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Michael Martens
Machtpoker im Kosovo
Nach dem Tod von Ibrahim Rugova
Das Kosovo steht vor bangen Wochen. Nach dem Tode des
kosovarischen Präsidenten Ibrahim Rugova sind gleich mehrere
Personalfragen zu klären - und niemand kann sagen, ob die
Nachfolgeregelung reibungslos gelingen wird. Drei Posten sind zu
besetzen: Die Demokratische Liga (LDK), die bisher wichtigste
Partei der nach Unabhängigkeit von Serbien strebenden Provinz,
ist derzeit formal führungslos. Dringlicher ist indes die Wahl
eines neuen kosovarischen Präsidenten durch das
Übergangsparlament. Denn dem künftigen Präsidenten
wird vermutlich auch die Aufgabe zufallen, die kosovo-albanische
Delegation bei den anstehenden Gesprächen über den neuen
Status der Provinz zu führen. Ob die schwierigen
Gespräche unter Leitung des UN-Vermittlers Martti Ahtisaari im
Februar in Wien beginnen können, ist noch nicht sicher.
"Die Karten werden jetzt neu gemischt. Es ist nicht
auszuschließen, dass es zu unangenehmen Situationen kommt",
warnt Bujar Bukoshi, ein langjähriger Weggefährte
Rugovas, vor möglichen Weiterungen des Machtkampfs. Bukoshi
war in den 90er-Jahren Minis-terpräsident der von der LDK
kontrollierten kosovarischen Exilregierung. Von Bonn aus war er
damals auch dafür zuständig, Abgaben der im Ausland
lebenden Kosovo-Albaner zu verwalten und ins Kosovo weiterzuleiten,
wo unter Führung der LDK ein inoffizielles kosovo-albanisches
Staatswesen im Schatten des Milosevic-Regimes entstanden war. Laut
Bukoshi, der sich später von Rugova abwandte und eine eigene
Partei gründete, haben Hashim Thaçi und seine
Demokratische Partei die besten Chancen in den kommenden Wochen.
Thaçi, der ehemalige politische Führer der
Freischärlergruppierung "UCK" ("Befreiungsarmee Kosovo"), war
der größte Rivale Rugovas und mit seiner Partei
zweitstärkste Kraft im Parlament.
Gefährdete Einheit
In diesen Tagen ist im Kosovo viel darüber spekuliert
worden, ob die LDK den Tod ihres "Übervaters" überhaupt
als Einheit überstehen werde. Manche Beobachter vermuten, sie
könne in verschiedene Gruppierungen zerbrechen.
Tatsächlich gibt es in der LDK starke regionale Flügel
und mehrere konkurrierende Clans. In manchen westlichen Medien
wurde in den vergangenen Tagen Nexhat Daci,
Parlamentspräsident und deshalb laut der kosovarischen
Übergangsverfassung amtierender Präsident des Kosovos,
als Mann mit den besten Aussichten auf die Nachfolge Rugovas
genannt. Doch wenn dies Daci, einem Chemieprofessor, gelingen
sollte, so wird er sehr zu kämpfen haben. Daci, der gern mit
populistischen Sprüchen Stimmung macht und oft gegen die
Ausländer in Diensten der UN-Mission im Kosovo wettert, ist
ein kommunistischer Kader alter Schule, sein mitunter herrisches
Auftreten hat ihm selbst in der eigenen Partei Gegner verschafft.
Bei den anderen Parlamentsfraktionen hat er sich zudem durch seinen
selbstherrlichen Führungsstil unbeliebt gemacht. Hinzu kommt,
dass er aus Südserbien stammt und sich erst nach dem
Kosovo-Krieg in der Provinz politisch etablierte. Doch Daci
manövriert hinter den Kulissen schon seit längerem, um
seine Chancen zu verbessern. So hat er sich in jüngster Zeit
offenbar mehrfach mit Oppositionsführer Thaçi getroffen.
Über den Inhalt dieser Treffen wurde nichts bekannt, was den
Spekulationen Vorschub leistete.
Zu den weiteren wichtigen Männern - Frauen spielen im
patriarchalisch geprägten Leben des Kosovos keine Rolle -
gehören Rugovas alter Weggefährte Sabri Hamiti, dessen
Clan über weitverzweigte Kontakte verfügt, und der
LDK-Fraktionsführer Alush Gashi, dessen Bruder der Leibarzt
von Rugova war. Der Machtkampf beschränkt sich aber nicht auf
die LDK, da durch den Tod Rugovas die gesamte politische Landschaft
der Provinz in Bewegung geraten ist. Zu den Spielern gehören
Personen, deren Rolle nicht klar umrissen, gleichwohl nicht zu
unterschätzen ist. An erster Stelle ist Behgjet Pacolli zu
nennen, ein Geschäftsmann, der in Lugano lebt und vor allem
als Bauunternehmer erfolgreich war. Ein Interesse, das politische
Geschehen in seiner Heimat zu beeinflussen, hat Pacolli
offensichtlich. Anders ist es schwer zu erklären, warum er
sich weiterhin ein Boulevardblatt leistet, obwohl es Verluste
einbringt.
Weniger wichtig als es seine formale Stellung vermuten
lässt, dürfte hingegen in den kommenden Wochen
Ministerpräsident Kosumi sein. Er sei "eine zufällige
Person", so die Einschätzung Bukoshis. Tatsächlich ist es
die allgemeine Ansicht inländischer wie ausländischer
Beobachter in Pri¨tina, dass Kosumi, anders als sein
Vorgänger Ramush Haradinaj, kaum politisches Eigengewicht auf
die Waage bringt. Haradinaj von der Partei "Allianz für die
Zukunft des Kosovos" wird jedoch bis auf weiteres keine aktive
politische Rolle spielen können, denn er wurde im März
vergangenen Jahres vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag
angeklagt. Haradinaj stellte sich dem Tribunal, wartet inzwischen
aber in Freiheit auf den Beginn seines Prozesses.
All diese Wirrungen müssen möglichst rasch
ausgeräumt werden, denn die Kosovo-Albaner können sich
Uneinigkeit in der entscheidenden Phase der Statusgespräche
nicht leisten. Pikanterweise könnte gerade der Tod Rugovas den
Demokratisierungsprozess im Kosovo erleichtern. Denn obwohl Rugova
stets für gewaltlosen Widerstand eingetreten ist, war sein
Führungsstil im Innern keineswegs demokratisch. Da er jedoch
eher ein Symbol als ein greifbarer Politiker war, konnten ihn seine
politischen Gegner und Rivalen nie ernsthaft gefährden. "Nun
erst beginnt die Demokratie bei uns", kommentiert Baton Haxhiu,
Vorsitzender des kosovarischen Journalistenverbandes, die neue
Situation. Agron Bajrami, Chefredakteur der Tageszeitung "Koha
Ditore", weist darauf hin, dass der Posten des Präsidenten
laut der Versfassung ohnehin nur von zeremonieller Bedeutung sei.
"Niemand wird und niemand sollte das Amt mehr so ausfüllen wie
Rugova. Wenn der Vater stirbt, sucht man sich auch keinen neuen",
sagt Bajrami.
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