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15. Wahlperiode
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   28. Sitzung

   Berlin, Mittwoch, den 29. März 2006

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir einen Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung behandeln. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD haben fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags „Belarus nach den Präsidentschaftswahlen“ zu erweitern. Der Antrag soll in der Aussprache zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes beraten werden. Die Dauer der Aussprache zu diesem Geschäftsbereich soll um eine halbe Stunde verlängert werden.

   Wir kommen zur Abstimmung über den Aufsetzungsantrag. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist angenommen mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das war klar!)

   Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesordnungspunkt 1 -fort:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2006
(Haushaltsgesetz 2006)

- Drucksache 16/750 -

Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Finanzplan des Bundes 2005 bis 2009

- Drucksache 16/751 -

Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

   Ich erinnere daran, dass wir für die heutige Aussprache insgesamt neun Stunden beschlossen haben.

   Wir beginnen die heutige Haushaltsberatung mit dem Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes, Einzelplan 04.

   Das Wort hat als erster Redner der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Dr. Wolfgang Gerhardt.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jede Bundesregierung hat natürlich - -

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Gerhardt, einen Moment bitte. - Kann ich darum bitten, dass vor der Regierungsbank kein Personalverkehr und keine Diskussionen stattfinden? Danke.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jede neue Bundesregierung hat natürlich die Chance eines Neuanfangs. Sie bekommt sozusagen die ersten 100 Tage als Rabatt. Dann beginnt die Diskussion; dann sieht man genauer hin. Wenn wir jetzt genauer hinsehen, Frau Bundeskanzlerin, müssen wir eines feststellen: Maßstab der Beurteilung ist nicht das Arrangement, das die beiden großen Parteien in der Koalitionsvereinbarung getroffen haben, Maßstab ist die Wirklichkeit. Diese zeigt eines: Ein Personalwechsel reicht nicht; ein Politikwechsel ist für die Bundesrepublik Deutschland notwendig.

(Beifall bei der FDP)

   Die entscheidenden Themen für die Menschen sind Arbeit und Zukunftschancen. Aber es wird noch so getan, als gäbe es nur Deutschland und seine Branchen. Die Tarifverhandlungen werden so geführt. Die alten Wohlfahrtsversprechen werden von Ihrer Koalition noch so gemacht. Die soziale Begleitung von Arbeitslosigkeit nimmt Sie so in Anspruch, dass das Prinzip „Vorfahrt für Arbeit“, über das wir uns mit Ihnen noch wenige Wochen vor der Wahl einig waren, wieder in den Hintergrund getreten ist. Es gehört aber nach vorne. Deshalb muss ein Politikwechsel erfolgen.

(Beifall bei der FDP)

   Er muss in einem Land erfolgen, das eigentlich darauf achten muss, dass Marktwirtschaft, Innovation und moderne Arbeitsmarktpolitik nicht an kultureller Bodenhaftung verlieren. Unser Land hat wie kein anderes sein Selbstbewusstsein aus wirtschaftlichem Erfolg gezogen. Aber als ich die gestrige Debatte verfolgt habe - die Rede des Finanzministers und insbesondere die Rede des Kollegen Poß -, habe ich festgestellt, dass bei Ihnen die ganze alte, wirkungslose sozialdemokratische Apotheke der Arbeitsmarktpolitik voll in Kraft bleibt. Diese hat zu 5 Millionen Arbeitslosen geführt.

(Beifall bei der FDP - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vorsicht bei Apotheken!)

Sie sprechen von Kontinuität. Ich weiß, warum Sie „Kontinuität“ sagen müssen. Sie müssen vermeiden, Ihrem Koalitionspartner heute selbst zu sagen, dass er mit dieser ältlichen Politik die Verantwortung für 5 Millionen Arbeitslose trägt. Wenn Sie das nicht tun, sind diese Arbeitslosen ab heute auch Ihre Arbeitslosen.

(Beifall bei der FDP)

Sie müssen Ihre Arbeitsmarktpolitik ändern.

(Zuruf von der SPD: Bei Ihnen wären es 6 Millionen! Bei der FDP hätten wir noch viel mehr!)

   Lassen Sie mich nur wenige Punkte ansprechen - da reicht nämlich kein Schulterklopfen in den Reihen der Koalition und keine Wohlfühlpolitik -: Die ältliche Politik, die Sie machen, zeigt sich zum Beispiel an den Ich-AGs. Sie haben die Abgaben für Minijobs erhöht. Sie müssen sich in diesem Zusammenhang auch die Diskussion über Mindestlöhne vor Augen halten. Frau Bundeskanzlerin, ich kann Ihnen schon jetzt sagen, wozu die Einführung von Mindestlöhnen führen würde: Dadurch würde kein einziger Arbeitsplatz geschaffen, sondern es würden die Arbeitsplätze derjenigen vernichtet, die sie am dringendsten brauchen: die der Geringverdiener. Das weiß jedermann.

(Beifall bei der FDP - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Ja, ja! Und wahrscheinlich auch jede Frau!)

   Aber das dringt in Ihrer Koalition nicht durch. Ihre alte Arbeitsmarktpolitik hat nur eine Wirkung: Sie stiftet Frieden zwischen Ihren Sozialausschüssen und dem Programm der Sozialdemokratischen Partei. Als Kanzlerin haben Sie aber keine Verantwortung für ein Arrangement dieser beiden Flügel, sondern Sie haben Verantwortung für Deutschland. Daher ist diese Politik falsch.

(Beifall bei der FDP)

   Ein weiterer Aspekt, der gerne erwähnt wird, ist die volkswirtschaftliche Steuerquote. Jeder kennt sie

(Joachim Poß (SPD): Nein! Das stimmt nicht! Sie kennen sie nicht!)

und jeder sagt, dass sie in Deutschland statistisch gering ist. Ja, das ist richtig.

Aber die entscheidende Steuerquote für Investitionen, durch die in Deutschland Arbeitsplätze geschaffen werden, ist statistisch nicht gering. Sie ist hoch.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Richtig!)

   Deshalb ist die Frage, ob wir die Steuern senken wollen, keine Frage eines beliebigen Parteiprogramms. Wir wollen die Steuern doch nicht, wie Sie meinen, senken, um Geld zu verteilen. Wir wollen sie senken, weil die größte soziale Sicherheit nicht die alte Arbeitsapotheke der SPD bietet, sondern ein Arbeitsplatz in der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der FDP)

Das ist unser Ziel.

   Deshalb kommen Sie nicht darum herum - das ist auch an Sie in den Reihen der Union gerichtet -, sich wieder an die Politik zu erinnern, die Sie wie wir in der letzten Legislaturperiode für richtig gehalten haben, als wir uns gemeinsam für Steuervereinfachungen und Steuersenkungen eingesetzt haben.

(Jürgen Koppelin (FDP): Ja, richtig!)

Dass Sie diese Politik mit Ihrem jetzigen Partner nicht durchsetzen können, müsste Ihnen zumindest ein schlechtes Gewissen verschaffen. Daran will ich hier erinnern.

(Beifall bei der FDP)

   Sie wissen, dass der Flächentarif mittleren und kleinen Unternehmen schadet. Das nimmt die linke Seite dieses Hauses aber nicht zur Kenntnis. Sie sollten die Courage haben, das zu sagen. Denn es ist wahr, dass Arbeitsplätze durch Flächentarife eher vernichtet als geschaffen werden

(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): So ein Blödsinn!)

und dass wir den Mittelständlern Chancen geben müssen.

   Sie haben beschlossen, ein 25-Milliarden-Euro-Programm aufzulegen. Dabei geht es um Verteilungen zugunsten von Familien mit Kindern, um die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen und vieles andere. Aber können Sie sich einmal ins Gedächtnis rufen, dass Sie den Bürgern mit diesen 25 Milliarden Euro nur ein Fünftel von dem geben, was Sie ihnen in den vier Jahren dieser Legislaturperiode wegnehmen? Davon können Sie doch keine Arbeitsmarkteffekte erwarten.

(Beifall bei der FDP)

   Sie nehmen zu viel und Sie geben zu wenig. Sie verfahren nach dem Prinzip Hoffnung und versuchen, mit diesen 25 Milliarden Euro die Mehrwertsteuererhöhung zu Beginn des nächsten Jahres auszugleichen. Das ist kein Programm und kein Ziel. Das werden Sie nicht erreichen.

   Das Verbraucherverhalten ist in Deutschland anders als in Amerika. Die Deutschen haben eine „sparsame“ Mentalität. Wir üben selbst bei geringen Wachstumsraten und zarten Wachstumspflänzchen immer noch große Zurückhaltung. Meinen Sie, die Bürger geben diese Zurückhaltung im Verhältnis fünf zu eins auf, nur weil Sie sie ermuntern, noch in diesem Jahr zu konsumieren? Wenn sie das täten, würden sie sich im nächsten Jahr zurückhalten. Das ist eine ganz gefährliche Politik, die nicht ausreicht, um einen Umschwung einzuleiten.

(Beifall bei der FDP)

   Über unsere großen sozialen Sicherungssysteme hat Barbier in der vorletzten Woche einen bemerkenswert klugen Satz in der „FAZ“ geschrieben:

Die Generation der „wenigen“ wird in der Reformverweigerung ihrer Eltern kein Argument sehen, einen Generationenvertrag einzuhalten, den sie nie geschlossen hat.

Wie wahr!

   Jetzt warten wir auf die Antwort der großen Koalition. Die meisten Bürger sagen: Diese Koalition ist so groß; sie muss das jetzt packen. Dabei muss es um die Reform unserer sozialen Sicherungssysteme gehen. Herr Müntefering weiß wie ich, dass das zarte Pflänzchen, das er als großes Reformvorhaben angekündigt hat - die Rente mit 67 -, eigentlich eher dazu gedient hat, dass er es umgehen konnte, im Rentenbericht zu erwähnen, dass die Beiträge erhöht werden müssen.

(Beifall bei der FDP)

Das ist doch kein Reformbeitrag. Vielmehr geht es um höhere Abschläge als vorher.

   Man leistet doch keinen Beitrag zur Reform eines Rentensystems, indem man die gesetzliche Rente unter Naturschutz stellt, so wie das ein Teil der Union und die ganze SPD machen, obwohl man weiß, dass sie nur noch eine Grundsicherung im Alter sein wird. Eine Beitragsentwicklung nach oben ist kaum zu stoppen.

   Sie sagen, Sie möchten die Arbeitslosenversicherung umorganisieren und durch Mittel aus der Mehrwertsteuererhöhung entlasten. Uns wurde jahrelang gesagt - Frau Bundeskanzlerin, Sie waren mit uns in der Opposition -, dass die Rentenversicherungsbeiträge durch die Einnahmen aus der Ökosteuer stabil gehalten werden sollen. Die Ökosteuer ist dauernd erhöht worden; die Beiträge sind aber nicht stabil geblieben. Wer das sehenden Auges weiter hinnimmt und auf Kontinuität verweist, der ist zu einem Reformschritt wirklich nicht in der Lage.

(Beifall bei der FDP)

   Es ist doch ganz simples Einmaleins - das weiß die Bevölkerung auch -: Wenn die Menschen in Deutschland später in den Beruf eintreten, früher aus dem Beruf ausscheiden und die Lebenserwartung steigt, dann ist ein solches System nicht mehr über stabile Beiträge zu finanzieren. Ich kann nur jedem jungen Menschen raten, sein Geld zur Bank zu tragen und es anzulegen; denn so hat er eine größere Sicherheit als über die gesetzliche Rente.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von der SPD: Ja, genau, das ist Ihr Prinzip! - Weitere Zurufe von der SPD)

Sie informieren die Öffentlichkeit nicht richtig.

   In dieser Woche führen Sie Gespräche zur Gesundheitsreform. Ich befürchte, dass die Reform am Ende so aussehen wird, wie Spekulationen das andeuten: Es wird ein versicherungspolitisches Ungetüm geben mit ein bisschen Bürgerversicherung, ein bisschen Kopfpauschale und ein bisschen Umlage. Frau Bundeskanzlerin, es wird keine vernünftige Reform werden, wenn Sie nur neue Geldquellen erschließen wollen. Sie müssen sich der unbequemen Aufgabe stellen, den Menschen Wahlfreiheit zu geben. Sie müssen sich selbst entscheiden können, bei wem sie sich wie hoch versichern.

(Beifall bei der FDP)

   Die Diskussion über die Föderalismusreform ist eigentlich noch gar nicht abgeschlossen. Wir haben vielleicht ein erstes Stück des Weges geschafft. Wenn nicht auch die Frage der Finanzbeziehungen geklärt wird, wird diese Reform ihre Wirkung verfehlen. Aber selbst die jetzige Reform ist hoch umstritten.

   Ich möchte auf den Punkt Bildung zu sprechen kommen. Egal welche Ebene verfassungsrechtlich für die Schulen oder für die Hochschulen zuständig ist, es muss klar sein: Die Hochschulen gehören weder dem Bund noch den Ländern. Die Hochschulen gehören in ihre eigene Verantwortung. Wenn die Länder sie übernehmen wollen, müssen sie den Hochschulen Autonomie geben.

(Beifall bei der FDP)

Wenn die Länder verfassungsrechtlich für die Schulen zuständig bleiben wollen, müssen sie ihre Kultusminister in Bewegung setzen und gleiche Qualitätsmaßstäbe für die Schulen in der Bundesrepublik Deutschland erarbeiten. Es kann doch nicht sein, dass die Kinder, wenn die Familie umzieht, mit derart unterschiedlichen Qualitätsmaßstäben an den Schulen konfrontiert werden. Das muss ein Ende haben.

(Beifall bei der FDP - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Warum wollen Sie dann zustimmen?)

- Der Bund ist nicht klüger als die Länder, Frau Künast.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie reden jede Woche anderen populistischen Unsinn!)

Wenn die Länder verfassungsrechtlich zuständig sind, dann müssen sie die Maßstäbe festlegen. Daran führt kein Weg vorbei.

   Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Union, der SPD und der Grünen, es ist ein Irrglaube, anzunehmen, dass Sie letztendlich das erreichen, was Sie wollen, wenn Sie bestimmte Forschungsfelder in den Biowissenschaften in Deutschland verbieten. Sie können wissenschaftliche Neugier nicht verbieten. Es waren nicht nur die Grünen, die uns daran gehindert haben, in diese Wachstumsmärkte zu gehen; es waren auch viele aus den Bereichen der großen Koalition, die eine Art moralische Letztbegründung abgegeben haben. Denjenigen möchte ich von den Freien Demokraten entgegensetzen: Es ist Ausdruck von Moral und Ethik, wenn Gesellschaften sagen, dass es legitim ist, eine Brandmauer bezüglich des Nichteingreifens in die Keimzelle menschlichen Lebens einzuziehen. Es muss aber möglich sein, Medikamente zu entwickeln, die das Leiden von Menschen lindern. Auch das ist eine hohe moralische und eine klare ethische Position. Wer die Forschung in diesen Feldern in Deutschland verweigern will, der muss auch die Konsequenzen darlegen. Es werden nämlich andere von dem technologischen Vorsprung und dem Wissensvorsprung profitieren. Auf unseren Markt werden die Ergebnisse erst Jahre später und zu viel höheren Preisen kommen. Zwischenzeitlich werden wir Arbeitsplätze verlieren. Das ist der Sachverhalt.

(Beifall bei der FDP)

   Sie können dort nicht nur Kontinuität fordern, es muss auch Änderungen geben. Frau Bundeskanzlerin, Sie sind Naturwissenschaftlerin und wissen das viel besser: Entweder ist ein Kernkraftwerk sicher oder nicht. Wenn es nicht sicher ist, muss es abgeschaltet werden. Wenn es sicher ist, kann es doch keine Restlaufzeit geben, die Sie bestimmen.

(Zurufe von der SPD - Dirk Niebel (FDP): Das sagt sogar Herr Oettinger!)

   Zu diesem Punkt gehört auch: Sie führen jetzt den Energiegipfel durch und wissen so wie ich, dass der Verbrauch fossiler Brennstoffe in der Welt ansteigt. Dem kann man doch nur mit einem Mix begegnen, zu dem auch die Kernenergie gehört. Es kann doch nicht wahr sein, dass die Kompetenz Deutschlands im Bereich der Kernenergie nur wegen eines Koalitionspartners, der dauernd von Kontinuität spricht, verloren geht. Es geht nicht um den Neubau von Kraftwerken, es geht um die Kompetenz in dieser Technologie.

(Beifall bei der FDP)

   Die Bürgerrechte gehören zu einer Vertrauensbeziehung zwischen dem Staat und den Bürgern. In der alten Koalition haben Sie unter kräftiger Mitwirkung der Grünen Einblicke in Konten ermöglicht, wodurch der gläserne Bürger geschaffen wurde. Mit Datenabfragen haben Sie den gläsernen Steuerzahler geschaffen. In der alten rot-grünen Koalition haben Sie die Abwehrrechte der Bürger geschwächt. Meine Damen und Herren von der SPD, es wäre eine Kurskorrektur notwendig: Nicht der Staat gewährt den Bürgern gnädig Freiheit,

(Beifall bei der FDP)

sondern die Bürger gewähren dem Staat Einschränkungen ihrer Rechte zum Schutz und im Interesse aller. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Deshalb gilt hier: Erforderlich ist keine Kontinuität, sondern eine Kurskorrektur.

(Beifall bei der FDP - Joachim Poß (SPD): Sie wollen Steuerhinterziehungen!)

   Das gilt auch für einen Teil der deutschen Außenpolitik. Wir alle wissen, dass das im europäischen Rahmen notwendig ist.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn Sie so weitermachen, bekommen Sie einen steifen Hals!)

Das bedeutet aber kein Outsourcing nach Brüssel. Es ist eine Kurskorrektur notwendig, die ja auch durchgeführt wird. Es wird nicht darüber geredet; das ist richtig. Frau Bundeskanzlerin, ich will Sie an dieser Stelle ausdrücklich loben. Sie haben erkannt, dass es notwendig ist, ab und zu eine Zwischenlandung in den baltischen Staaten sowie in Budapest und Prag einzulegen, wenn man Moskau besucht. Das hat Ihr Vorgänger nie begriffen. Diese Kurskorrektur haben Sie vorgenommen. Wir begrüßen das ausdrücklich.

(Beifall bei der FDP - Dirk Niebel (FDP): Es ist klar! Die Pipeline geht ja auch nicht durch diese Länder!)

   Es muss aber noch eine andere erfolgen. Die Politik in der Europäischen Union muss in den ganzen Diskussionen eines klarstellen - das ist auf dem letzten Gipfel mit der Stilblüte der Linguistik in der französischen Sprache wieder deutlich geworden -: Die Identität Europas besteht nicht aus einer rückwärts gewandten Definition eines alten Sozialpaktes; die Identität und die Zukunftschance Europas bestehen aus der Wettbewerbsfähigkeit, dem Willen zum Wettbewerb, dem Willen zur Innovation und aus all dem, was die ganze politische und Kulturgeschichte Europas ausmacht.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da spricht die Partei der Besserverdiener! -?Gegenruf des Abg. Dirk Niebel (FDP): Seid ihr gerade aus dem Parlament geflogen?)

   Nein, meine Damen und Herren, es ist nicht wahr, dass es in Deutschland keine reformorientierte Mehrheit gibt. Wahr ist, dass die große Koalition nicht den Willen zu einer wirklich innovativen Politik hat. Sie lösen sich möglicherweise wegen Ihres Koalitionspartners zu schwer vom Alten. Sie bemühen sich dauernd um Konsens und Ausgleichsaktivitäten. Ich weiß, dass Sie alle Hände voll zu tun haben, um jedem Wunsch entgegenzukommen.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Glos war immer besser!)

   Ich sage Ihnen aber: Weltweit werden sich nur die Gesellschaften behaupten, die Kompetenz im Wandel entfalten. Dafür müssen Sie Ihre Politik ändern. Es geht nicht nur ums Geld. Wir trainieren in Deutschland zu wenig eine Mentalität, durch die das Land auch jenseits von materiellen Anreizen wieder nach vorne gebracht wird. Darauf kommt es aber an.

(Beifall bei der FDP)

Das tun Sie nicht. Genau das ist aber die Aufgabe einer Opposition. Wir von der FDP werden das tun.

   Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der FDP - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war die Rede für den Privathaushalt der Besserverdiener!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Peter Ramsauer von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU):

Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Gerhardt, ich glaube, wir haben viel mehr Gemeinsamkeiten in unseren politischen Vorhaben und in unserem politischen Denken, als dies Ihre erregte Eröffnungsrede heute vermuten lässt.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Erregt ist was anderes, Herr Kollege! - Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

- Das lasse ich einmal so in die Öffentlichkeit hallen. - Sie haben, lieber Herr Kollege Gerhardt, einen Politikwechsel eingefordert. Dieser erste Haushalt der großen Koalition ist das Kursbuch für einen neuen Kurs, für den Politikwechsel, von dem Sie gesprochen haben. Er ist ein Kursbuch für einen Kurs der Verantwortung und des Vertrauens.

   Herr Kollege Gerhardt, Sie haben auch kulturelle Bodenhaftung eingefordert. Das könnte ein Wort aus meiner Fraktion und meiner Partei, der CSU, sein. Der CDU und der CSU liegt bei jeder von ihnen gemachten Politik ganz besonders an kultureller Bodenhaftung.

   Sie haben davon gesprochen, wir hätten vor, die gesetzliche Rentenversicherung unter Naturschutz zu stellen. Das klang fast wie eine Anklage. Dazu muss ich Ihnen allerdings sagen: Es gehört zu unserer sozialpolitisch-kulturellen Bodenhaftung, dass wir uns klipp und klar zur gesetzlichen Rentenversicherung bekennen. Darauf müssen sich die Menschen verlassen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Auch ich bin des liberalen Denkens fähig und denke liberal und wirtschaftsliberal. Aber eines habe ich in den vielen Jahren im Ausschuss für Arbeit und Soziales gelernt: dass die Vergleiche hinsichtlich der Rendite zwischen der privaten Altersversorgung und der gesetzlichen Rente verdammt stark hinken. Am Ende kochen alle mit Wasser. Wenn man in die private Altersversorgung, die eben das Institut der Solidarität nicht kennt, die Risiken des Lebens einrechnet,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

dann können wir nur froh sein, dass wir die gesetzliche Rentenversicherung in unserem Lande haben, und dabei bleibt es.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die große Koalition leitet mit dem Haushalt 2006 und - das füge ich ausdrücklich hinzu - mit dem Haushalt 2007 die Wende aus einer schwierigen Lage der Bundesfinanzen ein. Vor wenigen Jahren wurde versprochen, im Jahr 2004 nur 10 Milliarden Euro und im Jahr 2005 nur 5 Milliarden Euro Neuverschuldung einzuplanen. Tatsächlich waren es dann aber 39 Milliarden Euro anstatt 10 Milliarden Euro und 31 Milliarden Euro anstatt 5 Milliarden Euro. So weit klafften Wunsch und Wirklichkeit leider auseinander. Die neue Regierung setzt deshalb neue Akzente. Wir nehmen unsere Vereinbarungen und Zusagen ernst. Der Bundestag berät in dieser Woche einen Haushalt der ehrlichen Zahlen. Haushalt und Haushaltsbegleitgesetz führen zu einer Abkehr von wachsender Staatsverschuldung.

   Herr Bundesfinanzminister Steinbrück, Sie haben gestern eine höchst beachtliche Einbringungsrede gehalten. Sie hat mir imponiert. Das sage ich in aller freundschaftlichen Offenheit. Ich möchte Ihnen dazu ganz herzlich gratulieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ich hätte Ihnen gestern gerne noch länger zugehört. Sie haben ganz offen viele richtige Dinge angesprochen, beispielsweise die Entwicklung unserer Investitionsquote.

   Das Wichtigste war vielleicht die Überschrift, die Sie gewählt haben: Wir müssen - das waren Ihre Worte - mit diesem Haushalt den Weg in die Realität beschreiten.

(Dirk Niebel (FDP): Der Ramsauer ist ein echter Fan!)

Ich kann Ihnen für meine Fraktion versprechen: Auf diesem Weg in die Realität und bei der Verwirklichung der finanzpolitischen Erfordernisse haben Sie uns fest an Ihrer Seite. Hier können Sie sich auf die CDU/CSU-Fraktion verlassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die neue Regierung pflegt auch einen neuen Stil, nämlich die Übereinstimmung von Reden und Handeln. Die neue Regierung schafft neues Vertrauen.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hat sie doch gar nicht!)

Deutschland wird auf internationaler Ebene wieder ernst genommen.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was?)

   Frau Bundeskanzlerin, Sie haben der Stimme Deutschlands mit klaren Worten und einem klaren Kurs wieder Beachtung verschafft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wie wir vom Kollegen Gerhardt gehört haben, liegen wir damit völlig auf einer Linie. Das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten wird Gott sei Dank wieder von einer guten Partnerschaft geprägt. Sie sprechen nicht nur gelegentlich über Menschenrechte, Frau Bundeskanzlerin, sondern auch, wenn Sie in Moskau sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Außen- und Sicherheitspolitik finden in unserem politischen Geschehen leider nicht immer die angemessene Beachtung.

   Deutschland ist mehr als jedes andere Land vom Exporterfolg abhängig.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das waren wir ja schon immer! Guten Morgen!)

- Aber man kann es nicht oft genug sagen, Frau Künast, und zwar gerade an die Adresse Ihrer Partei gerichtet. Denn dort sitzen viel zu viele Realitätsverweigerer. Auch sie sollten das endlich zur Kenntnis nehmen. - Wir sind mehr als jedes andere Land von sicheren Handelswegen, fairen Wettbewerbsregeln und einer verlässlichen Rohstoffversorgung abhängig.

   Auch ist kaum jemand reiselustiger als wir Deutschen. Deutschland braucht Partner, damit für seine Bürger und Betriebe die Welt sicher, aber auch voller Chancen ist. Klar ist deshalb: Wer Partner braucht und von Partnerschaft profitiert, muss auch selbst ein verlässlicher Partner sein. Dazu gehört die Bereitschaft zur Übernahme internationaler Verantwortung, soweit Deutschland dazu in der Lage ist. Aber wir dürfen uns nicht überfordern lassen.

   Frau Bundeskanzlerin, es war klug und richtig, Ihre Kanzlerschaft mit einem Schwerpunkt in der Außen- und Europapolitik zu beginnen. Je größer Deutschlands Einfluss in der Außen- und Europapolitik ist, desto besser kann es auch weltweit Einfluss geltend machen und desto erfolgreicher können wir die Probleme unseres Landes in einer immer stärker globalisierten Welt lösen.

   Deutschland steht wieder im Zentrum europäischer Entscheidungen. Wir werden in absehbarer Zeit die Präsidentschaft in der Europäischen Union übernehmen. Die Lage unseres Landes mitten in Europa ist für uns ein unschätzbarer Vorteil, solange die Europäische Union stabil und erfolgreich ist. Ich glaube, Europa hat mit den Verträgen von Maastricht, Amsterdam und Nizza große Sprünge nach vorn gemacht. Das war nicht immer einfach, aber der Weg - die Einführung einer gemeinsamen Währung und die Aufnahme von zehn neuen Mitgliedstaaten vor zwei Jahren - war richtig.

   Das Nein zum Verfassungsvertrag in Frankreich und in Holland kam nicht etwa dadurch zustande, dass die Menschen dort den Verfassungsvertragsentwurf von der ersten bis zur letzten Seite durchgelesen und sich dann nach Abwägung aller Umstände überwiegend für die Ablehnung entschieden hätten; das Nein kam in diesen Ländern vielmehr dadurch zustande, dass sich die Menschen durch die Entwicklungen in Europa, durch einen immer stärkeren Zentralismus und eine uferlos erscheinende Erweiterung überfordert gefühlt haben. Deswegen muss es für uns in der Europapolitik darum gehen, die Menschen mit dieser Entwicklung nicht zu überfordern. Europa muss sich über die Herzen der Menschen entwickeln und gedeihen. Wenn wir das beherzigen, dann werden wir einen erfolgreichen europapolitischen Kurs verfolgen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Die neue Regierung in Deutschland gibt auch den Bemühungen Europas den Schwung, der wettbewerbsfähigste Wirtschaftsraum zu werden. Es ist eine gute Nachricht für ganz Europa, dass die neue Regierung in Deutschland wieder Politik für die größte europäische Volkswirtschaft macht und Deutschland damit zu einem Wirtschaftsmotor in Europa werden kann.

   Deswegen geht die neue Regierung auch mutige Reformaufgaben an. Wir haben die Föderalismusreform angepackt. Wir werden diese Reform gemeinsam zu einem guten Ende bringen.

Wir sind das nicht zuletzt - das sage ich ganz deutlich im Deutschen Bundestag und vor der deutschen Öffentlichkeit - unseren Kommunen schuldig; denn die beklagenswerten Kommunen in Deutschland sind so ausgeblutet wie keine andere öffentliche Hand. Wir werden mit der Föderalismusreform deshalb auch den Kommunen helfen. Erst wenn die Kommunen wieder hinreichende Spielräume in ihren Budgets haben, entstehen beispielsweise auch Spielräume für geringere Kindergartengebühren - erst dadurch und nicht durch das Verschieben von Finanzmassen, die gar nicht vorhanden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Lang ist über die Notwendigkeit gesprochen worden, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre anzuheben. Selbst Gerhard Schröder schloss das damals nicht aus. Die große Koalition packt dies an. Wohlgemerkt ist es nicht so, wie manchmal getan wird, dass das schon morgen Wirklichkeit ist. Vielmehr erhöht sich das Renteneintrittsalter schrittweise ab 2012 und zieht sich dann - das wird ständig verschwiegen - über 18 Jahre hin. Wir werden deshalb manchmal im Ausland belächelt, weil man der Meinung ist: Wenn mit einem Prozess, der unvermeidlich ist, erst in sechs Jahren begonnen wird und sich dieser dann über 18 Jahre erstreckt, ist das eine regelrechte Reformbremse.

   Die große Koalition wird auch die Reform der Gesundheitsversorgung rechtzeitig auf den Weg bringen. Die Krankenkassen dürfen nicht mehr in einem so tiefen Defizitsumpf versinken, wie das im Jahr 2003 der Fall war. Richtig ist zwar, dass die Partner in der großen Koalition mit unterschiedlichen Konzepten antreten. Aber ich bin zuversichtlich, ja ich bin mir sicher, dass wir die richtigen Elemente in den Vorschlägen beider Partner in einem sehr guten Konzept miteinander verbinden werden.

   Die Landtagswahlen vom vergangenen Sonntag haben den Vertrauensvorschuss für die große Koalition erneuert. Die Mehrheit der Wähler setzt auf eine gute und maßvolle Reformpolitik. Wie gefestigt übrigens die Reformbereitschaft der großen Koalition selbst in kleinen Dingen ist, hat jüngst der Kollege Müntefering unter Beweis gestellt. Er beginnt neuerdings seine Briefe an die Fraktionsmitglieder der großen Koalition mit „Liebe Kolleginnen und Kollegen“ und nicht mehr mit „Liebe Genossinnen und Genossen“.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU - Beifall des Abg. Dr. Guido Westerwelle (FDP))

Das stimmt hoffnungsfroh; denn wer so mutig alte Zöpfe abschneidet, der springt auch über den eigenen Schatten, wenn es erforderlich ist.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Jetzt ist Deutschland gerettet! - Hubertus Heil (SPD): Wir nennen einfach nicht jeden „Genossen“!)

   Reformen bringen immer Veränderungen. Die einen empfinden diese Veränderungen als Chance. Die anderen empfinden sie als schmerzlichen Abschied von Bewährtem, von Besitzständen. Dies gilt auch im Hinblick auf unseren regulierten Arbeitsmarkt. Die Koalition hat sich im Interesse der Arbeitsuchenden auf Schritte hin zu einem flexibleren Arbeitsrecht und eine Überprüfung arbeitsmarktpolitischer Instrumente verständigt. Ob allerdings diese Schritte ausreichen werden, um die Bereitschaft zu Neueinstellungen vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen zu stärken, werden wir ganz genau beobachten. Denkverbote dürfen wir uns jedenfalls hier nicht auferlegen. Solche Verbote würden den 5 Millionen Arbeitsuchenden in unserem Land nämlich nicht weiterhelfen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Reformen werden akzeptiert, wenn sie als notwendig und gerecht empfunden werden. Oft hört man den Vorwurf, diejenigen mit starken und breiten Schultern würden hierzulande zu wenig tragen. Häufige Wiederholungen machen dieses Argument auch nicht wahr. Ich möchte dies mit zwei Zahlen belegen. Ein Blick auf die Einkommensteuerstatistik des Finanzministeriums verhilft zu einer besseren Einsicht. Die 5 Prozent der Steuerpflichtigen mit dem höchsten Einkommen schultern knapp 43 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Beifall bei der FDP!)

Auf die Steuerpflichtigen in der oberen Hälfte der Einkommensstatistik entfallen sage und schreibe 92 Prozent des Einkommensteueraufkommens. Man mag ja über exzessive Auswüchse in Einzelfällen streiten. Aber unser Steuersystem unter den Generalverdacht der Ungerechtigkeit zu stellen, das geht an den Realitäten weit vorbei.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Reformen können den Hauptteil der Bundesausgaben leider nicht aussparen. Die große Koalition wird dem Sozialstaat neue Ziele setzen: weniger Verteilungsstaat herkömmlicher Prägung, mehr Gewicht auf Sozialinvestitionen, um es mit einem Wort des Tübinger Philosophen Otfried Höffe zu sagen - damit der Begriff „Sozialinvestitionen“ den richtigen Klang bekommt. Deshalb tut die neue Regierung mehr für junge Familien. Der erste Schritt war die Verbesserung der steuerlichen Anerkennung der Kosten für Kindererziehung. Dieser Weg wird beim Elterngeld fortgesetzt. Der Standpunkt von CDU und CSU ist klar: Der Staat muss die Lebensplanung junger Familien respektieren. An der Wahlfreiheit von Vater und Mutter darf nicht gerüttelt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Im Monatsbericht des Finanzministeriums vom September 2005 wird der finanzielle Umfang der geltenden Familienförderung mit 59 Milliarden Euro angegeben, wovon 41 Milliarden Euro auf steuerliche und 18 Milliarden Euro auf sozialpolitische Maßnahmen entfallen. Die große Koalition will in die Vielzahl der Maßnahmen mehr Transparenz bringen, damit alle von dieser Förderung besser profitieren können.

   Die Reformpolitik der großen Koalition orientiert sich am Leitbild der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit bezieht sich nicht nur auf Ökologie, sondern auch auf weite Gebiete der Sozialpolitik; dabei geht es um Generationengerechtigkeit und um eine solide Finanzpolitik. Die Wirtschaftspolitik muss auf ein nachhaltiges Wachstum zielen und nicht auf kurzfristige Strohfeuer. Die Staatshaushalte dürfen nicht zu einer immer stärker drückenden Last für die nachfolgenden Generationen werden.

(Zuruf von der FDP: Richtig!)

