|
|
Kirsten Burckschat
Es geht um Leben und Tod
Niedersachsen: Koalition streitet über den
Umgang mit der Sterbehilfe
Nach Monaten der Harmonie ist in der niedersächsischen
Regierungskoalition ein Streit vom Zaun gebrochen. Es geht um die
heikle Frage, ob und wie Sterbehilfeorganisationen verboten werden
können. Den konkreten Anlass bietet der in Hannover
gegründete Sterbehilfeverein Dignitas. Er ist Justizministerin
Elisabeth Heister-Neumann (CDU) ein Dorn im Auge, allein es fehlen
ihr die Mittel, um gegen die Organisation vorzugehen. Deshalb will
sie per Bundesratsinitiative einen neuen Paragrafen 217 im
Strafgesetzbuch verankern, der jede "geschäftsmäßige
Förderung der Selbsttötung" unter Strafe stellt. Ihr
Ministerium hat den Gesetzentwurf vorbereitet. Er soll die
Rechtsgrundlage schaffen, um in Deutschland jedes Geschäft mit
dem Tod im Keim zu ersticken. "Unsere Gesellschaft ist voller
Ängste und Unsicherheiten. Da müssen wir in
existenziellen Fragen klare Werteaussagen machen", so
Heister-Neumann.
Doch ihr Koalitionspartner hat das leidenschaftliche Vorhaben
der Ministerin erst einmal ausgebremst, aus taktischen und
inhaltlichen Gründen. Zum einen fühlt sich die FDP
übergangen. Sie will auch bei Gesetzentwürfen eingebunden
werden, die für den Bundesrat bestimmt sind. Und zweitens
prallen in dieser Frage Weltanschauungen aufeinander. Ein
grundsätzliches Verbot der Beratung zum Suizid kommt für
die FDP nicht in Betracht aus Gründen des
Selbstbestimmungsrechts. FDP-Fraktionschef Philipp Rösler
mahnt, man dürfe "Menschen, die sich zur Selbsttötung
entschließen, nicht alleine lassen". Es gebe immer wieder
ausweglose Fälle, bei denen auch die beste Schmerztherapie
nicht helfen könne. Die FDP befürchtet außerdem,
dass der von Heister-Neumann weitgefasste Paragraf 217 auch die
ehrenamtliche Beratung in der Palliativmedizin unter Strafe stellen
würde. Und das geht den Liberalen definitiv zu weit. Ihre
ablehnende Haltung gefährdet jetzt die Bundesratsinitiative
der Landesregierung, denn laut Koalitionsvertrag müssen sich
CDU und FDP einig sein, wenn sie im Bundesrat ein Gesetz
vorschlagen. Und mehr noch: Einigen sie sich nicht, müssen sie
sich im Bundesrat auch künftig zu diesem Thema enthalten. Will
Heister-Neumann ihr Gesetz retten, muss sie also mit der FDP auf
einen Nenner kommen.
Eine Steilvorlage für den kleinen Regierungspartner, der
jetzt das Verhandlungstempo und die Inhalte bestimmen kann. Und so
machte die FDP-Fraktion in der jüngsten Stellungnahme klar,
was mit ihr geht und was nicht: Das allgemeine Verbot der
Sterbehilfe-Beratung wird sie auf keinen Fall mittragen, man kann
sich aber ein Gesetz vorstellen, in dem die "gewinnoriente"
Beratung verboten wird, heißt es. So bliebe zumindest die
ehrenamtliche Beratung erlaubt. Auf dieses Verhandlungsangebot
reagierte die CDU mit gemischten Gefühlen: "Wir sind zwar
einen Schritt weiter, weil sich die FDP überhaupt zu einem
Gesetz durchringt", so der Parlamentarische
Geschäftsführer der CDU, Bernd Althusmann, dennoch
könne sich seine Partei schwer vorstellen, jedwede
organisierte Beratung zum Suizid zu erlauben: "Wir wollen
Lebenshilfe und nicht Sterbehilfe", erklärt er, "und wir sehen
mit Sorge die Ausbreitung von Sterbhilfeorgansiationen in anderen
Ländern."
Ein Arbeitskreis der Fraktionen soll jetzt den kleinsten
gemeinsamen Nenner der Koaltion ermitteln. Unklar ist, ob sich in
den Fraktionen die Hardliner oder die Pragmatiker durchsetzen. Ein
Scheitern des Entwurfs wäre für die Ministerin eine
Schlappe. Die Koalition wird jedoch an dieser Frage nicht
zerbrechen, beteuern beide Seiten. "Wir sind zwei Parteien mit
unterschiedlichen Wertvorstellungen", betont FDP-Fraktionschef
Rösler. Und Althusmann ergänzt: "Wir müssen in
solchen Grundsatzfragen Lösungen finden, bei denen jeder sein
Gesicht wahren kann." Aber er appelliert auch an die FDP, mit ihrer
Blockadehaltung die Handlungsfähigkeit der Regierung im
Bundesrat nicht zu schwächen. "Ich gehe davon aus, dass die
FDP ihre Verantwortung wahrnimmt". Und auch die Justizministerin
hofft auf eine Einigung, selbst wenn ihr Entwurf Federn lassen
muss. "Wir haben dann immerhin den Anfang gemacht. Das Thema ist
gesellschaftlich relevant und wird im Bundesrat früher oder
später auf die Tagesordnung kommen", so Heister-Neumann. Fragt
sich nur, ob die niedersächsische Landesregierung dann einig
und stimmfähig ist
Zurück zur
Übersicht
|