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30.06.2000
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Die Verantwortung der Politik bei der Globalisierung der Lebensbedingungen durch Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse führte in seinem heutigen Eröffnungsvortrag im Rahmen der "Internationalen Wissenschaftsnacht" der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn u.a. aus:

"Die Soziale Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland ist der bisherige Kompromiss, Markt und soziale Gerechtigkeit miteinander zu verbinden.Dieser Kompromiss wird durch die ökonomische Globalisierung in Frage gestellt. Es gibt keinen Sozialstaat ohne die Solidarität aller, keine soziale Gerechtigkeit, die nicht alle Mitglieder einer Gesellschaft einbindet. Verantwortung der Politik im Zeitalter der Globalisierung meint nichts anderes als die Bewahrung und Weiterentwicklung freiheitlicher, gerechter und solidarischer gesellschaftlicher Verhältnisse. Die Frage ist, wie diese Ziele unter den neuen Bedingungen verwirklicht werden können.(...)

Internationalisierung ist eine zentrale Voraussetzung der Rückgewinnung des Politischen in einer Welt, die derzeit von der Dominanz der Ökonomie und Technologie geprägt scheint. Aber Politik ist nicht allein Sache staatlicher Institutionen. Nicht-Regierungs-Organisationen wie "Greenpeace", "World Wildlife Fund", "Ärzte gegen den Atomtod", "Amnesty International" und andere sind Beispiele für weltweites Bürgerengagement. Dessen Wirksamkeit wird durch die neuen Kommunikationstechniken wesentlich erweitert. (...)

Die Gurus früherer Jahrhunderte waren die Theologen, ihnen folgten die Philosophen. Die Gurus der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts waren die Sozialwissenschaftler, aber die Gurus der 90er Jahre und des neuen Jahrhunderts sind die Unternehmensberater. Ich dagegen glaube nicht, dass die Dominanz ökonomischen, betriebswirtschaftlichen Denkens eine wirklich menschenwürdige Gesellschaft entstehen lässt. Marktinteressen dürfen die Entwicklung nicht allein bestimmen. Spätestens für den Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen gilt, dass die Politik ihren Gestaltungsanspruch nicht aufgeben darf. (...)

Die Ausweitung von Wissen muss deshalb stets begleitet sein vom Gewissen, von der Reflexion über Nutzen und Nachteile der Anwendung neu gewonnener Erkenntnis. Das kann Politik nicht allein bewirken, aber sie darf vor allem nicht unterlassen, dafür zu streiten. Fatal wäre der Versuch, das Hergebrachte gegen neue Erkenntnisse nur zu verteidigen. Richtig ist der Versuch, jeweils neue Wege und Strukturen zu entwickeln, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Werte, die das friedliche Zusammenleben ermöglichen, unter veränderten Bedingungen zu ermöglichen. Im Zeitalter der technologischwissenschaftlichen Globalisierung bedarf die Gesellschaft mehr denn je der Begleitung durch ethische Reflexion. Wissen ohne Weisheit ist eine gefährliche Ware. (...)

Ohne ethisch fundiertes Handeln, ohne öffentliche Kritik und gesellschaftliches Engagement und - ohne Wissenschaft! - werden wir nicht verhindern, dass sich die Ökonomie auch der Gewissen bemächtigt und zur Weisheit letztem Schluss wird."

Quelle: http://www.bundestag.de/bic/presse/2000/pz_000630d
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