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15. Wahlperiode
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   35. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Die Sitzung ist eröffnet.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich und wünsche Ihnen einen guten Tag und uns gute, konstruktive Beratungen.

   Ich habe einige wenige amtliche Mitteilungen zu machen: Der Kollege Johannes Pflug feierte am 8. April seinen 60. Geburtstag und der Kollege Winfried Nachtwei feierte am 15. April seinen 60. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich zu diesen runden Geburtstagen nachträglich herzlich und wünsche alles Gute.

(Beifall)

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP:

Haltung der Bundesregierung zur Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie

ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen Nr. 26 und 27 auf Drucksache 16/1374

(siehe 34. Sitzung)

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Dr. Max Stadler, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Schlanker Staat durch weniger Bürokratie und Regulierung

- Drucksache 16/119 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

ZP 4 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 22)

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 6. November 2003 über den Schutz von Tieren beim internationalen Transport (revidiert)

- Drucksache 16/1346 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f)
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Brigitte Pothmer, Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Ich-AG

- Drucksache 16/1405 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Flugticketabgabe jetzt - Entwicklungsfinanzierung auf breitere Grundlagen stellen

- Drucksache 16/1203 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, Kerstin Andreae, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Umsetzung des EU-Stufenplans zur Entwicklungsfinanzierung (0,7-Prozent-Ziel) durch Flugticketsteuer unterstützen

- Drucksache 16/1404 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

ZP 5 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Investitionszulagengesetzes 2007 (InvZulG 2007)

- Drucksache 16/1409 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 6 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation

- Drucksache 16/1408 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 7 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende

- Drucksache 16/1410 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

ZP 8 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung einer Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS-Gesetz - BDBOSG)

- Drucksache 16/1364 -

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

   Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.

   Die Tagesordnungspunkte 6, 9, 13 und 15 werden abgesetzt und in der Folge werden die Tagesordnungspunkte 16 und 17 sowie 18 und 19 jeweils getauscht.

   Schließlich mache ich auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

Der in der 32. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.

Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung der Besteuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes

- Drucksache 16/1172 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

Der in der 32. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.

Antrag der Fraktion der LINKEN

Für Selbstbestimmung und soziale Sicherheit - Strategie zur Überwindung von Hartz IV

- Drucksachen 16/997 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

   Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.

   Schließlich möchte ich den neuen Direktor beim Deutschen Bundestag, Herrn Dr. Hans-Joachim Stelzl, der hinter mir Platz genommen hat, herzlich begrüßen.

(Beifall)

Ich wünsche ihm auch im Namen aller Kolleginnen und Kollegen viel Erfolg bei seiner verantwortungsvollen Aufgabe und verbinde das mit dem ausdrücklichen Dank an Herrn Professor Zeh für seine jahrelange verdienstvolle Arbeit hier im Deutschen Bundestag.

(Beifall)

   Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie bitten, sich von den Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

   Am 30. April dieses Jahres ist Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, verstorben. Mit Paul Spiegel verlieren wir einen großartigen Menschen und eine bedeutende Persönlichkeit, die sich um unser Land verdient gemacht hat.

   Paul Spiegel wurde am 31. Dezember 1937 in Warendorf/Westfalen geboren. Als Deutscher jüdischen Glaubens musste er im Kindesalter die Schrecken der Nazibarbarei erfahren. Sein Vater überlebte die Konzentrationslager Buchenwald, Auschwitz und Dachau, seine nach Bergen-Belsen verschleppte Schwester Rosa nicht. Nachdem er im Exil in Brüssel überlebt hatte, kehrte er nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Familie nach Warendorf zurück.

   Paul Spiegel gehörte zu denen, die das scheinbar Unmögliche zu tun wagten und zurückkehrten, um jüdische Gemeinden wieder aufzubauen. Die Aussöhnung von Juden und Deutschland, von deutschen Juden mit ihrem Land, stand im Mittelpunkt seines Wirkens. Das galt für sein Engagement in der Jüdischen Kultusgemeinde Düsseldorf ebenso wie für seine Arbeit als Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland seit Januar 2000.

   Bereits kurz nach seiner Amtseinführung warnte Paul Spiegel angesichts der Zunahme von rechtsextremen Gewalttaten und fremdenfeindlichen Übergriffen in Deutschland in öffentlichen Stellungnahmen vor der Gleichgültigkeit und stummen Zustimmung. Er erklärte nicht nur anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Zentralrats im September des Jahres 2000, dieser werde sich nicht nur für Juden, sondern auch für Flüchtlinge, für Aussiedler und für andere benachteiligte Minderheiten einsetzen.

   Im Juli 2001 nahm Paul Spiegel als erster Repräsentant der Juden in Deutschland am öffentlichen Gelöbnis der Bundeswehr im Bendlerblock in Berlin-Tiergarten teil, dem Sitz des Oberkommandos des Heeres im Dritten Reich. Bei dieser Gelegenheit bezeichnete er die Bundeswehr als „Teil unserer rechtsstaatlichen Demokratie“.

   Zu den Höhepunkten seiner zweiten Amtszeit nach einstimmiger Wiederwahl als Präsident des Zentralrats der Juden gehört die Unterzeichnung des Staatsvertrages zwischen Deutschland und dem Zentralrat im Januar 2003 in Berlin. In diesem Staatsvertrag verpflichtet sich die Bundesregierung, das deutsch-jüdische Kulturerbe zu erhalten und zu pflegen, zum Aufbau einer jüdischen Gemeinschaft in Deutschland beizutragen und ihre Integration in die deutsche Gesellschaft zu unterstützen.

   Paul Spiegel hat nicht geschwiegen, wenn es Anlass zur Kritik oder zur Mahnung gab. Aber er hat sich nicht zu allem und jedem geäußert. Auch deshalb hatte sein Wort so großes Gewicht und fand sein Wirken so viel Respekt.

   Paul Spiegel war ein deutscher Patriot. Er wird uns fehlen. Unser Mitgefühl gilt seiner Frau und seinen beiden Töchtern sowie der Gemeinschaft der Juden in Deutschland. Wir verneigen uns in Dankbarkeit vor einer Lebensleistung, die uns nicht nur in Erinnerung bleiben, sondern auch bleibende Verpflichtung sein wird.

   Ich danke Ihnen.

   Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:

a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundeskanzlerin

zur Europapolitik

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Ahrendt, Markus Löning, Michael Link (Heilbronn), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Den Kommunen an den Grenzen zu Polen und der Tschechischen Republik die Zusammenarbeit mit diesen Ländern erleichtern

- Drucksache 16/456 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bericht der Bundesregierung über ihre Bemühungen zur Stärkung der gesetzgeberischen Befugnisse des Europäischen Parlaments 2005

- Drucksache 16/528 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

   Zur Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung anderthalb Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gute Tradition dieses Deutschen Bundestages, regelmäßig über den Stand und die Perspektiven der europäischen Einigung zu debattieren. Eine solche Debatte in dieser Woche, der Europawoche, ist nicht nur wegen dieser Tradition wichtig, sondern sie ist angesichts der Sachlage und der Situation meines Erachtens notwendig.

   Deshalb bin ich den Fraktionen sehr dankbar, dass sie darum gebeten haben, genau in dieser Woche über die Fragen Europas zu diskutieren; denn angesichts vieler Einzelfragen, die wir debattieren, kann man den Eindruck gewinnen, dass der Blick auf das Ganze manchmal verloren geht.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Leider wahr!)

   Es war richtig, dass wir vor zwei Tagen, am Europatag, noch einmal des großen Europäers Robert Schuman, des ehemaligen französischen Außenministers, gedacht und uns an seine Initiative zur Gründung der Montanunion erinnert haben. Schuman schlug vor, die für die Rüstungsindustrie notwendigen Rohstoffe Kohle und Stahl einer gemeinsamen Behörde zu unterstellen. Das war nicht irgendeine Initiative, sondern diese Initiative hat das deutsch-französische Verhältnis als ein besonderes Verhältnis begründet. Aber mit dieser Initiative sollte auch verhindert werden, dass die europäischen Staaten, allen voran Deutschland und Frankreich, je wieder gegeneinander in den Krieg ziehen.

   Europa als Friedensgemeinschaft - das war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, nach so viel Leid und so großen Verlusten an Menschenleben, eine bahnbrechende Idee. Europa als Friedensgemeinschaft - diese Utopie wurde in den folgenden Jahrzehnten wirklich mit Leben erfüllt. Aus der Vision wurde Realität: unsere Lebensrealität.

   Sie alle kennen die Stichworte, die das dokumentieren: die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft von 1957, die Einführung des Binnenmarktes und einer gemeinsamen Währung für zwölf Mitgliedsländer in dem Verständnis, dass Länder, die dieselbe Währung haben, nie wieder gegeneinander antreten werden, und die Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaft mit heute 25 und bald 27 Mitgliedstaaten.

   Im Rückblick kann man feststellen: Robert Schuman hat die Beziehungen der europäischen Länder zu anderen wahrhaft revolutioniert. Es ist eine völlige Neuordnung des europäischen Staatensystems entstanden. Diese Neuordnung ist nach meiner Auffassung die größte seit dem Westfälischen Frieden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Nach dem Fall der Mauer, mit der Osterweiterung und dem Ende des Kalten Krieges hat die Friedens- und Werteidee schließlich unseren gesamten Kontinent erreicht. Gerade wir Deutschen mit unserer Geschichte können uns gar nicht oft genug bewusst machen, dass Frieden in Freiheit wahrlich keine Selbstverständlichkeit ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist ein Glück und es ist ein Geschenk. Dieser Frieden in Freiheit ist, weil er nicht selbstverständlich ist, auch immer wieder neu zu erarbeiten und zu verteidigen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir sollten uns schon bewusst machen, dass alle guten Wendepunkte in der deutschen Nachkriegsgeschichte untrennbar mit Europa verbunden sind. Ob es die Wiedereingliederung in die Europäische Union oder die deutsche Einheit ist: Wir verdanken der europäischen Integration eine beispiellose Zeit von Frieden, Freiheit und Wohlstand.

   Wir sehen daran auch, dass Europa von Anfang an mehr war als nur eine Zweck- oder Interessengemeinschaft. Europa hat sich immer auf gemeinsame Werte gegründet, ist sich immer seiner gemeinsamen Geschichte bewusst gewesen und hat einen gemeinsamen Willen, die Zukunft zum Wohle aller zu gestalten. Genau über diesen Willen werden wir mit dem Blick auf die Zukunft auch zu sprechen haben.

   Es ist ein einzigartiges Miteinander von größeren und kleineren Staaten entstanden. Im nächsten Jahr werden wir das Jubiläum der Unterzeichnung der Römischen Verträge vor 50 Jahren begehen. Das ist noch einmal ein guter Anlass, um an das Erreichte zu erinnern.

   Das alles bietet aber auch Anlass, selbstbewusst nach vorne zu schauen. Heute ist noch nicht der Tag, um im Detail über die deutsche Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 bzw. über die Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland gleichzeitig die G-8-Präsidentschaft innehaben wird, zu sprechen; aber wir sollten uns bewusst werden, worum es geht. Denn auch das ist unser gemeinsames Gefühl: Die Beschwörung der Werte und der Ursprungsidee des europäischen Einigungsprozesses reicht heute nicht mehr aus; damit ist es nicht getan.

   Deshalb ist dies auch nicht die Stunde einer historischen Reminiszenz, sondern es ist die Stunde einer Regierungserklärung. Die Wahrheit muss in den Blick genommen werden; denn sie ist zum Teil ernüchternd. Viele Bürgerinnen und Bürger erleben Europa in der Kritik an detailliertesten Regelungen, im Zweifel, ob Europa die Probleme der Zukunft - Arbeitslosigkeit und ein zu geringes Wirtschaftswachstum - bewältigen kann. Kurz gesagt muss man feststellen: Europa steht bei den Europäerinnen und Europäern nicht so hoch im Kurs, wie es der historische Rückblick vielleicht vermuten lässt. Dabei sind die beiden gescheiterten Volksabstimmungen in Frankreich und Holland sicherlich nur Indikatoren, die aber noch nicht alles aussagen.

   Das heißt, es reicht auch nicht aus, wenn wir darauf verweisen können, dass durchaus zukunftsweisende Lösungen gefunden wurden. Ja, es ist glücklicherweise ein Finanzrahmen für die kommenden Jahre beschlossen worden. Ich füge hinzu: Es ist übrigens gelungen, bei der Vergabe der Mittel und bei den Kriterien sicherzustellen, dass Strukturfondsmittel nicht mehr vergeben werden, wenn Arbeitsplätze von einem Land in ein anderes verlagert werden. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, der viele Menschen beunruhigt.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es ist des Weiteren eine Einigung betreffend die Chemieindustrie gelungen. Es ist eine grundsätzliche Einigung über die Dienstleistungsrichtlinie gelungen. Es ist dem Europäischen Parlament gelungen, eine sinnlose Richtlinie wie die zum Sonnenschutz abzuwehren und nicht zu verabschieden. All das sind Fakten, die erfreulich und positiv sind.

   Das alles reicht aber nicht aus, um den Bürgerinnen und Bürgern deutlich zu machen, was Europa für sie bedeutet und welche Verantwortung Europa hat. Wir müssen - davon bin ich zutiefst überzeugt - den Stand des Projekts Europa kritisch überprüfen. Wir müssen den Bürger in den Mittelpunkt stellen und seine Fragen beantworten: Was bedeutet das für meinen Arbeitsplatz, für meinen Wohlstand und für meine soziale Sicherheit bei Krankheit und im Alter? Macht Europa die Dinge einfacher, besser oder ist Europa ein Bremsklotz, eine Hürde? Ich glaube, wir dürfen uns vor diesen Fragen nicht drücken. Wir müssen sie sehr spezifisch und konkret beantworten.

   Ich denke, es geht um nicht mehr und nicht weniger, als dass wir der historischen Begründung der Europäischen Union eine Neubegründung hinzufügen. Ich will die Dinge nicht dramatisieren, aber ich glaube, eine Neubegründung ist notwendiger denn je. Denn wir sind in folgender Situation: In der Zeit des Kalten Krieges war es ein riesengroßer Fortschritt, dass die westeuropäischen Länder in der Europäischen Union zusammengearbeitet haben, sich entschlossen haben, nicht mehr gegeneinander zu handeln. Aber es war keine Frage, dass diese Europäische Union dem gesamten sozialistischen und kommunistischen System überlegen war. Es musste nicht aus sich heraus begründet werden, warum dieses Europa die richtige Antwort war. Es war die bessere Antwort als alles, was jenseits des Eisernen Vorhangs stattfand.

   Dann kam der große Siegeszug der Freiheit. Dann hat sich die Überlegenheit der freiheitlichen Idee durchgesetzt. Der Kalte Krieg war zu Ende. Der ganze Kontinent kann heute nach dieser europäischen Idee leben. Aber die Situation in Bezug auf andere Kontinente hat sich verändert. Europa muss sich aus sich selbst heraus begründen und zeigen, dass es in einer Welt größeren Wettbewerbs, in einer global transparenten Welt Politik nach seinen Wertvorstellungen gestalten kann. Das ist die große Aufgabe, vor der wir stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Die Bürgerinnen und Bürger haben schlicht und ergreifend Zweifel, ob das Modell der sozialen Marktwirtschaft, ob unsere Vorstellungen von der Würde des Menschen so überlegen, so dominant, so durchschlagend sind, dass wir nicht nur in der Vergangenheit die Schlacht im Kalten Krieg gewinnen konnten, sondern dass wir auch jetzt in einer gemeinsam verantworteten Welt unsere Art, zu leben, weiterführen können und anderen als Vorbild zeigen können. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, was Europa bedeutet und wie der Gestaltungsanspruch der Politik wieder durchgesetzt werden kann. Viele haben den Eindruck, dass es hier nur um den Fluss von Kapitalströmen geht, dass die Politik gar keine Kraft mehr hat. Wir müssen aber unsere Überlegenheit zeigen. Daher ist es, glaube ich, richtig und wichtig, dass wir sehen: Mit 450 Millionen Menschen in der Europäischen Union können wir natürlich die Regeln des Welthandels beeinflussen. Kein einziges Mitgliedsland könnte sich mit seinen Interessen so durchsetzen, wie wir uns gemeinsam durchsetzen können. Um ein Beispiel aus dem Umweltschutz zu nennen: Die einzelnen Mitgliedstaaten hätten niemals so erfolgreich über das Kiotoprotokoll verhandeln können. Wir haben eine gemeinsame Entwicklungshilfepolitik.

   Wir treten an vielen Stellen als Europäische Union auf und können so viel stärker gestalten. Das heißt, einer alleine würde Schiffbruch erleiden, wo wir gemeinsam unsere Interessen durchsetzen können. Das ist ein ganz handfester Vorteil Europas.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Um aber das Gesamtziel zu erreichen, müssen wir uns konzentrieren und sagen, welches die wesentlichen Bereiche sind, in denen Erfolge sichtbar werden müssen und in denen wir unseren Bürgerinnen und Bürgern beweisen müssen, dass wir mit Europa erfolgreicher sind als ohne Europa.

   Da stellt sich aus meiner Sicht zunächst die Frage der wirtschaftlichen Dynamik, der sozialen Verantwortung, die wir für die Menschen wahrnehmen, und der Arbeitsplätze.

   Jeder Mitgliedstaat - das wird auch für die Zukunft gelten - wird zunächst einmal seine eigenen Aufgaben lösen müssen. Das gilt für Deutschland allemal; denn Deutschland ist die größte Volkswirtschaft in Europa. Daraus dürfen wir keine falschen Schlussfolgerungen ableiten. Wir haben unsere Pflicht zu tun. Wir waren diejenigen, die im Rahmen der Europäischen Währungsunion den Stabilitätspakt eingeführt haben, um den Menschen Sicherheit zu geben. Deshalb ist es nicht in Ordnung, wenn wir zum dritten, vierten oder fünften Mal diesen Stabilitätspakt verletzen; denn damit genügen wir unseren eigenen Ansprüchen nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Beifall bei der FDP)

Ich weiß, dass die Bundesregierung den Menschen in diesem Lande mit manchem Beschluss in diesen Tagen manches zumutet. Glaubwürdigkeit in Bezug auf die Maßstäbe, die wir bei anderen in Europa anlegen, ist aber ein hohes Gut. Deshalb hat sich diese Bundesregierung vorgenommen, die Verfassung und den Stabilitätspakt in Europa wieder einzuhalten. So einfach ist das. Das muss durchgesetzt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

   Wir unterstützen aus vollem Herzen die Lissabonstrategie, nach der das A und O in einer Welt zunehmender Widersprüche wirtschaftlicher Erfolg, Erfolg bei Innovation, Wachstum und Arbeitsplätzen, ist. Wir werden unser Gewicht in vielen Bereichen in Europa nur einbringen können, wenn erst einmal wir zeigen, dass wir ein wirtschaftlich erfolgreiches Modell haben, das im Sinne der sozialen Marktwirtschaft gleichzeitig menschlich ist und soziale Verantwortung gewährleistet. Unsere Aufgabe ist es, aktiv an der Lissabonstrategie mitzuarbeiten. Es ist wichtig, zu überlegen, wo sich Europa Wachstumsfesseln angelegt hat.

   Unsere Aufgabe muss es immer sein, auf den Wettbewerb im Allgemeinen zu achten und vor allen Dingen auch kleinen und mittleren Unternehmen in der Europäischen Union eine Chance zu geben. Wir wissen: Wenn Europa erfolgreich sein soll, dann muss es bei Bildung, Forschung und Innovation vorne sein. Das sind unsere Stärken. Deshalb ist unsere nationale Maßnahme richtig, 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben. Es ist genauso richtig, dass wir darauf achten, dass die europäischen Forschungsstrukturen dem Anspruch genügen, Effizienz zu fördern. Sie dürfen nicht einem Regionalproporz entsprechen; Forschung muss vielmehr da gefördert werden, wo Leistungen erzielt werden, die innovativ sind und mit denen wir weltweit an der Spitze stehen.

   Wir sind sowohl innerstaatlich als auch auf europäischer Ebene einen Weg gegangen, der viele Regulierungen mit sich gebracht hat. Ich unterstütze ausdrücklich, dass die Kommission, insbesondere der Präsident der Kommission und der Vizepräsident Günter Verheugen, gemeinsam sagt, dass Bürokratieabbau das Gebot der Stunde ist. Wir können 25 Prozent des bürokratischen Aufwandes nicht nur bei uns zu Hause, sondern in ganz Europa einsparen. Es ist im Übrigen ein revolutionärer Schritt, dass wir uns nach fast 50 Jahren europäischer Einheit - Sie können zurzeit in Brüssel den mindestens 6 Meter hohen Berg aufeinander gestapelter Papiere besichtigen, die den gesamten Acquis communautaire beinhalten; all das ist in 50 Jahren entstanden - entschließen, angesichts einer sich dramatisch verändernden Welt einmal nachzuschauen, ob man etwas ändern oder wegnehmen kann. Auch das gehört zu Europa.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Die Frage, ob wir wirtschaftlich erfolgreich sein werden, ob wir den Menschen Arbeitsplätze geben können und ob die Menschen den Eindruck haben, dass sich die Wertvorstellungen einer sozialen Ordnung in der Europäischen Union besser als auf nationaler Ebene verwirklichen lassen, ist für mich die entscheidende Frage, an der sich die Akzeptanz Europas beweisen muss.

Wir brauchen neben der wirtschaftlichen Dynamik eine Antwort auf das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit, nach innerer Sicherheit und nach Rechtssicherheit. Umfragen zufolge ist das übrigens eine ganz wichtige Anforderung, die die Bürgerinnen und Bürger an Europa stellen; sie wollen das.

   Aber wir tun uns gerade auf diesem Gebiet schwer, zuzulassen, dass nationalstaatliche Verantwortungen an Europa übertragen werden. Sie erinnern sich sicherlich alle an die Debatten über den Europäischen Haftbefehl.

   Wir nutzen heute ganz selbstverständlich das Schengener Abkommen. Gerade in der Innen- und Rechtspolitik wird es immer wieder Bereiche geben, in denen einzelne Länder sich zusammenschließen und vorangehen. Ich habe - um ein Beispiel zu geben - gestern mit dem litauischen Ministerpräsidenten gesprochen: Litauen arbeitet hart daran, auch in das Schengener Abkommen integriert zu werden, weil es als ein unglaublicher Vorzug gilt, Innengrenzen zu haben und die Außengrenzen dann gemeinsam zu schützen. Das ist ein Gedanke, den wir vor 30 oder 40 Jahren für völlig unmöglich gehalten haben.

   Wer heute einmal die Verhältnisse an deutsch-französischen Grenzübergängen mit denen an deutsch-polnischen vergleicht, der spürt im Grunde schon die Ungeduld. Man fragt: Wann wird es denn nun endlich ein bisschen einfacher? Die Fortschritte haben einen unglaublichen Mehrwert für die Menschen und sie sind fast selbstverständlich geworden.

