Kostenunterdeckung im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV)

- Drucksachen 15/3137, 15/3251 Nr. 4, 15/4212 –

Berichterstattung:Abgeordneter Klaus Hofbauer

   Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundesregierung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

   Zusatzpunkt 4 a:

Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

Übersicht 9 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht

- Drucksache 15/4663 -

   Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

   Zusatzpunkt 4 b:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zur Dritten Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung

- Drucksache 15/4642, 15/4674 –

Berichterstattung:Abgeordnete Gerd Friedrich BollmannWerner WittlichDr. Antje Vogel-SperlBirgit Homburger

   Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Drucksache 15/4642 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Stimmenthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, wegen des hier im Plenarsaal um 14 Uhr stattfindenden Staatsaktes zum Gedenken an die Opfer der Flutkatastrohpe an den Küsten des Indischen Ozeans unterbreche ich nun, wie vereinbart, die Sitzung bis 15.30 Uhr.

(Unterbrechung von 12.17 bis 15.30 Uhr)
[Der folgende Berichtsteil – und damit der gesamte Stenografische Bericht der 151. Sitzung – wird morgen,
Freitag, den 21. Januar 2005,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15151
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