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Karl-Otto Sattler
Basteln - lesen - kochen
Saarland: Streit um pädagogisches Konzept
der Nachmittagsbetreuung an Schulen
Susanne Reichrath ist zurzeit im Saarland viel unterwegs, und
bei ihren Besuchen vor Ort zeigt sich die
Kultus-Staatssekretärin spendabel. Ob in den Grundschulen
Schmelz-Hüttersdorf, Kirkel oder Furschweiler, ob in der
Schule für geistig Behinderte in Merzig-Merchingen: Stets
überreicht sie Schecks über mehrere hunderttausend Euro.
Zuweilen schaut ihr Chef persönlich vorbei: So tritt in der
Grundschule von Bous CDU-Minister Jürgen Schreier als
Überbringer des Geldsegens auf. Dass die Lokalpresse über
solche Visiten berichtet, ist für Schreiers und Reichraths
Polit-PR in der Öffentlichkeit natürlich nicht
abträglich. Die Zuschüsse fließen in Investitionen
beispielsweise für neue Pavillons oder für
Erweiterungsbauten von Turnhallen, wo Schüler nachmittags
betreut werden. Dem Ressortchef und seiner Staaatssekretärin
fällt die Großzügigkeit leicht: Die Mittel stammen
nicht aus dem überschuldeten Landesetat, sondern aus dem
Vier-Milliarden-Euro-Projekt des Bundes zur Förderung von
Ganztagsschulen.
Aus diesem Investitionsprogramm "Zukunft, Bildung und Betreuung"
(IZBB) erhält das Saarland 50 Millionen Euro bis 2007.
Bernhard Bone, Referatsleiter Statistik im Ministerium, rechnet
vor, dass das Saarland bereits an die 14 Millionen Euro und damit
fast 30 Prozent der für den Südwesten reservierten
Bundesgelder abgerufen hat, womit man im Ländervergleich in
der Spitzengruppe rangiere. Zudem betont er, dass die Saar mit rund
260 Einrichtungen in allen Schulzweigen republikweit "die
größte Zahl an Standorten mit Nachmittagsbetreuung hat".
Staatssekretärin Reichrath: "Kein anderes Bundesland besitzt
bei den Ganztagsschulen ein derart dichtes Betreuungsnetz."
Im Saarland puschen die IZBB-Gelder die "Freiwilligen
Ganztagsschulen", die Minister Schreier als "Erfolgsmodell" preist.
Dieses Lob des CDU-Politikers wird indes keineswegs überall
geteilt. Es wird vielmehr heftig über dieses Thema gestritten:
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW),
Elternvertretungen und die Opposition im Landtag kritisieren
Schreiers Kurs als pädagogisch-konzeptionell unzureichend. Der
GEW-Vorsitzende Klaus Kessler findet die Zahl der Einrichtungen
durchaus beeindru-ckend. Freilich handele es sich um
"äußerst fragwürdige Betreuungsmodelle". Kessler
wirft dem Minister einen "Etikettenschwindel" vor: "Wo
Ganztagsschule draufsteht, muss auch Ganztagsschule drin sein."
Bislang haben an der Saar nur fünf echte Ganztagsschulen
das Licht der Welt erblickt. Die "Freiwillige Ganztagsschule" ist
anders gestaltet. Träger vor Ort sind zuweilen
Schulfördervereine, meist jedoch Organisationen wie etwa DRK,
Arbeiterwohlfahrt, Diakonie oder Caritas. Deren Mitarbeiter
beaufsichtigen bis 14 oder 16 Uhr das Erledigen von Hausaufgaben
und organisieren Lesestunden, Musikübungen, Kochkurse, Basteln
oder Sport. Eltern zahlen im Schnitt monatlich 60 Euro pro Kind
für die Teilnahme. Die Regierung subventioniert die
Personalkosten jährlich landesweit mit 3,5 Millionen Euro,
wozu auch wöchentlich drei Lehrerstunden je Standort
gehören. Klaus Funck, Abteilungsleiter für
Allgemeinbildende Schulen im Ministerium, sagt, diese Form der
Betreuung sei "nicht als Verlängerung der Schulzeit in den
Nachmittag gedacht, die Eltern sollen vielmehr wissen, dass ihre
Kinder gut aufgehoben sind".
Genau diese Linie ist den Kritikern ein Dorn im Auge. "Die
Betreuung im Sinne von Versorgung hat Vorrang vor Bildung und
Erziehung", moniert der GEW-Vorsitzende Kessler, es mangele "an
Fachpersonal". Auch Jörg Dammann plädiert für mehr
Qualität und mehr Professionalität. "Drei Lehrerstunden
je Standort in der Woche reichen nicht", so der Vorsitzende der
Landeselternvertretung (LEV) an den Grundschulen, "da gibt es
Nachholbedarf". Weil es kaum um eine Vertiefung der Bildung gehe,
klagt Kessler, "nützt diese Nachmittagsbetreuung
schwächeren Schülern wenig und gleicht soziale
Benachteiligungen nicht aus".
Landesweite statistische Daten über die Teilnahme von
Schülern hat das Ministerium noch nicht ermittelt, auf jeden
Fall schickt bisher nur eine Minderheit der Eltern ihren Nachwuchs
in die "Freiwilligen Ganztagsschulen". Kessler und Dammann
führen diese Zurückhaltung nicht nur auf das
pädagogische Konzept, sondern auch auf die recht hohen Kosten
zurück. GEW und LEV verlangen eine gebührenfreie
Nachmittagsbetreuung.
Helfen kann aus Sicht der GEW nur ein flächendeckendes
Angebot an kostenlosen echten Ganztagsschulen. Auch wegen der 2001
verfügten landesweiten Einführung des achtjährigen
Gymnasiums (G 8) und der damit verbundenen Stoffverdichtung fordert
die SPD-Opposition im Landtag ebenfalls eine solche Lösung.
Der SPD-Bildungspolitiker Reiner Braun: "G 8 ist nur mit einer
echten Ganztagsschule zu bewältigen." Ursula
Gressung-Schlobach, Vorsitzende der Gemeinnützingen
Gesellschaft Gesamtschule und Leiterin einer solchen Einrichtung,
hat Bemerkenswertes beobachtet: Seit der Etablierung von G 8
würden wegen des verstärkten Drucks und der
Stofffülle immer mehr Gymnasiasten auf eine der 15
Gesamtschulen wechseln.
Hier kann man das Abitur weiterhin nach neun Jahren absolvieren.
Der Streit über Ganztagsschulen dürfte an der Saar
fortdauern. Mehr und professionellere Betreuung? Da wird die
CDU-Regierung angesichts der Haushaltsnotlage stets auch auf die
leeren Kassen verweisen.
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