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15. Wahlperiode
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   29. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 30. März 2006

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Die Sitzung ist eröffnet.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich, wünsche Ihnen einen guten Tag und uns weiterhin gute Beratungen.

   Es fängt mit erfreulichen Mitteilungen an: Der Kollege Hubert Deittert feierte am 21. März seinen 65. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich nachträglich herzlich und wünsche alles Gute.

(Beifall)

Wir haben den Schwerpunkt der heutigen Debatte an der Zahl 65 orientiert; insofern ist sichergestellt, dass wir uns in der Nähe dieses Ereignisses aufhalten.

   Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass der frühere Abgeordnete Horst Schmidbauer aus dem Stiftungsrat der Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ ausgeschieden ist. Als Nachfolger wird der Kollege Christian Kleiminger vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist der Kollege Kleiminger in den Stiftungsrat gewählt.

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um einige Überweisungen im vereinfachten Verfahren zu erweitern. Die Vorlagen sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

ZP 1 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Belarus nach den Präsidentschaftswahlen

- Drucksache 16/1077 -

(siehe 28. Sitzung)

ZP 2 Überweisungen im vereinfachten Verfahren

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG)

- Drucksache 16/960 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 146 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Oktober 1976 über den bezahlten Jahresurlaub der Seeleute

- Drucksache 16/1001 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 166 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 9. Oktober 1987 über die Heimschaffung der Seeleute (Neufassung)

- Drucksache 16/1002 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz - EuHbG)

- Drucksache 16/1024 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

e) Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan (UNMIS) auf Grundlage der Resolution 1663 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 24. März 2006

- Drucksache 16/1052 -

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

   Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Ich vermute, dass Sie auch mit diesen Vereinbarungen einverstanden sind. - Dann ist das so beschlossen.

   Wir setzen nun die Haushaltsberatungen - Tagesordnungspunkt 1 - fort:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2006 (Haushaltsgesetz 2006)

- Drucksache 16/750 -

Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Finanzplan des Bundes 2005 bis 2009

- Drucksache 16/751 -

Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

   Ich erinnere daran, dass wir für die heutige Aussprache insgesamt neuneinhalb Stunden beschlossen haben - erfahrungsgemäß wird das eher etwas länger als kürzer -, damit jeder disponieren kann.

   Wir beginnen die Haushaltsberatungen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Einzelplan 11. Das Wort hat der Bundesminister Franz Müntefering.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie auch meinerseits ganz herzlich.

   Wir haben, was die Konjunkturzahlen angeht, in den letzten Tagen und Wochen gute Nachrichten bekommen: Einzelhandelsumsatz plus 1,8 Prozent, Auftragseingang der Industrie plus 10,6 Prozent, Auslandsaufträge plus 15,9 Prozent, Inlandsaufträge plus 5,3 Prozent, Produktion im verarbeitenden Gewerbe plus 4,7 Prozent, Auftragseingänge im Bauhauptgewerbe plus 7,3 Prozent, Ifo-Geschäftsklimaindex von 103,3 im Februar auf 105,4 im März. Das sind nüchterne Zahlen, aber sie zeigen eine gute Tendenz auf. Wir haben allen Grund, in der Koalition daraus etwas zu machen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Dieses Jahr 2006 soll ein Jahr sein, in dem sich die Konjunktur in Bewegung setzt, ein Jahr, in dem dieses Land Zuversicht gewinnt und wieder besser lernt, seine Chancen zu nutzen und daraus auch für den Arbeitsmarkt etwas Gutes zu machen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Und nächstes Jahr?)

   Die Arbeitsmarktzahlen, die die Bundesagentur heute bekannt geben wird - es ist nicht meine Aufgabe, sie hier schon zu kommentieren -, sind noch nicht so gut, wie wir sie uns eigentlich wünschen. Die Zahl der Arbeitslosen wird unter 5 Millionen liegen. Es gibt also deutlich weniger Arbeitslose als im letzten Jahr, auch wenn es nicht befriedigend ist. Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist zu hoch und das bleibt die große Herausforderung für die Politik, aber auch für die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt. Wir wollen und wir müssen dafür sorgen, dass mehr Menschen in Deutschland Arbeit haben, dass sie Beschäftigung haben, dass sie aus der Arbeitslosigkeit herauskommen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Dazu wird unser 25-Milliarden-Euro-Programm für diese Legislaturperiode beitragen. Ich will noch einmal deutlich machen, dass durch diese 25 Milliarden Euro, die der Bund gibt, Investitionen von etwa 100 Milliarden Euro in Bewegung gesetzt werden.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Hättet ihr gern!)

Der Einzelne bekommt beispielsweise von 3 000 Euro an Arbeitskosten, die er für Reparaturen an seinem Haus, an seiner Wohnung, an seinem Grundstück zu bezahlen hat, 600 Euro über das Finanzamt wieder.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist doch was!)

   Das heißt, mit dem, was wir anschieben, werden wir hohe Investitionen in Bewegung setzen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Perpetuum mobile!)

   Diejenigen, die gleichzeitig noch etwas für die energetische Gebäudesanierung machen, können das additiv absetzen. Das heißt, es können auch 1 200 Euro im Jahr sein. Es liegt an uns allen, diese Programme in der Öffentlichkeit bekannt zu machen, dafür zu werben und den Menschen zu zeigen, wie sie diese nutzen können.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Wir müssen und wollen natürlich besser werden, was die Vermittlung der Arbeitslosen durch die Bundesagentur für Arbeit, die Argen oder die optierenden Gemeinden angeht. Die Bundesagentur wird in diesem Jahr ohne Bundeszuschuss auskommen. Das ist gut. Den Argen und den optierenden Gemeinden stehen insgesamt 10 Milliarden Euro zur Verfügung: 3,5 Milliarden Euro für die Verwaltung und 6,5 Milliarden Euro für die Eingliederung. Das ist eine Summe, mit der man eine ganze Menge erreichen kann. Im Gegensatz zu allem, was in Deutschland so üblich geworden ist, will ich die Gelegenheit heute Morgen nutzen, den Männern und Frauen zu danken, die bei der Bundesagentur, in den Argen und in den optierenden Gemeinden ihre Arbeit tun.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Es klappt nicht alles,

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Dafür können die nichts, Herr Müntefering, das sind die Rahmenbedingungen!)

aber dort ist eine Menge Engagement vorhanden. Wir sollten die unterstützen, die gut sind, die sich anstrengen und die die Dinge im Rahmen dessen, was möglich ist, in Bewegung setzen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Sie tragen im Übrigen auch dazu bei, dass die Zahl derer, die sich inzwischen als Saisonarbeiter gemeldet haben, über 20 000 hinausgeht. Das ist, so finde ich, ein gutes Zeichen. Wir haben lange darüber gestritten, wie viele von den 330 000 erforderlichen Saisonarbeitern für die Ernte - so viele gab es im letzten Jahr - vom deutschen Arbeitsmarkt geholt werden können. Wir haben gesagt, es könnten 10 Prozent sein, also 30 000 bis 33 000. Inzwischen sind es 20 000; die Tendenz ist steigend. Da ist vielleicht ein kleines Stückchen Hoffnung, dass das, was wir versuchen, erreicht wird, nämlich dass 10 Prozent dieser Saisonarbeiter auf dem deutschen Arbeitsmarkt rekrutiert werden. Das ist meine Erwartung und das muss möglich sein.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Angesichts von 4,9 Millionen Arbeitslosen müssen 30 000 vom deutschen Arbeitsmarkt für solche Arbeiten zur Verfügung stehen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Die müssen aber auch eine Spargelsaison durchhalten!)

   Der Haushalt, über den wir sprechen, umfasst 119,5 Milliarden Euro. Davon entfallen 38,5 Milliarden Euro auf den Bereich Grundsicherung, Arbeitslosengeld II. Wir werden noch in diesem Jahr darüber zu sprechen haben, was wir an welcher Stelle noch präziser einsetzen können und ob wir möglicherweise an der einen oder anderen Stelle sparen können.

   In dem Haushalt sind aber auch zwei kleinere Posten, die ich stellvertretend nennen will, weil sie eine Linie der Politik der großen Koalition deutlich machen. 267 Millionen Euro werden speziell für die Eingliederung Älterer - 50 plus - ausgegeben. Es muss eine der großen Aufgaben der großen Koalition sein, die Mentalität zu brechen, dass Leute im Alter von 50 oder 55 zum alten Eisen gezählt werden. Sie sind wichtig, sie können etwas und sie werden auch in Zukunft in dieser Gesellschaft gebraucht.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   68 Millionen Euro setzen wir für das Programm EQJ ein. Das ist ein Kürzel, das man sich merken sollte. Es geht um die Einstiegsqualifizierung für junge Menschen. Das sind solche, die ohne Schulabschluss in das Alter der Ausbildung kommen und mit diesen Maßnahmen ausbildungsfähig gemacht werden. Die Maßnahmen sind erfolgreich. Im letzten Jahr sind 61 Prozent dieser jungen Menschen anschließend in eine Ausbildung gekommen. Das ist eine gute Zahl, ein gutes Ergebnis. Dieses Programm wollen wir auf jeden Fall weiterführen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Wir werden, wie versprochen, zum 1. Juli die Existenzgründung aus der Arbeitslosigkeit heraus neu ordnen. Aus dem Überbrückungsgeld und der Ich-AG werden wir ein neues, effizientes Konzept machen. Wenn man sich die Ich-AG anschaut, dann sieht man, dass ganz besonders viele Frauen in diesem Bereich eine Existenz gegründet haben. Die Zahl der Frauen unter den Selbstständigen hat sich in den letzten vier Jahren von 27,9 auf fast 30 Prozent erhöht. Diese Zahl bietet die Gelegenheit, auf die Situation der Frauen am Arbeitsmarkt zu schauen. Die Erwerbsquote ist inzwischen bei 59,2 Prozent angekommen. Auf europäischer Ebene haben wir vereinbart, bis zum Jahr 2010 die Quote auf 60 Prozent zu steigern. Wir könnten das schaffen.

(Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie hoch ist das Arbeitsvolumen der Frauen?)

- Ja, es gibt noch viele „Aber“ dabei. Deswegen spreche ich das an; denn wir wollen nicht nur über das sprechen, was schon erreicht worden ist.

   Wenn man sich die Löhne der Frauen für vergleichbare Arbeit anschaut, dann erkennt man, dass sie in Ostdeutschland bei 92 Prozent und in Westdeutschland bei 76 Prozent liegen. Es gibt also immer noch ein großes Gefälle. Dass es dieses Gefälle gibt, liegt ganz sicher nicht an fehlender Intelligenz oder an fehlenden Fähigkeiten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sehr wahr!)

   Wenn man sich das Ganze ein wenig genauer anschaut, dann stößt man noch auf Folgendes: 3,4 Prozent der Jungen, aber nur 2,5 Prozent der Mädchen müssen eine Schulklasse wiederholen. 22 Prozent der Jungen, aber 30 Prozent der Mädchen machen Abitur oder erwerben die Fachhochschulreife. 10 Prozent der deutschen Jungen und 23 Prozent der Jungen mit Migrationshintergrund haben keinen Schulabschluss. Im Vergleich dazu die Mädchen: 6 Prozent der deutschen Mädchen und 15 Prozent der Mädchen mit Migrationshintergrund haben keinen Schulabschluss. Das heißt, es gibt viel ungenutzte Kreativität und Intelligenz. Diese müssen wir mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit unseres Landes dringend nutzen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Die europäische Dienstleistungsrichtlinie ist auf einem guten Weg. Ich hoffe, dass sich die Vorschläge der EU-Kommission an dem orientieren, was das Europäische Parlament beschlossen hat. Diese Hoffnung teilt die ganze Bundesregierung. Unser Land wird allerdings dafür zu sorgen haben, dass es sich mit den entsprechenden Maßnahmen rechtzeitig gegen Lohndumping absichert, wenn die europäische Dienstleistungsrichtlinie in einigen Jahren in Kraft tritt.

   Die europäische Dienstleistungsrichtlinie bestimmt nicht die Höhe der Löhne. Unsere Aufgabe wird es sein, Instrumente zu finden, die Lohndumping verhindern, zum Beispiel Kombilohn, Mindestlohn, Entsendegesetz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich empfehle sehr, dass wir uns angewöhnen, erst über die Ziele, um die es geht, und dann über die Instrumente zur Zielerreichung zu sprechen. Instrumente darf man nicht ideologisieren. Die entscheidende Frage lautet: Wie können wir dafür sorgen, dass gering Qualifizierte in diesem Land ihre Arbeit behalten, dass ihre Arbeitsplätze nicht ins Ausland verlagert werden und dass sie hinreichend hohe Löhne bekommen? Ich wiederhole: Wir müssen entsprechende Instrumente finden. Wir wollen über diesen Komplex im Verlauf dieses Jahres, im Herbst, auf jeden Fall noch intensiver sprechen und dann dafür sorgen, dass Brandmauern gegen Lohndumping von außen entstehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Im Bundeshaushalt sind 77,7 Milliarden Euro für den Bereich Rente vorgesehen. Dabei geht es nicht nur um originäre Rentenzahlungen. Zum Teil geht es dabei um Maßnahmen, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Rentenbereich stehen. Es sind also versicherungsfremde Leistungen. Die Menschen erwarten, dass sie ihr Geld bekommen. Es macht also keinen Unterschied, ob man diese oder jene Bezeichnung wählt: Es sind 77,7 Milliarden Euro.

   Ohne diese Mittel lägen die Rentenversicherungsbeiträge nicht bei 19,5 Prozent, sondern bei 27 Prozent oder wären die Renten um über 25 Prozent niedriger. Das alles wollen wir aber nicht. Ich möchte nur darauf hinweisen, in welch hohem Maße Renten steuerfinanziert sind. Ich glaube, unsere Regelung ist vernünftig. Deshalb sage ich ausdrücklich: Wir bekennen uns dazu, dass ein großer Teil dessen, was wir im Rentenbereich leisten, steuerfinanziert ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Diese Regelung hat allerdings auch ihre Grenzen. Dass wir die Renten zum 1. Juli nicht erhöhen können, war klar.

(Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Sauerei!)

Wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht, durch den eine Rentenabsenkung verhindert werden soll. Das war eine sinnvolle Maßnahme. Die mir mittlerweile bekannten Zahlen besagen: Die Löhne im Westen der Republik sind um 0,2 Prozentpunkte gestiegen und im Osten der Republik um 0,4 Prozentpunkte gesunken. Wenn man den Riester-Faktor und den Nachhaltigkeitsfaktor hinzugenommen hätte, dann wären die Renten rechnerisch um etwa 1 Prozentpunkt oder sogar mehr gesunken.

   Es gibt eine Schutzklausel, die besagt: Die Rente in Ostdeutschland darf sich nicht schlechter als die in Westdeutschland entwickeln. Die Konsequenz aus alldem ist, dass die Renten nicht erhöht werden. Dass wir das per Gesetz geregelt haben, hat einen großen Vorteil - wir hätten sonst eine Verordnung erlassen müssen -: Dadurch wird verhindert, dass die Deutsche Rentenversicherung rund 20 Millionen Mitteilungen verschicken muss. Das war nicht nur ein sinnvoller Schritt hinsichtlich der Beteiligung des Parlaments, sondern auch ein Beitrag zur Entbürokratisierung. Ich glaube, dass wir mit dem Gesetz, das wir vorbereitet haben, gut liegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Lassen Sie mich abschließend noch etwas zu der zusätzlichen Versicherung, „Riesterrente“ genannt, sagen. Wir werden dazu in diesem Jahr noch die Initiative ergreifen, so wie das im Koalitionsvertrag auch steht. Wir wollen sie noch populärer und interessanter machen, indem wir den Kinderzuschlag erhöhen. Das soll im Jahr 2008 umgesetzt werden, aber das Konzept muss klar sein.

   Wir müssen neben die gesetzliche Rente die betriebliche Rente und die Riesterrente setzen. Bei der betrieblichen Rentenversicherung sind inzwischen 15,7 Millionen Menschen dabei. Bei der Riesterrente sind inzwischen 5,6 Millionen Menschen dabei. Wir sollten die Riesterrente für Familien mit Kindern noch interessanter machen, für sie noch eine Verbesserung herbeiführen, indem wir ihnen einen höheren Zuschlag geben, wenn sie bereit sind, an dieser Stelle vorzusparen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Claus?

Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Ja, bitte schön.

Roland Claus (DIE LINKE):

Herr Bundesminister, in verschiedenen Berliner Medien wurde berichtet, dass Sie als Bundesregierung ein Hartz-IV-Optimierungsgesetz geplant hätten. Können Sie uns mitteilen, wann Sie dieses Gesetz einbringen wollen, sofern es von Ihnen denn überhaupt geplant ist, und können Sie hier ausschließen, dass mit diesem Gesetz Kürzungen beim ALG-II-Bezug vorgesehen sind?

Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Es ist nicht neu, dass wir ein SGB-II-Optimierungsgesetz machen. Das ist richtig. Das steht auch im Koalitionsvertrag. Das ist vorbereitet. Wir haben ein SGB-II-Änderungsgesetz gemacht - ich nehme an, Sie haben das mitbekommen -; darin haben wir Regelungen zu den bis zu 25-Jährigen getroffen. Jetzt reden wir im Zusammenhang mit dem SGB-II-Optimierungsgesetz über die Frage, ob man im Bereich der Bedarfsgemeinschaften Präzisierungen haben muss und was sonst noch nötig ist, um in diesem Bereich zu sparsamem Verhalten zu kommen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Zuruf des Abg. Roland Claus (DIE LINKE))

- Warten Sie!

   Wir hatten im letzten Jahr im Haushalt 14,6 Milliarden Euro für Arbeitslosengeld II vorgesehen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das war viel!)

Es sind aber tatsächlich ungefähr 25 Milliarden Euro geworden.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das war zu viel!)

Die Gemeinden haben uns im vergangenen Jahr 95 Prozent der Sozialhilfeempfänger in den Bereich des Arbeitslosengeldes II gegeben. Das ist nicht zu kritisieren; ich stelle es nur fest. Im letzten Jahr haben wir also etwa 25 Milliarden Euro an Arbeitslosengeld II gezahlt.

   Zwischen Januar und September/Oktober ist die Zahl der Bedarfsgemeinschaften um etwa 16 Prozent gestiegen. Noch immer steigt die Zahl der Bedarfsgemeinschaften, die an dieser Stelle Geld bekommen. Nun müssen wir als Gesetzgeber schauen: Wird das Gesetz so genutzt, wie es gemeint war, oder entwickelt sich da etwas, was wir so nicht wollen können?

   Ich will Ihnen sagen, dass das, was dazu aus Ihrem Bereich kommt - ich will Sie nicht persönlich dafür in Anspruch nehmen -, nämlich die Unterstellung, die ich in diesen Tagen an verschiedenen Stellen lesen musste, wir versuchten, das Arbeitslosengeld II, die Grundsicherung, auf 225 Euro oder eine vergleichbare Zahl zu senken, das klarzustellen. Ich sage es Ihnen nur; Ihre Frage ist eine gute Gelegenheit dafür, falsch ist. Ich bitte Sie ganz dringend, dies zu unterlassen und nicht dazu beizutragen, dass da Verunsicherung entsteht.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Niemand will das Arbeitslosengeld II streichen oder kürzen; aber es muss damit ein vernünftiger Umgang praktiziert werden. Einer muss es ja bezahlen; die Steuerzahler sind dran. Was ich in den letzten Tagen und Wochen dazu gehört habe, sagt mir: Wir müssen noch einmal ehrlich darüber sprechen, welche Zielrichtung das Arbeitslosengeld II hat. Es ist eine Grundsicherung und es darf nicht über das hinaus gebraucht werden, was wir eigentlich vorgesehen haben.

   Also, das Optimierungsgesetz - das war Ihre Frage - wird kommen. Sie sind herzlich eingeladen, dabei mitzuwirken.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Wenn wir über die Riesterrente und über deren Entwicklung sprechen, werden wir auch darüber sprechen, wie wir stärker als bisher Wohneigentum einbeziehen können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ob sich das nun auf Wohneigentum unmittelbar oder auch auf Dauerwohnrecht beziehen wird, wird zu klären sein. Es ist ganz zweifellos so: Wohnmöglichkeiten, Wohnrecht im Alter zu günstigen Bedingungen zu haben, kann ein wichtiger Faktor für das Gefühl der Menschen sein,

(Volker Kauder (CDU/CSU): Sehr richtig!)

zum Alter hin Sicherheit zu haben. Wir werden ganz sicher einen Weg finden, um da zu einer vernünftigen Regelung zu kommen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Norbert Barthle (CDU/CSU): Da spricht er mir aus dem Herzen!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Minister, würden Sie noch eine weitere Zwischenfrage, nämlich des Kollegen Seifert, zulassen?

Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Ja, bitte schön.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Bitte schön, Herr Kollege Seifert.

Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank auch Ihnen, Herr Minister, dafür, dass Sie das gestatten.

   Erlauben Sie mir bitte eine Frage zu einem Punkt, den Sie bisher nicht angesprochen haben.

Da Sie sagten, dass Sie zum Schluss Ihrer Rede kommen, möchte ich, weil das in Ihrem Haushalt bis jetzt nirgends zu finden ist, gern Folgendes fragen:

   Nächstes Jahr ist das Jahr der Chancengleichheit. In Ihrem Ressort muss dafür ja etwas gemacht werden. Was, bitte, haben Sie vorgesehen, damit dieses Jahr, in das auch die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands fällt, für Menschen, die auf Chancengleichheit angewiesen sind und für die das Jahr wichtig ist, einen Impuls gibt, der auch über dieses Jahr hinausreicht? Ihr Staatssekretär konnte mir auf diese Frage vor einem Monat leider noch keine vernünftige Antwort geben, weil Ihr Haus damals noch nicht so weit war. Sind Sie da inzwischen etwas weiter? Was planen Sie in diesem Jahr an Mitteln in den Haushalt einzustellen, damit das Jahr der Chancengleichheit vorbereitet werden kann, und was planen Sie für nächstes Jahr, damit wirklich vernünftige Impulse gegeben werden können?

Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Vielen Dank, Herr Kollege. Das ist ein richtiger Hinweis. Das nächste Jahr wird das Jahr der Chancengleichheit sein. Wir werden in der Europäischen Union die Ratspräsidentschaft haben. Das Thema wird natürlich von der Bundesregierung und der Koalition aufgenommen werden. Jetzt ist, glaube ich, nicht der richtige Zeitpunkt, darüber in aller Breite Ausführungen zu machen. Ich bin aber gern bereit, das im zuständigen Ausschuss in absehbarer Zeit ausführlich zu tun. Wir wollen dafür sorgen, dass im nächsten Jahr unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit insbesondere Diskriminierung verhindert wird, dass die Interessenlage der Menschen mit Behinderungen in besonderer Weise Berücksichtigung findet. Sie können sicher sein, dass wir diese Aufgabe nicht vergessen, auch wenn heute Morgen nicht die Zeit ist, über alles im Einzelnen zu sprechen. Aber ich glaube, dass das, was wir für Menschen mit Behinderungen in den vergangenen Jahren getan haben, gut und überzeugend war. Diese Arbeit wollen wir auch fortsetzen. Sie ist nötig und wichtig. Ich bin gern bereit, bei anderer Gelegenheit ausführlicher über diese Zusammenhänge zu sprechen. Das Thema ist bei uns jedenfalls gesetzt. Wir sind uns bewusst, dass das im nächsten Jahr eine große Rolle spielen wird.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Sagen Sie noch was zum Kündigungsschutz?)

- Ich habe zur Opposition noch nichts gesagt. Was soll man dazu auch sagen?

(Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU)

Aber das kommt mir gerade recht. Denn dann will ich folgendermaßen abschließen, wenn ich so weit überziehen darf. Gestern hat der Herr Westerwelle ja hier gestanden und sich darüber mokiert, dass ich früher etwas anderes gesagt hätte als heute, dass ich meine Meinung geändert hätte. Er hat dazu aus den vergangenen Jahren zitiert. Ich will Ihnen ausdrücklich sagen: Das ist wahr. Ich empfehle Herrn Westerwelle, noch einmal die Geschichten von Herrn Keuner nachzulesen. Dort heißt es: Als Herr Keuner nach vielen Jahren einen alten Bekannten wieder traf, begrüßte dieser ihn und sagte: „Sie haben sich gar nicht verändert.“ Dazu heißt es bei Brecht: „Und K. erbleichte.“

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Ganz im Ernst: Wer nicht den Mut hat, in veränderten politischen Situationen neu nachzudenken, an den Zielen festzuhalten, aber die Instrumente so zu wählen, dass man damit Gescheites machen kann, der ist für die Politik nicht geeignet. Schönen Gruß an Herrn Westerwelle: Westerwelle bleibt Westerwelle. Er hat sich nicht verändert.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich will, Herr Minister, der Vollständigkeit halber hinzufügen, dass der von Ihnen zitierte Autor Bert Brecht weder Mitglied der FDP-Fraktion noch Mitglied der SPD-Fraktion war.

(Zuruf von der SPD: Auch nicht Mitglied der CDU/CSU-Fraktion!)

   Jedenfalls setzen wir nun die Debatte fort. Das Wort erhält die Kollegin Frau Dr. Winterstein für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Claudia Winterstein (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Minister! Bei der Betrachtung des neuen Ministeriums für Arbeit und Soziales muss man leider eines in aller Deutlichkeit sagen: Der Arbeitsminister hat, was den Beitrag zur Haushaltskonsolidierung angeht, völlig versagt. Nach Ihren schönen Worten, Herr Minister, kommen wir jetzt einmal zu den weniger schönen Tatsachen.

3 Milliarden Euro sollten, so die Koalitionsvereinbarung, durch Optimierungen bei Hartz IV im Jahr 2006 gespart werden. Davon ist kaum etwas übrig geblieben. Durch die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitslosengeld-II-Empfänger sollten 2 Milliarden Euro gespart werden. Das findet in 2006 nicht statt. 600 Millionen Euro sollten durch Senkung der Ansprüche der unter 25-jährigen Arbeitslosengeld-II-Empfänger eingespart werden. Davon sind für 2006 nur noch 160 Millionen Euro an Einsparungen übrig geblieben. Auch dieser Beitrag steht nur auf dem Papier; denn die Bundesagentur ist nicht in der Lage, dies zeitgerecht umzusetzen.

(Beifall bei der FDP)

   Stattdessen wurden Entscheidungen getroffen, die den Haushalt 2006 zusätzlich belasten, wie die Erhöhung des Arbeitslosengeldes II Ost - das sind 220 Millionen Euro -, die Weiterzahlung des Bundesanteils an den Unterkunftskosten - das sind 3,6 Milliarden Euro - oder die Verlängerung der Förderungsdauer der Ich-AGs, die die Bundesagentur 270 Millionen Euro kosten wird.

   Auch aus der Absicht, den Bundeszuschuss zur Rente zu stabilisieren, wird nichts. Der Zuschuss steigt weiter, jedes Jahr um 1 Prozent. Das ist keinesfalls ein Einfrieren, wie sich die Koalition das vorgenommen hatte. 77,5 Milliarden Euro überweist der Bund in diesem Jahr an die Rentenkasse. Das ist der größte Posten des gesamten Haushalts.

   Im Februar 2006 lag die Arbeitslosenzahl in Deutschland wieder bei 5 Millionen, jetzt knapp darunter. Wenn wir hier endlich zu Verbesserungen kommen wollen, müssen wir Verkrustungen auf dem Arbeitsmarkt beseitigen. Aber auch hier leistet der Arbeitsminister nicht das, was notwendig ist. Notwendig aus Sicht der FDP sind gesetzliche Öffnungsklauseln im Tarifrecht, die Abschaffung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen, eine Änderung des Günstigkeitsprinzips und Reformen beim Kündigungsschutz. Alldem verweigert sich die Koalition.

(Beifall bei der FDP)

   Im Wahlprogramm der Union klang das übrigens alles noch ganz anders. Wo sind denn jetzt Ihre Reformansätze, meine Damen und Herren von der Union? Vergessen, versenkt oder ins Gegenteil verkehrt.

(Beifall bei der FDP)

Herr Müntefering hat jetzt sogar die Umsetzung des Koalitionsvertrags in Bezug auf den Kündigungsschutz gestoppt. Das Wenige, was sich die Koalition dort vorgenommen hat, ist der SPD schon zu viel.

   Am 1. März schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“:

Wer Lohnzusatzkosten senken will, darf die Abgabenlast der Minijobs nicht von 25 auf 30 Prozent erhöhen.
(Beifall bei der FDP)
Wer Beschäftigung schaffen und Schwarzarbeit verhindern will, darf nicht Mindestlöhne einführen ...
(Beifall bei der FDP)
Wer die Steuerzahler beim Arbeitslosengeld II entlasten will, darf nicht ohne zwingenden Grund neue Leistungen wie die höheren Regelsätze im Osten einführen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Wer die Nürnberger Bundesagentur entlasten will, darf ihr nicht mit dem geplanten Kombilohn neue Aufgaben aufbürden.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

So ist es, meine Damen und Herren. Besser kann man es nicht sagen.

   Ich will den Blick noch auf einige Elemente des vorliegenden Haushaltsplanentwurfes lenken. Der Entwurf nutzt die Umstrukturierung zwischen Arbeits-, Wirtschafts- und Gesundheitsministerium dazu, ein nur eingeschränkt aussagefähiges Zahlenwerk zu präsentieren. Klar zu erkennen sind in dem Hauptkapitel „Ministerium“ lediglich die Sollzahlen für 2006, nicht aber die Istzahlen für 2005, sodass ein Vergleich mit dem Vorjahr überhaupt nicht möglich ist.

   Ich habe den Eindruck, dass das Arbeitsministerium diese Unübersichtlichkeit für sich nutzt. Es gibt etliche Titel, bei denen die alten Häuser wenig abgeben, das neue Haus sich aber mehr nimmt. Das betrifft zum Beispiel die Öffentlichkeitsarbeit. 2005 gaben Wirtschafts- und Gesundheitsministerium - allein im engsten Ministeriumsbereich - zusammen 14 Millionen Euro aus. Mit dem neuen Arbeitsministerium sollen es jetzt zusammen 17 Millionen Euro werden. Das sind im Gesamthaushalt keine großen Summen. Aber sie sind symptomatisch.

   Aus dem alten Ansatz „Forschung, Untersuchungen und Ähnliches“ des Gesundheitsministeriums in Höhe von 10 Millionen Euro nimmt das Arbeitsministerium 6,3 Millionen Euro mit. Das Gesundheitsministerium setzt aber auch 6 Millionen Euro an, also unter dem Strich 2,3 Millionen Euro zusätzlich. So funktioniert das also.

   Es liegt auch die Vermutung nahe, dass der Arbeitsminister, der ja auch Vizekanzler ist, diese Unübersichtlichkeit dazu nutzt, um Personalaufwüchse zu verstecken. Aufgrund der Trennung sollen dem Gesundheitsministerium schon 18 neue Stellen zugebilligt werden. Zusätzlich reklamiert aber auch das Arbeitsministerium 19 neue Stellen allein für den Leitungsbereich, die jährlich etwa 1,3 Millionen Euro kosten werden.

(Dirk Niebel (FDP): Das nennen die Bürokratieabbau!)

   Man muss schon genau und kritisch hinsehen, wo diese neuen Stellen für erforderlich gehalten werden. Hier wird deutlich, dass die schiere Existenz des Arbeitsministeriums als neu gestaltetes Haus für den Steuerzahler ein teures Unterfangen ist.

(Dirk Niebel (FDP): Ein Nebenkanzleramt!)

Ein Minister mehr, damit ist es nicht getan, wie man sieht.

   Im Haushalt 2006 werden die Kosten für die Arbeitsmarktpolitik wieder einen sehr großen Posten ausmachen. Insgesamt 38,3 Milliarden Euro sind im Entwurf für die Grundsicherung der Arbeitsuchenden vorgesehen. Darin stecken neben den eigentlichen Zahlungen für das Arbeitslosengeld II unter anderem die 3,6 Milliarden Euro, die der Bund sich als Beteiligung an den Kosten für Unterkunft und Heizung hat abhandeln lassen, 6,5 Milliarden Euro für Eingliederungsleistungen plus 3,5 Milliarden Euro für Verwaltungskosten.

   Bei den Eingliederungsleistungen bitte ich genau hinzusehen. Denn bei den Instrumenten, die hier zum Einsatz kommen, handelt es sich auch um solche, die in der Untersuchung der Effekte von Hartz I bis III besonders schlecht bewertet wurden. Maßnahmen, die im besten Fall unwirksam, im schlechtesten sogar kontraproduktiv sind, müssen so schnell wie möglich abgeschafft werden.

(Beifall bei der FDP)

Allerdings sieht es nun so aus, als wolle der Arbeitsminister - er hat es eben angesprochen - besonderen Ehrgeiz darauf verwenden, genau diese Instrumente noch breiter anzuwenden. Seine Initiative „50 plus“ deutet jedenfalls in diese Richtung.

   Herr Minister, nicht einmal die Bundesagentur will diese Instrumente noch. Sie plädiert dringend für ein Durchforsten des Förderdschungels und für eine Konzentration auf weniger Maßnahmen.

(Beifall bei der FDP)

Es ist deswegen ein Fehler, wenn die Regierung die Effizienzprüfung dieser Maßnahmen verzögert, statt sich ihr zu stellen.

   Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Der Arbeitsminister ist mit seinem Sparbeitrag weit hinter den Vorgaben der Koalitionsvereinbarung zurückgeblieben. Die Regierung ist zu den notwendigen Reformen am Arbeitsmarkt nicht bereit. Bei den Ausgaben für das Arbeitslosengeld II drohen auch in diesem Jahr Haushaltslöcher. Der Bundeszuschuss zur Rente steigt nach wie vor.

   Ihr Haushaltsentwurf, Herr Minister, enthält also erhebliche Risiken. Das ist alles andere als solide Arbeit.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun die Kollegin Ilse Falk, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ilse Falk (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte über den Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Soziales hat nicht allein wegen des großen finanziellen Volumens dieses Einzelplans erhebliche Bedeutung, sondern auch und vor allem deswegen, weil ein Großteil unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger von diesem Haushalt und den darin enthaltenen Maßnahmen unmittelbar betroffen ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wichtig!)

Die große Herausforderung dieser Koalition - das ist eben schon sehr deutlich angesprochen worden - ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

   Deswegen lautet die schlichte Frage: Was kann das Ressort Arbeit und Soziales dazu beitragen, dass wieder mehr Arbeitsplätze entstehen? Denn nur durch die Schaffung von zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen eröffnen wir den betroffenen Menschen Zukunftsperspektiven, bekämpfen wir nachhaltig Armut und Benachteiligung und erreichen wir die notwendige Entlastung bei den Sozialausgaben, was alles dauerhaft zur Konsolidierung des Haushalts beiträgt.

   In der Arbeitsmarktpolitik gibt es nicht den großen Wurf, die Lösung. Der Erfolg misst sich vielmehr letztlich an vielen einzelnen Maßnahmen, die sinnvoll ineinander greifen müssen und zum Gesamtergebnis beitragen können. Deswegen lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede noch einmal einen Blick auf das Sofortprogramm für Wachstum und Beschäftigung mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro werfen, das vom Minister gerade angesprochen worden ist. Ich will dazu ergänzend einen Punkt benennen, der aus meiner Sicht einen wichtigen Ansatz im Zusammenhang mit der Arbeits- und Sozialpolitik bietet: Der private Haushalt wird als Arbeitgeber anerkannt. Wir kommen also der lang gehegten und in der 13. Legislaturperiode schon einmal auf den Weg gebrachten, aber dann leider wieder abgeschafften Idee vom Haushalt als Betrieb ein ganzes Stück näher. Private Haushalte werden zunehmend zu einem wichtigen Feld für neue Beschäftigung. Unterschiedlichste Aufgaben werden bezahlten Arbeitskräften übertragen: Haushaltsführung, Kinderbetreuung, Gartenarbeit, aber auch Dienstleistungen, die das Alter erforderlich macht, bis hin zur Pflege.

Ich will an dieser Stelle auf Folgendes aufmerksam machen: Frankreich wird uns ja immer als ein Vorbild zum Beispiel in der Familienpolitik und der Kinderbetreuung vorgehalten. Dort sind inzwischen in den Haushalten im Bereich der Tagesmütter und der Kinderbetreuung 400 000 Stellen entstanden. Man ist dort voller Optimismus, dass sich das auf 600 000 Stellen steigern lässt. Ich denke, das ist eine Größe, die wir nicht vernachlässigen sollten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Allerdings - deshalb wird die Diskussion nicht gerne laut geführt - erfolgt dies weitgehend im Bereich der Schattenwirtschaft. Herr Biedenkopf sagte letzte Woche: Der Haushalt ist die stärkste Säule der Schattenwirtschaft. - Damit kommen wir zu dem größten Problem, das hier besteht: Sozialversicherungspflichtige Arbeit muss bezahlbar sein. Deswegen sollten wir neben dem nun begonnenen Einstieg in eine bessere Steuerabsetzbarkeit diesen Bereich im Zusammenhang mit den Überlegungen zum Niedriglohnsektor - ich nenne hier nur den Kombilohn - noch einmal näher betrachten. Arbeitsplatzpotenzial scheint hier auf jeden Fall vorhanden zu sein.

   Aber auch hierzu eine kritische Anmerkung: Bei offensichtlich zunehmendem Bedarf an Dienstleistungen im Haushalt sollten wir für dieses Arbeitsfeld als Ausbildungsberuf werben. Ich kenne viele erwerbstätige Frauen, die verzweifelt nach qualifizierten Hilfen suchen und keine finden. Ganz sicher gibt es viele junge Frauen - Männer wohl eher weniger -, die hier eine geeignete Arbeit finden könnten. Es ist bedauerlich, dass der Haushalt viel zu lange niedergeredet und als nicht zumutbarer Arbeitsplatz bezeichnet wurde. Das muss sich dringend ändern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Noch ein Wort zur Schwarzarbeit. Ein gewichtiger Beitrag sowohl zur Konsolidierung des Haushalts als auch zur Senkung der Lohnnebenkosten kann mit der Bekämpfung illegaler Beschäftigung erreicht werden. Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung haben ein bedenkliches Maß erreicht. Deshalb hat sich die Koalition zum Ziel gesetzt, den gesamten Bereich der Schattenwirtschaft zurückzudrängen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen wichtigen Impuls auch für den Mittelstand versprechen wir uns von der Senkung der Lohnzusatzkosten. Die Koalition hat sich vorgenommen, die Lohnzusatzkosten dauerhaft auf unter 40 Prozent zu senken. Ein erster Schritt, um dieses Ziel zu erreichen, wird die Absenkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,5 Prozent ab 1. Januar nächsten Jahres sein.

   Auch der Bundeshaushalt 2006 - nicht nur unser Einzelplan - ist in seiner Struktur von einem viel zu hohen Anteil an Sozialausgaben geprägt, die sich auf rund 134 Milliarden Euro belaufen. Schwerpunkte bilden erneut die Leistungen an die gesetzliche Rentenversicherung und die Arbeitsmarktausgaben. An dieser Stelle müssen wir ansetzen. Wir haben uns im Rahmen von Reformen und Strukturverbesserungen eine Reihe von Maßnahmen vorgenommen, um dauerhaft Einsparungen zu erzielen.

   Erste Sparmaßnahmen sind bereits durch die Änderung des SGB II umgesetzt.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wo ist denn da etwas eingespart worden? Das habe ich gar nicht mitgekriegt!)

Ich will beispielhaft auf die Ausweitung der Bedarfsgemeinschaften eingehen, die ja unbestreitbar stattgefunden hat. Es ist beschlossen, die Bildung von Bedarfsgemeinschaften durch unter 25-Jährige wieder zurückzuführen und Eltern wieder stärker in die Verantwortung für ihre Kinder zu nehmen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Die haben doch Bestandsschutz!)

   Darüber hinaus erarbeitet die Koalition gegenwärtig Eckpunkte für den Entwurf eines Optimierungsgesetzes, mit welchem Fehlentwicklungen im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende entgegengewirkt werden soll. Durch die Optimierung von Verwaltungsabläufen und eine Verbesserung der Strukturen sollen Einsparungen und auch Effizienzgewinne erzielt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Einsparungen sind nötig. Sie sind gerechtfertigt und, wie wir finden, auch gerecht; denn die Ausgaben im Bereich der Grundsicherung haben mit ungefähr 10 Milliarden Euro - die Zahl wurde bereits erwähnt - bei weitem das angenommene Volumen überschritten. Das liegt nicht allein an der zusätzlichen Zahl von erwerbsfähigen Sozialhilfeempfängern, denen durch diese Regelung wieder eine Chance auf dem Arbeitsmarkt eröffnet wurde - das begrüßen wir alle -, sondern vor allem an der offensichtlich kreativen Ausnutzung mancher Regelung; dafür gibt es deutliche Anzeichen. Die Koalition wird diesem Missbrauch im Interesse der ehrlichen ALG-II-Empfänger, die darunter ebenso leiden wie die Beiträge und Abgaben zahlenden Arbeitnehmer, entgegensteuern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich möchte an dieser Stelle deutlich machen, dass es uns in diesem Bereich zwar sehr wohl um Einsparungen geht, aber auch darum, wie wir die zur Verfügung stehenden Mittel sinnvoll und im Interesse der Betroffenen einsetzen können. Wichtig ist mir, dass wir diejenigen, die trotz besonderer Belastungen arbeiten möchten und die Solidargemeinschaft nicht belasten wollen, dabei nicht aus dem Blick verlieren. Ich werde mich im Zuge der anstehenden Reformmaßnahmen daher ganz besonders dafür einsetzen, dass bezogen auf das ALG II Regelungen geschaffen werden, die Behinderten die Rückkehr ins Berufsleben dadurch erleichtern, dass im Zuge einer Rehabilitation auch die Kosten für besondere Maßnahmen übernommen werden.

   An dieser Stelle sei mir ein kleiner Schlenker zur Gesundheitspolitik erlaubt. Sie alle werden in diesen Tagen vermutlich von Menschen mit Behinderungen, denen aufgrund der Budgetierung der Arztleistungen gesundheitserhaltende Therapien vorenthalten werden bzw. zum Ende eines Quartals nicht mehr zur Verfügung stehen, angesprochen werden. Ich denke, an dieser Stelle müssen wir sehr genau hingucken, denn gerade diese Therapien sind oft von substanzieller Bedeutung für die Erhaltung der Arbeitskraft.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Was heißt das, wenn Sie genau hingucken? Was bedeutet denn „genau hingucken“, Frau Falk?)

- Genau hingucken heißt, dass an dieser Stelle keine Sparmaßnahmen stattfinden dürfen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Zuruf von der SPD: Schönen Gruß an die Kassenärztlichen Vereinigungen!)

Die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben ist nicht nur Verpflichtung, sondern ein Gewinn für die ganze Gesellschaft. Das sollten wir uns immer wieder klarmachen.

   Die Koalition ist überzeugt, dass die aktive Arbeitsmarktpolitik einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Beschäftigungschancen leistet. Wir planen daher, die Vielzahl der kaum noch überschaubaren Förderinstrumente im Interesse der arbeitssuchenden Menschen auf den Prüfstand zu stellen und konkrete Verbesserungsvorschläge zu machen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir uns dazu durchringen könnten, der örtlichen Ebene bei den Fördermaßnahmen wieder mehr Verantwortung zuzutrauen und den einzelnen Agenturen und ihren Mitarbeitern Ermessensspielräume einzuräumen.

   Wichtige Instrumente der Arbeitsmarktpolitik sind angesprochen worden. Eine Arbeitsgruppe arbeitet an der Neuregelung der Maßnahmen zur Beförderung von Existenzgründungen. Die Kanzlerin hat gestern zum Kündigungsschutz, so denke ich, die richtigen Worte gefunden. Daher will ich darauf nicht näher eingehen.

   An dieser Stelle sei mir aber erlaubt, darauf hinzuweisen, wie wichtig es auch aus arbeitsmarktpolitischen und wirtschaftlichen Gründen ist, Familien verstärkt in den Blick zu nehmen. Die Verantwortung von Familien, zum Beispiel in Bezug auf die Arbeitsfähigkeit und die Leistungsbereitschaft der Kinder, der zukünftigen Arbeitnehmer, ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Auch die Erziehung zukünftiger Führungseliten unseres Landes findet in erster Linie in den Familien statt. Das dürfen wir nicht unterschätzen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Deshalb ist es für Unternehmen und Politik gleichermaßen eine Herausforderung, den Familien durch richtige Rahmenbedingungen und die bessere Gestaltung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf entgegenzukommen, damit Familie auch gelebt werden kann.

   Des Weiteren ist es nicht von der Hand zu weisen, dass Familie auch hinsichtlich ihrer Bedeutung für unser soziales Sicherungssystem gar nicht ernst genug genommen werden kann. Rentenpolitik ist in diesen Tagen allerorten das Thema. Der Zusammenhang mit den zurückgehenden Kinderzahlen ist offensichtlich.

(Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Männer wollen einfach keine Kinder mehr haben!)

   Wir haben den Beschluss gefasst, das Renteneintrittsalter von 65 auf 67 Jahre anzuheben. Diese Antwort halten wir für gerecht. Sie soll für die faire Lastenverteilung zwischen den Generationen sorgen; denn bei allem, was wir tun, dürfen wir den Ausgleich zwischen den Generationen nicht vergessen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Lassen Sie mich an dieser Stelle zwei Bemerkungen zu der Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre machen: Erstens finde ich es bemerkenswert, dass sich vor allem diejenigen immer lautstark zu Wort melden, die von der Regelung gar nicht betroffen sind. Zweitens habe ich mich gefragt, wie sich ein Arbeitsminister eigentlich richtig verhalten kann. Im Zuge der Debatte wird uns immer wieder der Spruch des ehemaligen Arbeitsministers Blüm „Die Rente ist sicher!“ vorgehalten.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): CDU!)

Er habe angeblich nicht die Wahrheit gesagt. Zugleich erlebe ich, wie dieselben Kritiker den heutigen Arbeitsminister verbal niedermachen, wenn er ihnen zur Begründung für unser beabsichtigtes Handeln die Fakten vorhält. Verstehe das, wer will.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ganz freiwillig hat er es nicht gemacht!)

Man kann es drehen und wenden, wie man will. An den Fakten kommt man einfach nicht vorbei.

   Das Thema Rente wird uns weiterhin heftig begleiten.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Davon können Sie ausgehen!)

Aber es ist zu betonen, dass die gesetzliche Rente auch in Zukunft einen hohen Stellenwert haben wird. Sie bedarf angesichts der demografischen Entwicklung der Ergänzung durch die betriebliche und die private Altersvorsorge. Die beabsichtigte zusätzliche Förderung durch die Erhöhung der Kinderzulage und die Einbeziehung des selbstgenutzten Wohneigentums in die geförderte Altersvorsorge wurden hier schon angesprochen.

   Abschließend möchte ich noch einmal betonen: So notwendig und richtig die beschriebenen Maßnahmen sind, eine dauerhafte und nachhaltige Entspannung auf dem Arbeitsmarkt und in der Sozialversicherung werden wir nur erreichen, wenn es gelingt, in unserem Land wieder mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): So ist es!)

Erst dann haben Arbeitslose eine echte Chance, wieder Arbeit zu bekommen, Arbeit, die ihnen oft verlorenes Selbstwertgefühl zurückgibt und sie von staatlichen Leistungen unabhängig macht.

   Da logischerweise im Zusammenhang mit dem Arbeits- und Sozialhaushalt immer eher von der anderen Seite, nämlich den Schwervermittelbaren oder den Unwilligen die Rede ist, ist es mir besonders wichtig, zum Schluss gerade die in den Blick zu nehmen, die alles Erdenkliche tun, um einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden. Dies sollten wir viel häufiger ansprechen.

   Wir alle haben eine große Verantwortung dafür, für unser Land wieder Zukunft zu gewinnen. Viele Signale lassen uns inzwischen optimistischer in die Zukunft sehen. Aber ich appelliere an alle Verantwortlichen in der Politik - also an uns -, in der Wirtschaft und den Gewerkschaften, stets das Ganze im Blick zu haben und den sich abzeichnenden Aufbruch nicht durch Klientelpolitik bereits im Keim zu ersticken.

   Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun die Kollegin Kornelia Möller, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Kornelia Möller (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben die höchste Zahl an Langzeitarbeitslosen, die die Bundesrepublik Deutschland je erlebt hat, und das muss sich wieder ändern.

Dies verkündete Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

   Inzwischen sind mehr als hundert Tage vergangen. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist weiter gewachsen. Über zwei Millionen sind es nach den gestrigen Angaben der Kanzlerin. Die offizielle Gesamtzahl arbeitsloser Männer und Frauen liegt immer noch bei fast fünf Millionen. Mir fehlt jedes Verständnis, Frau Merkel. Sie haben anscheinend vergessen, Ihrem Finanzminister, Herrn Steinbrück, Ihre Zielstellung mitzuteilen. Denn der Haushalt 2006 ist als Instrument des Abbaus der Arbeitslosigkeit völlig ungeeignet.

(Beifall bei der LINKEN)

   Impulse für die dringend notwendige offensive Beschäftigungspolitik? Fehlanzeige. Wenn es nicht mehr Arbeitsplätze gibt, dann laufen viele, vielleicht gut gemeinte Aktivitäten in der Arbeitsmarktpolitik bei der Vermittlung und Eingliederung ins Leere. Ich prophezeie Ihnen: Spätestens die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer wird die Binnenkonjunktur in verantwortungsloser Weise weiter schwächen und die Zahl der Arbeitslosen weiter in die Höhe treiben.

(Beifall bei der LINKEN)

   Landauf, landab glaubt man Ihren vollmundigen Versprechen nicht mehr, Frau Merkel, Herr Steinbrück und Herr Müntefering. Eine ernüchternd niedrige Wahlbeteiligung belegt das anschaulich. Selbst dem Chef der Bundesagentur für Arbeit fällt es schwer, auch nur funktionsbedingten Optimismus zu verbreiten. Denn Anfang April wird er wieder verkünden müssen, dass es fast fünf Millionen arbeitslose Menschen gibt.

Ich unterstelle einfach, dass es einige in Ihrem Regierungslager gibt, die an Vollbeschäftigung wirklich interessiert sind. Aber die, die tatsächlich das Sagen haben, die Bosse in Nadelstreifen, nutzen die Arbeitslosigkeit schamlos aus. Sie machen Druck auf die, die noch Arbeit haben. Dass nach dem Motto „Friss oder stirb!“ ein Stundenlohn von 4 Euro gezahlt wird, ist längst keine Seltenheit mehr.

   Aber der eigentliche Skandal in der Politik ist: Ließen sich die Sozialdemokraten noch vor Jahren von dem Grundsatz leiten, dass der wichtigste Weg zur Konsolidierung des Haushalts der Abbau der Arbeitslosigkeit ist, so sehen sie heute offenbar, vereint mit CDU und CSU, in der weiteren Senkung des Lebensniveaus arbeitsloser Menschen die entscheidende Quelle der Haushaltskonsolidierung. Der Arbeitsminister stellt sich dabei an die Spitze der Befürworter dieser Politik. Im Klartext: Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weiter auseinander, und das mit sozialdemokratischem Segen.

   Wir haben Ihnen konkrete Vorschläge gemacht, die von Ihnen aber abgelehnt wurden. Abgelehnt wurde unser Antrag auf Übertragung der Mittel aus dem Jahr 2005 in das Jahr 2006. Dabei handelte es sich um einen Betrag in Höhe von rund 1 Milliarde Euro für Eingliederungsmaßnahmen innerhalb des Regelkreises ALG II. Hätten Sie zugestimmt, stünde heute 1 Milliarde Euro mehr für aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung.

(Beifall bei der LINKEN)

Es wären mehr Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante möglich, und die dringend nötige Weiterbildung von Langzeitarbeitslosen könnte stattfinden.

   Abgelehnt wurde auch unser Vorschlag zur Einbeziehung weiterer Branchen mit diskontinuierlicher Beschäftigung in die Regelung des Saisonkurzarbeitergeldes. Hätten Sie zugestimmt, gäbe es heute weniger saisonbedingte Arbeitslose.

(Beifall bei der LINKEN)

   Abgelehnt wurde schließlich unser Vorschlag, das Arbeitslosengeld in den neuen Ländern rückwirkend zum Januar 2005 an das Niveau in den alten Ländern anzugleichen. Hätten Sie zugestimmt, hätten wir heute eine Stärkung der Binnennachfrage und dadurch eine verstärkte Nachfrage nach Arbeit.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU/CSU: Und mehr Schulden!)

   Das iso-Institut, eine der 20 Evaluierungseinrichtungen, hat sinngemäß festgestellt: Wer nicht leicht vermittelbar ist, fällt durch den Rost.

(Zuruf von der FDP: Was heißt denn hier „sinngemäß“?)

Denn die BA konzentriert ihre Vermittlungsbemühungen auf jene Arbeitsuchenden, die relativ leicht vermittelbar sind, weil sie zum Beispiel jung, gesund und gut ausgebildet sind.

   Damit keine Zweifel aufkommen: Auch wir sind für einen effektiven Einsatz der Mittel. Gerade deswegen ist es für mich als Ökonomin besonders verwunderlich, dass Sie noch immer glauben, mit betriebswirtschaftlichen Methoden neoliberaler Ausprägung eine Volkswirtschaft beleben und Arbeitsplätze schaffen zu können.

(Beifall bei der LINKEN)

Früher sagte man dazu: „den Bock zum Gärtner machen“. Aber früher gab es in diesem Parlament auch noch eine sozialdemokratische Partei.

(Beifall bei der LINKEN - Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Haha! Wie witzig!)

   Besonders hart hat es die Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger getroffen. Hans-Jürgen Marcus, der Sprecher der Nationalen Armutskonferenz, sagte gestern in Berlin, dass sich allein die Anzahl der Kinder unter 15 Jahren, die auf Sozialhilfeniveau leben, im Jahre 2005 von 1 Million auf rund 1,5 Millionen erhöht hat. Es gibt in Deutschland also 1,5 Millionen arme Kinder. Die Dunkelziffer schätzt er auf zusätzlich rund 200 000 Kinder. Als Grund für die steigende Anzahl armer Menschen in diesem Land nannte er die Arbeitsmarktreform Hartz IV.

   Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, spätestens nach diesem Beispiel müssten Sie sich eigentlich an Ihre Verantwortung erinnern. Ich sage Ihnen: Beseitigen Sie diese Zustände! Denn Hartz IV ist ein schlechtes Gesetz. Hartz IV muss weg!

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Die Kollegin Brigitte Pothmer ist die nächste Rednerin für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Guten Morgen, Herr Arbeitsminister Müntefering! Ich freue mich, dass nun auch bei Ihnen angekommen ist, dass Frauen nicht dümmer sind als Männer. Allerdings hätte ich es noch besser gefunden, wenn Sie uns heute Morgen mitgeteilt hätten, welche Konsequenzen die Regierung daraus ziehen wird, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt gleichwohl auch weiterhin diskriminiert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Herr Minister, was wir in den vergangenen Wochen von dieser Regierung und der großen Koalition in Sachen Arbeitsmarktpolitik gehört haben, lässt sich selbst bei wohlwollendster Betrachtung nicht anders überschreiben als folgendermaßen: Die große Koalition und die Arbeitsmarktpolitik - das Ende einer Legende. Ich will hier gar nicht ausführlich auf die weitgehend unveränderten Arbeitslosenzahlen eingehen. Sie werden aber nicht bestreiten, dass letztlich diese Zahlen der objektive Gradmesser für den Erfolg oder Misserfolg einer Regierung in Sachen Arbeitsmarktpolitik sind. Wenn sich eine Steigerung des Geschäftsklimaindex auf dem Arbeitsmarkt nicht in Form von neuen Arbeitsplätzen niederschlägt, dann nützt uns das am Ende wenig.

   Die Vorgängerregierungen haben jeweils eine Vielzahl von Gründen für das Ausbleiben einer Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt anführen können. Sowohl die Kohl-Regierung als auch die rot-grüne Regierung haben unter der Blockade vieler ihrer Reformen durch die Opposition im Bundesrat gelitten. Aber das sei jetzt vorbei, so die große Ankündigung von CDU/CSU und SPD bei ihrer Elefantenhochzeit. Ihre Versprechen lauteten: Union und SPD in einem Boot; beide ziehen an einem Strang; Bahn frei für eine neue Republik. Reformstau solle ein Fremdwort sein. Es gebe neue Möglichkeiten und rasante Veränderungen. Das alles mache man zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger und vor allen Dingen zum Wohle der arbeitslosen Menschen.

   Viele wussten vorher, dass das so nicht kommen wird, aber jetzt haben wir es amtlich. Das war letztlich ein großer Bluff. Auch und gerade im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ist nicht mehr passiert, als dass die früher zwischen Bundesrat und Bundestag ausgetragenen Grabenkämpfe nun in der gemeinsamen Regierung stattfinden. Das Kabinett Merkel und Müntefering ist quasi ein ständiger Vermittlungsausschuss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist uralt, was Sie da sagen! Das hat man schon bei Kiesinger behauptet!)

   Und was kommt dabei heraus? Die Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners. Der kleinste gemeinsame Nenner ist aber zu wenig angesichts der großen Probleme, die sich uns bei der Bewältigung der Massenarbeitslosigkeit in diesem Land stellen.

   Sie haben den Menschen eine Koalition der neuen Möglichkeiten versprochen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sprechen Sie doch mal zum Thema!)

Aber was passiert? Sie streiten! Sie streiten als verschiedene Arbeitgeber bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst. Sie streiten über das Renteneintrittsalter. Sie streiten über Kombi- und Mindestlöhne.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Leiden Sie unter Bewusstseinstrübung? Das ist doch gar nicht wahr!)

Sie streiten über den Kündigungsschutz. Herr Müntefering, ich glaube, dass auch Sie sich das etwas anders vorgestellt haben. Sie hätten gerne das Motto gehabt: Wo ein Münte ist, da ist auch ein Weg.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Sehr richtig!)

Aber abgesehen davon, dass man zunehmend den Eindruck gewinnen muss, dass Sie dann gar nicht gewusst hätten, welchen Weg Sie dann hätten einschlagen sollen, muss es heute heißen: Wo ein Münte ist, da sind ein Dutzend Wegelagerer, aus der eigenen Partei und aus den Parteien des Koalitionspartners.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Zu welchem Thema reden Sie?)

   Diese Wegelagerer wollen den Kündigungsschutz weiter lockern, obwohl Ihnen die Arbeitgeber schon ein hohes Maß an Flexibilität beim Kündigungsschutz bescheinigen und immer wieder sagen, dass die Befristungsregelungen, die unter Rot-Grün eingeführt worden sind, allemal besser sind als eine zweijährige Probezeit, die jetzt von der CDU/CSU gefordert wird. Ich finde es gut, dass Sie diese Heckenschützen in die Schranken weisen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gut so, kann ich nur sagen. Sie haben uns dabei auf Ihrer Seite.

   Wenn Sie schon dabei sind, unsinnige Projekte zu stoppen, dann stoppen Sie bitte auch die großflächige Einführung von Kombilöhnen. Herr Müntefering, auch in diesem Punkt sind Sie letztlich klüger als Ihr Koalitionspartner. Sie wissen, dass das kein geeignetes Instrument ist, um eine nennenswerte Zahl zusätzlicher Arbeitsplätze zu schaffen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Herr Minister, Sie haben einmal gesagt - das hat mir gut gefallen -, eine Regierung solle ab und an ruhig mal auf die Opposition hören; denn auch die habe manchmal kluge Ideen. Ich kann Ihnen sagen: Das stimmt, manchmal haben auch wir kluge Ideen. Wenn Sie richtig flott voran wollen, dann kann ich Ihnen nur unser Progressivmodell empfehlen. Mit diesem würden Sie die Lohnnebenkosten im unteren Einkommensbereich, also in dem Bereich, in dem wir am dringendsten zusätzliche Arbeitsplätze brauchen, gezielt senken. Was hindert Sie daran, dieses Progressivmodell einzuführen, Herr Müntefering?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Sie haben die Bekämpfung der Schwarzarbeit ja ganz groß auf Ihre Agenda geschrieben. Was Sie tun, ist aber leider das Gegenteil. Die Anhebung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent ist ein gigantisches Konjunkturprojekt für Schwarzarbeit. Mit der Anhebung der Abgaben für Minijobs belasten Sie ausgerechnet den Teil der Arbeit, der extrem schwarzarbeitgefährdet ist. Die Bundesknappschaft rechnet Ihnen den Verlust von 750 000 Arbeitsplätzen in diesem Bereich vor. Diese werden Sie mit dem Kombilohn nie und nimmer wieder aufbauen. Stoppen Sie also bitte auch diesen Unsinn!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist der Weg in die Schwarzarbeit!)

   Sie wollen das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre anheben. Sie wissen, dass auch wir keine wirkliche Alternative dazu sehen und dass wir das Projekt unterstützen. Die widersprüchlichen und unzureichenden Maßnahmen zur Integration älterer Menschen ins Erwerbsleben werden wir aber nicht mittragen. Sie haben hier auch heute noch einmal lautstark die Initiative „Arbeit 50 plus“ verkündet, während Sie mit der 58er-Regelung gleichzeitig die Ausgrenzung Älterer, also genau das Gegenteil, betreiben. Bei uns in Teichlosen, wo ich herkomme, würde man sagen: Was der mit den Händen aufbaut, reißt er mit dem Hintern wieder um. So kommen Sie nicht voran, Herr Müntefering.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

   Diese Politik wird uns auch vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung sehr teuer zu stehen kommen, übrigens genauso teuer wie die unzureichenden Kraftanstrengungen für die über 600 000 arbeitslosen jungen Menschen unter 25 Jahre. Diesen Jugendlichen wird eine miserable Prognose für ihr Arbeitsleben gestellt. Durch den Fachkräftemangel, der auf uns zukommen wird, wird dieses Problem auf die Gesellschaft zurückschlagen. Wenn wir eine Alternative zur lebenslangen Alimentierung dieser fast schon verlorenen Generation schaffen wollen, dann brauchen wir mehr, als Sie uns hier anbieten, dann brauchen wir nämlich eine nationale Kraftanstrengung in Sachen Bildung und Qualifikation. Das, was Sie im Rahmen der Föderalismusreform in diesem Bereich vorhaben, ist auch in dieser Hinsicht wirklich Gift.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Herr Arbeitsminister, ich fasse zusammen: Der Arbeitsmarktpolitik dieser Regierungskoalition fehlt es an jeglicher Konsistenz. Bislang sind CDU/CSU und SPD jeden Beweis schuldig geblieben, dass es sich für die Arbeitslosen gelohnt hat, auf die große Koalition zu setzen. Herr Müntefering, es gibt eben doch einen Unterschied zwischen gut gemeint und gut gemacht.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Ha, ha, ha!)

   Als Münte sind Sie wirklich längst Kult - alle Achtung -, als Arbeitsminister haben Sie sich bislang aber alles andere als einen großen Applaus verdient.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder (CDU/CSU): So kann man sich irren! - Norbert Barthle (CDU/CSU): Das war relativ schwach, um höflich zu sein!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile dem Kollegen Klaus Brandner für die SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Woher kommen jetzt die neuen Arbeitsplätze, Herr Brandner?)

Klaus Brandner (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will ganz deutlich sagen, dass die Leitlinien der Haushaltspolitik der Bundesregierung und auch die Leitlinien der Haushaltspolitik des Ministeriums für Arbeit und Soziales der Schaffung von mehr Beschäftigung in Deutschland dienen müssen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wie geht das?)

Das sind die Leitlinien, mit denen wir angetreten sind, und das ist die Messlatte für alles und letztlich auch für den Erfolg unserer Koalition, der großen Koalition, die ganz gezielt und systematisch daran arbeiten wird.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Lassen Sie sich auch daran messen?)

Dazu erhoffen wir die Unterstützung aller hier im Haus. Wenn es Ihnen Ernst ist, die Arbeitslosigkeit zurückzudrängen, werden Sie sie leisten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Butter bei die Fische: Was tun Sie?)

   Meine Damen und Herren, ich denke, wir müssen den Menschen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt geben.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wie denn?)

Deshalb ist unsere oberste Maxime in der politischen Arbeit, dafür zu sorgen, dass mehr Wachstum und Beschäftigung in diesem Land entstehen können. Kolleginnen und Kollegen von der FDP, das bekommen wir nicht dadurch hin, dass Sie unqualifizierte Zwischenrufe abgeben und nur herumnörgeln,

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Sie haben doch die Zahlen aus Nürnberg auch schon, oder?)

sondern dadurch, dass Sie tatsächlich Vorschläge machen, die zu mehr Beschäftigung führen können.

(Beifall bei der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Haben Sie die Zahlen aus Nürnberg noch nicht? Das kann ich mir gar nicht vorstellen!)

   Wir können über Ihre Politik gerne einen Diskurs führen. Ihr Programm - das haben Sie heute Morgen bewiesen und dargestellt - sieht wie folgt aus: Der Markt regelt alles; weniger Arbeitnehmerrechte; Vorfahrt für Sozialabbau. Damit haben Sie in der Vergangenheit nicht mehr Beschäftigung erreicht und das werden Sie auch in der Zukunft nicht erreichen. Damit werden Sie scheitern.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Hoffnungsloser Fall, Herr Brandner!)

   Wir haben gehört, was die rechte Seite dieses Hauses denkt. Ferner haben wir gehört, was die linke Seite dieses Hauses will: Der allumfassende Staat soll alles regeln und die allumfassende Regulierung soll alles in Ordnung bringen. - Das ist in der DDR gescheitert und wird auch hier scheitern. Wir setzen darauf, den Sozialstaat weiterzuentwickeln und durch eine systematische Verbindung aus Angebots- und Nachfragepolitik zu mehr Beschäftigung zu kommen. Wir wollen nicht einäugig Politik machen. Vielmehr wird uns ein ausgewogener Politikmix zum Erfolg führen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Was wir brauchen, ist mehr Binnennachfrage. Deshalb setzen wir nicht nur auf Konsolidierung pur, sondern wir setzen auf eine vernünftige Mischung aus Wachstumsimpulsen und Konsolidierung. Das ist das Leitbild unserer Politik, wie dies gestern und auch am Dienstag in der Haushaltsdebatte deutlich geworden ist, als der Finanzminister den Gesamthaushalt vorgestellt hat. Der logische Dreiklang aus Reformieren, Sanieren und Investieren wird uns auf einen soliden Wachstumskurs zurückführen

(Otto Fricke (FDP): Das heißt sparen!)

und damit auch die Grundlagen für mehr Beschäftigung schaffen.

