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Das Parlament
Nr. 05 / 30.01.2006

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Ines Gollnick

Die Aufsteigerin: Ulrike Merten

Parlamentarisches Profil

Ich kann als Frau nicht damit dienen, gedient zu haben." Ulrike Merten, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, zeigt Humor. Doch als Fachfrau für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik scheint die Sozialdemokratin auch ohne den Dienst in der Bundeswehr in ihrer Fraktion unumstritten zu sein. Bereits im Mai 2005 war sie Reinhold Robbe nachgefolgt, durch die Neuwahl bis September dann nur kurz im Amt, um dann im November wieder als Vorsitzende eingesetzt zu werden. Seit 2002 war sie bereits stellvertretende sicherheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Bis 2005 also ein Aufstieg mit konsequenten Schritten. Sie ist die erste Frau dieses Ausschusses, schreibt also ein kleines bisschen Geschichte - Gleichstellungsgeschichte.

Ulrike Merten macht seit 1998 Sicherheitspolitik im Deutschen Bundestag, ist auf diesem Feld also ein vertrautes Gesicht. Sie habe viel Sympathie erfahren, berichtet sie im Gespräch mit "Das Parlament" auf Burg Heimerzheim, ein idyllischer Ort in ihrem ländlichen Wahlkreis im Rhein-Sieg-Kreis. Nach und nach mischten immer mehr weibliche Gesichter im Verteidigungsausschuss mit. Heute sind es zehn von 30 Mitgliedern. "Es gibt nichts Gönnerhaftes in der Zusammenarbeit mit den Kollegen", sagt Ulrike Merten. "Die Kollegin ist die Fachfrau auf dem Platz nebenan." Merten hat zwar nicht gedient, aber sie kennt die Kaserne von innen, nicht nur weil sie Krisengebiete besucht hat. Sie absolvierte am Standort Augustdorf in Ost-Westfalen/Lippe bei der Panzerbrigade 21 eine Wehrübung mit allem drum und dann. "Das wird nicht belächelt, das wird gern gesehen. Wir haben inzwischen auch Soldatinnen in allen Bereichen." Jetzt weiß sie, wie es ist, auf dem Bauch zu liegen und in dieser Haltung ein Gewehr auseinander zu nehmen. Mit einem Leopard II war sie im Gelände, erlebte wie hoch der Anspruch an körperliche Fitness ist.

Die Streitkräfte und die Bundeswehrverwaltung stehen zwar im Mittelpunkt der Ausschussarbeit, aber nicht nur. Auch Aspekte der internationalen Sicherheitspolitik spielen in die Ausschussarbeit hinein, also Themen von großer Brisanz. Deshalb gibt es eine enge Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Ausschuss. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass der Verteidigungsausschuss ein so genannter "geschlossener Ausschuss" ist, also nur bestimmte Personen Zutritt zu seinen Sitzungen haben. Auch Sitzungsunterlagen und Protokolle kommen nur in die Hände eines vom Ausschuss festgelegten Personenkreises. Eine Geheimniskrämerin ist Ulrike Merten deshalb nicht, denn sie weiß, dass es ein wirklich berechtigtes öffentliches Interesse gibt. Parlamentarier hätten den Wunsch und die Aufgabe dieses zu befriedigen, zumindest ein Stückweit. Natürlich gäbe es auch Situationen, wo man abwägen müsse.

Von ihrer neuen Rolle als Vorsitzende hat sie klare Vorstellungen: den Ausschuss nach außen repräsentieren und zwar alle im Ausschuss vertretenen Parteien. Sie will Positionen zusammenführen und nicht polarisieren. Moderatorin will sie sein. "Für ganz wichtig halte ich, immer da, wo es notwendig ist, dafür zu sorgen, dass das Parlament zu seinem Recht kommt." Merten meint damit beispielsweise, dass wirklich auch das Ministerium den Ausschussmitgliedern die Informationen gibt, die nötig sind, um die politische Arbeit leisten zu können.

