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Ralf Hanselle
Die Beschaulichkeit des Bösen
Im Haus der Wannsee-Konferenz ist die neue
Dauerausstellung zum Völkermord an den europäischen Juden
eröffnet worden
Der 20. Januar 1942 war ein Dienstag. In einer
klassizistischen Villa unter der Berliner Adresse "Am Grossen
Wannsee 56" wurde gegen zwölf Uhr dieses Tages zu einer
Besprechung mit anschließendem Frühstück geladen.
Verfasser der Einladung war der Chef des Reichssicherheitshauptamts
Reinhard Heydrich. Das Treffen dauerte nicht länger als 90
Minuten. Doch diese kurze Zeit inmitten der trügerischen
Idylle sollte ausreichen, um das größte, fein
säuberlich geplante Verbrechen einzuläuten, das die
Menschheit bis dahin erlebt hatte.
Äußerlich betrachtet schien die
Zusammenkunft hochrangiger Vertreter des SS- und Polizeiapparates,
der Ministerialbürokratie und der NSDAP nicht mehr als ein
administrativer Akt zu sein. Was indes besprochen wurde, das war
die von den Beteiligten so genannte "Endlösung der
Judenfrage". Jene "Besprechung mit Frühstück" sollte
unter dem Namen "Wannsee-Konferenz" für immer einen der
vordersten Plätze in der langen Liste der Maschinerie des
Schreckens des 20. Jahrhunderts einnehmen. Wer sich ihr scheinbar
harmloses Zeremoniell anschaut, der findet Hannah Arendts oft
zitierte Worte von der "Banalität des Bösen" nachhaltig
bestätigt.
Erst 1992 als Gedenkstätte
eröffnet
Es mussten 50 Jahre verstreichen, bis sich
der Berliner Senat dazu durchringen konnte, in der Villa eine
Gedenk- und Bildungsstätte einzurichten. Jahrzehnte hatten
Holocaust-Überlebende, wie der Historiker Joseph Wulf für
dieses Ziel gekämpft. 1992 dann wurde die lang ersehnte
Gedenkstätte eröffnet. Seither haben mehr als 760.000
Besucher - nahezu die Hälfte aus dem Ausland - die im
Erdgeschoss angesiedelte Dauerausstellung mit dem Titel "Die
Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen
Juden" besucht. Auch wenn mit dem neuen Dokumentationszentrum unter
dem Holocaust-Mahnmal nun in Berlin ein weiterer Ort geschaffen
worden ist, an dem an den Völkermord an den europäischen
Juden erinnert wird, so gehört diese Schau am westlichen Rand
der Hauptstadt aufgrund der Vielzahl der Dokumente noch immer zu
den umfangreichsten Darstellungen zur Geschichte des
Holocaust.
Und doch: Die bisherige Ausstellung hat nicht
immer dazu beitragen können, einen weit verbreiteten Irrtum zu
korrigieren: An jenem Januarmorgen des Jahres 1942 ist der
Massenmord an den europäischen Juden nicht erdacht und geplant
worden. Als sich mit dieser "Staatssekretärsbesprechung" die
gesamte administrative Führung des nationalsozialistischen
Deutschlands zu Mitwissern und Mittätern des Verbrechens
machte, war die massenhafte Vernichtung von Menschenleben bereits
in vollem Gang. Spätes-tens im Sommer 1941 war jene
Todesmaschinerie angelaufen, der bis zum Ende der Nazidiktatur rund
sechs Millionen Juden zum Opfer fallen sollten. Die Konferenz wurde
anberaumt, um Zuständigkeiten zu klären; um konkrete
Schritte bei der Durchführung von Deportation und Mord zu
planen. Das Ziel aber stand bereits längst fest.
Besonders die Dokumente, die seit dem Fall
des Eisernen Vorhangs in Archiven in Mittel- und Osteuropa
aufgetaucht sind, konnten in den letzten Jahren dabei behilflich
sein, das Bild von der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik
zu vervollständigen und in Teilen zu korrigieren. Und dieser
neueste Stand der Forschung konnte an der seit 14 Jahren gezeigten
Dauerausstellung nicht spurlos vorbeiziehen.