   Ich will in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen, dass wir die Erhöhung der Mehrwertsteuer als durchaus problematisch ansehen. Wir stehen aber zum Koalitionsvertrag, um das hier ganz klar zu sagen. Wir schätzen, dass die gegenwärtige Dynamik und die zu erwartenden Wachstumsraten diesen bremsenden Effekt auffangen können, sodass das wirtschaftliche Wachstum insofern durch die veränderte Mehrwertsteuer nicht gebremst wird. Wir wollen die Situation nicht schlechtreden, sondern wir setzen darauf, dass das gefasste Vertrauen zu einem entsprechend gesicherten Wachstumskurs führt.

   Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales orientiert sich an diesem Leitbild. Er ist der größte Einzelplan. Sein Volumen macht etwa die Hälfte des gesamten Bundeshaushalts aus. Dieser Umfang macht schon deutlich, welche Bedeutung die Regierung Merkel/Müntefering der sozialen Sicherung und den Chancen für neue Arbeitsplätze beimisst. Wir setzen mit diesem Bundeshaushalt auf strukturelle Reformen, um die sozialen Sicherungssysteme vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und den Herausforderungen durch die Globalisierung zukunftsfest zu machen.

   Die Leitlinien dieses Haushaltes sind die konjunkturgerechte Konsolidierung; das ist richtig. Das war auch bisher ein Markenzeichen der SPD, an dem wir festhalten werden. Wir stehen aber ebenso - das will ich klar sagen - für eine sozial gerechte Konsolidierung. Auch das ist das Markenzeichen der SPD und des Haushalts von Bundesminister Franz Müntefering, bei dem wir uns für eine solch klare Orientierung auf eine sozial gerechte Konsolidierung in seinem Haushalt bedanken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zeichnet sich durch eine sinnvolle Balance zwischen Haushaltskonsolidierung und Wachstumspolitik einerseits und sozialer Sicherheit und qualitativem Anspruch auf eine nachhaltige Arbeitsmarktpolitik anderseits aus.

   Was haben wir bisher gemacht? Wir haben - das ist heute schon angesprochen worden - dafür gesorgt, dass die Rentenversicherung wieder bezahlbar und verlässlich bleibt und auf eine solide Grundlage gestellt wird. Deshalb haben wir die grundsätzliche Entscheidung getroffen, die Lebensarbeitszeit in einer Stufenentwicklung bis 2029 auf 67 Jahre anzuheben.

   Diejenigen, die skandalisierend durchs Land gezogen sind und so getan haben, als würde die Rente mit 67 Jahren schon morgen Wirklichkeit werden, haben nichts anderes versucht, als das Vertrauen in die Rentenversicherung nachhaltig zu erschüttern. Wir setzen darauf, das Vertrauen in die gesetzliche Rente und deren Planungssicherheit zu erhalten. Deshalb haben wir bei der Anhebung des tatsächlichen Renteneintrittsalters durch die Rückführung der Frühverrentung ein systematisches Zeichen entgegengesetzt.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Sie haben doch die Frühverrentungsregelung beschlossen!)

   Wir haben die Frühverrentung gestoppt, um den Herausforderungen gerecht zu werden, die die Demographie bzw. die längere Lebenserwartung der Menschen mit sich bringen. An erster Stelle sollte nicht der Wunsch stehen, ohne Arbeit alt zu werden; es geht vielmehr darum, in Würde alt werden zu können, die Bedingungen für das Älterwerden zu verbessern und eine größere Flexibilität beim Übergang aus dem Arbeitsprozess in die nächste Lebensphase zu erreichen. Hier sind die wichtigen Veränderungen vorzunehmen, nämlich die Flexibilität und Qualität der Arbeitsbedingungen zu verbessern und - auch durch lebenslanges Lernen - für einen möglichst langen Verbleib im Arbeitsprozess zu sorgen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir haben in der Koalition auch dafür gesorgt, dass weder in diesem Jahr noch in dieser Legislaturperiode eine Rentenkürzung vorgenommen wird. Wir haben für die Anhebung des Arbeitslosengelds II in den ostdeutschen Bundesländern auf das Westniveau gesorgt. Wir haben auch eine Neuregelung für die Zulassung von ausländischen Saisonarbeitskräften vorgesehen, durch die erstmals festgelegt wird, dass 10 Prozent der Zulassungen - das ist zwar ein kleiner Prozentsatz, aber es ist immerhin ein Einstieg - an inländische Arbeitskräfte vergeben werden. Diesen Weg müssen wir kontinuierlich fortsetzen.

   Es muss auch in allen anderen Bereichen - große Kontingente ausländischer Arbeitnehmer werden zum Beispiel mit Werkverträgen eingesetzt - gelingen, in einem systematischen Stufenplan mehr Beschäftigung für inländische Arbeitskräfte zu organisieren. Auch diesen Weg hat die Koalition systematisch eingeschlagen.

   Wir haben des Weiteren durch entsprechende Zuschüsse zu den Unterkunftskosten zur finanziellen Entlastung der Kommunen beigetragen. Damit haben wir einen deutlichen Beitrag zu mehr öffentlichen Investitionen geleistet. In einer Tickermeldung wurde heute berichtet, dass die öffentlichen Haushalte auf einem guten Konsolidierungskurs sind. Dieser Prozess muss fortgesetzt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir haben uns vorgenommen, in diesem Jahr daran zu arbeiten, dass existenzsichernde Löhne in Deutschland wieder eine größere Bedeutung bekommen. Wir sind dafür, dass die Ausdehnung des Entsendegesetzes auf die Gebäudereiniger möglichst schnell umgesetzt wird. Diese Regelung sollte aber auch möglichst schnell auf weitere Branchen ausgedehnt werden, um zu verhindern, dass unter anderem durch die europäische Dienstleistungsrichtlinie Dumpinglöhne in diesem Land eingeführt werden können, und zu gewährleisten, dass soziale Sicherheit und Mindeststandards weiterhin eine hohe Priorität genießen. Wir müssen als Gesetzgeber die Voraussetzungen schaffen, einen Dumpingprozess zu verhindern.

(Beifall bei der SPD)

   Wir wollen die Chancen von älteren Beschäftigten am Arbeitsmarkt verbessern. Wir brauchen dafür kreative Ansätze, um zum Beispiel einen Mentalitätswechsel in den Unternehmen zu erreichen. Wir unterstützen diese Aktivitäten und können nur jeden Abgeordneten auffordern, in seinem Wahlkreis die Unternehmen zu belobigen, in denen es gelungen ist, ältere Beschäftigte im Arbeitsprozess zu halten, mit guten Taten zu werben und mit gutem Beispiel voranzugehen. Das muss zu einem Mentalitätswechsel in den Unternehmen beitragen. Denn wir können nicht hinnehmen, dass so viele ältere Menschen, die qualitativ gute Arbeit leisten, über Erfahrungen verfügen und arbeiten wollen, aufs Abstellgleis geschoben werden und nicht mehr die Möglichkeit haben, in der Arbeitswelt zu verbleiben. Das wollen und dürfen wir nicht hinnehmen. Dazu muss ein deutliches Signal aus der gesamten Politik kommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir haben uns vorgenommen, im SGB-II-Optimierungsgesetz die Leistungen in der Grundsicherung für Arbeitslose zu optimieren. Dabei geht es uns nicht in erster Linie darum, pauschal dem Missbrauch das Wort zu reden; wir wollen vielmehr die Leistungserbringung und -umsetzung so optimieren, dass diejenigen, denen immer wieder unterstellt wird, dass sie auf dumme Gedanken kommen könnten, durch einen schnellen Aktivierungsprozess erst gar nicht die Gelegenheit dazu haben. Das muss unser Anspruch sein: schnell und vernünftig Leistungen zu erbringen, statt pauschal einen Missbrauchsverdacht zu äußern und auf diese Art und Weise Teile dieser Gesellschaft zu diskreditieren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Das ist nicht in Ordnung und darum müssen wir uns kümmern.

   Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang an die linke Seite des Hauses gewandt etwas anmerken.

Sie beklagen die wachsende Armut in diesem Land. Aber wer wie wir erstens den Leistungsbezieherkreis deutlich erweitert und zweitens das Niveau deutlich anhebt, darf sich, wenn er für Offenheit sorgt, nicht über die Arbeitslosigkeit wundern und darüber, dass die Zahl der Ärmeren statistisch gesehen steigt. Das hat aber nichts mit wachsender Armut in diesem Land zu tun. Vielmehr hat die Offenheit zugenommen; denn wir haben die Kraft gehabt, das ganze Ausmaß zu offenbaren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Lassen Sie mich noch ein Wort zum Kündigungsschutz sagen.

(Zuruf von der FDP: Jetzt kommt es!)

- Meine Damen und Herren von der FDP, dass die SPD keine Änderung des Kündigungsschutzes will, wissen Sie doch. Das kann ich hier noch einmal deutlich festhalten.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Sie entwickeln sich doch weiter, hat Herr Müntefering gesagt!)

   Es gibt einen Koalitionsvertrag und zu diesem stehen wir. Wir begrüßen, dass die Bundeskanzlerin gestern dazu klärende Worte gesprochen hat.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ist das jetzt blockiert oder nicht?)

Ich will aber klar sagen: Wir bestehen nicht auf Änderungen. Wenn die Mehrheit in diesem Haus meint, dass der Kündigungsschutz nicht geändert werden muss, dann ändern wir nichts. Das ist auch nicht unser erstes Ziel.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir stehen aber zu dem, was ausgehandelt worden ist, und zwar ohne Wenn und Aber. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass uns keine wissenschaftliche Untersuchung bekannt ist, die die von Ihnen ständig lauthals gepredigte These belegt, dass weniger Kündigungsschutz mehr Arbeitsplätze schafft.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir wollen, dass die Menschen in diesem Land darauf vertrauen können, dass ihnen der Kündigungsschutz weiterhin Sicherheit bietet. Es gibt nämlich eine positive Motivation, wenn man mit entsprechenden Schutzrechten ausgestattet ist. Der Kündigungsschutz steht für uns Sozialdemokraten für eine moderne Personalpolitik, die nicht auf Angst, sondern auf ein Miteinander setzt. Das wollen wir auch in Zukunft beibehalten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Volker Kauder (CDU/CSU))

Wir sind deshalb für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen. Damit beenden wir die Zweiklassengesellschaft aus befristet eingestellten und unbefristet eingestellten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

   Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Für uns Sozialdemokraten ist der Kündigungsschutz ein positiver Wachstumsmotor.

(Lachen bei der FDP)

Wir bauen darauf, dass das auch in Zukunft im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft Bestand haben wird.

   Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Brandner, Sie wissen, dass die Freude des Präsidiums immer dann am größten ist, wenn die angekündigten Schlusssätze innerhalb der angemeldeten Redezeit erfolgen.

(Heiterkeit)

   Das Wort hat nun der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zuerst an den Bundesarbeitsminister wenden. Herr Müntefering, Sie haben Brecht zitiert und dem Vorsitzenden der FDP, Guido Westerwelle, vorgeworfen, dass er bei dem bleibe, was er schon früher gesagt habe. Ich stelle fest: Sie haben vor der Bundestagswahl die Ablehnung einer Mehrwertsteuererhöhung zum zentralen Punkt Ihrer Politik gemacht. Aber nach der Wahl haben Sie keine Sekunde gezögert, eine Mehrwertsteuererhöhung zu akzeptieren, und zwar keine 2-prozentige. Vielmehr haben Sie noch eins draufgesetzt nach dem Motto: Die Mitte zwischen null und zwei ist drei. - Das ist etwas, was ich Ihnen vorwerfe. Das ist keine Weiterentwicklung. Vielmehr haben Sie die Masse der Wähler in Deutschland hinters Licht geführt. Dafür sollten Sie sich schämen, anstatt anderen Vorhaltungen zu machen.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN)

Ich finde, Herr Westerwelle hat eine Entschuldigung Ihrerseits verdient.

(Lachen bei der SPD)

   Meine Damen und Herren von der großen Koalition der kleinen Schritte, wie es Ihre Bundeskanzlerin gesagt hat - Herr Brandner, man kann es auch anders ausdrücken: eine Koalition der großen Mehrheit, aber der kleinen Ergebnisse -, ich finde, es ist bemerkenswert, wenn Herr Müntefering in einem Interview in der gestrigen Ausgabe des „Handelsblattes“ sagt: Der Reformmotor läuft. Wenn dem so ist, kann ich dazu nur sagen: Ihr Koalitionsvehikel ist stark untermotorisiert.

(Klaus Brandner (SPD): Bei uns läuft er, bei Ihnen stottert er!)

Sie haben die Reformen in diesem Lande viel weniger vorangebracht, als es notwendig wäre.

(Beifall bei der FDP)

Sie sagen in Ihren Reden beschwörend - so auch heute -, es müsse alles dafür getan werden, dass es mehr Arbeitsplätze gebe. Aber anstatt eine Politik für mehr Arbeitsplätze zu konzipieren und auch zu betreiben, gibt es bei Ihnen viel kleines Karo. Gerade die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der schwarz-roten Koalition zeigt: Diese Koalition trägt gern Pepita. Sie mogeln sich an den Problemen vorbei, anstatt sie zu lösen, getreu Ihrem Leitmotiv: Es gibt keine Lösung, also gibt es auch kein Problem.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

   Gerade im Bereich der Sozialpolitik haben wir in den ersten 130 Tagen dieser Koalition schon einige Ankündigungen erlebt. Die gesetzgeberischen Maßnahmen sind im Wesentlichen auf die Arbeitsmarktpolitik konzentriert gewesen. Nur muss ich feststellen: Von einer neuen Linie ist keine Spur, ja, es ist überhaupt keine Linie, kein Leitfaden, kein Plan in Ihrer Politik zu erkennen. Sie haben die Regelungen zur Frühverrentung verlängert, obwohl Sie doch eigentlich die Lebensarbeitszeit verlängern wollten. Verlängert wurden auch die Ich-AG und das Förderinstrumentarium für ältere Arbeitnehmer, obwohl sich Union und SPD doch eigentlich einig sind, dass dieses Instrumentarium ineffizient ist. Wirklich neu ist bisher nur das Saisonkurzarbeitergeld. Die Einigung darüber, Herr Müntefering, war allerdings mehr als zäh. Sie haben versucht, sie als großen Erfolg regelrecht zu zelebrieren, obwohl die Wirkung auf den Arbeitsmarkt eher gering bleiben dürfte - also ein kleiner Schritt, ganz im Sinne der Logik von Frau Merkel.

   Bemerkenswert ist, dass der Kollege Rauen hier im Plenum davon gesprochen hat, er habe die Verhandlungen über das Saisonkurzarbeitergeld als die schwierigsten erlebt, seit er im Deutschen Bundestag ist - der Kollege Rauen gehört diesem Hohen Haus seit 1987 an. Wenn sich die Koalition schon bei einem derart überschaubaren Vorhaben wie dem Saisonkurzarbeitergeld so schwer tut und an die Grenzen ihrer Konsensfähigkeit gerät, dann ist bei anderen, größeren notwendigen Reformvorhaben von Ihnen wohl nicht viel zu erwarten.

(Beifall bei der FDP)

   Eine Ahnung davon bekommt man bei der geplanten Änderung des Kündigungsschutzes. Herr Müntefering, Sie haben im „Handelsblatt“ erklärt, die bescheidene Reform sei gestoppt. Frau Merkel hat gestern hier im Plenum dafür geworben, doch erst einmal das zu machen, was verabredet worden sei ; dann werde man schon sehen. Nein, Frau Merkel, das ist gar nicht erforderlich, man sieht jetzt schon sehr klar: Bei dem zentralen Thema - der Gestaltung der Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes - hat diese Koalition keine Durchsetzungskraft.

(Beifall bei der FDP)

Da ist von konstruktiven Pfadfindern, als die Sie, Herr Müntefering, die Koalition gerne sehen würden, nun wirklich keine Spur. Mein Eindruck ist eher, Sie irren im Dornröschenwald umher und haben sich wahrscheinlich im Gestrüpp schon ganz fest verheddert.

(Beifall bei der FDP)

Vielleicht ist es auch besser für die Wirtschaft, vor allem für den Mittelstand, wenn Sie bei Ihrer Blockade bleiben, Herr Müntefering. Denn der Vorschlag, eine vertragliche Verlängerung der Probezeit zu ermöglichen, gleichzeitig aber die Möglichkeiten der befristeten Beschäftigung einzuschränken, führt nicht weiter. Eine solche vertragliche Verlängerung wird für Großunternehmen in der Handhabung kein Problem darstellen, aber kleine Unternehmen werden mit zusätzlicher Bürokratie belastet: Denn die Fristen müssen überwacht werden und gegebenenfalls muss eine Kündigung ausgesprochen werden; dabei gibt es viele Fallstricke zu beachten, Herr Müntefering. Ein befristetes Arbeitsverhältnis hingegen läuft, wenn es denn erforderlich ist - wir alle hoffen natürlich, dass eine Verlängerung möglich ist -, einfach aus. Ich frage mich, ja, ich frage Sie, Herr Müntefering, warum Sie nicht einfach die alte Regelung beibehalten und die neue Regelung danebenstellen: Befristete Beschäftigung und Verlängerung der Probezeit wären etwas, was man probieren sollte.

(Beifall bei der FDP)

Aber so ticken die Uhren dieser Koalition nicht. Man beäugt sich argwöhnisch und versucht sich einzureden, auch das Treten auf der Stelle sei eine Form der Bewegung.

(Abg. Dirk Niebel (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage - Elke Ferner (SPD): Jetzt kommt die Redezeitverlängerung!)

- Ich glaube, es gibt hier den Wunsch nach einer Zwischenfrage, Herr Präsident.

(Elke Ferner (SPD): Die bestellte Zwischenfrage! - Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Herr Niebel, Sie können ihn doch beim Kaffee etwas fragen!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Niebel, bitte schön.

Dirk Niebel (FDP):

Ich glaube, dass meine Frage für die Öffentlichkeit durchaus nicht uninteressant ist.

   Im Moment ist es doch so, dass ein Arbeitnehmer, der befristet beschäftigt ist, sich bei seinem nächsten Arbeitgeber bewerben kann als jemand, dessen befristetes Beschäftigungsverhältnis ausgelaufen ist.

(Unruhe)

- Ihr müsst das schon ertragen.

(Klaus Brandner (SPD): Sie müssen das ertragen; Sie müssen das beantworten! Wir können ja weghören!)

   Herr Kollege Kolb, stimmt es, dass, wenn die Regelung, die im Koalitionsvertrag steht, umgesetzt wird - nach der eine Befristung nicht mehr möglich ist -,

(Klaus Brandner (SPD): Wenn das so kompliziert wird, dann versteht das sowieso keiner!)

ein Arbeitnehmer, dem innerhalb der verlängerten Probezeit gekündigt wird,

(Klaus Brandner (SPD): Und was ist erst, wenn das am Heiligen Abend stattfindet?)

sich bei seinem nächsten Arbeitgeber bewerben muss als jemand, der in der Probezeit entlassen worden ist?

(Elke Ferner (SPD): Das hat jetzt jeder verstanden!)

Wenn das stimmt: Wie wirkt eine derartige Bewerbung auf Sie als Unternehmer?

(Elke Ferner (SPD): Herr Kolb ist ja Unternehmer!)

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):

Herr Kollege Niebel, es ist vollkommen richtig, was Sie in Ihrer Frage ansprechen.

(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD)

- Etwas Richtiges wird nicht dadurch falsch, dass es von einem Kollegen der eigenen Fraktion gesagt wird.

   Die vorgeschlagene Regelung führt in keinerlei Hinsicht weiter. Sie ist für Arbeitgeber kontraproduktiv - das habe ich schon gesagt -, sie ist aber auch für Arbeitnehmer kontraproduktiv. Sie, Herr Müntefering, wollen immer diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben, bestmöglich absichern. Wir sorgen uns auch um die 5 Millionen Menschen in Deutschland, die derzeit keinen Arbeitsplatz haben. Für die bauen Sie mit Ihrer neuen Regelung zusätzliche Hürden auf; denn es ist genau so, wie Sie, Herr Kollege Niebel, gesagt haben: Diese Regelung wird dazu führen, dass ein Bewerber künftig mit einem Malus in seiner Bewerbung antreten muss. Das verschlechtert seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

(Beifall bei der FDP - Elke Ferner (SPD): Das war auswendig gelernt!)

   Wenn ich Ihre Politik anschaue, dann sehe ich, dass eines sicher ist: Am kurzen Ende tun Sie mit Ihrer Politik niemandem etwas zuleide, aber langfristig fühlen Sie sich stark. Das wird besonders am Beispiel der Rentenpolitik deutlich. Sie, Herr Müntefering, haben sich gestern im „Handelsblatt“ damit gebrüstet, die Grundsatzentscheidung zur Anhebung der Regelaltersgrenze von 65 auf 67 Jahre getroffen zu haben. Ich sage Ihnen: Das ist zunächst einmal kein Erfolg, sondern eine Drohung; denn für viele Menschen bedeutet das bei unveränderten Rahmenbedingungen zwei Jahre längere Arbeitslosigkeit oder aber vorzeitigen Ruhestand mit höheren Abschlägen. Das ist in keinem Fall eine gute Perspektive.

(Beifall bei der FDP)

   Ich sage Ihnen voraus: Solange es keine Trendumkehr bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gibt, wird es auch nicht besser werden. Wir haben seit wenigen Minuten die Zahlen aus Nürnberg. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist im Vergleich zum Vorjahr erneut um 166 000 zurückgegangen. Das heißt, im letzten Jahr haben pro Woche rund 3 000 Menschen ihren Arbeitsplatz verloren. Das sind arbeitstäglich 600 Menschen, die in Deutschland nicht mehr arbeiten können, obwohl sie gerne arbeiten wollen. Dafür sind Sie verantwortlich, Herr Müntefering. Die Politik der alten Koalition von Rot-Grün wirkt in der neuen Koalition von Rot-Schwarz weiter.

(Beifall bei der FDP)

Man könnte und müsste noch vieles zu der verfehlten Politik dieser Bundesregierung sagen. Das ist leider aus Zeitgründen nicht möglich.

(Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Herr Niebel, wollen Sie noch etwas fragen?)

Ich kann Sie, Herr Müntefering, nur auffordern, sich endlich an die Arbeit zu machen und die drängenden Probleme dieses Landes zu lösen, und zwar in einer Art und Weise, die sicherstellt, dass es zu mehr Beschäftigung kommen kann.

   Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Ausgaben des Bundes für Arbeit und Soziales umfassen 51 Prozent des Bundeshaushalts, insgesamt 134 Milliarden Euro. Das ist eine enorme Summe, die wir dem Steuerzahler abverlangen. Dies ist der größte Einzelposten im Bundeshaushalt. 38,3 Milliarden Euro werden allein für Hartz IV veranschlagt, das heißt für die Grundsicherung, also für Menschen, die der Hilfe bedürfen. Das steht in völligem Gegensatz zu dem Bild, das zeitweise in der Öffentlichkeit gezeichnet worden ist, wonach ein sozialer Kahlschlag stattgefunden habe. Das hatte zur Folge, dass eine Partei, die es sonst im Bundestag nicht gäbe, Hartz IV ihre Existenz zu verdanken hat und nun hier sitzt. Demgegenüber bleibt festzuhalten: Es wird jede Menge in diesem Bereich ausgegeben. Das ist notwendig und zu diesen Ausgaben stehen wir.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wenn man die beitragsfinanzierten Leistungen der BA im Rahmen des Arbeitslosengeldes I mit betrachtet, ergeben sich Ausgaben für Arbeitslose in Höhe von etwa 90 Milliarden Euro. Trotz dieser enormen Summen ist es in der Vergangenheit bekanntlich nicht gelungen, die Arbeitslosigkeit zu senken. Wir wissen alle, dass es nicht reicht, nur viel Geld auszugeben. Das muss an den richtigen Stellen passieren. Deswegen sind wir dankbar und es ist ein Ansporn für uns in der großen Koalition, dass wir nicht nur eine deutlich verbesserte Stimmung in unserem Land haben, sondern sich in den letzten Monaten auch eine verbesserte Lage in diesem Land ergeben hat. Die positiven Anzeichen auf dem Arbeitsmarkt können uns nicht zufrieden stellen und wir können uns auf dem Erreichten nicht ausruhen, aber natürlich ist es gut, dass heute im Vergleich zu dem entsprechenden Vorjahresmonat die Zahl, um die sich die Arbeitslosigkeit verringert hat, im sechsstelligen Bereich liegt. Das spornt uns an, auf diesem Weg weiterzugehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Der Bereich Arbeit und Soziales muss seinen Beitrag zu dem Gleichklang von Investieren, Sanieren und Reformieren leisten. Wir tun das.

   Im Haushaltsbegleitgesetz ist vorgesehen - das ist mir in diesem Zusammenhang ganz wichtig -, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung im nächsten Jahr um 2 Prozentpunkte auf 4,5 Prozent sinkt. Um diese Maßnahme finanzieren zu können, braucht die BA unter anderem den Gegenwert eines Mehrwertsteuerpunktes. Auch deswegen muss die Mehrwertsteuer angehoben werden. Das ist wahr.

   Auch wir tun das nicht gerne. Wir haben uns zu der Notwendigkeit dieser Maßnahme vor der Wahl ehrlicherweise bekannt. Herr Kollege Kolb, es ist gar kein Thema: Wir haben noch sehr wohl im Ohr, was im Bundestagswahlkampf gesagt worden ist, auch vonseiten unseres heutigen Koalitionspartners. Der Unterschied ist: Die SPD ist nach der Wahl besser als vor der Wahl, bei Ihnen ist das umgekehrt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen können wir uns auf vernünftige Maßnahmen verständigen.

   Die Arbeitsmarktpolitik muss die von uns eingeleiteten Schritte flankieren. Denn nur mit einem Mehrwertsteuerpunkt und nur mit den Maßnahmen, die die BA aus eigener Kraft beitragen kann, ist die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge nicht zu schultern. Daher werden wir alle arbeitsmarktpolitischen Instrumente auf den Prüfstand stellen. Wir werden, gerade was die Förderung der Existenzgründungen aus Arbeitslosigkeit angeht, hier neue Akzente setzen.

   Sie wissen, dass die Regelung zur Ich-AG schon Mitte dieses Jahres ausläuft. Es gibt bisher zwei Instrumente. Wir werden daraus ein Instrument machen. Bisher geben wir hierfür jährlich über 3 Milliarden Euro aus. Ich bin fest davon überzeugt: Wir können hier zu Einsparungen kommen, ohne dass sinnvollen und Erfolg versprechenden Unternehmensgründungen aus Arbeitslosigkeit die Förderung versagt werden muss. Genau das werden wir in den nächsten Monaten in Angriff nehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir werden die weiteren arbeitsmarktpolitischen Instrumente auf den Prüfstand stellen. Ein wesentlicher Teil davon wird im Zusammenhang mit dem Kombilohnmodell, das wir entwickeln, behandelt werden. Auch das können Sie im Koalitionsvertrag nachlesen: Es geht nicht darum, neben die vorhandenen Instrumente ein zusätzliches zu stellen, sondern darum, das, was in diesem Bereich bereits existiert, sinnvoll zu verknüpfen und effizienter auszurichten.

(Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aha!)

Genau das werden wir machen. Damit werden wir einen wesentlichen Beitrag leisten, die Arbeitslosigkeit in Deutschland zu bekämpfen.

   Das steht im Gegensatz zu dem, was wir von den Grünen, die neu in der Opposition sind, hören. Sie haben hier wieder für Ihr Progressivmodell geworben.

(Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu Recht!)

Offensichtlich haben Sie sieben Jahre dafür gebraucht, es zu entwickeln; denn in Ihrer eigenen Regierungszeit haben Sie es noch nicht einmal in die Debatte eingebracht. Sie müssen sich überlegen, was Sie wollen. Einerseits sagen Sie, Sie wollten das Progressivmodell, das es mit sich bringt, dass die beitragsfreien Minijobs abgeschafft werden; darauf läuft es hinaus.

(Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die gehen darin auf!)

Auf der anderen Seite beklagen Sie, dass über eine Erhöhung der Pauschalabgaben das gefährdet wird, was Sie eigentlich gar nicht mehr wollen. Sie betreiben keine sehr konsistente Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Im Bereich des Arbeitslosengeldes II haben wir wichtige Maßnahmen ergriffen und Akzente gesetzt,

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Besitzstandswahrung!)

schon mit dem SGB-II-Änderungsgesetz. Fortfahren werden wir mit dem SGB-II-Optimierungsgesetz. Korrekturen sind notwendig. Es geht natürlich nicht nur, aber auch um Leistungsmissbrauchsbekämpfung, um die effizientere Ausrichtung der Förderung und in der Tat darum, dass über eine bessere wirtschaftliche Entwicklung - dazu gibt es überhaupt keine Alternative - Fördern und Fordern in Einklang gebracht werden. Das ist Rot-Grün nicht gelungen, weil die wirtschaftliche Entwicklung so katastrophal war. Die große Koalition wird die Rahmenbedingungen so setzen, dass Fördern und Fordern in diesem Bereich möglich ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Angesichts eines so angespannten Bundeshaushalts macht es natürlich Sinn, Maßnahmen zu ergreifen, die kein Geld kosten. Damit bin ich auf dem Gebiet des Arbeitsrechts.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Aha!)

Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Kündigungsschutz sagen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Gerne!)

Ich will deutlich machen: Es geht uns nicht darum, das, was im Koalitionsvertrag steht, zu korrigieren, sondern zu konkretisieren. Vor dieser Aufgabe stehen wir. Jeder weiß doch, dass die Grundsatzvereinbarung, die wir da getroffen haben, nicht eins zu eins ins Gesetz übernommen werden kann. Den Text nehmen, „Gesetz“ darüberschreiben und eine Unterschrift daruntersetzen, fertig ist das Ganze - so vorzugehen ist nicht möglich. Vielmehr müssen wir konkretisieren. Es muss über vieles geredet werden, so wie wir es bei jedem anderen Gesetz auch gemacht haben. Wir werden das tun. Wir werden auf der Basis des Koalitionsvertrages eine Lösung finden, die vielleicht nicht der große Durchbruch ist, die aber ein kleiner Schritt sein kann.

(Jörg van Essen (FDP): Wieder die kleine Lösung, genau!)

Wir alle wissen doch: Da gibt es große Unterschiede. Vor der Wahl hat es zwischen den Partnern der jetzigen großen Koalition erhebliche Unterschiede gegeben. Es war auch in den Koalitionsverhandlungen schwierig. Da bleiben Unterschiede. Aber ich bin sehr für die folgende Vorgehensweise - ich bin dem Kollegen Brandner dankbar dafür, dass er auch noch einmal ausdrücklich die Bereitschaft der Sozialdemokraten dazu bekräftigt hat -: Wenn wir kleine Schritte miteinander vereinbaren können, dann sollten wir diese kleinen Schritte auch gehen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Sie gehen in die falsche Richtung!)

   Den Kolleginnen und Kollegen von der FDP muss ich sagen: Was Sie heute Morgen präsentiert haben, war schon einigermaßen diffus. Die Kollegin Winterstein sagte, dem Arbeitsminister sei schon das Wenige, was vereinbart worden sei, zu viel. Wenn Sie auf das Wenige abheben, sollten wir uns erst einmal darauf einigen, dass wir jedenfalls etwas Gutes vorhaben. Beim Kollegen Kolb klang es so, als sei das eigentlich ein Rückschritt. Ich kann das nicht nachvollziehen.

   Heute gibt es im Befristungsrecht ein Wiederbeschäftigungsverbot. Wer einmal in einem Betrieb beschäftigt war, kann dort nie mehr befristet eingestellt werden. Das ist von der Wirtschaft immer beklagt worden.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Dann ändert doch das Wiederbeschäftigungsverbot!)

Wenn wir den Koalitionsvertrag umsetzen, entfällt unter anderem dieses Hindernis.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): In der letzten Legislaturperiode haben Sie das selbst noch kritisiert!)

   Also, machen Sie sich keine Hoffnungen darauf, dass das irgendwo versandet oder versickert. Wir werden den Koalitionsvertrag und die Vereinbarungen, die wir darin getroffen haben, nicht korrigieren. Wir werden sie konkretisieren. Wir werden Ihnen eine Reform des Kündigungsschutzes vorlegen.

(Beifall des Abg. Klaus Uwe Benneter (SPD))

Auch in der großen Koalition sind Reformen im Arbeitsrecht möglich. Das werden wir zeigen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Verbalakrobatik!)