Die Haushalte 2006 und 2007 und der Auslandseinsatz der Soldaten und Soldatinnen sind die großen Themen, die zur Zeit beackert werden müssen. "Das verlangt uns schwierige Entscheidungen ab." Vor allem fällt Merten auf, dass die Öffentlichkeit gar nicht so wahrnimmt, was es für Soldaten und Soldatinnen bedeutet, mehrfach, manchmal fast ohne Pause, in den Einsatz zu gehen. Es sei eine ständige Belastung, auch mit der Gefahr zu leben. Die Politik hat das Einsatzversorgungsrecht auf den Weg gebracht. Und mit Familienbetreuungszentren sollen sich die Zurückgelassenen unterstützt fühlen. Kinder müssen nämlich manchmal Monate ohne Vater oder Mutter auskommen. "Das Thema soziale Sicherung in der Bundeswehr prägt die Arbeit auch in Zukunft und ist einer meiner Schwerpunkte", so Merten. Daneben bleiben Ausrüstungsfragen wichtig, um den größtmöglichen Schutz, aber auch die größtmögliche Durchsetzungs- und Durchhaltefähigkeit der Soldaten und Soldatinnen zu garantieren. "Und da geht es immer ums Geld. Wir werden uns nicht alles leisten können, was wünschenswert ist. Wir werden Prioritäten setzen müssen. Das wird immer stark auf den Einsatz abgestellt sein."

DDie aktuelle Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr während der Fußballweltmeisterschaft vor dem Hintergrund möglicher terroristischer Gefahren hat auch den Ausschuss erreicht. "Die Bundeswehr ist selbstverständlich auch im Rahmen der jetzigen Verfassung in der Lage zu helfen - logistisch und mit fachlichen Fähigkeiten", sagt Merten. Die entscheidende Frage für sie ist allerdings, ob die objektive Sicherheit erhöht werden kann oder ob es nur um die Herstellung eines subjektiven Sicherheitsgefühls geht. Was könnten beispielsweise um das Stadion aufgestellte gepanzerte Fahrzeuge bewirken? Sie zweifelt daran, ob damit der Schutz vergrößert wird. Sinnvoll findet sie dagegen, dass während der Fußballweltmeisterschaft AWACS-Flugzeuge eingesetzt werden, die das Bundesgebiet auch über den Stadien großräumig und sehr genau überwachen. Das könne keine Polizei leisten.

Über Soldaten und Soldatinnen und ihre Aufgaben am grünen Tisch zu diskutieren ist das eine, Besuchsprogramme vor Ort das andere. "Das persönliche Gespräch vermittelt etwas an Erfahrung, was keine noch so gut geschriebene Vorlage aus dem Ministerium kann", so die Erfahrung der Parlamentarierin. Sie selbst war mehrfach im Kosovo, in Bosnien, Afghanistan und als erste Bundestagsabgeordnete des Verteidigungsausschusses in Georgien. "Die Soldaten sind darauf angewiesen, dass wir uns vor Ort ein Bild machen. Wir sollten allerdings darauf achten, dass es nicht nur Einsatzgebiete sind, die im Fokus des Interesses stehen.

Mit dem "Bazillus Politik" haben ihre Eltern sie schon als junge Frau angesteckt. "Politik habe ich gelernt." 1972 trat die jetzt 54-jährige Mutter von zwei Söhnen, Kauffrau und Drogistin in die SPD ein. Abnutzungserscheinungen kennt sie nicht, auch nicht nach so vielen Jahren in der Politik. "Natürlich gibt es so etwas wie Routine. Man muss aufpassen, dass man bei aller Begeisterung für die Thematik, nicht das Gefühl dafür verliert, was Bürger und Bürgerinnen zu Recht erwarten. Ich rede ihnen jedoch nicht nach dem Mund. Das imperative Mandat gibt es nicht." Trotzdem zu glauben, man könne losgelöst von dem, was Menschen denken und sich wünschen Politik machen, das sei völlig falsch. Sich das immer wieder vor Augen zu führen, mache den Beruf zu etwas Besonderem. Manchmal sieht es zwar so aus, als gäbe es nur noch das Fachpolitikerinnenleben. Den Blick über den Tellerrand hinaus schafft sie dann mit Literatur und klassischer Musik. Entspannung und Anregung bieten ihr zum Beispiel Jonathan Franzen und Paula Fox und immer wieder Thomas Mann und russische Klassiker wie Tolstoi. "Musik und Literatur sind für mich so wichtig wie die Luft zum Atmen."

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