Die Beziehungen zwischen den Generationen müssen auf eine für die ältere und für die jüngere Generation gleichermaßen faire und gerechte Grundlage gestellt werden.

   Die Politik der neuen Regierung gewinnt Vertrauen durch Wahrheit und Klarheit - Steinbrücks Worte: „Weg in die Realität“. Die große Koalition sorgt für klare Perspektiven angesichts der Chancen und Risiken der Globalisierung. Deshalb werden wir auch mehr für Forschung und Entwicklung tun. Wir sind gerade dabei, mit der Dienstleistungsrichtlinie die Märkte in Europa für exzellente deutsche Dienstleistungen zu öffnen.

(Zuruf von der LINKEN: Oje, oje!)

Wir sagen die Wahrheit über den Zustand der Staatsfinanzen, aber auch über die Lage bei Rente, Gesundheit und Pflege.

   Der Grundakkord unserer Politik lautet: Sanieren, Investieren, Reformieren. Nur durch Reformen gelingt die Überwindung der Investitionsschwäche. Nur durch mehr Investitionen kommen wir zu mehr Beschäftigung und nur durch entschlossenes Sanieren erwirtschaften wir bei den öffentlichen Finanzen die Handlungsspielräume, die wir zur Finanzierung dringender Zukunftsinvestitionen benötigen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Der Stimmungswandel und das anziehende Wirtschaftswachstum erleichtern die Konsolidierung. Aber das alleine reicht nicht aus,

(Zustimmung des Abg. Steffen Kampeter (CDU/CSU))

um das strukturelle Defizit des Bundeshaushaltes in Höhe von etwa 60 Milliarden Euro zu beheben. Unsere erste Priorität lautet natürlich: eisern sparen, sparen und sparen.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Wo denn?)

Aber die dramatische Lage des Bundeshaushalts macht auch eine Erhöhung der Einnahmen unvermeidlich. Wir haben das bereits im Wahlkampf unmissverständlich deutlich gemacht - ich spreche jetzt für CDU und CSU -; das war ein Stück Wahrheit, für die wir vielleicht etwas haben büßen müssen.

(Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber heute sind wir froh und glücklich, dass wir dies offen gesagt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt doch nicht! Damals noch wollten Sie alles in die Sozialversicherung stecken! Sie haben Ihre Leute doch auch belogen!)

Was wir für Soziales, Zinsen und Tilgungen sowie für Personal aufzuwenden haben, übersteigt die Steuereinnahmen. Da wird jedem deutlich, dass wir um Einnahmeerhöhungen nicht herumkommen. Der Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung wäre nicht ohne drastische Einschnitte bei den Sozialausgaben möglich.

   Wer wollte massive Rentenkürzungen oder etwa die Kürzung des Kindergeldes? Nein, meine Damen und Herren, davor müssen wir zurückschrecken. Wir müssen den Weg alternativer Einnahmeerhöhungen gehen. Ich weiß natürlich, dass wir uns damit herber Kritik ausgesetzt haben. Aber Mut und das Fehlen von Denkverboten müssen die Politik dieser Koalition auszeichnen.

   Wir setzen gemeinsam auf wirksame Instrumente für mehr Wachstum und Beschäftigung. Der Haushaltsentwurf setzt unser Impulsprogramm um. Das muss so schnell wie irgend möglich geschehen. Wir setzen vor allen Dingen Anreize für Investitionen. Neuinvestitionen - ich sage dies noch einmal - sichern und schaffen Arbeitsplätze. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wird wie versprochen von 6,5 Prozent auf 4,5 Prozent gesenkt. Das bringt mehr Geld für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Wir haben uns auch zum Ziel gesetzt, entschlossen zu entbürokratisieren. Unter Bürokratie leiden die Investoren am meisten. Wir haben jetzt schon - rückwirkend zum 1. Januar - die degressive Abschreibung verbessert. Das bringt rasch und wirksam Investitionsimpulse.

   Wir werden die engen Spielräume des Bundeshaushalts bis an die Grenzen des Möglichen auch für Investitionen nutzen. So wurde die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen durch private Haushalte erweitert. Ich sage dies vor allen Dingen im Hinblick darauf, dass wir aus dem Bereich des Handwerks - als Müllermeister komme ich selbst aus dem Handwerk - mit Briefen bombardiert werden - ich verstehe jeden Briefschreiber -, in denen Bedenken gegen die Mehrwertsteuererhöhung geäußert werden. Deshalb ist es richtig, dass wir Investitionsimpulse setzen, wozu auch die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen durch Privathaushalte zählt. Das ist eine alte und berechtigte Forderung des deutschen Handwerks.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Mehr Mittel für Verkehrsbauten, mehr Mittel für Forschung und Technologie! Deutschlands Kapital sind die Köpfe. Deshalb ist jeder Euro dort gut angelegt.

   Die Regierung schafft wieder Vertrauen. Die Zukunftserwartungen der deutschen Wirtschaft sind so positiv wie seit fünf Jahren nicht mehr. Alle Frühindikatoren zeigen nach oben. Ich freue mich darüber zusammen mit unserem Bundeswirtschaftsminister Michael Glos. Das ist ein hervorragender Weg in eine gedeihliche wirtschaftliche Zukunft Deutschlands, Herr Bundeswirtschaftsminister.

(Beifall bei der CDU/CSU - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Peinlich!)

Das Verbrauchervertrauen hat zuletzt den höchsten Wert seit dem Jahr 2000 erreicht.

   Aber auch die harten Faktoren sprechen dieselbe Sprache. Die Auftragseingänge nehmen zu. Der Maschinenbau und der Großanlagenbau melden eine spürbare Belebung der Inlandsnachfrage. Ebenso verdeutlichen die jüngst wieder ansteigenden Steuereinnahmen, vor allen Dingen bei der Gewerbesteuer, die wirtschaftliche Trendwende. Besonders freut mich, dass der Stimmungsumschwung den Mittelstand erreicht hat. Der Mittelstand ist mehr denn je das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, mehr vielleicht als manches DAX-Unternehmen.

   Der Aufschwung gewinnt an Fahrt und Breite. Wie in der Vergangenheit müssen wir auch gegenwärtig die Wachstumsprognosen korrigieren, aber diesmal Gott sei Dank erstmals nach oben, und darauf können wir alle miteinander stolz sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es wird - es gehört zur Ehrlichkeit, das zu sagen, und es ist die Realität - noch eine geraume Zeit dauern, bis wir zu einer grundlegenden Wende gelangen; denn die Wende auf dem Arbeitsmarkt ist bekanntlich ein traditioneller Spätindikator einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung.

   Vier Monate nach dem Regierungswechsel wird aber für jeden die Änderung im Stil der Politik deutlich. Das Vertrauen der Menschen in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes ist gestiegen. Dies ist vor allem ein Verdienst von Ihnen, liebe Frau Bundeskanzlerin, und Ihres Kabinetts.

   Die Unionsparteien werden auf der Basis ihrer Grundsatzpositionen ihren Beitrag dazu leisten, dass die zunächst von keiner Seite gewollte große Koalition am Ende eine Erfolgsgeschichte wird.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Oskar Lafontaine von der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Oskar Lafontaine (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Ramsauer hat, wie zu erwarten war, davon gesprochen, dass die große Koalition das Kursbuch für einen neuen Kurs vorgelegt hat. Wenn man eine Werbeagentur zurate ziehen würde, würde sie für den Verkauf immer empfehlen, von etwas Neuem, von einer Innovation zu sprechen und zu unterstreichen, dass wirklich ein Aufbruch in Deutschland stattgefunden hat, dass man also zu neuen Ufern aufbrechen will.

   Ich will für meine Fraktion sagen, dass die Situation sich für uns weniger vorwärts gewandt darstellt. Wir stellen zunächst einmal fest, dass die Politik der Regierung Merkel die Politik der Regierung Schröder/Fischer fortsetzt, und zwar in der Außenpolitik ebenso wie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) sowie bei Abgeordneten der SPD - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wollen wir einmal zurückweisen hier!)

- Es freut mich, dass hier teilweise Beifall gespendet wird. Dies ist unsere Überzeugung. Sie können eine andere Auffassung haben.

   Wir begründen unsere Haltung damit, dass die wichtigen Entscheidungen der letzten Jahre - ob das Hartz IV war, ob das die Agenda 2010 war oder ob das die Beteiligung Deutschlands an völkerrechtswidrigen Kriegen war - von allen Fraktionen dieses Hauses getragen worden sind. Also sehen wir keine Veränderung der Politik durch den Wechsel zur großen Koalition.

(Beifall bei der LINKEN - Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Gysi ist nach Belgrad gefahren!)

   Ich beginne mit der Außenpolitik - davon war schon die Rede - und stelle fest, dass die Außenpolitik auch dieser Regierung keine klare Grundlage hat. Ich will darauf hinweisen, dass derjenige, der sich zu politischen Themen äußert, zunächst gehalten ist, die Begriffe zu klären. Wenn man zum Beispiel sagt, man stelle in den Mittelpunkt seiner Außenpolitik den Kampf gegen den internationalen Terrorismus, dann muss man definieren können - ich wiederhole das -, was man unter „internationalem Terrorismus“ versteht. Wenn man dies nicht kann, dann gerät man in die Gefahr, eine Außenpolitik zu betreiben, die keine klare Grundlage hat.

(Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU): Jetzt erklären Sie uns das einmal!)

   Deshalb will ich für die Linke hier noch einmal feststellen, dass von keiner der beteiligten Parteien bis zum heutigen Tage eine Antwort auf die Frage gegeben worden ist, was wir eigentlich unter Terrorismus und damit unter internationalem Terrorismus verstehen. Für uns ist Terrorismus das Töten unschuldiger Menschen zum Erreichen politischer Ziele.

(Beifall bei der LINKEN)

   Unter diesem Gesichtspunkt waren die Attentäter, die in das World Trade Center geflogen sind und 3 000 Unschuldige umgebracht haben, natürlich Terroristen. Unter diesem Gesichtspunkt sind natürlich auch die jungen Menschen, die als Selbstmordattentäter in tragischer Weise sich ihr Leben nehmen und Unschuldige mit in den Tod ziehen, Terroristen. Unter diesem Gesichtspunkt sind aber auch - dieser Erkenntnis verschließt sich die Mehrheit in diesem Hause - die Bombardierungen von Städten und Dörfern in Afghanistan oder im Irak terroristische Akte,

(Beifall bei der LINKEN)

die man genauso qualifizieren muss wie die Handlungen, die ich vorher beschrieben habe. Da Sie diesem Urteil ausweichen, hat Ihre Außenpolitik an dieser Stelle keine klare Grundlage.

   Die zweite Frage ist, ob Sie tatsächlich der Auffassung sind, dass die Kriege im Vorderen Orient Kriege für Freiheit und Demokratie sind. Wir haben eine ganz andere Auffassung. Ich habe schon des Öfteren Oswald Spengler zitiert, der in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Außenpolitik definierte als Kämpfe um Rohstoffe und Absatzmärkte. Nach unserer Auffassung trifft diese konservative Definition auf die Außenpolitik der führenden Supermacht des Westens nach wie vor zu: Ihre Außenpolitik ist kein Kampf um Demokratie und Frieden, sondern sie ist nach wie vor ein Kampf um Rohstoffe und Absatzmärkte. Das gilt in vollem Umfang in Bezug auf den Vorderen Orient.

(Beifall bei der LINKEN)

   Die dritte Frage, die Sie nicht beantwortet haben, ist, ob Sie sich im Rahmen der Außenpolitik an das Völkerrecht halten wollen. Das ist doch eine relevante Frage.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Haben Sie sich nicht für die Folter ausgesprochen?)

- Darauf komme ich bei Gelegenheit zu sprechen. Verehrte Frau Roth, Sie waren Menschenrechtsbeauftragte, als zahlreiche Rechtsbrüche hier in Deutschland - Entführungen, Folter - stattgefunden haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Offensichtlich haben Sie in dieser Zeit gepennt. Für meine Fraktion möchte ich Ihnen noch einmal sagen: Wer durch die Unterstützung völkerrechtswidriger Kriege für den Tod Tausender Unschuldiger mitverantwortlich ist, der soll in diesem Hause nicht über Menschenrechte reden. Das ist unsere Position in dieser Frage.

(Beifall bei der LINKEN - Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Lächerlich!)

   Ich werfe also noch einmal die Frage auf, ob Sie sich an das Völkerrecht halten wollen.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie war das mit der Folter, Herr Lafontaine? - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt zum Thema Folter!)

- Ja, regen Sie sich nur auf! Das macht durchaus Freude. Dann weiß man, dass Sie getroffen sind.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich stelle also die Frage, ob Sie sich an das Völkerrecht halten wollen. Es ist bekannt, dass weder der Jugoslawienfeldzug

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jugoslawienfeldzug? Ihre Begrifflichkeit verrät Sie!)

noch der Afghanistankrieg mit dem Völkerrecht zu vereinbaren waren. Weniger bekannt ist, dass auch der Irakfeldzug von Deutschland mit getragen worden ist. Wenn das Bundesverwaltungsgericht feststellt, dass Deutschland Beihilfe zum Irakkrieg geleistet hat

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Ist Herr Gysi gerade in Weißrussland?)

und dass die Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Krieg ebenfalls ein völkerrechtswidriges Handeln darstellt, dann wäre doch zu erwarten, dass sich dieses Haus mit diesem höchstrichterlichen Urteil beschäftigt. Aber das ist in den letzten Wochen und Monaten nicht geschehen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Die Außenpolitik hat keine klare Grundlage. Weder definiert sie, was Terrorismus ist, noch erklärt sie sich zu der Frage, ob es hier um Freiheit und Demokratie oder um Rohstoffsicherung geht, noch hat sie klar erkannt, dass das Völkerrecht beachtet werden muss, wenn wir überhaupt Friedenspolitik betreiben wollen. Insofern steht die Außenpolitik auf tönernen Füßen. Es besteht nachher Gelegenheit, diese drei Sachargumente zu entkräften.

(Hubertus Heil (SPD): Gern!)

Wir sind sehr gespannt darauf.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

   Ich komme zur Europapolitik und damit auch zur Frage der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Herr Kollege Ramsauer, Sie haben die Europapolitik der neuen Regierung, die eine Fortsetzung der bisherigen ist, für richtig befunden. Wir glauben, dass es in den letzten Jahren zwei gravierende strukturelle Fehlentwicklungen gegeben hat. Das eine ist der Maastrichtvertrag und das andere ist die Verfassung der Europäischen Zentralbank.

   Niemand im angelsächsischen Raum käme auf die Idee, eine Zentralbankverfassung zu verabschieden, wie wir sie in Europa haben. Eine Zentralbank, die ausschließlich dem Ziel der Preisstabilität verpflichtet ist, neigt zu gravierenden Fehlentscheidungen, die insbesondere Wachstum und Beschäftigung hemmen. Wir haben das in den letzten Jahren oft genug erlebt. Ich möchte also für meine Fraktion hier feststellen, dass es das Mindeste wäre, die Verfassung der Europäischen Zentralbank an die Verfassung der amerikanischen Notenbank anzupassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die amerikanische Notenbank ist nämlich nicht nur auf Preisstabilität verpflichtet, sondern sie ist ebenso verpflichtet, Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Es ist bedauerlich, dass die Europäische Zentralbank in der jetzigen Situation, in der es in Europa noch keine klare Aufwärtsbewegung gibt, wiederum dabei ist, den Kurs der Zinspolitik zu ändern. Wir werden das in einiger Zeit, insbesondere in Deutschland, zu spüren bekommen.

   Nun zum Maastrichtvertrag. Vorhin war von naturwissenschaftlicher Ausbildung die Rede. Einen Grundsatz lernt man bei dieser Ausbildung, nämlich dass man die Theorie überprüft, wenn das Experiment sie permanent widerlegt.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass der Maastrichtvertrag durch das Experiment bestätigt worden ist, kann nur jemand behaupten, der sehr, sehr kühn ist. Der Maastrichtvertrag ist eine Fehlkonstruktion von Anfang an. Er hindert die Mitgliedstaaten der Europäischen Union daran, eine vernünftige Fiskalpolitik zu betreiben.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Nein, Schulden zu machen!)

Daher müsste er nicht nur ein bisschen korrigiert werden, sondern er müsste grundlegend reformiert werden, wenn wir Wachstum und Beschäftigung in Europa tatsächlich wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Ich komme zur Innenpolitik und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dabei spreche ich zwei Felder an. Das eine ist die Finanzpolitik. Das andere ist die Lohnpolitik.

   Der Bundesfinanzminister hat hier davon gesprochen, dass seine Finanzpolitik nach seinem Urteil eine Finanzpolitik der doppelten Tonlage sei. Ich kann diese Selbsteinschätzung nicht in vollem Umfang teilen, Herr Finanzminister. Ich glaube, dass Sie hier weiterhin das eintönige Lied des Neoliberalismus gesungen haben; insofern konnte ich von doppelter Tonlage leider nichts erkennen.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Was ist daran eintönig?)

- Herr Kollege Westerwelle, manchmal ist das Lied des Neoliberalismus auch sehr farbig, aber es ist besonders eintönig und bitter für diejenigen in unserem Land, die davon negativ betroffen sind, und das sind in den letzten Jahren immer mehr geworden.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Ich bringe Ihnen noch mal einen Ausschnitt aus dem Geschichtsbuch!)

   Zunächst noch zur Grundausrichtung der Finanzpolitik. Wenn Sie sagen, Herr Bundesfinanzminister, die Finanzpolitik unterstütze Wachstum und Beschäftigung, dann müssen Sie das irgendwie begründen können. Sie müssen zumindest irgendwie belegen können, dass die Finanzpolitik expansiv ist. Das ist sie aber nicht. Sie werden hier kein Institut zitieren können, das Ihrer Finanzpolitik einen expansiven Impuls bestätigt. Vielmehr ist es so, dass nicht nur der Bundeshaushalt zurückgeht, sondern auch die Gesamtheit der öffentlichen Haushalte. Wenn die Gesamtheit der öffentlichen Haushalte zurückgeht, ist die Finanzpolitik - das sollte man hier feststellen - nicht expansiv, sondern eher restriktiv. Über Zahlen kann man nicht streiten, es sei denn, man redet sich die Welt schön oder verliert sich in irgendwelchen ideologischen Betrachtungen, die mit einer sachlichen Erörterung überhaupt nichts zu tun haben.

(Beifall bei der LINKEN - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie waren Finanzminister! Sie hätten das machen können!)

   Aber nicht nur die Haushaltspolitik ist der gegenwärtigen konjunkturellen Lage nicht angemessen. Noch viel mehr gilt das für die Steuerpolitik.

   Ich werfe also noch einmal die Frage auf, ob Sie sich an das Völkerrecht halten wollen.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie war das mit der Folter, Herr Lafontaine? - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt zum Thema Folter!)

- Ja, regen Sie sich nur auf! Das macht durchaus Freude. Dann weiß man, dass Sie getroffen sind.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich stelle also die Frage, ob Sie sich an das Völkerrecht halten wollen. Es ist bekannt, dass weder der Jugoslawienfeldzug

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jugoslawienfeldzug? Ihre Begrifflichkeit verrät Sie!)

noch der Afghanistankrieg mit dem Völkerrecht zu vereinbaren waren. Weniger bekannt ist, dass auch der Irakfeldzug von Deutschland mit getragen worden ist. Wenn das Bundesverwaltungsgericht feststellt, dass Deutschland Beihilfe zum Irakkrieg geleistet hat

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Ist Herr Gysi gerade in Weißrussland?)

und dass die Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Krieg ebenfalls ein völkerrechtswidriges Handeln darstellt, dann wäre doch zu erwarten, dass sich dieses Haus mit diesem höchstrichterlichen Urteil beschäftigt. Aber das ist in den letzten Wochen und Monaten nicht geschehen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Die Außenpolitik hat keine klare Grundlage. Weder definiert sie, was Terrorismus ist, noch erklärt sie sich zu der Frage, ob es hier um Freiheit und Demokratie oder um Rohstoffsicherung geht, noch hat sie klar erkannt, dass das Völkerrecht beachtet werden muss, wenn wir überhaupt Friedenspolitik betreiben wollen. Insofern steht die Außenpolitik auf tönernen Füßen. Es besteht nachher Gelegenheit, diese drei Sachargumente zu entkräften.

(Hubertus Heil (SPD): Gern!)

Wir sind sehr gespannt darauf.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

   Ich komme zur Europapolitik und damit auch zur Frage der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Herr Kollege Ramsauer, Sie haben die Europapolitik der neuen Regierung, die eine Fortsetzung der bisherigen ist, für richtig befunden. Wir glauben, dass es in den letzten Jahren zwei gravierende strukturelle Fehlentwicklungen gegeben hat. Das eine ist der Maastrichtvertrag und das andere ist die Verfassung der Europäischen Zentralbank.

   Niemand im angelsächsischen Raum käme auf die Idee, eine Zentralbankverfassung zu verabschieden, wie wir sie in Europa haben. Eine Zentralbank, die ausschließlich dem Ziel der Preisstabilität verpflichtet ist, neigt zu gravierenden Fehlentscheidungen, die insbesondere Wachstum und Beschäftigung hemmen. Wir haben das in den letzten Jahren oft genug erlebt. Ich möchte also für meine Fraktion hier feststellen, dass es das Mindeste wäre, die Verfassung der Europäischen Zentralbank an die Verfassung der amerikanischen Notenbank anzupassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die amerikanische Notenbank ist nämlich nicht nur auf Preisstabilität verpflichtet, sondern sie ist ebenso verpflichtet, Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Es ist bedauerlich, dass die Europäische Zentralbank in der jetzigen Situation, in der es in Europa noch keine klare Aufwärtsbewegung gibt, wiederum dabei ist, den Kurs der Zinspolitik zu ändern. Wir werden das in einiger Zeit, insbesondere in Deutschland, zu spüren bekommen.

   Nun zum Maastrichtvertrag. Vorhin war von naturwissenschaftlicher Ausbildung die Rede. Einen Grundsatz lernt man bei dieser Ausbildung, nämlich dass man die Theorie überprüft, wenn das Experiment sie permanent widerlegt.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass der Maastrichtvertrag durch das Experiment bestätigt worden ist, kann nur jemand behaupten, der sehr, sehr kühn ist. Der Maastrichtvertrag ist eine Fehlkonstruktion von Anfang an. Er hindert die Mitgliedstaaten der Europäischen Union daran, eine vernünftige Fiskalpolitik zu betreiben.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Nein, Schulden zu machen!)

Daher müsste er nicht nur ein bisschen korrigiert werden, sondern er müsste grundlegend reformiert werden, wenn wir Wachstum und Beschäftigung in Europa tatsächlich wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Ich komme zur Innenpolitik und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dabei spreche ich zwei Felder an. Das eine ist die Finanzpolitik. Das andere ist die Lohnpolitik.

   Der Bundesfinanzminister hat hier davon gesprochen, dass seine Finanzpolitik nach seinem Urteil eine Finanzpolitik der doppelten Tonlage sei. Ich kann diese Selbsteinschätzung nicht in vollem Umfang teilen, Herr Finanzminister. Ich glaube, dass Sie hier weiterhin das eintönige Lied des Neoliberalismus gesungen haben; insofern konnte ich von doppelter Tonlage leider nichts erkennen.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Was ist daran eintönig?)

- Herr Kollege Westerwelle, manchmal ist das Lied des Neoliberalismus auch sehr farbig, aber es ist besonders eintönig und bitter für diejenigen in unserem Land, die davon negativ betroffen sind, und das sind in den letzten Jahren immer mehr geworden.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Ich bringe Ihnen noch mal einen Ausschnitt aus dem Geschichtsbuch!)

   Zunächst noch zur Grundausrichtung der Finanzpolitik. Wenn Sie sagen, Herr Bundesfinanzminister, die Finanzpolitik unterstütze Wachstum und Beschäftigung, dann müssen Sie das irgendwie begründen können. Sie müssen zumindest irgendwie belegen können, dass die Finanzpolitik expansiv ist. Das ist sie aber nicht. Sie werden hier kein Institut zitieren können, das Ihrer Finanzpolitik einen expansiven Impuls bestätigt. Vielmehr ist es so, dass nicht nur der Bundeshaushalt zurückgeht, sondern auch die Gesamtheit der öffentlichen Haushalte. Wenn die Gesamtheit der öffentlichen Haushalte zurückgeht, ist die Finanzpolitik - das sollte man hier feststellen - nicht expansiv, sondern eher restriktiv. Über Zahlen kann man nicht streiten, es sei denn, man redet sich die Welt schön oder verliert sich in irgendwelchen ideologischen Betrachtungen, die mit einer sachlichen Erörterung überhaupt nichts zu tun haben.

(Beifall bei der LINKEN - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie waren Finanzminister! Sie hätten das machen können!)

   Aber nicht nur die Haushaltspolitik ist der gegenwärtigen konjunkturellen Lage nicht angemessen. Noch viel mehr gilt das für die Steuerpolitik.

Aber dazu möchte ich das nach unserer Auffassung bestehende Kernproblem der gegenwärtigen ökonomischen Entwicklung in Deutschland formulieren, nämlich wie man die Ersparnisse wieder zurücklenkt in Investitionen. Wenn man dies als Kernaufgabe akzeptiert, dann muss man zunächst feststellen, dass dazu von Ihrer Regierung überhaupt nichts angeboten wird. Das, was vorgelegt wird, sind allenfalls Trippelschrittchen; in Wirklichkeit geschieht viel zu wenig.

   Dass dies das Kernproblem ist, können Sie dem jüngsten Bericht der Bundesbank entnehmen. Dort steht, bezogen auf das letzte Jahr, schlicht und einfach:

Somit wurde das inländische Sparaufkommen, anders als in den 90er-Jahren, nicht mehr in vollem Umfang von der gesamtwirtschaftlichen Sachkapitalbildung im Inland absorbiert.

Anders ausgedrückt: Es gelingt eben nicht mehr, die Ersparnisse in unserem Lande in die Investitionen zu lenken. Vielmehr wurde ein beträchtlicher und steigender Teil dem Ausland zur Verfügung gestellt.

   Die deutsche Wirtschaftspolitik darf nicht zulassen, dass die Ersparnisse, die hier gebildet werden, nicht mehr hier in Investitionen fließen, sondern dem Ausland zur Verfügung gestellt werden. Die Frage ist, wie wir das ändern können.

(Beifall bei der LINKEN)

   Wenn wir überlegen, wohin unsere Investitionen gelenkt werden können, dann müssen wir uns auf die einzelnen Felder konzentrieren. Zunächst einmal - darauf hat meine Kollegin Gesine Lötzsch gestern bereits hingewiesen - ist die Quote öffentlicher Investitionen Deutschlands anzusprechen. Das ist einfach nicht mehr zu fassen. Wieso glauben wir, dass wir uns als ein Industriestaat, der in seiner Bedeutung für Europa von Ihnen, Herr Kollege Ramsauer, gepriesen worden ist, weiter eine Quote öffentlicher Investitionen erlauben können, die seit vielen Jahren nur halb so hoch ist wie im Durchschnitt der EU-Mitgliedstaaten? Wieso glauben wir, wir können das auf Dauer durchhalten?

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Das müssen jetzt ausgerechnet Sie sagen!)

Keine Volkswirtschaft kann auf Dauer zu Wachstum und Beschäftigung finden, wenn nicht die öffentlichen Investitionen einen entsprechenden Anteil an der gesamten volkswirtschaftlichen Entwicklung haben.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Aber die privaten Investitionen auch! Das müsste der Ökonom Lafontaine gut wissen!)

Seit vielen Jahren werden an dieser Stelle gravierende Fehler gemacht.

   Noch wichtiger als Investitionen in die öffentliche Infrastruktur sind Investitionen in die geistige Infrastruktur. Auch hier kann man nur sagen: Es ist angesichts der Tradition dieses Landes nicht zu fassen, dass wir bei den Bildungs- und Forschungsausgaben im unteren Drittel der OECD-Statistik liegen. Das ist ein unhaltbarer Zustand.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch die jetzigen Entscheidungen der Regierung Merkel ändern nichts daran.

   Wenn wir wirklich zu den Industriestaaten aufschließen wollen, die in den letzten Jahren mehr Wachstum und Beschäftigung geschaffen haben, brauchen wir eine andere Quote öffentlicher Investitionen und deutlich mehr Ausgaben für Forschung und Bildung. Das ist die beste Investition in die Zukunft eines Volkes.

(Beifall bei der LINKEN)

   Nun stellt sich natürlich die Frage, wie man dies bewerkstelligen kann. Damit komme ich zur Steuer- und Abgabenquote. Ich hatte Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, beim letzten Mal die simple Frage gestellt, welche Steuer- und Abgabenquote Sie eigentlich anstreben. In einer seriösen Debatte über Haushaltspolitik müsste diese Frage beantwortet werden können. Man müsste doch wissen, was man eigentlich will. Wenn man einen Haushaltsplan aufstellt, muss man sich die Frage stellen, wie man die Einnahmeseite und die Ausgabenseite gestaltet. Aber offensichtlich ist diese Frage aufgrund irgendwelcher ideologischer oder anderer Barrieren in Deutschland überhaupt nicht mehr zu stellen.

   Deshalb sage ich hier noch einmal: Wir haben eine völlig unterdurchschnittliche Steuer- und Abgabenquote. Sie liegt nach der jetzigen Statistik bei 34 Prozent. Wir liegen damit um 6 Prozent unter dem europäischen Durchschnitt. Umgerechnet auf unser Sozialprodukt sind das rund 130 Milliarden Euro. Das werden wir auf Dauer nicht durchhalten können, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Dabei ist noch nicht einmal eingerechnet, dass wir die Einheit finanzieren müssen. Das ist eine unglaubliche Fehlentwicklung der Haushaltssteuerung in den letzten Jahren, die hier nur ganz bescheiden korrigiert werden soll.

   Sie haben darauf hingewiesen, dass sie korrigiert werde, und sprachen dann von der Mehrwertsteuer. Es war nun wirklich nicht akzeptabel, dass Sie, Herr Kollege Ramsauer, in diesem Zusammenhang von einer Übereinstimmung zwischen Reden und Handeln sprachen. Die Mehrwertsteuer ist leider ein eklatantes Beispiel dafür, wie Parteien dazu beitragen, dass die Bevölkerung immer politikverdrossener wird und sich immer mehr Menschen weigern, zur Wahlurne zu gehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Hier haben sich die beiden Parteien der großen Koalition eines Wahlbetruges schuldig gemacht.

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Haben Sie unser Wahlprogramm nicht gelesen?)

Das möchte ich im Rahmen der Generaldebatte ansprechen. Wenn eine Partei sagt, sie befürworte eine Mehrwertsteuererhöhung um 2 Prozent, die andere Partei heilige Eide auf 0 Prozent Mehrwertsteuererhöhung schwört und am Schluss 3 Prozent herauskommen, dann ist die Bevölkerung der Bundesrepublik erbost, weil sie sich betrogen fühlt, und geht eben nicht mehr zu den Wahlurnen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Hellmut Königshaus (FDP))

Das kann man Ihnen nicht so ohne weiteres durchgehen lassen.

   Dass Ihre Steuerpolitik, und zwar die Steuerpolitik aller mit uns konkurrierenden Parteien, in den letzten Jahren auf einem völlig falschen Pfad war, hat die Bundesbank ebenfalls festgestellt.

Ich zitiere: Die Untersuchung zeigt,

dass für den starken Defizitanstieg nach dem Jahr 2000 zwar auch konjunkturelle Einflüsse eine Rolle gespielt haben. Ausschlaggebend war aber der Rückgang der strukturellen Einnahmequote …

Deutlicher kann man dies nicht sagen.

   Ich will es einmal anders formulieren: Hätten Sie die Steuerreform 2000 nicht beschlossen, hätten Sie kein einziges Jahr die Maastrichtkriterien verfehlt. Auch dies ist in ungezählten Untersuchungen dargestellt worden. Also stimmt die Steuer- und Abgabenquote nicht.

   So einfach wie der Bundesfinanzminister darf man es sich nicht machen: Wenn er sagt, die einzige Alternative, die wir hätten, sei entweder eine Mehrwertsteuererhöhung oder eine drastische Kürzung bei Renten oder anderen Sozialausgaben, dann ist dies eine Irreführung der Bevölkerung, die wir Ihnen nicht durchgehen lassen können, Herr Bundesfinanzminister.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben diese Behauptung zwar vielfach wiederholt, trotzdem bleibt sie schlicht und einfach eine Irreführung der Bevölkerung. Es sind 20 bis 30 andere Alternativen denkbar.

   Sie wissen, dass wir eine Alternative immer wieder ins Gespräch bringen: Statt dem Volk ständig in die Tasche zu greifen, sollten Sie einmal den Mut haben, auch den Wohlhabenden in Deutschland in die Tasche zu greifen.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn die Entwicklung der Einkommen und Vermögen läuft so stark auseinander, dass dies dringend geboten ist.

   An dieser Stelle haben Sie, Herr Bundesfinanzminister, den freundlichen Hinweis gegeben - ich bin ja dankbar, wenn ich von Ihnen etwas lernen kann -,

(Zuruf von der SPD: Genau!)

dass das Kapital mobil sei. Sie waren also der Meinung, diese Tatsache sei mir nicht geläufig. Herr Bundesfinanzminister, ich wohne an der deutsch-luxemburgischen Grenze und ich habe mich schon, als Sie noch andere Funktionen hatten, mit der Kapitalflucht beschäftigt.

(Lachen bei der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Aha!)

- Ich habe noch keinen von euch erwischt. Deswegen braucht ihr jetzt nicht zu lachen.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

   Gehen Sie einmal getrost davon aus, dass ich sehr wohl weiß, dass die Kapitalflucht ein Problem ist.

   So wie ich vorhin auf die Methoden der Naturwissenschaft verwiesen habe, möchte ich Ihnen einen hilfreichen Hinweis zur Wirtschafts- und Finanzpolitik geben. Wenn wir in der Schule die uns gestellten Aufgaben nicht lösen konnten, dann waren wir zumindest so schlau,

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Gespickt!)

vom Nachbarn abzugucken, der es besser gewusst hat.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das ist lebensnah!)

Das ist eigentlich auch etwas, was man von Ihnen erwarten könnte. Anscheinend ist das aber zuviel verlangt.

   Wenn Sie hier mit der Ihnen eigenen Chuzpe sagen, wegen der drohenden Kapitalflucht könnten wir die Vermögen in Deutschland nicht besteuern, dann muss man doch die Frage stellen, warum in vielen anderen Industriestaaten eine ordentliche Vermögensbesteuerung möglich ist. Täuschen Sie das Volk nicht in dieser unverschämten Art und Weise, wenn es darum geht, Vermögen in Deutschland zu besteuern!

(Beifall bei der LINKEN)

   Wir sollten nicht so tun, als wären wir allein auf der Welt und als hätten anderen Staaten keine Erfahrungen auf diesem Gebiet gemacht. Es dürfte Ihnen sicher möglich sein, sich in Ihrem Hause die OECD-Statistik über die Vermögensbesteuerung zu beschaffen. Dann könnten Sie sehen, dass wir hinsichtlich der Vermögensbesteuerung im Vergleich zu anderen Industriestaaten weit zurückliegen, insbesondere im Vergleich zu den angelsächsischen Staaten.