   Wir haben in den letzten Monaten - um auch das noch einmal deutlich zu sagen - schon eine Menge an Maßnahmen auf den Weg gebracht. Ich sage das, weil hier immer so getan wird, als müsste man jetzt erst so richtig anfangen. Wir haben im letzten Jahr die PSAs, in die wirklich viel Geld, mit wenig Wirkung, hineingesteckt worden ist, als Obligatorium abgeschafft. Wir haben mit dem SGB-II-Änderungsgesetz neue Akzente gesetzt. Wir haben denjenigen, die der Hilfe bedürfen, auch den jungen Menschen, gesagt, dass der Anstieg der Zahl der Bedarfsgemeinschaften nicht so weitergehen kann wie in der Vergangenheit. Wir haben gleichzeitig den Satz im Osten auf das Westniveau angehoben. Wir haben ein Gesetz zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung gemacht, gegen das am Ende kein einziger mehr gestimmt hat. Also hat es sich doch offenbar gelohnt, dass wir uns ein bisschen Zeit dafür genommen haben. Dabei ist ein gutes Gesetz herausgekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich sage Ihnen: Diesen Weg werden wir weitergehen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ein bisschen anstrengend!)

Wo immer wir dafür auch die Unterstützung der Opposition finden, sind wir dankbar. Seien Sie sicher: Diese Koalition wird das, was sie sich vorgenommen hat, auch umsetzen - im Interesse der Menschen und im Interesse von mehr Wachstum und Beschäftigung in unserem Land.

   Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun die Kollegin Katja Kipping, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Katja Kipping (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf wird der Kurs von Hartz IV zementiert, womöglich sogar noch verschärft. Uns sollte zu denken geben, dass durch diese Hartz-Reform die Armut in Deutschland noch verschärft wurde und dass die Zahl der Kinder unter 15 Jahren, die 2005 in Armut lebten, noch einmal um eine halbe Million, um 500 000, zugenommen hat. Das ist nicht nur das Urteil der Linksfraktion; das ist auch das Fazit der Wohlfahrtsverbände auf der Nationalen Armutskonferenz. Kinderarmut bedeutet, von klein auf das Gefühl des Ausgeschlossen-Seins, der Ausgrenzung von gesellschaftlicher Teilhabe erleiden zu müssen.

   Das Abschieben von immer mehr Menschen auf ein Abstellgleis ist auch für unser demokratisches Gemeinwesen alles andere als gut.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wären gut beraten, gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir den Ausschluss von Menschen abbauen können. Dazu bedürfte es einer grundlegend anderen Arbeitsmarktpolitik, wie meine Kollegin Kornelia Möller schon ausgeführt hat. Dazu bedürfte es einer Anhebung des Arbeitslosengeldes II, wobei es sich bei einer Erhöhung auf 420 Euro nur um einen ersten Schritt handeln kann;

(Beifall bei der LINKEN)

denn grundsätzlich gilt: Das Arbeitslosengeld II, so wie es jetzt ausgestaltet ist, muss gekippt werden und durch eine soziale sowie repressionsfreie Grundsicherung ersetzt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

   Herr Brandner, Sie haben uns in diesem Zusammenhang unterstellt, wir als Linke wollten den allumfassenden Staat. Ja, es gibt Bereiche, wo der Staat nichts zu suchen hat, zum Beispiel im Schlafzimmer.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber es waren Minister Ihrer Partei, die Sozialspitzel übers Land geschickt haben, um in den Schlafzimmern von Arbeitslosengeld-II-Empfängerinnen danach zu schauen, ob dort nicht noch jemand wohnt - nur mit dem Ziel, den Leuten die ohnehin schon geringen Leistungen zu kürzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dabei wäre es viel effizienter gewesen, im Bereich der Steuerfahndung aufzustocken; denn dort kann man eher Geld eintreiben und dem Haushalt zuführen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Doch anstatt mit uns gemeinsam darüber zu diskutieren, wie eine Erhöhung des Regelsatzes finanziert werden kann, häufen sich in den Reihen der großen Koalition die Stimmen, die für eine weitere Absenkung des Regelsatzes sprechen.

   Herr Müntefering, Sie haben gesagt, niemand habe die Absicht, dort Kürzungen vorzunehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Aber dieser Satz ist alles andere als beruhigend. Ich fand es sehr schockierend, dass der niedersächsische Ministerpräsident, Christian Wulff, am Wahlabend zur besten Sendezeit im Fernsehen erzählen durfte, dass das Arbeitslosengeld II viel zu hoch sei, und niemand aus den Reihen von SPD und CDU sich bemüßigt fühlte, ihm in dieser Frage zu widersprechen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass die CDU in den Haushaltsberatungen die für Hartz IV eingestellten Gelder als geheime Einsparreserve betrachtet, verwundert nun wirklich nicht. Aber wenn auch von der SPD kaum noch Gegenwehr kommt, dann kann einem das den letzten Glauben an die Sozialdemokratie rauben.

   Herr Schneider, 345 Euro im Monat bedeuten Armut per Gesetz.

(Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Das ist doch erhöht worden!)

Wer nun über eine weitere mögliche Absenkung auch nur nachdenkt, der denkt darüber nach, Menschen noch weiter massenweise ins Elend zu treiben.

   Herr Müntefering, Sie haben eine Absenkung auf 225 Euro dementiert; aber Sie haben Kürzungen nicht generell ausgeschlossen. Solche Zwischentöne stimmen mich nachdenklich. Es kann und darf nicht Ihr Ernst sein, dass Sie ausgerechnet bei den Leuten, die ohnehin nichts haben, die Daumenschrauben weiter anziehen wollen.

(Beifall bei der LINKEN - Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Wie kommen Sie denn darauf? Er hat doch genau das Gegenteil gesagt! Sie verunsichern doch die Leute! Das ist doch absurd! Wir haben das Arbeitslosengeld II doch erhöht!)

- Herr Schneider, es lohnt sich in der Politik manchmal, genauer zuzuhören. Wenn ein Minister, der sonst sehr redselig ist, nun eine Kürzung nicht grundsätzlich ausschließt, dann gibt uns das zu denken. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie irgendwann einmal deutlich machen, dass Kürzungen nicht vorgenommen werden sollen. Aber es ist ja nicht nur darüber zu diskutieren, dass nicht gekürzt werden darf; eigentlich müssten wir über eine Erhöhung beim Arbeitslosengeld II nachdenken.

(Beifall bei der LINKEN)

   Wie es wäre, von 345 Euro im Monat zu leben, überfordert sicherlich die Fantasie vieler von uns. Deswegen lohnt es sich, noch einmal darzustellen, was das ganz praktisch bedeutet. Für Freizeitveranstaltungen, Zeitungen, Bücher und Schreibwaren stehen pro Tag noch nicht einmal 90 Cent zur Verfügung. Haben Sie einmal versucht, für weniger als 1 Euro eine ordentliche überregionale Tageszeitung zu kaufen?

(Waltraud Lehn (SPD): Es gibt Büchereien!)

Die „taz“, die „FAZ“, die „FR“, die „Welt“, die „Financial Times“, selbst das „ND“ sind für Arbeitslosengeld-II-Empfänger ein Luxus, den sie sich vom Regelsatz nicht mehr leisten können. Selbst wenn sie noch eine billigere Tageszeitung finden, stehen sie jeden Tag vor der Entscheidung, sich diese Tageszeitung zu leisten oder Geld anzusparen, um wenigstens einmal im Monat ins Theater gehen zu können.

(Beifall bei der LINKEN - Waltraud Lehn (SPD): Oder man geht in die Bibliothek, die es überall gibt, und liest sie da! Meine Güte!)

- Da Sie auf die Bibliotheken verweisen: Ein Ergebnis - vielleicht ist es Ihnen entgangen - der von Ihnen mit zu verantwortenden Steuerpolitik ist, dass die Kommunen immer weniger Geld haben und in immer mehr Bibliotheken Gebühren eingeführt werden müssen, sodass sich so mancher Erwerbslose nicht einmal mehr den Gang in die Bibliothek leisten kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Das gehört zur ganzen Wahrheit mit dazu.

(Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Das ist ja bar jeder Kenntnis der Sache!)

   Leben in Armut bedeutet schon deswegen ein Erleben von Ausschluss, weil man sich die nötige Mobilität nicht leisten kann. In meinem Wahlkreisbüro treffen sich regelmäßig Mitglieder des Erwerbslosenrates. Immer wieder berichten Einzelne, dass sie gerne zu einer Diskussionsrunde gekommen wären, sich aber am Ende des Monats die Fahrkarte nicht mehr leisten konnten. Das ist kein Wunder: Für die gesamte Mobilität stehen pro Tag 64 Cent zur Verfügung. Dafür bekommt man noch nicht einmal eine Kurzstreckenfahrkarte. Während wir Abgeordneten in Berlin die Wahl zwischen kostenlosem Fahrdienst zu jeder Tageszeit und kostenloser Monatskarte für Bus und Bahn haben, haben Erwerbslose gerade in ländlichen Regionen enorme Probleme, sich überhaupt noch die Fahrt zu den verschiedenen Ämtern leisten zu können.

   Für Bekleidung und Schuhe sind noch nicht einmal 35 Euro im Monat vorgesehen. Meine Damen und Herren, wer damit auskommt, muss ein wahrer Lebenskünstler sein.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich frage Sie: Wie soll jemand, der nicht einmal das Geld für einen ordentlichen Anzug für ein Bewerbungsgespräch hat, überhaupt noch Aussicht auf einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt haben?

(Beifall bei der LINKEN)

   Auch wenn Sie, meine Damen und Herren auf der rechten Seite, offensichtlich einen anderen Kurs verfolgen, können wir nur sagen: Es ist längst überfällig, über eine Erhöhung des Regelsatzes zu diskutieren und diese in Angriff zu nehmen, allein schon deswegen, weil nach der alten Berechnung auf Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe völlig unberechtigte Fehlgriffe passierten. Wenn wir den Regelsatz auf 420 Euro erhöhen, dann handelt es sich nach Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes um nichts anderes als um den Ausschluss von Manipulationen. Es wird höchste Zeit, dass wir das in Angriff nehmen.

(Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Das Geld gleich mitbringen!)

   Wir als Linkspartei werden entsprechende Vorschläge unterbreiten. Ich kann Ihnen nur empfehlen, noch einmal darüber nachzudenken, ob es nicht an der Zeit ist, der zunehmenden Armut in diesem Land etwas entgegenzusetzen.

   Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die große Koalition war angetreten, die großen Zukunftsaufgaben zu lösen. Allerdings hielt dieser Anspruch nicht sehr lang; denn die Kanzlerin verließ der Mut. Sie verkündete schon bald die Politik der kleinen Schritte.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Besser als früher die Politik der großen Schnauze der Grünen!)

Jetzt, wo wir alle darauf warten, dass wenigstens die kleinen Schritte im Haushalt sichtbar werden, gehen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, nicht nach vorne, sondern Sie haben einen Zickzackkurs hingelegt: einmal nach rechts, einmal nach links. So kommt man nicht ans Ziel.

   Ich mache diesen Kurs am Beispiel des Bundeszuschusses für die Rentenversicherung deutlich. Im Koalitionsvertrag haben Sie sich von der Dynamisierung des Bundeszuschusses verabschiedet. Als der versammelte Sachverstand Ihnen bescheinigte, dass damit Ihr Ziel, Rentenkürzungen zu vermeiden und den Beitragssatz bei maximal 19,9 Prozent zu belassen, nicht einzuhalten sei, versprach der Arbeitsminister im Ausschuss eine moderate Erhöhung des Bundeszuschusses. Im Rentenversicherungsbericht sehen wir für das Jahr 2007 eine Erhöhung des Zuschusses von 600 Millionen Euro. Ist das moderat, Herr Minister?

   Nun lesen wir im Haushaltsbegleitgesetz, dass der Bundeszuschuss gekürzt werden soll, nämlich um 170 Millionen Euro für 2006 und um 340 Millionen Euro für die Folgejahre. Das geht ganz einfach: Die Regierung erhöht die Sozialabgaben bei den Minijobs, führt sie bei der gut bezahlten Nachtarbeit ein, schätzt dann die zusätzlichen Einnahmen für die Rentenversicherung, basierend auf den tatsächlich existierenden Zahlen - vorhin hat meine Kollegin Pothmer gesagt, dass die Knappschaft davon ausgeht, dass es dadurch 700 000 Minijobs weniger geben könnte -, und zieht diesen geschätzten Betrag beim Bundeszuschuss wieder ab. Das ist so ähnlich, wie es Taschenspieler machen. Das ist aber keine verlässliche Politik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es ist aber auch keine gerechte Politik. Denn wieder werden die Beitragszahler und Beitragszahlerinnen belastet, um den Bundeshaushalt zu konsolidieren. Bisher gab es einen Konsens: Die Kosten der Alterung der Gesellschaft werden durch die Versicherten, die Rentnerinnen und Rentner und durch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gemeinsam geschultert. Auch darum, Herr Minister Müntefering, unterstützen wir Ihre Pläne, das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Auf der Veranstaltung der IG BAU am letzten Wochenende mussten die Kollegin Falk und ich Sie verteidigen. Ihre eigenen Kolleginnen und Kollegen haben sich da sehr schnell weggeduckt. Wir stehen also dazu; es muss nur ordentlich gemacht werden.

   Bei der Gelegenheit möchte ich gerne den Kollegen Kolb fragen. Ich habe Ihnen bei Ihrer Rede sehr aufmerksam zugehört. Sie haben dieses und jenes beanstandet. Aber Sie haben überhaupt nicht gesagt, was Sie machen wollen.

(Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Sie müssen den Niebel fragen!)

Ich möchte von Ihnen einmal wissen: Ist die FDP nun für die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters oder ist sie dagegen? Sie drücken sich einfach vor diesen Antworten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die veränderten Rahmenbedingungen der letzten Jahre haben uns verdeutlicht, dass die Rentenpolitik auf neue Formen von drohender Armut und fehlender sozialer Absicherung reagieren muss. Das ist zum einen die sinkende Zahl von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und das sind zum anderen neue Formen der Selbstständigkeit und der prekären Arbeitsverhältnisse.

(Abg. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Ich möchte zunächst weiterreden. Ich lasse die Zusatzfrage nachher zu.

   Für beide Gruppen besteht zudem das Risiko fehlender sozialer Absicherung in den Bereichen Krankheit und Invalidität. Wir wissen doch auch, dass die Zahl derjenigen steigt, die keine ausreichende Altersvorsorge betreiben können, die manchmal noch nicht einmal mehr eine Krankenversicherung abschließen können.

   Das sind, Herr Minister Müntefering, in der Hauptsache die Frauen. Ich habe mich sehr gefreut, dass Sie heute Morgen auf die Situation der Frauen in der Erwerbsarbeit eingegangen sind. Wir haben am 9. März auf Antrag der Grünen eine große Debatte dazu geführt. Ihre Fraktion war damals so gering vertreten, dass die Opposition eine Mehrheit hatte. Sie haben in Ihrer eigenen Fraktion offensichtlich noch viel zu tun.

   Jetzt sind Sie an der Reihe, Herr Kolb. - Ach nein, ich darf das ja gar nicht. Das macht der Präsident.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Bilaterale Vereinbarungen erleichtern die Geschäftsführung. - Bitte schön, Herr Kollege Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):

Frau Kollegin Schewe-Gerigk, ich will Sie nicht im Unklaren lassen. Wären Sie denn bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die FDP-Bundestagsfraktion das, was in den Reihen der Koalition bisher erkennbar ist, nicht unterstützt? Denn eine Anhebung des Regelrenteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre bei einer gleichzeitigen Ausnahmeregelung für langjährig Versicherte und für belastete Berufe führt im Ergebnis zu einer Nulleinsparung bei der gesetzlichen Rentenversicherung.

   Außerdem glauben wir, dass man es den Menschen einfach nicht zumuten kann, das Regelrenteneintrittsalter von 65 auf 67 Jahre zu erhöhen, wenn es gleichzeitig schon heute für 50-Jährige keine neue Arbeitsstelle mehr gibt, wenn er oder sie beispielsweise durch Konkurs des Arbeitgebers - davon gab es ja in den letzten Jahren im Durchschnitt 40 000 pro Jahr - den Arbeitsplatz verliert. Das, was die große Koalition vorschlägt, kann man so nicht machen. Sind Sie bereit, diese Position der FDP-Bundestagsfraktion zur Kenntnis zu nehmen?

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Diese Position muss ich nicht zur Kenntnis nehmen, Herr Kolb.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ich muss ja etwas fragen!)

Aber Sie machen den gleichen Fehler, den viele andere auch machen. Wir haben heute das Jahr 2006. Das Renteneintrittsalter soll frühestens im Jahre 2029 bei 67 liegen. Es scheint offensichtlich schwer zu sein, sich heute vorzustellen, was in über 20 Jahren sein wird. Ich gehe nicht davon aus, dass die wirtschaftliche Situation im Jahre 2029 genauso schlecht ist, wie sie heute ist.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Da haben wir hoffentlich eine andere Regierung!)

Ich gehe aber davon aus, dass es in dieser Zeit möglich ist, die Integration der Älteren in die Erwerbsarbeit zu erreichen und entsprechende Angebote zu machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Sie können doch nicht von dem heutigen Zustand auf einen späteren schließen. Das ist doch genau das, was Herr Blüm gemacht hat. Er hat von jetzt auf gleich gedacht und gesagt: „Die Rente ist sicher.“ Jetzt wird vorausschauend Politik gemacht und alle haben Zeit, sich darauf einzustellen. Wir brauchen Gesundheitsförderung für die älteren Menschen am Arbeitsplatz, damit sie diese Lebensarbeitszeit auch erreichen können. Wenn das nicht der Fall ist, dann muss man eine Änderung herbeiführen. Wenn es aber so ist, dass die Menschen bis in ein Alter von 67 Jahren gesund auf bestimmten Arbeitsplätzen arbeiten können, dann muss das auch möglich sein.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD - Abg. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) meldet sich erneut zu einer Zwischenfrage)

- Ich glaube, wir sollten im Ausschuss weiter darüber diskutieren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Schade!)

   Die Schlagzeilen aus der gestrigen Tagespresse wie „Gutes Geschäftsklima“, „Steigende Armut“ und „Koalition hält an ihren Planungen fest“ beschreiben das Szenario deutlich: Wir haben dringenden Handlungsbedarf. Aber wie geht die große Koalition mit diesen Herausforderungen um? Heute Nacht hat es das Treffen zur Gesundheitsreform bei der Kanzlerin gegeben. Möglicherweise müssen die Bezieher und Bezieherinnen von Kleinsteinkommen demnächst sogar Krankenversicherungsbeiträge zahlen, die den Bankdirektor und die Reinigungskraft zu Gleichen unter Gleichen machen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Wie man einen solchen Unsinn erzählen kann! Ein solcher Unsinn!)

Die Union behauptet ja, Einkommensunterschiede über Steuern ausgleichen zu wollen.

   Herr Kauder, ich frage Sie: Wie wollen Sie der Bevölkerung klar machen, dass der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung zur Haushaltskonsolidierung gekürzt werden muss, während gleichzeitig neue Formen von sozialer Ungleichheit erzeugt werden, die ebenfalls über den Not leidenden Staatshaushalt zu korrigieren sind? Soziale Schieflagen werden nicht dadurch gemindert, dass neue Schieflagen aufgebaut werden. Was tun Sie? Ich habe es gerade deutlich gemacht: Sie nehmen Geld aus der linken Tasche und stopfen es in die rechte wieder hinein. Seriöse Finanzpolitik sieht anders aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Die frühere grüne Schuldenpolitik war wohl seriös?)

- Dazu komme ich gleich, Herr Kauder. Das ist wunderbar.

(Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Wir sind gespannt!)

   Wir können bei Ihnen keine Schritte zur konzeptionellen Weitergestaltung der Rentenpolitik erkennen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Weil Sie halt blind sind!)

Neuen Herausforderungen weichen Sie aus.

   Ich komme zum Schluss und gehe auf Herrn Kauder ein. Bei der Aufstellung des Haushaltsgesetzes hat die große Koalition nichts Großes geleistet. Sie gehen den einfachen Weg. Sie machen Schulden in Höhe von 38 Milliarden Euro auf Kosten unserer Kinder. Das sind 7 Milliarden Euro mehr, Herr Kauder, als Rot-Grün in der letzten Haushaltsdebatte vorgeschlagen hat.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hört! Hört!)

Ich kann mich noch an Ihr Geschrei erinnern, mit dem Sie hier alles in Grund und Boden geschrien haben. Sie machen in diesem Jahr 7 Milliarden Euro mehr Schulden, stellen sich jetzt aber hierher und tun so, als sei nichts geschehen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht!)

Sie erhöhen im nächsten Jahr den Beitrag zur Rentenversicherung um 0,4 Prozent und kürzen die Rentenbeitragszahlungen für Langzeitarbeitslose. Sie entlasten den Haushalt auf Kosten der Beitragszahler.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Sie haben das Benzin so teuer gemacht, dass die Leute es nicht mehr bezahlen können!)

Eine solche Politik schafft weder Vertrauen noch ist sie zukunftstauglich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Schonfrist der großen Koalition ist jetzt vorbei. Wohlfühlen allein reicht nicht. Fangen Sie endlich an, zu regieren!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Max Straubinger (CDU/CSU):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der erste Bundeshaushalt der großen Koalition, der diese Woche eingebracht worden ist und nun in die Beratungen geht, ist gekennzeichnet durch die Überschriften Sanieren, Reformieren und Investieren. Ich möchte noch eine Überschrift hinzufügen: soziale Verantwortung für die Menschen in Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das wird auch durch die Mittelansätze deutlich. Herr Kollege Brauksiepe hat bereits darauf hingewiesen: Mit diesem Bundeshaushalt werden 134,4 Milliarden Euro für soziale Leistungen jedweder Art für die Menschen in diesem Land veranschlagt. Ich glaube, das ist die große Errungenschaft unseres Sozialstaates. Wir haben etwas für die Menschen in diesem Land getan, wir haben dies auch richtig organisiert und die Finanzmittel effektiv zum Einsatz gebracht. Hier zeigt sich sehr deutlich: Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen sind sich der Verantwortung gegenüber den Menschen in unserem Land sehr bewusst.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Die linke Seite dieses Hauses hat in der vergangenen Zeit Wahlkampf betrieben mit dem Argument, in unserem Land wäre ein Sozialabbau festzustellen. Gerade die Haushaltsansätze machen aber deutlich, dass wir die Sozialausgaben Jahr für Jahr gesteigert haben und zum Teil auch steigern mussten. Wir geben mehr als 51 Prozent der gesamten Haushaltsmittel für soziale Leistungen aus, das ist die Antwort dieser Bundesregierung.

   Wenn für die Rentenversicherung überwiegend in Form des Bundeszuschusses und eines Ausgleichs für die Übernahme versicherungsfremder Leistungen Unterstützungsleistungen in Höhe von insgesamt 77,4 Milliarden Euro - das sind 29,6 Prozent des gesamten Haushaltsvolumens -, und dies auch in der weiteren Finanzplanung, vorgesehen sind und nicht, wie Sie es dargestellt haben, Frau Schewe-Gerigk, Kürzungen vorgenommen werden - ein Blick in die schöne Vorlage würde dies verdeutlichen -, dann belegt dies sehr deutlich, dass wir uns auch unserer Verantwortung gegenüber den Rentnerinnen und Rentnern sehr bewusst sind.

   Natürlich ist auch entscheidend, dass der Arbeitsmarkt wieder mehr Dynamik und Wachstum erfährt. Die Bundesregierung hat mit der Umsetzung der Genshagener Beschlüsse - ich nenne nur das 25-Milliarden-Euro-Programm - bereits dafür gesorgt, dass es mehr Investitionen im Land gibt, dass der Arbeitsmarkt belebt wird und die Menschen zukünftig wieder eine bessere soziale Absicherung haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Angesichts einer Arbeitslosenzahl von jetzt knapp 5 Millionen und des Verlusts von 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen steht die große Koalition vor einer gewaltigen Herausforderung. Herr Bundesminister Müntefering hat bereits darauf hingewiesen, dass sich die Stimmung in der Wirtschaft wesentlich verbessert hat.

Ich habe mir das erst in der letzten Woche bei der Bundesagentur für meinen Wahlkreis angeschaut. Die Zahl der Stellenangebote, so sagten mir die örtlichen Mitarbeiter, ist in unserer Region gegenüber dem letzten Jahr um 46 Prozent gestiegen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das ist Bayern! Gehen Sie einmal nach Mecklenburg-Vorpommern!)

Das ist ein Anzeichen dafür, dass sich die anziehende Konjunktur auch belebend auf den Arbeitsmarkt auswirkt.

   Die Arbeitsangebote müssen aber auch angenommen werden. Ich werte es als Erfolg - der Bundesminister hat darauf hingewiesen -, dass circa 20 000 Arbeitslosengeld-II-Empfänger bzw. Arbeitssuchende bereit sind, Saisonarbeitnehmertätigkeiten in der Landwirtschaft aufzunehmen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wie viele werden nach drei Tagen noch auf dem Spargelacker sein? Das ist die Frage!)

Ich glaube, dass dies, wenn wir die vergangene Entwicklung berücksichtigen, ein Erfolg des Prinzips „Fördern und Fordern“ ist, dem wir uns verschrieben haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Die Motivation muss aber bei manchen noch angestachelt bzw. gestärkt werden. Angesichts von 2,9 Millionen Arbeitslosengeld-II-Empfängern sind 20 000 relativ wenig.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

Wir haben den Anfang gemacht. Ich wünsche uns, dass wir eine Zahl von 30 000 oder mehr erreichen, weil nur so die landwirtschaftliche Produktion in unserem Land verbleiben kann und nicht in das europäische Ausland abgedrängt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Von der linken Seite des Hauses wurde heute vielfältig Klage über niedrige Löhne und Lohndumping in unserem Land geführt. Bevor wir aber irgendwelche Maßnahmen - zurzeit werden viele diskutiert: Mindestlohn, Kombilohn und dergleichen mehr - ins Auge fassen, sollten wir uns klarmachen: Der beste Schutz gegen Niedriglöhne in unserem Land ist Vollbeschäftigung. Deshalb gilt es, massiv daran zu gehen, die wirtschaftliche Dynamik zu stärken. Den Weg dahin hat die Bundesregierung in vorbildlicher Art und Weise beschritten.

   Der Kollege Brauksiepe hat bereits die Maßnahmen, die von dieser Regierung eingeleitet wurden, dargestellt. Es ist aber wichtig, darzulegen, dass diese große Koalition auch ein Partner der Kommunalpolitik ist. Ein Zuschuss in Höhe von 3,6 Milliarden Euro beim Wohngeld entlastet unsere Kommunen und stärkt damit letztendlich die Investitionskraft unserer kommunalen Haushalte. Deshalb auch an dieser Stelle, Herr Bundesminister, ein herzliches Dankeschön für das aufgebrachte Verständnis. Ich glaube, es ist entscheidend und wichtig, dass wir ein echter Partner der Kommunen in unserem Land sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Manche Kostenblöcke sind uns aber aus dem Ruder gelaufen. Im Rahmen der Hartz-IV-Reform lagen die überplanmäßigen Ausgaben zum Beispiel - darauf wurde bereits hingewiesen - bei mehr als 11 Milliarden Euro. Diese Koalition ist aber daran gegangen, Fehlentwicklungen einzuschränken.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wo denn?)

Ich bin insofern schon überrascht darüber, dass die Kollegin Winterstein hier dargelegt hat, die Koalition habe mit der Angleichung des Arbeitslosengeldes II vom Ost- auf Westniveau einen Fehler gemacht. Vonseiten der FDP hatte ich nämlich bislang nicht gehört, dass sie für eine Absenkung des Westniveaus ist; vielmehr hat sie sich bei dieser Abstimmung genauso enthalten wie bezüglich der Einschränkung der Bedarfsgemeinschaften für unter 25-Jährige.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Weil das halbherzig ist, was ihr da gemacht habt! Ihr habt doch Bestandsschutz gegeben!)

Wo ist der Wille der FDP, für Einsparungen zu sorgen? Ich glaube, die große Koalition ist wesentlich stärker bereit, Einsparungen zur Umsetzung zu bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Wir werden daran gemessen, dass in Deutschland mehr Arbeitsplätze entstehen. Wesentliche Umsetzungen des Koalitionsvertrages haben wir bereits vorgenommen. Insbesondere mit dem SGB-II-Optimierungsgesetz und der Senkung der Lohnnebenkosten sorgen wir dafür, dass mehr Arbeitsplätze in Deutschland verbleiben. Wir setzen die nötigen Weichenstellungen für die Zukunft.

Diese große Koalition steht für wirtschaftliche Dynamik und für die soziale Sicherung der Menschen in unserem Land.

   Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Waltraud Lehn, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Waltraud Lehn (SPD):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Minister Müntefering und Steinbrück haben, wie ich finde, einen sehr soliden und ausgewogenen Haushalt vorgelegt.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das tut ja weh, Frau Lehn!)

Gleichwohl macht gerade der Sozialhaushalt deutlich, in welch schwieriger Ausgangssituation sich die Koalition befindet. Wir geben dieses Jahr 138 Milliarden Euro für Sozialleistungen aus. Diesen 138 Milliarden Euro stehen Steuereinnahmen in Höhe von 192 Milliarden Euro gegenüber. Was heißt das? Das heißt, von 100 Euro Steuern, die wir einnehmen, geben wir 72 Euro für Sozialleistungen aus. Wenn die Opposition zur Linken fordert, dieser Anteil müsse erhöht werden, kann das im besten Fall als völlig absurd bezeichnet werden.

   Damit wir uns die Ausgaben des Bundes leisten können - zum Beispiel für Straßenbau, Familienförderung, Umweltschutz -, verschulden wir uns dieses Jahr mit 38 Milliarden Euro. Schulden vermindern die Handlungsfähigkeit des Staates in der Zukunft. Deswegen müssen wir umsteuern. Wir müssen weg von der Verschuldung und hin zu mehr Zukunft. Nun hört sich das sehr einfach an, aber in der Realität ist es schwierig. Wem will man denn etwas wegnehmen? Damit meine ich nicht nur die Ausgabenseite, sondern auch die Einnahmenseite: Von wem soll man denn noch etwas reinholen?

(Norbert Barthle (CDU/CSU): Wohl wahr!)

Gerade im Bereich der Sozialversicherung darf es keine Denkverbote geben. Ich finde es gut und richtig, diese Frage ständig zu stellen und sich Gedanken darüber zu machen. Aber solche Maßnahmen werden nie einfach und nie populär sein. Gleichwohl bleibt es unsere ständige Aufgabe.

   In den vergangenen Jahren haben wir im Gesundheitswesen, bei der Rente und am Arbeitsmarkt wichtige Reformen begonnen. Diese gilt es jetzt in der großen Koalition fortzusetzen. Ehrlichkeit in der Debatte - sowohl was möglich ist als auch was nötig ist - würde uns allen sehr gut tun. Um den Menschen die nötige Orientierung zu geben, müssen wir Eckpfeiler setzen, auf die sich der Sozialstaat in der Zukunft stützt, also eine Art Positivliste des Sozialstaates.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Oh je! Mir schwant Böses!)

- Dass Sie das nicht wollen, weiß ich. Aber Sie müssen das nicht ständig wiederholen. Dadurch wird es auch nicht besser.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Positivlisten wollten wir noch nie!)

Dabei orientieren wir uns an drei Dingen: an der Bedürftigkeit - was braucht jemand, was braucht der Mensch? -, an der Verlässlichkeit - was gilt auch noch morgen und nicht nur heute? - und am Prinzip der sozialen Gerechtigkeit.

   Der Einzelplan des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ist mit rund 120 Milliarden Euro und 47 Prozent des Ausgabevolumens der größte Einzelposten im gesamten Haushalt. Darin enthalten sind - das sind die größten Bereiche - der Bundeszuschuss für die Rentenversicherung in Höhe von 77 Milliarden Euro und die Leistungen für die Grundsicherung der Arbeitsuchenden in Höhe von gut 38 Milliarden Euro. 77 Milliarden Euro für die Rentenversicherung - das entspricht etwa jedem dritten Euro, den wir an Steuern einnehmen. Nur damit man das einschätzen kann und zum Vergleich: Für Bildung und Forschung geben wir jeden 30. Euro aus, für Umwelt und Naturschutz nur jeden 337. Euro.

   Ich sage ausdrücklich: Es ist gut, dass wir über den Bundeszuschuss die Existenzgrundlage von Menschen sichern. Aber alles hat seine Grenzen. Diese Grenzen sind erreicht. Die Bundesregierung hat eine Reihe von richtigen Maßnahmen beschlossen, um die Dynamik des Anstiegs des Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung, die in den letzten Jahren zu beobachten war, zu stoppen.

   Dazu gehört die vorgesehene Anhebung der Pauschalabgaben auf Minijobs von 12 auf 15 Prozent. Das wird nicht dazu führen, dass wir 700 000 Minijobs verlieren. Im Gegenteil: Wenn man sich mit Vertretern der Bundesknappschaft, die das abwickelt, unterhält, dann erfährt man, dass mittlerweile - zwar noch in moderatem Umfang; aber diese kontinuierliche Tendenz ist erkennbar - ein Übergang von Minijobs zu Midijobs, also in die Gruppe derjenigen, die 400 bis 800 Euro im Monat verdienen, stattfindet. Das ist eine gute Entwicklung, die eine sehr positive Wirkung hat.

   In den letzten zehn Jahren stieg der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung massiv. Aufzufangen war das nur durch die Einführung der Ökosteuer. Ohne die Ökosteuer wäre das überhaupt nicht denkbar gewesen. Da man nun aber nicht einfach eine weitere Steuer einführen kann, ist es meiner Meinung nach richtig, die Dynamik von jährlich 6 Prozent, die in den vergangenen Jahren zu verzeichnen war, auf höchstens 1 Prozent pro Jahr zu begrenzen.