   Wir haben inzwischen ein europäisches Strafregister und einen europäischen Informationsverbund, Stichwort Europol. Gerade in der Innen- und Rechtspolitik werden wir die Vereinheitlichung weiterführen müssen, auch wenn dazu viele Mitgliedstaaten ihre Vorbehalte aufgeben müssen. Ich denke, es wird auch weiterhin eine intensive Diskussion im Deutschen Bundestag darüber geben, wie viel Souveränität wir abgeben und wie viel wir behalten wollen. Diese Diskussion muss geführt werden.

   Ein weiterer zentraler Punkt - auch hierbei geht es um die Frage, wie Europa wahrgenommen wird und wie wir unsere Interessen durchsetzen können - ist der Bereich der äußeren Sicherheit, der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik.

   Nach dem Ende des Kalten Krieges haben sich völlig neue Bedrohungen ergeben: Terrorismus, Fundamentalismus. Die Erkenntnis ist, dass kein Staat, kein Land, keiner allein mit dieser Bedrohung fertig werden kann. Das können weder die Supermacht Vereinigte Staaten noch Russland, noch die Europäische Union, geschweige denn ein Mitgliedstaat.

   Wenn man ehrlich ist, dann muss man feststellen: Europa hat hier seit dem Ende des Kalten Krieges viel lernen müssen. Wir haben auf dem Balkan nicht rechtzeitig gehandelt. Wir haben aus diesem Versagen glücklicherweise die Lehren gezogen. Es ist dann durch unseren Einsatz, zum Beispiel in Mazedonien, gelungen - in meiner Fraktion hat es darüber heiße Debatten gegeben -, einen Bürgerkrieg zu verhindern. Es ist uns, der Europäischen Union, mittlerweile gelungen, die Verantwortung für Bosnien und Herzegowina zu übernehmen. Das ist ein ganz neuer Meilenstein. Was haben wir uns noch über die Frage gestritten, ob wir außerhalb unserer Landesgrenzen überhaupt auftreten dürfen!

(Zuruf von der LINKEN: Ihr streitet weiter!)

Heute ist es für die überwiegende Mehrheit der Menschen selbstverständlich geworden, dass wir hier Verantwortung übernehmen.

   Wir überwachen die Friedensprozesse in der indonesischen Provinz Aceh. Wir haben als Europäische Union im Quartett eine ganz wichtige Rolle im palästinensisch-israelischen Konflikt übernommen. Das Engagement im Kongo bei der Absicherung der Wahlen reiht sich in die Verantwortlichkeiten ein.

   Was heißt das? Das heißt, Europa hat gelernt: Es muss eingreifen, bevor es zu spät ist, bevor es zu dramatischen Konflikten kommt, bevor wieder Hungersnöte auftreten wie in der Region der Großen Seen in Afrika. Europa kann seinen Anspruch, ein Wertesystem zu haben, nicht mehr allein bei sich durchsetzen; wenn wir es mit diesem Wertesystem ernst meinen, dann müssen wir vielmehr da helfen, wo andere allein nicht klarkommen. Das ist die Konsequenz aus dem von uns erhobenen Anspruch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir werden immer wieder merken: Wir sind als Partner gewünscht, gefragt. Angesichts dessen runzelt manch einer die Stirn und fragt: Können wir das alles leisten? Aber ich sage ganz bewusst: Wenn wir unsere Art, zu leben und zu wirtschaften, zu einer Art machen wollen, mit der wir uns auch in der Welt Anerkennung und Durchsetzung verschaffen, dann werden wir uns vor den Verantwortungen und Herausforderungen in der Welt nicht drücken können. Deshalb müssen wir auch wirtschaftlich stark sein. Wenn wir Politik gestalten wollen - die Angst der Menschen ist, dass Politik nicht mehr die gestaltende Kraft hat -, dann müssen wir das durchsetzen und dann dürfen wir uns nicht drücken. Wenn wir uns drücken, dann wird das so verstanden, als wenn wir vor den Herausforderungen kapitulieren, und das wäre genau das Falsche.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Um all diese Aufgaben bewältigen zu können, muss Europa handlungsfähig sein. Was die Handlungsfähigkeit betrifft, gibt es zwei Probleme, mit denen wir uns auseinander setzen müssen und die auch noch nicht vollständig gelöst sind. Handlungsfähig sind wir nur dann, wenn wir von unserer inneren Verfasstheit her die notwendigen Entscheidungen vernünftig treffen können. Handlungsfähig sind wir nur dann, wenn wir auch wissen, welches Gebilde diese Europäische Union ist. Erweiterung und Vertiefung - beides sind Fragestellungen, die sich jetzt in einer völlig neuen Dimension stellen, weil Europa attraktiv ist, weil viele Mitglied dieser Europäischen Union werden wollen, weil wir aber auch sagen müssen, wer das kann und wer das nicht kann und welches Angebot wir machen, um nicht als eine abgeschlossene Burg wahrgenommen zu werden.

   Was die Handlungsfähigkeit anbelangt, ist die Debatte über den Verfassungsvertrag sehr wichtig. Es ist ein Rückschlag, dass die Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden negativ ausgegangen sind.

(Zuruf von der LINKEN: Ein Fortschritt!)

   Aber damit ist mitnichten eine Aussage darüber getroffen, ob wir einen Verfassungsvertrag brauchen oder nicht. Ich sage: Wir brauchen den Verfassungsvertrag.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen ihn, weil er auf verschiedene Fragen Antworten gibt. Er sagt uns, was unsere Grundrechte sind und was das gemeinsame Verständnis ist.

   Zum allerersten Mal - damals noch unter der Führung von Roman Herzog - ist es gelungen, die Mitgliedstaaten der Europäischen Union dazu zu bringen, das, was man allgemein als unsere Wertvorstellungen bezeichnet, in Form eines Grundrechtekatalogs niederzuschreiben. Wir haben heiße Debatten gehabt - die werden auch weitergehen -, zum Beispiel über die Frage, wie wir auf unsere christlichen Wurzeln Bezug nehmen, ob das überhaupt möglich ist. Wir haben damit noch einmal einen tiefen Einblick in die unterschiedliche Geschichte der einzelnen europäischen Länder bekommen. In der Auseinandersetzung mit anderen Religionen, mit anderen Kulturen wird es wichtig sein, dass wir als Europäer in der Lage sind, auch unsere Wurzeln ganz klar zu benennen. Das erwarten andere von uns. Wie wollen wir für unsere Werte fechten, wenn wir das nicht können?

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Der Verfassungsvertrag hat zum ersten Mal den Versuch unternommen, klare Kompetenzordnungen festzuschreiben, etwas, was die Bürgerinnen und Bürger mit Recht verlangen, was im Übrigen in unserem Grundgesetz seit dem ersten Tage des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland in klarer Form enthalten war. Es gehört zu den wunderbaren Merkmalen des Grundgesetzes, dass es die Kompetenzen klar auf die einzelnen Ebenen verteilt. Wir werden nächste Woche das Vergnügen haben, über die Neuordnung dieser Kompetenzen zu sprechen -

(Dr. Werner Hoyer (FDP): Da bin ich gespannt!)

ein nicht so einfaches Thema,

(Dr. Peter Struck (SPD): Das ist wahr!)

aber eines, dessen man sich annehmen muss. Verwischte Kompetenzen sind nämlich immer ein Demokratiedefizit. Die Leute wissen nicht mehr, wen sie für was verantwortlich machen können. Das muss in Europa wieder möglich sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Dieser Verfassungsvertrag schafft zum ersten Mal das Amt eines europäischen Außenministers. Da muss man genau überlegen, welche Kompetenzen wir ihm geben wollen. Ich schaue unseren Außenminister an und sage: Er wird durch den europäischen Außenminister nicht arbeitslos werden. Man wird aber natürlich wissen müssen, wer für Europa auftritt, zum Beispiel in den Verhandlungen des Quartetts.

   Dieser Verfassungsvertrag weist mittels der Subsidiaritätsklausel zum ersten Mal den nationalen Parlamenten eine Bedeutung zu.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Sehr richtig!)

Im Übrigen hat mir der Kommissionspräsident gerade erzählt, dass das gar nicht ohne Differenzen mit dem Europäischen Parlament geht; denn das Europäische Parlament wacht mit Argusaugen darüber, dass die nationalen Parlamente nicht wieder zu viele Möglichkeiten bekommen.

An der Stelle will ich allerdings sagen: Das Europäische Parlament hat in den letzten Jahren in einem Maße an Bedeutung gewonnen, wie das vor 20, 30 Jahren überhaupt nicht vorstellbar war. Angesichts der Dienstleistungsrichtlinie und der Beratungen darüber hat es zum ersten Mal Demonstrationen in Straßburg gegeben. Einer unserer Europaparlamentarier hat gesagt, er fühle sich geehrt; das habe es überhaupt noch nicht gegeben, dass wegen einer europäischen Regelung demonstriert werde.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Das zeigt, dass dort etwas entschieden wird.

   Meine Damen und Herren, wir werden im Übrigen über Folgendes weiter diskutieren müssen; das ist im Verfassungsvertrag noch nicht geklärt. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Entscheidung richtig war, dass die politische Kraft, die bei den europäischen Wahlen die meisten Stimmen bekommt, auch das Recht erhält, den Präsidenten der Kommission zu benennen. Aber wir werden auch weitersehen müssen. Wenn wir in Europa einen Gesetzgebungsprozess mit einem so starken Europäischen Parlament haben, dann muss es auch - was für uns ganz selbstverständlich ist - das Prinzip der Diskontinuität geben. Es kann nicht sein, dass Richtlinien in Generaldirektionen erarbeitet werden, die Jahrzehnte überleben, egal wer gerade gewählt und an der Arbeit ist. Auch das gehört zu einer Fortentwicklung Europas.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Das heißt, wir haben eine Europäische Union, die durch den Verfassungsvertrag in die Lage versetzt wird, Entscheidungen zu treffen. Denn der institutionelle Teil - die Fragen bezüglich der Kommission, des europäischen Außenministers, des Rates - muss so geklärt werden, dass Europa arbeiten kann. Die heutigen Entscheidungsmechanismen in Europa sind so schwierig, dass man fast ein Fachhochschulstudium braucht, um zu erkennen, wer gerade die Mehrheit hatte oder wie man eine Sperrminorität erzeugt. Die Zusammensetzung der Kommission kann so nicht bleiben. Wir brauchen also unbedingt den Verfassungsvertrag, um ein handlungsfähiges Europa zu haben. Spätestens die deutsche Präsidentschaft wird sich damit befassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Weil das Thema aber so schwierig ist und weil die Interessen so unterschiedlich sind, bin ich gegen einen Schnellschuss, durch den wir in eine Lage versetzt werden, in der wir wieder nicht weiterkommen. Stattdessen sollten wir sehr gut überlegen, wie wir das Projekt des Verfassungsvertrages zu einem Erfolg führen. Ich möchte diesen Verfassungsvertrag, die Bundesregierung möchte ihn und auch, wie ich denke, die Mehrheit dieses Parlaments.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Meine Damen und Herren, der zweite große Punkt ist die Frage der Erweiterung. Hier will ich ausdrücklich sagen: Das, was versprochen ist, wird - da bewegen wir uns alle in einer Kontinuität - umgesetzt. Dabei sind allerdings auch die Kriterien klar, unter denen Beitritte erfolgen können. Wir werden in der nächsten Woche den Fortschrittsbericht zu Bulgarien und Rumänien erhalten. Ich denke, es ist klar, dass Bulgarien und Rumänien Mitglieder der Europäischen Union werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber ich erwarte von der Europäischen Kommission auch, dass sie in ihrem Fortschrittsbericht die Defizite klar benennt.

(Dr. Peter Struck (SPD): Richtig!)

   Wir helfen den Ländern nicht, wenn wir die Defizite einfach unter den Teppich kehren und davon ausgehen, dass die Europäische Union und die europäische Idee sie schon zudecken werden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich gehe auch davon aus, dass die Europäische Kommission Vorschläge machen wird, wie diese Defizite zu beheben sind.

   Wichtig ist auch, dass Beitrittsverhandlungen keine Einbahnstraße sind. Die Kriterien müssen erfüllt werden. Das gilt für Kroatien genauso wie für die Türkei. Es gibt auch keine Koppelgeschäfte. Nur weil zwei Länder am gleichen Tag die Beitrittsverhandlungen begonnen haben, müssen sie sie nicht auch am gleichen Tag abschließen. Jedes Land hat ein Anrecht darauf, so behandelt zu werden, wie es sich selber darstellt.

   Es war richtig, meine Damen und Herren, dass die Europäische Union die Verhandlungen über ein Stabilitäts- und Assoziationsabkommen mit Serbien und Montenegro erst einmal unterbrochen hat, weil dort keine Kooperation mit dem Haager Gerichtshof für Kriegsverbrechen stattfindet. Auch solche Signale müssen ausgesandt werden: Beitritte gibt es nicht zu jedem Preis, sondern die Bedingungen, die für die Europäische Union gelten, müssen erfüllt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Da wir nicht alle, die Mitglied werden wollen, aufnehmen können, werden wir die Nachbarschaftspolitik weiterentwickeln. Das ist überhaupt keine Frage. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir das nicht einfach mit Handelsassoziierungsabkommen machen können. Wir werden diesen Staaten eine verstärkte politische Kooperation anbieten müssen, die aber nicht in jedem Falle eine Vollmitgliedschaft bedeuten kann. Ich habe begründet, warum Europa handlungsfähig sein muss. Ein Gebilde, das keine Grenzen hat, kann nicht in sich schlüssig handeln und eine bestimmte Verfasstheit haben. Das müssen wir uns klar vor Augen führen und deshalb Grenzen ziehen.

Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn wir die anstehenden Fragen beantworten und als Bundesrepublik Deutschland unseren Beitrag dazu leisten, dass die Menschen in ganz Europa nachvollziehen können, dass diese Europäische Union für uns eine einzigartige Möglichkeit ist, unsere Interessen, unsere Werte, unsere Art zu leben, lebbar zu machen, dann werden die Menschen das auch verstehen. Es kann dann sein, dass einige Punkte wieder unter die nationale Kompetenz fallen und andere aus der nationalen in die europäische Kompetenz übergehen. Dies muss sich aber immer an folgenden Fragen orientieren: Hat es einen Mehrwert für die einzelnen Menschen, für ihre soziale Sicherheit, für ihren Arbeitsplatz und für unsere äußere und innere Sicherheit? Haben wir damit die Möglichkeit, einen Beitrag zu leisten, anderen bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen? Wenn wir diese Fragen ehrlich beantworten, dann werden wir die Europäerinnen und Europäer erreichen, und zwar nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten.

   Unsere Politik muss die Kraft haben, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Wir müssen an die Kraft von Frieden in Freiheit, von Demokratie und von Menschenrechten glauben, die auf der ganzen Welt verwirklicht werden sollten. Mit unserer Politik auf der Grundlage dieser unglaublich großen Erfolgsgeschichte müssen wir die Zukunft gestalten.

   Menschen wie Schuman, de Gaulle, Adenauer und viele andere standen damals vor unglaublich großen Trümmern; aber sie hatten Visionen. Wir haben ein starkes Fundament, auf dem wir aufbauen können. Wir haben eine jahrzehntelange Erfolgsgeschichte. Heute gibt es neue Bedrohungen, neue Herausforderungen und mehr Wettbewerb. Aber mit unserer Geschichte und unserem Selbstbewusstsein, das wir einbringen, können wir es schaffen, aus Europa auch im 21. Jahrhundert eine Erfolgsgeschichte zu machen. Ich jedenfalls bin entschlossen, gemeinsam mit der Bundesregierung und mit Ihnen das zu tun.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Werner Hoyer (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Zustand der Europäischen Union ist überaus besorgniserregend. Über Jahrzehnte hinweg haben wir uns darauf verlassen können, dass die Integrationsfortschritte nicht reversibel sind.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Herr Präsident, ich möchte gerne hören, was der Kollege sagt)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Einen Moment, Herr Kollege Hoyer. Ich möchte dem Fraktionsvorsitzenden der FDP gerne bei seinem verständlichen Bemühen behilflich sein, Ihrer Rede ungestört folgen zu können. Ich bitte all diejenigen, die an der Debatte nicht weiter teilnehmen können, möglichst schnell und geräuschlos den Saal zu verlassen.

(Dirk Niebel (FDP): Sie könnten aber etwas lernen, wenn sie blieben!)

Dr. Werner Hoyer (FDP):

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Zustand der Europäischen Union ist besorgniserregend. Wir müssen alles daran setzen, die aufkommenden Zweifel an der Irreversibilität des Integrationsprozesses schnellstens auszuräumen. Defizite an politischer Führung in Brüssel und in vielen Mitgliedstaaten, erschreckende, ja oft stumpfsinnige Renationalisierungstendenzen in einigen Mitgliedstaaten, abnehmendes Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger, mangelndes Vertrauen in die Reformfähigkeit unserer Mitgliedstaaten - all das gibt Anlass zu größter Sorge.

   Wir Politiker dürfen die Skepsis gegenüber Europa nicht durch populistische Wettrennen bei der vermeintlichen Wahrnehmung nationaler Interessen oder durch Teilnahme an der immer weiter um sich greifenden Europanörgelei geradezu anfeuern.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Hartmut Koschyk (CDU/CSU))

   Sicher, Europa hat Schwächen. Die Politik muss diesen Schwachstellen zu Leibe rücken. Aber wir haben auch die Pflicht, darzustellen, dass der Prozess der europäischen Integration ohne Alternative ist und wir uns an der Zukunft unserer Völker versündigen würden, wenn wir nicht entschlossen aufträten, wenn diesem Integrationsprozess Schaden droht.

   Die Staats- und Regierungschefs können dazu übrigens selber beitragen, indem sie nach Tagungen der Europäischen Räte nicht immer nur das national Herausgeholte in den Vordergrund stellen und dabei das Ganze aus dem Blick verlieren. Europa ist kein Nullsummenspiel; Europa ist mehr als die Summe seiner Teile.

   Natürlich ist das schwer zu kommunizieren, wenn die Menschen Angst um ihren Arbeitsplatz haben oder ihn bereits verloren haben. Man darf nicht übersehen, dass jeder verlorene Arbeitsplatz mit einem Gesicht, mit einem konkreten Schicksal verbunden ist, während jeder Arbeitsplatz, der durch die europäische Integration und die Globalisierung neu geschaffen wird, eher abstrakt bleibt. Dennoch müssen wir immer wieder darauf hinweisen, dass die Veränderungen, die die europäische Integration mit sich bringt, per saldo positiv sind. 50 000 zusätzliche Arbeitsplätze netto durch die Öffnung nach Osten - so rechnet es uns der Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels vor - ist eine Zahl, die man ernsthaft zur Kenntnis nehmen und kommunizieren muss.

   Die Gründergeneration der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die auch Kriegsgeneration war, ist heute im Deutschen Bundestag nicht mehr vertreten. Solange Helmut Schmidt, Willy Brandt, Hans-Dietrich Genscher und Helmut Kohl die Szene geprägt haben, war es völlig undenkbar, dass die Qualität der Europäischen Union als größtes europäisches Friedensprojekt unserer Geschichte im Bewusstsein der Menschen weit nach hinten rückt. Für die heutige junge Generation ist dies alles - erfreulicherweise - selbstverständlich erlebte Realität und Normalität, die kaum jemand hinterfragt.

   Dennoch müssen wir - Frau Bundeskanzlerin, Sie haben das dankenswerterweise heute getan - immer wieder auf die großen Zusammenhänge und auch auf die damit verbundenen fundamentalen Wertefragen hinweisen, die wir mit der europäischen Integration verbinden. Wir werden die jungen Menschen aber nicht allein durch den Verweis auf die Gräber von Verdun für Europa begeistern können. Hinzukommen muss der Hinweis auf die Riesenchancen, die die europäische Integration für unsere Zukunftssicherung darstellt. Sie haben gesagt: Wir müssen der historischen Begründung eine Neubegründung hinzufügen. - Das teile ich ausdrücklich.

   Europa ist die Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung. Mit Europa organisieren wir die Selbstbehauptung der Europäer im globalen Wettbewerb, und zwar wirtschaftlich wie politisch. Ohne Europa werden weder Deutschland noch Dänemark, weder Ungarn noch Großbritannien ihre Interessen in der Welt wahren sowie Sicherheit und Wohlstand erhalten können.

   Dabei kann vieles besser gemacht werden. Man kann sich zum Beispiel auf das konzentrieren - Sie haben es gesagt -, was Europa besser kann als der Nationalstaat oder die Regionen. Wir sollten deshalb zum Beispiel dringend prüfen - um konkret zu werden -, ob das Subsidiaritätsprotokoll des Verfassungsvertrages, das einen wirklichen Fortschritt darstellt, nicht vorab in Kraft gesetzt werden kann.

(Beifall bei der FDP)

Die Rolle der nationalen Parlamente kann, ja muss schnellstmöglich sichtbar gestärkt werden.

   Aber wir sollten nicht in Brüssel Kritik abladen, die nach Berlin oder in deutsche Landeshauptstädte gehört. Beim Antidiskriminierungsgesetz sehen wir, welchen Glaubwürdigkeitsverlust man sich sehr schnell einhandeln kann.

(Beifall bei der FDP)

Sie von der Union haben im letzten Jahr Ihre Wahlkreise durchpflügt und mit dem Kampf gegen das rot-grüne Antidiskriminierungsgesetz richtig schön Punkte gemacht.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Was ist daraus geworden? Sie hatten ursprünglich gesagt, in Zukunft würden EU-Richtlinien nur noch eins zu eins umgesetzt. Dann haben Sie aber eine Kirchenklausel herausgehandelt und für die Landwirte noch etwas herausgeholt. Und schon ist das alte rot-grüne Antidiskriminierungsgesetz wieder auf dem Tisch.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Weil es einfach gut ist!)

Das schafft keine zusätzliche Glaubwürdigkeit; das schafft kein Vertrauen in die Politik.

(Beifall bei der FDP)

   Einen ähnlichen Fall unverantwortlichen Herumschlagens auf Europa bei gleichzeitigem nationalen Versagen sehen wir in vielen Fragen des Lissabonprozesses. Es ist doch geradezu rührend, wenn der Europäische Rat im Halbjahresrhythmus große Ziele bekräftigt, die nationalen Hausaufgaben aber gleichzeitig nicht erledigt werden.

   Deutschland wird umso mehr Einfluss entfalten können, je mutiger und konsequenter wir unsere Volkswirtschaft modernisieren, unsere Bildungsanstrengungen intensivieren, unsere Haushalte sanieren und unsere Arbeitsmärkte deregulieren.