   Ich möchte noch einmal einen Vorschlag machen, den ich hier schon einmal vortragen durfte. Dieser Vorschlag ist für jeden überprüfbar; man kann Ja oder Nein dazu sagen. Das deutsche Geldvermögen - betroffen sind also nicht das Sachkapitalvermögen und das Immobilienvermögen - beträgt 4 000 Milliarden Euro. Die Hälfte davon gehört dem einen Prozent der Bevölkerung, das Sie vorhin teilweise angesprochen haben, Herr Kollege Ramsauer. Das sind 2 000 Milliarden Euro. Wenn man dieses Vermögen mit 5 Prozent besteuert - ich sage zum Verständnis, dass die Durchschnittsrendite für dieses Geldvermögen derzeit weit über 7 Prozent liegt -, dann kann man 100 Milliarden Euro pro Jahr an Mehreinnahmen für die öffentliche Hand erzielen.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Und wenn das Vermögen weg ist? Was ergeben dann die 5 Prozent?)

Wieso greifen Sie über die Mehrwertsteuererhöhung nur dem Volk in die Tasche und wieso sind Sie nicht in der Lage, an das Vermögen der Wohlhabenden zu gehen? Das ist eine durchaus beschämende Entwicklung.

   Weil ich gerade in Richtung der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands blicke, möchte ich Sie daran erinnern, dass die stolze Feststellung des Bundesfinanzministers, dass wir mit die niedrigste Steuerquote in Europa haben, vor Jahren auf jedem SPD-Parteitag mit großem Missfallen entgegengenommen worden wäre. Dass Sie dies jetzt als eine große Leistung verkünden, zeigt, wie sehr sich diese Partei gewandelt hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Es zeigt auch, wie sehr sich Ihre Einstellung zu den Staatsaufgaben und zu den Aufgaben der öffentlichen Hand grundsätzlich verändert hat. Das hat große Nachteile für die Beschäftigten und die Arbeitslosen in diesem Land.

   Wir brauchen eine andere Steuerpolitik. Ich habe Ihnen dazu Vorschläge gemacht. Es bestände dann die Möglichkeit, das Barvermögen - davon ist im Bericht der Bundesbank die Rede - in Richtung öffentliche Investitionen und in Bildungsinvestitionen umzulenken. Es ist ein einfacher Weg. Aber aus ideologischer Verblendung heraus wollen Sie diesen Weg nicht gehen, der ein Kernproblem unserer Volkswirtschaft lösen würde.

(Beifall bei der LINKEN)

   Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte - man kann dies nicht oft genug tun -, ist die Lohnentwicklung in Deutschland. Sie ist leider die miserabelste aller Industriestaaten. Seit zehn Jahren haben wir kein Reallohnplus mehr in Deutschland. Die Statistik weist einen Rückgang von 0,9 Prozent aus.

Vergleichbare Staaten hatten in zehn Jahren ein Plus von real 20 Prozent wie etwa die USA oder von 25 Prozent wie Großbritannien und Schweden zu verzeichnen.

   Nun werden Sie sagen: Wir haben damit gar nichts zu tun. - Das ist allerdings noch nicht einmal die halbe Wahrheit. Natürlich sind die Politik der Bundesregierung und die Politik der Länderregierungen mit konstituierend für die Möglichkeiten gewerkschaftlicher Durchsetzung in Deutschland. Wenn Sie beispielsweise - um ein aktuelles Thema aufzugreifen - immer noch dem abgelutschten Bonbon der Arbeitszeitverlängerung als Motor der Beschäftigungsentwicklung anhängen, sind Sie auf dem völlig falschen Weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Arbeitszeitverlängerung ist eines der Betrugswörter des Neoliberalismus, das Sie ununterbrochen gebrauchen. Die Arbeitszeitverlängerung ist ein Begriff, der etwas intendiert, worum es gar nicht geht. Es geht nicht um eine Verlängerung der Arbeitszeit, sondern einzig und allein um eine Verlängerung der Arbeitszeit bei gleichem Lohn, das heißt um eine Stundenlohnkürzung und um nichts anderes.

(Beifall bei der LINKEN)

   Wer eine Stundenlohnkürzung will, soll das dann auch sagen. Es ist ein Trauerspiel, dass eine Partei - ich sehe sie hier -, die in ihrem Grundsatzprogramm, das ich miterarbeitet habe, Arbeitszeitverkürzungen vorsieht und nach wie vor die 30-Stunden-Woche propagiert, bei dieser Arbeitszeitverlängerung bzw. Stundenlohnkürzung mitmacht. Das ist wirklich eine traurige Fehlentwicklung.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer allerdings glaubt, in der jetzigen Situation der lahmenden Binnennachfrage in Deutschland über Stundenlohnkürzungen irgendeinen Beitrag zu mehr Wachstum und Beschäftigung leisten zu können, ist nicht mehr ganz bei Trost; um dies einmal in aller Klarheit zu sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Weil wir den verhängnisvollen Trend der negativen Lohnentwicklung in Deutschland durchbrechen müssen, wenn wir in irgendeiner Form etwas für Wachstum und Beschäftigung erreichen wollen, vertritt meine Fraktion nach wie vor die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Wir haben nun einmal eine solch negative Lohnspirale in Deutschland, dass es für dieses Parlament dringend geboten ist, diesen Negativtrend aufzuhalten. Wir haben bereits Tariflöhne von unter 4 Euro pro Stunde. Dies kann nicht mehr hingenommen werden. Die Verfassung unseres Landes, die in Art. 1 die Menschenwürde schützt, verpflichtet uns dazu, in Deutschland Löhne sicherzustellen, von denen ein Arbeitnehmer, der arbeitet, auch anständig leben kann. Das ist die Idee des Mindestlohns.

(Beifall bei der LINKEN)

   Ich möchte noch etwas zu den sozialen Sicherungssystemen sagen. Sie haben eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung, die weitgehend verkannt wird. Wenn man nur darüber redet, wie hoch der Beitragssatz sein soll, verkennt man die Aufgabenstellung völlig. Wenn man nur darüber redet, welchen Prozentsatz vom Netto- oder Bruttolohn die Rente irgendwann einmal ausmachen soll, wird die entscheidende Frage ausgeklammert. Es kann nicht sein, dass bei der Gestaltung der sozialen Sicherungshöhe die Frage im Zentrum steht, wie hoch der Beitragssatz sein darf. Im Hinblick auf die Rente sollte man doch fragen, wie viel Geld ein älterer Mitbürger braucht, um anständig leben zu können.

(Beifall bei der LINKEN)

   Was soll diese ganze Beitragssatzphilosophie, die Sie hier seit vielen Jahren fälschlicherweise vertreten? Diese Beitragssatzphilosophie führt zu Fehlentscheidungen. Auf den Beitrag starrend, verlieren Sie die entscheidende Frage bei den sozialen Sicherungssystemen völlig aus dem Auge. Sie haben sich zudem an dieser Stelle einer Irreführung schuldig gemacht, indem Sie gesagt haben, es gehe um Beitragssatzstabilität. Es ging Ihnen ausschließlich um Beitragssatzstabilität für die Unternehmerseite, während die Arbeitnehmer die Zusatzlasten in großem Umfang allein aufgebürdet bekamen. Diese schäbige Fehlentwicklung muss ich hier feststellen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Es gab in den letzten Jahren eine Politik, die im Ergebnis leider nicht bestätigt worden ist. Denn nur auf das Ergebnis kommt es an. Die Politik der letzten Jahre hatte zum Ziel, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Das ist nicht gelungen. Diese Politik, die Sie, meine Damen und Herren von der großen Koalition, fortsetzen, trägt nicht zu mehr Wachstum und Beschäftigung bei. Sie wird also die Arbeitslosigkeit ebenso steigern wie die Politik der Vorgängerregierung.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Huldigt ihm!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Hubertus Heil von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Kollege Gerhardt, ich möchte Sie ansprechen, weil das möglicherweise die letzte längere Rede war, die Sie als Fraktionsvorsitzender in diesem Haus gehalten haben.

(Otto Fricke (FDP): Irrtum!)

Ich möchte Ihnen durchaus unseren Respekt aussprechen. Ich bedauere es, dass Ihre Restlaufzeit durch Ihren Nachfolger begrenzt wurde.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Ich habe noch eine längere Lebenserwartung vor mir! - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Man sieht Ihnen die Traurigkeit an, Herr Kollege!)

Ganz im Ernst: Wir möchten Ihnen persönlich alles Gute wünschen und haben zumindest vor Ihren außenpolitischen Ansichten Respekt, auch wenn Ihre Rede heute inhaltlich wieder einmal daneben war.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Lachen bei Abgeordneten der FDP)

   Herr Lafontaine, ich kann mir vorstellen, dass Sie immer noch ein bisschen wurmt, dass die Westausdehnung der PDS in Deutschland,

(Lachen bei der LINKEN)

die Sie betrieben haben, am vergangenen Sonntag grandios gescheitert ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will Ihnen auch sagen, warum mich das freut: weil Sie persönlich beispielsweise in Rheinland-Pfalz gegen Kurt Beck in übelster Art und Weise Wahlkampf betrieben haben, auch mit Schlägen unter die Gürtellinie.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber dass Sie heute die Unverschämtheit haben, die Außenpolitik der Regierung unter Gerhard Schröder in einen Zusammenhang mit Oswald Spengler zu bringen, finde ich schon ahistorisch, um es freundlich auszudrücken.

(Beifall bei der SPD - Lachen des Abg. Oskar Lafontaine (DIE LINKE))

   Wir haben in der Amtszeit von Gerhard Schröder eine Außenpolitik begründet, die auf zwei Säulen fußt: Deutschland ist unter den veränderten Bedingungen der Welt bereit, internationale Verantwortung zu übernehmen und sich nicht wegzuducken. Aber Deutschland entscheidet selbst, was es mitmacht und was nicht. Deshalb lassen wir die historisch richtige Entscheidung, Nein zu sagen zum Irakkrieg, von Ihnen nicht im Nachhinein diskreditieren, auch nicht in diesem Hause.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die große Koalition hatte einen guten Start; das ist der Tenor der meisten Medien. Das ist auch notwendig, weil in der Bevölkerung sehr hohe Erwartungen an die große Koalition bestehen. In meinem Wahlkreis sagen viele: Wenn ihr schon koalieren müsst, weil das Wahlergebnis entsprechend ist, dann müsst ihr auch Großes hinbekommen. - Die beiden großen Volksparteien sind auch in der Lage, große Dinge in diesem Land zu bewegen, weil die Möglichkeit besteht, die institutionalisierten Blockaden von Bundesrat und Bundestag vier Jahre hinter sich zu lassen.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abwarten!)

   Bezogen auf die Wende in der Finanzpolitik, von der so oft die Rede ist, möchte ich eines sagen:

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Der Finanzminister hat sie eingeleitet!)

Wir haben sie uns schon früher gewünscht, im Interesse von Bund, Ländern und Kommunen. - Darauf hat Peer Steinbrück hingewiesen. - Wir hätten es auch geschafft, wenn wir früher mit dem Abbau von Steuersubventionen begonnen hätten. Wir haben dies jetzt gemeinsam eingeleitet und ich finde, darauf können wir stolz sein. Wir haben bei den Steuersubventionen angesetzt und beispielsweise die Eigenheimzulage abgeschafft, damit der Staat handlungsfähig bleibt. Das ist eine der Leistungen der großen Koalition in den ersten 100 Tagen.

(Beifall bei der SPD)

   Wir wollen einen Erfolg der großen Koalition. Wir wissen aber, dass nicht die ersten 100 Tage, sondern die nächsten 1 000 Tage über den Erfolg der Koalition für unser Land entscheiden. Deshalb wollen wir Sozialdemokraten verantwortungsbewusst und durchaus selbstbewusst in dieser Koalition weiterarbeiten. Wir haben große Aufgaben vor uns. Wir haben mit der Umsetzung der Genshagener-Beschlüsse begonnen und Impulse für Wachstum und Beschäftigung gesetzt. So haben wir ein Gebäudesanierungsprogramm aufgelegt, das ein Vielfaches an privaten Investitionen auslösen wird. 30 Prozent der Wärmekosten könnten in Deutschland eingespart werden, wenn die Häuser vernünftig isoliert werden. Wir wollen mit diesem Programm ein Zeichen setzen. Wir investieren auch mehr in Bildung, Forschung und Wissenschaft. Wir investieren mehr in die Familien. Das ist konkrete Politik zur Zukunftssicherung und das wurde von der Koalition auch mit sozialdemokratischer Handschrift verwirklicht.

(Beifall bei der SPD)

   Wir konnten uns in den Koalitionsverhandlungen nicht in jedem Punkt durchsetzen; aber das ist das Wesen einer Koalition. Wir fühlen uns aber mit vielen Vereinbarungen durchaus wohl. Wir sagen, was mit uns geht und was mit uns nicht geht. Die SPD wird in den nächsten Wochen und Monaten, in den nächsten Jahren in dieser Koalition Motor der Erneuerung sein, weil unser Land Erneuerung braucht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der eingeschlagene Kurs muss konsequent fortgesetzt werden. Es geht darum, in diesem Land die Zukunft zu sichern. Deshalb müssen wir auf Erneuerung setzen. Wir brauchen aber auch soziale Gerechtigkeit.

Wir sollten uns einmal damit auseinander setzen, dass wir in diesem wunderbaren Deutschen Bundestag zwei exaltierte Positionen haben: auf der einen Seite die FDP, auf der anderen Seite die PDS. Ich finde, wir müssen einmal darüber reden, was Sie gemeinsam haben. Sie betreiben ein gemeinsames Spiel. Sie spielen wechselseitig wirtschaftliche Dynamik gegen soziale Gerechtigkeit aus. Die einen machen das, indem sie sagen: „Der Markt ist das Problem der Menschen“. Sie meinen, der Nationalstaat könne alle Probleme dieses Landes lösen, man müsse nur die Einnahmen ordentlich erhöhen, die Instrumente stünden zur Verfügung.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Das ist Ihrer Denkweise ähnlich! Das ist nicht so weit entfernt! Wer hat denn von den „Heuschrecken“ gesprochen?)

All das, was sich verändert hat, wird als große Verschwörung des internationalen Finanzkapitals dargestellt.

   Wir haben Probleme mit dem ungeregelten internationalen Kapitalverkehr, das ist keine Frage. Wir haben aber auch hausgemachte Probleme in diesem Land, die wir selbst lösen müssen. Es gibt Probleme in diesem Land, die Sie nicht lösen wollen, weil Sie die Veränderungen der Zeit nicht begriffen haben und weil Sie immer noch glauben, dass die Mauer steht und der Nationalstaat alles allein lösen kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Das ist die eine Seite des Hauses. Sie erklären den Staat zum Löser aller Probleme und den Markt für das Problem der Menschen.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Jetzt sind wir dran!)

- Genau, jetzt sind Sie dran.

   Die FDP erklärt den Menschen, der Staat sei ihr größtes Problem. Man müsste die Menschen nur vom Staat befreien, weil der Markt alle Probleme lösen kann, und zwar nach dem alten Motto: Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): So holzschnittartig hat nicht einmal Riemenschneider gearbeitet!)

Das ist das wechselseitige Spiel dieser beiden Fraktionen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Jeder macht sich sein Bild, auf das er einschlägt!)

- Schreien Sie nicht so herum! 

   Wir als Sozialdemokraten wissen, dass wirtschaftliche Dynamik und soziale Gerechtigkeit sich wechselseitig bedingen. Die modernen Volkswirtschaften in Europa, die es zum Teil besser als wir hinbekommen haben, beweisen, dass eine Volkswirtschaft wie die unsrige es sich nicht leisten kann, Menschen massiv von der Teilhabe an Bildungschancen auszugrenzen. Das ist die harte Aufgabe, die wir bewältigen müssen.

   Dass die soziale Herkunft in Deutschland stärker über Bildungs- und Überlebenschancen entscheidet als in anderen Ländern Europas, ist nicht nur verdammt ungerecht, wir können es uns in Zukunft auch wirtschaftlich nicht leisten, auch nur ein Kind in unserer Gesellschaft zurück zu lassen.

(Beifall bei der SPD)

   Aber wir wissen auch, dass soziale Gerechtigkeit nur dann zu verwirklichen ist, wenn wir eine dynamische Wirtschaft haben. Wir wissen auch, dass sich die Dinge verändert haben. Wir haben eine Globalisierung und Europäisierung der Wirtschaft. Der technische Fortschritt hat unsere Arbeitswelt verändert. Die demografische Entwicklung können wir nicht wegdiskutieren. Diesen neuen Herausforderungen müssen wir uns stellen. Diese Koalition tut das auch.

   Wir müssen das beispielsweise auch auf dem Feld der Gesundheitspolitik tun. Darüber wird in den nächsten Tagen viel zu reden sein. Ich finde es gut, dass wir uns miteinander vorgenommen haben, zu einer Lösung zu kommen. Gesundheit ist schließlich das Kernversprechen unseres Sozialstaates. Das Kernversprechen unseres Staates heißt: Wenn du krank wirst, wird dir medizinisch geholfen und du musst nicht arm werden. Das ist keine Banalität angesichts der Situation in anderen Ländern. Es gilt, dieses Versprechen zu halten und zu erneuern.

(Beifall bei der SPD)

   Im Gesundheitswesen müssen eine Reihe von Dingen angepackt werden, beispielsweise die Ausgabenseite. Nach wie vor mobilisieren wir alle Kräfte für das Gesundheitswesen, aber wir erzielen damit nicht immer das beste Ergebnis. Wir müssen zunächst einmal darauf achten, dass mit dem Geld der Beitragszahler vernünftig umgegangen wird. Es ist immer noch so, dass das Geld im Gesundheitswesen an manchen Stellen mit vollen Händen ausgegeben wird, während es an anderen Stellen bereits fehlt, beispielsweise bei der Versorgung chronisch Kranker. Deshalb ist unsere erste Aufgabe, die Strukturen auf der Ausgabeseite zu verändern. Das geht nur, wenn wir das gemeinsam angehen und ein breites Kreuz gegenüber den Lobbyisten, die hier in Berlin versuchen, ihre individuellen Interessen auf dem Rücken der Versicherten durchzusetzen, haben. Wir wollen und werden diese Aufgabe gemeinsam schultern. Dabei lassen wir uns auch nicht von Lobbyistenprotesten umblasen. Wir wollen, dass mit dem Geld der Krankenversicherten im Interesse der Menschen besser umgegangen wird.

(Beifall bei der SPD)

   Wir müssen jetzt die Strukturen verändern. In den letzten 30 Jahren haben wir uns bemüht, die Kosten zu begrenzen. Wir brauchen aber langfristig eine breite Grundlage für unser Gesundheitswesen. Das liegt an der demografischen Entwicklung, an der guten Tatsache, dass wir länger leben, und an der schlechten Tatsache, dass immer weniger Menschen Beiträge an die Krankenversicherungen leisten. Das liegt darüber hinaus an der Tatsache, dass wir zwar einen großartigen medizinischen Fortschritt haben, der jedoch unglaublich teuer ist.

Wenn wir als Abgeordnete nicht in wenigen Jahren den Menschen in unseren Wahlkreisen sagen wollen: „Es gibt jetzt ein ganz modernes Instrument und Medikament gegen deine lebensbedrohliche Krankheit, wir können es dir aber nicht geben, weil kein Geld dafür da ist“, dann müssen wir miteinander die Anstrengung unternehmen, eine breite finanzielle Grundlage für unser Gesundheitswesen zu schaffen. Die SPD ist zu den dafür notwendigen Dingen bereit.

(Beifall bei der SPD)

   Wir werden intensive Verhandlungen führen. Diesen Bereich konnten wir im Koalitionsvertrag zugegebenermaßen nicht hinreichend klären, weil es Zeit braucht, um eine solide und vernünftige Lösung zu finden - Frau Bundeskanzlerin, die wollen wir -, die etwas länger als zwei oder drei Jahre trägt. Es geht nämlich darum, in diesem Bereich in Zeiten des Wandels Sicherheit zu schaffen. Die Menschen in Deutschland müssen sich auf das Gesundheitswesen verlassen können.

   Das ist wichtig, um Vertrauen zu schaffen. Vertrauen ist inzwischen auch eine ökonomische Größe. Wer kein Vertrauen in diese Gesellschaft und in seine persönliche Zukunft hat, der ist so verunsichert, dass er sich beispielsweise beim Konsum zurückhält. „Was kommt noch?“, ist eine oft gestellte Frage. Im Gesundheitswesen müssen wir das Prinzip des Miteinanders einhalten. Die deutschen Sozialdemokraten sind dazu bereit.

   Dieses Land bietet alle Entwicklungschancen. Ich finde, dass wir trotz all der Probleme, die wir haben, auch darüber reden sollten, welche Stärken dieses Land hat. Woran können wir anknüpfen? Trotz mancher Probleme im Bildungsbereich ist die Qualifikation von Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmern immer noch hervorragend. Wissenschaft und Forschung ist in vielen Bereichen immer noch hervorragend. Wir haben immer noch eine hervorragende Infrastruktur und wir haben - vergleichen Sie das mit aktuellen Ereignissen in anderen Ländern - immer noch sozialen Frieden in Deutschland. Das ist nicht nur für die Demokratie, sondern auch für die wirtschaftliche Entwicklung wichtig. Wir haben relativ wenig Streiks und soziale Unruhen haben wir in Deutschland gar nicht. Diese vier Standortvorteile gilt es zu erhalten. Dafür muss man arbeiten. Es gilt der Satz von Willy Brandt:

Wer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen kämpfen.

Das ist nach wie vor richtig.

(Beifall bei der SPD)

   Wir müssen beispielsweise dafür sorgen, dass die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch unter veränderten Rahmenbedingungen zum Tragen kommen. Deshalb war es richtig, dass wir darauf bestanden haben, dass die Tarifautonomie in Deutschland gesichert wird. Wer in diesem Hause, wie zum Beispiel die FDP, den Gewerkschaften das Kreuz brechen will, wird auf den massiven Widerstand von Sozialdemokraten treffen. Das gilt nach wie vor.

(Beifall bei der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das sind aber martialische Bilder!)

Wir wissen - Herr Westerwelle -, dass die meisten Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht im Gesetzblatt stehen, sondern in Tarifauseinandersetzungen hart erstritten wurden. Wir wissen, dass es unter dem Dach des Flächentarifvertrages Flexibilität geben muss. Es gibt sie in Deutschland aber schon tausendfach. Schauen Sie sich das einmal an!

   In meinem Wahlkreis stellen sich die Betriebsräte vor die Belegschaft, wenn es schwierig wird, und scheuen sich nicht, ihren Kolleginnen und Kollegen schlechte Mitteilungen zu machen, wenn es darum geht, das Unternehmen zu erhalten. Die in deutschen Unternehmen gemachten Fehler sind meist von Managern zu verantworten. Das muss man einmal deutlich sagen.

(Beifall bei der SPD)

Die Gewerkschaften in Deutschland sind nicht das Problem. Kluge Unternehmer wissen, dass man Probleme gemeinsam mit Arbeitnehmervertretern lösen kann. Das gelingt in vielen Bereichen, ohne dass darüber groß berichtet wird.

   Insofern betone ich: Es bleibt bei der Tarifautonomie, es bleibt auch bei der Mitbestimmung. Mitbestimmung ist ein wichtiges Thema bei den Betriebsratswahlen, die in diesen Tagen stattfinden: In Deutschland muss es eine Garantie für die Teilhabe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Haben und am Sagen geben.

   Es bleibt auch beim geordneten Ausstieg aus der Atomenergie.

(Beifall bei der SPD)

Das ist ganz wichtig. Machen wir uns nichts vor. Herr Glos, wir müssen damit leben, dass es in der Koalition zu diesem Thema unterschiedliche Auffassungen gibt. Das ist nicht schlimm. Ich betone nur, warum wir der Meinung sind, dass wir diese rückwärts gewandte Debatte jetzt hinter uns lassen sollten, und warum wir uns um andere Bereiche der Energiepolitik zu kümmern haben: Energiepolitik ist eine zentrale Frage der wirtschaftlichen Zukunft dieses Landes, ist eine Frage, die etwas mit der Zukunft der Menschheit im Bereich Klima und Umweltschutz zu tun hat, und ist im Übrigen - das hat Frank-Walter Steinmeier auf der Münchener Sicherheitskonferenz deutlich gemacht - eine zentrale Frage der Außen- und Sicherheitspolitik geworden.

   In den nächsten 20 bis 30 Jahren, am Ende des Erdölzeitalters, werden wir nationale Konflikte um Ressourcen erleben. Es gibt sie schon heute. Deshalb war es richtig, zu fordern, dass Deutschland eine Vorreiterrolle übernimmt - Rot-Grün hat damit angefangen -, die auf drei Prinzipien basiert: erstens auf Versorgungssicherheit, zweitens auf erneuerbaren Energien und drittens auf Energieeffizienz.

   Wir wollen in dieser Koalition miteinander nach Lösungen suchen, um in Deutschland neue Investitionen in moderne Kraftwerkstechnologien auszulösen. Neben dem notwendigen Wettbewerb auf den Strom- und Gasmärkten, den wir wollen, müssen wir in Deutschland neue Investitionen in moderne Kraftwerkstechnik auslösen. Dies ist das Bestreben der Sozialdemokraten.

   Meine Auffassung ist - die müssen Sie nicht teilen -, dass verlängerte Restlaufzeiten für alte, abgeschriebene Atommeiler möglicherweise die Renditen für die großen Energieversorger erhöht hätten - das ist gar keine Frage; alte, abgeschriebene Meiler länger laufen zu lassen, das ist die Lizenz zum Gelddrucken -, aber Investitionen in moderne Kraftwerkstechnik wären damit auf die längere Bank geschoben worden. Deshalb lassen Sie uns beim geordneten Ausstieg bleiben. Das ist schon vernünftig; das ist gar keine Frage. Wir hatten in Deutschland 30 Jahre lang einen Konflikt zwischen Atomkraftbefürwortern und -gegnern. Wir haben es geschafft, diesen zu befrieden. Es gibt in Deutschland einen Vertrag zwischen der Energiewirtschaft und der Politik. Auch da gilt: Pacta sunt servanda, Verträge sind einzuhalten. Wir bleiben dabei.

(Beifall bei der SPD)

   Aber in der Energiepolitik gibt es eine Fülle von anderen Dingen, die wir trotz des Meinungsunterschiedes in dieser Frage miteinander bewegen können. Ich glaube, dass es notwendig ist, Energieeffizienz wirklich zu einem Exportschlager werden zu lassen. Bei dem Energiehunger, den Länder wie China und Indien haben, ist es so, dass wir einen Beitrag zur Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland leisten können, wenn wir unsere Technologien hier entwickeln und exportieren. Gleichzeitig können wir einen Beitrag leisten, um Energiekrisen in der Welt zu entschärfen. Wir brauchen deshalb in Deutschland einen intelligenten Energiemix, der nicht darauf verzichtet, auch Kohle als eine Brücke in eine energiepolitische Zukunft zu begreifen, aber dabei auf höhere Wirkungsgrade setzt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage ganz deutlich. Es gibt in China Kohlekraftwerke, die grottenschlechte Wirkungsgrade haben. Wir in Deutschland haben in diesem Bereich Fortschritte erzielt. Wir müssen die Möglichkeit ergreifen, diese zu exportieren. Wir haben die Notwendigkeit, erneuerbare Energien in diesem Land weiter auszubauen, damit wir auch diese Technologie exportieren können. Auch das sichert Arbeitsplätze und hilft, Krisen in der Welt zu vermeiden.

(Beifall bei der SPD)

   Diese große Koalition ist keine Liebesheirat - das haben wir hin und wieder betont -, sondern sie ist eine Lebensabschnittsgemeinschaft.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das ist Ihnen aufgefallen?)

Aber sie ist ein Bündnis, das mehr bringen kann, als viele vorher erwartet haben. Wir, Herr Kauder, haben im letzten Jahr im Wahlkampf gegeneinander gestanden und wir haben uns, wenn ich mich recht erinnere, nicht geschont. Richtig ist auch, dass das Wahlergebnis keine andere verantwortbare Mehrheit für dieses Land mit sich gebracht hat. Ich sage aber auch aus Überzeugung, dass es mir nicht nur darum geht, eine große Koalition zu haben, weil es nicht anders ging. Wir wollen die Chancen dieser großen Koalition durchaus gemeinsam begreifen. Ich habe es vorhin schon gesagt: Wir können miteinander Großes bewegen. Wir können die Blockaden zwischen Bundesrat und Bundestag hinter uns lassen. Wer, wie viele der Kollegen hier im Haus, einmal in Arbeitsgruppen des Vermittlungsausschusses gearbeitet hat, der kann mit Fug und Recht sagen: Dagegen ist ein orientalischer Bazar hin und wieder eine hochseriöse Veranstaltung.

   Insofern sollten wir die Verantwortung in Deutschland klar strukturieren. Es ist nicht nur eine Frage der Qualität und der Blockaden. Es ist auch eine Frage des Vertrauens der Menschen in Politik. Wenn Menschen nicht mehr klar zuordnen können, wer was auf welcher Ebene zu verantworten hat, dann schafft das Verdruss. Es ist wichtig, klar zu machen, dass der Bund, der Deutsche Bundestag mehr für sich alleine entscheiden kann und dass die Länderparlamente mehr für sich allein entscheiden können. Deshalb wollen wir die Föderalismusreform. Dass man in den nächsten Tagen über das eine oder andere reden können muss, das ist unbeschadet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber ich bekunde: Wir wollen diese Staatsreform für Deutschland, damit die Verantwortlichkeiten der Ebenen klarer getrennt sind und damit die Menschen den Politikern Verantwortlichkeiten klarer zuordnen können.

(Beifall bei der SPD - Volker Kauder (CDU/CSU): Vereinzelt Beifall!)

- Ja, jetzt könnt ihr auch einmal klatschen, oder?

(Beifall des Abg. Manfred Grund (CDU/CSU))

   Ich möchte zum Schluss sagen: Wir wollen Motor der Erneuerung in Deutschland sein. Diese Koalition ist gut gestartet. Die nächsten tausend Tage werden nicht einfach. Wir wollen in diesem Jahr beispielsweise mit der Reform des Gesundheitswesens nachvollziehbare Zukunftssicherheit schaffen. Ich bin mir sicher, dass Gesundheit bzw. das Krankheitsrisiko in diesem Land nur solidarisch abzusichern ist, dass man dazu auch die Schultern heranziehen muss, die breiter sind. Wir haben die Situation, dass 10 Prozent der Menschen in Deutschland privat krankenversichert und 90 Prozent gesetzlich krankenversichert sind. Aber die 10 Prozent haben 30 Prozent des Einkommens. Daher werden wir über einen Ausgleich in diesem Bereich zumindest reden müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Situation, dass immer mehr Menschen in unserem Land gar nicht mehr krankenversichert sind, muss uns auch beschäftigen. Diese Aufgabe haben wir uns im Koalitionsvertrag gestellt. Es kann nicht sein, dass immer mehr Menschen ohne Krankenversicherung sind. Wenn sie dann krank werden, fallen sie ins Bergfreie oder den Kommunen vor die Tür. Deshalb müssen wir darüber reden, was wir tun können. Wer als Abgeordneter Bürgersprechstunden durchführt, der weiß, wovon ich rede. Das betrifft unter anderem kleine selbstständige Unternehmer, die gescheitert sind und nicht mehr in die gesetzliche Krankenversicherung zurückkehren können. Wir müssen diesen Menschen helfen und dürfen sie nicht im Regen stehen lassen. Das sind die Aufgaben, die vor uns liegen.

(Beifall bei der SPD)

   Auch in der Familienpolitik haben wir viel zu schultern. Keine Angst: Die Produktionsmittel bleiben in Privatbesitz. Aber wir müssen uns darüber unterhalten, wie wir ein familien- und kinderfreundliches Land werden. Hier geht es um die zentralen Investitionen in die Zukunft dieses Landes. Bildung, Wissenschaft, Forschung und Familienpolitik sind die Zukunftsfelder, die uns in Deutschland langfristig voranbringen. Das wird die SPD in der großen Koalition deutlich machen.

(Beifall bei der SPD)

   Wir wollen und werden in der Außenpolitik Kurs halten. Wir lassen uns nicht beirren von Leuten, die in der Außenpolitik - das sage ich an die Adresse der PDS - nichts anderes predigen als organisierte Verantwortungslosigkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der LINKEN)

   Ein gestörtes Verhältnis zur Realität hat aber auch die FDP. Die FDP verkündet: Mit der Realität muss man sich abfinden. - Ich kann mich an einen FDP-Politiker erinnern, der den grandiosen Satz gesagt hat, im Zeitalter der wirtschaftlichen Globalisierung könne Politik nicht mehr gestalten. Wer so etwas denkt, der sollte sich selbst als Politiker abschaffen. Natürlich müssen wir gestalten, allerdings mit anderen Instrumenten als bisher. Unsere Aufgabe besteht darin, die Entwicklung im Interesse der Menschen zu gestalten.

   Die PDS geht einen anderen Weg.

(Ulrich Maurer (DIE LINKE): Die Linkspartei, bitte!)

- Nein, Sie bleiben die PDS, die WASG oder wer auch immer Sie sind.

(Beifall bei der SPD)

Mit „links“ hat Ihre linkskonservative Art, Politik zu machen, nicht viel zu tun. „Links“ hat etwas mit Aufklärung zu tun. „Links“ hat etwas mit Weltoffenheit zu tun. „Links“ hat etwas damit zu tun, den Menschen die Wahrheit zu sagen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Deshalb sage ich: Die SPD bleibt die linke Volkspartei in Deutschland.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auf diese Weise werden wir unseren Beitrag zum Gelingen der großen Koalition leisten.

   Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Ein bisschen Beifall, Herr Kauder! Er ist doch jetzt auch Ihrer! - Dirk Niebel (FDP): Genau! Das war doch eine ordentliche Leistung! Da können Sie doch wohl mal klatschen!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Fritz Kuhn vom Bündnis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Bundeskanzlerin! Ich finde, wir müssen uns etwas stärker den Problemen, die vor uns liegen, zuwenden, als es in den bisherigen Beiträgen von FDP und PDS/WASG getan wurde. Sie haben in Ihrer Regierungserklärung klar gemacht, dass Sie eine „Koalition der Möglichkeiten“ sein wollen, die den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land systematisch neue Möglichkeiten eröffnet. Sie wollen die Freiheitsspielräume für alle Menschen in Deutschland unter der Parole „Mehr Freiheit wagen!“ vergrößern. Diese beiden Sätze sind die Prüfsteine für die Reformen, die jetzt vor uns liegen. Daran will ich mich bei dem, was ich für das Bündnis 90/Die Grünen sagen werde, orientieren.