   Wer fordert, den Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung und die Ausgaben für den Sozialstaat zu senken, der muss auch sagen, was er damit meint. Ich will Ihnen aufzeigen, welche zwei Möglichkeiten es gibt - denn es gibt nur diese beiden -: Wenn man den Bundeszuschuss zur Rentenversicherung um 10 Milliarden Euro kürzt, dann bedeutet das eine Kürzung der Renten um 4,4 Prozent. Legt man die Durchschnittsrente von zurzeit 1 175 Euro zugrunde, entspricht das 52 Euro.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Sie hatten ja überhaupt keine Hemmungen, die realen Renten in dieser Größenordnung zu kürzen!)

Für einen Rentner ist eine Kürzung um mehr als 50 Euro eine ganze Menge. Abgesehen davon haben wir auch den Rentnern bereits an vielen Stellen zusätzliche Belastungen zugemutet.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Allerdings! Das ist wahr!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Waltraud Lehn (SPD):

Wenn es denn sein mus!

(Heiterkeit - Jürgen Koppelin (FDP): Ja, das muss sein!)

- Ich kann es auch netter sagen: Immer gerne, Herr Koppelin.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Jürgen Koppelin (FDP):

Ganz herzlichen Dank, geschätzte Kollegin Lehn. - Sie haben gerade ein Rechenbeispiel angeführt, das ich überhaupt nicht bestreite. Darf ich Sie dennoch fragen, wie hoch das Minus für einen Rentner aufgrund einer 3-prozentigen Mehrwertsteuererhöhung ausfällt?

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ja! Genau!)

Waltraud Lehn (SPD):

Ich glaube, dass dieses Minus schwer zu errechnen ist,

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Was? Schwer zu errechnen? Das ist doch ganz einfach! Das ist Dreisatz!)

weil durch eine Mehrwertsteuererhöhung die Rentner mit hohem Einkommen stärker belastet werden als diejenigen, die ein niedriges Einkommen haben,

(Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und prozentual? Darum geht es doch!)

und zwar deswegen, weil die Güter des täglichen Bedarfs von der Mehrwertsteuererhöhung ausgenommen sind.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Klaus Brandner (SPD), zu Abg. Jürgen Koppelin (FDP) gewandt: Na, wieder etwas schlauer geworden?)

   In diesen Tagen können wir in den Zeitungen viel über die demographische Entwicklung in Deutschland lesen, als sei es eine völlig neue Erkenntnis, dass in unserem Land schon seit vielen, vielen Jahren immer weniger Kinder geboren werden. Manchmal bin ich darüber verblüfft; denn als wir die Rentenreform beschlossen haben, war genau diese Entwicklung, die wir erkannt und über die wir auch politisch diskutiert haben, die Grundlage für unsere Entscheidung, ein Rentennachhaltigkeitsgesetz zu erarbeiten. Dieses Gesetz ist vor zwei Jahren verabschiedet worden. Ich denke, die demographische Entwicklung haben wir in der Zwischenzeit angemessen berücksichtigt.

   Aber die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit ist für die gesetzliche Rentenversicherung ein gravierendes Problem geblieben. Die Einnahmen der Rentenkasse sind zu einem nicht unerheblichen Teil von der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt abhängig. Wer eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat, zahlt in die Rentenkasse ein. Zu zwei Dritteln sind die Renten auch heute noch beitragsfinanziert; lediglich das fehlende Drittel stammt aus Steuermitteln.

   Manchmal wird irrtümlich angenommen, die Rentenkasse sei wie ein Sparstrumpf, in den die heutigen Rentner während ihres Arbeitslebens 40 Jahre lang und länger ihre Beiträge eingezahlt haben und aus dem sie jetzt ihre Rente bekommen. So ist das aber nicht. Die heutigen Rentner haben während ihres Arbeitslebens die Renten ihrer Eltern und Großeltern gezahlt. Die heutigen Arbeitnehmer, quasi ihre Kinder und Enkel, zahlen die Renten der jetzigen Rentner.

   Wenn die Zahl der Beschäftigten sehr niedrig ist, dann fließt eben auch sehr wenig Geld in die Sozialkassen hinein. Das verursacht natürlich Probleme. Deswegen ist es richtig, dass in diesem Haushalt zusätzliche Mittel für Beschäftigung vorgesehen sind. Das kommt dem Sozialhaushalt unmittelbar zugute. Hier sind nämlich die Grenzen des Sparens erreicht: Wenn Sparen dazu führt, dass keine Investitionen mehr getätigt werden und so die Arbeitslosigkeit weiter verfestigt wird, dann ist das Sparen an der falschen Stelle; denn so wird zusätzlicher Druck unmittelbar auf die Sozialsysteme ausgeübt.

   Ich will an dieser Stelle den Zusammenhang deutlich machen: Bei 1 Million Arbeitslosen fehlen allein der Rentenkasse 4 Milliarden Euro. Wenn wir die Arbeitslosigkeit also in erheblichem Umfang abbauen, wird die Situation auch bei den Sozialleistungen wesentlich günstiger aussehen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wenn, Frau Kollegin!)

Ich glaube, dass dieser Haushalt in seiner Gesamtheit ein ganz wesentlicher Beitrag zu einer solchen Entwicklung ist.

   Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich halte es für wichtig, den heute Erwerbstätigen und vor allem den jungen Menschen, die erst ins Berufsleben einsteigen, sehr deutlich zu sagen, wie wichtig für sie eine zusätzliche private Altersvorsorge ist. Die Berechnungen im Alterssicherungsbericht der Bundesregierung belegen, dass der gewohnte Lebensstandard im Ruhestand dann aufrechterhalten werden kann, wenn beizeiten private Vorsorge getroffen wird. Dabei wollen wir denjenigen besonders helfen, die das nicht aus eigener Kraft können.

   Die Altersversorgung bleibt für alle gesichert, auch für diejenigen, die heute für die Sicherung der heutigen Renten aufkommen. Allerdings brauchen wir neben der gesetzlichen Rente zwei weitere Säulen, nämlich eine gut ausgebaute private und eine gut ausgebaute betriebliche Zusatzversorgung.

(Beifall bei der FDP - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Da sind wir einer Meinung!)

- Wenn Sie das wirklich wollen, dann weiß ich nicht, warum Sie die Riesterrente in der Vergangenheit so oft madig gemacht haben.

(Zurufe von der FDP: Nein, nein, nein!)

- Natürlich!

   Wir wollen den Sozialstaat für alle Bürgerinnen und Bürger erhalten: für die Alten, die für ihre Lebensleistung einen angemessenen Ruhestand verdient haben, aber auch für die Jungen, die die Möglichkeit haben müssen, sich ein Leben nach ihren Vorstellungen aufbauen zu können. Diesen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der jungen und der älteren Generation hinzubekommen, ist eine unserer Hauptaufgaben.

   Also: Kein Ausstieg aus dem Sozialstaat! Größtmögliche Zielgenauigkeit bei den Instrumenten, vor allem bei staatlichen Transferleistungen! So wenig Schulden wie möglich, ohne Verzicht auf Maßnahmen, die dem Arbeitsmarkt zugute kommen!

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Weihnachten ist bald wieder, Frau Lehn!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Hans-Joachim Fuchtel, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwei Punkte sind aus meiner Sicht in dieser Debatte nicht in ausreichendem Maße angesprochen worden:

   Erstens. Es ist ein Irrglaube, zu denken, allein durch konjunkturelle Verbesserungen könne eine Sanierung des Haushaltes gelingen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Aber ohne wird es nicht gehen!)

Das strukturelle Defizit beträgt 50 Milliarden Euro. Das sage ich all denjenigen, die neue Forderungen an diesen Haushalt stellen. Ein strukturelles Defizit von 50 Milliarden Euro kann man nur durch Konsolidierung auffangen. Genau zu diesen Themen ist heute nur sehr wenig gesagt worden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Zweitens. Mittlerweile beträgt der Anteil der Kosten im Sozialbereich am Gesamtetat 51 Prozent. Ich schaue zur linken Seite des Hauses und frage: Wie viel mehr muss es eigentlich noch kosten, damit Sie zufrieden gestellt werden können?

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Darum geht es doch überhaupt nicht! Es geht um Existenzen!)

Es sind 51 Prozent! Wenn wir Ihren Forderungen nachkämen, würde es so teuer, dass dieser Staat an seinen Sozialkosten total Pleite geht. Dadurch würden Sie Ihrer Klientel am allermeisten schaden; denn Ihre Leute partizipieren an diesen Sozialausgaben überproportional.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Meine Damen und Herren von den Grünen, es ist richtig, dass dieser Haushalt noch einmal etwas aufwächst. Aber es gibt gar keinen Zweifel daran, dass das ein Haushalt der Umsteuerungen ist.

(Otto Fricke (FDP): Die politische Wende!)

Es ist ein großer Tanker, der jetzt in eine andere Richtung gelenkt werden muss. Fragen Sie doch einmal, welchen Beitrag Sie dazu geleistet haben, dass der Tanker so lange in die falsche Richtung gefahren ist. Wenn Sie sich das vergegenwärtigen, dann werden Sie erkennen - ich sage es Ihnen jetzt -: Sie sind maßgeblich schuld daran, dass es dazu gekommen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Jetzt, da die SPD einen ordentlichen Koalitionspartner hat,

(Lachen der Abg. Waltraud Lehn (SPD))

sieht man, dass sie durchaus Potenzial für eine sehr zukunftsfähige Politik auf diesem Gebiet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Meine Damen und Herren von der FDP, in dem einen oder anderen Fall kann man bei Ihnen durchaus Punkte finden, die man aufgreifen und in der weiteren Beratung berücksichtigen kann. Eines dürfen Sie aber nicht tun, nämlich diese Rosinenpickerei. Highlight war natürlich wieder das Thema Zahl der Ministerien.

(Dirk Niebel (FDP): Neben dem Kanzleramt!)

Ich habe gelernt:

(Klaus Brandner (SPD): Hat aber auch gedauert, Kollege Fuchtel!)

Wenn man mit der FDP konkret über Koalitionen zu verhandeln hat, dann verschwindet das Thema einer Reduzierung der Anzahl der Ministerien auf einmal ganz schnell von der Tagesordnung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wann haben wir denn zuletzt verhandelt?)

Ich erwarte, dass wir auch in Baden-Württemberg wieder ein Beispiel dafür geliefert bekommen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das ist doch Quatsch! - Dirk Niebel (FDP): Sie sind in Ihrem Wahlkreis ein bekannter Freund der Grünen!)

   Meine Damen und Herren, wer künftig Sozialpolitik zukunftsträchtig gestalten möchte, der wird ordnungspolitisch stärker als bisher zwischen den sozialen Investitionen - dieser Begriff muss die Sozialpolitik prägen - und der sozialen Verschwendung unterscheiden müssen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Im Bereich der Altersteilzeit muss inzwischen ein Kostenvolumen von 1,1 Milliarden Euro getragen werden.

(Klaus Brandner (SPD): Wo steht das denn, Herr Fuchtel?)

- Sie wollen wissen, wo das steht? Das steht im Haushalt der Bundesagentur. Diese kleine Lehrstunde speziell für den Vorsitzenden der SPD-Arbeitsgruppe ist nunmehr beendet. -

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dirk Niebel (FDP): Das müsste Herr Brandner aber wissen!)

An diesem Beispiel der Altersteilzeit kann man doch den Zielkonflikt erkennen: Einerseits wachsen die Ausgaben dynamisch, auf der anderen Seite werden Wissen und Erfahrungen verschwendet. Wir sollten darauf hinwirken, dass solche Fehlsteuerungen im System beseitigt werden. Das sieht zum Beispiel so aus: Wenn ein Unternehmen ankündigt, dass 8 000 Leute kurzfristig freigesetzt werden müssen, dann muss man fragen dürfen, welche intelligenten Veränderungen unternehmensintern vorgenommen wurden, um dies zu verhindern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Insofern sind solche Entwicklungen in der Wirtschaft nicht nur eine monetäre Frage, sondern natürlich auch eine Managementfrage. Wenn wir verstärkt Begründungen einklagen, können wir sicher Fehlsteuerungen beseitigen. Hier bin ich völlig auf Ihrer Seite.

(Klaus Uwe Benneter (SPD): Haftbar machen!)

   Der Minister Müntefering sagte, er bewege sich meistens im Maschinenraum. Ich denke, angesichts des Anteils von 51 Prozent am Gesamtetat sind Sie natürlich auch Kapitän.

(Otto Fricke (FDP): Was ist denn dann Frau Merkel?)

Ich darf die Aufgabe, die der Haushaltsausschuss hat, einmal so beschreiben: Wir stehen in schwierigen Gewässern gerne als Lotse zur Verfügung, um in diesem Rahmen mit Ihnen gemeinsam das Sparziel zu prägen.

   In diesem Zusammenhang auch Folgendes: Wenn wir den Zuschuss für die Bundesagentur für Arbeit auf null setzen wollen, dann sollten wir das durchhalten, und zwar nicht nur in diesem, sondern auch im nächsten Jahr.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Wir sollten das Haushaltsbegleitgesetz daraufhin überprüfen, ob es nicht noch Schlupflöcher enthält, die möglicherweise in Darlehensform überjährige Kredite ermöglichen

(Otto Fricke (FDP): Jawohl! Das ist so!)

und damit zu einem Bauchladen werden, den wir nicht haben wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Schließlich müssen wir uns so fit machen, dass wir daran denken können, bei den Beitragssätzen einen nächsten Schritt zu tun, über das hinaus, was wir jetzt wollen. Das können wir nur erreichen, wenn wir in den nächsten Jahren keinen Darlehensbauchladen vor uns hertragen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil wir da unsere Ressourcen richtig einsetzen können.

   Ich bin der Auffassung, dass wir alles tun sollten, damit die Bundesagentur ihren Beitrag leistet und einen Beitragspunkt aus ihrem Haushalt erbringt. Hier darf es kein Wenn und Aber geben, sondern wir müssen unsere weiteren Maßnahmen darauf ausrichten, diesen Beitragspunkt aus den Ressourcen der Bundesagentur zu erwirtschaften.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wenn wir dies tun, dokumentieren wir damit unseren Sparwillen und werden erfolgreich sein.

   Herr Minister, Sie können davon ausgehen, dass wir mit Ihnen nicht nur oben auf der Kommandobrücke stehen wollen, sondern dass wir uns - das gilt für alle Haushälter - auch gerne um die Aufgaben im Maschinenraum kümmern.

(Dirk Niebel (FDP): Da kann man viel verstecken!)

Insoweit haben Sie unsere volle Unterstützung.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

   Wir kommen deshalb zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Einzelplan 10.

   Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer.

Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einem Thema beginnen, das nicht mehr allzu sehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, aber das uns in Deutschland und darüber hinaus nach wie vor intensiv beschäftigt, nämlich mit der Vogelgrippe.

   Mir liegt sehr daran, darauf hinzuweisen, dass unsere Schutzmaßnahmen, nachdem wir seit dem 14. Februar mit dieser Krankheit in Deutschland zu tun haben, gewirkt haben. Es ist gelungen, das oft befürchtete Überspringen des Virus auf Nutztiere in Deutschland zu vermeiden. Das ist ein Erfolg der von uns gesetzten Rahmenbedingungen. Aber ich habe mich auch bei den Geflügelhaltern und der Bevölkerung zu bedanken, weil aufgrund ihres verantwortlichen Handelns das Überspringen auf Nutztiere vermieden werden konnte.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:

Ja. Diese Frage war aber nicht bestellt.

Ernst Hinsken (CDU/CSU):

Herr Minister, Sie haben auf die Besonnenheit der Geflügelhalter und der Bevölkerung verwiesen. Allerdings wurden nicht nur die Geflügelhalter, sondern auch ganze Landstriche, insbesondere die Insel Rügen, in touristischer Hinsicht in Mitleidenschaft gezogen.

   Deshalb meine Frage an Sie: Würden Sie mir beipflichten, dass es jedem, auch allen hier im Haus Befindlichen, gut anstehen würde, Solidarität mit dem Tourismus auf Rügen zu zeigen und dies dadurch zu beweisen, in diesem Jahr dort ein paar Urlaubstage zu verbringen?

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)

Die Menschen dort warten auf ein Signal und hoffen, dass wir sie nicht im Regen stehen lassen, sondern dass wir etwas für sie tun. Da bietet sich ein Urlaub geradezu an.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:

Ihre Frage war: Würden Sie mir beipflichten? Das tue ich ausdrücklich.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU - Ute Kumpf (SPD): Jetzt müssen Sie auch für die anderen Regionen sprechen!)

   Das, was ich gesagt habe, ist wichtig. Trotzdem müssen wir bei unserer Linie bleiben und konsequent, besonnen und wachsam sein.

Ich beginne mit einem Punkt, der deutlich macht, dass wir trotz aller Sparzwänge auch in diesem Haushalt Akzente in Richtung Innovation und Wachstum setzen. Trotz der Mittelknappheit wendet die Bundesregierung 60 Millionen Euro zusätzlich für ein Sofortprogramm im Bereich Forschung auf, um Erkenntnislücken im Zusammenhang mit dieser gefährlichen Tierseuche, aber auch bei Zoonosen generell in Deutschland zu schließen. Damit sollen zum Beispiel die Ausbruchursache der Vogelgrippe in Deutschland und die Infektionswege erforscht und insbesondere nach Möglichkeit in absehbarer Zeit ein Impfstoff entwickelt werden, der die Sicherheit von Tier und Mensch erhöht.

   Allein dieses Beispiel zeigt, wie man Sparen und Innovation vernünftig miteinander verbinden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir geben mehr für Innovationen aus.

   Ich teile ausdrücklich die Meinung, dass die Regierung und die Koalition jetzt eine zweite Etappe beschreiten. Ich nenne sie Pyrenäenetappe, weil es ein steiniger Weg wird. Auch im Haushalt des Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministeriums steht eine ganze Reihe von Baustellen an. Ich denke zum Beispiel an die Haltung von Schweinen und Hennen, die uns in diesen Tagen intensiv beschäftigt - ich werde pausenlos öffentlich zu bestimmten Dingen aufgefordert -, den verantwortlichen Umgang mit der Grünen Gentechnik, die Reform der agrarsozialen Sicherungssysteme, die Entbürokratisierung, die auch in der Landwirtschaft ein zentrales Thema darstellt, das die Bäuerinnen und Bauern besonders bewegt,

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

und die Erarbeitung eines ressortübergreifenden Konzepts zur Förderung des ländlichen Raumes in der Bundesrepublik Deutschland.

   Ich möchte einige Schlaglichter auf diese Themen werfen, weil sie unmittelbar mit der Finanzausstattung unseres Haushalts zusammenhängen. Ich halte von der Grundausrichtung der Koalition, verlässliche Politik zu machen, sehr viel. Zu verlässlicher Politik gehört auch, dass man über schwierige Themen zuerst nachdenkt, bevor man sich öffentlich äußert und handelt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zum Beispiel bei der Biokraftstoffbesteuerung!)

Das gilt für die Grüne Gentechnik ebenso wie für die Tierhaltung.

   Ich möchte zunächst einige Anmerkungen zur Tierhaltung machen. Zurzeit ist die Legehennenhaltung in der Diskussion. Niemand in der Koalition möchte zur alten Käfighaltung zurück und niemand ist der Auffassung, dass die geltende Rechtslage unverändert bleiben kann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wenn die geltende Rechtslage beibehalten würde, hätte das zur Folge, was sich schon in den letzten Jahren abgezeichnet hat, dass es eine Hennenhaltung in Deutschland im nennenswerten Umfang nicht mehr gibt, die Investitionen im Ausland - insbesondere in Osteuropa - erfolgen und anschließend die im Ausland gelegten Eier nach Deutschland importiert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es heute!)

   Ich bin dafür, dass wir uns gemeinsam und in aller Ruhe in der Koalition, aber auch darüber hinaus Gedanken über mögliche Anschlussregelungen zum 1. Januar 2007 machen. Dazu finden in der Koalition sachliche und vernünftige Gespräche statt. Wenn diese abgeschlossen sind, dann werden wir auch eine öffentliche Debatte darüber führen. Ich bin sehr dafür, erst in der Koalition miteinander zu sprechen und dann eine Entscheidung zu fällen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Es kann sich also jeder die Pressemitteilungen sparen; sie werden den Prozess nicht ändern. Wir bleiben bei unserer Grundrichtung.

   Das Gleiche gilt für die Grüne Gentechnik. Auch das ist eines der Themen, die ich bei meinem Amtsantritt vorgefunden habe. Wir wollen einen verantwortlichen Umgang mit der Grünen Gentechnik und auch ihre Weiterentwicklung, wir müssen aber immer eine vernünftige Balance zwischen der Förderung und Entwicklung einerseits und dem Schutz von Mensch und Umwelt andererseits finden. Auch hier gibt es einen großen Widerspruch in der öffentlichen Debatte. Nicht wenige, die öffentlich feststellen, es gebe noch viele Erkenntnislücken hinsichtlich der Auswirkungen auf die Böden, andere Pflanzen und der Wechselwirkungen in der freien Natur, fordern uns gleichzeitig auf, Deutschland zur gentechnikfreien Zone zu erklären. Darin liegt ein großer Widerspruch.

   Wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass wir noch das eine oder andere im Zusammenhang mit der Grünen Gentechnik und ihrer Anwendung wissen wollen oder müssen, dann kann man nicht gleichzeitig dagegen sein, in Deutschland Forschung zu betreiben, um diese Erkenntnislücken zu schließen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ich bleibe dabei - das ist zuallererst Aufgabe des zuständigen Ressorts -: Wir werden den Dialog mit allen Verantwortlichen führen. Das werde ich im April tun. Wir werden dann im Mai ein Eckpunktepapier für die Beratungen in der Koalition vornehmen, um schließlich auf dieser Grundlage zu entscheiden, wie wir mit der Nutzung der Grünen Gentechnik in der Bundesrepublik Deutschland weiter verfahren. Hierbei geht es insbesondere um die Anbau- und Haftungsregeln, aber auch um die Bedingungen für die Forschung in Deutschland; denn bei uns muss Forschung ebenfalls möglich sein. Es darf nicht geschehen - wie auch bei der Tierhaltung nicht -, dass wir uns Regeln geben, die dazu führen, dass die Forschung im Ausland erfolgt und anschließend die Produkte dieser Forschung in die Bundesrepublik Deutschland importiert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Ein ganz großes Thema in den nächsten Monaten wird die Reform der agrarsozialen Sicherung sein. Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, in diesem Bundeshaushalt die Mittel für die agrarsoziale Sicherung unangetastet zu lassen. Das war im letzten Jahr nicht so. Wir haben nun die Mängel des letzten Jahres wieder ausgeglichen. Ich bin der Auffassung, dass man die Mittel für die agrarsoziale Sicherung nur dann reduzieren kann, wenn man gleichzeitig Strukturreformen bei der agrarsozialen Sicherung durchführt. Sonst bedeutet es für die Landwirte nichts anderes als eine Einkommenskürzung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))

Diese Strukturreformen sind schwierig. Da werden wir in der Koalition viel Gehirnschmalz aufwenden müssen.

   Ich nenne an erster Stelle die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften. Die Landwirte klagen zunehmend über die Höhe der Beiträge. Ich teile ihre Sorgen ausdrücklich. Ich weise darauf hin, dass die Verwaltungsausgaben in den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften im Durchschnitt bei 12 Prozent liegen, während die Verwaltungsausgaben in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung im Durchschnitt noch nicht einmal 6 Prozent betragen. Ich sage allen, die in diesem Bereich der Verwaltung tätig sind: Wir müssen auf diesen Stand kommen und die Verwaltungskosten halbieren; denn wir können angesichts der Lage in der Landwirtschaft nicht zunehmend mehr für die Selbstverwaltung ausgeben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich gehe davon aus, dass wir auch hier Ende Mai, nachdem wir in der Koalition darüber beraten haben, in der Lage sind, die notwendigen Entscheidungen herbeizuführen.

   Ich bin entschieden der Auffassung, dass wir die anstehende große Gesundheitsreform nutzen sollten, um die landwirtschaftliche Krankenversicherung mit der allgemeinen Krankenversicherung zu verzahnen. Nicht, dass die landwirtschaftlichen Krankenkassen aus der allgemeinen Krankenversicherung bedient werden sollen. Aber ich glaube, dass die demografische Herausforderung in der Landwirtschaft noch ein ganzes Stück größer ist als in der allgemeinen Sozialversicherung und dass die landwirtschaftliche Krankenversicherung nur dann ernsthaft eine Zukunft hat - ohne ständig am Tropf der öffentlichen Haushalte zu hängen -, wenn wir sie mit der allgemeinen Krankenversicherung stärker verzahnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich bin deshalb sehr dafür, dass wir die landwirtschaftliche Krankenversicherung in die Grundentscheidung einbeziehen, die wir in den nächsten Wochen im Hinblick auf die allgemeine Krankenversicherung treffen.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da sind wir aber gespannt!)

- Frau Höfken, darauf dürfen Sie gespannt sein. Zum Schluss werden Sie sogar überrascht sein, was wir alles zustande gebracht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ein weiteres großes Thema ist der Bürokratieabbau. Natürlich braucht man auch in der Landwirtschaft eine Verwaltung. Eine Verwaltung ordnet ja, wenn sie vernünftig aufgebaut ist, die Systeme. Aber wir haben im landwirtschaftlichen Bereich die Grenze von der Verwaltung zur Schikane überschritten. Das muss man so deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das hat zwei Ursachen. Die eine Ursache ist - hier bin ich sehr selbstkritisch - die These von der Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinien. Wenn man mit der Umsetzung der Richtlinien beginnt, dann wird man sehr schnell ernüchtert, insbesondere auf Bundesebene. Das sage ich für beide Koalitionsfraktionen. Wenn noch der Bundesrat die Bühne betritt, wird es entschieden schwieriger. Es werden dann viele Gründe angeführt, warum etwas so und nicht anders gemacht werden soll. Ich bin alles andere als amüsiert, dass man nun im Bundesrat versucht - Kollege Kelber, darin stimmen wir über ein -, die Regelung der Schweinehaltung mit der der Hennenhaltung formal zu verbinden, wohl in der Erwartung, dass wir in Berlin dann wegen der notwendigen Umsetzung der EU-Richtlinie zur Schweinehaltung gezwungen wären, bei der Hennenhaltung alles zu akzeptieren, was im Bundesrat beschlossen wird. Ich spreche das so offen an: Es wird nicht gelingen, das eine mit dem anderen so zu verknüpfen; das hat mit Eins-zu-eins-Umsetzung nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   In dem anderen Punkt, nämlich der Kontrolle der landwirtschaftlichen Betriebe wegen der Direktzahlungen aus der Europäischen Union - die Fachleute nennen das Cross Compliance -, sind wir auf der europäischen Ebene in den letzten Tagen, was die Entschlackung betrifft, sehr erfolgreich gewesen. Ich kann dem Parlament hier mitteilen, dass es nach den Informationen der letzten Stunden gelungen ist, Cross Compliance - das ich im Grunde für notwendig halte: wenn 6 Milliarden Euro aus Steuermitteln als Direktzahlungen fließen, muss man auch kontrollieren, ob die Vorschriften im Pflanzenschutz, im Tierschutz, das Futtermittelrecht oder das Lebensmittelrecht eingehalten werden - sinnvoll weiterzuentwickeln. Aber dabei dürfen wir keine bürokratischen Ungeheuer aufbauen. Deshalb bin ich froh, dass die Kernanliegen, die Deutschland letztes Jahr im Dezember eingebracht hat, jetzt berücksichtigt worden sind: Die Kontrollen sollen sich jetzt auf die landwirtschaftliche Urproduktion - auch für diese gibt es Direktzahlungen aus Brüssel - konzentrieren und nicht auf die Weiterverarbeitung; es gibt also keine Ausweitung auf andere Bereiche.

   Zweitens wird das Prinzip der Verhältnismäßigkeit eingeführt: Wenn eine Ohrmarke nicht angebracht ist, aber schon bestellt ist, ist es geradezu widersinnig, für diesen minimalen Verstoß finanziell eine maximale Bestrafung vorzunehmen. Deshalb wird jetzt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingeführt. Drittens werden auf europäischer Ebene die Kontrollschwerpunkte definiert, die gewährleisten sollen, dass die Kontrollen auf die Schwerpunkte konzentriert werden, die für die Verbraucher wirklich relevant sind.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nur dürfen wir diesen Erfolg auf der europäischen Ebene, diesen bürokratischen Rückgang, jetzt nicht durch zusätzliche Bürokratie in der Bundesrepublik Deutschland konterkarieren. Ich bin mit den Bundesländern im Gespräch über das Problem von fachrechtlichen Prüfungen und Cross Compliance. Dieses Nebeneinander muss beendet werden: Wer in Cross Compliance war, braucht nicht mehr in fachrechtliche Prüfungen, und wer in fachrechtlichen Prüfungen war, muss nicht mehr in Cross Compliance; das ist ein Übermaß.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich bitte auch die Parlamente vor Ort, in den Bundesländern, mich zu unterstützen; ich bin ziemlich sicher, dass das der Fall sein wird.

   Gut in diesem Haushalt ist, dass die nachwachsenden Rohstoffe uneingeschränkt gefördert werden: mit 53,6 Millionen Euro, kein einziger Cent wird gekürzt. Lieber Herr Goldmann, diese Entscheidung ist goldrichtig und sie ist kein Rückschritt in die Künast-Politik, sondern sie folgt der gesellschaftlichen Grundüberzeugung, dass das dritte Standbein der Landwirte, nämlich die Rohstoffproduktion, gefördert werden sollte, auch weil sie eine Voraussetzung für die zukünftige Wertschöpfung in den ländlichen Räumen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Hans-Michael Goldmann (FDP): Habe ich auch nicht kritisiert!)

   Keinerlei Kürzungen werden beim Verbraucherschutz vorgenommen: 104 Millionen Euro für den Verbraucherschutz. Ich bin froh, dass wir im Grundsatz so weit sind, dass sich die Fraktionen und die Bundesregierung mit dem seit fünf Jahren anstehenden Verbraucherinformationsgesetz beschäftigen und darüber entscheiden können. Ich denke, dass dieses Gesetz, wie man bei nüchterner Betrachtung zugeben muss, verbraucherpolitisch einen Durchbruch darstellt, mit dem auch Konsequenzen gezogen werden aus manchem Lebensmittelskandal der letzten Wochen. In diesem Gesetz ist zum Beispiel vorgeschrieben, dass die Staatsanwaltschaft ihre Kenntnisse den Lebensmittelbehörden mitteilt. Denn es war ein unerträglicher Zustand, dass die eine Staatsbehörde wusste, dass etwas faul ist, aber der anderen zuständigen Behörde, im Lebensmittelbereich, dies nicht mitgeteilt hat. Künftig wird es möglich sein, dass besonders raffgierige schwarze Schafe - wir haben es Gott sei Dank nicht mit mafiösen Strukturen zu tun, sondern nur mit raffgierigen Einzelfällen; das ist eindeutig - nicht dadurch geschützt werden, dass sie, wenn sie ihre Ware bereits verkauft haben, nicht mehr öffentlich genannt werden dürfen. Ich bin froh, dass wir uns in der Koalition einig sind, dass auch dann Namen genannt werden dürfen, wenn das Produkt schon verkauft ist. Alles andere würde bedeuten, dass derjenige, der am Gesetz vorbei schnell verkauft hat, privilegiert ist gegenüber demjenigen, der so dumm war, dass sein Produkt noch auf dem Markt ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir bekommen auch den Anspruch des Bürgers auf Informationen über die Produktbeschaffenheit von Lebensmitteln, Futtermitteln und Bedarfsgegenständen gegenüber einer Behörde, soweit sie dort vorliegen und verbraucherschutzpolitisch relevant sind. Zu der ständigen Behauptung, dass dieser Anspruch des Bürgers ins Leere gehe, weil wegen der Wahrung der Geschäftsgeheimnisse die Auskunft nicht erteilt werden dürfe, möchte ich sagen, dass eindeutig in dem Gesetz geregelt ist, dass Rechtsverstöße nicht durch Geschäftsgeheimnisse gedeckt werden. Es wäre aberwitzig, wenn jemand, der einen Rechtsverstoß begangen hat, sich anschließend auf das Geschäftsgeheimnis berufen könnte, um das Auskunftsbegehren der Bevölkerung zu umgehen.

   Ich bin der Meinung, dass wir in den ersten gut hundert Tagen viele Probleme, die auf uns eingeströmt sind - von der WTO über die Zuckermarktordnung und das Gammel- bzw. Ekelfleisch bis hin zur Vogelgrippe und aktuellen Schweinepest -, in guter koalitionärer Zusammenarbeit bewältigt haben. Jetzt kommen wir zur Pyrenäenetappe, die sehr steinig sein wird. Im nächsten Vierteljahr wird es eine Fülle von Baustellen und Themen geben, die für die Menschen und für die Agrarwirtschaft insgesamt von großer Bedeutung sind.