   Frau Bundeskanzlerin, Sie haben am Dienstag gefordert: Jobs schaffen, Bürokratie abbauen und Überregulierung zurücknehmen. Das ist völlig richtig. An genau dieser Stelle muss die Bundesregierung aber selbst noch liefern. Ansonsten werden in Europa viele Hoffnungen zerstört, die sich vor allem auf Deutschland und die deutsche Bundeskanzlerin richten.

   Wir Freien Demokraten wünschen Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie die in Sie gesetzten Hoffnungen erfüllen können. Der Anspruch auf Reformen in Europa und das Fehlen einer mutigen nationalen Reformpolitik passen allerdings nicht zusammen.

(Beifall bei der FDP)

   Am 25. März 2007, also etwa zur Halbzeit der deutschen Präsidentschaft, jährt sich die Unterzeichnung der Römischen Verträge zum 50. Mal. Es muss unsere Ambition sein, diesen Jahrestag für einen neuen Aufbruch, nicht nur zur Reflexion und Rückbesinnung zu nutzen. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, warten heiße nicht, den Verfassungsprozess einschlafen zu lassen, sondern den geeigneten Zeitpunkt zum Handeln zu finden, der aber noch nicht gekommen sei. Wir haben aber nicht mehr viel Zeit. Spätestens während der deutschen Präsidentschaft, möglicherweise in dem kleinen Zeitfenster zwischen den Wahlen in Frankreich und dem Ende der deutschen Präsidentschaft, muss Deutschland alles versuchen, den Zug wieder auf die Schiene zu setzen und die Weichen richtig zu stellen. Mit dem Vertrag von Nizza können wir uns auf Dauer nicht zufrieden geben. Wenn wir das täten, spielten wir denen in die Hände, die von vornherein nicht mehr wollten als eine gehobene Freihandelszone.

(Beifall bei der FDP)

   Wer mehr Demokratie, mehr Transparenz, mir Subsidiarität, mehr Dynamik und mehr Handlungsfähigkeit, auch in der Außen- und Sicherheitspolitik, will, muss den Verfassungsprozess neu beleben. Ich halte es für ernsthaft erwägenswert, bei Wahrung des Gehalts des Vertrages über eine Verfassung für Europa seine konstitutionellen Elemente zu einem echten, vergleichsweise schlanken und lesbaren Verfassungstext zu destillieren und die übrige Materie, insbesondere den Teil III, weitgehend sekundärrechtlich zu regeln.

   Europa braucht Mut: Mut zur Erneuerung, Mut zur Freizügigkeit, Mut zum Wettbewerb, Mut zur Vertiefung und Mut zur weiteren Öffnung, auch wenn zwischen den Entscheidungen in Zukunft vermutlich größere Abstände liegen. Wir brauchen mehr Kreativität bei der praktischen Ausgestaltung. Europa braucht Mut zur Freiheit, damit die Bürger und Staaten unseres Kontinents die intellektuellen, technologischen und ökonomischen Chancen nutzen und die Dynamik entfalten können, die wir für die Sicherung unserer Zukunft dringend brauchen.

   Wenn Sie, Frau Bundeskanzlerin, dem europäischen Integrationsprozess neuen Schwung geben wollen, werden Sie die Freien Demokraten an Ihrer Seite finden, insbesondere dann, wenn Sie Ihren europäischen Anspruch durch nationale Politik unterfüttern.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das ist eine konstruktive Opposition, was!?)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Angelica Schwall-Düren das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In seiner Dankesrede anlässlich der Entgegennahme des Bruno-Kreisky-Preises am 9. März 2006 sagte Jürgen Habermas:

Was mich heute am meisten aufregt, die Zukunft Europas nämlich, finden andere abstrakt und langweilig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin überzeugt, die heutige Debatte im Deutschen Bundestag wird nicht nur zeigen, dass wir Europa ernst nehmen, sondern auch, dass wir mit Leidenschaft diskutieren. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben uns das eben bereits gezeigt.

Die Europawoche gibt uns Gelegenheit, eine Standortbestimmung vorzunehmen. Jenseits von Gedenkritualen ist es aber wichtig, dass wir uns der Herausforderungen, aber auch der Gefahren eines Rückfalls hinter den Stand der erreichten Integration bewusst sind. Es ist in der Tat so, dass wir bis spätestens 2009 eine Entscheidung darüber herbeiführen müssen, wohin die Europäische Union will. Wir müssen uns fragen, ob die Friedenssicherung und die Wohlstandsentwicklung uns weiterhin, ebenso wie in der vergangenen Zeit, gelingen werden. Die Bürgerinnen und Bürger zweifeln zunehmend und immer wieder. Dennoch ist die Mehrheit für die Europäische Union. Das scheint ein Widerspruch zu sein. Aber angesichts der rasanten Veränderungen nach Beendigung des Ost-West-Gegensatzes ist es tatsächlich so, dass die Ängste der Bürger und Bürgerinnen zugenommen haben: Ängste um ihren Arbeitsplatz, um den Verlust ihrer Identität, aber auch die Sorge um die Zukunft ihrer Kinder.

   Das kennzeichnet auch die Herausforderungen für Europa, für die Europäische Union. Denn dass die Bürger die EU für notwendig halten, weist darauf hin, dass sie Erwartungen und Wünsche an die Europäische Union haben, dass sie Lösungen und Antworten auf die aufgeworfenen Fragen und auf die Herausforderungen erwarten.

   Damit sind natürlich der Rahmen der zukünftigen Arbeit und damit auch der Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft gekennzeichnet. Die Frau Bundeskanzlerin hat ein großes Tableau gezeichnet. Gemessen an der Tatsache, dass eine Ratspräsidentschaft lediglich ein halbes Jahr dauert, sind die Erwartungen natürlich sehr hoch und wir müssen vorsichtig sein, um nicht Erwartungen zu wecken, die dann nicht erfüllt werden können.

   Es ist richtig, dass Deutschland in der Vergangenheit immer wieder gezeigt hat, wie wir die Europäische Union zusammen mit unseren Partnern voranbringen können. Nicht zuletzt bei den Verhandlungen über die Finanzen haben Frau Bundeskanzlerin Merkel und Herr Außenminister Steinmeier bewiesen, dass wir die Europäische Union voranbringen können.

(Beifall des Abg. Axel Schäfer (Bochum) (SPD))

Aber wir haben keine finanzielle Wundertüte mehr, wie wir sie bis zum Ende der 80er-Jahre besaßen, und die Europäische Union ist vielfältiger und widersprüchlicher geworden. Man muss heute auch sagen: Im Augenblick haben wir keinen starken französischen Partner an unserer Seite, der uns helfen kann, die Gegensätze zu überbrücken.

   Wir werden die Projekte, die angefangen und noch nicht erledigt sind, fortsetzen müssen. Wir werden neue Akzente setzen und Impulse geben. Es ist ganz wichtig - ich bin froh, dass hierbei bis auf ganz wenige Ausnahmen große Einigkeit im Deutschen Bundestag besteht -, dass das Verfassungsprojekt vorangebracht wird. Ich stimme mit der Bundeskanzlerin völlig überein, dass wir die Verfassung für die Handlungsfähigkeit, für größere Transparenz und für mehr Bürgernähe brauchen. Mein Kollege Michael Roth wird anschließend genauere Ausführungen dazu machen.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, das französische und das niederländische Nein in den Referenden zur Verfassung waren neben anderen Gründen auch mit der Erwartung an die soziale Gestaltungskraft der Europäischen Union verbunden. Deswegen ist es wichtig, dass wir in diesem Feld aktiv bleiben und noch aktiver werden.

(Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE))

   Sollte die europäische Dienstleistungsrichtlinie bis zu unserer Ratspräsidentschaft noch nicht verabschiedet sein - ich hoffe, dass sie es sein wird -, dann wird sich Deutschland selbstverständlich dafür einsetzen, dass dieses Projekt erfolgreich zu Ende gebracht wird. Für uns ist dabei klar, dass das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ zur Geltung kommen muss.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Die soziale Dimension der Europäischen Union kann im Jahr 2007 in hervorragender Weise angepackt werden, in einem Jahr, das auf europäischer Ebene als Jahr der Chancengleichheit für alle ausgerufen wird. Es kommt in der Tat darauf an, dass konkrete Politik gemacht wird, die für die Menschen erfahrbar ist. Dabei geht es beispielsweise - übrigens sind das auch Faktoren für Wachstum im wirtschaftlichen Bereich - um Themen wie Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Es geht um die Arbeitszeitrichtlinie, um die Arbeitsschutzrichtlinie, um Fragen der Leiharbeit und um das Aktionsprogramm „Lebenslanges Lernen“.

Hier gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, die notwendige Flexibilität mit der sozialen Sicherheit für die Bürger und Bürgerinnen zu verbinden.

   Um die Voraussetzungen für Chancengleichheit schaffen zu können, braucht der Staat allerdings finanzielle Ressourcen. Deswegen müssen wir uns auch dem Thema „unfairer Steuerwettbewerb“ widmen. Ich bin froh, dass wir das Projekt der Schaffung einer einheitlichen Bemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerung weiterverfolgen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Das historisch gewachsene Zusammenspiel der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Institutionen ist ein fundamentaler Bestandteil unseres kulturellen europäischen Erbes. Das ist es, was wir soziale Marktwirtschaft oder gelegentlich auch europäisches Sozialmodell nennen.

   Klar ist: Bei der Umsetzung der Wachstumsstrategie von Lissabon werden wir Sozialdemokraten darauf achten, dass es zu keinen marktradikalen Entwicklungen kommt, wie sie immer wieder von der FDP eingefordert werden, sondern dass eine Modernisierung der gewachsenen Strukturen verfolgt wird. Würde hier ein Abbau betrieben, könnten wir nicht mit einem ökonomischen Erfolg rechnen, sondern müssten eher negative Abwehrreaktionen befürchten. Wir werden das nationale Reformprogramm zur Umsetzung der Lissabonstrategie sorgfältig begleiten, damit seine positiven Ansätze auf dem Frühjahrsgipfel 2007 als Erfolg gewertet werden können.

   Zum Thema Bürokratieabbau ist heute bereits einiges gesagt worden. Dem möchte ich nur eines hinzufügen: Es ist sicherlich wichtig, insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen in diesem Bereich zu entlasten. Dabei darf aber keine blinde Deregulierung stattfinden. Vielmehr ist eine bessere Gesetzgebung erforderlich, um die Innovationsfähigkeit dieser Unternehmen zu stärken und ihnen die Chance zu geben, am Wissens- und Technologietransfer teilzunehmen, den wir auch im Rahmen der europäischen Forschungsprogramme unterstützen können.

   Frau Merkel hat in den letzten Tagen auf die europäische Energiestrategie hingewiesen. In der Tat ist eine nachhaltige Energieversorgung, die bezahlbar und sauber ist, eine sehr wichtige Bedingung für den Erfolg der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten. Deswegen brauchen wir eine kooperative Energiestrategie, die mehr bedeutet, als langfristige Lieferverträge abzuschließen. Dazu gehören auch Elemente wie Energieeffizienz und Energieeinsparung sowie die Unterstützung regenerativer Energien. Auch in diesem Bereich ist die Europäische Union tätig, um im Interesse einer ökologischen Nachhaltigkeit, aber auch im Interesse der Bewahrung und Schaffung von Arbeitsplätzen, beispielsweise im Handwerk und in der Landwirtschaft, Erfolge zu erzielen.

   Hier muss Deutschland Impulsgeber sein, aber auch Moderator zwischen den unterschiedlichen Interessen der großen und der kleinen Staaten, zwischen den Ländern, die in der Zukunft eher den nuklearen, den fossilen oder den regenerativen Energien eine Chance geben wollen. Deutschland muss auch Moderator zwischen Ländern mit unterschiedlichen historischen Erfahrungen sein. Das hat, wenn ich beispielsweise an unsere Nachbarn Polen und die baltischen Staaten denke, auch mit der Frage zu tun: Wie viele Kompetenzen sollen auf europäischer Ebene angesiedelt werden und wie viel kann und muss weiterhin auf nationaler Ebene geregelt werden?

   Hier besteht ein Zusammenhang mit dem wichtigen Feld der Energiesicherheitspolitik, mit der Nachbarschaftspolitik und mit der gemeinsamen Außenpolitik, der bereits skizziert worden ist. Ich möchte allerdings betonen, wie wichtig es ist, dass wir diese Politiken mit den östlichen Nachbarn der Europäischen Union partnerschaftlich weiterentwickeln und uns auf gleicher Augenhöhe begegnen, damit die Menschen in diesen Ländern die Chance bekommen, an der Entwicklung hin zu Demokratie, Wohlstand und sozialer Sicherheit teilzunehmen, ohne dass damit Souveränitätsabgabe verbunden ist.

(Beifall bei der SPD)

   Wir haben in den nächsten Jahren eine Fülle von Herausforderungen zu meistern: den Beitritt von Rumänien und Bulgarien, die Beitrittsverhandlungen mit weiteren Ländern, die Entwicklung einer europäischen Perspektive für den westlichen Balkan. Diese europäische Perspektive muss gesichert sein, aber dabei müssen wir Augenmaß wahren und die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union berücksichtigen. Deswegen wünschen wir uns, wünschen wir der Bundesregierung, wünschen wir Frau Merkel und Herrn Steinmeier im Vorfeld und bei der Ausübung der deutschen Präsidentschaft in der Europäischen Union weitsichtige und kompetente Partner. Ich bin sicher, dass wir dann gemeinsam erfolgreich für die Zukunft der Bürger und Bürgerinnen in der Europäischen Union arbeiten können. Diese Erfolge werden von den Menschen gewürdigt werden und die Europäische Union wird wieder mehr Akzeptanz bei ihnen finden; da bin ich ganz sicher. An diesen konkreten Politikfeldern wird sich das zeigen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die große Leistung der Europäischen Union darin bestehen kann - und hoffentlich auch darin bestehen wird -, dass es einen europäischen Frieden gibt, dass die Jahrhunderte der europäischen Kriege endlich überwunden werden und dass zumindest auf diesem Kontinent die kriegerische Geschichte ein Ende findet. Dann - so die Hoffnung - wären die kriegerischen Auseinandersetzungen innerhalb Jugoslawiens, aber auch der völkerrechtswidrige Krieg der NATO gegen Jugoslawien die hoffentlich letzten Kriege in Europa gewesen. Das wäre wichtig.

(Beifall bei der LINKEN)

   Sie wissen, dass es in der EU-Verfassung, die von zwei Völkern mehrheitlich abgelehnt worden ist - darauf komme ich noch zu sprechen -, auch einen großen militärischen Teil gibt. Ich hätte es noch verstanden, wenn man die nationalen Streitkräfte durch irgendetwas Europäisches ablösen wollte. Es soll aber alles oben draufgesetzt werden: Die NATO soll bleiben, die nationalen Streitkräfte sollen bleiben und Europa will auch noch Streitkräfte. Wozu eigentlich, wenn wir Europäer keine Kriege mehr führen wollen? Das ist die Frage, die die Bevölkerungen stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Frau Bundeskanzlerin, ich hätte heute von Ihnen ein Wort zu dem Interview erwartet, in dem Verteidigungsminister Jung auf die Frage, ob für unser Militär, die Bundeswehr, wirtschaftliche Interessen, Versorgungs- und Ressourcensicherung eine Rolle spielen, sagte: Ja, das müsse man offen sagen. - Das ist ein Denken wie in den früheren Jahrhunderten. Ich will nicht, dass wir noch Kriege wegen Erdgas, Erdöl und dergleichen führen!

(Beifall bei der LINKEN)

Das wäre auch grundgesetzwidrig. Wenn Sie die Mütter und Väter des Grundgesetzes gefragt hätten, ob sie sich vorstellen könnten, die Bundeswehr zur Durchsetzung ökonomischer Interessen einzusetzen, hätten sie das völlig zu Recht strikt verneint. Wir sollten uns an das Grundgesetz halten.

(Beifall bei der LINKEN)

   Bis Maastricht war die Europäische Union darauf ausgerichtet, die Volkswirtschaften der Länder anzugleichen und sozusagen schrittweise eine ökonomische Gemeinschaft in Europa zu schaffen. Das war auch sehr sinnvoll. Aber wir müssen uns mit den Änderungen, die es seit Maastricht gegeben hat, auseinander setzen. Es war Helmut Kohl, der gesagt hat: Erst die politische Union, dann die Währungsunion. Als er die politische Union nicht durchsetzen konnte, hat er sich entschieden, doch erst die Währungsunion einzuführen. Dafür zahlen die europäischen Völker noch heute; denn das war der Beginn der Dumpingstrukturen, mit denen wir es heute zu tun haben.

(Beifall bei der LINKEN)

   Eigentlich hätten wir vor der Währungsunion die Verfassung gebraucht, über die jetzt diskutiert wird. Wir hatten aber keine. Immer, wenn man so etwas im Nachhinein einzuführen versucht, wird es kompliziert. Nun haben wir - zum Teil - einen Binnenmarkt und eine Binnenwährung - auch zum Teil -, aber keine wirkliche politische Verfasstheit. Das ist ein riesiges Problem. Schritt für Schritt versuchen wir jetzt, das eine oder andere zu regeln.

   Wie lautet denn das Argument, das immer vorgebracht wird, wenn es um die Senkung der Steuern für Konzerne, Best- und Besserverdienende geht? Das Argument lautet, das sei gerade in einem anderen europäischen Land so gemacht worden, danach müssten wir uns richten. Das ist organisiertes Steuerdumping, das dazu führt, dass die Staaten nicht mehr in der Lage sind, den sozialen und ökologischen Ausgleich zu bezahlen, der aber dringend nötig ist, und die notwendigen Investitionen vornehmen zu können.

(Beifall bei der LINKEN)

Wann machen wir endlich Schluss damit? Wann einigen wir uns in der Europäischen Union endlich und legen Mindeststeuern fest, die jedes Land erheben muss, zum Beispiel bei der Körperschaftsteuer? Wir brauchen diesbezüglich eine Verständigung, sonst ist das keine Union. Wir haben einen Binnenmarkt mit einer Binnenwährung, die Steuern aber sind völlig unterschiedlich. Die Unterschiede sind viel größer als diesbezüglich zwischen den Nord- und den Südstaaten in den USA. Das ist nicht zu verkraften.

(Beifall bei der LINKEN)

   Dadurch haben wir ein Dumping bei Löhnen und bei sozialen und juristischen Standards. Weil meine Zeit dafür nicht reicht, will ich das nicht näher ausführen. Nur so viel: Bei der Zulassung der Beschwerde eines Nachbarn gegen einen Bau auf dessen Nachbargrundstück gibt es gewaltige Differenzen. Es macht aber einen Riesenunterschied, ob Sie einem Investor sagen: „Das kann acht Jahre dauern“ oder, in einem anderen Land, „Das dauert ein halbes Jahr“. Darüber muss man sich doch verständigen, wenn man eine Union sein will.

(Beifall bei der LINKEN)

   Als die Erweiterung der Union anstand, hat man gesagt, man wolle nicht mehr zahlen, man wolle für den Aufbau der Wirtschaften in Litauen, Slowenien und in anderen Ländern nicht mehr so viel Geld ausgeben. Das führte dazu, dass die Union umgerechnet für jeden Iren 122,1 Euro im Jahr zahlt, für jeden Slowenen aber nur 44,4 Euro. Irland ist inzwischen aber das zweitreichste Land in der Union. Was ist die Folge dessen? Die Folge ist, dass Dumpingstrukturen entstehen, weil man Slowenien und andere Länder zwingt, über möglichst niedrige Steuern Anziehungskraft auszuüben. Das wirkt sich negativ in den reicheren Ländern wie Frankreich und Deutschland auswirken und führt zu solch negativen Stimmungen führen, die Sie nicht verstehen und womit Sie sich hier auseinander setzen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Sie haben gesagt, bei der Erarbeitung einer Verfassung bräuchten Sie eine Denkpause, Sie müssten in Ruhe darüber nachdenken. Nun sagen Sie, Sie wollen die Verfassung so, wie sie ist. Frau Bundeskanzlerin, Mehrheiten in Frankreich und in Holland haben die Verfassung abgelehnt. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie können doch nicht einfach sagen: „Wir machen eine Pause“ und dann die gleiche Verfassung wieder einbringen. Man muss sich doch Gedanken darüber machen, was man ändern muss, um die Mehrheit der Bevölkerungen dafür zu gewinnen, gerade wenn man, wie auch wir, die Europäische Union will.

   Ich fordere Sie auf: Denken Sie neu über den militärischen Teil nach und darüber, wie der Neoliberalismus aus der Verfassung verdrängt wird.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf des Abg. Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU))

- Sie machen hier doch nichts weiter als neoliberale Politik:

(Beifall bei der LINKEN)

Sie wollen das Rentenalter heraufsetzen. Die Jungen sollen weniger Arbeitslosengeld II bekommen. Die von Arbeitslosengeld II Betroffenen wollen Sie auf unangenehmste Weise kontrollieren. Der Sparerfreibetrag soll heruntergesetzt werden. Dann machen Sie eine Reichensteuer, die nicht einmal ein Witz ist. - Das ist die Wahrheit. So wird gegenwärtig Politik organisiert.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit dieser Politik werden Sie den Haushalt nicht konsolidieren, aber die Gesellschaft weiter entsolidarisieren. Das ist das Problem.

(Beifall bei der LINKEN)

   Wir brauchen eine Europäische Union des Friedens und der Abrüstung und eine Europäische Union der Wohlfahrt, aber dies nicht für die 10 Prozent Reichsten in der Gesellschaft, sondern endlich für die Mehrheit der Bevölkerungen. Dann wird es auch ein Ja zu einer veränderten und brauchbaren Verfassung für Europa geben, die wir zweifellos dringend benötigen.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Gysi, ich weiß, dass Sie jetzt erst die richtige Betriebstemperatur erreicht haben.

(Heiterkeit)

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):

Das stimmt, Herr Präsident. Ich komme langsam in Form. Das haben Sie gut erkannt.

(Heiterkeit)

   Zum Schluss möchte ich aber noch einen Gedanken vorbringen: Dann, Frau Bundeskanzlerin, habe ich die Hoffnung, dass wir eine Jugend erleben, von der wir sagen können, sie habe ein erweitertes europäisches Selbstbewusstsein. Es wäre doch eine Chance, wenn solche Leute einer europäischen Mannschaft und nicht nur ihrer Nationalmannschaft die Daumen drücken würden. Davon sind wir leider noch meilenweit entfernt, aber wir werden es noch erleben.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Volker Kauder (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit 60 Jahren leben wir Europäer in Frieden. Diese lange Phase des Friedens ist historisch einmalig. Schon deshalb ist die europäische Integration eine Erfolgsgeschichte ohne Beispiel.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Diese Erfolgsgeschichte ist eng verbunden mit den christlich-demokratischen Baumeistern Europas: Konrad Adenauer, Alcide de Gasperi, Robert Schuman und Helmut Kohl. Allerdings ist diese Leistung für die Mehrheit der Menschen selbstverständlich geworden. Daher fragen sie nach dem Nutzen der Europäischen Union. Das Dilemma besteht darin, dass ausgerechnet die fundamentalen Errungenschaften der EU - Friede, Versöhnung, Sicherheit und Wohlstand - in der Wahrnehmung vieler Menschen nicht mehr ausreichen, um den Nutzen der europäischen Integration darzustellen. Wir alle erleben in unseren Wahlkreisen unmittelbar, wie deutlich der Unmut gewachsen ist. Nur noch jeder vierte Deutsche glaubt, dass die Mitgliedschaft in der EU für Deutschland unter dem Strich Vorteile hat. Nur jeder Vierte!

