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Hans-Georg Wehling
Wo man landet, bleibt ungewiss
Rückblick auf 16 Jahre Landtag
Es gibt den Deutschen Bundestag und seit der deutschen
Vereinigung 1990 auch 16 Länderparlamente. Der Bundestag ist
wissenschaftlich genau untersucht, viele Einzelaspekte sind
analysiert worden. Demgegenüber sind die Landesparlamente
über Jahrzehnte hinweg eher stiefmütterlich behandelt
worden. Frühe Untersuchungen mit wissenschaftlichem Anspruch
stammen von Manfred Friedrich (1975) und Herbert Schneider. Erst
2004 erschien die von Gerd Mielke und Werner Reutter herausgegebene
Gesamtdarstelung "Länderparlamentarismus in Deutschland", eine
sorgfältige, vergleichende wissenschaftliche Analyse.
Darüber hinaus gibt es Einzeldarstellungen von Landtagen,
Aufarbeitungen eigener Erfahrungen von Abgeordneten nach ihrem
Ausscheiden aus der Landespolitik - Rechenschaft nicht unbedingt
gegenüber der Öffentlichkeit, sondern auch vor sich
selbst: Was hast du eigentlich die ganzen Jahre über im
Landtag gemacht, hast du etwas bewegen können? Wie bist du
eigentlich an das Mandat gekommen, wie und warum bist du es wieder
losgeworden?
Das Buch von Gerhart Scheuer ist ein solcher
Rechenschaftsbericht, der genau diese Fragen stellt. 16 Jahre lang
war Scheuer Mitglied im Landtag von Baden-Württemberg,
Mitglied der Regierungsfraktion in den besten Zeiten der CDU. Es
war die Zeit der absoluten Mehrheit unter den
Ministerpräsidenten Hans Filbinger, Lothar Späth und
Erwin Teufel. In dem für die Südwest-CDU schwierigen
Wahlkreis MannheimLand/Weinheim kam er zunächst über die
Zweitauszählung (eine Landesliste kennt Baden-Württemberg
nicht) in den Landtag, dann dank des Rockschoß-Effekts
populärer Landesväter auch in direkter Wahl.
Eigentlich wollte Scheuer gar kein Landtagsabgeordneter werden.
Er verstand sich als Deutschland-, Außen- und
Verteidigungspolitiker und vertrat dort "rechte" Positionen (Gegner
der Ostpolitik Willy Brandts). Der gebürtige Hamburger
(Jahrgang 1935) kam aus der Bundeswehrverwaltung; seit 1966
unterrichtete er an deren Verwaltungsschule in Mannheim.
Erstbeste Chance nutzen
Aber wie bereits Stefan Holl in seiner Dissertation
("Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg. Sozialprofil,
Rekrutierung, Selbstbild", Tübingen 1988) gezeigt hat, kann
man sich in der Regel nicht aussuchen, ob man Karriere im Bundestag
oder im Landtag macht. Wenn sich eine Chance für eines der
beiden Parlamente bietet, muss man zugreifen, eine zweite Chance
kommt meist nicht wieder. So bei Scheuer: Die Junge Union, der er
angehörte, war unzufrieden mit dem vorgesehen Kandidaten, von
dem sie befürchtete, er würde die CDU blamieren. Das war
die Chance für den Seiteneinsteiger in einem Wahlkreis, der
bislang als sichere Bank für die SPD galt.
Aus dem Buch von Gerhart Scheuer erfährt man viel über
Wahlkampfführung, über parteiinterne Seilschaften und
Machenschaften, die ihm das Mandat einbrachten - und ihn es
später wieder kosteten. Die ausschlaggebende Bedeutung der
Wahlkreisarbeit wird gerade in diesem Zusammenhang sehr deutlich;
es zählt vor allem, was in die Lokalzeitung kommt (mit Bild
natürlich). Dann wird, fast tagebuchartig, das
Tätigkeitsprofil eines Abgeordneten geschildert, sowohl die
Tätigkeit im Landtag und in den Ausschüssen wie die
Arbeit vor Ort im Wahlkreis. Der gelernte Jurist spart nicht mit
institutionellen Informationen, was für den nicht
vorgebildeten Leser sehr nützlich ist.
Landtage haben dieselben Funktionen wie der Bundestag:
Gesetzgebung, Bildung und Aufrechterhaltung einer Regierung,
Regierungs- und Verwaltungskontrolle, insbesondere aber auch die
Verbindung von Wählern und Gewählten aufrechtzuerhalten,
was man in der Wissenschaft als "Responsibilität" bezeichnet.
Die Akzente zwischen Bundestag und Landtagen sind hier jedoch
unterschiedlich gesetzt: Die Landtage haben nur noch in
geringfügigem Ausmaß Gesetzgebungsfunktionen; dafür
ist ihre Kontrollfunktion umso wichtiger, zumal auch Bundesgesetze
von den Ländern ausgeführt werden. Nur in
Ausnahmefällen ist ihre Legislativfunktion bedeutend, etwa in
der Bildungspolitik und vor allem in der Verwaltungspolitik.
Gerade hier konnte Scheuer den Landtag "in Hochform" erleben, da
in seine Zeit wichtige Weichenstellungen in der Schulpolitik fielen
und das "Jahrhundertwerk" kommunale Gebietsreform durchgesetzt
wurde. Diese Prozesse schildert Scheuer sehr detailliert; das macht
sein Buch zu einem wichtigen zeitgenössischen Dokument.
Gerhart Scheuer
Weichenstellungen. Fakten und Erinnerungen.
16 Jahre im Landtag von Baden-Württemberg.
Mattes Verlag, Heidelberg 2005; 352 S.,14,80 Euro
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