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Martin Mantzke
Aufrecht und mutig bis zum Ende
Zum 100. Geburtstag von Dietrich
Bonhoeffer
Dietrich Bonhoeffer, dessen Geburtstag sich am
4. Februar zum 100. Male jährt und der, noch nicht
40-jährig, wenige Wochen vor Kriegsende ermordet wurde, gilt
weltweit als einer der herausragenden Theologen des 20.
Jahrhunderts. Eine 17-bändige Werkausgabe macht alle seine
erhaltenen Schriften und den Nachlass zugänglich. Zwei Filme,
ein Spiel- und ein Dokumentarfilm, halten die Erinnerung an ihn
wach, und über dem Westportal der Westminster Abbey in London
findet sich unter den zehn in Stein gehauenen Statuen christlicher
Märtyrer auch - die aufgeschlagene Bibel in der Hand -
diejenige Bonhoeffers.
Seit fast vier Jahrzehnten liegt
überdies aus der Feder seines engen Freundes und
Weggefährten Eberhard Bethge eine monumentale Biografie
Bonhoeffers vor. Von dieser Lebensbeschreibung zehrt natürlich
auch die neue Biografie Bonhoeffers, die der ehemalige Pfarrer und
Initiator der Bonhoeffer-Gesellschaft, Ferdinand Schlingensiepen,
vorgelegt hat. Darüber hinaus nimmt er aber auch die
Ergebnisse der Bonhoeffer-Forschung aus den vergangenen 30 Jahren
auf, zudem hat er neue Quellen erschlossen und von
persönlichen Kontakten zu Zeitgenossen Bonhoeffers profitiert.
So entstand ein Buch, dessen gleichmäßiger
Erzählfluss dem Leser die Persönlichkeit und die
schwierigen Lebensstationen und Glaubensprüfungen Bonhoeffers
nahe zu bringen vermag.
Anschaulich beschreibt Schlingensiepen den
Lebensweg von den Jugendjahren mit sieben Geschwistern im Kreis
einer großbürgerlichen Berliner Familie über die
theologischen Studien, Auslandsaufenthalte in Spanien, in den USA
und in England, das frühe Engagement für die
ökumenische Bewegung und die Begegnung mit dem Schweizer
Theologen Karl Barth, die Bonhoeffers Denken so grundlegend
veränderte. Erste Berufserfahrungen sammelte Bonhoeffer als
Privatdozent an der Berliner Universität und als
Gemeindepfarrer, erste Bewährungsproben wurden ihm im
Widerstand gegen die Gleichschaltung der Kirche nach 1933 und in
der Leitung eines verbotenen Predigerseminars der Bekennenden
Kirche abverlangt.
Ging es Bonhoeffer in diesem Kirchenkampf
zunächst vorrangig um die Unabhängigkeit der
evangelischen Kirche vom Staat, so war für ihn spätestens
nach den Pogromen der "Reichskristallnacht" der Weg in den
Widerstand fast zwangsläufig. Nur wenige Theologen sahen so
klar wie er, wohin das NS-Regime steuern würde; durch seinen
Schwager Hans von Dohnànyi, einen hohen Beamten im
Reichsjustizministerium, war er früh und umfassend über
die verbrecherischen Absichten des Regimes unterrichtet.
Im Jahr 1940 als Pfarrer beurlaubt, trat
Bonhoeffer als ziviler Mitarbeiter in den Dienst der
militärischen Abwehr des Admirals Wilhelm Canaris. Dieser war
der Kopf einer geheimen Verschwörung gegen Hitler, in die
Bonhoeffer eingeweiht und an der er von nun an selbst beteiligt
war. Unter dem Deckmantel der Agententätigkeit konnte er noch
im Krieg seine ökumenischen Kontakte nach England, Amerika,
Schweden und in die Schweiz fortführen und Informationen
über den deutschen Widerstand weitergeben.
Im April 1943 griff die Gestapo zu;
Bonhoeffer war lange Zeit im Zuchthaus Berlin-Tegel inhaftiert. Die
Einsamkeit der Gefängniszelle bot Gelegenheit zur Lektüre
und sogar zu wissenschaftlichem Arbeiten; dort entstanden Briefe
und Aufzeichnungen, die 1952 unter dem Titel "Widerstand und
Ergebung" veröffentlicht und zu einem der meistgelesenen
theologischen Bücher des 20. Jahrhunderts wurden. In der Haft
unternahm Bonhoeffer aber auch eine radikale theologische
Selbsterkundung, welche auf die Religionskritik und
Religionslosigkeit der Zeit nicht defensiv reagierte, sondern diese
theologisch aufzunehmen und zu beantworten suchte.
Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli
1944 und nach der Aufdeckung des Ausmaßes der
Verschwörung gegen das NS-Regime geriet auch Bonhoeffer in den
Strudel des Verderbens. Zu einem Zeitpunkt, als von Westen die
Amerikaner vorrückten und bereits große Teile des
deutschen Ostens von der Roten Armee besetzt waren, wurde Dietrich
Bonhoeffer in den Morgenstunden des 9. April 1945 im
nordbayerischen Konzentrationslager Flossenbürg auf Befehl
Hitlers erhängt; der Leichnam wurde verbrannt, die Asche
verstreut.
Schlingensiepen versagt sich, Bonhoeffer
"neu" zu deuten; er will auch dessen Gedanken und Werke nicht neu
interpretieren. Er entwirft das beeindruckende Porträt eines
Mannes, der erfüllt war von intellektueller Neugier, der
über ein unbestechliches Gefühl für Recht und
Unrecht sowie Mut zu unbequemen und gefährlichen
Entscheidungen verfügte, eines Mannes, der auch heute noch
Menschen ansprechen kann, die von der Kirche nichts mehr
erwarten.
Ferdinand Schlingensiepen
Dietrich Bonhoeffer 1906 -
1945.
Eine Biografie.
Verlag C. H. Beck, München 2005; 432
S., 24,90 Euro
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