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Daniela Weingärtner
Lissabon in weiter Ferne
Jährlicher Fortschrittsbericht für
Wachstum und Beschäftigung
Für ihre Wachstums- und
Beschäftigungspolitik hat die deutsche Bundesregierung von der
EU-Kommission gute Noten bekommen. Am 25. Januar
veröffentlichte die Kommission zum ersten Mal einen
vergleichenden Bericht über die entsprechenden Programme in
den 25 Mitgliedsstaaten. Er bildet die Diskussionsgrundlage, wenn
die Regierungschefs im März auf ihrem jährlichen
Wirtschaftsgipfel zusammentreffen. Bis dahin soll auch der
EU-Haushalt unter Dach und Fach sein.
Jährliche Länderberichte der
Kommission sollen der seit Jahren vor sich hin plätschernden
Debatte um die so genannten "Lissabon-Ziele" eine handfeste
Grundlage geben. Im Frühjahr 2000 hatten die Regierungen bei
ihrem Gipfel in Lissabon beschlossen, die EU bis zum Jahr 2010 zum
wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Die
jedes Frühjahr veranstalteten Beschäftigungsgipfel hatten
aber außer Absichtserklärungen wenig konkrete Ergebnisse
gebracht. Denn: Die Mitgliedsstaaten legen die Richtung ihrer
Wirtschaftspolitik weitgehend eigenverantwortlich fest. Nur wenn
sich ein Land hoch verschuldet, hat die Kommission über den
Stabilitätspakt Einfluss auf die wirtschaftspolitischen
Maßnahmen.
Mittlerweile hat die Globalisierung die
Konkurrenz für den Standort Europa weiter verschärft.
Asien erlebt einen gewaltigen Aufschwung und die EU ist von ihrem
Ziel weiter denn je entfernt. Deshalb setzten sich die Regierungen
letztes Jahr konkretere Ziele: Bis 2010 soll die
Beschäftigungsrate in der Union 70 Prozent erreichen und die
Investitionen für Forschung und Entwicklung drei Prozent des
Bruttosozialprodukts betragen. Die Kommission wurde beauftragt,
Wirtschaftsindikatoren zu erarbeiten, an denen sich
Wachstumspotentiale und Wettbewerbsfähigkeit messen lassen.
Heraus kamen 14 so genannte Schlüsselbereiche, deren Werte
jährlich veröffentlicht werden sollen. Die Kommission
hofft, damit Ansporn für Nachzügler zu schaffen und eine
Aussage darüber zu ermöglichen, ob eine Volkswirtschaft -
über mehrere Jahre betrachtet - auf dem richtigen Weg
ist.
Die Zahlen zeigen, dass in Deutschland das
Pro-Kopf-Einkommen, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung
und auch die Beschäftigungsrate leicht über dem
EU-Durchschnitt liegen. Das Ausbildungsniveau junger Menschen und
die Investitionsrate der Unternehmen bleiben hingegen unter dem
EU-Schnitt. Die Energiebilanz in der Produktion ist erfreulich
niedrig, die Rate für Langzeitarbeitslosigkeit sehr hoch - nur
Griechenland, Litauen, Polen und die Slowakei verzeichnen einen
noch höheren Prozentsatz an Langzeitarbeitslosen.
Die Große Koalition in Berlin kann sich
aber damit trösten, dass ihr aus Brüssel bescheinigt
wird, sie sei wirtschaftspolitisch auf dem richtigen Weg. Mehr
Wettbewerb müsse allerdings bei der Vergabe öffentlicher
Aufträge erreicht werden, bei Dienstleistungen und beim Zugang
zu Breitband-Netzen. Auch die Kinderbetreuung lasse noch zu
wünschen übrig. Die Kritik am Nachbarn Frankreich
fällt viel härter aus. Dort sei der Arbeitsmarkt noch
immer gegen Konkurrenz abgeschottet, vor allem bei der Bahn, der
Post und den Energieunternehmen. Die Kommission "ermutigt die
französischen Behörden" zu mehr Marktöffnung,
heißt es im Bericht. Eine Botschaft, die von den
französischen Gewerkschaften sicher nicht sehr gern
gehört wird.