600.000 Euro, aufgebracht aus Sondermitteln
des Kulturstaatsministers und der Stiftung Deutsche
Klassenlotterie, sind daher in den letzten Monaten darauf verwandt
worden, eine Neukonzeption zu erstellen. Am 20. Januar, dem
Jahrestag der Konferenz, ist diese Ausstellung nun der
Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Gezeigt werden
jetzt nicht nur neue Dokumente; auch die didaktischen Erfahrungen,
die man in den letzten Jahren im Haus sammeln konnte, sind mit in
die erneuerte Ausstellung eingeflossen.
Unter Leitung von Norbert Kampe, seit acht
Jahren Direktor der Gedenkstätte, ist ein Ausstellungsrundgang
entstanden, der nicht nur die Täter und die von ihnen
erdachten Strukturen des industriellen Tötens in den Blick
nimmt. Mehr als zuvor werden auch die Opfer und repräsentative
Einzelschicksale berücksichtigt. Am Beispiel von vier
jüdischen Familien aus Deutschland, Frankreich und Polen wird
die Totalität des Grauens für den Besucher der
Gedenkstätte fassbar. Bereits im ersten Raum der Ausstellung,
der eine kurze Einführung in die Gesamtthematik bietet, werden
die Geschichten von vier Familien vorgestellt. Ihre Schicksale
werden im Laufe des Parcours, der durch insgesamt 15 Räume
führt, immer wieder auftauchen. Während die alte Schau
mit ihrem Schwerpunkt auf Deportation und Konzentrationslager die
Folgen der Konferenz in den Mittelpunkt gestellt hatte, wird nun
auch ausgiebig die Vorgeschichte thematisiert. Denn der Weg in die
Vernichtungslager wurde nicht erst durch die Fantasien eines Adolf
Hitler geebnet. Mit dem Aufkommen des Rassenantisemitismus im 19.
Jahrhundert und der völkisch-nationalen Propaganda
während der Weimarer Republik wurden die Grundlagen für
jenen Hass gelegt, der sich später in Auschwitz, Treblinka
oder Majdanek so barbarisch entladen sollte. Von den ersten
Boykotten über die jüdischen Auswanderungswellen und die
Novemberpogrome von 1938 zeichnet die Ausstellung den Weg bis zu
den Krematorien der Vernichtungslager nach.
Auch der Krieg im Osten mit seinen
Plünderungen und Massenerschießungen bekommt nun einen
eigenständigen Präsentationsraum. Auf schwebenden
Textbändern werden historische Fotos und Schriften
präsentiert, in denen das Grauen und die perfide Denkungsart
des Tötens bis in die Gegenwart hinein nachhallt. So etwa auf
jenem in Moskauer Archiven gefundenen Telegramm des Befehlshabers
des Sicherheitsdienstes in Kaunas, Karl Jäger, der die bis zum
1. Februar 1942 in dieser Region durchgeführten Exekutionen
fein säuberlich auflistet und addiert. Er reiht ermordete
Juden, Kommunisten oder Partisanen aneinander; trennt, was dem
selben weltanschaulichen Wahn entsprungen ist.
Obwohl die neue Ausstellung den
größten Teil der alten Dokumente und Texttafeln nicht
übernommen hat, ist der eigentliche Kern dieses historischen
Panoramas erhalten geblieben. Wie beispielsweise das von Adolf
Eichmann verfasste Protokoll der Konferenz, welches wenige Jahre
nach Kriegsende wieder aufgetaucht war. Im eigentlichen
Konferenzsaal gibt es bis heute nicht nur Auskunft über den
Tagungsverlauf, es verdeutlicht zudem, mit welch sprachlicher
Raffinesse die Versammelten selbst einen millionenfachen Mord noch
schönzureden wussten.
Am Ende, wenn man als Besucher die mittels
der neuen Architektur leicht und schwebend präsentierten
Informationen dennoch als inhaltlich so bedrück-ende in sich
aufgenommen hat, führt ein schmaler Raum ins Freie
zurück. Hier stehen einzelne Zitate von Überlebenden in
großen Lettern an der Wand. Darunter ein Wort von Primo Levi:
"Mir war, als müsse jeder uns Fragen stellen, uns an den
Gesichtern ablesen, wer wir waren, demütig unsere Berichte
anhören. Aber niemand sah uns in die Augen, niemand nahm die
Herausforderung an." Die nun erneuerte Dauerausstellung wird diese
schmerzlich gemachten Erfahrungen nicht wettmachen können. Sie
kann aber dabei helfen, ein Stück dieser Herausforderung
anzunehmen und in die Zukunft zu tragen.
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