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Martin Gerner
"Alles Erreichte in Frage gestellt"
Der Kampf um die Presse- und
Meinungsfreiheit
Das Schreiben aus dem Abgeordnetenbüro von Ruprecht Polenz
(CDU/CSU) lag schon unterschriftsreif auf dem Tisch. Der
Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag mahnte
darin an die Adresse von Afghanistans Präsident Hamid Karsai
und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die umgehende
Freilassung des im Oktober 2005 inhaftierten Journalisten und
Verlegers Ali Mohakik Nasab an. Doch dann wurde das Schreiben nicht
abgeschickt. Nasab war soeben freigelassen worden, nachdem er drei
Monate wegen angeblicher Gottes- lästerung in Kabul in zum
Teil entwürdigender Haft verbracht hatte.
Kaum etwas ist hierzulande darüber berichtet worden. Wenn
deutsche Journalisten im Orient entführt werden, ist das die
Schlagzeile. Wenn afghanische Journalisten verschwinden, dauert es
lange, bevor sich etwas regt. Dabei kam die Festnahme von Mohakik
Nasab einer Entführung gleich. Von der Straße weg, ohne
Vorankündigung und ohne Gerichtsverfahren landete er im
Gefängnis. Sein "Verbrechen"? In seiner Zeitschrift "Hakuk e
Zan" (Frauenrechte) hatte er dafür plädiert, Frauen vor
Gericht das gleiche Zeugenaussagerecht wie Männern zu
gewähren und die Apostasie, die Abkehr vom Islam, nicht als
Verbrechen zu bewerten, das mit dem Tod bestraft werden soll.
Dafür bekam der 47-jährige Herausgeber und Autor
zahlreicher Bücher, der in Iran studiert hat, zwei Jahre Haft.
Jetzt wurden sie auf sechs Monate verkürzt, die restlichen
drei Monate ist Nasab auf Bewährung frei. Religöse
Hardliner unter den Geistlichen und im Justizapparat hatten in
zweiter Instanz gar die Todesstrafe gefordert. "Das afghanische
Jusitzsystem ist völlig unabhängig", erklärte ein
Sprecher Karsais zu den Vorgängen. Damit maskiert der
Präsident allerdings seine auffällige Erfolglosigkeit in
dem Fall. In der Vergangenheit hatte sich Karsai wiederholt
entscheidend für eine freie Presse in Afghanistan eingesetzt,
wie sie das Gesetz festschreibt. Aber Anspruch und Wirklichkeit
klaffen weit auseinander.
"Laut Artikel 34 der Verfassung ist die Meinungsfreiheit gegen
unrechtmäßige Übergriffe geschützt. Aber jene,
die in Afghanistan für die Durchsetzung demokratischer
Prinzipien verantwortlich sind, glauben nicht an diese Prinzipien",
analysiert der Inhaftierte nach seiner Freilassung das Dilemma. Der
Konflikt zwischen Geistlichen und konservativen Kräften auf
der einen Seite, die den Koran rückwärtsgewandt auslegen
und denen das Tempo der Modernisierung in Afghanistan ein Dorn im
Auge ist, und den Anhängern eines Rechtsstaats nach westlichem
Vorbild auf der anderen Seite schwelt seit Jahren. Immer wieder
kristallisiert er sich in Fragen der Medien- und
Meinungsfreiheit.
Einschüchterung und Selbstzensur
"Der Fall Nasab hat alles bisher Erreichte wieder in Frage
gestellt", so afghanische Journalisten in einem Streikaufruf. Die
Inhaftierung Nasabs werde das herrschende Klima von
Einschüchterung und Selbstzensur nur stärken, lautet ihre
pessimistische Prognose. Umgekehrt könnte der Fall ein
Ausrufungszeichen zur rechten Zeit sein, von Regierung und
politischen Akteuren Verantwortung und Zivilcourage
einzufordern.
Mehr als anderswo brauchen Journalisten in Afghanistan Mut, um
ihren Beruf auszuüben. Nicht wenige gehen ein hohes Risiko ein
sobald sie unliebsame Fragen stellen. Jetzt, nachdem das Ausland
Projekte der Medien-Entwicklungshilfe zurückfährt, machen
sie die Erfahrung, sich ihre Pressefreiheit selbst erkämpfen
zu müssen. Und diese Erfahrung schmeckt bitter. "Der Fall
Nasab wird nicht der letzte Fall sein im Kampf um echte
Meinungsfreiheit", so Nader Nadery von der Afghanischen Kommission
für Menschenrechte. "Es gilt, mit geeinten Kräften Druck
zu machen auf die afghanische Regierung, damit sie die
Modernisierung des Justizapparates, insbesondere des
Gerichtswesens, so schnell wie möglich umsetzt."
Als Folge des Falls Nasab und mit Blick auf die Konferenz von
London fordern Nadery und die Afghanische Menschenrechtskommission
vom Westen ein Umdenken: "Die internationale Staatengemeinschaft
muss in Zukunft das Augenmerk von der allgemeinen politischen
Unterstützung mehr auf Menschenrechte und Demokratisierung
legen, zusammen mit der wirtschaftlichen Entwicklung
Afghanistans."
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