   Das liegt auch daran, dass die Menschen mit Sorge zur Kenntnis genommen haben, dass die EU in den letzten Jahren nach ihrer Auffassung zu schnell gewachsen ist. Das hat zu strukturellen Schwierigkeiten geführt. Damit die EU ihre Erfolgsgeschichte fortsetzen kann, brauchen wir jetzt dringend eine Phase der Konsolidierung. Zunächst müssen wir unsere Vorstellungen von Europa neu definieren und nüchtern fragen: Was ist die EU? Was soll die EU werden? Welche Aufgaben liegen vor uns?

   Ich sehe eine zentrale Aufgabe der EU in der inhaltlichen Vertiefung. Es ist deshalb richtig, wenn die Bundeskanzlerin sagt, dass die EU nicht unbegrenzt wachsen kann. Daraus folgt eine klare Erkenntnis: Der Wunsch eines Landes nach Aufnahme in die Europäische Union muss auch mit der Aufnahmefähigkeit der EU in Übereinstimmung gebracht werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Wichtiger als Konferenzen zur Seele und zur Identität Europas ist, dass wir uns kritisch den gegenwärtigen Zustand der Europäischen Union anschauen und fragen: Ist es gut so? Hier - da hat die Bundeskanzlerin völlig Recht - müssen wir die EU so beim Wort nehmen, wie es im Verfassungsvertragsentwurf steht. Nur die Aufgaben, die die Nationalstaaten allein nicht mehr regeln können, dürfen auf europäischer Ebene behandelt werden. Das ist der Kern von Subsidiarität und diesen Kern müssen wir europarechtlich verankern. Wir benötigen daher eine klare Abgrenzung von Verantwortungsbereichen, so wie sie durch die europäische Verfassung angestrebt wird. Wir können nicht zulassen, was gerade in diesen Tagen vom Präsidenten der EU-Kommission wieder formuliert worden ist, nämlich dass die Europäische Kommission immer wieder nach neuen Kompetenzen greift. Das untergräbt die politische Legitimität der EU.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Nur um zwei Beispiele zu nennen: Was hat die Europäische Kommission mit den deutschen Naturschutzgebieten zu schaffen

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Frage kann ich Ihnen beantworten! Ohne die EU gäbe es diese Naturschutzgebiete nicht!)

oder mit der Frage, ab welcher Außentemperatur Arbeitnehmer frei bekommen? Immerhin ist diese irrsinnige „Sonnenscheinrichtlinie“ inzwischen entschärft worden.

   Auf den Einwand, dass es ohne die EU diese Gebiete nicht gäbe, muss ich Ihnen sagen: Ich glaube, dass der Deutsche Bundestag und die deutschen Bundesländer sehr wohl in der Lage sind, in eigener Kompetenz die Naturschutzgebiete in unserem Land festzulegen.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 2050!)

Dazu brauchen wir keine europäische Richtlinie.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Europäische Kommission sollte sich eher darauf konzentrieren, Regulierungen auf den Prüfstand zu stellen und sie abzubauen, wenn sie nicht notwendig sind. Nicht Bürokratieaufbau, sondern Bürokratieabbau muss zum Markenzeichen der Europäischen Union werden.

   Deutschland hat eine besondere ordnungspolitische Verantwortung für Europa. Subsidiarität bedeutet für alle Ebenen mehr Freiheit. Diese Freiheit müssen wir ermöglichen, weil die sichtbare Zurechenbarkeit von politischer Verantwortung die EU transparenter, verständlicher und insgesamt handlungsfähiger macht. Mit diesem Mehr an Freiheit und dem Mehr an Transparenz bringen wir die Europapolitik wieder näher an die Menschen und das ist dringend notwendig.

   Nahe bei den Menschen ist auch der individuelle Nutzen der europäischen Integration. Wenn wir uns die Exportzahlen anschauen, stellen wir fest: Zehntausende Arbeitsplätze bestehen in Deutschland allein dadurch, dass die neuen Mitgliedstaaten viel mehr Waren aus Deutschland einführen, als sie hierher exportieren. Durch das integrierte Europa können also Arbeitsplätze entstehen. Ich bin außerordentlich dankbar, dass es jetzt in Europa gelungen ist, zu sagen: Arbeitsplätze sollen am jeweiligen Ort entstehen. Europäische Fördermittel sollen nicht dazu genutzt werden, von einem Land ins andere Land transportiert zu werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Auch dies ist heute in der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin deutlich geworden: Wir alle müssen der EU mehr Beachtung schenken. Die Themen und Entscheidungsprozesse in Brüssel verdienen mehr öffentliche Aufmerksamkeit; denn kritische Aufmerksamkeit zwingt zu Transparenz: Was wird entschieden? Welche Auswirkungen hat das? Welches sind die deutschen Interessen? - Was man erreichen kann, wenn man sich frühzeitig um die Themen und die Entwicklungsprozesse in der Europäischen Kommission - ich nenne nur die Entsenderichtlinie und die Dienstleistungsrichtlinie - kümmert und darauf Einfluss nimmt, haben wir in diesen Tagen auch durch den Einsatz der Bundesregierung erlebt. Genau so muss es gemacht werden.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frühzeitig? Das war vor zwei Jahren!)

Wenn die Dinge erst beschlossen sind und den nationalen Parlamenten vorgelegt werden, können wir sie nicht mehr richten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir müssen schneller erfahren, welche Aufgaben aus Brüssel auf uns zukommen. Deshalb wird der Deutsche Bundestag ein Verbindungsbüro in Brüssel einrichten. Wir müssen einfach schneller und dichter am Ball sein und in Brüssel deutlich machen: Der Deutsche Bundestag ist nicht Vollstrecker der Brüsseler Bürokratie, sondern Mitgestalter europäischer Politik. Auch dafür sind wir in die nationalen Parlamente gewählt worden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Frau Bundeskanzlerin, wir werden Sie und die Bundesregierung deshalb dabei unterstützen, europäische Fehlentwicklungen rechtzeitig zu verhindern und dafür zu sorgen, dass Richtlinienentwürfe dann nicht auf den Weg gebracht werden, wenn sie nicht notwendig sind und wenn sie unseren Interessen nicht entsprechen. Wir werden uns also früher und mehr um Brüssel kümmern, sehr viel mehr, als es in der Vergangenheit geschah. Nur so können wir mitgestalten.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da bin ich gespannt!)

   Die Europäische Union hat Kompetenzen an sich gezogen, die besser bei den individuellen Mitgliedstaaten aufgehoben wären. Dort aber, wo die Handlungsfähigkeit der EU wirklich gefragt ist, sind die Fortschritte durchaus noch ausbaufähig. Die Bundeskanzlerin hat ein zentrales Thema angesprochen, die europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Sie hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass bezogen auf die Frage „Was ist auf dem Balkan geschehen und wie haben wir reagiert?“ nicht die Außenpolitik der EU versagt hat. Das Problem war vielmehr, dass sich die Nationalstaaten, die noch gar keine EU-Politik formuliert haben, nicht rechtzeitig und richtig haben einigen können. Deshalb ist die Frage, wie die Europäische Union Außenpolitik gestalten und mit einer Stimme sprechen kann - ich nenne beispielhaft nur das uns so berührende Thema: Wie gehen wir mit dem Iran um? -, von zentraler Bedeutung. Nicht die Sonnenscheinrichtlinie ist die Zukunft der EU, sondern die außenpolitische Handlungsfähigkeit - das ist die Zukunft.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, die EU hat eine enorme Anziehungskraft nach außen. Diese Ausstrahlung verschafft Autorität und hat bisher erfolgreich Stabilität, Wohlstand, Demokratie und Sicherheit verbreitet. Dabei waren die Erweiterungen der EU notwendig und sinnvoll und nicht Ausfluss einer Gefälligkeitspolitik. Die Länder müssen fit für Europa sein; darauf hat die Bundeskanzlerin hingewiesen. Deswegen sage ich hier, Frau Bundeskanzlerin: Jawohl, Rumänien und Bulgarien gehören zu Europa. Ich sage Bulgarien und Rumänien aber auch: Im Schlussspurt gibt es noch etwas tun. - Wir werden den Fortschrittsbericht ganz genau anschauen. Bulgarien und Rumänien haben jetzt noch Zeit, einiges zu verändern. Die Voraussetzungen für Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit müssen auf dem Weg nach Europa gewährleistet sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Es ist auch richtig, dass wir angesichts der Größe der EU in Zukunft kreativ sein müssen, wenn es darum geht, neue Formen außenpolitischer Zusammenarbeit zu entwickeln. Eine vernünftige Nachbarschaftspolitik - das wurde bereits formuliert - ist eine wichtige Zukunftsaufgabe für die Union. Bei der weiteren Entwicklung der Union sind wir uns aber durchaus auch unserer gemeinsamen Werte der Aufklärung, des christlichen Menschenbildes und unserer Begabung zur Freiheit bewusst. Deshalb ist es auch richtig, dass diese Grundpositionen in einem EU-Verfassungsvertrag angesprochen werden. Das sind aus unserer Sicht konstituierende Elemente für eine Europäische Union.

Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden.

Diese Einsicht von Sokrates hat auch für die Europäische Union Bestand.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Sehr gut!)

Ungeachtet der Denkpause für Europa - der Status quo ist keine Lösung. Die EU muss ihre Fähigkeit, Probleme zu lösen, auf einer neuen Stufe beweisen. Dann wird auch ihr Nutzen wieder deutlicher sichtbar werden und die Europäische Union wird eine größere Zustimmung durch die Menschen erfahren.

   Zum Schluss möchte ich uns allen eine kluge Mahnung des Verfassungsrichters Udo di Fabio mitgeben:

Nicht nur der freiheitliche Nationalstaat, sondern auch die Europäische Union ist kein Selbstzweck, sondern um der Menschen willen und ihrer Würde und Freiheit wegen da.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - Beifall bei der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun die Vorsitzende der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, Renate Künast.

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Verlaub, Frau Bundeskanzlerin, mir war diese Regierungserklärung in Sachen Europa zu wenig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das war eine Art abstraktes Gemälde. Es war mir aber zu abstrakt. Wenn Sie entlang der Straße Unter den Linden zur Humboldt-Universität gehen, dann können Sie dort im Eingangsfoyer einen Satz von Marx lesen. Dort steht:

Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert. Es kommt aber darauf an, sie zu verändern.

Sie haben heute nur interpretiert und nicht konkret gesagt, was Sie verändern wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich muss allerdings sagen, dass ich froh darüber bin, dass Sie sich mit dieser Verve positiv für Europa positionieren. Es fehlt nur noch, dass Sie auch Herrn Kauder an dieser Stelle überzeugen. Warum? Wir alle haben noch in Erinnerung, wie gerade die CDU/CSU in den letzten Jahren systematisch Emotionen gegen die Europäische Union geschürt hat.

(Lachen bei der CDU/CSU)

- Sie können ruhig lachen. Sie haben sie systematisch geschürt. Das war im Prozess hin zu Europa zu keinem Zeitpunkt hilfreich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es geht nicht nur um Bürokratieabbau und Ähnliches. Die Leitfrage an dieser Stelle muss lauten: In welchem Europa wollen wir leben? Das ist die Frage, auf die die Menschen eine Antwort haben wollen. Was sollen sie im Herzen fühlen, wenn es darum geht, warum dieses Europa existiert und warum sie dafür Steuern zahlen? Es geht darum, dass wir in dieser kleinen politischen Krise der Europäischen Union - so kann man es nennen - neue Ziele und Visionen setzen und eine nächste Zündungsstufe erreichen. Es muss den Menschen aber auch etwas bringen. Ich sage - frei nach von Jacques Delors -: Die Menschen verlieben sich eben nicht in einen gemeinsamen Markt, sondern nur in das Wissen darum, dass es ihnen persönlich im Alltag und für die Zukunft ihrer Kinder etwas bringt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es reicht nicht, zu sagen, wie - und warum - sich die Europäische Union entwickelt. Wir sind von den Rohstoffen Kohle und Stahl sowie von den besonderen Interessen einiger Länder an der Landwirtschaft ausgegangen. Wir müssen aber über den Rohstoff der Zukunft reden. Die wichtigsten Rohstoffe der Zukunft sind Energie, Bildung und Forschung. Darüber haben Sie zu wenig geredet.

(Zuruf von den Linken: Und Soziales!)

- Das Soziale leitet sich daraus ab. Sie werden es merken, wenn Sie genau hinschauen.

Die Rohstoffe heißen Energie, Bildung und Forschung. Das sind die Zukunftsfragen. Auf diese Fragen brauchen wir europaweit Antworten. Dabei kann und muss uns auch der Verfassungsvertrag helfen.

   Ich habe mit Freude gehört, Frau Merkel, dass Sie gesagt haben: Die Europäische Union braucht eine neue Begründung. - Sie müssen dann aber auch sagen, was das sein soll. Das ist mehr als Ihr Satz: Wir müssen die Globalisierung nach unseren Werten gestalten. - Sie müssen auch sagen, welche Werte Sie meinen. Dabei geht es nicht einfach um die Freiheit, weltweit Geld zu investieren. Es geht auch nicht einfach um die Freiheit großer Unternehmen, sich überall in der Welt niederzulassen und sich dies durch die WTO absichern zu lassen.

   Wir sagen: Die Europäische Union muss dafür stehen, dass das Leben und die Gesundheit eines jeden Menschen, die sozialen Aspekte und auch der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen in der EU und im internationalen Handel abgesichert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die EU hat in vielen Bereichen keine guten Beschlüsse gefasst und Entscheidungen getroffen. Frau Merkel hat zum Beispiel über die Dienstleistungsrichtlinie geredet. Ich meine, dass die Dienstleistungsrichtlinie kein Beispiel für einen guten Kompromiss ist. Das Schlimmste haben wir zwar verhindert, aber ein wirklich guter Kompromiss ist das immer noch nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Beispielsweise sind die Kompromisse bei REACH das Ergebnis aggressiver Lobbyarbeit und der Falschaussagen der Chemielobby. Auch dies ist kein guter Kompromiss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Wir können und dürfen in Europa nicht auf bessere Zeiten warten, sondern wir müssen jetzt etwas tun. Wir brauchen eine Kultur der Exzellenz im Bildungsbereich im Wettbewerb um die klügsten Köpfe. Aber in einer solchen Exzellenz müssen sich alle, nicht nur Eliten entwickeln können.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir wollen beim Bürokratieabbau gerne mitmachen. Aber, Frau Merkel, Bürokratieabbau darf nicht heißen, Standards abzubauen. Die europäischen Standards für die Umwelt und das Soziale sind keine Knebelung, vielmehr dienen sie den Zielen der Europäischen Union, damit die Menschen gesund leben können und auch nachfolgende Generationen eine gesunde Umwelt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das von Ihnen gezeichnete Gemälde der Europapolitik war viel zu abstrakt, weil Sie zum Beispiel über Wettbewerb reden, aber nicht sagen, wie es mit der Lissabonstrategie weitergeht. Die EU will weltweit zu einer der wettbewerbsfähigsten Regionen werden. Aber im Energiebereich sind wir davon meilenweit entfernt. Überall auf der Welt dreht sich alles um Energie. In Russland, China, Indien oder auch in Südamerika hat man entweder die entsprechenden Rohstoffe oder sichert sie sich mit Verträgen auf Jahrzehnte hinaus.

   Unsere Wirtschaft leidet unter den hohen Rohstoffpreisen. Die Verbraucher haben im wahrsten Sinne des Wortes die Schnauze voll, wenn sie regelmäßig steigende Rechnungen bezahlen müssen. Sie aber haben nicht gesagt, wie die Energiepolitik aussieht. Die Europäische Union braucht eine neue Energiekultur. Nur so kann diese Lücke geschlossen werden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Das heißt für uns, bis 2020 brauchen wir eine neue Energiekultur, mit der Europa zur energieeffizientesten Region der Welt wird. Alle Maßnahmen, die wir in Europa treffen, und alle Ausgaben müssen sich an diesem Ziel messen lassen. Das können wir nicht aufschieben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir brauchen - das sage ich, weil Frau Merkel die ganze Zeit über von der Verbindung von nationalen und europäischen Elementen geredet hat - nicht einfach nur immer mehr Gipfel, auf denen viel geredet wird, aber am Ende nichts Konkretes herauskommt. Lassen Sie mich dazu Goethe zitieren: „Über allen Gipfeln ist Ruh“.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Erst Marx, dann Goethe! - Dr. Werner Hoyer (FDP): Aber die Qualität steigt!)

- Da sehen Sie: Quer durch Deutschland können wir auf Zitate zurückgreifen, Herr Kollege. Das ist der Neid der Bildungsbürger, oder?

   Wir brauchen Gipfel, die zu einem Ergebnis führen. Die Menschen müssen merken: Die Gelder werden nicht mehr für veraltete Strukturen in der EU ausgegeben. Frau Merkel ist einmal hinter Tony Blair hergelaufen und hat mit Verve gerufen, dass zu viel Geld für die Agrarwirtschaft und zu wenig für Zukunftsaufgaben ausgegeben wird. - Was ist denn heute mit diesem Satz? Wo haben Sie denn gefordert, die Gelder anders auszugeben?

   Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen. Wenn wir über eine neue Bildungs- und Forschungspolitik reden, weil jedes Kind in Europa - egal wo und egal, wie viel Geld die Eltern in der Tasche haben - einen wichtigen Rohstoff darstellt, dann brauchen wir an dieser Stelle neuen Schwung; dann müssen Bildung und Forschung neu ausgerichtet werden.

   Wir müssen - sozusagen in einer Kultur der Exzellenz - in Europa das Auto entwickeln, das ohne Öl angetrieben wird, und es weltweit vermarkten. Aber dann müssen im Siebten Forschungsrahmenprogramm auch endlich neue Prioritäten gesetzt werden. Man muss vorrangig moderne Technologien unterstützen, zur schnellen Reduktion von CO2-Emissionen beitragen, sich um den größten Einspareffekt durch mehr Effizienz bemühen und klar sagen, dass es nicht angeht, den obsoleten Euratomvertrag noch mit weiteren Forschungsgeldern zu bedenken. 4,8 Milliarden Euro in Euratom zu investieren, ist falsch; sie müssen stattdessen in erneuerbare Energien und in eine Effizienzstrategie investiert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Eines ist klar: Der Atomausstieg in Deutschland ist richtig. Was aber in Deutschland richtig ist, darf nicht in der Europäischen Union konterkariert werden. Dabei sind Sie, Frau Merkel, und diese Bundesregierung gefordert, sich nicht darauf zurückzuziehen, dass in Deutschland bis 2009 der Koalitionsvertrag gilt, während in der europäischen Politik genau das Gegenteil gemacht wird.

   Die Zukunft auch der Lissabonstrategie liegt darin, dass wir uns in der Energiepolitik weiterentwickeln. Deshalb müssen die Investitionen verlagert werden.

   Sie haben über internationale Aufgaben geredet. Diese bestehen aber nicht nur in der allgemeinen Feststellung, wir würden unsere Werte Glück bringend weiterverbreiten. Im nächsten Jahr ziehen wir fünf Jahre nach dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg eine Zwischenbilanz. Dabei geht es auch um die Aufgaben, zum Beispiel um die klare Verpflichtung - auch dieser Bundesregierung -, Millionen von Menschen aus der Armut zu befreien, das heißt, mehr in Entwicklungshilfe zu investieren und die europäische Außen- und Sicherheitspolitik entsprechend auszurichten. Es geht um nachhaltige Entwicklung und Krisenprävention, auch bei der G-8-Präsidentschaft. Es geht vor allem darum, weitere Beiträge zu leisten, damit die Doharunde tatsächlich eine Runde für die Entwicklungsländer wird.

   Ich habe Ihrer Regierungserklärung genau zugehört und war froh, dass Sie nicht in alter CDU-Manier davon gesprochen haben, dass das Boot voll sei.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt!)

Diese Mentalität hat zwar Herr Kauder ein bisschen aufgegriffen, aber nicht die Bundeskanzlerin. Das war in ihrer Rede positiv.

   Es geht bei den neuen Aufgaben um die Weiterentwicklung der europäischen Nachbarschaftspolitik für all diejenigen, die wir zumindest heute nicht aufnehmen können. Aber dann sollten wir nicht so tun, Frau Merkel, als würden wir den anderen einen Gefallen tun. Vielmehr haben die Europäische Union und auch Deutschland ein vehementes und elementares Interesse an solch einer neuen Nachbarschaftspolitik: denn wir wollen, dass die Länder, die aus alten Systemen herausgefallen sind, eine Perspektive bekommen und sich orientieren können. Lassen Sie uns also ehrlich sagen: Die Europäische Union muss auch dann, wenn ihr nicht alle beitreten können, gegenüber den Nachbarn mit offenen Armen dastehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen unsere internationale Politik ausbauen.

   Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Die europäische Außen- und Sicherheitspolitik muss sich in diesen Tagen an zwei Bereichen messen lassen. Das eine ist das Thema „Kongo“, über das wir demnächst auch hier diskutieren werden. Ich halte es für richtig, dass die Europäische Union auf die Bitte der UN eingeht, im Kongo einen demokratischen Prozess zu organisieren und zu unterstützen. Es wird aber im Zusammenhang mit dem Kongo auch um die Frage gehen, was wir darüber hinaus tun. Wie helfen wir beim Ausbau der dortigen Sicherheitsstrukturen? Wie helfen wir bei der Bekämpfung der Korruption und wie helfen wir, dass der Nutzen der wertvollen Bodenschätze der Bevölkerung statt irgendwelchen Eliten oder anderen Staatsangehörigen zugute kommt?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich habe die Rede der Kanzlerin auch in einem anderen Zusammenhang - ich denke dabei an den Iran - genau verfolgt. Europa muss zeigen, dass es die internationale Politik gegenüber dem Iran bestimmen kann. Wir wollen keine militärische Lösung. Wir wollen das, was im Irak passiert ist, nicht noch einmal erleben. Wir wissen darum, dass wir immer für die Existenz Israels stehen und eintreten wollen. Wir müssen an der Stelle eine Leistung bringen: Wir müssen ein Anreizpaket schaffen. Europas Aufgabe besteht darin, dem Iran klar zu machen, dass wir ihm sozusagen die „Carrots and Sticks“ hinhalten und dass Europa immer dafür sorgen wird - nur dann wirkt diese Maßnahme -, dass alle Länder gemeinsam hinter diesem Anreizpaket stehen werden. Nur dann haben zivile Lösungen eine Chance und nur dann wird der Druck entsprechend stark.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Mein letzter Satz. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben viel von mehr Transparenz und Kontrolle in Europa gesprochen. Ich sage Ihnen an dieser Stelle eines: Es gibt einen Punkt, an dem Sie beginnen können. Es geht in Europa nicht nur um die Frage, wer verantwortlich ist - das Europäische Parlament oder die nationalen Parlamente -, sondern auch um die Frage, wer wie viel Geld erhält. Ich fordere Sie daher auf: Unterstützen Sie die Transparenzinitiativen der Kommission! Europa kommt nur weiter, wenn wir die finanziellen Mittel umschichten. Der erste Schritt dahin ist, für mehr Transparenz zu sorgen, sodass man weiß, wer in Europa etwas von den satten Geldern erhält. Ich weiß, dass das die Landwirte, zumindest die großen, treffen wird. Aber das wäre der erste Schritt. Dann wären Sie mit einem Verfassungsvertrag, mehr Transparenz und einer neuen international verantwortlichen Politik auf dem richtigen Weg.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Kollegin Künast, ich bin immer ganz beeindruckt, wenn nach Überschreiten der Redezeit der letzte Satz angekündigt wird, und wäre noch mehr erleichtert, wenn er in der Nähe der Ankündigung tatsächlich erfolgte.

(Heiterkeit - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bemühe mich!)

Das Wort hat nun der Kollege Michael Roth für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Michael Roth (Heringen) (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa, die Europäische Union braucht endlich wieder mehr Mut und weniger Verzagtheit und Kleingläubigkeit. Ich störe mich ein wenig daran, wie pessimistisch und verdrossen wir über das große Projekt Europa reden und wie wenig wir bereit sind, mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch darüber zu kommen,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

warum es sich lohnt, Europa stark, handlungsfähig, demokratisch und zukunftsfähig zu machen. Nur so kann ein Aufbruch entstehen, und zwar sowohl in Deutschland als auch in ganz Europa. Ich frage mich manchmal, wo in Europa, in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, diejenigen sind, die zu Erneuerung und Veränderung bereit sind? Wo sind die Politikerinnen und Politiker, die die Krise, in der wir uns befinden, als eine Chance verstehen?

   Der Kollege Kauder hat eben große Christdemokraten angesprochen. Ich möchte ein paar Sozialdemokraten erwähnen, und zwar nicht nur Willy Brandt und Helmut Schmidt, sondern auch Jacques Delors - ihn hat schon Frau Künast erwähnt -, François Mitterrand und Olof Palme. Sie alle sind Männer - leider ist noch keine Frau darunter -, die nach vorne geschaut haben, die Visionen hatten und die sich auch dem Mainstream entgegengestellt haben. Solche Politiker brauchen wir in der Europäischen Union wieder.

(Beifall bei der SPD)

Ich hoffe, dass solche Männer und Frauen auch im Bundestag und auf der Regierungsbank sitzen.

   Nach den gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden ist man nicht müde geworden, den Menschen einzureden, dass nun in Europa kleine Brötchen gebacken werden müssten. Welch ein Unsinn! Seit wann haben Kleinmut und Verzagtheit zu neuen Ufern geführt? Deutschland hat sich im Übrigen immer, auch und gerade in schwierigen Zeiten, als Motor eines demokratischen, handlungsfähigen und solidarischen Europas verstanden. Auch unsere Partner erwarten das von uns. Sie erwarten von uns neue Ideen. Wir pflastern im Moment die ganze Hauptstadt mit den etwas merkwürdig anmutenden Installationen zum Thema „Land der Ideen“. Nun zeigen wir doch einmal, dass wir wirklich ein Land der Ideen sind, dass wir bereit sind, Europa nach vorne zu bringen. Wir dürfen uns nicht nur zurückhalten und in Passivität üben.

(Zuruf von der LINKEN: Vorschläge!)

- Es liegen schon zahlreiche Vorschläge vor. Auf ein paar werde ich noch zu sprechen kommen.

   Es stimmt zwar, dass die europäische Verfassung in zwei Staaten keine Zustimmung gefunden hat. Aber vergessen wir nicht: In 15 Staaten hat es eine ganz klare Mehrheit dafür gegeben. Diese 15 Staaten repräsentieren die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union. Erst vorgestern hat Estland ein ganz klares Zeichen gesetzt. Finnland erwägt, die europäische Verfassung zu ratifizieren, genauso wie Portugal. Das ist wahrer Mut und wahres Verantwortungsbewusstsein. So macht man die so genannte Reflexionsphase zu etwas Wertvollem und signalisiert: Die Verfassung ist nicht tot. Dieses Verfassungsprojekt hat eine Zukunft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich weiß, dass auch bei uns im Bundestag die Verfassungsdebatte allzu oft missverstanden wurde. Viele hielten sie für eine kleinkarierte Debatte, für Glasperlenspiele von Juristen und Politologen. Sie fragten sich, was eigentlich die Botschaft sei, die hinter dieser Verfassung stehe. Es geht dabei nicht nur um Institutionen und um Strukturen. Darauf hat die Bundeskanzlerin hingewiesen. Es geht um die große Frage, wie wir Globalisierung demokratisch gestalten und wie wir uns in den Prozess der Globalisierung einbringen können. Das geht nicht, indem wir Ängste schüren wie die PDS, sondern indem wir deutlich machen, dass die Politik es schafft, den Menschen nach innen und nach außen Sicherheit zu geben und auch soziale Sicherheit zu schaffen. Das ist unser großes Projekt.

   Wir müssen endlich den Beweis erbringen, dass Vertiefung und Erweiterung zwei Seiten derselben Medaille sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die EU hat sich aus guten Gründen erweitert. Wir haben die Teilung Europas überwunden. Jetzt müssen wir mit der Vertiefung voranschreiten. Eine immer größer werdende Europäische Union braucht mehr Demokratie, sie braucht handlungsfähige Strukturen und sie muss außenpolitisch - da hat Herr Kauder völlig Recht - mit einer Stimme sprechen und einheitlich handeln. Da haben wir noch verdammt viel zu tun.

   Die Verfassung gibt nicht in allen Bereichen ausreichende Antworten. Sie ist aber ein wichtiger Schritt nach vorne. Wenn man die Verfassung mit den Ergebnissen der Regierungskonferenzen von Amsterdam und Nizza vergleicht, dann stellt man fest, dass sie ein großer Schritt nach vorne gewesen ist, den die Parlamentarierinnen und Parlamentarier des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente ermöglicht haben. Ich bin durchaus bereit, darüber zu streiten, ob es zu diesem Verfassungsvertrag nicht möglicherweise Ergänzungen geben kann, um die Kernbotschaften der Verfassung, die anders lauten, als Sie, Herr Gysi, es dargestellt haben, zu schärfen. Kritik kann aufgenommen werden. Es kann durchaus eine Erklärung zur sozialen oder kulturellen Identität aufgenommen werden, die Präambel kann revidiert oder es können Teile aus der Verfassung herausgelöst werden, die nicht zwangsläufig in eine Verfassung gehören. Lassen Sie uns darüber reden! Lassen Sie uns deutlich machen, dass wir den politischen Willen dazu haben! Danach können uns Juristinnen und Juristen erklären, ob das alles zu machen ist. Wir brauchen zunächst einmal einen Schritt nach vorne und die Botschaft, dass wir dieses Projekt wirklich realisieren wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Acht Kolleginnen und Kollegen hatten in dieser Woche Gelegenheit, an der Konferenz des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente in Brüssel teilzunehmen. Ich war hocherfreut, zu sehen, dass es unter den Abgeordneten ganz viele Freundinnen und Freunde dieses Verfassungsprojekts gibt, gerade aus den Ländern, in denen es keine Mehrheit - noch keine Mehrheit - für das Verfassungsprojekt gegeben hat. Darauf sollten wir aufbauen.

   Die Grundsatzdebatte wird durch einen Beitrag der EU-Kommission ergänzt. Sie hat sich gestern dazu geäußert. Sie will Ergebnisse für Europa liefern. Ich hätte mir von der Europäischen Kommission mehr Selbstkritik gewünscht. Die ursprünglichen Vorschläge der Kommission zur Dienstleistungsrichtlinie - Stichwort Bolkestein - haben zum Glaubwürdigkeitsverlust der EU beigetragen, weil nicht deutlich wurde, dass eine Vervollkommnung des Binnenmarktes auch Solidarität bedeutet. Wir dürfen den Binnenmarkt nicht in dem Sinne vervollkommnen, dass Lohndumping betrieben wird und soziale Standards in den Mitgliedstaaten gefährdet werden. Das ist die Botschaft. Ich hoffe, dass die Kommission diese Botschaft, die von den Menschen und den nationalen Parlamenten kam, verstanden hat.

(Zuruf von der LINKEN)

   Auch von einigen nationalen Regierungen hat es Zustimmung für die Vorschläge der Kommission gegeben. Auch ihnen gegenüber ist Kritik angebracht. Zu dieser Kritik gehört auch Selbstkritik. Wir tun oft so, als komme das Gute nur aus den nationalen Hauptstädten und das Schlechte immer aus Brüssel. Das ist falsch. Kein einziges Gesetz kommt in der EU zustande, ohne dass die nationalen Regierungen im Rat mitwirken. Wir sitzen bei der europäischen Gesetzgebung immer mit im Boot. Wir sollten den Leuten keinen Sand in die Augen streuen, sondern deutlich machen, dass wir ein ganz wichtiger Partner dieses Europas sind. Die nationalen Hauptstädte gehören unverzichtbar zu Brüssel.

   Wir kennen das Spiel: Früher hat man bei Ratlosigkeit einen Arbeitskreis gegründet, heute eröffnet man eine Denkpause. Das ist die so genannte Reflexionsphase. Diese soll verlängert werden. Ich bin skeptisch. Offensichtlich verstehen viele unter einer Denkpause nicht eine Pause zum Denken, sondern eine Pause vom Denken. Wir sollten jetzt deutlich machen, dass zu dieser Reflexionsphase Ideen und die Bereitschaft, sich zu streiten, gehören. Das fehlt mir.

(Beifall bei der SPD)

   Ich danke der Bundeskanzlerin und dem Außenminister dafür, dass sie sich für die Verfassung einsetzen. Auch die EU-Kommission sollte die Initiative ergreifen und in die Offensive gehen. Was sie momentan aber betreibt, ist „Rosinenpickerei durch die Hintertür“. Es ist zwar sachlich richtig, dass die Europäische Union perspektivisch mehr Kompetenzen im Bereich der sozialen Sicherheit und bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit braucht - sicherlich geht es auch um ein besseres Miteinander zwischen den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament -; aber jetzt zu fordern, der europäischen Ebene neue Kompetenzen zukommen zu lassen, ist verantwortungslos. Wir halten einen solchen Schritt nur dann für verantwortbar, wenn dieses Verfassungsprojekt als Ganzes durchgesetzt wird. Denn eine Verlagerung zusätzlicher Kompetenzen auf die europäische Ebene ist nur in Verbindung mit Ratsreformen akzeptabel, zum Beispiel dem Prinzip der doppelten Mehrheit, und einem gestärkten Europäischen Parlament. Nur wenn das gegeben ist, können wir der Abwanderung von weiteren Kompetenzen auf die europäische Ebene zustimmen. Wir sollten uns dagegen wehren, dass die Kommission durch die Hintertür die Aufweichung dieses Verfassungskompromisses betreibt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Roth, schauen Sie bitte gelegentlich auf die Uhr.

Michael Roth (Heringen) (SPD):

Frau Bundeskanzlerin, zum Schluss möchte ich gern noch eine Bitte äußern. Wie der Kollege Kauder eben schon angesprochen hat, stehen Bundestag und Bundesregierung in Verhandlungen darüber, wie wir die Mitwirkungs-, die Mitentscheidungs- und auch die Kontrollmöglichkeiten des Bundestages ausweiten können. Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn Sie, Frau Bundeskanzlerin, die Verhandlungsführer der Bundesregierung, nämlich Staatsminister Gloser und Staatssekretär Hintze, bei dieser Arbeit unterstützten.

   Wir brauchen eine parlamentsfreundliche Regelung. Mehr Rechte für das deutsche Parlament bedeuten nicht mehr Blockaden, sondern ein höheres Maß an Legitimation für europäische Entscheidungen, ein Stück mehr Verantwortung für den Bundestag und auch unsere Verpflichtung, Europapolitik endlich ernster zu nehmen, als wir es in den vergangenen Jahren getan haben. Ich wünsche mir mehr Mut, mehr Entschlossenheit. Vielleicht kann auch die heutige Debatte einen kleinen Beitrag dazu leisten.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Christian Ahrendt für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Christian Ahrendt (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben jetzt viel zum Thema „europäische Verfassung“ gehört. Wir haben in dieser Woche lesen müssen - wir haben auch in der Regierungserklärung heute Morgen nichts dergleichen gehört -, dass die Bundesregierung keine Initiative plant, den EU-Verfassungsprozess neu zu beleben. Ich halte dies für unverständlich. Es ist vielleicht aus Sicht der Bundesregierung verständlich, sich auf den Standpunkt zu stellen, dass dieser Verfassungsprozess derzeit nicht von Erfolg gekrönt ist und dass eine neue Initiative daher keinen Erfolg haben kann. Ich glaube, dass das ein Irrtum ist. Europa - weniger Deutschland - braucht vielmehr gerade das, was die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung im letzten Jahr hier vorgetragen hat: Es sind die berühmten kleinen Schritte, die uns in Europa weiterbringen. Diese Schritte müssen gewagt werden.

   Die EU-Verfassung ist in erster Linie daran gescheitert, dass sie eine Verfassung für Politiker, für Verwaltungen und weniger eine Verfassung für Menschen ist. Sie ist letztendlich auch dort gescheitert, wo sie den Bürgerinnen und Bürgern in Europa begegnet ist. Den Ernstfall haben wir in Frankreich und in den Niederlanden gesehen: Dort ist die Verfassung in einem Referendum abgelehnt worden.

   Wir können diesen Zustand nur ändern, wenn wir kleine Schritte gehen. Die FDP hat Ihnen hier einen solchen kleinen Schritt vorgeschlagen, indem sie beantragt hat, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Kommunen zu erleichtern. Wir alle wissen, dass die Grenzregionen in Europa ein wesentlicher Faktor sind, um den europäischen Integrationsprozess voranzubringen. Die Bürger in den Grenzregionen erleben, wie Europa etwas vor Ort regeln kann.

Ich will das an einem kleinen Beispiel erläutern. Der Zweckverband auf der Insel Usedom kann sein Abwasser in Zukunft nicht mehr entsorgen, weil die Kapazitäten ausgeschöpft sind. In der Stadt Swinemünde gibt es ausreichende Klärwerkskapazitäten. Um eine Zusammenarbeit zwischen dem Zweckverband auf der einen Seite und der Stadt Swinemünde auf der anderen Seite zu ermöglichen, bedarf es zwischenstaatlicher Übereinkommen, die derzeit nicht geschlossen werden können.

   Ein solches Modell gibt es aber. Das ist das Karlsruher Übereinkommen von 1996, damals geschlossen zwischen der Schweiz, Frankreich, Luxemburg und Deutschland. Das hat Modellcharakter. Wir brauchen dieses Modell nur umzusetzen. Das ist ein kleiner Schritt, wenn es darum geht, die Integration in Europa gerade in den Grenzregionen nach vorn zu treiben und damit auch den Verfassungsprozess neu zu beleben, aus dem einfachen Grund: Wenn die Menschen anhand konkreter Beispiele endlich erleben, wie die europäische Integration auch bei ihnen vor Ort wirkt, dann kommen wir dem Ziel ein Stück näher, dass die Verfassung nicht nur in den Parlamenten Aussicht auf Erfolg hat, sondern dass sie auch in den Köpfen der Menschen verankert wird und wir am Ende einen erfolgreichen Verfassungsprozess erleben.

(Beifall bei der FDP)

   Wenn wir diesen Weg gehen und Sie den Antrag unterstützen, dann ist das einer der Schritte, die wir brauchen, um den Gesamtprozess wieder zu beleben.

   Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Henning Otte für die CSU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Henning Otte (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der WDR hat in dieser Woche anlässlich des Europatages zu einem Forum in Berlin mit dem Thema „Europas ungewisse Zukunft“ eingeladen. Auch dieses Forum hat verdeutlicht, dass die Zukunft Europas nicht von sich aus sicher ist, sondern aktiv gestaltet werden muss. Europa braucht dazu mehr Vertrauen.

   Die Politik muss noch stärker für die Akzeptanz Europas werben. Sie muss Entscheidungen transparenter machen, damit der europäische Gedanke einen festen Platz im Bewusstsein der Bürger erlangt. Dafür brauchen wir ein europäisches Wir-Gefühl, das Bewusstsein für eine große gemeinsame Aufgabe. Herr Gysi, zu Ihrer Neiddiskussion kann ich nur sagen: Sie haben diese gemeinsame Aufgabe, dieses europäische Wir-Gefühl noch immer nicht verstanden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir müssen die Menschen mitnehmen und ihnen die Vorzüge Europas gerade für unser Land, aber auch für Europa insgesamt deutlich machen. Die Menschen sind kritisch. Die Menschen wissen aber auch um die Notwendigkeit und Bedeutung Europas. Das zeigt sich insbesondere darin, dass nach einer jüngsten Forsa-Umfrage 50 Prozent der befragten Bürger der Meinung sind, Europa sei für sie im vergangenen Jahr wichtiger geworden. Über 60 Prozent halten eine EU-Verfassung für notwendig.

   Wir alle, meine sehr verehrten Damen und Herren, ob in den nationalen Parlamenten und Regierungen oder in den EU-Institutionen, sind aufgefordert, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen und sie mit einem vernünftigen Konzept zu überzeugen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Roth (Heringen) (SPD))

Wir müssen ihnen verdeutlichen, dass die EU-Bürger mit Europa in eine Win-win-Situation kommen.

   Lassen Sie mich das an drei Beispielen festmachen: an der Erweiterung, an der Energiepolitik und an der Strukturförderung.

(Zuruf von der LINKEN: Da sind wir jetzt aber gespannt!)

   Vor zwei Jahren hat die EU die größte Erweiterungsrunde ihrer Geschichte vollzogen. Heute können wir zu Recht sagen: Das war ein wichtiger, ein richtiger Schritt und ein Erfolg. Wir haben nicht nur die Vollendung der Vision Europas maßgeblich vorangebracht, sondern auch die Teilung Europas endgültig überwunden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Nach einer Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertages sind in Deutschland durch die EU-Erweiterung 80 000 neue Stellen geschaffen worden. 5,5 Millionen deutsche Arbeitsplätze werden durch den Export in europäische Nachbarstaaten gesichert.

   Wir dürfen angesichts der anstehenden Erweiterung aber nicht vergessen: Nur eine funktionierende EU kann den neuen Beitrittskandidaten die Unterstützung geben, die sie erwarten.

(Vorsitz: Vizepräsident Wolfgang Thierse)

Vorfestlegungen und einen Beitrittsautomatismus darf es nicht geben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir werden insgesamt nicht darum herumkommen, uns auf Grenzen festzulegen und Wege zu entwickeln, die abgestufte Modelle beinhalten. Folglich müssen - hier denke ich an Bulgarien und Rumänien - die Aufnahmekriterien erfüllt werden. Nur wenn wir auf der Erfüllung der Beitrittsbedingungen bestehen und die Beitrittskandidaten auch wissen, dass wir diese Vorsätze ernst nehmen, kann Europa zu einem Markenzeichen nach innen wie nach außen gedeihen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich erwarte, dass die Kommission ehrlich mit dem Fortschrittsbericht umgeht und entsprechend reagieren wird. Das gehört dazu, wenn eine Win-win-Situation entstehen soll, und nur das schafft Vertrauen in Europa.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die Energiepolitik wird in den nächsten Jahren eines der zentralen und bestimmenden Themen sein. Die Versorgung eines Landes bestimmt die künftige Entwicklung, die Zukunftschancen, aber auch die Wettbewerbsfähigkeit. Die Energiepolitik in der Europäischen Union muss mittel- und langfristig zu einer Verringerung der Rohstoffimporte und zur Bekämpfung der globalen Klimaveränderung beitragen.

   Aber sie muss auch einen Beitrag zur Lissabonstrategie leisten. Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum können nur mit einer wettbewerbsfähigen Energie und wettbewerbsfähigen Energiepreisen geschaffen werden. Hier müssen wir auch die deutschen Interessen in der Energiepolitik verdeutlichen: Wir wollen die weitere Liberalisierung und Öffnung der Märkte für Strom und Erdgas und wir müssen unsere Versorgungssicherheit gewährleisten sowie Energieeinsparung und den Ausbau erneuerbarer Energien, aber auch Innovation und Forschung vorantreiben. Das hat die Frau Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung ganz deutlich gesagt. Frau Künast war anscheinend nicht im Bilde, als die Regierungserklärung dazu abgegeben worden ist.

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Das kommt häufiger vor!)

Das war ein eindeutiger Schwerpunkt, den Frau Merkel hier gesetzt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Insgesamt setzen wir in Deutschland auf eine Zieltrias aus Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Umweltverträglichkeit, und das im europäischen Kontext. Das ist die Win-win-Situation, die wir in Deutschland brauchen, die Vertrauen schafft und die die Menschen von Europa überzeugt.

   Die Strukturhilfe im Rahmen der Zielförderung sowie die Mittel für die Gemeinschaftsaufgaben stellen einen weiteren Bereich dar, an dem wir deutlichen sehen, was Europa für uns leistet. Seit der Einigung des Ministerrates am vergangenen Freitag steht fest, dass die Ziel-1-Förderung für die neuen Bundesländer, aber auch für den so genannten alten Regierungsbezirk Lüneburg und damit für meinen Wahlkreis Celle - Uelzen ab 2007 bereitstehen wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   In einer beispielhaften Zusammenarbeit von Kommission, Europäischem Parlament, Bundesregierung, Bundestag sowie den Ländern und Kommunen konnte hier ein hervorragendes Ergebnis erzielt werden. Dazu gehört: Die private Kofinanzierung wird möglich sein. Die Anrechenbarkeit der nicht erstattungsfähigen Mehrwertsteuer ist gesichert. Die gewerblichen Investitionen können gefördert werden, ohne dass dies zu Abwanderungen führen wird. Das ist ein großer Erfolg für unsere Region.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir müssen nun gemeinsam am Ball bleiben, damit die Ausgestaltungen der Förderprogramme wirkliche Strukturverbesserungen vor Ort erzielen. Denn das, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird ein Gewinn für die Menschen vor Ort sein. Sie werden diese europäische Strukturförderung nutzen und damit wird die Akzeptanz für Europa weiter steigen. Das ist Ausdruck der Win-win-Situation vor Ort.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam um Vertrauen für ein gemeinsames Europa werben. Wir wollen dieses gemeinsame Europa weiterbauen. Nicht mies machen, sondern anpacken, die Chancen für Deutschland und für Europa nutzen - das ist das, was die Menschen von uns erwarten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Kollege Otte, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Herzliche Gratulation und alles Gute für Ihre weitere Arbeit!

