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Das Parlament
Nr. 05 / 30.01.2006

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Hans-Georg Wehling

Wo man landet, bleibt ungewiss

Rückblick auf 16 Jahre Landtag

Es gibt den Deutschen Bundestag und seit der deutschen Vereinigung 1990 auch 16 Länderparlamente. Der Bundestag ist wissenschaftlich genau untersucht, viele Einzelaspekte sind analysiert worden. Demgegenüber sind die Landesparlamente über Jahrzehnte hinweg eher stiefmütterlich behandelt worden. Frühe Untersuchungen mit wissenschaftlichem Anspruch stammen von Manfred Friedrich (1975) und Herbert Schneider. Erst 2004 erschien die von Gerd Mielke und Werner Reutter herausgegebene Gesamtdarstelung "Länderparlamentarismus in Deutschland", eine sorgfältige, vergleichende wissenschaftliche Analyse.

Darüber hinaus gibt es Einzeldarstellungen von Landtagen, Aufarbeitungen eigener Erfahrungen von Abgeordneten nach ihrem Ausscheiden aus der Landespolitik - Rechenschaft nicht unbedingt gegenüber der Öffentlichkeit, sondern auch vor sich selbst: Was hast du eigentlich die ganzen Jahre über im Landtag gemacht, hast du etwas bewegen können? Wie bist du eigentlich an das Mandat gekommen, wie und warum bist du es wieder losgeworden?

Das Buch von Gerhart Scheuer ist ein solcher Rechenschaftsbericht, der genau diese Fragen stellt. 16 Jahre lang war Scheuer Mitglied im Landtag von Baden-Württemberg, Mitglied der Regierungsfraktion in den besten Zeiten der CDU. Es war die Zeit der absoluten Mehrheit unter den Ministerpräsidenten Hans Filbinger, Lothar Späth und Erwin Teufel. In dem für die Südwest-CDU schwierigen Wahlkreis MannheimLand/Weinheim kam er zunächst über die Zweitauszählung (eine Landesliste kennt Baden-Württemberg nicht) in den Landtag, dann dank des Rockschoß-Effekts populärer Landesväter auch in direkter Wahl.

Eigentlich wollte Scheuer gar kein Landtagsabgeordneter werden. Er verstand sich als Deutschland-, Außen- und Verteidigungspolitiker und vertrat dort "rechte" Positionen (Gegner der Ostpolitik Willy Brandts). Der gebürtige Hamburger (Jahrgang 1935) kam aus der Bundeswehrverwaltung; seit 1966 unterrichtete er an deren Verwaltungsschule in Mannheim.

Erstbeste Chance nutzen

Aber wie bereits Stefan Holl in seiner Dissertation ("Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg. Sozialprofil, Rekrutierung, Selbstbild", Tübingen 1988) gezeigt hat, kann man sich in der Regel nicht aussuchen, ob man Karriere im Bundestag oder im Landtag macht. Wenn sich eine Chance für eines der beiden Parlamente bietet, muss man zugreifen, eine zweite Chance kommt meist nicht wieder. So bei Scheuer: Die Junge Union, der er angehörte, war unzufrieden mit dem vorgesehen Kandidaten, von dem sie befürchtete, er würde die CDU blamieren. Das war die Chance für den Seiteneinsteiger in einem Wahlkreis, der bislang als sichere Bank für die SPD galt.

Aus dem Buch von Gerhart Scheuer erfährt man viel über Wahlkampfführung, über parteiinterne Seilschaften und Machenschaften, die ihm das Mandat einbrachten - und ihn es später wieder kosteten. Die ausschlaggebende Bedeutung der Wahlkreisarbeit wird gerade in diesem Zusammenhang sehr deutlich; es zählt vor allem, was in die Lokalzeitung kommt (mit Bild natürlich). Dann wird, fast tagebuchartig, das Tätigkeitsprofil eines Abgeordneten geschildert, sowohl die Tätigkeit im Landtag und in den Ausschüssen wie die Arbeit vor Ort im Wahlkreis. Der gelernte Jurist spart nicht mit institutionellen Informationen, was für den nicht vorgebildeten Leser sehr nützlich ist.

Landtage haben dieselben Funktionen wie der Bundestag: Gesetzgebung, Bildung und Aufrechterhaltung einer Regierung, Regierungs- und Verwaltungskontrolle, insbesondere aber auch die Verbindung von Wählern und Gewählten aufrechtzuerhalten, was man in der Wissenschaft als "Responsibilität" bezeichnet. Die Akzente zwischen Bundestag und Landtagen sind hier jedoch unterschiedlich gesetzt: Die Landtage haben nur noch in geringfügigem Ausmaß Gesetzgebungsfunktionen; dafür ist ihre Kontrollfunktion umso wichtiger, zumal auch Bundesgesetze von den Ländern ausgeführt werden. Nur in Ausnahmefällen ist ihre Legislativfunktion bedeutend, etwa in der Bildungspolitik und vor allem in der Verwaltungspolitik.

Gerade hier konnte Scheuer den Landtag "in Hochform" erleben, da in seine Zeit wichtige Weichenstellungen in der Schulpolitik fielen und das "Jahrhundertwerk" kommunale Gebietsreform durchgesetzt wurde. Diese Prozesse schildert Scheuer sehr detailliert; das macht sein Buch zu einem wichtigen zeitgenössischen Dokument.


Gerhart Scheuer

Weichenstellungen. Fakten und Erinnerungen.

16 Jahre im Landtag von Baden-Württemberg.

Mattes Verlag, Heidelberg 2005; 352 S.,14,80 Euro

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