   Ich möchte mit der Außenpolitik beginnen. In der Außenpolitik haben Sie einen viel gelobten Start hingelegt; er sei Ihnen gegönnt. Aber klar ist: Jetzt liegen eine ganze Reihe von großen Problemen vor uns. Eines von ihnen will ich ansprechen: Der Iran strebt nach dem Besitz von Atomwaffen und ist nicht mehr sehr weit davon entfernt, dieses Ziel zu erreichen. Wir alle machen uns zu Recht Sorgen aufgrund der Bedrohungen, die dies für Europa und insbesondere für Israel bedeuten würde.

   In diesem Umfeld fand der Besuch Bushs, des Präsidenten der Vereinigten Staaten, in Indien statt. Das Atomwaffenabkommen, über das dort verhandelt wurde, ist ein Abkommen zwischen Amerika und Indien. Indien hat den Nichtverbreitungsvertrag jahrzehntelang nicht unterzeichnet. Im Zusammenhang mit der internationalen Diskussion über atomare Abrüstung bedeutet dies nichts anderes, als dass Indien, ein Land, das sich bewusst nicht an die atomare Abrüstungspolitik der letzten zehn Jahre gehalten hat, nun belohnt und offiziell in den Status einer Atommacht gehoben wird, positiv sanktioniert durch die Vereinigten Staaten. An dieser Stelle muss die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, wenn sie sich dazu bekennt, dass Deutschland zur weltweiten atomaren Abrüstung steht, öffentlich deutlich machen, dass sie dies für falsch hält.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich habe in der Zeitung gelesen, dass Außenminister Steinmeier gesagt hat, er hätte sich einen besseren Zeitpunkt für dieses Geschäft vorstellen können. Vielleicht ist das eine Form diplomatischer Kritik. Ich habe gelesen, dass Sie, Frau Merkel, mit Präsident Bush telefoniert haben. So einfach funktioniert das aber nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir von den Grünen und viele in diesem Parlament erwarten, dass Sie die internationale Politik der atomaren Abrüstung fortsetzen. Wenn diese durch eine strategische Fehlentscheidung wie die der Amerikaner bezüglich Indiens gefährdet wird, erwarten wir, dass Sie das klar und deutlich sagen. Wie wollen wir denn sonst dem Iran, Nordkorea, Saudi-Arabien oder anderen Ländern - darüber wird wenig diskutiert - klar machen, dass sie keine Atomwaffen haben dürfen, wenn wir nicht deutlich sagen, dass das internationale Regime der atomaren Abrüstung gilt? Ich finde, dass Sie dazu ein klares Wort sagen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Das hätte Fischer alles gemacht?)

   Ich komme nun zum Bereich Innenpolitik und möchte hier mit dem Thema Arbeitsmarktpolitik beginnen. Die Maßnahmen, die Sie bisher ergriffen haben, nämlich den Rentenzuschuss beim Arbeitslosengeld II zu kürzen und die Pauschalen bei den Minijobs anzuheben, sind rein fiskalischer Art. Das ist keine Arbeitsmarktpolitik, die hilft, die Menschen aus der Dauerarbeitslosigkeit herauszuholen. Es wird nur eine Diskussion um Mindestlöhne und Kombilöhne geführt. Wie wollen Sie den Menschen, die lange arbeitslos sind, oder den älteren Arbeitslosen, die eigentlich keine Chance mehr auf einen Arbeitsplatz haben, helfen, wieder in Arbeit zu kommen? Ich finde, bisher liegt von Ihrer Regierung hierzu nichts vor. Auch in den einzelnen Etats des Bundeshaushalts sind keine entsprechenden Zahlen zu finden. Es liegt kein klares Konzept vor.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ihre Antwort ist: Sie wollen die Lohnnebenkosten senken. Sie tun dies aber nicht signifikant. Ich kann Ihnen nicht ersparen, das so deutlich zu sagen. Sie wollen, wenn alles gut geht, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 2 Prozentpunkte senken. Den Beitrag zur Rentenversicherung wollen Sie um 0,4 Prozentpunkte erhöhen. Sie werden, so wie die Dinge im Gesundheitsbereich aussehen, die Sozialversicherungsbeiträge um fast 1 Prozentpunkt anheben müssen. Sie gehen hier ein bisschen runter, dort ein bisschen rauf. Das ist kein Konzept für eine signifikante Senkung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Frau Merkel, ich möchte von Ihnen hierzu eine klare Antwort. Sie können nicht so tun, als würde die Mehrwertsteuererhöhung die Kosten für Gesundheit nicht erhöhen. Sie wissen auch, dass die Verlagerung von Steuermitteln auf die Beiträge Auswirkungen haben wird und die Krankenversicherungsbeiträge steigen werden. Die Politik, die Sie betreiben, ist nicht konsistent.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich habe die Sorge, dass sich der Anspruch, die große Koalition stemme große Strukturprobleme, bei Ihnen nicht in die Wirklichkeit umsetzen lässt. So wie bisher die Diskussion über Mindest- und Kombilöhne geführt wurde, spricht alles dafür, dass auch das schief gehen wird. Die einen sind für Mindestlöhne. Ich will für meine Fraktion sagen: Wenn man das gut macht, also regional und branchenspezifisch differenziert vorgeht und entsprechende Übergangsregelungen vorsieht, dann ist das Konzept der Mindestlöhne richtig. Vor allem wenn man einen internationalen Vergleich vornimmt, lassen sich viele Argumente dafür finden.

   Aber die Kombination von flächendeckendem Kombilohn mit Mindestlöhnen ist ökonomisch der größte Unsinn, den Sie überhaupt anrichten können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihre Vorstellung ist doch: Es wird ein Mindestlohn vorgegeben. Wenn die real existierenden Löhne unterhalb des Mindestlohns liegen, gleicht der Staat die Differenz aus. Wenn Sie das ernsthaft vorhaben - das war in der Diskussion -, dann sage ich: Das wird keinen einzigen Arbeitsplatz schaffen. Das ist eine flächendeckende Milliardensubvention des Arbeitsmarkts, wodurch Dauerarbeitslose aber keine bessere Perspektive bekommen. Das wird dazu führen, dass die Wirtschaft, zum Teil mit Augenzwinkern gegenüber den Gewerkschaften, in diesem Bereich Arbeitsplätze schafft nach dem Motto: Wenn der Staat draufzahlt, kann es nicht verkehrt sein. So ein Konzept brauchen Sie uns in den nächsten Monaten nicht als Reformkonzept für den Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland auf den Tisch zu legen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Frau Merkel, man muss feststellen, dass Sie für die Lösung der Probleme in diesem Land bislang keine konsistente Antwort haben. Die beiden vordringlichen Probleme sind, wie wir erstens neue Jobs im Niedriglohnbereich schaffen können, sodass Arbeit auf dem Erwerbsarbeitssektor endlich möglich ist, und wie wir zweitens die Schwarzarbeit effektiv bekämpfen können. Rechnerisch entspricht das Schwarzarbeitsvolumen 5 Millionen Vollerwerbsarbeitsplätzen.

Dazu habe ich bisher nichts von Ihnen gehört.

   Wir Grünen haben ein Konzept. Da wir festgestellt haben, dass die Schwarzarbeit deswegen so hoch ist, weil das Entstehen von Jobs auf dem Arbeitsmarkt gerade im unteren Lohnbereich durch die Lohnzusatzkosten faktisch unmöglich gemacht wird, wollen wir das Ganze verändern: Die Lohnzusatzkosten, die das größte Problem sind, müssen wir im unteren Lohnbereich niedriger ansetzen, nämlich nicht gleich mit 42 Prozent, wie es heute der Fall ist. Ab dem ersten Euro muss ein geringerer Beitrag für die Sozialversicherungssysteme erhoben werden. Erst bei circa 1 800 bis 2 000 Euro wollen wir beim vollen Satz sein. Das ist ein grünes Progressionsmodell für die Sozialversicherungsbeiträge.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Frau Merkel, der springende Punkt ist, dass Sie bei diesem Konzept mit einer bestimmten Summe Geld - sagen wir, mit 15 Milliarden Euro - wesentlich mehr Arbeitsplatzeffekte erreichen können, als wenn Sie dies bezogen auf die ganze Breite der Lohn- und Einkommensskala tun würden. Das IAB schätzt, dass Sie mit 15 Milliarden Euro bei Umsetzung unserer Vorschläge 500 000 Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich schaffen könnten, während Sie ansonsten nur 200 000 Arbeitsplätze schaffen könnten. Wir haben in Deutschland das Problem, dass die Dauerarbeitslosen keine Chance mehr haben. Deshalb müssen Sie Ihre Politik auf diesen Bereich konzentrieren und nicht die gesamte Skala der Löhne und der Beschäftigung heranziehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich möchte nun zur Gesundheitspolitik kommen. Soweit wir das verfolgen können, sehen wir, dass sich in den Diskussionen hier einiges Wildes abspielt. Heute Nachmittag gibt es ja wieder ein entsprechendes Treffen.

   Ich will es einmal ganz einfach sagen. Wir haben folgende Situation: Wir haben ein sehr teures Gesundheitssystem und wir belasten die Löhne falsch, weil wir zu viel über den Lohn finanzieren.

   Übrigens, Herr Lafontaine, in Ihrer simplen Ökonomieanalyse kommen Sie immer mit der Steuer- und Abgabenquote; Sie stellen aber nicht die Frage, wie hoch die Lohngesamtkosten im internationalen Vergleich sind. Gestern wurde die Zahl deutlich genannt: Im internationalen Vergleich haben wir die zweithöchsten Lohngesamtkosten nach Dänemark, und zwar deswegen, weil wir mit den Lohnnebenkosten an der falschen Stelle ansetzen. Sie halten das für eine neoliberale Diskussion. Mit Ihrem ökonomischen Dogmatismus, der etwas Eitles hat und aus der Vergangenheit stammt - ich will mich nicht näher damit beschäftigen -, verabschieden Sie sich aus jeder ökonomischen Klarheit bezüglich der Investitionen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Frau Merkel, ich will hier ein klares Konzept sehen. Irgendein Mischmaschkonzept werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Aus dem Konzept muss erstens klar werden, wie wir in Deutschland zu mehr Prävention kommen. Das beste Gesundheitssystem ist nämlich eines, das die Kosten vermeidbarer Krankheiten reduziert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Im Jahre 2005 haben Sie ein Präventionsgesetz - der Umfang der Zahlungen sollte immerhin 250 Millionen Euro betragen - im Bundesrat scheitern lassen. Bislang ist an dieser Stelle nichts von Ihnen gefolgt. Wir könnten also einsparen, indem die Leute weniger krank werden und wir hier in Deutschland eine vernünftige Prävention durchführen. Hier sind wir im internationalen Vergleich schwächer als andere vergleichbare Länder. Das muss sich ändern. Kommen Sie nicht mit einem Kompromiss, in dem zur Prävention nichts essentiell Neues formuliert ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Zweitens. Kommen Sie nicht mit einem Kompromiss, der nur auf der Einnahmenseite greift. Ich sage Ihnen: Wenn Sie neues Geld für das Gesundheitssystem herschaffen, den Verteilmechanismus zwischen der Ärzteschaft und den Kassen, zwischen denen, die heute von dem Ganzen profitieren, aber nicht substanziell verändern, dann wird das neue Geld so schnell weg sein, so schnell können Sie gar nicht schauen, wodurch Sie nichts zur Reform des Gesundheitssystems in Deutschland beigetragen haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Deswegen sind die Frage nach mehr Wettbewerb im Gesundheitssystem, die Frage nach Transparenz für die Patientinnen und Patienten und die Frage nach Prävention essenziell. Wir müssen nämlich auch die Ausgabenseite des Gesundheitssystems - und nicht nur die Einnahmenseite - bearbeiten.

   Sie wissen, dass wir bei der Strukturreform für eine Bürgerversicherung sind, durch die die Finanzierung des Gesundheitssystems auf eine breitere und solidarischere Grundlage gestellt wird. Ich habe die Sorge, dass Sie aufgrund der Aufstellung, die Sie nun einmal haben - die Kopfpauschale auf der einen Seite und die Bürgerversicherung auf der anderen Seite -, zu einem richtig miesen, faulen Kompromiss kommen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   In der Diskussion sind die lohnbezogenen Arbeitgeberbeiträge - gedeckelt oder nicht gedeckelt -, die Arbeitnehmerbeiträge auf der breiteren Grundlage aller Einkunftsarten, ein kleines Kopfgeld bzw. eine kleine Kopfprämie und schließlich ein Gesundheitssoli. Ich sage Ihnen klipp und klar voraus: Dieses Gemisch, das Sie hier vorhaben, wird schlechtere Ergebnisse zur Folge haben als jedes der einzelnen Modell allein, die vorher in der Diskussion waren. Darauf können Sie Gift nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Deswegen müssen Sie, Frau Merkel, wenn Sie den Anspruch haben, mit der großen Koalition die großen Strukturprobleme in unserem Land zu lösen, schon mehr Mut beweisen als mit dieser Kompromissmischtechnik, die Sie in anderen Bereichen, so wie es im Koalitionsvertrag steht, angewendet haben.

   Wenn Sie die Frage zum Verhältnis zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und der PKV nicht aufgreifen und Sie keinen Risikostrukturausgleich zwischen diesen beiden Versicherungssystemen schaffen, dann können Sie alles, was Sie hier machen wollen, einpacken. Was soll das für ein System sein, wenn nur die Kapital- oder Mieteinkünfte der Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung herangezogen werden, aber nicht die der Mitglieder in der PKV?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt, dass Sie an das Vermögen der kleinen Leute, falls diese Mieteinnahmen zur Alterssicherung haben, herangehen, dass aber die Gutverdienenden in der PKV außen vor bleiben. Das ist keine Verbreiterung; das, was Sie offensichtlich anstreben, ist vielmehr ein richtig mieser Kompromiss.

   Wir werden die Diskussion begleiten. Aber wir lassen es Ihnen nicht durchgehen, dass Sie um des Koalitionsfriedens willen - ich sage noch einmal: Der Honeymoon, also die Phase des netten Lächelns, ist vorbei - einen Kompromiss schließen, der keine tatsächlichen Strukturreformen im Gesundheitssystem bedeutet.

   Ich möchte etwas zum Thema Wirtschaft und Innovationen sagen. Auf diesem Gebiet sind Sie richtig schwach. Sie stellen für vier Jahre 6 Milliarden Euro für die Forschung zur Verfügung. Eine kleine Bemerkung am Rande: In Deutschland geben wir jedes Jahr 6 Milliarden Euro für Agrarsubventionen aus. - Aber ansonsten beschließen Sie in diesem Bereich Kürzungen. Der EU-Finanzkompromiss im Dezember bedeutet nichts anderes als eine Kürzung der Mittel für Forschung und Wissenschaft auf europäischer Ebene. Sie, liebe Frau Merkel, haben dem zugestimmt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Alle Welt weiß, dass die Zukunft der Arbeitsplätze in der Wissensgesellschaft liegt. Die einzige Chance für Deutschland besteht darin, eine Spitzenstellung in der Wissensgesellschaft mit Innovationen, also mit neuen Produkten und Dienstleistungen, zu erreichen, die andere, egal mit welchen Lohnkosten, noch nicht bereitstellen können. Was machen Sie? Sie flüchten sich unter dem Namen „Mutter aller Reformen“ der Föderalismusreform in die Kleinstaaterei und geben als Bundesregierung auf einem Gebiet, wo es gilt, die Wissensgesellschaft zu gestalten, den Anspruch auf, an dieser Stelle ein Wort mitzureden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Damit Ihnen der Koalitionskompromiss nicht um die Ohren fliegt, sitzen Sie mit dem dicken Hintern der großen Koalition auf dem vereinbarten Paket der Föderalismusreform,

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

anstatt endlich das zu machen, was in den Ländern - zum Teil auch von der SPD - als Notwendigkeit erkannt wird, nämlich das Bildungssystem der Zukunft gemeinsam zu gestalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich frage: Frau Merkel, wo ist eigentlich der Wirtschaftsminister?

(Zurufe von der FDP: Da ist er doch!)

- Er ist jetzt also da.

   Wenn es darum geht, für Deutschland Innovationspolitik zu gestalten, dann kann ich nur sagen: Der Autismus, Herr Glos, mit dem Sie zweimal in der Woche eine Presseerklärung herausjagen, man solle den Ausstieg aus der Atomenergie rückgängig machen, ist keine wirtschaftspolitische Gestaltung für ein zukunftsfähiges Industrieland.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Lieber Michael Glos, ich habe in der Zeitung gelesen, dass Sie sich beim Besteigen eines Hybridautos anlässlich eines Besuches in Japan den Kopf gestoßen hätten.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Üben!)

Nehmen Sie das als Wink Gottes.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Herrgott, lieber Herr Glos, wollte Ihnen sagen, dass Sie sich einmal systematisch um Themen wie ökologische Modernisierung, nachhaltige Mobilität und eine neue Energiepolitik kümmern sollen; denn da liegt die industriepolitische Zukunft der Bundesrepublik Deutschland.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): So gottesfürchtig kenne ich die Grünen gar nicht!)

   Frau Merkel, ich erhebe den Vorwurf, dass Sie sich vor der Beantwortung der Fragen, mit was wir in Zukunft unser Geld verdienen wollen, welche Visionen wir in der Industriepolitik und beim Aufbruch Deutschlands in eine neue Wirtschaftspolitik haben, und vor Ihrer Verantwortung für die Zukunft, die Sie an dieser Stelle haben, mit Ihren kleinen Trippelschritten aus dem Staub machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wenn Herr Glos so weitermacht, werden Sie in der Wirtschaftspolitik keinen Blumentopf gewinnen. Herr Glos, Sie haben sich etwas vorschnell in die Tradition von Ludwig Erhard gestellt. Ludwig Erhard hatte eine klare Vorstellung von der Marktwirtschaft. Er wusste, dass man die Wirtschaft auf der einen Seite in Ruhe lassen muss, aber auf der anderen Seite einen echten Rahmen schaffen muss, der den Wettbewerb erst ermöglicht.

   Wo ist Ihr Engagement für mehr Wettbewerb in der Bundesrepublik Deutschland? Was machen Sie zum Beispiel im Energiebereich? Vier große Energiekonzerne beherrschen den Markt und können die mittelständische Energiewirtschaft, die es bei uns schließlich auch gibt, mit den Durchleitungsgebühren richtig in die Knie zwingen. Dazu habe ich von Ihnen noch nichts gehört, Herr Glos. Vor dieser Frage haben Sie sich gedrückt. Deswegen sind Sie kein guter Wirtschaftsminister.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der LINKEN)

   Wir müssen auch über den Haushalt reden, Frau Merkel. Dieser Haushaltsplanentwurf entspricht nicht der Gestaltung neuer Möglichkeiten - ich beziehe mich damit auf Ihre Regierungserklärung -; es ist vielmehr ein ziemlich bequemer Haushalt, weil er die Konsolidierung nicht an der Stelle in Angriff nimmt, an der sie beginnen müsste.

   Die Einnahmen brummen. Wir werden in Deutschland 6 Milliarden bis 7 Milliarden Euro - die Angaben schwanken je nach Institut - zusätzlich einnehmen. Die Einnahmen brummen, aber was machen Sie? Statt sich um Zukunftsgestaltung, Gestaltung neuer Möglichkeiten und Freiheit für künftige Generationen zu bemühen, erhöhen Sie im Jahr 2006 in dem Moment, wo die Einnahmen brummen, die Verschuldung um weitere 7 Milliarden Euro.

   Gestern hat uns der Finanzminister erklärt, dies sei ein Jahr der Konjunkturunterstützung. Die Konjunktur, wie sie sich derzeit entwickelt, braucht keine Unterstützung in Form einer Neuverschuldung um 7 Milliarden Euro. Notwendig ist vielmehr eine Haushaltskonsolidierung, die Sie in diesem Jahr aber nicht angehen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich nenne Ihnen auch den Grund dafür. Es ist eine billige Nummer: Sie wollen im ersten Jahr der großen Koalition den schwierigen und unbequemen Weg der Haushaltskonsolidierung nicht einschlagen. Sie haben den Haushalt einer Honeymoon-Koalition vorgelegt; es ist kein Haushalt einer Koalition, die die Zukunft gestalten will.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Es ist ganz einfach. Hans Eichel kam immer in Bedrängnis und Panik, wenn zu wenig Einnahmen erzielt wurden. Peer Steinbrück kommt in Panik, weil die Einnahmen plötzlich zu hoch sind. Anders ist doch die Hektik, mit der Sie die Mehrwertsteuererhöhung beschließen wollen, nicht zu erklären.

   Sie betreiben in diesem Jahr eine schöne Honeymoon-Haushaltspolitik und verüben im nächsten Jahr mit der Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte einen Anschlag auf die Konjunktur und die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Die Theorie, die der Finanzminister gestern erläutert hat - er ist leider gerade nicht anwesend -, hatte ein bisschen mit Voodoo zu tun. Sie handeln nach dem Motto „Jetzt so viel Anlauf nehmen, dass der Anschlag auf die Konjunktur im nächsten Jahr verdaut werden kann“. Frau Merkel, das ist so, als wenn Sie über das Wasser laufen und der Gefahr des Einsinkens dadurch begegnen wollten, dass Sie schneller Anlauf nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Was Sie vorgelegt haben, ist wirtschaftlicher Unsinn. Es gibt eine Alternative, und zwar den Subventionsabbau. Alle Institute - das Kieler Institut für Weltwirtschaft, das DIW und andere - rechnen Ihnen vor, dass Sie schon in diesem Jahr unter der Defizitgrenze von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bleiben könnten und auf einen solchen Anschlag auf die Konjunktur verzichten könnten. Unser Bundeshaushalt steckt noch voller Subventionen, die wir abbauen können. Wir werden Ihnen das in den Beratungen im Einzelnen zahlengenau vorrechnen.

   Ich möchte noch etwas zum Thema Entwicklungsfinanzierung sagen, Frau Merkel. Davor haben Sie sich völlig gedrückt. Sie haben sich in der Regierungserklärung dazu bekannt, dass die Bundesregierung ihr Ziel, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Entwicklungsfinanzierung einzusetzen, bis 2015 erreichen will. Aber der Haushalt gibt keinerlei Aufschluss über die Frage, wie Sie das tun wollen. Sie haben keinen Umsetzungsplan und Sie haben die französische Initiative einer Flugticketbesteuerung, aus der das Vorhaben finanziert werden könnte - 13 Staaten haben dem Vorschlag zugestimmt -, durch Schweigen und Wegschauen nicht gerade positiv begleitet. Sie haben keine Antwort auf die entscheidende Frage, wie wir in Zukunft die Entwicklung finanzieren sollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich sage Ihnen ohne düstere Prophetie - der düstere Prophet Oskar Lafontaine hält sich jetzt an Oswald Spengler mit seinem Hauptwerk „Der Untergang des Abendlandes“; ich würde sagen, das passt zu Ihnen, lieber Herr Lafontaine -:

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Was wir an der Entwicklungsfinanzierung einer gerechten Weltordnung fehlen lassen, werden wir später teuer zu bezahlen haben. Deswegen ist es notwendig, unser Versprechen hinsichtlich der 0,7 Prozent endlich einzulösen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich möchte noch zwei Punkte im Zusammenhang mit der Gesellschaftspolitik ansprechen, Frau Merkel. Denn ob eine Koalition groß ist oder nur faul und behäbig, zeigt sich auch daran, ob sie zentrale Probleme unserer Gesellschaft wahrnimmt, angeht und löst.

   Das Erste ist die Kinderpolitik. Davon wird erstaunlich viel geredet; aber es wird sehr wenig gemacht. Die Vereinbarkeit von Beruf, Karriere und Kindern ist in Deutschland im internationalen Maßstab nicht ausreichend gewährleistet. Wir sind an dieser Stelle ein Entwicklungsland. Der Hauptgrund ist, dass in Deutschland, vor allem in den süddeutschen Bundesländern, in Bayern und Baden-Württemberg, Plätze für Kinder unter drei Jahre in den Kinderkrippen fehlen. Ich rede nicht über die Qualität der Betreuung - darüber müssten wir eigentlich auch diskutieren -, sondern nur darüber, dass viele Mütter und Väter keine Betreuungsplätze für ihre unter dreijährigen Kinder finden. Mit dem Elterngeld - das ist durchaus ein diskutables Konzept, auch wenn es viel kostet - machen Sie aber den dritten bzw. den vierten Schritt vor dem ersten. Deswegen fordern wir vom Bündnis 90/Die Grünen Sie auf: Schaffen Sie zuerst eine ausreichende Zahl an Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahre! Wenn dann noch Geld übrig ist, können wir darüber reden, was noch Sinnvolles gemacht werden kann. Aber es darf nicht umgekehrt sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was hat denn eine junge Mutter davon, ein Jahr lang das von Ihnen geplante Elterngeld in Anspruch zu nehmen, wenn sie weiß, dass es anschließend schief geht, weil sie keinen Betreuungsplatz für ihr Kind hat?

   Sie haben im Koalitionsvertrag eine Überprüfung der Entwicklung bei den Kinderkrippen bis 2010 vorgesehen. Wer weiß schon, ob es, wenn Sie 2010 feststellen, dass die Situation bei den Kinderkrippen noch immer so mies ist wie heute, nicht wieder vier, fünf Jahre dauert, bis eine vernünftige Zahl an Betreuungsplätzen erreicht wird? Aus heutiger Perspektive bedeutet Ihre Ankündigung: Zehn Jahre werdet ihr auf jeden Fall noch warten, bis etwas Vernünftiges passiert. Sie sagen ständig, dass Sie in zehn Jahren im internationalen Vergleich überall auf Platz drei stehen wollen. Ich sage Ihnen angesichts Ihrer Politik aber: Sie werden auch in zehn Jahren bei der Kinderbetreuung auf dem letzten Platz stehen. Sie müssen dringend etwas ändern, wenn Sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Sie sich auf die Fahne geschrieben haben, tatsächlich gewährleisten wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir sollten aufhören, den Streit über die Lösung des demografischen Problems, also die Tatsache, dass es in Deutschland zu wenige Kinder gibt, auf dem Rücken der jungen Frauen und Männer auszutragen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn diese noch zehn Jahre die blöde Diskussion, die nach dem Muster verläuft, diejenigen, die heute 20 oder 25 sind, seien an der demografischen Entwicklung schuld, verfolgen müssen, dann werden sie noch weniger Kinder bekommen. Vielmehr sollte sich die Politik auf ihr Kerngeschäft besinnen, die Rahmenbedingungen für Familienfreundlichkeit und Kinderfreundlichkeit sowie für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Alles andere werden dann die Menschen machen. Weiter sollten wir uns nicht einmischen. Aber den Druck müssen wir herausnehmen. Sonst sagen die jungen Leute: Von euch lassen wir uns das nicht mehr vorhalten!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Lassen Sie mich noch ein Wort zum Thema Integration und Einwanderung sagen. Frau Merkel, Sie haben sich in Ihrer Regierungserklärung und in vielen anderen öffentlichen Äußerungen zur Integration bekannt. Aber das wird durch Ihre Haushaltspolitik nicht bestätigt; denn Sie haben die Mittel für Integrationskurse um 67 Millionen Euro gekürzt. Das sind 32 Prozent des betreffenden Gesamtetats. Sie bekennen sich zwar in Sonntagsreden zur Integration. Aber dort, wo es um Sprachkurse und Landeskunde geht, kürzen Sie rabiat. Ich halte das für nicht verantwortbar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Frau Böhmer wird sicherlich sagen, dass 2005 nicht alle Mittel abgerufen worden seien und dass daher die Kürzungen gerechtfertigt seien. Aber es ist logisch, dass wir zunehmend mehr Sprachkurse in Deutschland brauchen. Diese Kurse sind ein Renner. Wenn Sie nachgedacht hätten, dann wäre Ihnen bestimmt eingefallen, wie Sie die nun gestrichenen Mittel hätten vernünftig einsetzen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Stattdessen nerven Sie die Menschen mit albernen Einbürgerungstests. Sie sollten sich einmal die Parallelität vor Augen führen. Auf der einen Seite werden die Mittel für Integration gekürzt. Auf der anderen Seite ist das, was von Baden-Württemberg vorgeschlagen wurde, nichts anderes als ein Idiotentest.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Den von Hessen vorgeschlagenen Einbürgerungstest hätte selbst die Hälfte der Deutschen nicht bestanden. Deutschland würde wirklich aussterben, wenn wir die Einwanderung mit solchen Tests regelten.

   Frau Merkel - ich sage das in erster Linie an die Adresse der Union -, Sie haben noch immer ein ideologisches Problem. Wir sind faktisch ein Einwanderungsland und sind in wirtschaftlicher Hinsicht sogar auf Einwanderung angewiesen. Es gibt keine innovative Ökonomie, die nicht systematisch Einwanderung zulässt. Schauen Sie doch auf die USA oder nach Großbritannien!

Aber Sie wollen es nicht. Sie haben nicht begriffen, dass wir hier einen Sprung nach vorn machen müssen,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

zum Beispiel bei der konsequenten Anwendung des Einwanderungsgesetzes. Ich wünsche mir, dass Sie da mehr tun.

   Zeigen Sie mir ein Land in Europa oder auf der Welt, das systematisch hoch ausgebildete junge Schüler und Schülerinnen oder Studenten und Studentinnen, die Besten, abschiebt wie zum Beispiel die junge Kurdin, die beim Bundespräsidenten eingeladen war und vier Wochen später abgeschoben werden sollte, und das nur aus Dogmatismus, nur weil wir nicht in der Lage sind, eine vernünftige Einwanderung solcher Menschen in Deutschland zu realisieren!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Frau Merkel, wir können uns das, was Sie da - ich behaupte: aus ideologischer Verblendung - veranstalten, weder gesellschaftlich noch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten und schon gar nicht unter Wirtschaftsgesichtspunkten leisten, weil wir gut ausgebildete Leute in unserem Land brauchen. Deswegen fordere Sie auf, Ihr ideologisches Konzept zu überdenken; sonst werden Sie Deutschland nicht zu einem Land der Möglichkeiten und der neuen Freiheiten machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich komme zum Schluss. Wenn ich sehe, was Sie bisher auf den Tisch gelegt haben, dann bekomme ich nicht den Eindruck, dass Ihre Koalition groß ist. Sie ist eher breit. Sie arbeitet nach dem Mechanismus „Von diesem ein bisschen, von jenem ein bisschen“, aber vermeidet klare Strukturreformen. Dabei haben wir alle zusammen in den letzten Jahren gelernt, dass es auf strukturelle Reformen ankommt und dass es nicht damit getan ist, lediglich hier und dort ein bisschen zu verändern.

   Deswegen sage ich: Wenn Sie diese Politik nicht ändern, werden Sie bei der ökologischen Modernisierung nichts erreichen und auch bei den Innovationen nicht. Sie werden nicht in sozial gerechter Weise mehr Freiheit für alle bewirken und vor allem werden Sie keine nachhaltige Politik im Interesse künftiger Generationen realisieren. Dieser Haushalt wäre eine Chance, zu springen. Ich hoffe, dass Sie in den Beratungen der nächsten Monate wenigstens an der einen oder anderen Stelle ein Stück vorankommen.

   Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. Wir alle haben gestern die Nachricht von der Freilassung des Afghanen Abdul Rahman gehört. Ich denke, wir sind uns in diesem Hohen Hause einig: Wir haben diese Nachricht mit großer Erleichterung aufgenommen.

(Beifall im ganzen Hause)

   Es war für uns schon erschütternd, zu hören, dass Herrn Rahman der Tod drohte, nur weil er zum Christentum konvertiert ist. Ich möchte deshalb allen danken, die die Bemühungen der Bundesregierung um seine Freilassung unterstützt haben. Denn es war die einhellige Unterstützung in unserem Land und international, die dazu geführt hat, dass er freigelassen worden ist.

(Vorsitz: Präsident Dr. Norbert Lammert)

   Warum sage ich das zu Beginn? Ich sage das, weil wir damit deutlich gemacht haben, dass wir es nicht akzeptieren, wenn Menschenrechte missachtet werden, dass wir es nicht akzeptieren, wenn die Religionsfreiheit einfach außer Kraft gesetzt wird. Wir akzeptieren das aus zwei Gründen nicht: weil es zum einen um das Schicksal einzelner Menschen geht, weil wir es den Betroffenen schuldig sind, zum anderen aber auch uns selbst. Denn in einer Zeit globaler Märkte, in einer Zeit, in der wir international vor großen Herausforderungen stehen, in einer solchen Zeit dürfen wir unsere Werte der Demokratie und der Menschenrechte nicht nur im Munde führen, sondern wir müssen sie auch behaupten. Das können wir nur, wenn wir entschlossen und ohne Zögern für sie eintreten, damit auch außerhalb unseres Landes erkennbar wird, dass wir sie behaupten wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

   Wir müssen uns immer wieder selbst vergewissern, dass wir das wollen; denn wir leben am Anfang des 21. Jahrhunderts in einer veränderten Welt, in einer Welt, die nach dem Ende des Kalten Krieges neue Gefährdungen kennt, in einer Welt, in der wir neue Wettbewerber haben. Das heißt, unser demokratisches Selbstverständnis steht insoweit auf dem Prüfstand, als wir in jedem einzelnen Fall beweisen müssen, ob wir es mit unserer Politik ernst meinen oder nicht.

   Wir sind in den letzten 130 Tagen schon mit vielen Dingen konfrontiert worden. Ich denke nur an den Karikaturenstreit, durch den uns bewusst geworden ist, dass auch unsere Grundwerte - auf der einen Seite die Pressefreiheit, auf der anderen Seite die Religionsfreiheit - immer wieder in einem Spannungsverhältnis stehen. Ich denke auch - das wurde heute schon angesprochen - an die Diskussion über den Iran und die Frage, inwieweit wir verhindern können, dass der Iran in den Besitz von Atomwaffen kommt, und inwieweit Deutschland in diesem Prozess - im Übrigen seit Jahren - Verantwortung übernommen hat.

    Die Tatsache, dass drei Mitgliedstaaten der Europäischen Union - Frankreich, Großbritannien, Deutschland - gemeinsam Verhandlungen geführt haben und weiter in diesen Prozess eingebunden sind, stellt uns vor die Herausforderung, nicht nur passiv zu kommentieren, ob die Diplomatie eine Chance hat, sondern aktiv jeden Tag dafür zu arbeiten, dass Diplomatie zum Erfolg führt. Wenn an diesem Donnerstag ein Treffen der Außenminister von sechs Staaten stattfindet, dann beweist Deutschland damit, dass es seine Chance in diesem Prozess nutzen und deutlich machen will, was in der internationalen Gemeinschaft geht und was nicht geht und wo Schranken gesetzt werden müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Wir haben in dieser Woche über die Frage gesprochen, ob sich Deutschland im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Kongo engagieren soll. Das ist eine schwierige Frage. Es kann niemand sagen, dass es im Kongo keinerlei Risiken gibt. Wir haben uns aber seit Jahren in einem diplomatischen Prozess und in der Entwicklungshilfe engagiert und wir haben dafür gesorgt, dass demokratische Strukturen langsam eine Chance bekommen können. Wir haben Geld investiert, wir haben Polizisten ausgebildet und wir haben dafür Sorge getragen, dass dort heute nicht mehr Millionen von Menschen umkommen. Das ist ein Riesenerfolg und diejenigen, die das selber beobachtet haben, wie das einige Kollegen getan haben, haben davon berichten können.