   Positiv festzuhalten ist die Tatsache, dass es uns in der Koalition gelungen ist, die verschiedenen Denkschulen und Produktionsprofile in der Agrarwirtschaft zusammengeführt zu haben. Diese haben sehr lange darunter gelitten, dass sie entweder ausgegrenzt und diskriminiert oder gegeneinander ausgespielt wurden. Jetzt haben wir in wenigen Wochen einen Geist des Dialogs und der Partnerschaft geschaffen. So war es beispielsweise vor wenigen Tagen bei einem Treffen bei der Bundeskanzlerin ganz selbstverständlich, dass die Geflügelhalter konventioneller Art und die des Ökolandbaus beieinander saßen und vernünftig die Argumente ausgetauscht haben. Genau das ist der richtige Ansatz: nicht das Gegeneinander, sondern partnerschaftliche Umgangsformen angesichts der Vielfalt innerhalb der Agrarwirtschaft. Ich bin überzeugt davon, dass wir, wenn wir diesen Geist weiter pflegen, die Probleme lösen und insgesamt viel für die Agrarwirtschaft tun.

   Die Agrarwirtschaft ist für unsere Volkswirtschaft von großer Bedeutung. 12 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten in der Agrarwirtschaft. Das wird oft übersehen. In der Agrarwirtschaft sind exakt so viele Menschen beschäftigt wie im ganzen deutschen Gesundheitswesen, nämlich 4 Millionen. Diese haben eine ungeheure Bedeutung für den ländlichen Raum und für die Versorgung unserer Bevölkerung mit hochwertigen und sicheren Nahrungsmitteln. Deshalb plädiere ich weiter für diesen Geist der Partnerschaft und wende mich gegen Ausgrenzung und Diskriminierung. Die Zukunft liegt bei aller Pluralität und Vielfalt der Denkschulen letzten Endes in der Partnerschaft, weil wir dann alle miteinander gewinnen.

   Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Michael Goldmann, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP - Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Michael, enttäusche uns nicht! Sag, dass das eine gute Rede war!)

Hans-Michael Goldmann (FDP):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde aufgefordert, zu sagen, das sei eine gute Rede gewesen. Das war nicht der Fall. Es waren schöne Worte. Es waren viele sympathische Worte, die von einer durchaus sympathisch auftretenden Person herübergebracht wurden.

(Norbert Barthle (CDU/CSU): Klare Aussagen waren das!)

Wir wollen uns aber mehr an den Fakten orientieren.

(Zuruf von der SPD: Goldmann und Fakten! Zwei Welten prallen aufeinander!)

Bei einer Haushaltsdebatte hat man sich an den Fakten zu orientieren.

(Beifall bei der FDP)

   Sehr geehrter Herr Minister Seehofer, Ihnen und auch allen anderen hier im Haus wird klar sein, dass die FDP in dem Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz eine sehr klare Furche zieht. Wir sind für unternehmerische, marktorientierte Landwirtschaft. Wir sind ganz klar für Bürokratieabbau. Wir sind für Transparenz und Klarheit. Man kann sagen, dass das immer mehr bei den Menschen ankommt; denn beispielsweise bei den Wahlen in Rheinland-Pfalz haben 20 Prozent der Landwirte unsere Idee vom eigenverantwortlichen Landwirt gewählt. Darauf sind wir stolz. Diese Linie wollen wir fortsetzen und daran messen wir Ihr Tun.

(Beifall bei der FDP)

   Wie ich eben schon gesagt habe, war vieles von dem, was Sie vorgetragen haben, sympathisch und angenehm. Aber manchmal ging Ihre Rede auch an der Sache vorbei; ich will hier nicht das Wort „unehrlich“ benutzen. Sie haben mich vorhin persönlich angesprochen: Ich habe die Bereitstellung von Mitteln für nachwachsende Rohstoffe mit keinem einzigen Wort kritisiert. Ich denke, dass Sie dpa-Meldungen lesen: In dem, was da wiedergegeben wird, geht es um die Bereitstellung von Mitteln für den Ökolandbau. Die geschätzten Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU haben den Künast-Haushalt wegen der Bereitstellung von Mitteln für den Ökolandbau immer außerordentlich scharf kritisiert. Ich habe meine Verwunderung darüber zum Ausdruck gebracht, dass dieser Bereich in diesem Haushalt völlig ungeschmälert überlebt. Das ist doch ein Vorgang, zu dem ich sagen muss: Das überrascht mich.

(Beifall bei der FDP)

   Mich überrascht auch Ihre Bereitstellung von Mitteln für sonstige Aufgaben: im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, im Bereich der Konferenzen. Ich glaube, dass wir deutlich sagen müssen: Das ist nicht die notwendige Bereitstellung von Mitteln für den Bereich Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz; das sind Spielwiesen, die Sie pflegen, die den Interessen der Betroffenen vor Ort aber nicht Rechnung tragen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

   Herr Minister, Sie haben gesagt: Dort, wo Verwaltung zur Schikane wird, haben wir eine Grenze überschritten. Das hört sich toll an. Dass das richtig ist, ist völlig klar. Nur, Sie überschreiten diese Grenze doch an vielen Stellen. Sie haben sie in den ersten vier Monaten Ihrer Regierungszeit permanent überschritten. Das ist im Koalitionsvertrag angelegt. Sie wollen zum Beispiel einen Stall-TÜV. Dieser TÜV ist so überflüssig wie ein Kropf. Das Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft ist im Grunde genommen ein entsprechendes Begleitgremium. Wir sind gerade auf dem Gebiet der Umsetzung von Stalltechnik für kluge Haltungsformen absolute Spitze.

(Beifall bei der FDP)

   Sie kritisieren den Bürokratieaufwuchs in bestimmten Bereichen. Aber was machen Sie denn bei den biogenen Kraftstoffen? Gerade dort schaffen Sie eine Regelung, die wiederum zu sehr viel Bürokratie führen wird. Völlig unklar ist nämlich: Was ist die Verwendung von einem biogenen Kraftstoff durch einen Landwirt auf seiner eigenen Fläche? Wo ist die Abgrenzung? Wo sind die Nachweiskriterien?

   Sie sagen: Ich bin für Bürokratieabbau. Was machen Sie? Durch die Pauschalierung über die Erhöhung der Mehrwertsteuer schaffen Sie gerade diese unbürokratische Praxis ab. Das wird doch nicht nur von uns kritisiert, sondern sogar von Kollegen aus Ihren eigenen Reihen, die sich wegen dieses Sachverhalts an die Bundeskanzlerin gewandt haben, um hier Abhilfe einzufordern.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Koppelin?

Hans-Michael Goldmann (FDP):

Ja, bitte.

Jürgen Koppelin (FDP):

Lieber Kollege Goldmann, ist das, was Sie eben angesprochen haben, vielleicht der Grund dafür, dass, seitdem Minister Seehofer gesprochen hat, fast die gesamte Regierung fluchtartig den Saal verlassen hat?

Hans-Michael Goldmann (FDP):

Ich finde die Auseinandersetzung mit Herrn Minister Seehofer, Herr Kollege Koppelin, außerordentlich spannend. Durch sein Verhalten kann man möglicherweise das eine oder andere lernen, wenn man eine populistische Politik machen will. Wenn man sich an der Sache orientieren möchte, dann wäre es gut, wenn die Regierungsbank stärker besetzt wäre; denn dann würden die Regierungsmitglieder zwischen der Botschaft, die Herr Seehofer verbal verkündet, und seinem Tun differenzieren können. Frau Bundeskanzlerin Merkel würde dann nicht die Frage in den Raum stellen, was die Menschen über uns denken würden, wenn wir etwas anderes als das täten, was in der Koalitionsvereinbarung festgelegt ist. Man würde feststellen, dass im Koalitionsvertrag eine Eins-zu-eins-Umsetzung vereinbart ist und dass Herr Seehofer europäische Vorgaben nicht eins zu eins umsetzt.

   Herr Kollege Koppelin, Sie können sich jetzt wieder setzen, weil ich jetzt in der Sache fortfahre.

(Ulrich Kelber (SPD): Wo steht das denn in der Koalitionsvereinbarung?)

- Herr Kelber, zu Ihnen und Ihren Widersprüchlichkeiten komme ich noch.

(Ulrich Kelber (SPD): Wo steht denn das in der Koalitionsvereinbarung?)

- Das steht in Ihrer Koalitionsvereinbarung.

(Ulrich Kelber (SPD): Wo? Zitieren Sie mal!)

- Warum soll ich das? Entschuldigung, kennen Sie Ihre eigene Koalitionsvereinbarung nicht?

(Ulrich Kelber (SPD): Sie behaupten etwas und können es nicht zitieren! Das ist interessant!)

- Ich behaupte das nicht nur. Ich gehe davon aus, dass Sie Ihre eigene Koalitionsvereinbarung kennen. Darin steht, dass Sie für eine Eins-zu-eins-Umsetzung europäischer Vorgaben in nationales Recht sind.

(Peter Bleser (CDU/CSU): Steht gar nicht drin!)

   Ich will das einmal an einem Beispiel belegen, damit klar wird, worum es hier geht.

Herr Minister Seehofer, wir sind die Allerletzten,

(Heiterkeit bei der CDU/CSU - Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Nimm das wirklich nicht so wörtlich!)

die für die alten Käfige sind, aber wir sind die Allerersten, wenn es darum geht, Weichen für die Zukunft, für eine unternehmerische Landwirtschaft zu stellen. Sie setzen auch die Nutztierhaltungsverordnung im Schweinebereich nicht sachgerecht, nicht eins zu eins, um. Wissen Sie, dass das die Schweinewirtschaft eine halbe Milliarde Euro kostet? Wissen Sie, dass das jeden Durchschnittsbetrieb mit 65 000 Euro zusätzlich belastet?

(Peter Bleser (CDU/CSU): Das ist doch gar nicht wahr!)

Wissen Sie, dass das die direkteste Möglichkeit ist, um Arbeitsplätze und Unternehmen in diesem Bereich zu zerstören? Das ist unsere Kritik an Ihnen: Sie erzählen schöne Dinge, aber Sie handeln dann so, dass Arbeitsplätze vernichtet werden, dass es für die Agrarwirtschaft in Deutschland noch enger wird. Das kritisieren wir, meine ich, zu Recht.

(Beifall bei der FDP)

   Ich will das auch beim Thema Vogelgrippe ansprechen. Wir sind in den Fällen, in denen Sie eine kluge und sachgerechte Politik machen, immer auf Ihrer Seite. Aber Ihr Auftritt auf Rügen - dabei bleibe ich - war in der Sache falsch. Das haben wir kritisiert. In der Sondersitzung waren Sie übrigens keineswegs so sympathisch und freundlich, wie Sie sich heute hier dargestellt haben, sondern sehr angriffsfreudig. Es ist in der Sache geboten, sich dafür einzusetzen, dass man das Problem der Vogelgrippe in den Griff bekommt. Aber es ist in der Sache nicht geboten, Kollegen in der Form anzugreifen, wie Sie es bei der Sondersitzung getan haben.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Wir sind nicht die Verursacher des Stutenbeißens mit Ihrem Landwirtschaftsminister in Bayern; das müssen Sie dann schon mit Ihrem Kollegen vor Ort austragen.

   Herr Kelber, Sie haben vorhin etwas angesprochen. Kommen wir gleich zur Sache: Die CSU-Landesgruppe fordert: „Vorsteuerpauschale muss angepasst werden“. Sie widersprechen. Das ist das Problem, das Sie als schwache große Koalition haben:

(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin (FDP))

Der eine läuft vor und der andere pfeift zurück. Herr Seehofer erklärt, er sei auf dem besten Wege, und die Kollegin Mortler beschwert sich bei der Bundeskanzlerin darüber, dass im Grunde genommen keine Weichen für eine unternehmerische, marktorientierte Landwirtschaft gestellt werden.

(Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Das ist der Diskussionsprozess!)

   Wir stimmen in bestimmten Dingen Ihrer Zielsetzung zu, Herr Seehofer. Bei den agrarsozialen Sicherungssystemen sind Sie auf dem richtigen Weg, bei der Grünen Gentechnik auch. Aber dazu kann ich dann auch nur sagen: Fangen Sie an, die Pyrenäen zu erklimmen!

(Beifall bei der FDP)

Machen Sie nicht weiter Versuche, sondern machen Sie sich konkret daran, die vierte Novelle des Gentechnikgesetzes auf den Weg zu bringen!

   Herr Minister Seehofer, kommen Sie in der Agrarpolitik an! Beschäftigen Sie sich engagiert, wie Sie es vorhin beim Thema Cross Compliance dargelegt haben, mit der Bereitstellung von Prämien für die Fläche!

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, schauen Sie bitte auf die Uhr!

Hans-Michael Goldmann (FDP):

Beschäftigen Sie sich nicht mit der Kopfpauschale! Sie sind Agrarminister und nicht Gesundheitsminister. Wir warten auf die Beweise für Ihr Tun.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Waltraud Wolff, SPD-Fraktion.

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Goldmann, zu den Aussagen, die Sie zum Schluss zur Koalition getroffen haben

(Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP) führt ein Gespräch)

- Herr Goldmann, ich rede mit Ihnen; es wäre schön, wenn Sie zuhören würden -, kann ich nur sagen: Da spricht der Neid der Besitzlosen. Was Sie angesprochen haben, ist ein Diskussionsprozess. Wenn man zwischen Koalitionären unterschiedliche Meinungen hat, die zunächst einmal diskutiert und das öffentlich wird: Das nennt man Demokratie. Das ist eigentlich eine ganz gute Kultur. Die sollten wir beibehalten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Peter Bleser (CDU/CSU): Ein ganz normaler Vorgang ist das!)

   Sie haben von Transparenz, Verbraucherschutz und Bürokratieabbau gesprochen. Lieber Kollege Goldmann, das alles sind Themen, die wir in der Koalition auch bearbeiten.

(Otto Fricke (FDP): Lösen!)

Wenn Sie sich unseren Haushalt anschauen, dann können Sie dem eigentlich nur zustimmen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Wo denn? Wo tragen Sie zur Transparenz bei?)

   Was den Ökolandbau angeht, bitte ich Sie, meinen Ausführungen zu folgen; ich glaube, davon kann man noch ein bisschen lernen.

   Die Zeit der Haushaltsberatungen ist immer sehr spannend. Ich mache das zum achten Mal mit. Jedes Mal fehlt mir aber ein spannender Einstieg. Ich habe gedacht, dass ich heute eigentlich sagen könnte: Wir haben nichts. Wir geben nichts. - Das wäre für die Opposition die richtige Schlagzeile.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Von einer solchen Botschaft kann man wirklich lernen! Wir haben nichts! Wir können nichts! Wir geben nichts!)

Aber ich muss Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Das stimmt nicht. Ich muss Sie enttäuschen, und das im positiven Sinne. Durch den Konsolidierungsbeitrag von 200 Millionen Euro hat unser Haushalt zwar ein geringeres Volumen, aber uns sind viele Einzelheiten sehr gut gelungen.

   Die Grundlage unseres Haushaltsplans ist natürlich der Koalitionsvertrag, in dem wir festgehalten haben, dass wir die Rahmenbedingungen und die Wettbewerbssituation für die deutsche Land- und Forstwirtschaft, die Ernährungswirtschaft und den Gartenbau verbessern werden.

   Grundsätzlich will ich vorausschicken, dass wir trotz aller Sparzwänge der Entwicklung der ländlichen Räume, der Forschung, gerade im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe, und dem Verbraucherschutz unsere ganze Aufmerksamkeit widmen werden. Wir werden Schwerpunkte setzen und deren Entwicklung mit aller Kraft vorantreiben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Mit fast 3,8 Milliarden Euro ist der Bereich der landwirtschaftlichen Sozialpolitik der finanzielle Schwerpunkt unseres Einzelplans. Ich bin ganz besonders froh, Herr Minister Seehofer, und möchte mich dafür herzlich bei Ihnen bedanken, dass wir keine weiteren Einsparungen bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung vornehmen müssen. Das war meine große Befürchtung. Hier gibt es Bundeszuschüsse von 200 Millionen Euro. In den vergangenen Jahren war es immer wieder ein großes Problem, dass das Bundesministerium leider keine grundlegenden Konzepte für die landwirtschaftliche Sozialversicherung vorgelegt hat, sondern dass lediglich der Rotstift angesetzt wurde. Ich bin froh, dass wir es in diesem Haushaltsjahr geschafft haben, die Zuweisungen zu sichern.

   Trotzdem möchte ich das Dankeschön mit einer Bitte verknüpfen. Da sind Sie aber schon vorausgeeilt. Ich wünsche mir, dass wir das Ministerium an unserer Seite haben, wenn es erneut um die Reform der landwirtschaftlichen Sozialversicherung geht. Wenn wir das System für die Versicherten erhalten wollen, ist eine Reform unumgänglich. Ich bitte darum, dass wir die Unterteilung in Unfall-, Kranken- und Alterssicherung beibehalten und einheitliche Beitragsmaßstäbe für die Kranken- und Unfallversicherung in Deutschland einführen.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Bundesprogramm für tiergerechte Haltungsverfahren wird mit 3 Millionen Euro auf gleichem Niveau weitergeführt. Hier können die Landwirte, die dieses Programm nutzen, von Kontinuität ausgehen.

   Das Bundesprogramm „Ökologischer Landbau“ werden wir - das haben Sie sehr richtig gelesen, Herr Goldmann - künftig weiterhin mit 20 Millionen Euro fördern. Denn der ökologische Landbau ist eine besonders nachhaltige Form der Landbewirtschaftung und dessen Ausdehnung ist sinnvoll. Die Maßnahmen dieses Bundesprogramms setzen sowohl bei der Erzeugung als auch bei der Vermarktung an. Darüber hinaus werden Verbraucherinnen und Verbraucher über die Produkte des Ökolandbaus informiert.

   Ich meine, es kommt nicht von ungefähr, dass der inländische Umsatz von Lebensmitteln aus dem Ökolandbau auch im Jahr 2005 ein konstantes Wachstum verzeichnen konnte. Mit einem Anstieg um 15 Prozent erreichte er 4 Milliarden Euro - wirklich eine erfreuliche Entwicklung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Kommen wir zu einem in meinen Augen sehr wichtigen und zukunftsträchtigen Punkt, der aber nur im Zusammenhang mit anderen Punkten genannt werden kann. Ich meine die nachwachsenden Rohstoffe. Die dazugehörigen Stichworte sind aus meiner Sicht Forschung, Biomasse, Bioenergie und Wertschöpfung im ländlichen Raum. Wir haben uns in Deutschland durch die Beschlüsse zum EEG gut positioniert. Herr Seehofer hat schon gesagt, dass 53 Millionen Euro für diesen Bereich aus unserem Haushalt kommen. Ich möchte ergänzen: Die Masse der Zuwendungen kommt aber aus dem EEG, das wir in der letzten Legislaturperiode durchgesetzt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Wir können auch die Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien in der Zukunft noch viel besser decken, wenn wir uns politisch konsequent dahinterstellen. Länder wie Schweden haben da eine Vorreiterrolle; sie sind sehr mutig. Ich bin überzeugt, dass wir das genauso gut können. Hinzu kommt, dass unsere Technologien in diesem Bereich weltweit sehr gefragt sind. Diese Position gilt es weiter auszubauen.

   Aus diesem Grund ist hier ein Schwerpunkt auf die Forschung zu legen. Wie könnten wir das besser tun als mit dem schon in der letzten Legislaturperiode beschlossenen Biomasseforschungszentrum in Ostdeutschland? Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, es bleibt mir nicht erspart, das zu sagen: Wir haben das in der letzten Legislaturperiode beschlossen; allein an der Umsetzung hat es gefehlt.

Die große Koalition wird dies tun; wir haben die Umsetzung sozusagen auf dem Schirm.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Hans-Michael Goldmann (FDP): Was macht ihr mit Göttingen und mit Vechta?)

   Als ich vorhin von der Stärkung der Landwirtschaft geredet habe, meinte ich das Potenzial, das über die Nahrungsmittelproduktion hinaus ausgeschöpft werden muss.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Das ist richtig!)

Ich habe immer den Standpunkt vertreten, dass unsere Landwirte am Anfang der Kette zur Nutzung der nachwachsenden Rohstoffe stehen. Hier gilt es, noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten; aber auch unsere Unterstützung ist gefragt. Denn die großen Konzerne haben längst erkannt, dass man mit alternativen Energien und mit Treibstoffen richtig Geld verdienen kann.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Und jetzt wird es besteuert!)

   Aus diesem Grund liegt unser Augenmerk nicht nur darauf, dass es eine steuerfreie Verwendung von reinen Biokraftstoffen in der Landwirtschaft, in der Forstwirtschaft und bei den Lohnunternehmern geben wird, sondern wir werden im Rahmen der Neuregelung zur Besteuerung der Energieerzeugnisse auch intensiv darauf achten, dass es nicht zu Verwerfungen auf diesem jungen und noch labilen Markt kommt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Happach-Kasan?

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD):

Aber gerne.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):

Frau Kollegin Wolff, ich freue mich sehr, dass Sie hier noch einmal ausdrücklich betont haben, dass man mit biogenen Kraftstoffen Geld verdienen kann und dass sich inzwischen eine Industrie in Deutschland entwickelt hat, die aufstrebend ist und die sich die Marktführerschaft erobert hat. Dies alles ist geschehen vor dem Hintergrund des Bundestagsbeschlusses, bis zum 1. Januar 2009 die biogenen Kraftstoffe mineralölsteuerfrei zu stellen.

   Ich frage Sie aufgrund Ihres Plädoyers für die biogenen Kraftstoffe, das Sie eben gehalten haben: Warum hat die schwarz-rote Koalition beschlossen, diese Steuerbefreiung vorzeitig aufzuheben und durch einen Beimischungszwang zu ersetzen? Sie wissen doch genau, dass damit Investitionen in ihrem Wert gefährdet sind, dass das Vertrauen von Unternehmen in das politische Handeln massiv untergraben wird und dass schon jetzt absehbar ist, dass Investitionen, die in Deutschland geplant werden, nach Großbritannien und Schweden verlagert werden.

(Ulrich Kelber (SPD): Was?)

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD):

Frau Kollegin Happach-Kasan, von der Verlagerung in andere Länder ist mir überhaupt nichts bekannt.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Schlimm genug!)

   Die Beimischungspflicht birgt nicht nur ein Risiko, wie Sie sagen, sondern auch eine Chance. Wir müssen im Rahmen der Diskussion über das Energiesteuergesetz darauf achten, die Quoten gerecht festzulegen. Darauf muss man den Schwerpunkt setzen. Wenn wir es schaffen, die Steuerbefreiung für die Landwirtschaft aufrechtzuerhalten, dann sind wir insgesamt einen großen Schritt weiter gekommen. Eine Beimischungspflicht bedeutet, dass es einen gesicherten Absatz geben wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Unsere Landwirtschaft leistet mit der Erzeugung von Energiepflanzen - dieser Punkt passt sehr gut zur Zwischenfrage - den Grundstock für die CO2-Minderung in Deutschland und auch für die Erfüllung des Kiotoprotokolls. Darum sage ich: Die Produktion dieser Pflanzen kann nicht zum Nulltarif zu haben sein. Wir wissen: In vielen Bereichen der Lebensmittelproduktion diktieren andere die Preise. Ich erinnere nur an die Schleuderpreise für Milch oder für Eier und an andere Sonderangebote. Das darf uns bei den Energiepflanzen nicht passieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb ist es wichtig, an dieser Stelle im Energiesteuergesetz Schwerpunkte zu setzen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Und die Besteuerung soll den kleinen und mittleren Unternehmen helfen?)

   Änderungen, die im Haushaltsbegleitgesetz vorgenommen werden, oder auch Gesetzgebungen aus anderen Fachbereichen, die die Landwirtschaft originär betreffen, müssen wir auch in Zukunft im Blick behalten.

   Nun zu einem ganz anderen Thema. Ich weiß, dass viele Kreis- und Landesbauernverbände bereits Kolleginnen und Kollegen gebeten haben, sich im Zuge der Mehrwertsteuererhöhung für eine Erhöhung der Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft von 9 auf 12 Prozent einzusetzen. Um was geht es hier eigentlich? Die Mehrwertsteuer, die ein Unternehmer als Vorleistung für seine Produktion zu entrichten hat, nennt man Vorsteuer; sie wird später vom Finanzamt zurückerstattet.

Für die Landwirtschaft entfällt normalerweise die Aufzeichnungspflicht gegenüber dem Finanzamt. Die Landwirte können von der so genannten Vorsteuerpauschale Gebrauch machen. Zurzeit beträgt sie 9 Prozent.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Die entfällt aber nicht! Die ist pauschaliert! Das ist etwas ganz anderes! - Gegenruf des Abg. Ulrich Kelber (SPD): Die Aufzeichnungspflicht entfällt! Sie müssen zuhören!)

   Prinzipiell darf jeder Berufsstand seine Forderungen stellen, auch die Bauern. Ich erlaube mir aber an dieser Stelle, einfach einmal die Frage zu stellen, ob die Erhöhung der Pauschale die richtige Lösung ist. Ich bin zwar für Bürokratieabbau und auch für den Abbau ungerechtfertigter Härten. Aber meiner Ansicht nach muss man bei der Vorsteuerpauschale ein bisschen genauer hinschauen. Landwirte können jederzeit zur Buchführung wechseln, wenn sie unzumutbare Härten vermuten oder sich vom Fiskus ungerecht behandelt fühlen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Aktiver Beitrag zum Bürokratieabbau! So ein Quatsch! So ein Blödsinn!)

- Herr Goldmann, genau darauf will ich Ihnen gerne antworten. Wenn Sie die Vorsteuerpauschale mit Bürokratieabbau in Verbindung bringen, ist das lächerlich. Hier geht es um Steuergerechtigkeit.

(Beifall bei der SPD - Hans-Michael Goldmann (FDP): 90 Prozent der Betriebe verhalten sich also lächerlich!)

   Wir leben im Jahre 2006. Wir leben in einem Zeitalter, in dem jeder Hartz-IV-Empfänger seine Konten offen legen muss,

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Darum geht es doch gar nicht!)

in dem jeder, der Zuwendungen vom Staat erhalten will, transparent bis aufs Hemd sein muss. Ist es da wirklich zeitgemäß, dass Landwirte pauschalieren?

   Berechnungen besagen, dass eine Anhebung des Pauschalierungssatzes von 9 auf 12 Prozent für die Landwirtschaft sowie in der Forstwirtschaft von 5 auf 5,5 Prozent Mindereinnahmen von sage und schreibe 570 Millionen Euro zur Folge hätte. Ich bin der Meinung, dass wir, wenn wir über die Entwicklung der ländlichen Räume reden, Steuergelder sinnvoller und wirkungsvoller einsetzen könnten. Hier könnten wir unsere Kreativität einsetzen. Ich will es auf den Punkt bringen: Für mich bedeutet „Buchführung beim Finanzamt“, eine ordentliche Steuererklärung zu erstellen, wenn mich nicht alles täuscht.

(Beifall bei der SPD - Hans-Michael Goldmann (FDP): Ah, Volltreffer!)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe zu Beginn von der Verantwortung der Regierungskoalition in Bezug auf die Verbraucherpolitik gesprochen. Dazu wird - denn ich sehe, dass meine Redezeit dafür zu kurz ist - mein Kollege Kelber einiges sagen. Ich möchte zum Schluss auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen -

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, Sie müssen diesen Punkt aber sehr kurz halten.

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD):

- den halte ich ganz kurz -, damit mir die Opposition nicht vorwerfen kann, ich schummele mich um dieses Thema, nämlich um die GAK, herum. Wir alle wissen: In Zukunft werden wir dafür 50 Millionen Euro

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 70!)

- ja, Entschuldigung, 70 - weniger zur Verfügung haben. Dazu möchte ich sagen: Hier ist die Kreativität von Bund und Ländern gefragt. Wir müssen gemeinsam im PLANAK Mittel und Wege finden, nicht mit der Gießkanne zu arbeiten, sondern ganz gezielt Fördermaßnahmen vorzunehmen.

   Wir haben einen Haushaltsplan vorgelegt, der es lohnt diskutiert und dann auch mit Mehrheit beschlossen zu werden.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat Dr. Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Um es gleich vorwegzusagen: Wir glauben, dass mit diesem Agrarhaushalt die Probleme im ländlichen Raum nicht nur nicht gelöst, sondern sich weiter zuspitzen werden.

(Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Machen Sie mal Vorschläge!)

   Aber gestatten Sie mir zunächst eine grundsätzliche Bemerkung. Der nun auch von der Bundesbank bestätigte wesentliche kausale Zusammenhang zwischen fehlenden Einnahmen und dem Staatsdefizit bringt uns in eine prekäre Situation: Die politischen Gestaltungsmöglichkeiten werden immer kleiner. Stattdessen verwalten wir selbstverschuldeten Mangel. Das trägt zu Politikverdrossenheit und Wahlverweigerung bei und beschädigt die Demokratie.

(Beifall bei der LINKEN)

   Der erneut reduzierte Bundesagrarhaushalt spitzt die Probleme im ländlichen Raum weiter zu, selbst wenn man berücksichtigt, dass Bundesmittel nicht die einzige Finanzierungsquelle sind. Uns allen wurde die Aufgabe gestellt, mit nunmehr 5 Milliarden Euro zu politischen Rahmenbedingungen beizutragen, die dem ländlichen Raum und der Landwirtschaft eine wirkliche Zukunftschance eröffnen. Da ist selbst mit einer Prioritätensetzung nicht viel zu stemmen. Umso mehr kommt es aus unserer Sicht darauf an, wirtschaftliche, ökologische

(Unruhe)

- könnte ich um ein bisschen Ruhe bitten - und soziale Interessen nicht gegeneinander auszuspielen, sondern zusammenzudenken.

   Doch die gegenläufige Tendenz ist der Fall. Immer mehr ländliche Räume werden zu sozialen Brennpunkten. Ein expandierender Niedriglohnsektor und Hartz IV führen dazu, dass nicht nur Langzeitarbeitslose, sondern auch Einzelhändler, Dienstleister und ihre Angestellten ihre Existenz nicht mehr bestreiten können. Gleichzeitig werden Umwelt- und Naturschutz zunehmend als wirtschaftsfeindlich oder gegen die Interessen der Menschen gerichtet dargestellt. Angesichts dieser Probleme wird dringender denn je ein zukunftsfähiges agrarpolitisches Konzept gebraucht.

(Beifall bei der LINKEN)

   Im Zentrum unserer konzeptionellen Gedanken steht, dass eine sozialökologische Umgestaltung der Gesellschaft zwingender denn je ist und dass die ländlichen Räume mit ihrer Agrarwirtschaft dabei eine zentrale Funktion haben. Sie müssen als soziale und nicht nur als wirtschaftliche Räume politisch gestaltet werden, und zwar so, dass auch künftige Generationen dort leben können. Das heißt, sowohl natürliche Ressourcen zu schonen als auch existenzsichernde Arbeitsplätze zu erhalten oder zu schaffen - nicht nur in der Landwirtschaft. Das ist zugegebenermaßen gelegentlich ein Spannungsfeld, das sich aber mit gutem Willen und klugen Ideen durchaus auflösen lässt und das aufgelöst werden muss, wollen wir nicht die zunehmende Verarmung und Vergreisung in den ländlichen Räumen tatenlos hinnehmen.

   Das heißt agrarkonzeptionell gedacht: Erstens. Wir brauchen existenzsichernde Arbeitsplätze auch in der Landwirtschaft. Die Tendenz zu diskontinuierlicher, saisonaler Beschäftigung und Niedriglohn hat gerade im ländlichen Raum dramatische Folgen. Wir wollen keine Tagelöhner.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schirmbeck?

Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE):

Selbstverständlich.

Georg Schirmbeck (CDU/CSU):

Frau Kollegin, um Ihnen die Chance zu geben, uns aufzuzeigen, was man im Einzelnen tun könnte, hätte ich folgenden Hinweis für Sie: Die Kollegen Holzenkamp und Kues und ich kommen aus einer Region mit intensiv betriebener Landwirtschaft. Schauen Sie sich einmal die Schweine- und die Hühnerhaltung in diesen Regionen an, auch die Ernährungswirtschaft und die dort ausgewiesenen FFH-Gebiete und vergleichen Sie dies mit dem Bundesdurchschnitt! Dann werden Sie zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Tagelöhner, von denen Sie gesprochen haben, immerhin dazu geführt haben, dass die Arbeitslosenquote bei uns um 6 Prozent beträgt. Zeigen Sie mir einmal andere Räume in Deutschland, wo die Entwicklung so positiv verläuft, und sagen Sie mir einmal, was Sie in diesen Räumen umgestalten wollen, wenn man die Politik umsetzen würde, die zu skizzieren Sie uns eigentlich schuldig bleiben. Sagen Sie uns einmal, was wir dann zu erwarten haben!

Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE):

Mir ging es um die Tagelöhner, denen für die Arbeit 2,50 Euro pro Stunde gezahlt werden und die auch nur zeitweise arbeiten können. Ich glaube, es ist unser gemeinsames Anliegen, die saisonale und diskontinuierlich anfallende Arbeit in der Landwirtschaft in eine ganzjährige Beschäftigung zu überführen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))

Sie haben selber einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht. Das muss unser Ansatz sein. Diskontinuierliche und saisonale Arbeit kann nicht unsere Zukunft sein. - Aber recht schönen Dank für Ihre Nachfrage.

   Ich fahre fort und zähle jetzt einige Punkte auf, die auch Antworten auf Ihre Frage sind.

