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Das Parlament
Nr. 05 / 30.01.2006

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Martin Mantzke

Aufrecht und mutig bis zum Ende

Zum 100. Geburtstag von Dietrich Bonhoeffer
Dietrich Bonhoeffer, dessen Geburtstag sich am 4. Februar zum 100. Male jährt und der, noch nicht 40-jährig, wenige Wochen vor Kriegsende ermordet wurde, gilt weltweit als einer der herausragenden Theologen des 20. Jahrhunderts. Eine 17-bändige Werkausgabe macht alle seine erhaltenen Schriften und den Nachlass zugänglich. Zwei Filme, ein Spiel- und ein Dokumentarfilm, halten die Erinnerung an ihn wach, und über dem Westportal der Westminster Abbey in London findet sich unter den zehn in Stein gehauenen Statuen christlicher Märtyrer auch - die aufgeschlagene Bibel in der Hand - diejenige Bonhoeffers.

Seit fast vier Jahrzehnten liegt überdies aus der Feder seines engen Freundes und Weggefährten Eberhard Bethge eine monumentale Biografie Bonhoeffers vor. Von dieser Lebensbeschreibung zehrt natürlich auch die neue Biografie Bonhoeffers, die der ehemalige Pfarrer und Initiator der Bonhoeffer-Gesellschaft, Ferdinand Schlingensiepen, vorgelegt hat. Darüber hinaus nimmt er aber auch die Ergebnisse der Bonhoeffer-Forschung aus den vergangenen 30 Jahren auf, zudem hat er neue Quellen erschlossen und von persönlichen Kontakten zu Zeitgenossen Bonhoeffers profitiert. So entstand ein Buch, dessen gleichmäßiger Erzählfluss dem Leser die Persönlichkeit und die schwierigen Lebensstationen und Glaubensprüfungen Bonhoeffers nahe zu bringen vermag.

Anschaulich beschreibt Schlingensiepen den Lebensweg von den Jugendjahren mit sieben Geschwistern im Kreis einer großbürgerlichen Berliner Familie über die theologischen Studien, Auslandsaufenthalte in Spanien, in den USA und in England, das frühe Engagement für die ökumenische Bewegung und die Begegnung mit dem Schweizer Theologen Karl Barth, die Bonhoeffers Denken so grundlegend veränderte. Erste Berufserfahrungen sammelte Bonhoeffer als Privatdozent an der Berliner Universität und als Gemeindepfarrer, erste Bewährungsproben wurden ihm im Widerstand gegen die Gleichschaltung der Kirche nach 1933 und in der Leitung eines verbotenen Predigerseminars der Bekennenden Kirche abverlangt.

Ging es Bonhoeffer in diesem Kirchenkampf zunächst vorrangig um die Unabhängigkeit der evangelischen Kirche vom Staat, so war für ihn spätestens nach den Pogromen der "Reichskristallnacht" der Weg in den Widerstand fast zwangsläufig. Nur wenige Theologen sahen so klar wie er, wohin das NS-Regime steuern würde; durch seinen Schwager Hans von Dohnànyi, einen hohen Beamten im Reichsjustizministerium, war er früh und umfassend über die verbrecherischen Absichten des Regimes unterrichtet.

Im Jahr 1940 als Pfarrer beurlaubt, trat Bonhoeffer als ziviler Mitarbeiter in den Dienst der militärischen Abwehr des Admirals Wilhelm Canaris. Dieser war der Kopf einer geheimen Verschwörung gegen Hitler, in die Bonhoeffer eingeweiht und an der er von nun an selbst beteiligt war. Unter dem Deckmantel der Agententätigkeit konnte er noch im Krieg seine ökumenischen Kontakte nach England, Amerika, Schweden und in die Schweiz fortführen und Informationen über den deutschen Widerstand weitergeben.

Im April 1943 griff die Gestapo zu; Bonhoeffer war lange Zeit im Zuchthaus Berlin-Tegel inhaftiert. Die Einsamkeit der Gefängniszelle bot Gelegenheit zur Lektüre und sogar zu wissenschaftlichem Arbeiten; dort entstanden Briefe und Aufzeichnungen, die 1952 unter dem Titel "Widerstand und Ergebung" veröffentlicht und zu einem der meistgelesenen theologischen Bücher des 20. Jahrhunderts wurden. In der Haft unternahm Bonhoeffer aber auch eine radikale theologische Selbsterkundung, welche auf die Religionskritik und Religionslosigkeit der Zeit nicht defensiv reagierte, sondern diese theologisch aufzunehmen und zu beantworten suchte.

Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 und nach der Aufdeckung des Ausmaßes der Verschwörung gegen das NS-Regime geriet auch Bonhoeffer in den Strudel des Verderbens. Zu einem Zeitpunkt, als von Westen die Amerikaner vorrückten und bereits große Teile des deutschen Ostens von der Roten Armee besetzt waren, wurde Dietrich Bonhoeffer in den Morgenstunden des 9. April 1945 im nordbayerischen Konzentrationslager Flossenbürg auf Befehl Hitlers erhängt; der Leichnam wurde verbrannt, die Asche verstreut.

Schlingensiepen versagt sich, Bonhoeffer "neu" zu deuten; er will auch dessen Gedanken und Werke nicht neu interpretieren. Er entwirft das beeindruckende Porträt eines Mannes, der erfüllt war von intellektueller Neugier, der über ein unbestechliches Gefühl für Recht und Unrecht sowie Mut zu unbequemen und gefährlichen Entscheidungen verfügte, eines Mannes, der auch heute noch Menschen ansprechen kann, die von der Kirche nichts mehr erwarten.


Ferdinand Schlingensiepen

Dietrich Bonhoeffer 1906 - 1945.

Eine Biografie.

Verlag C. H. Beck, München 2005; 432 S., 24,90 Euro

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