(Beifall)

   Ich erteile nun Kollegen Diether Dehm, Fraktion Die Linke, das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Botschaft des französischen und holländischen Referendums ist doch klar: Die Leute - auch die Mehrheit der Deutschen, die Sie per Volksabstimmung zu Wort kommen zu lassen höchst vorsorglich nie gewagt haben - wollen keine Verfassung, vor der sie in Deckung gehen müssen, und keinen ungehemmten Wettbewerbskannibalismus

(Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh!)

- natürlich! - über die Sozialbindung des Eigentums in unserem Grundgesetz hinweg. Sie wollen keinen Verfassungsvertrag, der dem neoliberalen Sozialdumping, dem Lohndumping und dem Mittelstandsruin die Tore sperrangelweit öffnet.

(Beifall bei der LINKEN)

   Die Leute wollen auch keine verfassungsmäßig legitimierten EU-Eingreiftruppen rund um den Erdball. Die Mehrheit der Europäer und auch wir wollen nicht keinen, sondern einen anderen Verfassungsvertrag. Wir wollen einen - ich zitiere aus unserem Entschließungsantrag -, der „die Grundintention eines sozialen, friedfertigen und demokratischen Europas im Geiste seiner Gründer und Gründerinnen und im Einklang mit dem Willen der Bevölkerungsmehrheit in den EU-Mitgliedstaaten widerspiegelt“. Die Verfassung ist nicht das Problem. Die Politik dahinter ist der Kern der hausgemachten so genannten Verfassungskrise.

(Beifall bei der LINKEN)

   Frau Bundeskanzlerin, Sie haben deswegen wohl auch vor einem Schnellschuss gewarnt, um den selbst mit aufgebauten Erwartungsdruck hinsichtlich der deutschen EU-Präsidentschaft 2007 jetzt etwas zu dämpfen. Hören Sie also auf, große Worte wie „neue Ostpolitik“ zu tönen und damit Willy Brandt wieder einmal zu verhunzen!

   In der Tat: Da fehlen für die deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Grenzregionen nach wie vor die Abkommen, die die grenzüberschreitende Bekämpfung der Geflügelpest oder ähnlicher Katastrophen ermöglichen. Wir finden den dazu vorliegenden Antrag der FDP sehr viel konkreter als Ihre großen Worte.

(Beifall des Abg. Markus Löning (FDP))

- Ich danke Ihnen, Herr Löning.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

- Unsere Zustimmung ist doch selbstverständlich, wenn wir etwas vernünftig finden. Da sehen Sie einmal, wie undogmatisch die Linken sind.

   Laut „Spiegel online“ vom 9. Mai 2006 fordern Sie, Frau Merkel, dass sich - ich zitiere wörtlich - „EU-Staaten nicht gegenseitig die Rohstoffe wegnehmen“. Frau Merkel, warum eigentlich nur „EU-Staaten“? Was versteht die Bundesregierung laut „Die Welt“ vom 18. April unter „Offensive in Richtung Kaukasus“? Was meint Herr Jung mit einer Einbeziehung der Energieversorgung in eine „vernetzte Sicherheitspolitik“? Was ist von einem Verteidigungsminister zu halten, dessen Verteidigungsbegriff so ungefähr alles umfasst, was angeblich Deutschland und der EU nützt? Deutschland auf den Spuren des Terrorexperten im Weißen Haus und seiner Energiesicherung im Irak und im Iran?

   Frau Merkel, dass Sie sich den größten Brecher des Völkerrechts der letzten zwei Jahrzehnte am 14. Juli nach Stralsund in Ihren Wahlkampf holen, ist schon ein bemerkenswerter Schulterschluss. Helfen Sie Mecklenburg-Vorpommern lieber wirtschaftlich, statt solche zweifelhaften Showeffekte zu initiieren!

(Beifall bei der LINKEN - Markus Löning (FDP): Da seid ihr ja an der Regierung!

   Heute und in den nächsten drei Tagen werden Tausende von überwiegend jungen Menschen nach Wien fahren. Sie werden dies nicht tun, um das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur zu bejubeln, mit dem die großen Agrarunternehmen in Lateinamerika noch größer werden und die Kleinbauern um ihre Existenz gebracht werden können. In unserem Antrag zur EU-Lateinamerikapolitik haben wir ausführlich begründet, warum wir den Verzicht auf ein Freihandelsabkommen fordern. Wir sollten aus dem Verhandlungspaket jene Teile aus den Titeln „Dialog“ und „Kooperation“, die bereits ausverhandelt sind, herausnehmen und unabhängig von den anderen Teilen umgehend in Kraft setzen.

   Linke und andere Globalisierungskritiker werden in Wien sein, um den Aufbruch des jungen, des modernen Lateinamerikas - in Bolivien, in Venezuela und in anderen Ländern - gegen die undifferenzierten Vorverurteilungen und die Drohgebärden der EU-Kommission und der US-Regierung zu unterstützen und zu stärken.

(Beifall bei der LINKEN)

Gerade jetzt, wo die bolivianische Regierung den Gasreichtum ihres Landes nicht mehr zum Nulltarif ausplündern lässt, sondern nationalisiert! Glaubt denn hier irgendjemand, der ökonomische Unsinn bei uns in Deutschland mit der Privatisierung der Bahn, der Post, der Wasserversorgung und der Krankenhäuser sei das Wesen, an dem die Welt genesen soll?

(Beifall bei der LINKEN)

   Dagegen stellen wir heute unseren Entschließungsantrag als klare zukunftsfähige Alternative zur Abstimmung. Nur ein soziales, solidarisches und friedfertiges Europa - nach dem Beispiel der Abwahl Berlusconis und dem Sieg der französischen Jugend über ihren Ministerpräsidenten - kann ein Partner der Völker sein. Der Gegengipfel in Wien morgen trägt den Titel „Alternativen verbinden“ „Eine andere Welt ist möglich!“. In Europa ist die andere Welt auf dem Weg. In Venezuela, Bolivien und bald in ganz Lateinamerika hat sie schon angefangen.

   Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Axel Schäfer, SPD-Fraktion.

Axel Schäfer (Bochum) (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute Donnerstag; es ist Alltag. Also lassen Sie uns deshalb über die Alltagsfragen unserer Europaarbeit reden, auch wenn wir natürlich im Hinblick auf den Europatag am 9. Mai auch darüber sprechen müssen, was wir bisher erreicht haben.

   Der erste Punkt ist: Allen denjenigen, die Europaskepsis verbreiten, die immer genau wissen, was nicht geht, und als selbstverständlich annehmen, was gelungen ist, sei gesagt: Europa war bisher eine Erfolgsgeschichte. All das, was wir bisher voranzubringen versucht haben, ist, wenn auch über viele Schritte, gelungen. Das sollten wir deshalb in den Mittelpunkt unserer Arbeit stellen, wenn wir über die Probleme reden, die wir noch zu lösen haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir haben an einem ganz wichtigen Beispiel gesehen, wie Europa funktioniert und es zu funktionieren hat: über eine stärkere Parlamentarisierung. Viele wichtige Inhalte konnten durchgesetzt werden - es wurde schon von der Dienstleistungsrichtlinie gesprochen -, weil es im Europäischen Parlament im Rahmen einer großen Kooperation vor allem zwischen Christdemokratinnen und Christdemokraten sowie Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zu einem Sachkompromiss gekommen ist, Dinge vorangebracht wurden, die von der Kommission völlig anders gesehen wurden, und Probleme gelöst wurden, was die Regierungen allein nicht hinbekommen hätten. Uns als Parlamentarierinnen und Parlamentarier gerade hier im Bundestag sollte es ein Stück selbstbewusst machen, dass wir daran in außergewöhnlicher Weise mitwirken konnten. Denn wir haben uns rechtzeitig eingeklinkt. Wir haben das neue Verhältnis zwischen dem Europäischen Parlament und dem Deutschen Bundestag schon praktiziert. Genau darauf wird es in Zukunft verstärkt ankommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wenn das aber gelingen soll, dann brauchen wir auch ein neues parlamentarisches Verständnis.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Sehr gut!)

Wir brauchen - liebe zu unterstützende Regierung - ein neues Verständnis für die Zusammenarbeit von Parlament und Exekutive.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Sehr richtig! - Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr gut!)

Das, was im Koalitionsvertrag zu Recht steht, nämlich dass zwischen Bundestag und Bundesregierung eine Vereinbarung getroffen wird, die auf Parlamentsfreundlichkeit basiert, werden wir auch umsetzen. Dafür werden wir uns alle miteinander anstrengen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das heißt auch, deutlich zu machen, dass manche ein Stückchen Abschied von der Vorstellung nehmen müssen, dass Europapolitik in besonderer Weise Außenpolitik ist; das ist Europapolitik immer auch. Aber Europapolitik ist heute in überwiegendem Maße Innenpolitik. Das ist unsere Domäne und muss auch so bleiben. Es ist eine Selbstverpflichtung, und zwar nicht nur sozusagen exklusiv für die Mitglieder im Europaausschuss, sondern auch inklusive aller anderen 23 Ausschüsse in diesem Parlament, die sich stärker europäisieren müssen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die Europäisierung beinhaltet auch die Frage, wie wir in dieser Gemeinschaft agieren. Wenn Europäerinnen und Europäer über europäische Fragen reden, dann ist das eine europäische Angelegenheit und keine Sache, die zwischenstaatlich abläuft oder eine Einmischung in innere Angelegenheiten bedeutet. Deshalb sage ich an dieser Stelle ganz deutlich:

Ich freue mich, wenn eine Partei, die zum Verfassungsbogen gehört - also von Christdemokraten und Liberalen über die Grünen bis zu den Sozialdemokraten -, in einem europäischen Land gute Wahlergebnisse erzielt. Ich freue mich natürlich ganz besonders, wenn Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gewinnen. Es ist aber wichtig, dass wir uns in jedem Land, in dem über Europapolitik diskutiert wird, öffentlich gegen Rechtspopulisten und Europafeinde aussprechen. Das gehört zu einer solchen Debatte im Deutschen Bundestag.

(Beifall bei der SPD - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Gegen die europafeindlichen Linkspopulisten, genau!)

   Deswegen formuliere ich etwas deutlicher, als die Regierungsmitglieder es können: Den Vergleich, den der polnische Verteidigungsminister vorgebracht hat - Stichworte „Gaspipeline“ und „Molotow-Ribbentrop-Pakt“ -, ist in jeder Hinsicht unakzeptabel. Deshalb sollten wir das in diesem Haus gemeinsam zurückweisen. Das ist keine europäische Haltung, sondern widerspricht der historischen Wahrheit und ist das Gegenteil all dessen, was wir auf dem Gebiet der Europapolitik in diesem Haus bisher gemeinsam vorangebracht haben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Auf der anderen Seite sage ich ganz klar: Ich freue mich, dass nach dem hochgeschätzten Christdemokraten Carlo Ciampi in Italien Giorgio Napolitano zum Präsidenten gewählt worden ist,

(Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE))

der zu unserer Parteifamilie gehört.

(Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Na, na!)

Ich freue mich besonders darüber, weil er im Europäischen Parlament Vorsitzender des Verfassungsausschusses war und weil er in Italien ein Garant für Europapolitik ist. Er ist ein Gegenbild zu gewissen Separatisten, die es in der bisherigen italienischen Regierung auch gab. Das muss an dieser Stelle einmal von Parlamentarierinnen und Parlamentariern des Deutschen Bundestages gesagt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Diese Bundesregierung ist natürlich verpflichtet, die Ratspräsidentschaft vorzubereiten. Das tut sie, genauso wie auch wir uns einbringen. Allein der Respekt vor denen, die zurzeit in der Verantwortung stehen, nämlich vor unseren finnischen Freunden, die sich jetzt an die Ratifizierung des Vertrages machen, und vor Österreich, das zurzeit die Ratspräsidentschaft inne hat, gebietet es aber, dass wir uns heute noch nicht festlegen. Wir wissen schließlich noch nicht, wie weit wir am Ende des Jahres gekommen sein werden. Uns muss aber bewusst sein, dass gegenüber Deutschland eine große Erwartungshaltung besteht, Europa voranzubringen und entscheidend zur Problemlösung beizutragen.

   Es ist gut, dass die Bundeskanzlerin auf die Kontinuität hingewiesen hat. Die letzte deutsche Ratspräsidentschaft, im ersten Halbjahr 1999, war, das sagen heute die Historiker, eine der erfolgreichsten. Es ist gut, dass wir daran anknüpfen wollen. Das ist gut für Angela Merkel und gut für Frank-Walter Steinmeier.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich erlaube mir aber, auf Nuancen hinzuweisen. Wir dürfen es uns nicht zu einfach machen und beispielsweise sagen: Wenn über schwierige Kommissionsvorlagen nach zwei Jahren noch nicht entschieden wurde, können sie verfallen. - Ich erinnere nur daran, dass die Vredeling-Richtlinie schon 1970 - Arbeitsminister war damals Walter Arendt, SPD - auf den Weg gebracht wurde. Erst 1994 haben sich der Rat und das Europäische Parlament über die Einrichtung europäischer Betriebsräte geeinigt - Arbeitsminister war Norbert Blüm, CDU. Dieser lange Weg war notwendig, um dieses Vorhaben im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer voranzubringen. Wir sollten darum nicht leichtfertig über bürokratisch festgelegte Verfallsdaten sprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Subsidiarität darf nicht zu einem Wettlauf dergestalt ausarten, dass wir uns in dem überbieten, was wir alles nicht machen. Beim Thema Subsidiarität müssen wir darüber diskutieren, was wir machen, um Europa gemeinsam voranzubringen. Wir bringen es gemeinsam voran. Bertolt Brecht hat das einmal unübertrefflich formuliert - das entspricht dem deutschen Verständnis -:

Und weil wir dies’ Land verbessern, lieben und beschirmen wir’s, und das Liebste mag’s uns scheinen, so wie anderen Völkern ihrs ...

An diesem gemeinsamen Europa, das Jean Monnet auf der Basis der „Solidarität der Tat“ aufgebaut hat, wollen wir in diesem Haus weiterbauen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Thomas Silberhorn, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Thomas Silberhorn (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden hier über eine Akzeptanzkrise der Europäischen Union, vielleicht die tiefste, die sie in ihrer Entwicklung hat. Just in dem Moment, in dem die Europäische Union mit dem Verfassungsvertrag und der Erweiterung ihre ambitioniertesten Projekte auf den Weg gebracht hat, schwindet das Vertrauen der Bürger in die europäische Integration. Ich glaube, das gebietet uns, innezuhalten und nach den Gründen zu fragen, die sicher vielschichtig sind. Nach meiner Auffassung gehört dazu aber auch, dass die Anliegen der Bürger und die europapolitische Agenda nicht immer zusammenpassen. Die Europäische Union beantwortet Fragen, die sich für die Bürger nicht stellen, und umgekehrt ist die Europäische Union nicht in der Lage, auf die drängenden Zukunftsfragen der Bürger ausreichende Antworten zu geben. Das halte ich für eine der tieferen Ursachen der Akzeptanzkrise, in der wir stecken.

   Die Europäische Union beschäftigt sich zum Beispiel mit einer Richtlinie über optische Strahlung, bei der gottlob der Sonnenschein ausgenommen werden konnte. Ich bin der dritte Redner, der das heute ansprechen muss. Man kann nicht oft genug betonen, dass durch solche Dinge das Vertrauen der Bürger in die europäische Integration nachhaltig beschädigt wird, weil niemand einsehen kann, dass das Fragen sind, die man auf europäischer Ebene behandeln muss.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die Europäische Union befasst sich mit der Daseinsvorsorge, bei der für jedermann einsichtig ist, dass sie in erster Linie auf kommunaler Ebene angesiedelt bleiben muss. Ganz aktuell befasst sich die Europäische Union mit der Einrichtung einer europäischen Grundrechteagentur, obwohl Europa seit Jahrzehnten den weltweit dichtesten Grundrechteschutz hat. Dafür möchte man mehr als hundert Beamte einstellen und weit mehr Geld zur Verfügung stellen, als der Europarat zur Verfügung hat, um Grundrechte zu schützen, und das für eine Behörde, die von dem gerichtlichen Grundrechtsschutz, den wir in Europa seit Jahrzehnten haben, weit entfernt ist. Das alles sind keine Beiträge zum Bürokratieabbau

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Sehr gut!)

oder dazu, dass Bürger wieder neues Vertrauen in die europäische Integration fassen können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir müssen uns die großen Zukunftsfragen stellen und darauf Antworten finden: Was tun wir gegen die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland? Was tun wir, um wieder mehr Wachstum und Beschäftigung in Europa zu entfalten, und was tun wir, um unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit in Zeiten der Globalisierung zu erhalten? Das sind die Zukunftsfragen, auf die wir Antworten finden müssen.

   Es genügt bei der Beantwortung dieser Zukunftsfragen nicht, dass wir unsere Vision von der europäischen Integration an der Nachkriegsgeschichte orientieren. Denn wir können die Zukunft nicht mit alten Lösungen gewinnen. Wir müssen unsere Zukunftsvision von der europäischen Integration an den Problemen orientieren, vor denen wir stehen. Dazu gehört aus meiner Sicht, dass wir eine Vision der europäischen Integration entwickeln, durch die wir die wirtschaftliche Dynamik in der Europäischen Union wieder entfalten können, durch die wir internationale Wettbewerbsfähigkeit gewinnen, durch die wir innere Sicherheit angesichts der neuen Bedrohungen gewährleisten können und durch die wir eine Europäische Union schaffen, die einen Beitrag zur Sicherheit und zur Stabilität in der Welt leistet. Das ist meine Vision der europäischen Integration.

   Dazu gehört auch, dass wir ganz pragmatische Antworten finden: Was tun wir denn konkret, um den Binnenmarkt, der immer noch nicht vollendet ist, endlich zu vollenden? Was tun wir konkret, um Bürokratie abzubauen? Was tun wir konkret, um Bildung und Forschung zu stärken? Ich glaube, wir müssen die Balance zwischen unserer Vision von der europäischen Integration und den pragmatischen Antworten auf die Fragen, die sich den Arbeitnehmern, den Unternehmern, den Menschen in Europa heute stellen, neu austarieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir müssen uns zum Ziel setzen, dass wir im Inneren der Europäischen Union die Attraktivität wiedergewinnen, die die Europäische Union nach außen, insbesondere für die Beitrittskandidaten, hat. Wenn es uns gelingt, dass wir im Inneren so attraktiv bleiben und werden, wie wir es nach außen sind, dann können wir mit gutem Grund den Anspruch vertreten, dass wir den Prozess der Globalisierung mitgestalten können, und zwar nach unseren europäischen Wertvorstellungen. Das muss die Zielsetzung sein.

   Es ist heute schon mehrfach angemahnt worden - auch von der Bundeskanzlerin -, dass die Politik ihre Gestaltungskraft zurückgewinnen muss. Ich glaube, dass wir selbst eine ganze Menge dafür tun können, und möchte zwei Punkte herausgreifen.

   Zum einen geht es mir um die aus meiner Sicht zwar historisch verständliche, aber heute anachronistische Situation, dass neue Initiativen in der Europäischen Union fast nur von der Europäischen Kommission auf den Tisch gelegt werden können.

Damit haben wir uns fast vollständig in die Hände von Beamten begeben. Kein gewählter Politiker kann auf europäischer Ebene eine Initiative ergreifen, selbst dann nicht, wenn er Handlungsbedarf sieht. Die Menschen fragen uns, was wir konkret tun. Wir können aber gar nicht selbstständig handeln, sondern wir sind darauf angewiesen, dass die Beamten der Europäischen Kommission Vorschläge auf den Tisch legen.

(Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, aber das hat die Regierung so gewollt!)

Dieser Anachronismus ist schlichtweg unhaltbar. Wenn wir die Gestaltungskraft der Politik zurückgewinnen wollen, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass Vorschläge für neue Initiativen auf europäischer Ebene von den gewählten Politikern eingebracht werden können.

(Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das musst du mal deiner Regierung klar machen!)

   Deswegen fordere ich, dass wir hier tätig werden. Natürlich weiß ich, dass so etwas in einen Vertrag gegossen und ratifiziert werden muss; aber wir müssen einen solchen Prozess doch einmal anstoßen, damit die gewählten Politiker - ich meine unsere Kollegen im Europäischen Parlament - in die Lage versetzt werden, aus parlamentarischem Interesse heraus Initiativen für die konkrete Europapolitik zu ergreifen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich begrüße die Forderung, den Grundsatz der Diskontinuität, der im Bundestag gilt, auch auf europäischer Ebene einzuführen, damit wir Vorschläge, die die Kommission eingereicht hat, die aber keine Zustimmung finden, auch wieder loswerden können. Allerdings müssen Vorschläge auch von den demokratisch gewählten Politikern formell eingebracht werden können. Nur so gelingt es, politische Handlungsmacht und politische Verantwortung miteinander zu verknüpfen. Es ist einfach untragbar, dass die Abgeordneten, die die politische Verantwortung tragen und von den Bürgern politisch verantwortlich gemacht werden, keine Handlungsmöglichkeiten haben, da diese bei den Beamten liegen, die wiederum sich den Wählern nicht stellen müssen und nicht politisch verantwortlich gemacht werden. Das passt nicht zusammen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau! Lass uns dazu mal einen gemeinsamen Antrag in den Bundestag einbringen!)

   Zur Frage, wie die Politik ihre Gestaltungskraft zurückgewinnen kann, möchte ich noch einen zweiten Punkt ansprechen: Auch wir als Deutscher Bundestag müssen darüber nachdenken, wie wir unsere Gestaltungskraft in Fragen der Europapolitik stärken können. Wenn man sich die Präsenz in diesem Saal anschaut - bitte gestatten Sie mir diese Bemerkung -, dann könnte man durchaus den Eindruck gewinnen, dass die Akzeptanzkrise der Europäischen Union auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages erfasst hat;

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

dafür habe ich sogar Verständnis.