   Zweitens. Als traditioneller Kern der ländlichen Wirtschaft muss flächendeckende Land- und Forstbewirtschaftung mit vielfältigen Betriebsstrukturen und Eigentumsformen gesichert werden.

   Drittens. Regionale Wirtschaftskreisläufe können ein stabilisierender Faktor für die regionalen Arbeitsmärkte sein.

   Viertens. Wir wollen eine multifunktionale Landwirtschaft, die sich neue Erwerbsfelder erschließt, ob regenerative Energien, nachwachsende Rohstoffe oder Tourismus.

   Fünftens. Die Agrarwirtschaft muss umweltgerecht und verbraucherorientiert sein. Das spricht zum Beispiel gegen eine Anwendung der Grünen Gentechnik, aber für eine tierschutzgerechte Nutztierhaltung.

(Beifall bei der LINKEN)

   Sechstens. Die Pflege und ökologisch sinnvolle Gestaltung der Kulturlandschaft durch die Landwirte muss als gesellschaftlich gewollte Arbeitsleistung entlohnt werden.

(Katja Kipping (DIE LINKE): Ganz wichtig!)

   Messen wir also den vorliegenden Agrarhaushalt an diesen Herausforderungen. Ich fange einmal mit dem Positiven an. Die Bundeszuschüsse für das agrarsoziale System sollen nicht gekürzt werden. Das ist ein richtiger und mutiger Schritt; denn immerhin - das ist bereits gesagt worden - macht dieser Etat 75 Prozent des Gesamthaushalts aus. Da sind Begehrlichkeiten vorprogrammiert. XXXXX

Es ist dringend erforderlich, diese Begehrlichkeiten angesichts der meist geringen Verdienste in der Landwirtschaft abzuwehren. Weitere Beitragserhöhungen wären von vielen nicht mehr zu verkraften. Der letzte Agrarbericht gab selbst für das Spitzenjahr 2004/05 einen Durchschnittsgewinn plus Personalaufwand von nur rund 23 000 Euro je Arbeitskraft an. Als Landwirt wird man im Laufe des Lebens vermutlich reich, aber nur an Erfahrung.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

   Die bloße Fortschreibung der Bundeszuschüsse ist kein zukunftsfähiges Konzept. Die dafür notwendigen Überlegungen müssen unter Einbeziehung der Betroffenen angestellt werden und die Lösungen solidarisch und sozial gerecht sein.

(Beifall bei der LINKEN)

   Ich fahre mit einem weiteren positiven Aspekt - viel mehr gibt es nicht - fort. Das Budget für Verbraucherpolitik im Bundeshaushalt lässt erkennen, dass die Lebensmittelskandale der vergangenen Monate nicht ganz spurlos geblieben sind. Die tatsächliche Lage in diesem Bereich wird aber leider nicht stabilisiert; denn auf Länderebene wurden die finanziellen Mittel für die Verbraucherzentralen zum Teil drastisch gekürzt. Das gilt vor allen Dingen für die ärmeren Bundesländer. Dort leben aber meistens auch die ärmeren Menschen. Für sie sind die immer weiteren Wege zu den Beratungsstellen kaum mehr überbrückbar - und das in einer Situation, in der die Herausforderungen an die mündige Verbraucherschaft immer größer werden. Das heißt, Arme werden noch rechtloser und damit noch ärmer.

   Schauen wir uns als nächstes den Etat für die Gemeinschaftsaufgabe an. Der Situationsbericht 2006 des Deutschen Bauernverbandes stand unter dem Motto „2005 nur noch 685 Millionen Euro“. Jetzt verhandeln wir über gerade einmal 615 Millionen Euro. Das sind 70 Millionen bzw. circa 10 Prozent weniger.

   Das ist nicht alles. Auch die EU-Mittel für den ländlichen Raum, die so genannte zweite Säule, werden drastisch, nämlich um durchschnittlich 40 Prozent, gekürzt, obwohl sie schon ungekürzt alles andere als ausreichend waren.

   Um die Liste des Raubbaus an finanziellen Mitteln für die ländliche Strukturpolitik zu vervollständigen: Der Bund kofinanziert mit Mitteln aus der Gemeinschaftsaufgabe Landesmittel. Also gehen auch diese verloren. Hinzu kommt, infolge der ebenfalls bundespolitisch verursachten Haushaltsnotstände, der zunehmende Ausfall der öffentlichen Hand bei Investitionen in den ländlichen Gemeinden.

   Fazit: Die ländlichen Räume sind die großen Verlierer der aktuellen Politik, und zwar in Ost und in West.

(Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Fazit: Steuern rauf, Wirtschaft kaputt - oder was?)

Diese Misere wird durch die neuen Ideen zur Besteuerung der biogenen Kraftstoffe - sie wurden schon genannt - verstärkt. Dadurch droht eine Vernichtung der umfangreichen Investitionen, gerade der dezentralen Ölmühlen. Eine neu erschlossene Wertschöpfungsquelle im ländlichen Raum wird damit versiegelt. Das kommt dabei heraus, wenn man die Agrarstrukturpolitik vom Finanzminister machen lässt. Das ist zumindest politisch unklug.

(Beifall bei der LINKEN)

   Zum Schluss will ich ein Thema ansprechen, weil auf diesem Gebiet seit Jahren Handlungsbedarf vorhanden ist, der zwar offensichtlich, aber unbeachtet geblieben ist. Tierseuchen und Zoonosen sind seit Jahren im zunehmenden Maße medial gefühlte oder tatsächliche Bedrohungen für Menschen und Nutztiere. Leider muss aber oft erst der Ernstfall eintreten, bevor die Politik sie als Risiko wirklich wahrnimmt. Die Ereignisse um die Vogelgrippe in den vergangenen Wochen haben eines bewiesen: Der Bundesrepublik fehlen Ressourcen in der veterinärepidemiologischen Forschung.

(Beifall bei der LINKEN)

Auf diesem Gebiet sind wir bestenfalls ein Entwicklungsland.

   Einige Nachbarländer haben spätestens nach den brennenden Kadaverbergen des MKS-Seuchenzugs in Großbritannien reagiert und die Veterinärepidemiologie gestärkt.

(Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Das ist doch Quatsch! Mein Gott, wo kommen Sie her?)

In der Bundesrepublik wurden als Schlussfolgerung aus der BSE-Krise zwar zwei große neue Bundesinstitute geschaffen, an der Veterinärepidemiologie ging dieses Füllhorn aber vorbei.

   Gestern teilte mir Minister Seehofer per Antwortbrief mit, dass er an den Umzugsplänen für das Institut für Epidemiologie des Friedrich-Loeffler-Instituts in Wusterhausen festhalten will. Seine Begründung: Synergieeffekte. Das ist die Begründung seiner Vorgängerin. Der Umzug an einen wenig geeigneten Standort ist aber nach BSE, MKS, Schweine- und Geflügelpest falscher als 1996.

(Beifall bei der LINKEN)

   Damit würde mittel- und erst recht langfristig die Arbeitsfähigkeit der einzigen ausschließlich veterinärepidemiologisch arbeitenden Einrichtung in der Bundesrepublik gefährdet und damit die wissenschaftliche Beratung des Bundesministeriums bei diesen Themen. Eine vernünftige Ausgabenpolitik sieht, denke ich, anders aus.

(Beifall bei der LINKEN)

   Die richtige Schlussfolgerung aus den Ereignissen der vergangenen Wochen wäre die Aufarbeitung der offensichtlichen Defizite, statt die Fehler der Vorgänger fortzusetzen. Nicht das Festhalten am Umzug, sondern die Stärkung dieses Instituts wäre das Gebot der Stunde, übrigens auch unter strukturpolitischen Gesichtspunkten. Es geht hier um die letzten Arbeitsplätze in der Wissenschaft in einer Region mit 20 Prozent Arbeitslosigkeit und um einen der größten lokalen Arbeitgeber.

   Es geht aber nicht nur um den Standort. Die Diskrepanz zwischen den notwendigen und den personell tatsächlich verfügbaren Ressourcen wird in diesem Ressortforschungsbereich immer größer.

   Das Gleiche gilt in der Bundesforschung für die Forschung zu wildbiologischen Fragen. Diese Defizite sind zwar bei der aviären Influenza offensichtlich geworden, sie sind aber für andere Wildtierinfektionen wie Tollwut, Wildschweinepest und Kleiner Fuchsbandwurm ebenso gültig. Angesichts dieser Situation klingen die gestrigen vollmundigen Bekenntnisse der Koalition zur Forschung nur bedingt glaubwürdig.

   Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.

(Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Jetzt eine Steigerung, Frau Höfken! Ich traue Ihnen viel zu! - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wobei die Latte nicht sehr hoch gelegt ist!)

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Jetzt werde hier mal nicht fies.

   Wenn man den Nebel einmal beiseite schiebt, der von der großen Koalition verbreitet wird,

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Ich kann hier klar sehen!)

dann muss man sagen: Mit der schwarz-roten Regierung und CSU-Minister Seehofer findet ein nie da gewesener Kahlschlag für die ländlichen Räume statt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Herr Seehofer steht als Kaiser ohne Kleider da, bejubelt vom Hofstaat. Denn gleich in den ersten hundert Amtstagen beschloss die schwarz-rote Regierung zwar großzügig die Aufstockung der deutschen Zahlungen an Brüssel um immerhin 2 Milliarden Euro pro Jahr, verzichtete dabei aber ebenso großmütig auf rund 400 Millionen Euro an Fördermitteln aus der EU für die deutschen ländlichen Räume. Ob aus Ignoranz oder Naivität, das bleibt Spekulation. Tatsache ist: Während Luxemburg, Österreich, Italien und andere mit erheblichen Aufstockungen nach Hause gehen konnten, fehlen ab jetzt vor allem in den westdeutschen Bundesländern etwa 45 Prozent der bisherigen Finanzmittel.

(Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So viel!)

Mit den Kofinanzierungsmitteln summiert sich das Ganze auf Defizite von über 700 Millionen Euro pro Jahr. Seehofer und andere rechtfertigen dieses Desaster damit, dass man so die Direktzahlungen gesichert habe. Da haben die Hühner endlich wieder einmal etwas zum Lachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Na ja! Na ja! - Hans-Michael Goldmann (FDP): Ui!)

   Im Dezember hat Frau Merkel noch von Kompensationen geredet, aber wenn man sich den Haushalt ansieht, findet man davon nichts. Im Gegenteil: minus 200 Millionen Euro zusätzlich im nationalen Haushalt, davon eine Kürzung in Höhe von 70 Millionen Euro für die deutsche Gemeinschaftsaufgabe - und das trotz des guten Mittelabflusses in den Ländern und trotz guter Investitionswirkung dieser Maßnahmen.

   Was hatten CDU und CSU nicht alles versprochen? Wenn man sich die alten Haushaltsreden durchliest, dann sieht man: Die Steuern für Agrardiesel sollten auf das gleiche Niveau wie in Frankreich gebracht und die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit sollten abgesenkt werden.

(Peter Bleser (CDU/CSU): Sie haben die Kasse geplündert! Es ist nichts mehr da!)

Man sieht, all das waren Rattenfängereien im Wahlkampf. Das kann man jetzt erkennen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der von Schwarz-Rot vorgelegte Haushalt zeigt deutlich, dass Landwirtschaft, Forsten, die ländliche Entwicklung und der Verbraucherschutz die Verlierer dieser Politik sind.

   Es gibt natürlich ein paar Bonbons: Der Haushalt für die Verbraucherzentralen wurde nicht angetastet, das Bundesprogramm „Ökologischer Landbau“ besteht weiter und die agrarsoziale Sicherung ist gesichert. Das ist okay. Aber ganz klar ist auch: Im Gesamten betrachtet kann man das nur als einen Kahlschlag begreifen.

(Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Das kannst du eigentlich nur gut finden!)

   Was dieser Haushalt übrigens auch nicht zeigt, das sind Wahrheit und Klarheit. Es gibt einen Schattenhaushalt, eine globale Minderausgabe von über 100 Millionen Euro,

(Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Das haben wir von euch gelernt!)

was ihr bei viel geringeren Summen heftig kritisiert habt. Es gibt keinerlei Transparenz über die Mittelverwendung, es gibt spekulative Einnahmen usw. Das zeigt auch, dass die große Koalition die Rechte des Parlaments komplett ignoriert. Darüber werden wir in den Beratungen noch reden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Frau Künast als Ministerin

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer ist das?)

und Rot-Grün hatten umgesteuert, Wertschöpfung geschaffen, Arbeitsplätze in der Qualitätserzeugung bei den erneuerbaren Energien geschaffen, die Umweltleistungen und besseren Verbraucherschutz in der Landwirtschaft honoriert, erfolgreiche Programme für die Regionalentwicklung und bessere Kinderernährung aufgelegt, Rapsanbau für Biokraftstoffe unterstützt, Bioprodukte, regionale Spezialitäten, tiergerechte Erzeugung, Naturschutz und Gewässerpflege gefördert. Hier gibt es - das sieht man jetzt - eine enorme Entwicklung gerade für den Mittelstand, in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum. Zehntausenden von neu geschaffenen Arbeitsplätzen wird jetzt die Unterstützung entzogen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es ist schon angesprochen worden: Durch die Mehrwertsteuererhöhung und die Vorsteuerpauschale gerät die Lebensmittelwirtschaft weiter unter Druck und bekommt große Absatzprobleme. Aus Erfahrung wissen wir, dass die Leute hier am meisten sparen, wenn man ihnen Geld wegnimmt.

(Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Sie haben es gar nicht verstanden!)

Hinzu kommt die Besteuerung der Biokraftstoffe. Die geplanten Zwangsbeimischungen machen den Bauern den Markt kaputt

(Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die machen die ganze Landwirtschaft kaputt!)

und entwerten die getätigten Investitionen.

(Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP))

Durch die Hintertür kommt es auch noch zu einer kräftigen Erhöhung der Kraftstoffpreise.

   Statt den Mittelstand und die Bauern zu stärken, werden die Weichen ganz radikal in Richtung Industrialisierung gestellt. Die Agrogentechnik soll mit den Produkten von Bayer und Monsanto gegen alle Widerstände von Bauern und Verbrauchern durchgedrückt werden. Die gewerblich-industrielle Geflügelwirtschaft darf ihre tierquälerische Käfighaltung und damit ihren Dumpingwettbewerb gegenüber der tiergerechten Produktion fortsetzen.

(Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Oh! Jawohl!)

Der Raps stürzt im Preis ab und fließt in den Profit der Mineralölkonzerne. Die Tabaklobby feiert fröhliche Urständ und darf weiterhin für Produkte werben, die unserer Gesellschaft enorme Probleme bereiten und hohe Kosten verursachen. Es handelt sich um 140 000 Tote, 3 300 davon durch Passivrauchen, und Kosten in Höhe von 17 Milliarden Euro pro Jahr.

   Herr Seehofer, hier sehen Sie als ehemaliger Gesundheitsminister wohl keinen Handlungsbedarf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Peter Bleser (CDU/CSU): Frau Künast hat doch gegen die Tabakrichtlinie geklagt!)

Dabei könnte man an dieser Stelle wirklich Haushaltskonsolidierung betreiben, indem man diese gesundheitsschädlichen Produkte angemessen besteuert

(Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Frau Höfken, Sie heucheln!)

- ich kritisiere ja auch die eigenen früheren Beschlüsse -, statt die blödsinnigen Steuerhinterziehungsaktivitäten der Tabakindustrie noch tatsächlich zu verlängern.

(Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Sie heucheln wirklich!)

Durch die Feinschnittausnahme, die so genannten Sticks, und die vor kurzem eingeführten Volumentabake entgehen dem Staat pro Jahr Einnahmen von mindestens 2 Milliarden Euro. Hätte man dem Finanzminister diesen Weg vorschlagen, wären dadurch alle Kürzungen im Einzelplan 10 völlig überflüssig geworden.

(Beifall des Abg. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Hinzu kommt, dass 7 Milliarden Euro für die Schwerpunkte Forschung und Innovationen zur Verfügung standen. Was haben Sie in diesem Bereich eigentlich gemacht? Wieso hat das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hier keinen Bedarf angemeldet? Ich nenne nur die Stichworte Tierseuchen, Biomasse, Verbraucherschutz, Ökoproduktion, Pflanzenschutz und Tierzucht. Besteht hier etwa kein Bedarf? Das ist wohl komplett an Ihnen vorbeigegangen. Wie ist das zu begründen?

   Betreiben Sie beim Flugbenzin einen vernünftigen Subventionsabbau, sorgen Sie für eine gerechtere Verteilung der Agrarfördermittel -

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin.

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

- ich komme zum Schluss - und schaffen Sie Transparenz bei der Verwendung der Mittel!

   Mit Ihrer Politik werden zukunftsfähige Entwicklungen blockiert,

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Sie blockieren doch selber!)

die wir angesichts der WTO-Verhandlungen und der notwendigen Reformen machen müssen. Mein Fazit zu den neuen Kleidern des Ministers, der Kanzlerin und der schwarz-roten Koalition lautet - das ist die nackte Wahrheit -: keine Unterstützung und keine Perspektive für die Landwirtschaft, für den Verbraucherschutz und für die ländlichen Räume.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Fürchtet euch nicht! - Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Du musst dich wirklich schämen!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Peter Bleser, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Peter Bleser (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die neue Bundesregierung ist jetzt 129 Tage im Amt.

(Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und macht uns so viele Sorgen!)

Eine Bewährungsprobe nach der anderen war zu bestehen.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh, oh!)

   Gleich nach seiner Vereidigung musste Minister Seehofer nach Brüssel reisen, um die fast fertig verhandelte Zuckermarktordnung noch in eine verträgliche Form zu bringen,

(Beifall bei der CDU/CSU)

mit dem Ergebnis, dass wir in der Zuckerwirtschaft 50 000 Arbeitsplätze gesichert haben.

(Georg Schirmbeck (CDU/CSU): So ist das!)

   Kurz danach kamen die Gammelfleischskandale ans Licht. Hier wurde zusammen mit den Ländern binnen weniger Tage ein Zehnpunkteprogramm erarbeitet, um solche Machenschaften in Zukunft wirksam bekämpfen zu können.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Und was ist dabei herumgekommen?)

   Nur wenige Wochen später war auf der Insel Rügen das erste Tier mit dem H5N1-Virus befallen. Damit hatte eine aus Asien kommende furchtbare Tierseuche, die unsere Nutztierbestände und letztlich auch die Menschen bedroht, auch Deutschland erreicht.

   Die konsequente und rigorose Bekämpfung dieser Tierseuche hat dazu geführt, dass bisher keine Nutztierbestände befallen sind und sich auch noch kein Mensch mit diesem Virus infiziert hat. Deswegen ist auch in Zukunft am Worst-Case-Prinzip festzuhalten,

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Jawohl!)

um zu verhindern, dass sich diese Tierseuche bei uns weiter ausbreitet.

   Warum nenne ich gerade diese drei Vorfälle? Ich nenne sie, weil die Art und Weise, wie wir mit diesen Problemen umgegangen sind, eine neue politische Verhaltensweise sichtbar macht, die einen fundamentalen Wechsel der Agrarpolitik in Deutschland darstellt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Richtig, zum Schlechten!)

Nicht im bockigen Alleingang und von einer einseitigen Ideologie geprägt, wie dies bei Frau Künast der Fall war,

(Beifall bei der CDU/CSU)

sondern unter Einbindung der Betroffenen

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Den Biobauern?)

und der Länder wird jetzt Politik gemacht. Kooperation statt Konfrontation, so lautet das Motto. Das ist die Marschrichtung, die wir eingeschlagen haben. Mit einer solchen Politik helfen wir den Menschen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das merkt man!)

   Mit unserem Vorgehen haben wir aber auch Folgendes erreicht: Die Verbraucher sehen, dass ihre Regierung, wenn es um gesundheitlichen Verbraucherschutz und die Sicherung höchster Qualitätsansprüche geht, kompromisslos ist. Ein solider und wissenschaftlich begründeter Verbraucherschutz schafft Vertrauen in unsere Lebensmittel und damit letztlich auch in unsere Politik.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das sehen wir beim Verbraucherinformationsgesetz!)

   Das hat übrigens ganz konkrete Auswirkungen. Hat sich schon jemand gefragt, warum es in den südlichen Ländern wie Frankreich, Italien oder Griechenland bei Geflügelfleisch einen dramatisch hohen Absatzeinbruch gab, während der Absatzeinbruch in Deutschland - Gott sei Dank - weit unter 25 Prozent geblieben ist?

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Das ist die Strategie der Wirtschaft!)

Das ist eine konkrete Auswirkung unseres Verhaltens bei der Bewältigung dieser Krise. Die Menschen trauen uns. Herr Goldmann, leider haben Sie dazu keinen großen Beitrag geleistet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Ulrich Kelber (SPD): Jetzt können wir auch klatschen! - Hans-Michael Goldmann (FDP): Wir sind ganz konsequent beim Schutz der Verbraucher vorgegangen!)

   Mit unserer neuen Politik - Kooperation statt Konfrontation, Schaffung von Vertrauen in den Verbraucherschutz, Vertretung deutscher Interessen in der Europäischen Union und in anderen Gremien - haben wir dazu beigetragen, dass die ersehnte Bauernbefreiung stattgefunden hat.

(Beifall bei der CDU/CSU - Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bauernbefreiung? Das sagt genau der Richtige! Sie fühlen sich auch schon richtig befreit!)

Die 4,3 Millionen Beschäftigten in der Agrarbranche können wieder Hoffnung und Zuversicht schöpfen. Das ist sogar messbar. Das Agrarkonjunkturbarometer ist im September sofort steil nach oben geschnellt. Der Anstieg ist bisher ungebrochen. Damit wird sichtbar, dass die Menschen wieder an die Politik glauben

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei diesem Haushalt nicht mehr!)

und dieser Koalition zutrauen, mehr Beschäftigung zu schaffen,

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Peter, das ist doch nicht dein Ernst!)

was Voraussetzung dafür ist, dass es wieder mehr Familien mit Kindern gibt. Das sind zwei zentrale Ziele dieser Koalition. Diese müssen wir auch im Agrarbereich verfolgen und wir müssen mithelfen, sie zu erreichen.

   Meine Damen und Herren, das ist das Ergebnis harter Arbeit der Regierung, aber auch - das sage ich ganz ohne Eigenlob - der Koalitionsfraktionen und der Arbeitsgruppen. Dabei hatten beide Koalitionspartner bei den verschiedenen Themen unterschiedlich lange Wege zurückzulegen. Das ist uns bisher immer gelungen, zumal die Atmosphäre immer menschlich und angenehm war.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Was habt ihr denn bis jetzt erreicht?)

   Frau Wolff, zu Ihrer Einlassung zur Mehrwertsteuererhöhung. Das ist natürlich nicht Konsens in der Koalition.

(Ulrich Kelber (SPD): Doch!)

Natürlich muss der Finanzminister seine Einnahmen ermitteln und erwirtschaften, gerade auch mithilfe der Umsatzsteuer. Ich denke, das kann man auf verschiedene Art und Weise tun. Hier müssen wir uns verständigen. Ich bin sicher, dass die Argumente letztlich greifen, indem wir uns in der Koalition auf Bürokratieabbau einigen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Hans-Michael Goldmann (FDP): Warum habt ihr das im Haushaltsbegleitgesetz nicht gemacht?)

   Neben den bisher umgesetzten EU-Vorhaben in nationale Gesetze - ich nenne das Gentechnikgesetz, das Pflanzenschutzgesetz und die Zuckermarktordnung; diese Gesetze waren überfällig - sind noch andere wesentliche Dinge anhängig, die zu regeln sind. Dazu gehört die Tierhaltungsverordnung. Ich kann dazu nur so viel sagen, weil in den nächsten Tagen die Entscheidungen hierzu fallen: Die Vorschläge des Bundesrates weisen in die richtige Richtung. Ich denke, dass wir auf dem Sektor einen Konsens finden, der dazu führt, unter Achtung des Tierschutzes - das ist der entscheidende Punkt - 30 000 Arbeitsplätze zu sichern und 1 Milliarde Euro an Investitionen freizugeben. Hier blockt alles.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Baden-Württemberg und Bayern blockieren!)

Wir müssen in den nächsten Wochen dafür sorgen, dass auch dort eine Planungssicherheit entsteht, die ein Wirtschaften und die Sicherung von Arbeitsplätzen in diesem Bereich ermöglicht.

   Das Gleiche gilt auch für die Schweinehaltungsverordnung. Auch hier müssen wir die Planungsrahmen so setzen, dass investiert werden kann, um Marktanteile zu sichern. Ich sage es ganz bewusst: Dort werden keine Subventionen gezahlt, dort gibt es die Wettbewerbsfähigkeit. Es muss das Ziel dieser Koalition sein, diese Politik in den nächsten Monaten - das muss sehr schnell gehen - fortzusetzen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege.

Peter Bleser (CDU/CSU):

Ich weiß, die Redezeit ist leider beschränkt worden.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nicht von der Präsidentin.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Peter Bleser (CDU/CSU):

Es ist ganz wichtig, dass wir den Menschen die Zuversicht vermitteln, dass sie mit der jetzigen Koalition, mit dem Minister und der ministerialen Führung Ansprechpartner haben, die ihre Probleme nicht nur verstehen, sondern die ihnen auch helfen, eine Perspektive für die Zukunft aufzubauen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Jürgen Koppelin, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Hau rein, Jürgen!)

Jürgen Koppelin (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss schon sagen, dass die Berufung von Minister Seehofer zumindest für uns eine Überraschung war;

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Seehofer ist halt immer für Überraschungen gut! Das ist nichts Schlimmes!)

denn daran führt ja kein Weg vorbei: Minister Seehofer hat ein bestimmtes Image, auch in seiner eigenen Fraktion. Er trat als Vize der Fraktion zurück und verzog sich schmollend nach Bayern. Das Interessante war allerdings, dass er das Fenster weit öffnete, um den Ruf als Minister zu hören - er bot sich in den Zeitungen auch selbst als Minister an -, als die Bundestagswahl gelaufen und eine große Koalition in Sicht war. Gut, vielleicht wollte er seine Erfahrungen, die er mit Frau Schmidt bei der Gesundheitsreform gemacht hat, einbringen. Zum Leidwesen unserer Bürger hatten wir ja damals schon die große Koalition.

   Herr Minister Seehofer, Sie haben heute Ihren Etat vorgestellt. Ich fand es übrigens erfreulich, dass Sie auch auf einzelne Positionen eingegangen sind. Auch ich werde das gleich tun. Sie müssen sich aber fragen lassen, warum Sie sich nicht bemüht haben, das umzusetzen, was Ihre Fraktionskolleginnen, die Kollegin Aigner und die Kollegin Hasselfeldt, in der Oppositionszeit hier gesagt haben. Nicht ein Stück davon haben Sie umgesetzt.

(Beifall bei der FDP - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht, Herr Kollege!)

- Ich habe die Reden übrigens da. Du kannst es nachlesen. Der Zuruf war also überflüssig.

(Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Damals war es die Opposition, jetzt ist es die Koalition!)

   Fangen wir einmal an. 200 Millionen Euro sollen als globale Minderausgabe gespart werden. Sie haben uns zwar nicht gesagt, wo Sie sparen wollen, aber Sie haben schon gesagt - das ist richtig; Kollege Goldmann hat darauf hingewiesen -, dass wir bei den agrarsozialen Versicherungssystemen einen Umbau vornehmen müssen. Das ist richtig, keine Frage. Ich habe allerdings die große Sorge - das sage ich auch in Richtung unserer Landwirte -, dass das solch vermurkste Konzepte sind wie die, die Sie gemeinsam mit Frau Schmidt beschlossen und uns hier vorgetragen haben. Den Murks, den Sie mit Frau Schmidt damals beschlossen haben, dürfen Sie unseren Landwirten nicht zumuten.

(Beifall bei der FDP)

   Der zweite Bereich ist der Ökolandbau; er ist hier angesprochen worden. Herr Minister, ich wundere mich schon, dass Sie diese Position im Haushalt gelassen haben. Die Kollegin Wolff hat das hier noch einmal glorreich dargestellt. Der Etat für den Ökolandbau beträgt 20 Millionen Euro. Herr Minister, haben Sie denn vergessen, was der Bundesrechnungshof zu dieser Position gesagt hat? Ich zitiere:

Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ... hat aus dem Bundesprogramm Ökologischer Landbau ... in weitem Umfang Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit finanziert, um die politische Grundausrichtung der Bundesregierung darzustellen. Damit hat es gegen Haushaltsrecht verstoßen.

Das haben wir in der Oppositionszeit - auch Ihre Fraktionskollegen - hier mehrfach kritisiert.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das war aber die Frau Künast!)

   Was tun Sie? Sie belassen die Position in genau der gleichen Höhe im Haushalt. Beim ersten Berichterstattergespräch - Sie konnten nicht dabei sein; ich glaube, Sie waren zum Starkbieranstich in München - habe ich danach gefragt und Ihr Ministerium war nicht in der Lage, auch nur ein einziges Konzept vorzulegen.

(Beifall bei der FDP)

Ich muss vermuten, dass es genauso weitergeht wie bisher. Eventuell wollen Sie diese Position ja auch als Spardose nutzen.

   Für das Bundesprogramm „Tiergerechte Haltungsverfahren“ stellen Sie 3 Millionen Euro zur Verfügung. Sie wissen doch ganz genau - ein Blick in den Haushalt und auf die Ist-Zahlen zeigt das -, dass das Geld nie abgerufen worden ist.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Eben!)

Bei Frau Künast war das früher aufgebläht bis zum Gehtnichtmehr. Es ist nie abgerufen worden. Nicht einmal 1 Million ist abgerufen worden. Warum lassen Sie das Geld weiterhin drin?

(Beifall bei der FDP)

   Für die Förderung von Modell- und Demonstrationsvorhaben stehen 9 Millionen zur Verfügung. Kein Konzept steht dahinter. Ihr Ministerium ist nicht in der Lage, uns ein Konzept bzw. einen Plan vorzulegen, aus dem hervorgeht, was Sie damit tun wollen.

   Ein weiterer Bereich. Sie lassen ein Gutachten erstellen, nämlich eine neue nationale Verzehrserhebung. 5 Millionen Euro stehen dafür zur Verfügung. Wir nehmen 38 Milliarden Euro an neuen Schulden auf und Sie führen solche Programme durch, die nichts bringen. Das Ergebnis, das bei einer nationalen Verzehrserhebung für 5 Millionen Euro herauskommen wird, kann ich - meine Kollegen in der Fraktion sicher auch - Ihnen heute schon sagen.

(Beifall bei der FDP)

   Bei der Forschung - auch das ist unglaublich interessant - begründen Sie Ihre Forderung nach mehr Geld gegenüber den Berichterstattern damit, dass die Forschungsinstitute, die Ihrem Ministerium zur Verfügung stehen, nicht in der Lage seien, diese Aufgaben zu erfüllen. Dazu kann ich nur sagen: Wenn das stimmt, dann machen Sie doch die Läden dicht. Die Menschen dort leisten aber hervorragende Arbeit und man sollte auf das Fachwissen dieser Forschungsinstitute zurückgreifen und sich nicht den Sachverstand von außen holen; denn das kostet den deutschen Steuerzahler viel Geld.

(Beifall bei der FDP)

   Im Etat finde ich nur eine Position zur Vogelgrippe, und zwar unter dem Begriff internationale Zusammenarbeit: Vogelgrippevorbeugung in Kambodscha. Wenn Sie diese Vorbeugung schon seit zwei Jahren finanzieren, hätten Sie sich das Fachwissen vielleicht aus Kambodscha holen können. Ich sage etwas süffisant, Herr Minister: In Ihrem Etat ist dazu nichts zu finden.

   Ich habe die Sorge, Herr Minister - damit komme ich zum Schluss -, dass Sie dieses Amt nicht angestrebt haben, um etwas für unsere Landwirte zu tun, sondern aus einem ganz anderen Grund. Ich darf einmal zitieren, damit es dem einen oder anderen deutlich wird. Nachdem Sie aus dem Präsidium der CDU/CSU-Fraktion und als Vizefraktionsvorsitzender zurückgetreten waren, haben Sie in einem Interview mit dem „Stern“ dazu einiges gesagt. Frage vom „Stern“:

Was sagen Ihre Fraktionskollegen denn?

Ihre Antwort:

Die fragen mich: Wer hat denn nun dich aufs Kreuz gelegt - Merkel oder Stoiber?
(Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Was soll denn das?)

   Zweite Frage vom „Stern“:

Monatelang hat Stoiber Sie an die Front geschickt...  Dann knickt er im letzten Moment ein. Werden Sie ihm jemals wieder richtig vertrauen können?

Antwort von Seehofer:

Natürlich werde ich solche Erlebnisse immer im Hinterkopf haben.

   Das ist der entscheidende Punkt. Sie haben etwas ganz anderes im Hinterkopf. Sie wollen nicht der Minister für unsere Landwirte und die Verbraucher sein, sondern Sie wollen zukünftiger Ministerpräsident in Bayern werden. Das ist Ihre Zielsetzung. Dazu benutzen Sie dieses Amt.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Ernst Bahr, SPD-Fraktion.

