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Claudia Heine
Straffrei in vier Notfällen
Damals ...vor 30 Jahren am 12. Februar: Der
Bundestag verabschiedet die Neufassung des Paragrafen
218
Mehr Demokratie wagen" - das war nicht einfach nur ein gut
klingender Spruch in einer politischen Sonntagsrede. Es war jene
Überzeugung, nach der Willy Brandt die sozial-liberale
Regierung unter seiner Kanzlerschaft (1969 - 1974) gestaltete. Sie
machte ihn berühmt und populär, obwohl sich die
Gesellschaft der Bundesrepublik keineswegs darin einig war, an
welchen Stellen die neue demokratische Freizügigkeit enden
sollte. Zwar hatten sich die sittlichen und moralischen
Schmerzgrenzen im Zuge der Studentenproteste Ende der 60er-Jahre
bereits gehörig verschoben: Nackte Studenten, "wilde" Ehen und
Wohngemeinschaften - man hatte sich an einiges gewöhnt. Doch
wo endete das Recht der indivuellen Entfaltung? Und bedeutete mehr
demokratische Teilhabe des Einzelnen an gesellschaftlichen
Entscheidungen umgekehrt auch, Ansprüche des Staates
stärker als bisher zurückweisen zu können? Die
Frauenbewegung tat dies, indem sie forderte: "Mein Bauch
gehört mir!" Frauen sollten das Recht haben, sich ohne
Strafandrohung auch gegen ein Kind entscheiden zu dürfen.
Natürlich lagen die Zeiten lange zurück, in denen
Frauen Folter durch "glühenden Zangenriss" und Tod durch das
Schwert drohte, wie es die Peinliche Gerichtsordnung Karl des V.
aus dem Jahr 1532 festlegte. Aber auch das Strafgesetzbuch von
1871, das die Urfassung des Paragrafen 218 enthielt, definierte
eine Abtreibung als Straftat: "Eine Frau, die ihre Leibesfrucht
abtötet oder die Abtötung durch einen anderen
zuläßt, wird mit Gefängnis, in besonders schweren
Fällen mit Zuchthaus bestraft." Im schlimmsten Fall konnten
dies fünf Jahre sein. Auch für jene, die die Abtreibung
vornahmen oder helfend daran beteiligt waren, hießen die
Stationen Zuchthaus oder Gefängnis. 1920 brachte die SPD
erstmals einen Antrag in den Reichstag ein,
Schwangerschaftsabbrüche in den ersten drei Monaten straflos
zu lassen. Die Kommunisten gingen noch einen Schritt weiter, indem
sie die völlige Abschaffung des "Klassenparagrafen" 218
forderten. So nannten ihn beide Parteien, weil der Mangel an
Aufklärung und das Verbot von Verhütungsmitteln vor allem
ein Problem der Arbeiterinnen war: "Noch nie hat eine reiche Frau
wegen Paragraf 218 vorm Kadi gestanden", stellte 1921 der
sozialdemokratische Justizminister Gustav Radbruch fest. Die Opfer
unter den Arbeiterinnen, die jährlich an den Folgen illegaler
Abtreibungen starben, gingen in die Tausende. Eine parlamentarische
Mehrheit konnten beide Vorschläge dennoch nicht erreichen.
1926 änderte sich immerhin etwas: Eine Abtreibung galt nun
nicht mehr als "Verbrechen" sondern als "Vergehen" und wurde fortan
statt mit Zuchthaus "nur" noch mit einer Gefängnisstrafe
belegt. 1927 wurde die medizinische Indikation legalisiert.
Nach 1945 trat in der Bundesrepublik dieser alte Paragraf 218
des Weimarer Strafgesetzbuches wieder in Kraft - bis 1974. Im April
dieses Jahres beschloss der Bundestag den von der sozialliberalen
Koalition eingebrachten Gesetzentwurf, wonach die Frau in den
ersten drei Monaten selbst über einen Abbruch entscheiden
kann. Doch so einfach sollte es mit dieser für Frauen
revolutionären Neuerung dann doch nicht sein.
Baden-Württemberg verhinderte über eine einstweilige
Verfügung beim Bundesverfassungsgericht zunächst das
Inkrafttreten des Gesetzes. Im Februar 1975 erklärte das
Gericht die Fristenlösung für verfassungswidrig, weil sie
der Verpflichtung aus Artikel 2 des Grundgesetzes, das werdende
Leben auch gegenüber der Mutter wirksam zu schützen,
"nicht in dem gebotenen Umfang gerecht geworden ist".
Der neue Entwurf, der schließlich am 12. Februar 1976 vom
Bundestag verabschiedet wurde, enthielt dann wieder das
grundsätzliche Verbot des Schangerschaftsabbruchs und die
Strafandrohung. Von einer Bestrafung der Schwangeren sollte aber
abgesehen werden, wenn sie in "besonderer Bedrängnis"
handelte, die über vier so genannte Indikationen definierte
wurde: Die medizinische, eugenische, kriminologische und soziale
Indikation. Einen letzten Höhepunkt erlebte die Debatte nach
der Wiedervereinigung. In der DDR galt nämlich seit 1972 die
Fristenlösung, und nun mussten beide Modelle in ein
gesamtdeutsches gegossen werden. Das Ergebnis: Ein
Schwangerschaftsabbruch ist rechtswidrig, bleibt aber straffrei,
wenn er innerhalb der ersten drei Monate und nach einer
Konfliktberatung durchgeführt wird.
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