   Wir müssen in diesem Hause für Fragen der Europapolitik mehr öffentliche Aufmerksamkeit erzeugen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das beginnt damit, dass wir diesbezüglich besser von der Bundesregierung unterrichtet werden müssen, als es bisher der Fall ist. Es ist doch Unfug, dass der Bundesrat viel umfangreicher von der Bundesregierung unterrichtet wird als die gewählten Mitglieder dieses Hauses.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Beifall bei der LINKEN)

   Wir Abgeordnete des Deutschen Bundestages werden auf informellem Wege von den Beobachtern und Vertretern der Bundesländer in Brüssel - das sage ich aus voller Überzeugung und kann es bei Bedarf auch gerne beweisen - besser über die deutsche Europapolitik informiert als von der Bundesregierung. Dieser Zustand ist unhaltbar. Wir müssen uns, was das Ausmaß der Unterrichtung durch die Bundesregierung angeht, mindestens auf Augenhöhe mit dem Bundesrat bewegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Ute Berg (SPD): Wenden Sie sich damit doch mal an Ihre Kanzlerin!)

   Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass ihre Europapolitik nicht nur hinter verschlossenen Türen von den Beamten in den Ministerien gemacht wird, sondern dass sie auch von den Abgeordneten mitgetragen werden kann. Das ist die erste Voraussetzung, um auch in der Öffentlichkeit wieder Vertrauen in die europäische Politik zu gewinnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN)

   Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung: Die Bürokratie in Brüssel, die wir oft beklagen, wird nicht nur von den Brüsseler Beamten, sondern auch von den Regierungen der Mitgliedstaaten verursacht. Es ist einfach unbefriedigend, dass die Positionen, die der Bundestag vertritt, für die Bundesregierung völlig unverbindlich sind. Es gibt sogar die Praxis, dass Beamte der Bundesregierung in den Verhandlungen in Brüssel Parlamentsvorbehalte einlegen. Damit machen sie von einem Mittel Gebrauch, das uns Abgeordneten de jure gar nicht zur Verfügung steht. Wir werden lediglich im Nachhinein davon in Kenntnis gesetzt. Das bedeutet, dass der Bundestag von den Beamten der Bundesregierung instrumentalisiert wird. Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bitte um Nachsicht dafür, dass ich das hier so offen ansprechen muss: Dies betrifft nicht diese Bundesregierung allein; es betrifft vielmehr jede Bundesregierung. Es ist eine Frage, die das Parlament als Ganzes angeht. Wir müssen dafür sorgen, dass der Deutsche Bundestag, wenn er in europäischen Fragen Position bezieht, bei der Bundesregierung Gehör findet. Das bedeutet: Stellungnahmen des Bundestages müssen einen höheren Grad an Verbindlichkeit erhalten, als das bisher der Fall ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich formuliere diesen Anspruch als Einladung an die Bundesregierung, das Parlament einzubinden und es mit dafür zu nutzen, in europäischen Fragen Transparenz und die nötige öffentliche Aufmerksamkeit zu schaffen. Diesen Beitrag können und wollen wir leisten, und ich glaube, dass uns das gelingen kann. Wenn wir die Akzeptanz für die europäische Politik verstärken wollen und neues Vertrauen gewinnen wollen, müssen an erster Stelle die Abgeordneten dieses Hauses mitgenommen werden.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/1413. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses mit Ausnahme der Fraktion Die Linke abgelehnt.

   Tagesordnungspunkte 3 b und 3 c. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/456 und 16/528 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c sowie Zusatzpunkt 3 auf:

4. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Norbert Röttgen, Dr. Michael Meister, Laurenz Meyer (Hamm), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Olaf Scholz, Ludwig Stiegler, Dr. Rainer Wend, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates

- Drucksache 16/1406 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Laurenz Meyer (Hamm), Veronika Bellmann, Klaus Brähmig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rainer Wend, Doris Barnett, Klaus Barthel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft

- Drucksache 16/1407 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin Zeil, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Statistikpflichten zurückführen - Bürokratiekosten senken

- Drucksache 16/1167 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Innenausschuss

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Dr. Max Stadler, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Schlanker Staat durch weniger Bürokratie und Regulierung

- Drucksache 16/119 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Norbert Röttgen, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU):

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Jahre 1969 hat der damalige Bundeskanzler Willy Brandt zum ersten Mal für eine Regierung das Ziel proklamiert, Bürokratie abzubauen.

(Dr. Michael Bürsch (SPD): Sehr gut!)

Dies hat seither jede Bundesregierung wiederholt. Von jeder politischen Konstellation, die es seither gegeben hat, ist angekündigt worden, Bürokratie abzubauen.

(Dr. Michael Bürsch (SPD): Es ist auch etwas geschehen!)

- Nichts ist geschehen!

(Dr. Michael Bürsch (SPD): Doch!)

   In den letzten 30 Jahren hat es am Ende jeder Legislaturperiode nicht nur nicht weniger, sondern sogar mehr Bürokratie gegeben als zuvor. Die Geschichte des Abbaus von Bürokratie - dem wichtigen Ziel, Bürger und Unternehmen von Kosten und Freiheitsbeschränkungen zu befreien - ist eine Geschichte des politischen Scheiterns

(Birgit Homburger (FDP): Das setzt sich jetzt fort!)

   Wir wollen und werden dies ändern. Wir trauen uns zu, dieser Geschichte des Scheiterns mit einem neuen Ansatz ein Ende zu bereiten. Weil die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte so negativ sind, ist Skepsis sicherlich angebracht. Deshalb will ich begründen, wie wir das Ziel, das uns alle in diesem Hause verbindet, erreichen wollen: Der neue Ansatz der Koalitionsfraktionen ist nicht theoriegeboren, sondern er besteht darin, etwas auf unser Land zu übertragen, das in anderen Ländern mit Erfolg praktiziert wird. Das heißt, wir wollen die positiven Erfahrungen, die andere Länder gemacht haben, nutzen. Diese anderen Länder sind insbesondere die Niederlande, Großbritannien - Tony Blair -, Dänemark und weitere europäische Länder. Ich möchte die Methode schildern, die Inhalt unseres Gesetzentwurfes ist. Drei Elemente machen den neuen Ansatz aus.

   Das erste Element ist die Einführung und Anwendung einer Methode, um durch Bürokratie entstehende Kosten zu messen.

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Höchste Zeit!)

Es ist möglich, die durch Gesetze verursachten Bürokratiekosten zu erfassen, zu messen. Dazu gibt es eine objektive Methode, bezogen auf einen bestimmten Bürokratiebegriff, die schon angewendet wird und akzeptiert ist.

   Diese Methode werden wir anwenden, so wie das schon in anderen Ländern gemacht wird, und zwar flächendeckend auf alle Gesetze, alle Rechtsverordnungen und alle Verwaltungsvorschriften. So werden wir erfassen können, wie hoch die Kosten sind, die durch Gesetze verursacht werden. Wir werden sehen, wie viel Bürokratie, die durch Gesetze veranlasst wird, kostet.

   In den Niederlanden lag der Wert bei 3,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die niederländische Regierung konnte, nachdem sie gesehen hat, welche Kosten Bürokratie verursacht, Abbauziele vereinbaren und hat festgelegt, diesen Stand in einer Legislaturperiode um 25 Prozent senken zu wollen; das hat die Bundeskanzlerin heute Morgen aufgenommen. Das haben die Niederländer dann gemacht. Die Vierjahresfrist ist noch nicht abgelaufen, aber sie haben schon 18 Prozent erreicht.

   Für die Niederlande bedeuten Bürokratiekosten in Höhe von 3,6 Prozent des BIP ein Einsparvolumen von 4 Milliarden Euro. Davon haben sie schon drei Viertel erreicht. Das ist die Wirklichkeit. Eine solche Kostenentlastung gab es für die Adressaten von Bürokratie. Wenn wir das auf das deutsche Bruttoinlandsprodukt beziehen und genauso erfolgreich sind wie die Niederländer - dort ist es nicht Fiktion, sondern Realität -, dann wäre das in Deutschland eine Entlastung der Unternehmen bei Bürokratiekosten von 20 Milliarden Euro.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich komme auf 20 Milliarden Euro, indem ich die Erfahrungen der Niederlande auf Deutschland übertragen habe.

   Wir kündigen nicht an, dass es diese Entlastung in Höhe von 20 Milliarden Euro auch tatsächlich geben wird. Fest steht: Durch die Umsetzung dieser Methode können die Unternehmen bei ihren Kosten so stark entlastet werden, wie es mit kaum einem anderen Projekt möglich wäre. Denn es kostet uns nichts. Der Staat hat keine Einnahmeausfälle zu verkraften, wenn er auf Bürokratie verzichtet. Es gibt also erneut nur Gewinner. Eine solch enorme Kostenentlastung der Unternehmen könnten wir auf absehbare Zeit mit keinem anderen Instrument der Politik und der Gesetzgebung realisieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Zum zweiten Element, das die Niederlande anwenden und das wir übertragen wollen: In den Prozess der Entstehung von Recht, von Gesetzen muss mit Blick auf den Abbau und die Vermeidung von Bürokratie eine unabhängige Kontrolle eingebaut werden. Denn Bürokratie fällt nicht vom Himmel, sondern wird durch Gesetze, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften staatlich erzeugt. Das hängt mit der bestimmten Art der expertenhaften Organisation von Gesetzgebung zusammen. Die Experten haben ihr kleines Planquadrat vor sich, das sie beherrschen und zusammen mit Interessengruppen gestalten. Sie erklären der Politik, dass es an dieser Stelle unbedingt notwendig ist, diese Regulierung vorzunehmen. Das kennen alle, die sich schon einmal intensiv mit der Entstehung von Rechtsvorschriften befasst haben.

   Darum brauchen wir in dieser Phase, implementiert in der Exekutive, eine Kontrollinstanz, eine unabhängige Instanz, die weisungsunabhängig ist und die nicht mit Politikern oder weisungsabhängigen Beamten besetzt wird, sondern mit unabhängigen Sachverständigen, die intervenieren können. Diese Institution heißt Normenkontrollrat. Der Normenkontrollrat ist kein politischer Zensor. Er sagt dem Parlament nicht, was der politische Wille eines Gesetzes sein soll, sondern er stellt fest, ob für das durch die Politik festgelegte Ziel dieses Maß an Bürokratie erforderlich ist. Er kann das in seiner Stellungnahme kritisieren.

Die Erfahrungen aus den anderen Ländern zeigen, dass die Regierungen ihre Gesetzesvorschläge verändern. Das müssen sie von Rechts wegen nicht. Aber wenn eine solche Stellungnahme des Normenkontrollrates erfolgt, gerät die Regierung, die mit dieser Rechtsvorschrift Bürokratie verursachen will, in Rechtfertigungsdruck. Das ist der Mechanismus. Sie muss sich für die Verursachung von Bürokratie rechtfertigen - und das ist richtig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir wollen, dass Bürokratieverursachung in unserem Land zu einem rechtfertigungsbedürftigen Verhalten wird. Denn das kann Bürokratie reduzieren.

   Drittes Element. Wir schaffen für dieses Ziel des Bürokratieabbaus eine parlamentarisch-gesetzliche Grundlage. Bislang wurde immer gesagt: Das macht die Exekutive allein. - Wir brauchen, wenn wir das Ziel Bürokratieabbau erreichen wollen, die Exekutive. Aber wir werden das Ziel nur gemeinsam erreichen; die Exekutive allein schafft das nicht. Vielmehr müssen das Parlament, der Gesetzgeber, und die Exekutive zusammenwirken. Dazu gibt es ein Gesetz; es entstammt der Mitte des Bundestages und wurde von den Koalitionsfraktionen formuliert. Das gibt dem gesamten Vorhaben eine parlamentarische Grundlage. Wir als Gesetzgeber involvieren und engagieren uns bei diesem Thema und machen es zum Maßstab auch unseres Verhaltens. Wir wollen beteiligt werden und wollen uns an der Bearbeitung dieses Themas beteiligen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Ich komme zu meiner letzten Bemerkung. Nach allen Erklärungen verbindet uns das Ziel des Bürokratieabbaus bzw. des Bürokratiekostenabbaus. Ich habe die Dimensionen geschildert, um die es geht. Es ist ein Thema, das mit Kosten, aber auch mit Freiheit zu tun hat. Es verbindet uns alle. Ich möchte eine letzte Erfahrung aus den Niederlanden schildern und das mit einer Bitte und einem Appell verbinden. Im niederländischen Parlament ist dieses Thema, von ganz links bis zum anderen Ende des politischen Spektrums, nicht streitig. Man geht das Thema gemeinsam an. Ich möchte alle Fraktionen dazu einladen, mitzuwirken und sich konstruktiv zu beteiligen, damit wir zusammenwirken bei der Verfolgung eines gemeinsamen Zieles und so als Gesetzgeber in der Sache gemeinsam etwas erreichen. Diesen Schlussappell möchte ich an alle richten und verbinde ihn mit der Bemerkung: Wir sind selbstverständlich bereit, Korrekturen und Verbesserungen anzunehmen; wir wollen einen Diskussionsprozess. Was wir anstreben, ist, dass dieses Ziel gemeinsam, auf breiter Grundlage, getragen wird. Denn so kann es umso erfolgreicher realisiert werden.

   Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Martin Zeil, FDP-Fraktion.

Martin Zeil (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man gewinnt manchmal den Eindruck, als wäre Bürokratie etwas, das unser Land gewissermaßen ohne unser Zutun befallen hätte, und als bräuchten wir möglichst viele externe Gremien, um ihr abzuhelfen. Es ist aber wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen - Herr Röttgen hat es ebenfalls erwähnt -, dass wir selbst als Gesetzgeber, die Regierungen und Verwaltungen in der EU, im Bund und in den Ländern die Quelle der Bürokratie sind, niemand sonst. Den Bürgern müssen wir sagen: Wer für jedes neue Problem eine Regelung fordert, der fordert auch mehr Bürokratie.

   Es geht also letztlich auch um unser Staatsverständnis. Dass wir als Liberale uns dabei etwas leichter tun als andere, liegt auf der Hand: Für uns ist das Loslassen seitens des Staates kein schmerzhafter Prozess wider Willen, sondern ein Freiheitsthema schlechthin.

(Beifall bei der FDP)

Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die zahlreichen Entbürokratisierungsinitiativen unserer Fraktion, die unter Federführung der Kollegin Homburger in den letzten Jahren gestartet wurden.

   Es ist gut, wenn die schwarz-rote Regierung nun endlich erste, zaghafte Schritte in die von uns seit langem vorgezeichnete Richtung unternimmt.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU - Beifall bei Abgeordneten der FDP - Ernst Burgbacher (FDP): Sehr zaghafte!)

Nach langem Hin und Her haben Sie jetzt das Gesetz über den Normenkontrollrat vorgelegt. Über die Namensgebung lässt sich streiten; wir hätten uns den umfassenderen „Bürokratiekosten-TÜV“ gewünscht. Es ist auch kein gutes Omen, dass im Namen des Bürokratieabbaus erst einmal Stellenmehrungen vorgenommen wurden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP - Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Wir haben doch keine Stellenmehrungen vorgenommen!)

   Der Entwurf weist auch inhaltliche Mängel auf: Der Begriff der Bürokratiekosten wird auf die „Informationspflichten“ reduziert.

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Weil nur das messbar ist!)

Dabei wissen auch Sie es besser, nämlich dass der weitaus größere Teil der Kosten den Unternehmen durch die Umsetzung anderer Rechtsvorschriften und vor allen Dingen durch die hierfür erforderlichen Investitionen entsteht.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP - Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Deshalb machen wir das Mittelstandsentlastungsgesetz!)

Ferner möchte ich erwähnen: Die Kontrollaufgabe des Rats darf sich nicht nur auf Initiativen der Regierung beziehen. Das Modell der Messung der Bürokratiekosten entspricht unseren Vorschlägen. Aber eines dürfen wir nicht vergessen: Auch das modernste Fieberthermometer ist noch keine Therapie gegen die Krankheit selbst.

(Beifall bei der FDP)

   Die spannendste Frage aber ist - auch dazu haben Sie nichts gesagt -: Wer wird nun Mitglied dieses Rats? Die Zusammensetzung ist noch geheimer als die endgültige Nominierung unserer WM-Mannschaft. Der Bundestrainer wird sein Geheimnis am 15. Mai lüften. Wir dürfen als Parlament gespannt sein, wann nun endlich konkrete Vorschläge seitens der Regierung kommen werden.

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Zuerst müssen wir das Gesetz haben!)

Entscheidend ist, dass dort unabhängiger Sachverstand und Praxiserfahrung einziehen und keine Frösche zur Trockenlegung des Sumpfes nominiert werden.

(Beifall bei der FDP - Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Richtig! Wir sind einer Meinung! - Olaf Scholz (SPD): Quak! Quak!)

Wir bedauern, dass die Besetzung allein Sache der Exekutive ist und das Parlament außen vor bleibt.

   Beim Mittelstandsentlastungsgesetz haben Sie von einer Entfesselungsoffensive gesprochen. Ja, es enthält einige verdienstvolle Ansätze. Es ist auch gut, dass man sich dem herausragenden Problem der Deklaration von Altholz widmet. Sie wissen im Grunde aber selbst, dass Sie mit diesem Entwurf viel zu kurz springen. Es hat auch schon aus den eigenen Reihen Kritik gegeben.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Nein!)

Wir werden Ihnen im Gesetzgebungsverfahren gerne helfen, vielleicht doch noch zu einer echten Entfesselung zu kommen.

(Beifall bei der FDP)

   Meine Damen und Herren von der Koalition, viel schlimmer als diese Trippelschritte ist aber etwas ganz anderes: Während Sie hier vollmundig von Mittelstandsentlastung reden, haben Sie in Ihrer kurzen Amtszeit schon selbst neue bürokratische Belastungen zu verantworten. Ich nenne nur das Vorziehen der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge,

(Ernst Burgbacher (FDP): Richtig!)

die neue Zwangsversicherung für Kleinbetriebe bei der Lohnfortzahlung, die Fahrtenbuchführung bei Geschäftswagen für Selbstständige und - als neuesten Sündenfall - das neue Antidiskriminierungsgesetz, dessen Bestimmungen von jedem Normenkontrollrat, der seine Aufgabe ernst nimmt, sofort beanstandet werden müssten.

(Beifall bei der FDP)

   Es ist dieses völlig widersprüchliche Verhalten, das Ihrer Politik die Glaubwürdigkeit nimmt. Die „Wirtschaftswoche“ hat es so beschrieben:

... die Augen vor der Realität verschließen, konsequent am Sachverstand der Wissenschaft vorbeihören und schamlos die Bedenken gegen das eigene Tun verschweigen.

   Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Solange Sie so weitermachen, lösen Sie keine Probleme, sondern sind selbst Teil des Problems. Dabei kann es so einfach sein:

Bürokratieabbau kostet nichts, steigert das Bruttoinlandsprodukt und macht populär,

so der Vorsitzende des niederländischen Normenkontrollrats.

   Wenn Sie auf diese Weise Popularität suchen, wenn Sie den großen Worten endlich Taten folgen lassen, haben Sie die FDP-Fraktion an Ihrer Seite.

(Beifall bei der FDP - Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Machen wir doch! Wir machen es den Niederländern nach!)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Rainer Wend, SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dr. Rainer Wend (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Kein Staat kann ohne Recht, kein Recht ohne Staat bestehen.

   Max Weber hat gesagt: „Eine Verwaltung“, die dieses Recht durchsetzen will, „ist entweder bürokratisch oder dilettantisch“.

   Was ich damit sagen will, ist: Bürokratie ist auch Bestandteil eines Rechtsstaates. Ohne Bürokratie kann Willkür herrschen. Deswegen geht es bei unserem Vorhaben heute in Wahrheit nicht um einfache und pauschale Deregulierung, sondern um eine richtige und effektive Regulierung.

   In unserer Republik haben sich aber über Jahrzehnte bürokratische Regeln verselbstständigt und führen für Bürgerinnen und Bürger, aber auch für Unternehmer zu Belastungen.

   Ich möchte ein Zitat von Ralf Dahrendorf anführen, der gesagt hat:

Wir brauchen Bürokratien, um unsere Probleme zu lösen. Aber wenn wir sie erst haben, hindern sie uns, das zu tun, wofür wir sie brauchen.

   Wenn es so ist, wie der Kollege Röttgen gesagt hat,

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): So ist es!)

dass die Belastungen der Bürokratie so groß sind, und auch die Erkenntnis von Dahrendorf und anderen die ist, dass diese Belastungen riesig sind, stellt sich natürlich die Frage: Warum haben wir es alle nicht geschafft - Herr Röttgen hat Recht damit -, diese Dinge zu regeln? Sie, Herr Kollege von der FDP, sagen: Es ist alles ganz einfach. Wenn alles ganz einfach ist, stellt sich die Frage, warum die Partei, die in unserer Republik am längsten mit in der Regierung saß, das nicht schon längst geregelt hat, was dort zu regeln ist.

(Beifall bei der SPD - Martin Zeil (FDP): Das müssen Sie Ihren Koalitionspartner fragen!)

Von daher scheint es vielleicht nicht ganz so leicht zu sein.

   Ich darf ein etwas ironisches Zitat bringen. Wernher von Braun hat gesagt:

Bei der Eroberung des Weltraums sind zwei Probleme zu lösen: die Schwerkraft und der Papierkrieg. Mit der Schwerkraft wären wir fertig geworden.
(Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU)

   Ich glaube, daran sieht man: So pessimistisch muss man nicht sein, wenn man die Ursachen dafür erkennt, warum wir Bürokratieabbau bisher nicht erreicht haben. Es gibt mehrere Ursachen. Ich will zwei benennen, weil sie mir wichtig sind. Mit unserem Gesetzgebungsvorhaben versuchen wir, genau diese Dinge zu umschiffen und zu vermeiden.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Sehr richtig!)

   Die erste Ursache ist: Die FDP - wenn ich jetzt bösartig wäre, würde ich vielleicht auch einige unserer neuen Freundinnen und Freunde von der CDU/CSU mit einbeziehen,

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Nein, nein!)

aber das tue ich nicht - sagt „Bürokratieabbau“ und spricht anschließend über den Kündigungsschutz, die Tarifautonomie, das Betriebsverfassungsrecht, die Umweltstandards und das Antidiskriminierungs- oder, so heißt es jetzt, das Gleichstellungsgesetz.

(Martin Zeil (FDP): Ja!)

Wohlgemerkt: Selbstverständlich kann man über jeden dieser Punkte inhaltlich diskutieren. Man tut dem Thema Bürokratieabbau aber einen Tort an, wenn man diese inhaltlichen Themen unter der Überschrift „Bürokratieabbau“ subsumiert. Damit erreichen Sie nämlich, dass bei uns eine Art Reflex entsteht, nachdem immer dann, wenn Bürokratieabbau gesagt wird, der Verdacht entsteht, dass Kündigungsschutzabbau gemeint ist.