Die Doppeldeutigkeit europäischer
Entscheidungen zeigt sich daran, dass die von der Kommission als
Wachstumsbereiche erkannten Politiken im neuen Haushaltsplan
gekürzt werden. Während die EU-Regierungen einerseits
eine stärkere Rolle der Gemeinschaft als Wachstumsmotor
fordern, sparen sie bei Forschung und Entwicklung, bei
Investitionen in transeuropäische Energie- und Verkehrsnetze
sowie bei Ausbildung und Strukturförderung. Deshalb hat das
EU-Parlament in seiner letzten Plenarsitzung die beim Gipfel im
Dezember von allen Regierungen mühevoll ausgehandelte
Finanzplanung für die Jahre 2007 bis 2013 zunächst
abgelehnt. Wie der zuständige Berichterstatter Reiner
Böge letzte Woche darlegte, seien aus Parlamentssicht
Kernbereiche betroffen.
So würden die Mittel für
Erwachsenenbildung von 11 Milliarden auf 5,6 Milliarden Euro
gekürzt. Die Transeuropäischen Netze sollten statt 18
Milliarden nur noch 8,4 Milliarden Euro erhalten. Auch bei den
Programmen für den ländlichen Raum seien die Einschnitte
gewaltig.
Ein Kompromiss könnte darin bestehen,
dass für einige Politikbereiche zusätzliche Kredite der
Europäischen Investitionsbank gewährt werden. Für
Forschung und Entwicklung sind 10 Milliarden Euro im Gespräch.
Ferner sollen Mittel, die im laufenden Haushaltsjahr nicht
abfließen, für weitere drei Jahre bereit stehen oder in
andere Haushaltstöpfe umge-lenkt werden. Bislang floss das
Geld nach zwei Jahren an die Mitgliedstaaten
zurück.
Vor allem aber wird das Europaparlament
versuchen, seine Zustimmung zu dem Sparprogramm gegen mehr
Mitsprache in künftigen Finanzverhandlungen einzutauschen. In
Brüssel kann sich niemand vorstellen, dass die beiden
großen Fraktionen CDU und SPD einen Kompromiss platzen lassen,
der als diplomatische Glanzleistung der neuen deutschen Kanzlerin
gefeiert wird. Der Vorsitzende der europäischen EVP-Fraktion,
Hans-Gert Pöttering, gilt als Merkel-Vertrauter. Der
Vorsitzende der Sozialdemokraten in Europa, Martin Schulz, muss
ebenfalls darauf achten, die große Koalition nicht zu
beschädigen.
Am 1. Februar will die EU-Kommission einen
Vorschlag machen, wie die im Dezember bewilligten Mittel auf die
einzelnen Politikbereiche verteilt werden. Erst danach beginnen die
eigentlichen Verhandlungen zwischen Rat, Kommission und Parlament,
der so genannte Trilog. Wenn alle drei Institutionen sich auf einen
Finanzkompromiss geeinigt haben, wird die Kommission die
Rahmenbedingungen für Förderinstrumente rechtlich
festlegen. Hinter den Kulissen wird aber schon über Details
gerungen.
Wirtschaftsminister Glos verlangte in einem
Brief an seinen österreichischen Kollegen Bartenstein, dass
Unternehmen, die Arbeitsplätze innerhalb der EU verlagern,
nicht mit EU-Mitteln gefördert werden dürfen. Dem
Wirtschaftsministerium schwebt eine Formulierung vor, die einem
ähnlichen Passus in der Gemeinschaftsaufgabe entspricht.
Danach würden durch Firmenabwanderungen geschädigte
Länder ein Einspruchsrecht gegen bestimmte EU-Beihilfen
erhalten.
Industriekommissar Günter Verheugen
sagte am 25. Jnauar in Brüssel, er habe sich bei der
zuständigen Abteilung der Kommission erkundigt. "Es gibt
keinen einzigen Fall, in dem eine Firmenabwanderung durch EU-Mittel
finanziert wurde", sagte der deutsche SPD-Politiker. "Es gibt klare
Regeln für die Bewilligung von Strukturmitteln: Sie
müssen neue Arbeitsplätze schaffen und dürfen keine
bestehenden Jobs zerstören." Der Präsident der
EU-Kommission José Manuel Barroso wurde noch etwas deutlicher:
"Ich appelliere an die Politiker der Mitgliedstaaten: Vermeiden Sie
diese Art von nationalistischer Wertung", warnte Barroso an die
Adresse des deutschen Wirtschaftsministers. Deutschland solle
vielmehr daran denken, dass es von den neuen Mitgliedsstaaten
wirtschaftlich auch enorm profitiere.
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