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Isolde Fungut
Rockmusik als Lebensgefühl und Revolte
"Rock! Jugend und Musik in Deutschland", eine
Ausstellung zum Lebensgefühl der Jugend nach 1945
Schöne Ausstellung. Danke." Solche Kommentare stehen meist
in Büchern, in die sich Ausstellungsbesucher nach beendetem
Rundgang eintragen können. Nicht so bei der Ausstellung "Rock!
Jugend und Musik in Deutschland". Die Sex Pistols und der Beginn
des Punk hätten gefehlt, das Thema Rockmusik und Politik
käme zu kurz und überhaupt, die Bands Tocotronic und
Blumfeld könnte man doch nicht in einem Atemzug mit Juli und
Silbermond nennen. Diese Gästebuch-Kommentare bedeuten jedoch
nicht, dass die Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig
nicht sehenswert wäre. Im Gegenteil. Den Machern geht es
weniger um Vollständigkeit als vielmehr um Rock als
Jugendkultur, als Lebensgefühl.
Rockmusik ist mehr als ein Musikstil. Es ist die Revolte der
Jugend, es ist die Auflehnung gegen die Werte der bürgerlichen
Gesellschaft und gegen die von Erwachsenen verordneten Regeln.
Rockmusik hat die Träume ganzer Generationen geprägt.
Daraus gingen neue Bands und Subkulturen hervor, die damit zum
Symbol auch einer bestimmten politischischen Haltung wurden.
Die Ausstellungsmacher haben nicht nur die deutsche, sondern die
deutsch-deutsche Geschichte des Themas erzählt. Dabei
unterscheiden sich die Jugendlichen in Ost und West nicht so sehr
in der Wahl ihrer Bezugspunkte - Stars wie Elvis oder die Beatles
werden in Ost und West gleichermaßen verehrt -, sondern in der
Richtung ihres Protestes. In Bezug auf die Rock'n'Roll-Welle der
50er-Jahre schreibt Kurator Bernd Lindner im Katalog zur
Ausstellung: "Wehrten sich die Jugendlichen im Westen damit vor
allem gegen die moralische Bevormundung durch ihre Eltern, richtete
sich die Auflehnung im Osten verstärkt auch gegen den Staat
und seine Institutionen." Parallelen und Gemeinsamkeiten werden in
der Ausstellung visualisiert: Auf rotem Hintergrund hängen die
Exponate, die von Jugend, Rock und Subkulturen in der DDR
berichten, und vor blauer Wand die Gegenstücke aus der
Bundesrepublik. Auf der einen Seite der Ausstellung ist die
"Rock'n'Roll-Schrittfolge auf dem Boden angebracht. Gegenüber
klebt der Lipsi-Tanzschritt. Es war der Versuch der
SED-Führung, der Jugend in der DDR eine sozialistische
Alternative zum Rock'n'Roll zu verordnen. Ohne Erfolg: Die
Rock'n'Roll Liebhaber wollten partout nicht danach tanzen.
Der Rock'n' Roll galt als Taktgeber für den Aufschrei der
Jugend und wurde von der Ost-Berliner "Jungen Welt" am 19. November
1958 als "transatlantischerVeitstanzmusik" bezeichnet, allen voran
die "Heulboje Elvis Presley", die als "Geschütz im kalten
Krieg" enttarnt wurde. Doch Elvis wurde trotzdem geliebt in Ost und
in West sowieso. Hinter Glas hängt ein Brief an: "My Dear
Friends in Germany", den er 1957 an die Zeitschrift Bravo
geschrieben hat. "Mehr und mehr erkenne ich, dass Teenager in der
ganzen Welt viel Freude an den gleichen Dingen haben", stellt Elvis
darin fest.
Für Kurator Bernd Lindner drückt dieser Satz die
Kernbotschaft der Ausstellung aus. Die führt chronologisch und
mit der jeweils passenden Rundumbeschallung bis in die Gegenwart.
Anfangs können die Stile noch eindeutig einer Zeit zugeordnet
werden: Elvis und Rock'n'Roll für die 50er-Jahre, die Beatles
und Beat-Musik für die 60er-Jahre und schließlich die
deutsche Rockmusik der 70er-Jahre. Die Ausstellung stellt Nina
Hagen nebst ihren Holzkisten mit denen sie 1976 in den Westen ging,
als deutsch-deutsche Ikone ins Zentrum dieser Phase. Erfolge und
provozierende Auftritte hatte sie auch im Westen. Neu war das
Heimweh. An ihre Mutter schrieb sie ratlos: "Ich bin weg. Wo is'n
das donnernde Leben?" Flankiert wird Nina Hagen von Kraftwerk, Udo
Lindenberg, Marius Müller-Westernhagen und Herbert
Grönemeyer. Doch spätestens seit den 80er-Jahren
lösen sich die Trends in immer kürzeren Zeiträumen
ab, spaltet sich die Jugendkultur in Subkulturen auf: Punks,
Gothics, New Waver, Heavy Metals, Hip-Hoper und Skinheads
unterscheiden sich nicht nur in Kleidung und Musik, sondern auch in
ihrem Lebensgefühl.
Kurator Bernd Lindner musste sich deshalb von Beginn der
Recherchen an auf den schmalen Grat zwischen Auswählen und
Auslassen begeben. Nur ein Drittel der Exponate, die die
Ausstellungsmacher in zweieinhalb Jahren zusammengetragen haben,
sind nun in Leipzig zu sehen - insgesamt sind es 1.200 Zeugnisse
der Rockgeschichte. "Wir haben versucht, die Aufbruchstimmungen in
der Rockkultur aufzuspüren", erklärt Lindner.
Ausgewählt wurden schließlich solche Stücke und
Tondokumente, die eine Verbindung zwischen der internationalen
Rockszene und den deutsch-deutschen Subkulturen herstellen: ein
selbst geschneidertes Hippiehemd; Erinnerungen an den illegalen
Ost-Rocksender "Sender Freies Paunsdorf" oder Viva, das wiederum
die deutsche Alternative zu MTV symbolisert. Stellvertretend
für die Träume der 90er-Jahre sind Kassettenrekorder,
Langspielplatte und T-Shirt ausgestellt, gekauft vom
Begrüßungsgeld nach dem Mauerfall.
Die Stärke der Ausstellungsmacher des Zeitgeschichtlichen
Forums ist es, Geschichte erlebbar zu machen. Darauf setzen sie
auch in ihren Wechselausstellungen. Klassische Techniken, wie
Exponate hinter Glas zu zeigen, werden verbunden mit
Medienstationen, an denen Videoclips und Filme angesehen, alte
Radioaufnahmen oder Musiktitel angehört und Dokumente
angefasst und gelesen werden können - man kann sich sogar an
die Turntables stellen und DJ spielen. Um es kurz zu fassen: Diese
Ausstellung rockt.
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