Ernst Bahr (Neuruppin) (SPD):

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Dass wir uns in der Haushaltsberatung sachlich miteinander auseinander setzen, versteht sich von selbst. Dass es manchmal auch polemisch wird, verstehe ich. Ich bin aber nicht dafür, Kolleginnen oder Kollegen für ihre Redebeiträge zu kritisieren. Dennoch will ich zwei kritische Anmerkungen zu dem machen, was eben gesagt wurde.

   Herr Koppelin, ich frage mich wirklich, ob wir in der Haushaltsberatung über Herrn Seehofers Karriere reden müssen.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Der Seehofer ist noch für vieles gut!)

   Aber ich will auf die Sachthemen zurückkommen. Adipositas bzw. die Fehlernährung von jungen Menschen ist ein Modell, das zu Demonstrationszwecken im Etat des Ministeriums enthalten ist. Sie können doch nicht ernsthaft behaupten, dass das ein Fehlprogramm sei und nicht notwendig sei.

   Zur Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz will ich an dieser Stelle anmerken: Dies ist eigentlich Aufgabe der Länder. Wir machen eine Ko- bzw. Ergänzungsfinanzierung. Wie die Abrufung der Mittel bisher ausgesehen hat, wissen Sie. Ich denke, wir sollten hier sachlich bleiben.

   Ein anderer Beitrag hat mich heute ein bisschen mehr geärgert. Da muss ich mich an Sie wenden, Frau Höfken. Sie haben Begriffe wie Verlierer, Kahlschlag, Schattenhaushalt, Einschränkung der Rechte des Parlaments, Industrialisierung der Landwirtschaft und Tabakwerbung in einem Zusammenhang gebraucht,

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die der großen Koalition nicht passen!)

den ich für unangemessen halte. Außerdem könnten Sie die Kritik, die Sie heute am Entwurf des Haushalts 2006 geäußert haben, auch auf die Haushalte der vergangenen sieben Jahre beziehen; denn vom Inhalt und vom Betrag her ist der Entwurf des Einzelplans 10 fast identisch mit dem, was wir in den vergangenen Jahren vorgelegt haben. Eigentlich hätten Sie eine Lobrede halten müssen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Widerspruch der Abg. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das, was Sie von sich gegeben haben, finde ich demagogisch. Deswegen muss ich das ausdrücklich kritisieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Über den Entwurf für den Haushalt 2006 wird unter sehr schwierigen finanzpolitischen Bedingungen diskutiert; das wissen wir alle, das muss ich nicht wiederholen. Ich will aber deutlich machen, dass es deshalb um so notwendiger ist, die Konsolidierung des Haushalts voranzutreiben und dennoch gewisse Schwerpunkte in unserer Politik zu setzen. Dabei ist es uns wichtig, dass wir Investitionen und Innovationen fördern. Im Einzelplan 10 ist das berücksichtigt.

   Wie ich gerade gesagt habe, haben wir die Kontinuität der vergangenen Jahre inhaltlich und finanziell gewahrt. Von den 5,05 Milliarden Euro dieses Etats werden allein 74,9 Prozent für Sozialleistungen ausgegeben. Das beweist, dass es - der Minister und auch meine Kollegin Wolff haben das dankenswerterweise schon angesprochen - um wichtige Aufgaben geht. Hier müssen wir uns einer Herausforderung stellen, die in den nächsten Jahren Strukturveränderungen mit sich bringen wird, die wir bewältigen müssen. Schließlich wollen wir den Landwirten nichts wegnehmen. Gleichzeitig müssen wir die Ausgaben auch finanzieren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Dass wir im Entwurf für den Haushalt die Zuschüsse sicherstellen, ist das eine. Das andere ist die Finanzierung der Zukunftsaufgaben. Ich finde es in diesem Zusammenhang wichtig, Mittel bereitzustellen, um im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe für die Landwirte neue Einkommensbereiche zu erschließen und eine größere Unabhängigkeit in der Energieversorgung in Deutschland erreichen. Viele Gemeinden sind auf Basis dieser Form der Energieversorgung bereits völlig autark.

   In der Forschung verstetigen wir ebenfalls die Mittel. So werden in diesem Jahr wieder 200 Millionen Euro für die Bundesforschungsanstalten eingestellt. Wie Sie wissen, sichern diese Mittel die Wahrnehmung der ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben, deren vernünftige Durchführung durch die Forschungsanstalten außer Frage steht. Weitere 9 Millionen Euro haben wir für die bereits erwähnten Modell- und Demonstrationsvorhaben bereitgestellt, die ich für sehr wichtig halte.

   Auch in der Verbraucherpolitik verfolgen wir kontinuierlich den von uns eingeschlagenen Weg weiter. Die Mittel für die Verbraucheraufklärung werden auf dem bisherigen Niveau fortgeschrieben. Das ist - wie in allen anderen Bereichen - sicherlich nicht genug, aber man muss die Bedingungen berücksichtigen, unter denen wir den Haushalt aufstellen.

   Dass wir Einsparungen vornehmen müssen, ist unumgänglich.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Wo?)

200 Millionen Euro ist ein hoher Betrag, auch wenn er gemessen am Volumen des Gesamthaushalts von 5,05 Milliarden eher niedrig erscheint. Davon werden aber 3,78 Milliarden Euro für Sozialleistungen eingesetzt, sodass nur etwa 1 Milliarde Euro übrig bleibt. Die erforderlichen Einsparungen in Höhe von 200 Millionen Euro werden vor allem durch Kürzungen im Bereich der GAK und durch eine globale Minderausgabe von 100 Millionen Euro erbracht, die im Wege der Haushaltsdurchführung aufzulösen sein wird.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Wie soll das mit den 100 Millionen gehen? Da gibt es doch keinen Spielraum!)

Den Restbetrag müssen wir durch Veräußerungen aufbringen.

   Wichtig ist es, auch in diesem Haushaltsplan strukturelle Veränderungen vorzunehmen. Das haben wir verabredet und wir werden einen Beitrag dazu leisten, die Notwendigkeit, Aufgaben zu finanzieren, mit den Finanzierungsmöglichkeiten in Übereinstimmung zu bringen. In diesem Sinne freue ich mich auf die vor uns liegenden Beratungen und hoffe auf eine gute Zusammenarbeit bei der Bewältigung dieser Aufgaben.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Peter Bleser (CDU/CSU): Gute Rede!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat die Kollegin Cornelia Behm, Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, dieser Agrarhaushalt ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Armutszeugnis und nach meiner Auffassung eine Katastrophe für den ländlichen Raum.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Das sind doch Sprüche!)

Das ist keine Oppositionsrhetorik, Herr Minister.

(Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Doch! - Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Wann haben Sie die Rede geschrieben?)

Sogar aus den eigenen Reihen kommt herbe Kritik. So hat Ihre Kollegin Marlene Mortler einen Beschwerdebrief direkt an die Kanzlerin gerichtet. Ich darf mit Erlaubnis der Präsidentin aus der „Saarbrücker Zeitung“ vom 22. März zitieren:

Obwohl der Haushalt des Agrarministers „ausgelutscht und ausgebeutelt“ sei, habe Seehofer Kürzungen in Höhe von 200 Millionen Euro pro Jahr zugestimmt.

   Von den 200 Millionen Euro, die Sie einsparen wollen, entfallen allein 70 Millionen auf die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, kurz GAK genannt. Diese Kürzungen bei der GAK bedeuten eine klare Absage an die ländlichen Regionen in Deutschland. Denn die GAK ist neben den EU-Mitteln das wichtigste Förderinstrument für den ländlichen Raum. Sie ist das zentrale Element, um die Agrarstrukturpolitik in Deutschland zu koordinieren und zu vereinheitlichen.

   Schlimm genug, dass uns der Merkel-Kompromiss beim Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs im Dezember vergangenen Jahres 3,5 Milliarden Euro EU-Mittel für den ländlichen Raum in der nächsten Förderperiode gekostet hat. Dadurch werden jährlich 500 Millionen Euro fehlen. Das entspricht einer Kürzung von 37 Prozent. Nun kürzen Sie vorab schon einmal die nationale Kofinanzierung. Damit wird nicht weniger als die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Land- und Forstwirtschaft zur Disposition gestellt.

(Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Das ist ein Beitrag für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft!)

Ich nenne als Fallbeispiel die Umsetzung der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie in Waldgebieten. Zur Ausfinanzierung der Umsetzungsverpflichtung des Naturschutz-Netzwerks Natura 2000 sind jedes Jahr 600 Millionen Euro notwendig. Die GAK-Mittel haben einen erheblichen Anteil daran. In Wäldern, die im Rahmen von Natura 2000 als FFH-Gebiete ausgewiesen sind, gelten bekanntlich Bewirtschaftungsauflagen. Dafür müssen die Waldbauern auch Ausgleichszahlungen erhalten. Sonst drohen deutliche Einkommenseinbußen.

(Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Da haben Sie endlich Recht!)

Wenn Sie, Herr Minister, diese Gelder nicht bereitstellen, verstoßen Sie entweder gegen EU-Recht oder Sie schädigen die Waldbauern. Beide Varianten stellen meines Erachtens keine Option für eine seriöse Haushaltsplanung dar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich könnte unzählige weitere Beispiele nennen. Wovon wollen Sie denn, Herr Minister, zusätzliche Leistungen im Tierschutz honorieren? Wie wollen Sie die dringend notwendige Diversifizierung der landwirtschaftlichen Tätigkeiten fördern?

    Aber nicht allein die Kürzungen bei der GAK sind das Problem. Von dem Unsinn mit der Biokraftbesteuerung will ich hier gar nicht reden. Nur so viel: Da haben Landwirte in Ölmühlen investiert und sollen nun wieder zu billigen Rohstofflieferanten für die Mineralölindustrie degradiert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Eines liegt mir noch am Herzen. Während sich Minister Gabriel damit brüsten kann, dass die Forschungsausgaben für die erneuerbaren Energien verdoppelt werden - was allerdings mehr ein Buchungstrick ist -,

(Beifall der Abg. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Ulrich Kelber (SPD): Na, na, Frau Kollegin!)

ist Minister Seehofer stolz, den Titel für die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe auf gleichem Niveau zu halten. Aber was ist denn mit einer nationalen Biomassestrategie? Was ist denn mit den Herausforderungen, die der Klimawandel für die Landwirtschaft bedeutet? Der Agrarhaushalt ist jedenfalls keine adäquate Antwort auf diese Fragen.

   Ich bleibe dabei: Dieser Haushalt ist kein Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung, Herr Minister. Er ist vielmehr ein Armutszeugnis Ihrer Agrarpolitik und eine Bedrohung einer zukunftsfähigen Landwirtschaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Georg Schirmbeck, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Georg Schirmbeck (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Goldmann und Frau Kollegin Behm, es ist doch festzustellen, dass wir eine Zeitenwende in Deutschland haben. Als die Bundesministerin vor zwei Jahren die Grüne Woche besuchte, rührte sich keine Hand. Nun war der Bundesminister dort und es gab stehende Ovationen. Daran sehen Sie, wie diejenigen, die ein Interesse an Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz haben, das bewerten.

(Beifall bei der CDU/CSU - Hans-Michael Goldmann (FDP): Sehr gut!)

   Der Minister ist hier eben souverän aufgetreten nach dem Grundsatz „sehen, urteilen, handeln“. So wollen das die Menschen in unserem Land. Sie wollen keine Sprüche. Nun gibt es Erleichterung und Zuversicht in unserem Land. Das sehen Sie insbesondere dort, wo investiert wird. Das brauchen wir auch.

(Beifall bei der CDU/CSU - Hans-Michael Goldmann (FDP): Sehr gut!)

Herr Minister Seehofer hat gesagt, dass wir die Doppelverwaltung - in manchen Bereichen haben wir sogar eine Dreifachverwaltung - abbauen müssen. Wenn er den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Förderung durchsetzt, dann ist das etwas ganz Konkretes, was sich zwar nicht in Euro in unserem Bundeshaushalt niederschlägt, wohl aber bei den Bauern. Das ist eine richtige Sache.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Es ist deutlich geworden, dass wir in der Koalition bei der Mehrwertsteueroptierung noch nicht hundertprozentig einer Meinung sind.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Ihr seid nirgendwo einer Meinung!)

Aber wir werden jeweils ganz konkret berechnen - und nicht schätzen -, welche Auswirkungen welche Regelung auf den Bundeshaushalt haben wird. Wenn wir die Pauschalierung abschaffen, kann es passieren, dass mancher Bauer eine Rückrechnung für die letzten fünf Jahre macht, was dann den Bundeshaushalt stärker belastet als die Pauschalierung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Der Kollege Bahr und ich sind letztlich für den Einzelplan 10 zuständig und wir werden das sehr sachlich berechnen. Ich bin optimistisch, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

Denn auch die FDP-Minister im Bundesrat stellen fest: Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. Das heißt, wir können uns zwar vieles ausdenken, haben aber nicht mehr Geld zur Verfügung. Danach müssen wir unsere Beschlüsse ausrichten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Im Übrigen verhält es sich mit dem Agrarhaushalt genauso wie mit dem Bundeshaushalt. Von den eingestellten 5 Milliarden Euro sind 4 Milliarden für Soziales vorgesehen. Wenn wir uns einig sind - der Minister hat das zu Recht gesagt -, dass wir das nur im Rahmen genereller Strukturreformen im Sozialbereich ändern können, dann haben wir nur 1 Milliarde, über die wir uns politisch auseinander setzen können. Mehr Geld steht nicht zur Verfügung.

Die 615 Millionen Euro, die für die GAK zur Verfügung stehen, entsprechen immerhin den Istmitteln im letzten Jahr. Das heißt, das, was im letzten Jahr in den Bundesländern umgesetzt wurde, kann auch zukünftig umgesetzt werden. Das ist im Rahmen der Gestaltungsmöglichkeiten, die wir haben, eine ganze Menge. Ich darf noch einmal sagen: Wir machen keine ideologische Politik von dem einen Graben in den anderen Graben,

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sehr wahr!)

sondern wir kümmern uns um jeden einzelnen Ansatz im Bundeshaushalt und werden behutsam umsteuern. Ich hätte wirklich gedacht, dass gerade Sie, Frau Behm, aus grüner Sicht sagen würden: Respekt, wir haben Schlimmeres befürchtet!

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es geht nicht um Ideologie, sondern um sachgerechte Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zur GAK. Ich höre in den Diskussionen mit den Fachleuten manchmal „Die GAK hat beschlossen …“. Ich werde in den anstehenden Beratungen über den Haushaltsplan ganz konkret nachfragen, wer bei den Ländern einzelne Detailregelungen auf den Weg bringt und wer die Lobby ist, die dahinter steht. Manchmal habe ich nämlich den Eindruck, wir werden zwar politisch zur Verantwortung gezogen dafür, an der Meinungsbildung selbst sind wir aber überhaupt nicht beteiligt.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das wäre fatal!)

   Da meine beiden Vorredner, Herr Minister Seehofer und auch Peter Bleser, mir zugesagt haben, in meinen Wahlkreis zu kommen dafür, dass sie mir einige Sekunden Redezeit genommen haben,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

lassen Sie mich damit schließen: Wo uns die Mittel fehlen, müssen wir mit Innovation und Kreativität an die Lösung der vor uns liegenden Aufgaben gehen. Ich sage Ihnen: Im ländlichen Raum sind die Menschen hart im Nehmen und wirklich kreativ. Mancher sagt: Lasst uns bitte in Ruhe, lasst uns gestalten, dann nehmen wir unsere Zukunft in die eigenen Hände und dann wird es gut sein. - Was gut ist für den ländlichen Raum, ist gut für die ganze Republik. In diesem Sinne wird die große Koalition zukünftig Agrarpolitik und Verbraucherschutzpolitik machen.

   Herr Präsident, ich bedanke mich, dass Sie mir 30 Sekunden mehr gegeben haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber von der SPD-Fraktion.

Ulrich Kelber (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwei Bemerkungen vorweg: Im Zusammenhang mit den Biokraftstoffen können wir viel diskutieren über die Unterschiede zwischen einem Kabinettsentwurf

(Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das steht so im Koalitionsvertrag!)

und dem, was in den Fraktionen diskutiert wird. Aber was mich an unserem ehemaligen Koalitionspartner schon wundert, ist, dass er mit uns ein Gesetz gemacht hat, in dem steht, dass die steuerliche Förderung auf Überkompensation geprüft wird und sie gegebenenfalls angepasst wird, aber jetzt, da wir dies machen, so tut, als sei er nicht dabei gewesen. Das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Das Bild von der Pyrenäenetappe, das Bundesminister Seehofer gebraucht hat, nehme ich gerne auf: Wir fühlen uns fit für die Pyrenäenetappe, wir halten es mit Gerhard Schröder, der immer gesagt hat: Wenn es einfach wäre, könnten es auch die anderen machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Da wir uns in der Debatte über den Etat des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz befinden, möchte wenigstens ich einen Beitrag zum Thema Verbraucherschutz liefern, nachdem wir bisher eine reine Agrardebatte geführt haben.

   Im Mittelalter hat man Bäcker, die zu kleine Brote gebacken haben, in Eisenkörbe gesperrt; in Münster - es kommen ja einige aus dieser Gegend - sieht man Eisenkörbe, die auch noch für andere Zwecke verwendet wurden. Diese aus heutiger Sicht natürlich unangemessen brutale Form des Verbraucherschutzes hat seinen Ursprung damals übrigens nicht nur aufseiten der Kunden gehabt; es war vielmehr gerade die Bäckerzunft, die wollte, dass man die ehrlichen Bäcker schützt. Auch seinerzeit ging es schon um zwei Ziele: darum, die Wirtschaft vor einem ruinösen Preiswettbewerb zu schützen, und darum, die berechtigten Interessen der Kunden durchzusetzen.

(Beifall bei der SPD)

   Dieselbe Debatte ist in unserem Land nach dem Zweiten Weltkrieg erneut geführt worden. Es war Ludwig Erhard, der die Rolle des Konsumenten in der Marktwirtschaft betont hat. Als auf sein Betreiben 1957 das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb eingeführt worden, bekämpften die deutschen Wirtschaftsverbände dieses neue Gesetz als - Zitat - „Staatsinterventionismus“. Ich glaube, nicht nur mir kommt diese Wortwahl mancher Wirtschaftsverbände in der Debatte über den Verbraucherschutz sehr bekannt vor. Ich würde mir wünschen, dass auch die deutschen Wirtschaftsverbände verstehen, welches Eigeninteresse Deutschland mit seinen vielen Premiummarken und der Topqualität an hohen Standards im Verbraucherschutz hat - damit aus einem reinen Preiswettbewerb ein Qualitätswettbewerb wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich erwähne die wirtschaftliche Bedeutung des Verbraucherschutzes ungeachtet seiner anderen Ziele: Schutz von Gesundheit und Sicherheit, Schutz wirtschaftlicher Interessen der Kunden, Wahlfreiheit, nachhaltiger Konsum. Die Wirtschaftsverbände müssten sich als Partner im Verbraucherschutz verstehen. Viele Unternehmen tun das längst.

   Es gibt noch ein wichtiges Signal, das manchmal unter anderen Vorzeichen diskutiert wird. Gelegentlich wird so getan, als sei Verbraucherschutz etwas für die wohlhabenden Schichten. Das Gegenteil ist der Fall.

(Georg Schirmbeck (CDU/CSU): So ist es!)

Es ist die aktive Verbraucherschutzpolitik, die dafür sorgt, dass auch preisgünstige Lebensmittel gesund sind, dass auch preisgünstiges Kinderspielzeug keine gefährlichen Inhaltsstoffe hat und dass auch Menschen mit einem kleinen Geldbeutel Zugang zu einem Girokonto bekommen. Verbraucherschutz ist etwas gerade für die Schwächeren in unserer Gesellschaft.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Kelber, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Goldmann?

Ulrich Kelber (SPD):

Ja, gerne.

Hans-Michael Goldmann (FDP):

Sehr geehrter, geschätzter Kollege Kelber, ich finde das interessant, was Sie sagen. Ich frage mich vor diesem Hintergrund, wie Ihre Aussage zu verstehen ist, die in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ stand - wörtliches Zitat -:

Der SPD-Fraktionsvize geht davon aus, dass „Seehofer sich noch bewegen wird“.

Es geht um das Verbraucherinformationsgesetz.

   Sie sagen dann - wörtliche Rede -:

„Das dürfte er schon deshalb tun, um sich nicht mit einem unwirksamen Gesetz zu blamieren.“

Sind Sie der Auffassung, dass das von Herrn Minister Seehofer auf den Weg gebrachte Verbraucherinformationsgesetz den Tatbestand der Blamage erfüllt?

Ulrich Kelber (SPD):

Ich bedanke mich aus zwei Gründen für die Frage. Erstens ist die Debatte mit solchen Zwischenfragen spannender und zweitens wäre das der nächste Punkt meiner Rede gewesen. Diesen kann ich nun in der Antwort auf Ihre Frage ergänzen, ohne dass dies auf meine Redezeit angerechnet wird.

   Das Verbraucherinformationsgesetz, wie es in Kürze von den beiden Koalitionsfraktionen eingebracht werden wird, ist klar die gemeinsame Position von CDU/CSU und SPD. Es gab bestimmte Punkte bei dem Gespräch innerhalb der Koalition, die meiner Fraktion besonders wichtig waren. Das war zum Beispiel die klare Verpflichtung der Behörden zur Auskunft, also der Übergang von einer Kann- zu einer Sollbestimmung, was für den Nichtjuristen gleichbedeutend mit einer Mussbestimmung ist.

(Beifall bei der SPD - Hans-Michael Goldmann (FDP): Sie brauchen nicht das ganze Gesetz zu erklären!)

   Hinzu kam eine klare Definition der Fristen und der Ausnahmetatbestände und Ähnliches. Es hat Entwicklungen gegeben, die dazu geführt haben, dass wir jetzt eine gemeinsame Vorlage der Koalition haben. Dieses Gesetz ist brauchbar, es ist wirksam und es ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem, was auch Ihre Fraktion in der Vergangenheit vertreten hat.

(Beifall bei der SPD - Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Es geht vorwärts in Deutschland!)

Mit diesem Verbraucherinformationsgesetz, das wir einbringen, schaffen wir eine klare Rechtsgrundlage

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Ich denke, es ist eine Blamage?)

über die Unterrichtung.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Sie haben doch hier gesagt, das sei eine Blamage! Hier gibt es einen Riesenartikel!)

- Ist das jetzt eine erneute Zwischenfrage oder nur ein Zwischenruf? Ich habe so viel Zeit gespart, dass ich auch auf den Zwischenruf eingehen kann: Sie sollten etwas von der Dynamik von Politik verstehen, nicht nur von der Statik von Politik, und wissen, wann man welchen Druck ausübt, um Kompromisse zu erreichen. Man muss sich aufeinander zubewegen. Das ist in Koalitionen notwendig. Ich weiß, dass Sie nur noch in drei Koalitionen in der Bundesrepublik vertreten sind. In Baden-Württemberg hat es gerade noch einmal zu einer gereicht, in den beiden anderen Ländern nicht mehr. Sie würden gerne in einer Koalition solche Prozesse mitgestalten; Sie sind aber nicht dabei. Überlassen Sie doch uns, wie wir es so organisieren, dass wir zu guten Ergebnissen kommen.

(Beifall bei der SPD - Hans-Michael Goldmann (FDP): Das hat doch nichts mit Koalitionen in den Ländern zu tun!)

   Wenn also in Zukunft ein Unternehmen Gammelfleisch verkauft, kann es benannt werden, egal welche Methoden es vorher angewendet hat, um schnell den bisherigen Bereich zu verlassen.

   Es gab einige Punkte, die wir diskutiert haben, zum Beispiel welche Informationen die Unternehmen eigentlich von sich aus den Verbraucherinnen und Verbrauchern geben müssen. Das ist eine wichtige Debatte.

   Aus meiner Sicht gibt es dabei drei Punkte zu bedenken.

   Erstens. Kundeninformation ist ein Teil des Wettbewerbs und ein Unterscheidungsmerkmal zwischen Unternehmen, das man nicht vollständig verwischen sollte.

   Zweitens. Für kleine Unternehmen kann eine gesetzliche, dann sehr starre Regelung in der Tat zu einer Belastung werden.

   Drittens. Gerade Premiummarken und inländische Unternehmen müssen ein Interesse an einem höheren Standard als heute haben, um mit Importeuren und Unternehmen, die einen niedrigeren Qualitätsstandard haben, in einen fairen Wettbewerb eintreten zu können. Wir in der Koalition haben uns darauf geeinigt, dass wir von der deutschen Wirtschaft eine Hebung des Informationsniveaus und eine evaluierbare, quantitativ und qualitativ überprüfbare Information der Verbraucherinnen und Verbraucher durch die Unternehmen erwarten und dass es ansonsten zu einer gesetzlichen Lösung kommt. Das ist die richtige Art und Weise, wie man solche Probleme löst. Genau das haben wir erreicht.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Deswegen blamiert sich Rot-Schwarz mit diesem Gesetz!)

   Herr Bundesminister Seehofer hat auch unsere klare Unterstützung, wenn es darum geht, ein eigenständiges Verbraucherinformationsgesetz einzubringen. Unsere Koalition wird gemeinsam Vorbereitungen dafür treffen, dass weitere Produkte und Dienstleistungen dort in diesem Verbraucherinformationsgesetz aufgenommen werden, wo es ihre spezifischen Bedingungen betrifft.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Ihr Interview ist eine Unverschämtheit und sonst nichts!)

   Folgende Fragen sind beim Verbraucherinformationsgesetz sehr wichtig: Wann gibt es Ausnahmen von dieser Informationsmöglichkeit? Was sind die Betriebsgeheimnisse und Ähnliches mehr?

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Aha!)

   Wir legen einen Entwurf vor, der im Augenblick der gemeinsamen Beschlusslage entspricht und der von uns mitgetragen wird. Ich bitte allerdings darum, dass wir in den Anhörungen etwas prüfen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Nicht nur prüfen!)

Mir ist ein Schreiben eines Futtermittelverbandes an seine Mitgliedsunternehmen zugespielt worden. In diesem Schreiben werden alle Unternehmen aufgefordert, möglichst alle Daten zu Betriebsgeheimnissen zu erklären.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Geben Sie uns das doch mal! Geben Sie uns das Schreiben!)

Wir werden in den Anhörungen prüfen müssen, wo Lücken sind, die man ausnutzen will. Wenn wir Lücken finden, dann werden wir sie im parlamentarischen Verfahren schließen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU - Hans-Michael Goldmann (FDP): Zitieren Sie doch mal aus diesem Schreiben!)

   Das Verbraucherinformationsgesetz ist also ein erster wichtiger Schritt. Wir wollen noch mehr machen; wir wollen in weitere Bereiche vordringen. Für uns sind vier Felder besonders wichtig: Verbraucherschutz für die Belange von Kindern und Jugendlichen,

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Einverstanden!)

Verbraucherschutz für die Belange älterer Menschen,

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Einverstanden!)

Verbraucherschutz im Bereich der Finanz- und Versicherungsdienstleistungen und Verbraucherschutz in der digitalen Welt.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Das ist doch gar nicht drin im Gesetz!)

   Seien wir offen: Wir muten Kindern in unserer heutigen Welt sehr viel zu. Sie haben mehr Möglichkeiten als je zuvor; aber diese Welt ist auch komplexer und orientierungsloser als vorher. Deswegen muss eine aktive Verbraucherschutzpolitik Kinder informieren, Angebote für sie vergleichbar machen, Qualität sichern und schützen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Okay!)

   Beispiel: Im Augenblick engagiert sich die SPD im Dialog mit den Mobilfunkunternehmen, vor allem mit den Discountern, dafür, dass sich Jugendliche nicht zwischen guten Tarifen und kostenlosen Jugendschutzoptionen entscheiden müssen. Vielmehr muss es eine Selbstverständlichkeit sein, dass jedes Unternehmen kostenlose Jugendschutzoptionen zum günstigsten Tarif anbietet, genauso wie ein alkoholfreies Getränk in jeder Gastwirtschaft das preisgünstigste Getränk sein muss. Wir wollen das durchsetzen, entweder im Dialog oder mit einer klaren gesetzlichen Grundlage.

(Beifall bei der SPD - Hans-Michael Goldmann (FDP): Mit diesem Gesetz?)

- Herr Goldmann, ich reagiere noch einmal auf einen Zwischenruf von Ihnen. Wenn Ihr Horizont im Verbraucherschutz bei der Kenntnis des Verbraucherinformationsgesetzes und keiner weiteren gesetzlichen Initiativen endet, ist das nicht mein Problem. Wir sind bereit, innerhalb einer Legislaturperiode mehr als ein Gesetz zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD -Hans-Michael Goldmann (FDP): Herr Kelber, Sie sprechen doch zu diesem Gesetz!)

   Zum zweiten Bereich, dem Verbraucherschutz für ältere Menschen. Ja, wir brauchen verbesserte Patientenrechte. Wir müssen die Altersdiskriminierung bei der Vergabe von Krediten stoppen und wir müssen ein Vertragsauflösungsrecht bei unlauter zustande gekommenen Verträgen durchsetzen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Der erzählt einen vom Storch!)

Das sind die Aufgaben in dieser Legislaturperiode. Eine aktive Verbraucherschutzpolitik muss dem auch nachkommen, um das Vertrauen älterer Menschen in das Wirtschaftsgeschehen zu stärken. Die Möglichkeit, dass das Investitionen, Nachfrage und damit Arbeitsplätze nach sich zieht, ist groß.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Dann bringen Sie das doch ins Gesetz ein!)

   Zum dritten Bereich: Die Politik erwartet von den Menschen immer häufiger, dass sie individuell vorsorgen. Dieser Trend wird sich nicht so schnell umkehren. Dann muss Politik aber auch dafür sorgen, dass die Menschen dieser Erwartung im Finanz- und Versicherungsbereich gerecht werden können. Dazu gehören das Recht auf ein Girokonto und ein Ende des diskriminierenden Scorings bei Kreditvergaben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das System muss transparent sein. Es muss klar sein, nach welchen Kriterien bewertet wird. Alles, was mit privaten Entscheidungen zu tun hat - Wohnort, Information über Konditionen -, darf vom Kreditgewerbe nicht mehr verwendet werden.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Sie sind im falschen Film, Herr Kelber!)

Die SPD hat die zentralen Unternehmen dieser Branche für die nächste Woche eingeladen, um nach Gesprächen schnell zu einem Ergebnis zu kommen.

   Wir werden auch die Bedingungen von Versicherungen vergleichbar machen und Transparenz in die Beziehung zwischen dem Versicherungsmakler und seinen Angeboten bringen, damit die Kunden mehr Sicherheit haben.

   Ich komme zum letzten Bereich, dem Verbraucherschutz in der digitalen Welt. Wir werden auf die Verbraucherrechte beim Urheberrecht achten müssen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Sehr gut!)

Wir wünschen uns von unserem Koalitionspartner, dass er sich in der Frage der Bagatellgrenze bei Privatkopien endlich bewegt. Das hat etwas mit der Akzeptanz der Realität zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Keinesfalls! Wir sind gegen Diebstahl geistigen Eigentums unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes!)

Wir wollen an denjenigen Stellen, wo die Rechtsgrundlage ausreicht, zum Beispiel beim Phishing, die Praxis anpassen. In Bereichen wie Spam und Spit - da geht es um die Überflutung mit unerwünschter Werbung per E-Mail oder Telefon - wollen wir die Rechtsgrundlage verbessern. Was dort geschieht, muss endlich zur Ordnungswidrigkeit erklärt werden.

   Alles zusammen heißt: Wir wollen durch eine aktive Verbraucherschutzpolitik erreichen, dass die Menschen in unserem Land gut leben können und gleichberechtigte Partner der Wirtschaft sind. Das ist die Aufgabe von Verbraucherschutzpolitik. Begleiten Sie uns, anstatt nur dazwischenzurufen!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

   Ich rufe die Zusatzpunkte 2 a bis 2 e auf:

ZP 2 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG)

- Drucksache 16/960 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 146 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Oktober 1976 über den bezahlten Jahresurlaub der Seeleute

- Drucksache 16/1001 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 166 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 9. Oktober 1987 über die Heimschaffung der Seeleute (Neufassung)

- Drucksache 16/1002 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz - EuHbG)

- Drucksache 16/1024 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

e) Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan (UNMIS) auf Grundlage der Resolution 1663 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 24. März 2006

- Drucksache 16/1052 -

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

   Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.

   Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf: Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

   Tagesordnungspunkt 3 a:

Beratung der Ersten Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses

zu 51 gegen die Gültigkeit der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag eingegangenen Wahleinsprüchen

- Drucksache 16/900 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer
Bernhard Kaster
Thomas Strobl (Heilbronn)
Klaus Uwe Benneter
Dr. Carl-Christian Dressel
Ernst Burgbacher
Ulrich Maurer
Petra Merkel (Berlin)

   Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

   Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, zunächst zu Tagesordnungspunkt 3 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 25 zu Petitionen

- Drucksache 16/942 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 25 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.

   Tagesordnungspunkt 3 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 26 zu Petitionen

- Drucksache 16/943 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 26 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ablehnung der Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.

   Tagesordnungspunkt 3 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 27 zu Petitionen

- Drucksache 16/944 -

   Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 27 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

   Wir setzen die Haushaltsberatungen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Einzelplan 12, fort.

   Das Wort hat als erster Redner der Bundesminister Wolfgang Tiefensee.

(Beifall bei der SPD)
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 29. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 31. März 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/16029
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