   Jetzt stellt sich eine ganz entscheidende Frage: Gelingt es, dort Wahlen durchzuführen, und soll sich die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik dort für einen begrenzten Zeitraum engagieren? Darüber muss intensiv diskutiert werden. Aber das, was nicht geht, ist, traurig zu gucken, wenn uns eines Tages wieder Bilder von der Straße von Gibraltar erreichen, die zeigen, wie Flüchtlinge aus Afrika nach Europa kommen wollen, auf der anderen Seite aber dann, wenn wir von der UNO um Hilfe gebeten werden, Nein zu sagen und nicht mitzumachen. Das geht nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Natürlich geht es bei diesen Fragen nicht nur um militärische Unterstützung. Der Prozess im Kongo zeigt das. Ich kann das für den gesamten Bereich der Entwicklungspolitik sagen. Herr Kuhn, ich bekenne mich heute noch einmal zu der ODA-Quote. Ich sage Ihnen aber auch, dass die Wege, die dorthin führen, noch nicht genau beschrieben sind. Unsere Glaubwürdigkeit wird aber auch davon abhängen, ob wir unsere internationalen Verpflichtungen einhalten.

   Ich muss allerdings leise darauf hinweisen, dass auch vergangene Regierungen - nicht nur die letzte, sondern auch schon die vorletzte - nicht immer konsequent waren. Ich sage Ihnen nur: Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts werden uns immer stärker dazu zwingen, auch an dieser Stelle deutlich zu machen, dass wir glaubwürdig sind, weil ansonsten andere auf der Welt uns und unsere Wertvorstellungen nicht ernst nehmen. Ich glaube, dass die Dringlichkeit in den nächsten Jahren zunimmt. Daraus wird sich die Erfüllung unserer Verpflichtungen ergeben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Ich bin froh, dass wir uns im Zusammenhang mit Weißrussland in der Europäischen Union, aber auch hier in Deutschland ganz klar geäußert haben. Die dortige Opposition bedarf unserer Unterstützung, weil Opposition zu einem demokratischen Gemeinwesen gehört. Als demokratisches Gemeinwesen kann man Weißrussland leider noch nicht bezeichnen. Es gab dort massive Wahlfälschungen und das muss benannt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich sage das deshalb zu Beginn meiner Rede, weil das Eintreten für Werte unsererseits von anderen außerhalb Deutschlands, außerhalb Europas beobachtet wird und weil das konsequente Eintreten für Werte natürlich auch Respekt verschafft, und zwar in einer Welt, in der wir auch ökonomisch vor neuen Herausforderungen stehen. Diese neuen Herausforderungen haben damit zu tun, dass Menschen in China, in Indien, in den mittel- und osteuropäischen Staaten plötzlich sagen: Auch wir haben jetzt die Möglichkeit, am Wettbewerb teilzunehmen; auch wir wollen, dass unser Lebensstandard steigt. Wir können nicht erklären, warum wir zwar für uns etwas in Anspruch nehmen, es anderen aber nicht gönnen. Das wäre keine demokratische Haltung.

   Wegen des verstärkten Wettbewerbs sind wir aufgefordert, deutlich zu machen, was wir wollen. Wir sind für das Modell der sozialen Marktwirtschaft, für den Ausgleich zwischen sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Stärke, für die Teilhabe jedes Einzelnen, für die Unteilbarkeit der Menschenrechte, für die Unantastbarkeit der Würde des Menschen. Das sind unsere Maßstäbe. Sie müssen sich jetzt in einer Welt beweisen, die wir nicht durch Abschottung gestalten können. Nachdem wir die Mauer durch Deutschland beseitigt haben, können wir jetzt nicht eine Mauer um Deutschland ziehen. Nach meiner Auffassung müssen wir deutlich machen, dass wir nur durch Offenheit und durch ein Bekenntnis zur Freiheit bestehen können. Ich meine eine verantwortete Freiheit, die neue Gerechtigkeit schafft. Das ist der Ansatz, mit dem Deutschland seine Probleme lösen muss.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Carl-Ludwig Thiele (FDP))

   Daraus erwächst die Aufgabe dieser Regierung. Wir haben gesagt, sanieren, investieren, reformieren. Mit dieser Etappe haben wir losgelegt und dabei haben wir einiges zustande gebracht. Ich will mich damit heute nicht lange aufhalten. Ich will nur sagen: Der Haushalt, über den wir heute debattieren, ist ein Haushalt in einer Legislaturperiode, die sich das Sanieren zur Aufgabe gemacht hat. Dieses Sanieren darf Wachstum aber nicht abkoppeln und nicht verhindern, sondern muss es sehr wohl möglich machen. Deshalb ist dieser Haushalt im Zusammenhang mit anderen Haushalten zu sehen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sehr wahr!)

   Selbstverständlich haben wir gesagt: Wir investieren. Herr Gerhardt, Sie haben heute gesagt, wir geben den Menschen nicht alles zurück, was wir zusätzlich investieren. Aber Sie haben dabei nicht gesagt, dass wir auf einem Schuldenberg sitzen und dass wir diesen Schuldenberg abbauen müssen, dass wir zumindest die Neuverschuldung abbremsen müssen. Das ist schwer genug.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Von Schuldenabbau ist in dem Haushalt allerdings nicht viel zu merken!)

- Ich finde wirklich, Sie sollten sich das einmal ganz ruhig anhören.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das ist wirklich besser so. 130 Tage nach Regierungsbeginn kann man noch ruhig zuhören.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Noch gibt es die Freiheit, einen Zwischenruf zu machen!)

- Es ist das demokratische Recht, dazwischenzurufen. Aber noch schöner ist, wenn auch die Opposition auf der Zeitschiene konsistent und glaubwürdig ist. Das trägt dazu bei, dass das Zutrauen zur Politik wieder besser wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Da hat sie Recht!)

   Wenn wir Schulden abbauen und neue Investitionsspielräume schaffen wollen, dann können wir nicht alles gleichzeitig machen - Wachstum plus Haushaltskonsolidierung -, ohne über die Einnahmeseite zu sprechen. Ich muss der FDP nun wirklich sagen - Sie wissen es ganz genau -: Wenn Sie sich einmal den Bleistift nehmen, alles in aller Ruhe richtig addieren und das, was Sie vorhaben, in Gesetzesform gießen, dann zeigt sich, dass bei all Ihren Vorschlägen riesige Lücken klaffen. Man kann keine Steuerreform durchführen, die Mindereinnahmen in Höhe von 27 Milliarden Euro vorsieht, und so tun, als ob man nicht gleichzeitig über Mehreinnahmen nachdenken muss.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde ehrlich, was wir tun. Ehrlichkeit ist die Grundlage für Vertrauensgewinn. Es ist vernünftig, so vorzugehen: sanieren, investieren - 25 Milliarden Euro - und reformieren.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Vor der Wahl hörte sich das anders an! - Joachim Poß (SPD): Da hat er auch wieder Recht!)

Es ist gesagt worden, dass keine Strukturreformen sichtbar sind. Herr Kuhn und andere, Sie wissen genau, diese große Koalition hat entschieden - diese Entscheidung wurde übrigens in den ersten 130 Tagen, vor und nicht nach den Landtagswahlen getroffen -, den Menschen im Zusammenhang mit dem Rentenversicherungsbericht deutlich zu sagen: Unsere demografische Entwicklung bedingt, dass wir miteinander auch über eine verlängerte Lebensarbeitszeit sprechen müssen. Diese Aussage war richtig und sie war mutig. Weil wir eine große Koalition sind, war es auch so, dass die Volksparteien nicht gegeneinander, sondern miteinander argumentiert haben. Jeder kann sich vorstellen - das kann sich auch jede Regierungskoalition vorstellen -, wie die Landtagswahlkämpfe abgelaufen wären, wenn wir nicht zusammen gewesen wären. Da haben wir eine Chance dieser großen Koalition genutzt. Sie hat uns - auch das ist ein Ergebnis der Wahlen - nicht geschadet. Darauf können wir ein Stück stolz sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Ich sage ganz klar: Das war die erste Etappe. Jetzt folgt die zweite; denn was wir gemacht haben, reicht mir nicht, reicht der Koalition nicht und - das ist das Wichtige - reicht nicht für Deutschland. Zu dieser Zeit, wo wir hier im Deutschen Bundestag miteinander debattieren, werden die neuen Arbeitslosenzahlen verkündet. Es sind wohl knapp unter 5 Millionen Arbeitslose. Aber es sind fast 2 Millionen Menschen, die langzeitarbeitslos sind, und es sind 600 000 junge Menschen unter 25 Jahren, die keine Perspektive für sich sehen. Das kann uns natürlich nicht ruhen lassen. Deshalb beginnen wir mit der zweiten Etappe mit acht wichtigen Projekten, die ich Ihnen darstellen möchte, mit denen wir deutlich machen, dass wir unseren Weg sehr konsequent fortsetzen.

   Lassen Sie mich mit der Föderalismusreform beginnen. Ich bin etwas bedrückt - ich will das unverhohlen sagen - darüber, dass über die Föderalismusreform in letzter Zeit beschränkt auf ganz wenige Punkte, die auch noch relativ stark aus dem Zusammenhang gerissen wurden, diskutiert wird, während das Anliegen, das wir gegenüber den Menschen haben, aus meiner Sicht nicht mehr in vollem Umfang dargestellt wird.

   In den Jahrzehnten seit Verkündung des Grundgesetzes gab es in der Bundesrepublik Deutschland eine Entwicklung, in der sich die Zahl der zustimmungsbedürftigen Gesetze immer weiter erhöht hat - mit dem bekannten Phänomen, dass im Vermittlungsausschuss Lösungen gefunden werden, über deren Zustandekommen keine Transparenz herrscht, weil aus dem Vermittlungsausschuss nicht berichtet werden darf. Diese Tatsache hat einen Beitrag zur Politikverdrossenheit geleistet. Sie hat im Übrigen zu einer schleichenden Verantwortungslosigkeit geführt,

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): So ist es!)

weil man niemals sagen kann, ob nun der Bund oder die Länder die Verantwortung haben.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Richtig!)

Sie hat sogar dazu geführt - wenn man ehrlich ist, muss man das zugeben -, dass in den Ausschüssen im Deutschen Bundestag zum Teil gar nicht mehr debattiert wurde, weil man wusste: Wenn man schon Kompromisse schließen muss, dann schließt man sie bitte schön im Vermittlungsausschuss, aber doch nicht schon vor den Augen der Öffentlichkeit im Bundestag.

   Wenn wir jetzt davon wegkommen, dass 60 Prozent der Gesetzgebungsvorhaben zustimmungsbedürftig sind, und dahin kommen, dass es nur noch 40 Prozent oder unter 40 Prozent sind, dann haben wir geschafft, dass bei mehr Gesetzgebungsvorhaben - die Differenz ist 20 Prozentpunkte oder mehr - die Verantwortlichkeit wieder zugeordnet werden kann, dass wir, wenn wir im Bundestag zum Schluss verantwortlich sind, Rede und Antwort stehen müssen, dass auf der anderen Seite auch ein Land, das sich ein merkwürdiges Verfahren für den Vollzug eines Gesetzes ausgedacht hat, Rede und Antwort stehen muss, wenn gefragt wird, warum ein anderes Land das besser macht. Ich kann Ihnen heute schon voraussagen, wie schön die Länder untereinander darauf achten werden, ob sie denn ein vernünftiges Verfahren haben, weil sie natürlich sehen, wo es besser läuft und wo es schlechter läuft.

   Jetzt kommt ein zweiter Punkt: Ist die Antwort auf Globalisierung eigentlich Zentralisierung auf Bundesebene? Wenn ich die Diskussion über die Bildungspolitik höre, gewinne ich den Eindruck: Das Allerbeste wäre, wir würden ein Schulministerium zentraler Art hier in Berlin errichten und von dort aus die Schulpolitik machen.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie das wollen, dann muss ich Ihnen aber sagen: Sie kommen damit doch nicht einmal bis zu Ihren eigenen Landtagsfraktionen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Sehr richtig! So ist es!)

Mit Verlaub - ich möchte den Kollegen Tauss jetzt nicht angreifen - , der Kollege Tauss als Generalsekretär der baden-württembergischen SPD hat im Landtagswahlkampf doch eine bittere Erfahrung gemacht. Man hat ihm angeboten, in den Landtag zu gehen, wenn er sich für Schulpolitik interessiert, weil das einfach nicht die Sache des Bundestages ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Zuruf von der FDP: Das wäre eine super Idee!)

Das ist doch auch okay. Wer die Leidenschaft Schulpolitik hat, der ist im Bundestag falsch aufgehoben.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Meine Damen und Herren, ganz still! Jetzt passen Sie einmal ganz ruhig auf! Wir sind, finde ich, an einem hochinteressanten Punkt angekommen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Ja, genau!)

   Wer möchte, dass Schulpolitik Bundespolitik wird, darf keine Föderalismusreform anstreben, sondern muss darüber sprechen, ob wir in Deutschland noch Länder brauchen. Das war aber nicht Gegenstand der Verabredung und fände, so wie das Grundgesetz derzeitig noch ist, in der zweiten Kammer auch keine Zweidrittelmehrheit.

(Beifall des Abg. Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU))

   Sie und wir alle - bei uns in der CDU/CSU-Fraktion sind die Diskussionen doch nicht anders - müssen miteinander überlegen, was sinnvoll ist und was nicht sinnvoll ist, aber auch, was machbar ist. Bei der Föderalismusreform wird es zum Schluss um eine Abwägung gehen, ob das, was wir jetzt mit den Ländern gemeinsam geschaffen haben, besser ist als das, was wir vorher hatten. Ich finde den Zustand, dass über die Frage von Studiengebühren, Juniorprofessuren und anderes jedes Mal das Bundesverfassungsgericht entscheiden muss, weil wir es nicht schaffen, unsere Kompetenzen zu ordnen, absolut unzureichend. Deshalb sollten wir uns mit aller Kraft der Föderalismusreform zuwenden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Beifall bei der FDP)

   Meine Damen und Herren, natürlich sind - wenn ich noch einen Blick auf die Bildungspolitik in Deutschland werfen darf - Innovationen in Bildung und Forschung dringend nötig. Das gilt im Übrigen für alle. Alle Bundesländer haben es versäumt, auf eine ganz einfache Sache zu achten, was ganz wesentlich zum schlechten PISA-Abschneiden beigetragen hat. Dass zum Beispiel Kinder mit ausländischem Hintergrund, deren Eltern ausländischer Herkunft sind, wenn sie in die Schule kommen, Deutsch lernen müssen, müssen die Länder jetzt durchsetzen.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dafür hatten Sie doch schon 20 Jahre Zeit!)

Wir müssen durchsetzen, dass die Integrationskurse schrittweise weiter aufgebaut werden und die Mittel dafür abfließen. Aber das kann man - das wissen auch Sie - nicht in einem halben Jahr schaffen, sondern das wird ein längerer Prozess sein. Dass die Integrationsbeauftragte im Kanzleramt sitzt, ist ein deutlicher Beweis dafür, dass diese Bundesregierung Integration schwerpunktmäßig als Gemeinschafts-, als Querschnittsaufgabe sieht. Ich glaube, das war eine richtige Entscheidung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Hellmut Königshaus (FDP))

   Im Zusammenhang mit mehr Freiheiten und mehr Spielräumen möchte ich als zweiten Punkt das Thema Bürokratieabbau nennen. Wir erarbeiten jetzt ein Infrastrukturbeschleunigungsgesetz unter der Federführung des Bundesverkehrsministers. Dieses Infrastrukturbeschleunigungsgesetz ist etwas, was diese große Koalition zustande bekommen wird und was Rot-Grün nicht geschafft hat, weil Sie, Herr Kuhn und andere, das nicht wollten. Wir müssen Folgendes sehen: Wenn wir in Deutschland 5 Millionen Arbeitslose haben, dann ist es eben nicht egal, ob ein Frankfurter Flughafen, ein Schönefelder Flughafen oder bestimmte andere Infrastrukturobjekte in fünf, zehn, 15 oder 20 Jahren gebaut werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Beifall bei der FDP)

Denn dahinter stehen Menschen, Tausende von Arbeitsplätzen. Ob die 15 000 Arbeitsplätze im Zusammenhang mit dem Ausbau des Frankfurter Flughafens im Jahre 2010, 2015 oder 2020 entstehen, wird über das Schicksal von einzelnen Menschen, von jungen Menschen entscheiden. Diese Sichtweise gilt auch in Bezug auf mittelständische Unternehmen.

   Wir müssen uns doch einmal die Frage stellen: Welches Recht haben wir eigentlich, Minderheiten über Zeitspannen entscheiden zu lassen, was dazu führt, dass Mehrheiten ihre Lebenschancen nicht verwirklichen können? Ich finde, darüber müssen wir gemeinsam nachdenken und deutlich machen, wie es laufen muss.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Wir werden als Bundesregierung dafür sorgen, dass das Thema Bürokratieabbau konzeptioneller angegangen wird - das haben wir in der Koalitionsvereinbarung gemeinsam festgelegt - : Normenkontrollrat, Standardkostenmodell, wie die Holländer es uns vorgemacht haben. Der Bundeswirtschaftsminister wird ein Mittelstandsentlastungsgesetz erarbeiten lassen, in dem die Dinge konkret umgesetzt werden.

   Ich möchte Sie auf eine Sache aufmerksam machen, über die interessanterweise in Deutschland weniger diskutiert wird als in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Es gibt die so genannte Better-Regulation-Offensive, also bessere Gesetzgebung, bei der auch der deutsche Kommissar Verheugen sehr intensiv mitarbeitet. Man hat sich auch in der Europäischen Union zum ersten Mal seit Jahrzehnten vorgenommen, nicht immer neue Richtlinien zu schaffen, sondern einmal zu überlegen, ob die Abschaffung von Richtlinien nicht ein Schritt wäre, der der gesamten Wachstumsstrategie sehr viel besser bekommen würde.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es ist jetzt gelungen, über 60 Richtlinien abzuschaffen.

   Ich denke, dass wir gerade während der deutschen Ratspräsidentschaft diesen Weg weitergehen sollten. Jetzt wird zum Beispiel die Vogelschutzrichtlinie mit der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie vereinigt. Sie alle wissen aus Ihren Wahlkreisen, was für Diskussionen wir genau über diese Themen haben.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Oh ja!)

Zumindest diejenigen Abgeordneten wissen das, die Wahlkreise haben, in denen es einen Fluss oder eine Wiese gibt.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deutschland ist voll davon!)

- Manch einer hat seinen Wahlkreis in einer Großstadt, wo dies kein Problem ist.

   Die Bürgernähe der Europäischen Union, die wir brauchen, zeigt sich doch darin, dass man Regelungen, die historisch gesehen nacheinander entstanden sind, zusammenführt. Das wird Freiräume schaffen und uns in die Lage versetzen, uns auf die wirklich wichtigen Aufgaben Europas zu konzentrieren, von denen es hinreichend viele gibt. Wir werden diese Entwicklung während unserer Präsidentschaft voranbringen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich möchte nun drittens zu dem aus meiner Sicht in der Tat zentralen Punkt Forschung und Innovationen kommen. Da stellt sich die Frage: Wo sind wir besser als andere, damit wir unseren Lebensstandard halten können? Herr Kuhn, Sie müssen doch neidlos anerkennen, dass wir in den nächsten vier Jahren 6 Milliarden Euro mehr für Forschung und Entwicklung ausgeben.

(Zuruf der Abg. Ulrike Flach (FDP))

- Sie werden es doch mittragen. - Das sind durchschnittlich 1,5 Milliarden Euro pro Jahr mehr. Wenn Sie sagen, das sei genau das Geld, das wir pro Jahr für Landwirtschaftssubventionen ausgeben, dann muss ich erwidern: Ich war es nicht, die 2002 zugestimmt hat, dass der Agrarhaushalt, abgekoppelt von der Finanziellen Vorausschau 2007 - 2013, bis 2013 festgeschrieben wurde. Ich war es nicht.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber waren Sie dagegen? Sie machen die Interessenvertretung des Bauernverbandes! Das ist doch unverschämt!)

   Es mag damals Gründe dafür gegeben haben, dass Sie die Entscheidung mitgetragen haben. Auch die Landwirtschaftsfachleute in unseren Reihen waren froh darüber. Man konnte den Mitgliedstaaten wie zum Beispiel unseren französischen Freunden, mit denen dies 2002 verabredet wurde, doch 2005 nicht zumuten, dass man diese Vereinbarung einfach vergisst und neu anfängt. Man muss erkennen, dass man sich nicht einfach davon verabschieden kann. Auch das gehört zur Redlichkeit in der Argumentation.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Wir haben zwar die Erhöhung um 6 Milliarden Euro beschlossen - ich hoffe, dass uns das Parlament mehrheitlich dabei folgt -, aber wir haben noch keine klar ausgearbeitete Strategie. Deshalb befassen wir uns im Rahmen eines unserer Projekte für die zweite Etappe mit der Frage, an welcher Stelle wir diesen Beitrag in Höhe von 6 Milliarden Euro ausgeben müssen, damit am Ende der Legislaturperiode Deutschland insgesamt 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwicklung ausgibt. Diese Sache ist noch nicht in trockenen Tüchern, weil auf jeden Euro der öffentlichen Hand 2 Euro privater Investitionen der Wirtschaft folgen müssen.

   Die Bundesforschungsministerin wird jetzt in sehr intensive Gespräche eintreten müssen. Sie wird mit der Wirtschaft darüber sprechen müssen, wie sie ihren Anteil leisten kann. Es handelt sich für die Wirtschaft um keine langen Planungszeiträume. Es muss auch darüber geredet werden, welche Rahmenbedingungen die Wirtschaft braucht.

   Eines der Projekte, das wir zu Beginn der Legislaturperiode erfolgreich durchgeführt haben, befasste sich mit der Chemikalienrichtlinie. Wir sind da zu einer vernünftigen Lösung gekommen - auch das war ein Erfolg der großen Koalition -, die dazu führt, dass Chemiewerke wie zum Beispiel die BASF ihren Beitrag zur Forschung leisten können. Wenn wir ihnen diese Möglichkeit nicht eröffnen und ihnen Restriktionen auferlegen, dann können sie in Deutschland auch nicht forschen.

   Wer sich einmal mit dem gesamten Bereich der Enzymforschung befasst hat, der weiß: Wenn nicht die Grüne Gentechnologie hinzukommt

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Weiße Gentechnologie!)

- das hat nichts mit Lebensmitteln zu tun -, dann kann die Forschung nicht in einfacher Weise durchgeführt werden. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir jetzt in diesen Dialog eintreten.

   Wir werden, anknüpfend an das Projekt „Partner für Innovation“, das vom vorherigen Bundeskanzler initiiert wurde, einen Rat für Innovationen bilden. Dieser Rat für Innovationen ist ein Beratungsgremium für die Bundesregierung und für die Minister, zu deren Zuständigkeitsbereich Forschung und Technologie gehören. Dieser Rat soll sich mit der Frage beschäftigen, wo die Stärken in der Grundlagenforschung liegen, die wir weiterentwickeln müssen, damit wir eine Chance haben, marktübergreifende Projekte durchzuführen. Denn es müssen Produkte entwickelt werden. Es ist zwar gut, ein Land der Ideen zu sein, aber am Ende müssen Produkte stehen, damit wir wirtschaftlich davon profitieren. Diesen Spannungsbogen müssen wir schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Unter diesen Projekten befinden sich auch Leuchttürme. Dazu gehört die Gesundheitskarte. Dieses Projekt zeigt, dass Deutschland ein modernes Land ist und dass die Informationstechnologie in unserem Alltagsleben Einzug hält. Wir werden das mit aller politischen Gestaltungskraft vorantreiben. Diese ist notwendig, weil es immer wieder Einzelinteressen von Gruppen gibt, die sich nicht über die Einführung der Gesundheitskarte freuen und für die Transparenz ein gewisses Gefahrenmoment bedeutet.

Aber hier hat die Politik den Gemeinwohlauftrag auszuführen.

   Wir werden dafür Sorge tragen, dass sich Deutschland gerade im Bereich der Informationstechnologie wieder stärker engagieren kann. Ich werde zu einem IT-Gipfel einladen, um deutlich zu machen: Hier ist eine Branche, in der neue Arbeitsplätze entstehen können. Dort wurden im letzten Jahr 6 000 bis 8 000 Leute neu eingestellt. Hier fehlen im Übrigen zum Teil Ingenieure. Wir müssen den jungen Leuten sagen: Hier habt ihr eine Chance. - Hier können wir vorne sein, auch wenn wir heute zum Teil noch nicht so weit vorne sind, wie ich mir das wünschen würde.

   Ich will einen weiteren Aspekt ansprechen. Hier ist Deutschland Vorbild; hier haben wir riesige Chancen und Stärken, die uns weiterbringen können. Wir haben es jetzt auf europäischer Ebene geschafft, dass mit dem Europäischen Forschungsrat eine Institution gegründet werden wird, die sich an das Begutachtungssystem der deutschen Wissenschaft anlehnt und damit dem Exzellenzgedanken in Deutschland zum Durchbruch verhelfen wird. Es wird jetzt darauf ankommen, dass alle Institute, die in Europa gegründet werden, alle europäischen Forschungs- und Innovationsinstitute, immer den gleichen Maßstäben genügen. Dafür wird Deutschland während seiner Präsidentschaft sorgen.

   Für mich ist der in diesem Zusammenhang in Rede stehende Betrag von 6 Milliarden Euro kein fiskalisches Thema, kein Thema, bei dem jedes Ressort äußern kann, worüber es schon immer einmal forschen wollte, sondern ein Thema, an dem wir eine Strategie aufbauen wollen. Ich freue mich, dass hierbei eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen allen Ressorts der Bundesregierung stattfindet, worüber wir gerne und intensiv mit dem Parlament diskutieren wollen, weil wir nur so einen wirklichen Nutzen für Deutschland zustande bringen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Ein Thema, bei dem Innovationen in der Tat eine große Rolle spielen, ist der vierte Punkt, die Energiepolitik. Die Bedeutung der Energiepolitik - und damit die Sorgen, Ängste oder Unsicherheiten der Menschen in unserem Land in diesem Zusammenhang - hat sich zwar in den letzten Monaten ganz elementar gezeigt, ist aber eigentlich seit langem bekannt. Es gibt unter uns - Herr Heil hat das angesprochen - keine Unterschiede: Die Versorgungssicherheit, die Wirtschaftlichkeit und die Umweltverträglichkeit müssen die drei großen Säulen sein. Sie existieren in einem permanenten Spannungsverhältnis zueinander. Sie müssen aber ausgefüllt werden und sind gleichermaßen wichtig.

   Es gibt unterschiedliche Bewertungen darüber, welche Rolle die einzelnen Energieträger spielen sollen. Das haben wir vor Abschluss der Koalitionsvereinbarung gewusst; wir haben in den ersten 130 Tagen erlebt, dass das so bleiben wird. Das heißt aber nicht, dass wir uns wegen dieser einen unterschiedlichen Bewertung in einer Frage um die Beantwortung der Frage drücken können, wie ein Energiekonzept bis zum Jahr 2020 aussieht. Deshalb werden wir am nächsten Montag eine erste Runde eines Energiegespräches abhalten, wobei zum Schluss im zweiten Halbjahr 2007 ein Energiekonzept bis zum Jahr 2020 stehen soll, in dem wir darlegen, wie wir Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit, also auch niedrige Strompreise, und Umweltverträglichkeit zusammenbringen.

   Jenseits der unterschiedlichen Meinungen gibt es in dieser Koalition ein breites Maß an Übereinstimmung darin, dass wir Technologieexporteur werden können, dass wir in der Energieeffizienz Spitze sein sollten und dies von großer Bedeutung sein wird. Ich bin sehr froh, dass wir endlich davon weggekommen sind, nur auf die Wirtschaft zu schauen. Ich erinnere an die Diskussion über den Biodiesel und die CO2-Einsparungen im Kfz-Bereich. Die Biodieseldiskussion ist schwierig, weil wir in bis 2009 bestehende Besitzstände eingreifen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt macht ihr Steuern drauf! Das ist absurd!)

- Das ist nicht absurd. Wir werden das vernünftig regeln, Herr Kuhn.

   Ich sage Ihnen voraus: Wenn wir eine Beimischungspflicht eingeführt haben werden, werden Sie von den Grünen die Ersten sein, die für sich proklamieren, dass sie diese Idee hatten. Aber dann waren wir es, die die Pflicht der Beimischung von Biodiesel für alle Kfz mit Dieselmotor eingeführt haben werden, was den Markt erheblich erweitern wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dafür müssen wir die jetzigen Umstellungsschwierigkeiten in Kauf nehmen, vernünftig ausdiskutieren und trotzdem unsere Haushaltsziele erfüllen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Sie wissen: Es muss gespart werden; zum Haushalt komme ich gleich. Aber wo man auch mit dem Sparen anfängt, ist es nicht recht. Irgendwann kommt es beim Finanzminister oder im Zweifelsfalle manchmal auch bei der Kanzlerin - vorher noch beim Kanzleramtsminister - zusammen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit wann ist Steuererhöhung sparen? Peinlich!)

Wenn wir sparen wollen, dann müssen wir es an bestimmten Stellen auch tun. Deshalb werden wir die Dinge zusammenbringen.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Beim Ehegattensplitting können Sie sparen!)

   Ich bin sehr erleichtert, dass diese große Koalition bzw. der Bundesumweltminister zusammen mit dem Bundeswirtschaftsminister bei der Ausarbeitung des Nationalen Allokationsplanes 2, also der Fortsetzung der CO2-Einsparungen, nicht wieder das Theater aufführt, das es in der vergangenen Legislaturperiode gegeben hat, sondern versucht, Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit zusammenzubringen.

   Dem Bundesaußenminister bin ich sehr dankbar dafür, dass er die Energiepolitik ausdrücklich als strategischen Teil unserer Außenpolitik definiert hat, und zwar unter Berücksichtigung der Menschenrechte. Wir haben es heute mit Ländern zu tun, zum Beispiel mit China, die ganz bewusst eine einseitig auf Rohstoffe ausgerichtete Außenpolitik betreiben. Wir müssen unsere Werte mit unseren Interessen in Einklang bringen. Genau das werden wir auch tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Fünftens. Bezogen auf die Finanzpolitik habe ich bereits die Punkte angesprochen, die der Finanzminister gestern sehr ausführlich dargestellt hat: Annäherung an die Realität und keine falschen Versprechungen. Mir ist es, ehrlich gesagt, lieber, wenn Sie uns in der ersten Lesung des Haushalts kritisieren, weil wir Schulden aufnehmen werden, die auch meiner Meinung nach besser geringer wären - keiner in diesem Hause ist froh darüber -,

(Zuruf von der FDP: Wohl wahr!)

   als dass wir nächstes Jahr um diese Zeit Krokodilstränen weinen und sagen: Das haben wir voriges Jahr nicht gewusst. - Diese Spirale einer kurzsichtigen Haushaltspolitik wird durchbrochen. Das erfordert am Anfang Mut, aber bringt am Ende Verlässlichkeit und schafft Vertrauen. Ich bin der Meinung, dass es besser ist, Vertrauen zu schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir werden das große Projekt der Unternehmensteuerreform angehen. Das wird ein Projekt sein, das die Mitarbeit vieler erfordert. Deutschland, dessen Stärken im mittelständischen Bereich liegen - da sind wir uns in diesem Haus wahrscheinlich wieder alle einig -, muss eine rechtsformneutrale Besteuerung der Unternehmen hinbekommen. Mit der Begründung, dass sich die Rechtsformen der Unternehmen im 20. Jahrhundert nun einmal so entwickelt haben, werden wir im Rahmen der globalen Diskussionen des 21. Jahrhunderts nicht durchkommen. Die Leute werden uns sagen: Ihr seid doch sonst so fix und helle. Lasst euch was einfallen! - Dass aber die uns oft empfohlenen Modelle, die zu Steuermindereinnahmen jenseits der 25 Milliarden Euro führen werden, angesichts der augenblicklichen Situation des Haushalts nicht besonders hilfreich sind, muss auch jeder sehen. Insofern hat die Bundesregierung eine ziemlich komplizierte Aufgabe zu bewältigen, und zwar gemeinsam mit den Verantwortlichen in dieser Gesellschaft, von den Kommunen über die Länder bis zum Bund. Ich halte diese Reform für ausgesprochen wichtig und deshalb werden wir sie auch durchführen.

   Für mich ist auch wichtig, die Erbschaftsteuer zu verändern, und zwar als klares Zeichen an die Mittelständler. Wir müssen vor allen Dingen auch mental diejenigen unterstützen, die trotz der Globalisierung im Erbschaftsfall das Geld nicht in irgendeine Kapitalanlage investieren, sondern ganz bewusst sagen: Ich lasse das Geld in meinem Betrieb. Ich möchte in dem Betrieb, der eine Tradition hat, weiterarbeiten. - Diesen Menschen müssen wir den Rücken stärken. Deshalb ist die Erbschaftsteuerreform so wichtig.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Sechstens. Zur Familienpolitik kann ich an dieser Stelle nur kurz etwas sagen. Wir haben ein demografisches Problem, wir sind kein kinderfreundliches Land und wir haben in diesem Bereich viele Aufgaben zu lösen. Ich weiß nicht, ob man nach der Reihenfolge vorgehen kann, Herr Kuhn, „erst Betreuung, dann Elterngeld“. Ich glaube, wir müssen auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig arbeiten.

   Ich habe den Eindruck, dass hier in den letzten Jahren ein erhebliches Umdenken erfolgt ist; das sage ich auch für die CDU/CSU-Fraktion und für die CDU als Partei.

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Aber nicht für die CSU!)

Schauen Sie sich einmal die Betreuung der unter Dreijährigen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Hamburg an! Die Situation ist in allen Bundesländern nicht besonders befriedigend, in den Städten ist sie fast noch am besten.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In Bayern ist das eine Katastrophe!)

- Wir können die Statistiken gerne austauschen. - Aber das ist nicht das Problem.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Doch!)

Tatsache ist, dass es für Kinder unter drei Jahren zu wenige Betreuungsmöglichkeiten gibt. Aber dafür sind vorrangig die Länder zuständig. Durch die Mehrwertsteuererhöhung und die Übernahme der Kosten für die Unterkunft leisten wir unseren Beitrag und verschaffen den Ländern und Kommunen Spielräume, damit sie im Bereich der Ganztagsbetreuung etwas machen können.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Endlich!)

