Karl-Rudolf Korte
Letzten Endes kann es keine Regierungsform
besser
Parlamentarismus auf dem
Prüfstand
Wie hat sich der Parlamentarismus gewandelt?
Welche Veränderungen stehen ihm noch bevor? Hat
Parlamentarismus überhaupt eine Zukunft? Der
Politikwissenschaftler Stefan Marschall gibt sich betont
optimistisch bei der Beantwortung dieser Fragen. Für ihn sind
Parlamente Organisationen mit einem hohem Entwicklungspotential und
besitzen die Fähigkeit, sich wandelnden Umständen
adäquat anzupassen.
Marschalls einführendes, kompaktes
Lehrbuch bietet zum Thema Parlamentarismus reichlich
Anschauungsmaterial. Grafiken, Auswahlliteratur, Links,
Wiederholungsfragen und präzise Zusammenfassungen machen aus
dem Lehrbuch eine didaktisch aufbereitete Lerneinheit für
jeden kommenden Parlamentarismus-Forscher.
Im ersten Kapitel legt Marschall die
Grundlagen, in dem er die theoretischen und empirischen Wurzeln des
Parlamentarismus entfaltet. Begriffs- und Ideengeschichtlich
erfolgt ein Streifzug durch die Repräsentationslehre. Im
zweiten Kapitel stehen Struktur und Organisation von Parlamenten im
Mittelpunkt. Wie organisiert sich ein Parlament? Und wie arbeiten
überhaupt Parlamentarier?
Ein Funktionskatalog wird im dritten Kapitel
ausgebreitet. Die Parlamentarismusforschung ist sich keineswegs
einig, welche Funktionen ein Parlament haben sollte, das auch den
Namen zu Recht verdient. Das Kapitel mündet in eine
Typenbildung. Originell schließt sich das vierte Kapitel an,
denn hier wird das Thema Parlamentarismus unterhalb und oberhalb
des Nationalstaates problematisiert.
So kann man sich auch mit den Vor- und
Nachteilen gängiger Klischees gegenüber dem veralteten
oder postmodernem Parlamentarismus auseinandersetzen. Am Funktion-
und Ideenkatalog kann der Autor kommunalpolitische Parlamente
ebenso einordnen wie das Europäische Parlament.
Selbstverständlich darf die klassische
Parlamentarismuskritik nicht fehlen. Die Kritik ist so alt, wie
Parlamente existieren. Kritische Ansätze, die im fünften
Kapitel zusammengestellt werden, argumentieren damit, dass die Idee
des Parlamentarismus zwar gut sei, die Wirklichkeit der Institution
jedoch versagt habe. Klassisch sind auch die Kritikpunkte, die eine
Übermacht der Parteien und somit ein Unverständnis
für die Organisationswirklichkeit des modernen
Parlamentarismus ins Zentrum rücken.
Der abschließende Abschnitt
erörtert eine neoparlamentarische Perspektive. Sind Parlamente
immer noch lernende Organisationen? Marschall kann sich keine
alternative Form demokratischer Legitimation anstelle des
Parlamentarismus vorstellen. Demokratie in Flächenstaaten
scheint auf Parlamente nicht gänzlich verzichten zu
können.
Andererseits macht er auch deutlich, woran
konkret das Unzeitgemäße der wahrgenommenen Parlamente
heute besteht. Doch für Marschall überwiegen, nach
Abwägung aller Argumente, die Vorteile des Parlamentarismus.
Transparenz, Vermittlung zwischen Regierenden und Regierten,
Minderheiten, die ein Sprachrohr erhalten - wer außer den
Parlamenten sollte diese wichtige Funktionen
erfüllen?
Nach dem einführenden Grundkurs wird
klar, dass Parlamente auch zu pflegen sind, um eine Demokratie am
Leben zu erhalten. Nuancierte Stilwechsel im Umgang mit der
Organisation könnte da bei vielen Mandatsträgern schon
zur Verbesserung von parlamentarischer Wirkung führen. Wer
beispielsweise erst im Parlament und nicht gegenüber
Medienvertretern Neuigkeiten ausbreitet, wird nicht nur höhere
Aufmerksamkeit für das Parlament erreichen, sondern auch
professionelle Parlaments-Korrespondenten zur Bestform
provozieren.
Wenn das Parlament sowohl der Ort der
Darstellungs- als auch der Entscheidungspolitik ist, dann
verändert sich nicht nur die Wahrnehmung dieser
Körperschaft. Langfristig verändern sich dann auch die
Rekrutierungsprozesse der Parlamentarier. Marschall kann somit
durch seine systematische Einführung Nachdenklichkeit
provozieren, die auf elementare Demokratiefragen zielt.
Stefan Marschall
Parlamentarismus. Eine
Einführung.
Nomos Verlagsgesellschaft, Baden Baden
2005; 350 S.,21,90 Euro
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