Das darf nicht in Vergessenheit geraten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

So verlässlich, wie wir an dieser Stelle waren, müssen die Kommunen jetzt auch das Geld ausgeben.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Wir beschreiten mit dem Elterngeld einen neuen Weg. Über diesen Weg müssen wir diskutieren, er wird nicht ganz einfach sein. Denn zum ersten Mal wird die Frage gestellt, wie wir gut ausgebildeten Frauen jenseits der ganz kleinen Verdienste, die sich für Kinder und Beruf entscheiden, für eine begrenzte Zeit die Möglichkeit eröffnen können, nicht einen wahnsinnigen Einkommensverlust zu erleiden, sondern diese Zeit zu überbrücken. Das ist nicht unumstritten. Bisher haben wir Familienpolitik sehr häufig vorrangig als Sozialpolitik für Bedürftige verstanden. Diese Position will ich auch nicht völlig aufgeben. Angesichts der Tatsache, dass 40 Prozent der Akademikerinnen in Deutschland keine Kinder haben - die dazugehörigen Männer haben übrigens ebenfalls keine, darüber wird nur nicht so oft gesprochen -, müssen wir uns aber überlegen, wie wir einen Bruch in der Biografie dieser Frauen vermeiden können. Diese Überlegungen halte ich für vernünftig. Daher ist es richtig, dass wir die Diskussion über das Elterngeld jetzt und nicht erst im Jahr 2015 führen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Ich komme nun zu einem zentralen Bereich, der in der Koalition hinsichtlich seiner Wirksamkeit unterschiedlich bewertet wird. Das sind - siebtens - die Fragen, die mit der Arbeitsmarktpolitik, mit Hartz IV, also der Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe, mit dem Niedrig- und dem Kombilohn zusammenhängen.

   Lassen Sie mich wegen der aktuellen Situation ein Wort zum Kündigungsschutz sagen. Wir haben nicht wenig Zeit während der Erarbeitung der Koalitionsvereinbarung auf den Punkt Kündigungsschutz verwendet. Wir haben viele Modelle betrachtet und Verbände befragt. Ich weiß, dass das Thema in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen etwas anderen Stellenwert hat als in der SPD-Bundestagsfraktion, aber wir haben uns auf etwas geeinigt. Zur Verlässlichkeit gehört, dass wir das, was wir miteinander vereinbart haben, und zwar nicht im Halbschlaf, sondern nach demVerwerfen von Optionen und dem Hinzunehmen von Optionen, als Grundlage heranziehen. Wir müssen das mit dem Ziel tun, dass wir nur die Dinge umsetzen, die wir gemeinsam umsetzen können. Wir wollen nur die Maßnahmen umsetzen, die zu mehr Arbeitsplätzen führen. Mein Vorschlag ist, mit der Verlässlichkeit dieser Koalitionsvereinbarung einen Schritt voranzugehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Alles andere würde nur zu unergiebigen Diskussionen führen und die Menschen würden nicht verstehen, was wir vor 130 Tagen aufgeschrieben haben. Das ist das Problem. Wir müssen zuerst das umsetzen, was wir vereinbart haben. Wenn wir in zwei Jahren merken, dass es weitergehen muss, dann darf es kein Denkverbot geben. In dieser Sache bin ich ganz nah bei Peter Ramsauer. Aber lasst uns erst einmal das machen, was wir uns vorgenommen haben.

   Das Kernproblem wird sein - Herr Kuhn, ich stimme Ihnen zu -, Lösungen für den unteren Lohnbereich, für über 55-Jährige, für junge Arbeitslose zu finden und neue Erwerbstätigkeiten anzubieten. Wir haben uns vorgenommen, uns von bestimmten Dingen zu trennen und Instrumente, die sich nicht bewährt haben - inzwischen liegt der erste Revisionsbericht zu Hartz  vor -, über Bord zu werfen. Darüber hinaus wollen wir Maßnahmen bündeln; denn das Dickicht ist immer noch groß.

   Wir werden natürlich über die Frage der Kombilöhne sprechen müssen. Ich schaue mir gern die Modelle der Grünen an. Wir müssen aber aufpassen: Wenn wir Einstiegsszenarien vorsehen und die Sozialabgaben am Anfang kleiner halten, wie es bei den Hinzuverdienstmöglichkeiten heute schon der Fall ist, dann dürfen Sie den Ausfall anschließend nicht der Bundesgesundheitsministerin oder dem Arbeitsminister zuweisen, damit diese sehen, wie sie damit klarkommen. Sie können nicht einfach annehmen, dass es so viel Mehrbeschäftigung geben wird, dass die Fehlausgaben ausgeglichen werden. Da, wo nichts abgegeben wird, gibt es auch keine Mehreinnahmen. Vielmehr müssen wir darüber sprechen, woher das Geld kommen soll.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Natürlich! Logisch!)

Sie können uns dann nicht vorwerfen, wir würden einfach die Steuern erhöhen und Sie wüssten nicht, warum. Es muss zusammenpassen.

   Ich glaube trotzdem, dass die Diskussion sehr intensiv geführt werden muss. Wir müssen uns auch mit der Tatsache auseinandersetzen, dass wir nicht in einem luftleeren Raum leben, sondern dass andere Länder - ich verweise auf die Dienstleistungsrichtlinie - mit ganz anderen Mindestlöhnen arbeiten.

Ich habe gestern den Ministerpräsidenten von Lettland empfangen. Dort ist die Lage ganz anders. Er ist voller Sorge darüber - ich erwähne das, damit wir in Deutschland darüber Bescheid wissen -, dass seine besten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Land verlassen, weil Irland und Großbritannien die Arbeitnehmerfreizügigkeit - anders als wir - schon gestattet haben. Lettland hat ein großes Problem, den eigenen Wirtschaftsaufbau voranzubringen, weil die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Land verlassen, da sie in anderen Ländern in Europa mehr verdienen können. Dieser Prozess wird die Löhne in den betreffenden Ländern steigen lassen.

   Das ist ein zentraler Punkt, den wir uns ansehen werden. Der Bundesarbeitsminister wird, mit Hilfe aller, eine Lösung finden. Wir müssen uns aber darüber einig sein, dass am Ende mehr Arbeitsplätze entstehen müssen und es nicht weniger werden dürfen. Das ist die Bedingung, an der sich die Lösung messen lassen muss.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Ein achtes Projekt, das in diesen Tagen in aller Munde ist, ist die Gesundheitsreform. Im Koalitionsvertrag haben wir uns viel vorgenommen: Steuerzuschüsse aus dem Bundeshaushalt werden zurückgebaut. Einer der Gründe dafür war, neben dem der Haushaltskonsolidierung, dass wir uns selbst ein Stück weit unter Druck setzen wollten, um strukturell etwas zu verändern.

   Ich will an das Gesundheitsmodernisierungsgesetz erinnern, das damals in Gemeinschaftsarbeit von Union und SPD erarbeitet wurde. Es hat seine Wirkung durchaus entfaltet. Die Krankenkassen sind heute weitgehend schuldenfrei. Ich muss aber auch daran erinnern, dass schon bei der Verabschiedung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes gesagt wurde: „Das hält für die Dauer der Legislaturperiode. Danach brauchen wir eine umfassende Strukturreform.“ Das hat im Übrigen dazu geführt, dass die Parteien unterschiedliche Konzepte ausgearbeitet haben. Alle waren sich bewusst, dass wir eine Strukturreform brauchen.

   Ich glaube, dass wir, wenn wir jetzt in die entscheidenden politischen Diskussionen eintreten - sie müssen wechselseitig von den Fachpolitikern und den politischen Führungen bestritten werden, weil das Projekt zu groß ist, als dass es den Fachpolitikern allein überantwortet werden könnte; das ist als Unterstützung zu verstehen -, zunächst eine Lagebeurteilung brauchen: Erstens. In dieser Legislaturperiode fehlen zwischen 7 und 10 Milliarden Euro in diesem System. Darin sind wir uns einig. Zweitens. Es ist vollkommen klar - ich bin dankbar, dass sich diese Auffassung durchsetzt -, dass es Wettbewerbsspielräume gibt. Wir müssen eine Struktur finden, in der der Wettbewerb besser funktionieren kann. Angesichts des medizinischen Fortschritts, den wir glücklicherweise haben, und der demografischen Entwicklung dürfen wir den Menschen als Ergebnis einer Reform nicht nennen, dass wir Geld gefunden haben. Wir müssen sagen, dass es tendenziell teurer wird. Der Anstieg kann zwar gedämpft werden, aber die Gesundheitsversorgung wird im Laufe der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre tendenziell teurer, wenn wir nicht wollen, dass Menschen aus materieller Not heraus am medizinisch-technischen Fortschritt nicht beteiligt werden. Das ist unser gemeinsames Anliegen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Wir müssen ganz nüchtern überlegen - ich glaube, wir haben die Kraft dazu -, wie wir dafür sorgen können, dass die historisch gewachsene Kopplung an die Lohnzusatzkosten am Schluss nicht dazu führt, dass wir weniger Arbeitsplätze haben. Wir können nicht eine Gesundheitsreform machen, die alle anderen Ziele der Koalition konterkariert. Dabei gibt es viel Spielraum. Ich glaube, wir können ganz intensiv, aber auch sehr ruhig und selbstbewusst, in dem Tempo, das wir vorgeben, arbeiten. Ich habe gesagt, die Reform muss bis zum Sommer fertig sein. Bis zum Sommer heißt aber nicht: vor Ostern.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber auch nicht bis zum Herbst!)

Insbesondere in diesem Jahr, wo der Winter nur sehr langsam geht, heißt „bis zum Sommer“ so viel wie „nicht vor Ostern“.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sommer im Sinne der großen Koalition!)

   Es gibt eine öffentliche Diskussion. Das ist eine Chance, die die große Koalition bietet: Es gibt ein öffentliches Interesse an schnellen Ergebnissen und eine hohe öffentliche Bereitschaft, anschließend zu kritisieren, wenn das Ganze nicht durchdacht war.

(Dr. Peter Struck (SPD): So ist es!)

   Im Namen der Bundesregierung und auch der Koalitionsfraktionen sage ich: Wir wissen um den Zeitdruck, wir machen die Reform aber in unserem Tempo. Es gilt: Qualität vor Schnelligkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Wenn ich zum Schluss über das Thema Gesundheit gesprochen habe - ähnlich wird es sich im Pflegebereich verhalten -, dann weiß ich, dass dieses Thema so schwierig ist wie kaum ein anderes, weil es jeden Menschen betreffen kann. Krank kann ich jeden Tag werden, und zwar so krank, dass es meine finanziellen Möglichkeiten überschreitet, mich dagegen allein zu schützen. Ich glaube, dass an der Frage, wie wir die Gesundheitsreform miteinander gestalten, natürlich auch deutlich werden kann, welche Haltung wir haben, um politische Probleme, die es nun einmal gibt, zu lösen. Diese Haltung bzw. dieser Stil wird bedeuten - das sage ich für mich und auch für andere -, dass man immer auch über den eigenen Schatten springen muss, dass das Gemeinwohl über das Partikularinteresse gehen muss. Das ist im Gesundheitsbereich stark ausgeprägt.

   Das heißt, wir müssen Schutzmauern aufbrechen und die Kraft haben, neue Wege zu gehen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was heißt das genau?)

Das heißt, wir müssen Prinzipien anwenden und nicht Prinzipienanwendung und heilige Kühe durcheinander bringen. Nicht jede heilige Kuh kann mit einem Prinzip gerechtfertigt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Etwas präziser noch, bitte!)

   Diese Anforderungen stelle ich an uns. Ich spreche für die Bundesregierung und ich bitte die Koalitionsfraktionen darum. Aber es würde in Deutschland Eindruck machen, wenn sich auch die Oppositionsfraktionen diesem Geist verpflichtet fühlen würden, weil wir es natürlich weit über dieses Parlament hinaus von allen Gruppen in dieser Gesellschaft erwarten: von den Gewerkschaften, von den Arbeitgebern, von den Umweltverbänden und von den vielen Nichtregierungsorganisationen.

   Wir können nicht auf Maximalforderungen bestehen. Das gilt für alle Bereiche, die ich hier genannt habe. Ich habe in meiner ersten Regierungserklärung - ich tue es heute in dieser Debatte wieder - bewusst gesagt: Wir gehen kleine Schritte, die aber konsequent und mit einer klaren Richtung. Ich glaube, dass, wenn wir diese Politik machen - Werte, Prinzipien, Schritte, den Menschen nichts Falsches versprechen -, wieder ein Stück Vertrauen in das, was wir vor uns haben, entstehen kann. Ohne das Vertrauen der Bevölkerung in das, was wir tun, können wir die Veränderungen nicht schaffen. Wenn wir das aber schaffen - daran glaube ich ganz fest -, dann hat Deutschland eine vernünftige Zukunft und wir können vielen, vielen Menschen ein besseres Leben garantieren.

   Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - Beifall bei der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Löblicher Beifall!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Guido Westerwelle für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Begeisterung der SPD-Fraktion nach der Rede der Bundeskanzlerin war in diesem Raum an den Händen zu sehen. Ich möchte aber, Frau Bundeskanzlerin, meine Rede mit dem beginnen, was aus unserer Sicht sehr wohl positiv als Richtungswechsel gegenüber der alten Regierung zu verzeichnen ist. Das ist Ihr Anfang in der Außen- und Europapolitik.

(Beifall bei der FDP)

   Dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, bei Ihrem Antrittsbesuch in Washington das Thema Guantanamo angesprochen haben, war richtig und es ist eine Freude, dass das endlich wieder jemand an dieser Stelle getan hat.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, zu Ihrem Antrittsbesuch nach Moskau gereist sind und sich in Moskau als Regierungschefin auch die Zeit genommen haben, sich öffentlich mit Vertretern der Opposition zu treffen, war ein wohltuender Unterschied zu Ihrem Vorgänger, der von Präsident Putin noch als einem lupenreinen Demokraten sprach.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Sie haben gleich zu Beginn Ihrer Rede völlig zu Recht auf die Erleichterung Ihrer Regierung - ich bin sicher: auch die Erleichterung des ganzen Hohen Hauses - über die Freilassung von Herrn Rahman hingewiesen.

   An dieser Stelle will ich hinzufügen: Die Tatsache, dass dieser Bürger nicht zum Tode verurteilt worden ist, ist das eine. Aber die Tatsache, dass er sich überhaupt - nur, weil er zum christlichen Glauben übergetreten ist - vor Gericht verantworten musste, zeigt, dass die Religionsfreiheit in Afghanistan nicht gewährleistet ist. Auch das müssen Sie im Kopf haben; denn dort sind unsere Soldaten für Freiheit und Werte im Einsatz, nicht aber für Unfreiheit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)

   Nun will ich auf den Bereich zu sprechen kommen, der in dieser Debatte naturgemäß im Vordergrund steht: die Innenpolitik. Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben gleich zu Beginn Ihrer Rede angeführt, dass sich das, was Ihnen die Freien Demokraten vortragen, nicht rechne und dass das nicht funktioniere; denn eine solche Steuerpolitik könne man in Deutschland nicht machen.

   Ich habe Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, etwas mitgebracht. Dieses Schriftstück trägt die Unterschrift von Herrn Stoiber, es trägt meine Unterschrift und es trägt Ihre Unterschrift. Es ist nicht aus dem letzten Jahrhundert, sondern etwa ein halbes Jahr alt. Es datiert vom 1. September 2005. Wenn Sie sagen, die FDP solle mit ihrem Reden über ein einfacheres und gerechteres Steuersystem mit niedrigen Steuersätzen aufhören, so möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass wir dieses Dokument wenige Tage vor der Bundestagswahl gemeinsam veröffentlicht haben. Halten Sie sich doch an das, was Sie selbst eigentlich für richtig halten!

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Oskar Lafontaine (DIE LINKE) - Dirk Niebel (FDP): Das hat sie wohl vergessen!)

   Ich kann verstehen, dass es in Zeiten der großen Koalition so ist, dass die Roten schwärzer werden und die Schwarzen erröten. Wenn Sie aber all unsere Vorschläge als irreal bezeichnen und einwenden, sie seien nicht umzusetzen und rechneten sich nicht, muss ich Ihnen sagen: Entschuldigen Sie, aber Sie haben doch auf Ihrem Leipziger Bundesparteitag einen Bierdeckelbeschluss gefasst.

(Rainer Brüderle (FDP): Jawohl!)

So weit wie Sie sind wir an dieser Stelle niemals gegangen. Unsere Vorschläge waren viel vernünftiger und realitätsnäher als Ihr Bierdeckelbeschluss. Aber ich sage Ihnen: Sie lösen die Probleme unserer Staatsfinanzen nicht durch höhere Steuern, sondern nur durch Wachstum und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Das setzt ein neues Steuersystem voraus.

(Beifall bei der FDP)

All das waren übrigens auch Ihre Worte, bis Sie dann Kanzlerin wurden.

   Jetzt kommen wir zur zweiten tragenden Säule der großen Koalition, zu Herrn Müntefering.

(Beifall des Abg. Olaf Scholz (SPD))

Machen wir uns doch einmal die Freude, nachzulesen, was der Vizekanzler, der jetzt neben Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, sitzt, gesagt hat, und zwar nicht irgendwann im letzten Jahrhundert,

(Olaf Scholz (SPD): Obwohl auch das noch gar nicht so weit zurückliegt!)

sondern vor wenigen Monaten im Bundestagswahlkampf, als er noch Vorsitzender der SPD war. Er hat gesagt, dass wir wirtschaftliche Probleme haben, weil die Binnennachfrage in Deutschland nicht anspringt. Würden wir die Mehrwertsteuer jetzt erhöhen, also Produkte und Dienstleistungen spürbar teurer machen, würde das die Binnennachfrage noch weiter abwürgen. Dann hat er gesagt: Wer stöhnt, weil die Benzinpreise so hoch sind, gleichzeitig aber eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ankündigt, der hat die Interessenlage der Menschen nicht im Blick.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Am 3. September des Jahres 2005 hat er gesagt: „Die Mehrwertsteuererhöhung kostet Arbeitsplätze.“ Ja, wenn sie Arbeitsplätze kostet, sollten Sie sie lassen, Herr Vizekanzler.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Genau! Das müsste am besten noch mehrmals wiederholt werden! Ich kann das gar nicht oft genug hören!)

Das alles trage ich nicht etwa mit oppositioneller Polemik vor. All das sind Aussagen aus Ihren eigenen Reden.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Ja, genau!)

   Folgendes will ich festhalten: An dieser Debatte nehmen jetzt noch 30 bis 40 Abgeordnete der SPD-Fraktion teil,

(Dirk Niebel (FDP): Oh ja! Jetzt bräuchten wir eine namentliche Abstimmung!)

natürlich die Wichtigsten und die Schönsten; das ist keine Frage.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Um ungefähr so viele Abgeordnete, wie jetzt noch von Ihnen anwesend sind, wäre Ihre Fraktion im Deutschen Bundestag kleiner, hätten Sie Ihren Wortbruch beim Thema Mehrwertsteuer vor der Wahl angekündigt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Der Vizekanzler hat heilige Eide geschworen. Gestern hat Herr Steinbrück seine Rede zum Haushalt vorgetragen, ein Finanzminister, der nur auf der Regierungsbank sitzt, weil Sie, als es um die Mehrwertsteuer ging, gelogen haben. Sie haben vor der Wahl etwas anderes als nach der Wahl gesagt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Dieser sozialdemokratische Finanzminister hat uns gestern erzählt - Sie haben es ja gehört -: Egal wie sich die Haushaltslage entwickelt und egal ob die Staatsfinanzen in diesem Jahr auch so ausreichen würden, die Mehrwertsteuer wird auf jeden Fall erhöht.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Ja! So etwas muss man sich hier anhören!)

Vom Saulus zum Paulus? Ich würde sagen: vom Paulus zum Saulus. Darüber müssen wir uns auseinander setzen.

(Beifall bei der FDP)

   Es war geradezu bezeichnend, wie die Rede des Kollegen Heil bei Ihnen von der CDU/CSU aufgenommen worden ist und umgekehrt die Rede von Frau Merkel bei Ihnen von der SPD.

   Nach dem vergangenen Wahlsonntag kann man sagen: Keine Regierung zuvor hat eine so große Machtfülle in Bundestag und Bundesrat besessen wie die jetzige, aber noch nie war der gemeinsame Nenner einer Regierung so klein wie jetzt bei Schwarz-Rot.

(Beifall bei der FDP - Dr. Peter Struck (SPD): Das ist ja Quatsch, absoluter Quatsch!)

Jetzt gibt es, Frau Bundeskanzlerin, Herr Vizekanzler, keine Ausreden mehr. Sie können nicht mehr auf andere Häuser verweisen. Sie können nichts mehr auf die böse Opposition schieben, die Sie nicht so lässt, wie Sie es gerne hätten. Jetzt tragen Sie die volle Verantwortung. Sie, Frau Bundeskanzlerin, können nicht mehr philosophisch sagen: Liebe Genossen, Sie kennen doch unsere Probleme in der Union. Sie, Herr Vizekanzler, können nicht mehr sagen: Liebe Unionsleute, das kriege ich in meiner Partei nicht durch. - Sie wollten zusammen regieren. Sie stehen in der Verantwortung gegenüber dem Volk. Sie haben sich auf die Regierungsbank gesetzt. Jetzt müssen Sie Deutschland auch dienen. Fangen Sie endlich damit an!

(Beifall bei der FDP - Joachim Poß (SPD): Sich das von dem sagen zu lassen!)

   Kommen wir nun zu den Herausforderungen, die angegangen werden müssen. Wenn wir die Arbeitslosigkeit in Deutschland signifikant senken wollen, dann müssen wir zuallererst die Strukturen in Deutschland verändern. Das ist nichts Neues, sondern war schon immer, bisher jedenfalls, Programm der Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion. Sie, Frau Merkel, sind in Ihrer Rede über die Punkte Arbeitsmarkt und Kündigungsschutz elegant hinweggegangen, indem Sie von einer aktuellen Diskussion gesprochen haben. Wir haben das versteinerte Gesicht von Herrn Müntefering gesehen.

(Lachen des Bundesministers Franz Müntefering)

- Sie lachen.

(Franz Müntefering, Bundesminister: Über Sie!)

Sie mögen sich. Sie herzen sich.

(Dr. Peter Struck (SPD): Nur kein Neid!)

Das ist prima. Da will ich nicht stören.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Angela und Franz, das ist das neue Traumpaar.

   Ich komme nun zu dem, was Herr Müntefering heute im „Handelsblatt“ zum Kündigungsschutz schreibt. Ihnen hat das gefallen, deswegen waren Sie auch so zurückhaltend und haben auf Ihren Händen gesessen, als Frau Merkel geredet hat. Zitat von Herrn Müntefering, der nun wirklich nicht der liberalen Opposition zugerechnet werden kann:

Eigentlich stand auch noch der Kündigungsschutz auf der Tagesordnung. ... Ich habe das gestoppt, nachdem Teile der Union sich Schritt für Schritt von der Koalitionsvereinbarung in diesem Punkt verabschiedet haben.

   Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Koalition, wenn Sie regieren wollen und die großen Chancen von Schwarz-Rot beschreiben, was alles möglich sei, was man mit anderen Mehrheiten niemals machen könne, dann müssen Sie wenigstens beim Arbeitsmarkt anfangen. Man muss doch kenntlich machen: Bei einer Lockerung des Kündigungsschutzes geht es nicht darum, dass Menschen leichter entlassen werden können; es geht darum, dass Menschen leichter eingestellt werden können.

(Beifall bei der FDP)

Wo sind Ihre hehren Prinzipien an dieser Stelle?

   Wenn man sich nicht einig ist, sagt man, man gehe kleine Schritte in die richtige Richtung. Schneckentempo ist das neue politische Prinzip. Ich zitiere die Bundeskanzlerin Angela Merkel, und zwar was sie als damalige CDU-Vorsitzende und Oppositionsabgeordnete auf dem Parteitag der CDU gesagt hat:

Ja, meine Güte, eine Schnecke kann auch in die richtige Richtung kriechen. Aber was wir in Deutschland brauchen, ist nicht eine Schneckenspur, sondern ist ein Sprung nach vorne.

   Ich will festhalten: Diese große Koalition muss erst noch beweisen, ob sie wirklich groß ist. Groß werden Sie nicht dadurch, dass Sie von großer Zahl sind; groß werden Sie erst dadurch, dass Sie endlich die Strukturreformen in diesem Lande angehen. Sie sagen, nach den Landtagswahlen beginne die zweite Welle. Wir warten noch auf die erste, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Zur Gesundheitspolitik. Was wir in der Gesundheitspolitik erleben, ist bemerkenswert. Schon in der letzten Legislaturperiode gab es in diesem Bereich sozusagen eine große Koalition. Man konnte verfolgen - das war beeindruckend -, wie Sie, Frau Bundeskanzlerin, Frau Schmidt die Streicheleinheiten gegeben haben, die sie braucht. Man muss sich das einmal vorstellen: Da will sich eine Koalition in der Gesundheitspolitik einigen, vorher wird aber erst einmal vereinbart, dass die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt bitte nicht dabei sein soll, weil sie stören könnte.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Wird durch Seehofer vertreten!)

- Sie wird durch Herrn Seehofer vertreten.

   Von Herrn Seehofer haben wir alle noch ein Bonmot im Kopf, als es vor drei Jahren die informelle große Koalition in der Gesundheitspolitik gab. Morgens um vier Uhr haben Sie in die Kamera gesagt: Das wird jetzt die große Jahrhundertreform.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Nein!)

Eine Jahrhundertreform sollte es werden. Die Jahrhundertreformen haben mittlerweile Halbwertszeiten von Monaten.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Um vier Uhr sind Sie selten wach!)

   Herr Seehofer, es ist wirklich so: Ich erinnere mich noch genau daran, dass Sie morgens neben Frau Schmidt vor den Kameras standen und erklärten, das sei eine der schönsten Nächte Ihres Lebens gewesen.

(Horst Seehofer, Bundesminister: Das stimmt!)

- Sie rufen jetzt: „Das stimmt“. Das führt mich dazu, zu sagen: Jeder soll nach seiner Fasson selig werden.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Seehofer vor Westerwelle schützen! - Zurufe von der SPD)

- Beruhigen Sie sich. Oder wollen Sie mich jetzt auch noch verklagen?

   Solange Sie in der Gesundheitspolitik glauben, dass die Planwirtschaft funktionieren könne, so lange werden Sie scheitern. In Wahrheit bereiten Sie derzeit die Bürgerversicherung vor, nämlich die Zwangskasse durch die Hintertür. Das wird Ihr gemeinsamer Nenner sein. Sie werden sich in der Gesundheitspolitik einigen - da machen wir uns gar nichts vor -, und zwar genau auf den sozialdemokratischen Weg, den Ihre Genossen und zugleich auch die Sozialdemokraten der Union immer wollten, nämlich die Zwangskasse. Da sage ich: Planwirtschaft hat noch niemals funktioniert.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Sie wird nur immer wieder versucht!)

Warum sollte sie ausgerechnet in der Gesundheitspolitik funktionieren können? Freiheit und Wettbewerb - das müsste der Ansatz in der Gesundheitspolitik sein. Von Ihnen kommt nichts dazu.

(Beifall bei der FDP)

   Zur Rente. Sie rühmen sich damit, dass bei der Rente etwas verändert worden ist, dass nämlich die Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre erhöht wird. Wir wollen zunächst festhalten: Wenn Sie die Arbeitsmarktreformen unterlassen, dann bedeutet die Rente mit 67 für Millionen Menschen, nämlich für die Mehrzahl der Betroffenen, nichts anderes als eine um zwei Jahre längere Arbeitslosigkeit. Darüber reden wir jetzt.

   Nichts beim Arbeitsmarkt tun, keine betrieblichen Bündnisse erlauben, die Flächentarife bleiben, der Kündigungsschutz bleibt, die Änderung des Steuersystems wird vertagt: Wenn Sie trotzdem glauben, Sie könnten die sozialen Sicherungssysteme stabil machen, so ist das ein historischer Irrtum. Das kann nicht funktionieren, wenn Sie die Strukturen in unserem Lande nicht verändern.

   Die Rente wird nur sicher, die Gesundheit wird nur bezahlbar bleiben und die soziale Sicherheit für die Ärmsten wird nur funktionieren, wenn Sie die Wachstumskräfte in Deutschland wieder anregen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Sehr gut!)

Das geht nur durch mehr Freiheit und indem Sie den Menschen weniger abnehmen. Sie betreiben die Politik von Rot-Grün weiter: Steuererhöhungen, Abkassieren, mehr Schulden. Ob Sie das jetzt Schwarz-Rot nennen oder ob es vorher Rot-Grün war: Unter dem Strich bleibt es für die Bürger zu teuer. Das kostet Leistungskräfte und soziale Gerechtigkeit in diesem Lande.

(Beifall bei der FDP - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sie ignorieren die Realitäten!)

   Übrigens: Es ist bemerkenswert, was gestern dazu veröffentlicht worden ist. Auch darauf möchte ich Sie aufmerksam machen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Zeitungsstunde oder wie?)

- Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen. - Es ist ja berichtet worden, dass gesagt worden sei, die ökonomische Vernunft stehe in einem Widerspruch zur sozialen Gerechtigkeit; ich glaube, Herr Heil war es.

(Joachim Poß (SPD): Was? Genau das Gegenteil!)

- Er hat genau gesagt, unsere ökonomische Politik sei ein Gegensatz zur sozialen Gerechtigkeit und Verantwortung.

(Joachim Poß (SPD): Sie haben doch keine Ahnung von Ökonomie! - Beifall bei der SPD)

- Der Weltökonom Poß hat einen Zwischenruf gemacht. Jetzt sind wir aber eingeschüchtert. Wirklich! Oje!

(Beifall bei der FDP - Joachim Poß (SPD): Er hat von nichts Ahnung!)

Meine Damen und Herren, wir wollen an dieser Stelle einmal festhalten: Die Armutskonferenz hat gestern veröffentlicht, dass im letzten Jahr eine halbe Million Kinder mehr auf Sozialhilfeniveau oder darunter leben mussten, als das ein Jahr vorher der Fall gewesen ist. Das ist eben der feine Unterschied. Es gibt eine Politik der besten sozialen Absichten; die machen Sie. Es gibt eine Politik der besten sozialen Ergebnisse; die machen wir. Das ist besser.

(Beifall bei der FDP - Joachim Poß (SPD): Sie machen überhaupt nichts!)

   Jetzt vertagen Sie die Steuerreformen. Sie verschieben die Unternehmensteuerreform auf den 1. Januar 2008. Gleichzeitig haben Sie die Idee einer Einkommensteuerreform fallen gelassen, weil Sie an dieses Thema nicht herangehen wollen. Ihre Begründung: Deutschland kann sich Steuersenkungen nicht leisten. - Wir sagen Ihnen: Deutschland kann es sich nicht leisten, auf ein neues Steuersystem zu verzichten; das ist der eigentliche Punkt. Glauben Sie wirklich, Österreich wartet, bis Herr Steinbrück in die Puschen kommt?

(Joachim Poß (SPD): Klar: Steuerhinterzieher gehen nach Österreich!)

Glauben Sie etwa, die Welt wartet auf die deutsche Bundesregierung? Die anderen Länder haben längst niedrigere, einfachere und gerechtere Steuersätze mit dem Ergebnis, dass sie halb so viele Arbeitslose haben, wie wir sie in Deutschland leider - das ist traurig - noch immer verzeichnen müssen.

   Das ist in Wahrheit eine Frage der ökonomischen Vernunft. Es ist Unfug, zu glauben, dass die ökonomische Vernunft der Freien Demokratischen Partei in einem Widerspruch zur sozialen Gerechtigkeit stehe, im Gegenteil: Wir sind eine weit sozialere Partei als die, die Sie derzeit vertreten. Das merkt man bei Ihren Kundgebungen am 1. Mai und wo immer Sie noch sprechen werden.

(Beifall bei der FDP)

   Kommen wir zu dem nächsten Punkt, den Sie, Frau Bundeskanzlerin, angesprochen haben, dem Bereich Bildung und neue Technologien. Über die Bildungspolitik haben Sie vieles gesagt, was ich, insbesondere was die Kompetenzen der Ebenen angeht, ähnlich sehe. Aber wir müssen noch einen wesentlichen Punkt hinsichtlich der neuen Technologien erwähnen. Wir werden in Deutschland davon leben, dass wir Vorsprung vermarkten. Diesen Vorsprung erreichen wir nur dann, wenn wir neue Technologien zulassen. Nun haben wir gehört, wie sich Herr Kuhn über die Energiepolitik und die Energiemonopole kritisch ausgelassen hat. Wir haben gesehen, was er für einen Purzelbaum geschlagen hat. Diese ganzen monopolistischen Strukturen auf dem Energiemarkt gäbe es gar nicht, wenn Rot-Grün nicht diese ideologische Politik gemacht hätte; das wollen wir an dieser Stelle einmal festhalten.

(Beifall bei der FDP)

   Was machen Sie jetzt bei den neuen Technologien? Werden Sie die Laufzeiten der Kernkraftwerke wieder verlängern oder bleibt es bei dem vorzeitigen Ausstieg? Dazu habe ich von Ihnen keinen Ton gehört. Dadurch werden 30 bis 40 Milliarden Euro volkswirtschaftliches Vermögen vernichtet.

(Dirk Niebel (FDP): Fragen Sie mal Herrn Oettinger!)

Das einzige Ergebnis wird sein, dass der Strom aus sehr viel unsicheren Kraftwerken, vorzugsweise aus Osteuropa, nach Deutschland kommen wird. Das ist ökonomischer und ökologischer Irrsinn! Sie wissen das; Sie haben das immer gesagt. Aber Sie finden nicht zusammen. Der kleinste gemeinsame Nenner ist nicht das richtige Rezept für Deutschland. Mut zu echten Neuanfängen und zu einem Politikwechsel, genau das braucht Deutschland.

(Beifall bei der FDP)

   Wer in diesen Zeiten noch nicht verstanden hat, dass neue Schulden und höhere Steuern nicht die Antwort sind, der wird nur erleben, dass die Arbeitslosigkeit weiter steigt. Im letzten Jahr sind pro Woche 2 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland weggefallen. Das ist das Ergebnis von verschlafenen Reformen. Deswegen müssen Sie endlich mit den Strukturreformen anfangen. Sie können sich nicht damit herausreden, dass andere Sie behindern. Sie haben die größte Machtfülle, die jemals eine Regierung gehabt hat, und rühmen sich ihrer. Dann müssen Sie jetzt auch endlich in die Gänge kommen und anfangen, Deutschland zu dienen! Das haben Sie unserem Land versprochen. Fangen Sie endlich damit an!

(Anhaltender Beifall bei der FDP - Zuruf von der SPD: Viel Falsches!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dr. Peter Struck.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Peter Struck (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Westerwelle, Ihre inhaltsleere Dröhnung ging mir wirklich auf den Geist. Ich verstehe Ihre Fraktion nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU))

Ich gratuliere Ihnen herzlich dazu, Frau Kanzlerin, dass Ihnen dieser Koalitionspartner erspart geblieben ist.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben null Alternativen angeboten. Was ist Ihre Antwort auf die Frage, wie die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen ist? Was sind Ihre Antworten hinsichtlich der Beschäftigungsförderungspolitik und der Familienpolitik?

(Zuruf von der FDP: Sie scheinen gar nicht zugehört zu haben!)

Dazu haben Sie nichts gesagt. Stattdessen machen Sie große Sprüche. So wird Ihnen der Wähler nie wieder Vertrauen schenken - Gott sei Dank, füge ich hinzu.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir erleben heute eine besondere Situation. Uns liegt zum ersten Mal ein Haushalt vor, den Peer Steinbrück und die jetzige Bundesregierung zu verantworten haben. Ich habe seit 1980 schon viele Haushaltsdebatten im Bundestag mitgemacht und ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Finanzminister: Es ist ein Haushalt der Vernunft, der den Anforderungen des kommenden Jahres entspricht.

(Otto Fricke (FDP): Das ist das aktuelle Jahr!)

Ich gratuliere Ihnen auch zu der soliden Haushaltsführung, die Sie damit bewiesen haben.

(Beifall bei der SPD)

   Das heißt zwar nicht, Herr Finanzminister, liebe Kolleginnen und Kollegen im Kabinett, dass wir alle Maßnahmen so beschließen werden, wie sie vorgelegt wurden. Wir werden im Haushaltsausschuss mit Sicherheit noch einiges korrigieren.

   Ich will einige Punkte nennen, bei denen mir Korrekturen wichtig sind. Das ist zum einen die Kürzung des Weihnachtsgeldes für Angehörige des öffentlichen Dienstes. Wir wollen eine soziale Staffelung erreichen. Gerade in diesem Bereich kann man nicht alles über einen Kamm scheren.

(Beifall bei der SPD)

   Zum anderen müssen wir - das wird auch noch im Rahmen der Einzelplanberatungen angesprochen werden - bei Maßnahmen zur Unterstützung von Menschen, die sich gegen rechtsextremistische Bestrebungen in Deutschland wehren, auf Kürzungen verzichten oder sogar mehr Mittel einsetzen. In diesem Bereich gibt es viele Bürgerinitiativen. Ich will nicht, dass an dieser Stelle gestrichen wird.

(Beifall bei der SPD)

   Außerdem müssen wir die Ansätze für die Bundeszentrale für politische Bildung korrigieren.

(Beifall bei der SPD)

   Herr Westerwelle hat einen Punkt besonders angesprochen, in dem ich ihm ausdrücklich Recht gebe. Dabei geht es um die großen Mehrheiten in dieser Koalition. Nie zuvor in der Geschichte unseres Landes hat es die Situation gegeben, dass etwa 72 Prozent der Abgeordneten im Parlament die Regierung stützen und gleichzeitig auch im Bundesrat entsprechende Mehrheitsverhältnisse gegeben sind.

   Ich sehe es so: Die große Mehrheit, die wir haben, bedeutet eine große Verantwortung. Das bedeutet auch, dass wir die großen Zukunftsfragen unseres Landes lösen müssen. Wir können nicht davon ausgehen, dass die Koalition nur bis zur Wahl 2009 besteht, und uns mit Hinweis darauf, dass es dann andere Mehrheiten gibt und die das dann machen sollen, nicht einfach davonstehlen.

   Wir müssen stattdessen selbst die Zukunftsfragen lösen. Aus meiner Sicht geht es dabei erstens um die Arbeitslosigkeit, zweitens um Gesundheit, Pflege und Rente und drittens um Familie. Von der Außenpolitik will ich jetzt noch nicht sprechen.

   Was die Arbeitsmarktpolitik angeht, haben Sie zu Recht festgestellt, Herr Westerwelle: Das sieht ja noch nicht so gut aus; es müsste mehr sein. Aber ich meine nicht - auch im Gegensatz zur Kanzlerin -, wir hätten in den ersten Monaten noch nichts gemacht. Wir haben doch etwas gemacht: Wir haben ein Steuergesetz gemacht und die Abschreibungsbedingungen verbessert. Diese Maßnahmen greifen auch. Dass das alles von heute auf morgen wirkt, glaubt kein Mensch. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Arbeitsmarktentwicklung verbessern wird. Daran habe ich keinen Zweifel.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Der Arbeitsminister, Franz Müntefering, hat festgestellt, dass es zwei Problemgruppen gibt. Das sind die unter 25-jährigen und die über 50-jährigen Arbeitslosen. Für diese Gruppen müssen wir - gerade im Zusammenhang mit der Rente ab 67 - etwas tun.

   Erlauben Sie mir dazu noch eine Bemerkung. Dass wir vor den Landtagswahlen, die ziemlich bedeutend waren, weil sie in drei Ländern stattfanden und für viele Parteien sozusagen ein Gradmesser waren, ein Thema wie die Rente mit 67 im Kabinett angepackt und entschieden haben, zeugt nicht gerade von politischer Feigheit, sondern von dem Mut, die Zukunftsfragen anzugehen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) - Otto Fricke (FDP): Weil der Rentenbericht vorher kam!)

Hinsichtlich der Rente mit 67 waren wir uns klar darüber, dass wir gerade für die über 50-Jährigen etwas tun müssen.

   Lassen Sie mich einen persönlichen Einschub machen. Ich kann Folgendes nicht verstehen: Auf Bilanzpressekonferenzen verkünden Unternehmen voller Stolz die besten Gewinne in ihrer Unternehmensgeschichte und hohe Dividenden und kündigen im nächsten Atemzug an, dass sie noch 10 000 Leute entlassen müssten. Dafür habe ich kein Verständnis.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich erwarte auch von deutschen Unternehmen, dass sie sich patriotisch verhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Sie müssen dafür sorgen, dass nicht der Shareholder-Value der Maßstab aller Dinge ist.

   Zurück zum Thema Arbeitslosigkeit und insbesondere zum Thema Jugendarbeitslosigkeit: Wir werden die Programme von Franz Müntefering noch intensivieren müssen. Wir sind auf dem Weg, gerade in diesen Problembereichen etwas zu tun. Ich fahre morgen Nachmittag zu einer Firma in Berlin, die früher den Namen Orenstein & Koppel trug. Diese Traditionsfirma in Deutschland wurde von einem italienischen Konzern, dessen Namen ich hier nicht nennen möchte, übernommen und macht Gewinn. Obwohl vorher noch Investitionen genehmigt worden sind, entscheidet die Konzernspitze: Wir machen den Laden dicht. - Ich habe dafür kein Verständnis. Ich werde daher morgen den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern meine Solidarität zeigen; denn so geht es in unserem Land nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Ich komme nun zum Gesundheits- und Pflegebereich. Dass die Menschen von uns erwarten, eine Gesundheitsreform zu machen, die von Dauer ist und nachhaltig wirkt, brauche ich Ihnen nicht zu erläutern. Wir haben die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, das zu schaffen. Wir schaffen es mit Ulla Schmidt an der Spitze auch. Nun wird viel darüber spekuliert, wohin die Reise geht. Auch ich weiß, dass die Unionsfraktion mit Frau Merkel und Herrn Kauder, meinem Freund Kauder, an der Spitze gegen eine Bürgerversicherung ist. Das kann ich zwar nicht verstehen, aber dem ist wohl so.

(Heiterkeit bei der SPD)

Herr Kauder ist für eine Kopfpauschale.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Nein, für eine solidarische Gesundheitsprämie!)

- Nein, es heißt Kopfpauschale.

(Heiterkeit bei der SPD)

   Es wird jedenfalls weder eine Bürgerversicherung noch eine Kopfpauschale geben; das können wir festhalten. Aber davon, dass wir uns einigen werden, Herr Kuhn - Sie haben ebenfalls spekuliert -, können Sie ausgehen. Wenn wir es nicht schaffen, einen „dritten Weg“ zu finden, dann haben wir es nicht verdient, weiter zu regieren; denn die Bevölkerung erwartet, dass wir dieses Kernproblem lösen. Dafür haben wir die große Mehrheit. Wir werden es auf jeden Fall schaffen. Aber es wird ein Ergebnis herauskommen, angesichts dessen viele über uns herfallen werden; darin bin ich ganz sicher. Denn bei den vielen Lobbyisten, die hier sind und auf das Ministerium von Ulla Schmidt einzuwirken versuchen, gibt es keine Lösung, über die alle sagen: Das ist das Ei des Kolumbus. - Wir müssen dann zu dem stehen, was wir vereinbart haben. Ich habe keinen Zweifel daran, dass SPD und Union das tun werden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Ich will noch ein Wort zur Familienpolitik sagen. Es gab einige Probleme nach dem Genshagener Beschluss zur steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten. Wir haben das nun ordentlich geregelt. In diesem Zusammenhang ist mir eines aufgefallen - das sage ich als Vater von drei erwachsenen Kindern und als Großvater von fünf Enkelkindern -: Wir geben in Deutschland rund 100 Milliarden Euro - Peter Ramsauer hat vorhin eine niedrigere Zahl genannt; das ist jedenfalls die Zahl, die man mir mitgeteilt hat - für die Familienförderung aus.

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Insgesamt!)

Zu diesem Ergebnis kommt man, wenn man alles, auch die steuerlichen Vorteile, berücksichtigt. Ich finde, es muss möglich sein, 1 Milliarde oder 2 Milliarden Euro aus diesen 100 Milliarden Euro quasi herauszuschneiden, damit jeder Kindergartenplatz in Deutschland gebührenfrei ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Otto Fricke (FDP))

Darin sind wir uns, Frau von der Leyen, mit der Kanzlerin einig. Wir müssen das nun auf den Weg bringen. Es muss doch möglich sein, in unserem so gut organisierten Staat einen Schnitt an dieser Stelle vorzunehmen und es anders zu machen.

   Das Elterngeld ist ein wichtiger Schritt auf einem richtigen Weg. Ich möchte nur eine persönliche Bemerkung dazu machen: Der Staat kann so viel Geld für Kinder- und Familienförderung in die Hand nehmen, wie er will. Aber das Entscheidende sollte eigentlich sein, dass man Kinder in die Welt setzt, weil sie eine Freude und eine Bereicherung des Lebens sind, und nicht, weil man soziale Sicherungssysteme finanzieren will.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Noch ein kurzes Wort zur Außenpolitik - dann komme ich zu Ihrer Kritik an meinem Kollegen Jörg Tauss, Frau Kanzlerin, die ich so natürlich überhaupt nicht akzeptieren kann -: Wir sind von Ihnen, Frau Merkel, sowie vom Außenminister und vom Verteidigungsminister zum Thema Kongo informiert worden. Ich halte an meiner Position fest, dass Europa eine große Verantwortung für den afrikanischen Kontinent hat. Wer denn, wenn nicht wir, soll da helfen?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist so, und nicht nur aus den Gründen, die Sie genannt haben, Frau Merkel: Sie sehen ja die Flüchtlingsströme, die über den Maghreb zu uns kommen. Dieser arme, geschundene Kontinent ist damals nämlich von den Europäern kaputtgemacht worden. Also müssen auch wir dabei helfen, ihn wieder aufzubauen; das ist meine persönliche Einstellung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Also: Generell Ja zu dem Einsatz. Wir brauchen allerdings einen klaren Auftrag für die Soldatinnen und Soldaten, eine klare Arbeitsteilung der europäischen Nationen und eine klare örtliche und zeitliche Begrenzung. Ich werbe in meiner Fraktion um Zustimmung für den Einsatz und ich habe keinen Zweifel, dass meine Fraktion diesen Einsatz mit großer Mehrheit mittragen wird. Dieser Einsatz bedeutet übrigens keine Überforderung der Bundeswehr. Herr Jung, da werden wir uns einig sein: Diesen Einsatz mit diesem Kontingent kann die Bundeswehr noch leisten.

   Im Übrigen ist das, was wir anderswo, zum Beispiel in Afghanistan, machen, hier nach wie vor besonders hervorzuheben. Dass die Bundesregierung da in der Kontinuität zu unserer rot-grünen Außenpolitik steht, ist zu loben und dafür bedanke ich mich. Das ist ein Beitrag von Steinmeier.

(Beifall bei der SPD)

   Zu Weißrussland haben wir etwas gesagt: Wir haben einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Grünen; es ist gut, dass es diesen gemeinsamen Antrag gibt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Man muss nur fragen, warum andere nicht dabei sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage nur: Wir in den Koalitionsfraktionen haben eine klare Position zu den Menschenrechtsverletzungen in Weißrussland.

   Zum Föderalismus. Frau Merkel, ein Wort der Kritik muss erlaubt sein, auch wenn ich Ihre Politik mittrage - wie Sie wissen -, mal mehr und mal weniger.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

- Ja, im Augenblick gerade weniger. - Es ist nicht so, dass wir der Meinung wären, dass der Bund im Rahmen der Föderalismusreform die Zuständigkeit für die Schulen bekommen sollte. Manche dröhnen so - ich habe einen Kollegen genannt; er spricht aber nicht für die Fraktion -,

(Otto Fricke (FDP): „Dröhnen“ ist ein gutes Wort!)

aber das wollen wir nicht, das will niemand, weil jeder weiß: Das geht ja gar nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe in meiner ersten Rede zur Föderalismusreform, die, wie ich gehört habe, auf der Regierungsbank nicht nur Freude hervorgerufen haben soll - das ist mir aber auch egal -,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das Gefühl kenne ich! - Otto Fricke (FDP): Sehr guter Parlamentarier!)

einen Punkt nicht angesprochen, auf den ich jetzt ausdrücklich eingehen will: Ich glaube, dass in zehn oder 15 Jahren unsere Nachfolgerinnen und Nachfolger - manche von uns werden auch noch dabei sein -, die hier in diesem Plenarsaal sitzen und über Politik, über die Probleme des Landes diskutieren werden, die Frage aufwerfen, ob wir nicht zu viele Bundesländer haben, ob wir wirklich 16 Bundesländer brauchen. Brauchen wir die? Ich sage Nein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Guido Westerwelle (FDP) und des Abg. Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE))

Ich weiß, wie schwierig das ist; mein Freund Jens Bullerjahn in Sachsen-Anhalt hat ja gerade in seinem Wahlkampf gesagt, dass wir nicht so viele brauchen. Auch an diesem Punkt muss man ansetzen, wenn man eine wirkliche Föderalismusreform durchführen will.

   Es bleibt dabei - das will ich noch als ernste Bemerkung zum Schluss sagen; Volker Kauder weiß das auch -: Ich will im Rahmen der Föderalismusreform keine Zuständigkeit des Bundes für die Schulen bekommen. Ich möchte lediglich erreichen, dass die Länder bereit sind, sich nicht dagegen zu wehren - das so genannte Kooperationsverbot -, wenn der Bund in der Lage und willens ist, ihnen Geld für Bildung zukommen zu lassen.

(Beifall bei der SPD)

Ich begreife es tatsächlich nicht - da schaue ich auch in Richtung FDP; auch Sie sind in Landesregierungen vertreten -,

(Petra Merkel (Berlin) (SPD): Aber in nicht mehr so vielen!)

dass in der Debatte so getan wird, als ob wir die Länder zwingen wollten, Geld von uns anzunehmen. Ich will darüber reden, wie wir eine Kooperation organisieren können, wenn der Bund der Meinung ist, dass im Bildungsbereich, an Hochschulen oder Fachhochschulen etwas gemacht werden soll - nur darum geht es. Wenn wir in dieser Frage zu einem Kompromiss kommen, habe ich keinen Zweifel, dass die Föderalismusreform kommen wird, und es ist auch gut, dass sie kommt.

   Dem Finanzminister und der Kanzlerin wünsche ich bei ihrem ersten Haushalt viel Erfolg - wir werden dazu beitragen. Vielleicht können wir ein bisschen mehr sparen, Herr Finanzminister, sagen meine Haushälter jedenfalls; wir müssen aber vorsichtig sein dabei.

(Otto Fricke (FDP): „Vorsichtig sein beim Sparen“, das ist gut!)

Insgesamt sind wir, glaube ich, auf einem guten Weg und das Land kann sich auf diese Regierung verlassen.

   Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Oskar Lafontaine noch einmal um das Wort gebeten.

(Beifall bei der LINKEN)

Oskar Lafontaine (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Reihenfolge der Redner geht etwas durcheinander.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Wo ist Frau Jochimsen? Uns ist Frau Jochimsen versprochen worden!)

Wir dachten, es sei jetzt schon der Kulturetat an der Reihe. Leider ist das nicht der Fall. Das gibt mir die Gelegenheit, auf einige der Argumente, die hier vorgetragen worden sind, kurz einzugehen.

   Zunächst zu der Feststellung des Fraktionsvorsitzenden der SPD, dass er es bedauert, dass eine Reihe gut verdienender Unternehmen nach wie vor Arbeitsplätze abbauen. Ich begrüße es, Herr Fraktionsvorsitzender Struck, dass Sie dies hier angesprochen haben, möchte aber darauf hinweisen, dass der Appell an Unternehmen, sie müssten sich patriotisch verhalten, in unserer wirtschaftlichen Ordnung schlicht und einfach ins Leere geht. Unternehmen verhalten sich nicht patriotisch, Unternehmen wollen schlicht und einfach ihre Gewinne optimieren.

   Ich will die Unterhaltung mit der Kanzlerin nicht stören, möchte aber trotzdem einen wichtigen Punkt ansprechen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wir hüpfen nicht alle, wenn Sie rufen!)

Die Situation, dass die Unternehmen zurzeit auf der einen Seite exorbitante Gewinne machen, auf der anderen Seite aber Massenentlassungen ankündigen, ist ein unhaltbarer Zustand in unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

   Unsere Fraktion belässt es nicht bei dem Appell an die Unternehmen, sich patriotisch zu verhalten - das haben wir nun schon jahrzehntelang getan -, sondern wir machen zwei Vorschläge: Einmal wollen wir die so genannte Heuschreckendebatte aufgreifen, die der Arbeitsminister vor einigen Monaten angestoßen hat, und die Zulassung solcher Fonds in Deutschland reregulieren. Wir können dann hier testen, ob Sie es mit der Kritik ernst gemeint haben, dass Unternehmen aufgekauft, ausgeschlachtet und dann wieder verkauft werden, oder ob das schlicht und einfach wieder Wahlkampfgetöse war, das keine reale Grundlage hatte. Wir werden einen solchen Vorschlag auf jeden Fall einbringen und namentliche Abstimmung beantragen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Das Zweite betrifft - da könnte dem sehr beschäftigten Kollegen Struck weitergeholfen werden - die Bindung der Managergehälter an Aktienoptionen. Das ist nämlich die Erklärung dafür, warum sich Vorstände nicht mehr patriotisch verhalten. Auch Vorstände neigen in unserer Wirtschaftsordnung dazu, ihre Einkommen maximieren zu wollen. Solange Aktienoptionen in der Vorstandsentlohnung in großem Umfang angeboten werden, werden die Vorstände auch bei exorbitanten Gewinnen weiterhin Personalabbaupläne ausarbeiten, weil sie damit ihr eigenes Einkommen maximieren. Das muss unterbunden werden. Einen entsprechenden Vorschlag werden wir machen. Sie können dann zu diesem Vorschlag Ja oder Nein sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Ich wollte noch einige Bemerkungen zu den Ausführungen der Bundeskanzlerin machen, die jetzt auch verschwunden ist. Ich frage für das Parlament, ob es überhaupt noch Sinn hat, zuzuhören, wenn diejenigen, die sich geäußert haben, gleich verschwinden oder in tiefe Unterhaltungen verstrickt sind.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Unverschämt!)

Das ist auf jeden Fall keine Verfahrensweise, die dem Parlament zum Ansehen gereicht.

(Beifall bei der LINKEN)

   Die Bundeskanzlerin hat ein paar Bemerkungen zu ihrer Politik gemacht. Entscheidend aber war der Vorhalt, den der Kollege Westerwelle gemacht hat, als er darauf verwiesen hat, dass sie vor einigen Monaten ein Konzept zur Steuerpolitik unterschrieben hat, das zwar nicht unser Konzept, aber immerhin ein Konzept war. Wenn jemand einige Monate später etwas ganz anderes vertritt, dann stellt sich die Frage, welche Konzeption der Betreffende überhaupt hat. Das gilt nicht nur für die Steuerpolitik, das gilt auch für die Gesundheitspolitik und eine ganze Reihe anderer Politikbereiche. Die Frage, wofür diese Regierung steht, kann nicht beantwortet werden, wenn die Chefin dieser Regierung nicht in der Lage ist, deutlich zu machen, für welche längerfristige Konzeption sie eigentlich steht. Das ist das Bedauerliche an dem Vorhalt, den Herr Westerwelle hier gemacht hat.

(Beifall bei der LINKEN)

   Ich habe einige Fragen zur Außenpolitik gestellt, die alle nicht beantwortet worden sind. Es wäre erstens von Interesse, zu erfahren, was die Kanzlerin unter Terrorismus versteht. Das könnte die Deutschen ja interessieren. Offensichtlich ist sie nicht in der Lage, darauf eine Antwort zu geben. Es wäre zweitens von Interesse, zu erfahren, ob sie tatsächlich die Auseinandersetzungen im Vorderen Orient als Auseinandersetzungen über Freiheit und Demokratie versteht oder ob sie erkennt, dass es hier um die militärische Sicherung der Rohstoffe geht. Es wäre von Interesse für die Deutschen, das zu erfahren. Die Frage, ob eine Regierung in Zukunft das Völkerrecht respektiert, kann doch nicht so abenteuerlich sein, dass man darauf keine Antwort weiß.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Frage ist, welchem Zweck Debatten überhaupt noch dienen. Der Kollege Kuhn, der leider auch nicht mehr anwesend ist, hat eine Frage aufgeworfen, die auch relevant ist, nämlich auf welcher Grundlage man mit dem Iran verhandelt.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wir warten nicht alle auf Oskar! Wo ist Gysi denn eigentlich? Hat sich Frau Pau hier schon gemeldet?)

Wenn man mit dem Iran verhandelt, dann muss man doch eine klare Antwort auf eine Kernfrage der atomaren Rüstung haben: Meint man, eine gerechte Weltordnung könne aufgebaut werden, wenn die einen Atomwaffen für sich beanspruchen, während man sie den anderen im gleichen Atemzug verbietet? Diese Frage muss doch beantwortet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine Regierung muss doch irgendeinen gedanklichen Ansatz dazu vortragen können. Es ist erschütternd, zu sehen, wie heute das Prinzip der Beliebigkeit gilt.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Selbstgerechte Arroganz!)

Man erzählt irgendetwas Gefälliges und glaubt, es werde irgendwie ankommen. Das ist mittlerweile Grundlage der Politik.

   Ich will zu zwei Punkten, die die Kanzlerin angesprochen hat, noch kurz etwas sagen:

   Sie hat die Rentenpolitik der Regierung mit der Aussage gerechtfertigt, die demografische Entwicklung erfordere zwingend die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Diese Aussage stößt zwar auf große Zustimmung, ist aber schlicht und einfach grundfalsch. Das Lebensalter darf nicht über die Rentengesetzgebung entscheiden. Entscheidend ist nun einmal die Produktivitätsentwicklung unserer Volkswirtschaft. Schon seit langem steigt die Lebenserwartung der Menschen. Trotzdem haben wir das Rentensystem aufgrund enormer Produktivitätssteigerungen in diesem Umfang bewahren können. Deshalb ist es schlicht falsch, zu behaupten, die demografische Entwicklung bestimme die Rentengesetzgebung. Entscheidend ist die Entwicklung der Produktivität unserer Volkswirtschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Leider wird von diesem zentralen Begriff überhaupt nicht geredet, wenn diese Frage hier angesprochen wird.

   Ich will noch etwas zur Familienpolitik sagen. Es war wieder sehr spannend, festzustellen, dass man darauf verweist, dass die Geburtenrate zurückgegangen ist. Ich sage hier für meine Fraktion: Die Geburtenrate eines Volkes ist das Urteil ebendieses Volkes über die Wirtschafts- und Sozialpolitik seiner Regierung.

(Beifall bei der LINKEN)

Diesen Zusammenhang muss man sehen. Wenn man ihn nicht sieht, dann kann man keine Familienpolitik machen, die zu anderen Geburtenraten führt.

   In diesem Zusammenhang sprach die Kanzlerin von der Verlässlichkeit und vom Kündigungsschutz. Sie meinte, beim Kündigungsschutz komme es darauf an, beim Abbau des Kündigungsschutzes verlässlich zu sein. Hier möchte ich noch einmal sagen: Wenn Menschen eine Familie gründen wollen - um diese Menschen geht es -, dann suchen sie eine ganz andere Form von Verlässlichkeit als die Scheinverlässlichkeit, von der die Kanzlerin hier gesprochen hat. Diese Menschen möchten verlässlich wissen, ob sie in ein paar Monaten noch Geld auf dem Konto haben.

   Solange Arbeitsmarktpolitik darin besteht, alles abzubauen, was den jungen Menschen diese Verlässlichkeit geben könnte, so lange werden keine Familien gegründet und so lange werden in Deutschland immer weniger Kinder zur Welt kommen.

(Beifall bei der LINKEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Selbstgerechte Arroganz!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort nun dem Staatsminister im Kanzleramt, Bernd Neumann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung am 30. November 2005 gesagt - ich zitiere -:

Deshalb ist Kulturförderung für diese Bundesregierung keine Subvention. ... Sie ist eine Investition, und zwar eine Investition in ein lebenswertes Deutschland.

Ich wiederhole das gern. Die Bundesregierung bekennt sich zu ihrer kulturpolitischen Verantwortung. Kunst und Kultur stärken das geistige Fundament und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Eine lebenswerte, eine kreative und eine offene Gesellschaft ist ohne Impulse, die die Künste geben, nicht denkbar.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Mit diesem Haushalt unterstreicht die Bundesregierung, dass sie ihrer kulturpolitischen Verantwortung gerecht wird. Ich konnte mich mit meiner Zielsetzung durchsetzen, den Kulturhaushalt vor Kürzungen zu bewahren, obwohl im früheren Entwurf eine erneute globale Minderausgabe vorgesehen war. Mehr noch: Es ist gelungen, den Ansatz für die Kulturförderung im vorliegenden Gesetzentwurf zu erhöhen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wir sind keine Kulturbanausen!)

   Es steigt der verfügbare Gesamtbetrag für 2006 gegenüber dem Haushaltsjahr 2005 um 2,1 Prozent. Die von uns geförderten Einrichtungen werden von Kürzungen also verschont. Sie haben im BKM einen verlässlichen Partner.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   In Zeiten knapper Kassen und dramatischer Sparzwänge ist dies für die Kultur in Deutschland ein wichtiges positives Signal, auch in Richtung Länder und Kommunen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Kultur darf eben nicht zum Steinbruch bei der Sanierung der Staatsfinanzen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Sie ist die geistige Basis, die Klammer, die unsere Gesellschaft bei zunehmender Globalisierung und Orientierungslosigkeit zusammenhält. Sie gibt uns Halt, Heimat und Identität zugleich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Im Zeitraum von 2001 bis 2004 verzeichnen wir auf der Länderseite einen Rückgang der Kulturausgaben um 250 Millionen Euro und bei den Gemeinden einen Rückgang um 230 Millionen Euro.

(Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Das ist wirklich ein Skandal!)

- Herr Otto, das war die Antwort auf die von Ihnen gestellte Frage. Das ist ein Minus von 6,8 Prozent bzw. 6,2 Prozent.

(Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Das ist ein Hammer!)

Die Kulturausgaben des Bundes bleiben dagegen im Prinzip stabil. Wir haben im letzten Jahr, 2005, mit 1,038 Milliarden Euro etwa die gleiche Ausgabenhöhe wie 2001.

   Es verwundert daher nicht, dass in diesen Tagen die Städte Wittenberg, Wolfenbüttel und Weimar ihre Thesen zur kulturpolitischen Situation in Deutschland vorgestellt haben. Das hat seinen Grund. Die Autoren stellen fest, man könne nicht die kulturpolitischen Kompetenzen auf Bundesebene beschneiden wollen bei gleichzeitiger Absenkung der Kulturfinanzierung auf Länder- und Kommunalebene; das schade dem Anspruch Deutschlands als Kulturstaat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ihre Schlussfolgerung angesichts der sinkenden Ausgaben der Länder ist ein Appell an den Bund, hier stärker tätig zu werden. Das ist gut gemeint, aber der Bund kann nicht finanziell das ausgleichen, was die Länder einsparen,

(Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Das stimmt!)

zumal sich seine Verantwortung auf Bereiche von nationaler und gesamtstaatlicher Bedeutung beschränkt. Diese nimmt er sehr engagiert wahr.

   Ich habe in der vergangenen Woche Weimar - international Inbegriff deutscher Kultur - besucht. Hier kommt der Bund seiner gesamtstaatlichen Verantwortung nach. Wir unterstützen die Klassik Stiftung Weimar mit 11 Millionen Euro im Jahr und wir verlängern die Traditionslinien Weimars zur zeitgenössischen Kunst auch in diesem Jahr, indem wir, anders als geplant, das Kunstfest Weimar erneut fördern. Hier wird das Bekenntnis zur Kulturnation mit Taten unterlegt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP))

   Nicht alles ist finanzierbar. Deutschland ist kein Staatenbund, sondern ein Bundesstaat. Deutschland ist eine europäische Kulturnation. Daraus ergibt sich für mich geradezu eine Verpflichtung zu föderaler Kooperation zwischen Bund und Ländern. Dieser Verpflichtung kommt die Bundesregierung nicht nur durch einen stabilen Haushalt, sondern auch durch Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Kultur nach. Wir haben im letzten Vierteljahr die Beibehaltung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Kulturgüter beschlossen.

(Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Wichtiger Schritt!)

Wir haben mit dem Folgerecht im Kunsthandel für Künstler EU-weit vergleichbare Bedingungen geschaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP))

Wir haben mit der UNESCO-Konvention zum Verbot der rechtswidrigen Übereignung von Kulturgut auch dem Kunsthandel weltweit eine sichere Grundlage gegeben. Wir haben mit der im Kabinett beschlossenen Novelle des Urheberrechts mit dem Wegfall der Bagatellklausel, die an sich vorgesehen gewesen ist, ein wichtiges Signal für den Schutz des geistigen Eigentums von Künstlern und Autoren gesetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sehr wichtig war das!)

   Die kulturpolitische Rolle des Bundes liegt ganz konkret in der Förderung dessen, was von nationaler gesamtstaatlicher Bedeutung ist. Das gilt nicht nur, aber auch für die Hauptstadt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Unser größtes Projekt in Berlin ist die Fertigstellung der Museumsinsel. Das ist ein nationales Projekt mit internationaler Ausstrahlung. Schon jetzt ist dieses Welterbe-Ensemble einer der bedeutendsten Orte der Kunst in der Welt. Unser Haushalt macht es möglich, ohne Zeitverzug an der weiteren Umsetzung des so genannten Masterplans zur Sanierung der Museumsinsel in Berlin-Mitte zu arbeiten. Es ist unser größtes Bauvorhaben und es zeigt eindrucksvoll, was es heißt, in Kultur zu investieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Es bedarf einer gemeinsamen Anstrengung, der Bedeutung der Kultur und ihrer Förderung auch mit Blick auf den Haushalt Nachdruck zu verleihen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sehr wahr!)

Diese Anstrengung muss sich jährlich wiederholen, auch für den Haushalt 2007, Herr Kollege Kampeter.

(Beifall der Abg. Monika Griefahn (SPD) - Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Der ist ein guter Förderer der Kultur!)

   Ich bin der Überzeugung: Der vorgelegte Haushaltsentwurf 2006 ist eine Basis, die fraktionsübergreifend tragfähig ist und die an sich von allen Parteien unterstützt werden könnte.

   Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP - Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Gute Arbeit!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort nun der Kollegin Dr. Angelica Schwall-Düren für die SPD-Fraktion.

Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern war die positive Nachricht zu vernehmen, dass der Geschäftsklimaindex erneut, zum vierten Mal in Folge, angestiegen und auf ein Niveau geklettert ist wie seit 1991 nicht mehr. Wahrlich eine erfreuliche Botschaft; aber die FDP, insbesondere Herr Gerhardt und Herr Westerwelle, setzt das Schlechtreden Deutschlands fort

(Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Ach du lieber Gott!)

und trägt damit weiterhin zu einem Klima bei, das den Investitionen nicht gerade zuträglich ist.

(Beifall bei der SPD - Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Wir sind doch nicht Ihre Jubeltruppe; wir sind die Opposition!)

   Deutschland ist auf einem guten Weg. Das ist auch wichtig; denn Deutschland wird als Motor in Europa gebraucht. Gleichzeitig profitiert unser Land aber auch von der Europäischen Gemeinschaft

(Otto Fricke (FDP): Die gibt es gar nicht mehr! Das ist die Europäische Union!)

und ihren Initiativen. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass sich die Regierung der großen Koalition zusammen mit den Regierungen der anderen EU-Mitgliedstaaten für eine koordinierte Wachstumspolitik mit sozialem Gesicht einsetzt. Damit steht sie in der Tradition der sozialdemokratisch geführten Vorgängerregierungen, die sich mit den Reformen der Agenda 2010 den Herausforderungen der Zeit gestellt hatten.

   Zugegeben: Die unter mehrheitlich sozialdemokratischen Regierungschefs im Jahr 2000 aus der Taufe gehobene Lissabonstrategie war in den vergangenen Jahren nur mäßig erfolgreich. Vielleicht fehlte hier der starke Impuls aus Deutschland; denn Reformen waren ja nicht leicht umzusetzen. Nicht umsonst - so weit mein dezenter Hinweis - wollen wir einen Teil der Blockademöglichkeiten durch eine Föderalismusreform aufheben.

   Dies ist aber kein Grund, an den Zielen der Lissabonstrategie zu zweifeln. Die EU hat einen neuen Anlauf genommen. Die Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, nationale Reformprogramme zu erstellen. Die wesentlichen Elemente des deutschen nationalen Reformprogramms sind in die Koalitionsvereinbarung eingegangen. Unser Programm setzt die begonnenen Strukturreformen der Vorgängerregierungen fort.

(Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Toll!)

Heute ist schon viel zu den einzelnen Schwerpunkten in den Bereichen Arbeitsmarkt, Altersversorgung und Familienpolitik gesagt worden. Ich will hier nur betonen, dass die EU-Kommission uns in ihrem Bericht zu den nationalen Reformprogrammen ausdrücklich bescheinigt hat, dass wir auf einem guten Wege sind.

   Das nationale Reformprogramm zeigt: Wir werden in unserem Land mehr investieren und private Investitionen unterstützen. Im Bereich Forschung und Entwicklung werden bis 2009 mehrere Milliarden zusätzlich zur Verfügung gestellt, sodass wir realistischerweise bis 2010 das Ziel der Investitionen in Höhe von 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreichen können.

   Wir investieren in die Verkehrsinfrastruktur bis 2009 zusätzlich insgesamt 4,3 Milliarden Euro.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir geben Bürgern, Unternehmen und Kommunen Unterstützung für ihre Investitionen. Dazu haben wir unter anderem ein ehrgeiziges CO2-Minderungsprogramm aufgelegt. Wir schaffen die Möglichkeit, bis zu 600 Euro an Handwerksleistungen von der Steuerschuld abzuziehen. Damit ermöglichen wir nicht nur Einsparungen von Kosten und Energieverbrauch; wir sorgen auch für günstige Voraussetzungen für die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Deutschland und Europa können im weltweiten Wettbewerb nur dann ihre starke Position behalten, wenn den Innovationen freie Bahn geschaffen wird. Im Gegensatz zu dem, was Sie, Herr Kuhn, ausgeführt haben, unterstützen wir den Technologietransfer und den Marktzugang von innovativen Produktionsmethoden und Produkten. Die nachhaltige Energiepolitik - wir stehen da in einer guten gemeinsamen Tradition - mit dem Ausbau regenerativer Energiequellen sowie der Weiterentwicklung von Effizienz- und Einspartechnologien ist deshalb ein gutes und wichtiges Beispiel für diese Strategie. Die dafür notwendige Kreativität und Flexibilität finden sich vor allem bei den kleinen und mittleren Unternehmen. Deshalb setzt die Bundesregierung im Einklang mit der EU hier einen Förderschwerpunkt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wie schon in der Vergangenheit wird auch in dieser Legislaturperiode daran gearbeitet, die Unternehmen in Deutschland und in der Europäischen Union von unnötigem bürokratischem Ballast zu befreien. Die Kanzlerin hat bereits darauf hingewiesen. Bürokratieabbau darf aber nicht Deregulierung um ihrer selbst Willen bedeuten nach dem neoliberalen Motto der FDP „Der Markt wird schon alles regeln“.

(Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Gähn! Warum reden Sie so langweilig und immer dasselbe?)

- Ich sage das deswegen, weil es richtig ist. - Der Markt kann gerade nicht die menschlichen Beziehungen regeln. Inzwischen weiß es fast jeder, vielleicht mit Ausnahme der FDP: Der soziale Zusammenhalt, den wir in Deutschland und in Europa gewöhnt sind, ist ein ganz wichtiger Produktionsfaktor, dem wir unsere hohe Produktivität entscheidend zu verdanken haben.

(Beifall bei der SPD)

   Darum ist es unabdingbar, dass wir in Deutschland und in Europa die soziale Dimension stärken. Ich bin deshalb der Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie vergangene Woche auf dem Frühjahrsgipfel für den Kompromiss bei der Dienstleistungsrichtlinie eingetreten ist, den das Europäische Parlament erarbeitet hat. Wir können Europa nur gemeinsam mit der Bevölkerung bauen, wenn wir den Menschen nicht jegliche Sicherheit nehmen. Deshalb sage ich: Dynamisierung des Dienstleistungsmarktes durch freien Marktzugang für alle EU-Bürger: ja, aber unter Einhaltung der jeweiligen Sozial-, Qualitäts- und Verbraucherschutzstandards am Ort der Erbringung der Dienstleistungen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Iris Gleicke (SPD): Genau so!)

   Wir setzen darauf, dass die Bundesregierung im weiteren Beratungsverlauf zur Erarbeitung eines gemeinsamen Standpunktes des Rates die noch offenen Fragen sorgfältig klärt und in Abstimmung mit dem Bundestag die Präzisierung der Dienstleistungsrichtlinie voranbringt.

   Freier Marktzugang für Dienstleister und Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Ablauf der Übergangsfrist verlangen auch nach einer Regelung heimischer Mindeststandards. Ich bin deshalb sehr froh, dass Arbeitsminister Franz Müntefering bis zum Herbst ein Paket vorlegen will, mit dem der Niedriglohnbereich geregelt werden soll. Ob hier Kombilöhne eine stärkere Rolle als in der Vergangenheit spielen können, halte ich für sehr fraglich. Sicher müssen wir Lösungen für das Entsendegesetz und für die Mindestlöhne finden. Denn wer hart arbeitet, braucht eine anständige und existenzsichernde Entlohnung.

   Eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung kann nur gelingen, wenn die ökonomischen Zusammenhänge beachtet werden. Dabei sind tragfähige öffentliche Finanzen ein zentrales Element. Das gilt für Deutschland und für Europa. Beim Europäischen Rat im Dezember 2005 haben die Staats- und Regierungschefs eine Einigung über die künftige Finanzierung der EU erzielt. Die Bundesregierung konnte maßgeblich zum Zustandekommen dieses Kompromisses beitragen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mit dieser Einigung wurde die finanzielle Grundlage für die künftige europäische Politik geschaffen. Gleichzeitig überfordert der gefundene Kompromiss die Leistungsfähigkeit der Mitgliedstaaten nicht, sondern er unterstützt die notwendigen Konsolidierungsanstrengungen. Es ist nun wichtig, dass dieser Kompromiss zusammen mit dem Europäischen Parlament und der Kommission umgesetzt wird. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass rechtzeitig eine Einigung gelingt, damit die europäischen Politiken kontinuierlich fortgesetzt werden können.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

   Im Hinblick auf die nationalen öffentlichen Finanzen wurde mit der Reform des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes - das sage ich auch in Richtung Herrn Lafontaine - die Voraussetzung für eine ökonomisch sinnvolle Anwendung des Paktes geschaffen. Unser Finanzminister Peer Steinbrück hat gestern klar gemacht, dass wir einerseits den Pakt künftig wieder einhalten werden, dass aber andererseits eine nachhaltige Konsolidierung nicht allein durch Einsparungen erreicht werden kann.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Aber auch durch Einsparungen!)

Wir müssen die Konjunktur stärken und entsprechende Anreize schaffen.

(Otto Fricke (FDP): Aber sparen müssen wir schon!)

- Das tun wir auch. Wir sparen jede Menge.

(Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Wo denn? Wo sparen Sie denn?)

   Das in Genshagen beschlossene Investitionsprogramm trägt dazu bei, die Wachstumsschwäche in Deutschland zu überwinden, und schafft damit die Voraussetzung für eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung. Der Ansatz, die konjunkturelle Belebung im laufenden Jahr zu stützen und dann die Maastrichtkriterien in 2007 wieder einzuhalten,

(Otto Fricke (FDP): Hoffentlich auch die Verfassung!)

ist ökonomisch geboten und macht den Stabilitäts- und Wachstumspakt bei den übrigen Mitgliedstaaten glaubwürdiger.

(Otto Fricke (FDP): Das ist ein Vertrag, den wir einhalten müssen!)

   Viele Menschen sind durch die Auswirkungen des internationalen Wettbewerbs verunsichert. Sie haben die EU im Verdacht, für den Verlust von Arbeitsplätzen verantwortlich zu sein. In der Summe ist das Gegenteil der Fall. Die Erweiterung der Europäischen Union hat ökonomisch positive Auswirkungen insbesondere auf Deutschland. Die Zahl der deutschen Exporte in die Beitrittsländer ist enorm gestiegen. Deutschland und Österreich haben bislang von der erweiterten europäischen Arbeitsteilung am meisten profitiert. Die Gewinner sind allerdings vor allem technologisch fortgeschrittene, kapitalintensive Wirtschaftszweige wie der Maschinen- und Anlagenbau, die Chemie- und Kraftfahrzeugindustrie und die Umwelttechnologien.

   Wir wissen aber auch, dass Direktinvestitionen westeuropäischer Unternehmen in die neuen Mitgliedstaaten nicht nur durch das Interesse der Markterschließung, sondern ganz wesentlich auch durch teilweise niedrigere Steuern und Lohnkosten bestimmt werden. Standortverlagerungen dienen dazu, Teile der Wertschöpfungskette in Niedriglohnländer zu verlagern und damit die Vorleistungen für die Produktion im Stammland zu verbilligen. Damit lässt sich zwar die Position der Unternehmen im globalen Wettbewerb stärken. Doch fallen die sozialen Kosten insbesondere für Arbeitsplätze, für die eine geringe Qualifizierung nötig ist, im Stammland an. Importwettbewerb und die Verlegung von Produktionsstandorten erzeugen in den betroffenen Branchen einen enormen Druck auf die Löhne, vor allem auf diejenigen niedrig qualifizierter Beschäftigter.

   Um Europapolitik für die betroffenen Menschen positiv erfahrbar zu machen, müssen neben Standards im Verbraucherschutz, bei der Produktionssicherheit und im Umweltschutz dringend notwendige Regelungen getroffen werden, zum Beispiel die Festlegung von Mindestlöhnen, die ich schon erwähnt habe. Es gilt, lange Versäumtes unverzüglich nachzuholen.

(Beifall bei der SPD - Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Lange versäumt? Ihr seid doch sieben Jahre an der Regierung gewesen! Warum ist das versäumt worden?)

- Das war unter anderem deswegen nicht möglich, weil die Debatte in den Gewerkschaften noch nicht weit genug vorangekommen ist.

(Otto Fricke (FDP): Ah, die Gewerkschaften sind schuld!)

Aber wir kommen in dieser Frage voran und werden dazu noch in diesem Herbst eine Entscheidung treffen.

   Mit uns wird Deutschland ein Land mit hohen Löhnen und hoher sozialer Sicherheit bleiben.

(Beifall bei der SPD)

Angesichts der angespannten Situation am deutschen Arbeitsmarkt kann gegenwärtig die generelle Öffnung für Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten nicht ernsthaft erwogen werden. Ein Zuzug besonders von gering qualifizierten Arbeitnehmern würde zu weiteren Verwerfungen führen und von unseren Bürgern und Bürgerinnen nicht verstanden. Der Beschluss der Bundesregierung beweist, dass die Sorgen und Nöte der Menschen in unserem Land ernst genommen werden und sie die konkrete Politik beeinflussen. Das schafft Akzeptanz für deutsche Politik und für die europäische Integration.

   Dies wirft aber auch die Frage nach den nächsten Erweiterungsschritten auf. Der Vertrag über den Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur EU wurde am 25. April 2005 in Luxemburg unterzeichnet und muss von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Die deutsche Bundesregierung steht zu unterzeichneten Verträgen. In der Koalitionsvereinbarung haben wir verabredet, im Lichte der für Mai angekündigten Berichte und der Empfehlung der EU-Kommission über die Ratifizierung zu entscheiden. Der Deutsche Bundestag wird ausführlich darüber beraten. Wir wissen, dass die Länder derzeit noch Defizite bei der Implementierung des Gemeinschaftsrechts aufweisen. Wenn wir die Bürger in allen Mitgliedstaaten von der Richtigkeit der europäischen Politik überzeugen wollen, müssen die Beitrittskandidaten die vereinbarten Kriterien für die Aufnahme in die EU einhalten. Rumänien und Bulgarien stehen also vor einer großen Aufgabe, die in sehr kurzer Zeit gelöst werden muss. Aber beide Länder wissen Deutschland an ihrer Seite. Wir werden, soweit möglich, Unterstützung leisten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   An der Entscheidung über die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien und der Türkei mit dem Ziel, ihnen die Vollmitgliedschaft zu eröffnen, halten wir ebenso fest.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Verhandlungen werden ergebnisoffen geführt und wir wissen, dass sie noch viele Jahre dauern werden. Deutschland wird weiter daran arbeiten, mit einer umsichtigen Erweiterungspolitik, die die Aufnahmefähigkeit der EU nicht überfordert, einen wichtigen Beitrag zu Frieden und Stabilität auf unserem Kontinent zu leisten.

   Wir werden auch zukünftig in Europa keine religiösen Grenzen ziehen. Die EU ist eine Werte-, aber keine Religionsgemeinschaft. Das muss auch für Ministerpräsidenten deutscher Bundesländer gelten.

(Beifall bei der SPD)

   Gleichwohl sind wir in der Pflicht, das Spannungsverhältnis zwischen der außen- und sicherheitspolitisch gebotenen und erwarteten Fortführung des Erweiterungsprozesses und den europapolitischen Notwendigkeiten einer Konsolidierung der Grundlagen der EU aufzulösen. Die EU muss ihre Glaubwürdigkeit nach außen und nach innen erhalten und gleichzeitig ihre Handlungsspielräume erweitern. Ich bin deswegen überzeugt, dass die Ausgestaltung der europäischen Nachbarschaftspolitik von enormer Bedeutung sein wird. Die Attraktivität dieses Instruments muss im Sinne der EU und der betroffenen Länder gesteigert werden.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, das größere Europa braucht veränderte Regeln. Die Ursachen, die zur Ablehnung des Vertrags über eine europäische Verfassung in Frankreich und den Niederlanden geführt haben, müssen wir in einer gemeinsamen Kraftanstrengung bekämpfen. Wir wollen und müssen den Menschen deutlicher machen, wie nützlich gemeinsame Politik in Europa für alle ist. Dem Unbehagen gegenüber den sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Globalisierung sowie der mangelnden Transparenz von europäischen Entscheidungen muss eine deutlich soziale und demokratische Politik entgegengesetzt werden.

   Lange Jahre war die EU für die Bürger Garant für Frieden und Sicherheit in Europa. Sie wurde nicht infrage gestellt, aber auch wenig beachtet. Heute bezweifeln die Menschen, ob die EU angesichts der rasanten Globalisierung und des verschärften internationalen Wettbewerbs den Lebensstandard ihrer Bürger sichern kann. Wir befinden uns also nicht in einer Verfassungskrise, sondern in einer Vertrauenskrise und wir müssen aus der Ratifizierungskrise herauskommen. Die vereinbarte Reflexionsphase sollten alle nationalen Parlamente, das Europäische Parlament, die Regierungen, die Sozialpartner, die zivilgesellschaftlichen Gruppen und die politischen Parteien nutzen, um eine öffentliche Debatte zu führen.

Wir unterstützen ausdrücklich die Vereinbarungen der Kabinettsklausur in Genshagen vom Januar 2006. Ich zitiere:

Wir wollen in Europa ein günstiges politisches Klima schaffen, das es ermöglicht, unter deutscher EU-Präsidentschaft neue Anstöße für einen erfolgreichen Abschluss des Verfassungsprozesses zu geben.

   Es steht außer Frage, dass dabei der sozialen Dimension der EU eine herausragende Rolle zukommt. Es gibt großen Diskussionsbedarf, um Ideen und Vorschläge zu formulieren, die von den Staats- und Regierungschefs aufgegriffen werden können. Auch wir als Deutscher Bundestag sind hier in der Pflicht. Die SPD-Bundestagfraktion wird sich aktiv und engagiert in die Debatte einbringen.

   Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Markus Meckel, SPD-Fraktion.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Reden die anderen Fraktionen auch noch?)

Markus Meckel (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte über den Haushalt des Bundeskanzleramtes nähert sich dem Ende und gleich beginnt die Debatte über die Außenpolitik. An dieser Schnittstelle versuche ich, den Blick auf unsere europäischen Nachbarn, das heißt auf Weißrussland und die Ukraine, zu richten.

(Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU))

   Einige von uns haben die Wahl in Weißrussland beobachtet. Wir haben gemeinsam feststellen müssen, dass diese Wahl, so die formale Sprache der OSZE, weder fair noch frei war. Wir könnten auch sagen: Es war eine gut organisierte Wahlfarce, die wir miteinander erlebt haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Das war nichts Neues, wir haben das vorher schon bei einem Referendum und früheren Wahlen erlebt. Neu ist aber - das ist ein Zeichen der Hoffnung -, dass es diesmal mit Milinkewitsch einen gemeinsamen Kandidaten der Opposition gab und dass der Wahlkampf gut organisiert war. Neu war auch, dass die Sozialdemokraten im Vorfeld kooperiert haben, auch wenn die Sozialdemokraten aus der Koalition - wir müssen das leider bekennen - später nicht mitgemacht haben.

(Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Leider!)

Ihre Kooperation war wichtig. Wir können nur hoffen und sie auffordern, die Gemeinsamkeit der Opposition auch in Zukunft weiter zu erhalten. Das ist eine Schlüsselfrage für die Zukunft von Belarus.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) und des Abg. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Wir haben mit Zittern auf den Sonntagnachmittag und -abend gewartet, weil angekündigt war, dass Blut fließen würde. Gewalt wurde angekündigt, und zwar durch verschiedenste Intrigen und Mittel. Es wurden öffentliche SMS versandt, in denen davor gewarnt wurde, zum Oktoberplatz zu kommen. Es war ungeheuer bewundernswert, dass plötzlich 10 000 Menschen zum Oktoberplatz kamen, die viele Stunden lang in großer Kälte trotz der Drohungen für Freiheit und Demokratie protestiert haben. Es war ein großes Erlebnis für diejenigen, die dabei waren. Diese Menschen haben deutlich gemacht: Wir lassen uns die Zukunft durch den Wahlbetrug und das autoritäre System nicht verbauen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU))

   Es hat hundertfache Verhaftungen gegeben.

(Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Über 700!)

- Zu den 700 muss man noch die hinzuzählen, die schon vorher in Haft waren. Wir müssen Lukaschenko in aller Deutlichkeit auffordern, diese Menschen freizulassen. Darüber hinaus müssen wir auch Präsident Putin auffordern, sich für die schnelle Freilassung der Menschen einzusetzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Genau richtig!)

   Die Vorkommnisse machen deutlich: Belarus und die Ukraine sind eine europäische Herausforderung. Wir müssen deutlich machen, dass wir an der Seite der Demokratiebewegung stehen. Es ist daher gut, dass der Europäische Rat vorgeschlagen hat, Milinkewitsch im April einzuladen, um mit ihm über die Zukunft zu sprechen.

   Wir müssen uns auch fragen: Was tun wir? Es ist richtig und gut, dass wir in der EU beschlossen haben, die Sanktionen bei der Visaerteilung deutlich zu erweitern. Ich sage: Jeder Polizist, von dem man namentlich weiß, dass er Gewalt angewandt hat, jeder Richter, der an Verurteilungen beteiligt war, und jeder Schuldirektor oder Universitätsrektor, der Menschen, die sich an den Demonstrationen beteiligt haben, von der Schule oder Universität verweist, gehört auf die Liste derjenigen, die kein Visum für Länder der Europäischen Union erhalten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir müssen natürlich auch die Nachbarländer, das heißt die Ukraine, Kroatien, Rumänien und Bulgarien - die Länder, in die die Nomenklatura gern in Urlaub fährt -, für dieses Vorhaben gewinnen, damit diese Liste Geltung erhält.

   Wir müssen aber noch mehr tun. Wir müssen die Kontakte in die Gesellschaft hinein befördern. In diesem Zusammenhang wäre es eine Katastrophe, wenn in Zukunft die Schengenvisa nach Polen und Litauen, in die unmittelbaren Nachbarländer - bisher kosteten die Visa 60 Euro -, bezahlt werden müssten. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Gebühren für Schengenvisa für Leute, die sich in NGOs oder der Opposition engagieren, billiger sind. Ansonsten würden wir die Kommunikation abbrechen, indem wir Barrieren schaffen. Das wäre eine Katastrophe.

   Ebenso sollten wir neue und bessere Instrumente zur Unterstützung von NGOs schaffen. In der EU haben wir durchaus manches versucht. Das ist aber zu bürokratisch und zu schwerfällig. Das reicht nicht wirklich. Ich trete daher sehr dafür ein, dass wir eine europäische Stiftung für Demokratie schaffen, die kurzfristig kleinere Summen zur Verfügung stellen kann, damit wir NGOs in Belarus und anderen Ländern flexibel unterstützen können. Wir wissen, dass eine Zivilgesellschaft oft keine Unterstützung in Millionenhöhe braucht, sondern kleinere Summen, die schnell, flexibel und auf direktem Weg von einer kompetenten Stiftung zur Verfügung gestellt werden können. Das sollten wir, so denke ich, miteinander auf den Weg bringen.

   Klar ist, dass die Länder zwischen Russland und der Europäischen Union - Belarus ist im Augenblick am stärksten gefährdet - in Zukunft unsere Aufmerksamkeit brauchen werden. Ich hoffe sehr, dass es uns während der deutschen EU-Präsidentschaft im nächsten Jahr gelingen wird, europäische Initiativen zu entwickeln, damit wir gerade diesem Raum mehr Aufmerksamkeit schenken und ihm mehr Unterstützung für eine demokratische und Wohlfahrtsentwicklung bieten können.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Hilfreiche Rede!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat die Kollegin Monika Griefahn, SPD-Fraktion.

Monika Griefahn (SPD):

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich schlage den Bogen zurück zur Kultur. Die Goethe-Institute können im Bereich der Kultur, also unterhalb der politischen Ebene, durch ihre Programme und Begegnungen in den Ländern, in denen die politischen Bedingungen noch nicht so gut sind, sehr viel erreichen. Das gilt auch für Belarus. Insofern ist die Kulturpolitik für uns ein sehr wichtiger Faktor.

   Wenn man die Struktur eines Haushaltsentwurfs als Gradmesser dafür nimmt, welche Bedeutung man einem bestimmten Bereich beimisst, dann kann man zur Kulturpolitik vielleicht sagen: 1 Milliarde Euro im Haushalt des Kulturstaatsministers und etwa 545 Millionen Euro im Haushalt des Auswärtigen Amtes - das ist nicht wirklich viel. Wenn man aber berücksichtigt, was wir damit bewegen und dass im Haushalt des Kulturstaatsministers eine Erhöhung stattgefunden hat, sieht das anders aus. Mit den Mitteln, die wir für den Dialog zur Verfügung stellen, haben wir viele Kontakte mit den NGOs und Oppositionsbewegungen vor Ort ermöglichen können. Die Kulturpolitik ist daher ein sehr wichtiger Faktor, den wir alle unterstützen müssen.

   Deswegen freue ich mich, dass wir in diesem Jahr sowohl im Haushalt des BKM als auch bei den Stipendien - auch das ist ein wichtiger Austauschfaktor - eine Steigerung verzeichnen können. Aus dem 6-Milliarden-Programm werden dem DAAD, der Humboldt-Stiftung und anderen zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt. Dadurch haben wir die Möglichkeit, in den Ländern direkt Multiplikatoren zu gewinnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Damit haben wir das umgesetzt, was wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben.

   Der Etat für Kultur ist der kleinste und damit sensibelste Etat im Bundeshaushalt. Deswegen sollte er vorsichtig behandelt werden. Wir beschreiben Kulturpolitik als sehr wichtiges Politikfeld. Wenn es auch noch Kürzungen, zum Beispiel in der Programmarbeit oder in der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, gibt - daran müssen wir noch arbeiten -, so haben wir doch einen guten Einstieg gefunden. Von diesem Punkt aus müssen wir uns jetzt auf den Weg machen.

(Zuruf von der SPD: So ist es richtig!)

   Günther Oettinger hat gestern bei Sandra Maischberger gesagt, wir müssten in Deutschland nicht nur Ökonomie und Wirtschaft, sondern ganz besonders unsere Kultur und Werte betonen. Ich denke, damit hat er einen guten Satz gesagt, den wir alle hier umsetzen sollten.

(Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Ihr seid ja ganz schön großkoalitionär geworden!)

- Ich fand es beeindruckend, dass er so etwas sagt.

(Lothar Mark (SPD): Dass von einem Schwaben so etwas kommt!)

- Dass von einem Schwaben so etwas kommt - genau das habe auch ich gedacht.

   Ich finde, dass ein wichtiger Satz in unserer Koalitionsvereinbarung lautet: „Kulturförderung ist keine Subvention, sondern Investition in die Zukunft.“

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mit der Förderung von Künstlerinnen und Künstlern engagieren wir uns für kulturelle Kreativität. Das ist nicht nur ein Lebensmittel für Menschen, sondern auch Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Denn nur mit Kreativität können wir neue Produkte und Designs entwickeln und damit in der Welt konkurrenzfähig sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Kulturelle Kompetenz schafft auch fachliche Kompetenz. Wer beispielsweise ein Musikinstrument erlernt, erlangt bessere Fähigkeiten in den Bereichen Sprache und Mathematik. Das müssen wir alle erkennen und unterstützen. So, wie unser Körper täglich Vitamine braucht, so braucht unser Geist Kunst und Kultur.

(Gitta Connemann (CDU/CSU): Sehr richtig!)

Genauso brauchen Künstlerinnen und Künstler die Freiheit, um künstlerisch tätig zu sein. Aus diesem Grund bleibt es - das ist mir ganz wichtig - Aufgabe des Staates, zu gewährleisten, dass Kunst und Kultur unbelasteter von ökonomischen Zwängen entstehen können. Wir werden sie nicht ganz unbelastet machen können, aber ein bisschen unbelasteter. Das ist ein wichtiger Punkt.

   Wir brauchen allerdings auch Stiftungen und Privatpersonen als Förderer, um die kulturelle Vielfalt, die wir glücklicherweise immer noch haben, zu gewährleisten. Die Kombination macht es. Aber ich sage ausdrücklich: Der Staat hat hierbei eine wichtige Aufgabe.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) - Zuruf von der FDP: Das ist unstrittig!)

   Als wunderbares Beispiel für einen sehr guten Beitrag zur freien Entfaltung der Künste können wir die Kulturstiftung des Bundes erwähnen. Der Etat von nunmehr knapp 38 Millionen Euro bedeutet eine Erhöhung der Mittel um knapp 2,2 Millionen Euro als letzten der drei Erhöhungsschritte.

(Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Was wird eigentlich aus der Fusion? - Gegenruf des Staatsministers Bernd Neumann: Langsam!)

So können wir innovative Programme und Projekte mit nationaler und internationaler Ausstrahlung fördern und wir können Deutschland im Dialog mit vielen Ländern als Kulturnation präsentieren. Herr Otto - ich komme dazu -, wir hoffen, dass die Fusion mit der Kulturstiftung der Länder die Möglichkeit für zusätzliche Projekte, also für einen Mehrwert, schafft, den wir gemeinsam mit den Ländern erreichen können. Ich glaube, dass das eine gute Perspektive ist.

(Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Wann kommt das denn voran?)

   Zur Außendarstellung Deutschlands trägt in ganz besonderem Maße die Deutsche Welle bei. Auch ihr kommt in diesem Haushalt eine kleine Steigerung zugute. Ich denke, das ist nötig. Denn der Etat der Deutschen Welle ist seit 1998 erheblich geschrumpft. Wenn wir wollen, dass die Deutsche Welle weiterhin die Dialogarbeit und die Präsentation Deutschlands in der Welt leistet, wenn wir wollen, dass unsere Sichtweisen zu Politik, Kultur und Wirtschaft in vielen Ländern vermittelt werden, und wenn wir wollen, dass die deutsche Sprache gefördert wird, dann müssen wir uns auch finanziell zur Deutschen Welle bekennen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ganz besonders begrüße ich die immer stärker werdende Zusammenarbeit der Deutschen Welle mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Nachdem deutlich geworden ist, dass German TV kein tragfähiges Konzept darstellt, arbeiten die Sender nun mit Hochdruck zusammen daran, das Deutsche Welle Fernsehen zu einem attraktiven Angebot zusammenzuführen und damit allen Menschen in der Welt anzubieten. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU))

   Mit diesem Haushalt wollen wir deutlich machen, dass der Dialog der Kulturen für uns einen besonderen Stellenwert hat. Mit Programmen in den Sprachen Dari und Paschtu zur Unterstützung der Afghanen, jetzt selbstständig zu werden, mit einem arabischen Fernsehprogramm, mit der Ausbildung von Journalisten und mit dem Internetportal der Deutschen Welle in 30 Sprachen gehen wir einen guten Weg. Wenn wir einen friedlichen Dialog wollen, müssen wir auch die Verständigung fördern. Das geht über diese Medien sicherlich ganz besonders gut.

   Die Wahrnehmung Deutschlands im Ausland wird aber nicht nur durch die mediale Außenvertretung gefördert, sondern auch durch seine Hauptstadt. Vieles davon ist deutlich zu sehen und begründet den Ruf Berlins als eine Kulturmetropole im Herzen Europas. Das zeigen die steigenden Zahlen von Besuchern, die wir nicht nur hier im Reichstag, sondern auch auf der Museumsinsel haben. Tatsache ist, dass Berlin mittlerweile viele Künstler und Kulturschaffende aus aller Welt fast magisch anzuziehen scheint. Das liegt an der

(Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Neuen Regierung!)

hohen Qualität und Vielfalt dessen, was es in Berlin zu sehen gibt. Es liegt aber auch an dem Klima von Innovation und Offenheit für Kultur. Dies wird auch durch Bundesmittel gefördert, nämlich für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, für viele Einzeleinrichtungen, aber auch zum Beispiel für den Hauptstadtkulturfonds, also von der individuellen Szene bis hin zu den großen traditionellen Einrichtungen. Ich glaube, das ist ganz wichtig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Wenn wir über Berlin reden, dann liegen das Faszinierende und die Kraft von Innovation und Fortschritt darin, dass wir auch Vergangenes einbeziehen und bewusst machen. Die Kultur einer Gesellschaft wird auch dadurch geprägt, dass sie sich an das, was sie war, erinnert und daraus Schlüsse zieht. Insofern spielt auch unsere Gedenkstätten- und Erinnerungsarbeit eine ganz wesentliche Rolle für die Bundeskulturarbeit und damit auch für diesen Haushalt.

(Beifall der Abg. Iris Gleicke (SPD))

   Nachdem wir in den vergangenen Legislaturperioden bereits ein Gesamtkonzept zur Aufarbeitung der NS-Diktatur erarbeitet haben, werden wir jetzt auch die jüngere deutsch-deutsche Geschichte in ein Gesamtkonzept fassen.

(Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Zeit wird es ja!)

Wir haben die Birthler-Behörde in den Aufgabenbereich des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien überführt. Wir arbeiten an einem Gesamtkonzept zur stärkeren Vernetzung und systematischen Förderung der gesellschaftlichen Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur. Den verantwortungsvollen Umgang mit der Zukunft der Birthler-Behörde, die ja eine ganz besondere Behörde ist, werden wir dann auch in den maßgeblichen haushaltsrelevanten Entscheidungen zum Ausdruck bringen. Zum Beispiel wollen wir endlich ein Modellprojekt angehen, um die alten, zerrissenen Akten wieder zusammenzusetzen; ich meine das berühmte „Schnipselprojekt“.

(Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Was? Das Schnitzelprojekt? - Vereinzelt Heiterkeit)

Das wollen wir im Rahmen eines Modellprojekts ausprobieren. Dann wird sich zeigen, ob das funktioniert.

   Die Aufarbeitung von Geschichte spielt auch in einem anderen Zusammenhang eine wichtige Rolle. Das Europäische Netzwerk Erinnerung und Solidarität wird im Haushalt 2006 erstmals mit 300 000 Euro etatisiert. Damit stellen wir als Koalition klar, dass wir die Themen Flucht, Vertreibung und Zwangsmigration in einem europäischen Kontext angehen, insbesondere mit unseren Partnern in Polen, Ungarn, der Slowakei und Österreich; weitere sollen hinzukommen.

(Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Russland zum Beispiel!)

Ich glaube, das ist der richtige Ansatz, um die vielfältigen bereits bestehenden Institutionen und Initiativen in diese Netzwerkstruktur einzubinden und in einen Dialog über diesen Teil der europäischen Vergangenheit zu treten.

(Beifall bei der SPD - Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): In der Koalitionsvereinbarung steht aber, dass auch in Berlin etwas geschaffen werden soll!)

   Da der Etat für das Haus der Geschichte in Bonn um 2,5 Millionen Euro erhöht wurde, kann auch das Konzept der Ausstellung zum Thema Vertreibung weitergeführt werden. Diese Ausstellung wird bald auch in Berlin zu sehen sein, später vielleicht auch in Polen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine gute Ausstellung!)

Das entspricht unserer gemeinsamen Forderung, die wir auch in den Koalitionsvertrag aufgenommen haben, dass wir mit Bedacht sichtbare Zeichen für unsere Auseinandersetzung mit der Vertreibung in Europa setzen wollen.

   Für das Jüdische Museum in Berlin wird es eine Bauerweiterung geben. Für die geplante Überdachung des Innenhofes, die sogenannte Laubhütte, wurde in den Haushalt eine Verpflichtungsermächtigung von 2,5 Millionen Euro eingestellt. An dieser Stelle möchte ich Michael Blumenthal, dem Direktor des Jüdischen Museums, Dank sagen;

(Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Jawohl! Das ist richtig so!)

denn er hat in bewundernswerter Weise private Sponsorengelder eingeworben, um dieses Projekt verwirklichen zu können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

   Jetzt kann eine sinnvolle und architektonisch gute Erweiterung realisiert werden, um die jährlich 700 000 Besucher dieses Museums - das muss man sich einmal vorstellen; das hat man nie erwartet - sehr ausführlich über die Geschichte der Juden in Deutschland zu informieren, damit sie nicht nur durch das Mahnmal mit dem Holocaust konfrontiert werden, sondern die gesamte und sehr vielfältige Geschichte der Juden erfahren, sowohl unter kulturellen als auch unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten. Das ist, wie ich glaube, ein wichtiger Aspekt.

   An diesem Beispiel wird auch deutlich, wie Public Private Partnership tatsächlich funktionieren kann. Ich habe dafür geworben, dass sich einerseits der Staat zur Kulturförderung bekennt, andererseits aber auch die Verantwortung von Stiftungen, Einzelpersonen und Firmen nicht zu unterschätzen. Denn jeder muss sich auch in finanzieller Hinsicht für Kunst und Kultur einsetzen. Das kann nicht einfach dem einen oder dem anderen übertragen werden. Ich denke, das sollte weder allein von Privaten und Stiftungen noch allein vom Staat gemacht werden. Das ist der richtige Ansatz, an dem wir weiterarbeiten müssen.

   Der Zusammenhang von privatem Engagement und Investment spielt auch beim Thema Filmfinanzierung eine wichtige Rolle. Ich freue mich, dass wir mit 14,3 Millionen Euro einen Teil der 90 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt haben, die für ein neues Modell der Filmfinanzierung zur Verfügung stehen werden. Hier knüpft Herr Neumann an die gute Arbeit seiner Vorgängerin, der Staatsministerin Weiss, an. Ich hoffe, dass wir bis zum Sommer ein Modell erarbeitet haben, mit dem wir dann tatsächlich die staatlichen Mittel mit privaten Mitteln vervielfachen können, wie es in vielen anderen europäischen Ländern gang und gäbe ist.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

(Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Oh! Das ist aber schade!)

Monika Griefahn (SPD):

Wir haben noch viel vor. Das gilt für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik wie auch für die gemeinsame Arbeit mit den Ländern im Rahmen der Föderalismusreform. Wir müssen immer aufs Neue für den entsprechenden Platz der Kultur kämpfen. Das gilt auch für das Staatsziel Kultur, das wir noch erkämpfen müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, machen Sie mit!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

   Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, Einzelplan 05.

   Außerdem rufe ich Zusatzpunkt 1 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Belarus nach den Präsidentschaftswahlen

- Drucksache 16/1077 -

   Das Wort hat der Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier.

(Beifall bei der SPD)
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 28. Sitzung - wird morgen,
Donnerstag, den 30. März 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/16028
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