(Beifall bei der SPD)

   Deswegen sage ich Ihnen an dieser Stelle: Wenn Sie wirklich Bürokratieabbau wollen, dann ist es ein Fehler, dies mit materiellen Dingen, über die man diskutieren kann, zu verknüpfen.

(Martin Zeil (FDP): Das kam in meinem Beitrag nicht vor, Herr Kollege!)

   Die zweite Ursache, die ich für diese Problematik sehe, ist auch schon angesprochen worden. Ich meine das nicht bösartig, aber es ist natürlich wahr, dass sich der Beamtenapparat und die Behörden verselbstständigen. Ich glaube, dass ihrem Verhalten im Regelfall hehre Motive zugrunde liegen. Natürlich sitzen der Abteilungsleiter X und der Referatsleiter Y seit vielen Jahren an einer Thematik. Sie sind zutiefst überzeugt davon, dass der Zweck, dem sie seit Jahren oder Jahrzehnten dienen, nicht mehr in der bisherigen Perfektion erreichbar ist, wenn man die Vorschrift X oder Y auch nur modifiziert.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Das ist so!)

Das muss man respektieren.

   Ich wiederhole es: Es ist noch nicht einmal Bösartigkeit, als wollten sie dabei nur für ihre Pfründe sorgen. Darum geht es nicht. Es geht darum, dass sie in ihrer jahrelangen Arbeit und Tätigkeit gefangen sind und deswegen um Normen kämpfen und sie nicht hinterfragen, die in Wirklichkeit veränderungswürdig sind. Das ist der zweite Grund, warum wir uns beim Thema Bürokratieabbau so schwer tun.

   Jetzt möchte ich Ihnen gerne sagen, warum ich glaube, dass wir diese beiden Dinge mit unserem Gesetzentwurf, der heute hier vorliegt, umschiffen und in den Griff bekommen: Bei der Einrichtung des Normenkontrollrates und bei diesem Gesetz geht es eben nicht darum, den gesetzgeberischen Zweck im Kündigungsrecht oder wo auch immer zu hinterfragen, sondern es geht ausschließlich - von mir aus können Sie in Klammern „nur“ dahinter schreiben - darum, Dokumentations- und Berichtspflichten zu messen.

   Ich möchte das an einem praktischen Beispiel der Bauindustrie verdeutlichen, damit wir uns einmal vor Augen führen, was das eigentlich heißt. Es gibt eine Vorschrift, wonach die Unternehmen der Bauwirtschaft ihre Hochbauleistungen monatlich in Form einer Statistik dokumentieren und staatlichen Stellen übermitteln müssen. Unterstellen wir einmal, dass in einem Unternehmen ein Mitarbeiter vier Stunden im Monat damit beschäftigt ist, der über den Daumen gepeilt 30 Euro für jede dieser Stunden verdient. Wenn wir das einmal ausrechnen - 30 Euro pro Stunde mal vier Stunden mal zwölf, weil es ja zwölf Monate sind -, dann kommen wir zu dem Ergebnis, dass dieses Unternehmen aufgrund dieser Statistik eine Kostenbelastung von 1 440 Euro im Jahr hat. Das hört sich wie Peanuts an.

   Rechnen wir jetzt aber einmal weiter: In der Bauwirtschaft gibt es gut 300 000 Unternehmen. Wenn wir diese 1 440 Euro mit 300 000 multiplizieren, dann kommen wir auf eine Größenordnung von 432 Millionen Euro, die die gesamte Bauwirtschaft nur diese eine Pflicht zur Erstellung einer Statistik im Jahr kostet. Damit sind wir nicht mehr bei Peanuts.

Warum ist es unter Aufrechterhaltung des gesetzgeberischen Zwecks denn nicht möglich, zu sagen, dass diese Verpflichtung nicht zwölfmal im Jahr, sondern beispielsweise nur noch viermal im Jahr, also alle drei Monate, besteht? Ich habe ausgerechnet, dass das eine erhebliche Ersparnis von 288 Millionen Euro im Jahr bedeuten würde. An dieser Stelle erkennen wir: Nur durch eine Reduzierung von Dokumentations- und Berichtspflichten, ohne materiell in Recht, Gesetze und Ansprüche eingreifen zu müssen, entlasten wir die Wirtschaft in unserer Republik erheblich. Das ist eine gute Sache.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich möchte die gesamtvolkswirtschaftlichen Zahlen aus den Niederlanden nennen. Dort wurde errechnet, dass die Dokumentationspflichten die Wirtschaft mit etwa 19 Milliarden Euro belasten. Davon sollen 25 Prozent, fast 5 Milliarden Euro, eingespart werden. Wenn wir diese Zahlen auf das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland übertragen, würden Kosten von etwa 80 Milliarden Euro entstehen. Wenn wir diese wie in den Niederlanden um 25 Prozent reduzieren würden, ergäbe das nach Adam Riese 20 Milliarden Euro, um die die Wirtschaft in unserer Republik entlastet würde.

   Viele sagen - sie haben Recht -: Wir sind aber nicht die Niederlande; denn wir sind ein föderaler Staat. Viele dieser Dokumentationsverpflichtungen gehen nicht vom Bund, sondern von den Bundesländern aus; das ist wahr. Aber das ist kein Grund zur Resignation, sondern dies ist eher ein Grund, die Länder zu motivieren. Wir müssen ihnen sagen: Steigt in den Wettbewerb ein! Zeigt, wer beim Bürokratieabbau, beim Messen von Dokumentations- und Berichtspflichten und der anschließenden Reduzierung dieser Pflichten am besten ist.

   Ein Wettbewerb zwischen den Ländern sowie dem Bund und den Ländern, der in diese Sache Bewegung bringt, ist richtig und gut. Deswegen stellt der föderale Staat zwar auf den ersten Blick ein Problem dar, aber auf den zweiten Blick könnte er eine Chance dafür sein, eine Dynamik zu entfalten. Denn kein Bundesland will - das hoffe ich jedenfalls - bei diesem Wettbewerb das Schlusslicht sein und beim Bürokratieabbau am schlechtesten abschneiden. Auch da ist Wettbewerb gut.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Von Herrn Röttgen ist - das finde ich völlig richtig - die Frage aufgeworfen worden: Wer macht eigentlich mit? Herr Kollege Zeil, Sie haben mich ein bisschen enttäuscht. Sie haben uns vorgeworfen, auf diesem Gebiet nicht genug getan zu haben. - Erstens. Die Opposition muss so etwas tun, sonst wäre sie keine Opposition.

(Martin Zeil (FDP): Außerdem stimmt es!)

Zweitens. Sie könnten in Teilen sogar Recht haben; dazu sage ich gleich noch etwas. Wir befinden uns in einem Gesetzgebungsverfahren, in dem wir vieles noch besser machen können. Aber dann habe ich die Bitte, dass Sie nicht nur erklären, die Regelungen gingen offensichtlich in die richtige Richtung, und uns ansonsten Versagen vorwerfen. Vielmehr müssen Sie sich Ihrerseits Mühe geben, konkrete Vorschläge zu unterbreiten,

(Martin Zeil (FDP): Das haben wir doch gemacht!)

die dann aber nicht wie beim Antidiskriminierungsgesetz irgendwo stehen bleiben. Beim Thema Bürokratieabbau müssen diese Vorschläge konkret werden und sie dürfen keine materiellen Ansprüche in unserer Gesellschaft betreffen.

   Wir haben ein weiteres Gesetz zum Thema „Entlastung des Mittelstandes“ eingebracht. Mit diesem Artikelgesetz werden wir 16 Gesetze und Verordnungen ändern: das Bundesdatenschutzgesetz, das Gesetz über die Lohnstatistik, die Abgabenordnung, das Umsatzsteuergesetz, die Gewerbeordnung und das Chemikaliengesetz.

   Viele meinen, das seien nur Kleinigkeiten. - Das ist wahr. Aber diese Kleinigkeiten summieren sich zu einem großen Vorschlag, der unter dem Strich Substanz hat. Ich sage aber gleich dazu: Das muss in diesem Gesetzgebungsverfahren noch nicht das Ende der Fahnenstange sein.

(Martin Zeil (FDP): Doch!)

Vielleicht fallen uns weitere Dinge ein, die wir einarbeiten, sodass wir am Ende sagen können: Dieses Gesetz ist im Laufe des Verfahrens noch besser geworden, als es zum Zeitpunkt der Einbringung gewesen ist.

   Eine abschließende Bitte. Nicht nur wir müssen sagen: Wir müssen versuchen, diese Regelungen einmütig zu beschließen. Vielmehr ist dies auch ein Appell an die Ministerien und die Beamten. Wir brauchen sie. Die Bürokratiemessung und der Abbau der Bürokratie sind ohne die Bürokratie selbst schlichtweg nicht möglich. Sie darf den Normenkontrollrat nicht als eine Instanz auffassen, die ihr etwas Böses will. Der Rat ist vielmehr eine Instanz, die ihre Aktivitäten begleitet, Anregungen gibt und gegenüber dem Parlament deutlich macht, wie der Prozess der Entbürokratisierung vorangehen soll. Der Normenkontrollrat soll keine Konkurrenz sein und auch niemanden überwachen.

(Michael Glos (CDU/CSU): Sehr richtig!)

Er soll ihre Arbeit begleiten sowie für die Ministerien und für das Parlament eine Hilfe von unabhängigen Fachleuten sein, die sich in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft auskennen. Wenn wir das auf den Weg bringen, dann ist das in der Tat ein neuer Ansatz. Dann ist es der Versuch, aus der Erstarrung der Bürokratiediskussion der letzten Jahre herauszukommen. Lassen Sie uns alle gemeinsam diesen Versuch unternehmen. Er kann sich für unser Land lohnen.

   Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Sabine Zimmermann (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Röttgen, Sie werden mir immer sympathischer.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Olaf Scholz (SPD) - Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Herr Röttgen, das würde mir zu denken geben! - Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Das schadet mir zwar jetzt ein bisschen, aber ich habe Verständnis dafür!)

Ich habe mit Freude gehört, dass Sie alle Gesetze beleuchten wollen. Damit meinen Sie sicherlich auch das Monster Hartz IV. Das sollten wir tatsächlich als gemeinsames Ziel sehen; darin bin ich mit Ihnen einer Meinung.

   In Ihrem Plan zum Bürokratieabbau gibt es Punkte, die wir im Großen und Ganzen mittragen können.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Hört! Hört!)

Das betrifft beispielsweise die Änderungen beim Chemikaliengesetz, beim Fahrlehrergesetz oder bei Teilen des Umsatzsteuergesetzes. Es betrifft aber nicht die Änderungen beim Datenschutz. Hierüber hätten Sie sich mehr Gedanken machen können. Kleine Betriebe zu entlasten, indem der Datenschutz ausgehöhlt wird, ist keine verantwortungsvolle Politik. Eine solche Politik bedenkt auch die gesellschaftlichen Folgen von Demokratie-, von

Bürokratieabbau. Dafür stehen wir als Linksfraktion.

(Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): „Demokratieabbau“ war das richtige Wort!)

- Man kann sich versprechen. Ich denke, Sie haben dafür Verständnis.

   Das eigentlich Problematische an den Vorschlägen der großen Koalition ist, dass Sie an den wirklichen Problemen der kleinen und mittleren Unternehmen völlig vorbei gehen. Erst letzte Woche sprach ich mit einer Unternehmerin aus Sachsen, die eine Initiative gegründet hat. Die Vorschläge der Bundesregierung zum Bürokratieabbau ernten vor Ort nur Hohn und Gelächter. Der Frust beim Mittelstand ist enorm. Wir fragen uns, ob Sie eigentlich mit den Unternehmen vor Ort - vor allen Dingen mit den kleineren Unternehmen - reden. Ich zitiere aus dem Brief der Geschäftsführerin eines Unternehmens an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales:

Sie sollten mit dem Wort „Bürokratieabbau“ sehr vorsichtig umgehen, da in den letzten Jahren die Bürokratiebelastung für die kleineren Unternehmen geradezu explodiert ist und sich auch nicht durch schöne neue Namen verschleiern lässt.

Ich denke, mit diesem Satz hat sie den Nagel auf dem Kopf getroffen.

   Sie bat mich, folgenden Punkt anzusprechen: die vorgezogene Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge. Wir haben das Thema bereits im Ausschuss behandelt. Eine verfehlte Wirtschafts- und Sozialpolitik hat die Sozialversicherungssysteme in die Krise geführt. Mit einer vorzeitigen Fälligkeit der Sozialabgaben ist dieser Krise nicht zu begegnen. Die bürokratischen Belastungen sind jedoch - vor allem für die kleineren und mittleren Unternehmen - enorm hoch. Der Steuerberaterverband und die betroffenen Unternehmen haben angeboten, die Fälligkeit auf den dritten bis fünften Tag des Folgemonats zu legen. Die Regierung hat dies ignoriert. Nun hat die Unternehmerin an den Petitionsausschuss geschrieben und von einem Abgeordneten einer Koalitionsfraktion, nämlich dem Abgeordneten Günter Baumann von der CDU/CSU-Fraktion, am 15. Februar 2006 folgende Antwort bekommen:

Ich bin mit Ihnen einer Meinung, dass es sich bei der vorgezogenen Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge um einen hohen bürokratischen Aufwand handelt ...

Soll ich mehr dazu sagen oder spricht diese Aussage für sich? Sieht so Ihr Bürokratieabbau aus?

   Ich fasse zusammen: Ihre Vorschläge zum Bürokratieabbau bringen in der Praxis wenig und laufen in die falsche Richtung. Ihre Flickschusterei an den Sozialversicherungssystemen führt gerade für die kleineren Unternehmen zu neuer Bürokratie.

   Das eigentliche Problem des Mittelstands ist die schwache Binnenwirtschaft. Das bestätigen alle Experten landauf, landab. Sie aber legen mit der angekündigten Erhöhung der Mehrwertsteuer ein Antiwachstumsprogramm auf, das vor allem die sozial Schwachen, die kleinen Unternehmen, den Mittelstand und die Selbstständigen belasten wird. Denn diese profitieren nicht von der Senkung der Sozialversicherungsbeiträge.

Die Regierung will zur Verringerung der Bürokratiekosten einen Normenkontrollrat einrichten. Wie der Kollege Röttgen von der Union sagt - das Zitat ist sehr interessant; Herr Röttgen, wir beide werden vielleicht doch noch Freunde -,

(Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Das war eine Drohung!)

soll dieser ein „Wachhund sein, der laut bellt, wenn das Bürokratieabbauziel nicht erreicht wird“.

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Absolut richtig!)

Die Linke hat erhebliche Zweifel, ob der Hund immer an der richtigen Stelle bellen wird. In den Niederlanden gibt es dieses Verfahren bereits. Dort zählten die jährlichen Umweltberichte der Unternehmen bislang zu den unnützen bürokratischen Belastungen. Wie wird es denn bei uns sein? Weitere Fragen sind offen. Warum soll der Normenkontrollrat seine Stellungnahme nicht öffentlich abgeben dürfen? Warum sollen Verbraucher, Gewerkschafter und Sozialverbände nicht Mitglieder dieses Rates stellen dürfen? Zumindest diese Fragen sind zu beantworten.

   Die Regierung hat noch weitere Maßnahmen zum Bürokratieabbau angekündigt. Die Linke ist aber misstrauisch, wenn die Bundesregierung von Bürokratieabbau redet. Herr Bundesminister Glos hat in seiner ersten Amtshandlung unser Misstrauen bestätigt. Gegen seinen Plan, das Gaststättengesetz abzuschaffen, haben Gemeinden, Gaststättenverbände und Verbraucherschützer zu Recht protestiert. Ginge es nach dem Minister, hätte jeder ohne Erlaubnis eine Kneipe an jeder Ecke aufmachen können. Der Schlamperei wären Tür und Tor geöffnet worden. Die Überprüfung der Einhaltung der Vorschriften betreffend den Brandschutz und die Fluchtwege sowie des Lebensmittelrechts und der Hygienevorschriften wäre unter den Tisch gefallen. Der Plan ist zum Glück in der Schublade verschwunden. Ich hoffe, dass er dort bleibt.

   Ein anderes Beispiel: Die große Koalition will dafür sorgen, dass Bauvorhaben schneller umgesetzt werden. Der Politik muss es aber um die Menschen in diesem Land gehen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz kritisiert, dass bei den Vorhaben von Union und SPD die Investoren bevorzugt, die betroffenen Anwohner jedoch benachteiligt werden.

   Die Linke hat zum Thema Bürokratieabbau eine einfache Haltung. Wir sind gegen Gesetze und Vorschriften, die die Menschen belasten. Demzufolge müsste die Bundesregierung als Erstes - das sprach ich eingangs an - das bürokratische Monster Hartz IV abschaffen. Sie wollen aber zu Hartz IV noch ein Fortentwicklungsgesetz beschließen. Den Betroffenen muss dieser Name eigentlich Angst machen. Kleinste Auskünfte bis ins Detail! Diese Bürokratie gehört bekämpft.

(Beifall bei der LINKEN)

   Die Bundesregierung spricht zwar von Bürokratieabbau zugunsten von Wirtschaft und Bürgern. Aber Letztere kommen bei Ihnen leider kaum vor. Das Streichen von noch so vielen Vorschriften wird nichts an der Auftragslage der kleinen Handwerker und Dienstleister ändern, wohl aber zu einem weiteren Verfall sozialer und ökologischer Standards führen. Wir hingegen setzen hier auf ein öffentliches Investitionsprogramm, das vor allem die Binnennachfrage nachhaltig stärken soll.

   Gesetzliche Auflagen belasten große Unternehmen in der Tat weniger als kleine. Aber der Marktmacht der Großunternehmen tritt man nicht gegenüber, indem man dereguliert, sondern indem man dafür sorgt, dass Steuern gezahlt werden. Dafür brauchen wir ein Mehr an staatlicher Kontrolle; denn Steuerhinterziehung ist zu einem Hobby der Konzerne geworden. Fast 11 Milliarden Euro haben die Betriebsprüfer im letzten Jahr bei Großunternehmen eingetrieben. 11 Milliarden Euro! Mit diesen Steuereinnahmen könnte der Staat endlich wieder Investitionen tätigen. Die öffentlichen Aufträge würden dem Mittelstand mehr helfen als eine gestrichene Vorschrift.

   Wenn Sie bei der Steuerfahndung so viel Kraft und Energie einsetzten wie bei Hartz IV, dann könnten Sie sich wesentlich mehr Geld holen als bei den Langzeitarbeitslosen in diesem Land.

   Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Matthias Berninger, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

   Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Vorredner Rainer Wend dankbar, dass er beim Thema Bürokratieabbau darauf hingewiesen hat, dass es in diesem Land sehr viele Regelungen gibt, die aus einer Verwaltung ein effizientes Instrument machen, das dafür sorgt, dass die Bürgerinnen und Bürger in etwa wissen, woran sie sind, und dass die Alternative häufig Willkür ist. Dazu hat Max Weber eine Menge geschrieben, wiewohl er den Übergang von einer eher monarchisch geprägten Verwaltung, über die sich schon Bismarck aufgeregt hat, in die Weimarer Republik beobachtet hat. Selbst wenn wir uns alle darauf verständigen, dass es nicht darum geht, die Bürokratie abzuschaffen, sondern dass es darum geht, sie effizienter zu machen und zu schauen, wo Unsinn geschieht, sollte man immer im Auge haben, dass sie notwendig ist, sie für Bürgerinnen und Bürger, aber auch für Unternehmen wichtig ist, weil sie ihnen Sicherheit gibt, dass es ein Korsett von Regelungen in diesem Lande gibt, und dass sie ein Teil des demokratischen Rechtsstaates ist. Das geht manchmal in der Debatte unter. Ich war ganz froh, dass Sie das angesprochen haben.

   Die Koalitionsfraktionen haben einen Gesetzentwurf zur Einführung eines Normenkontrollrates ausgearbeitet. Darüber ist zum Teil belustigt nach dem Motto geschrieben worden: Neue Bürokratie zum Bürokratieabbau. Der Normenkontrollrat knüpft an Erfahrungen an, die in Großbritannien und Holland gemacht wurden, und an die Feststellung, dass die Entscheidung, in eine solche Richtung zu gehen, tatsächlich Belastungen abgebaut hat. Deswegen halte ich es für falsch, zu glauben, das werde es nicht bringen.

   Der Kollege Röttgen hat darüber hinaus den Oppositionsfraktionen das Angebot gemacht, bei dem Normenkontrollrat mitzuarbeiten, das heißt, diesen Gesetzentwurf der großen Koalition mitzutragen. Ich kann Ihnen für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen sagen, dass unsere Mitarbeit davon abhängt, ob er an zwei Stellen, die mir sehr wichtig erscheinen, substanziell verändert wird. Zunächst zur ersten Stelle. Ich halte nichts davon, dass sich der Normenkontrollrat auf Vorschläge aus der Regierung beschränkt. Wir sind das Parlament. Die Bürgerinnen und Bürger, die uns hier zuschauen, besuchen den Gesetzgeber. Wir sind nicht der Gesetzentgegennehmer. Ich denke, dass es richtig wäre, den Zuständigkeitsbereich des Normenkontrollrats auf Gesetze aus dem Parlament zu erweitern.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Sehr gut!)

Das sage ich auch deshalb, weil der Normenkontrollrat die Freiheit hat, zu entscheiden, ob er ein Gesetz für so relevant hält, dass er sich mit ihm befasst. Ich denke, dass eine solche Regelung das Selbstbewusstsein des Parlaments zum Ausdruck bringen würde.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Das werden wir konstruktiv aufgreifen!)

Das ist für uns eine wichtige Voraussetzung, um diesem Vorhaben zuzustimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Der zweite Punkt bezieht sich auf die Zuständigkeit, das heißt auf die engere Definition, was Bürokratie ist. Da wird die große Weide der Bürokratie durch einen hohen Zaun umgrenzt. Der Normenkontrollrat soll sich nämlich nur auf solche Themen beschränken, die mit Berichtspflichten zu tun haben. Ich bin ein sehr pragmatischer Mensch. Es ist richtig, dass man anhand von Berichten genaue Berechnungen anstellen kann. Eine Rechnung, wie Bürokratiekosten entstehen und wie sie letzten Endes darstellbar sind, hat der Kollege Wend aufgemacht. Insofern kann man hier anhand konkreter Zahlen Risiken und Nebenwirkungen eines Gesetzes abschätzen. Ich denke, dass der Normenkontrollrat die Freiheit haben sollte, auch andere bürokratische Belastungen, wenn er sie für relevant hält, in den Blick zu nehmen. Ich will ein Beispiel nennen. Es ist immer noch nicht möglich, Sozialversicherungsbeiträge online zu zahlen. Das Verfahren ist eine monatliche Routine für große und kleine Unternehmen und es ist mit enormem Aufwand verbunden. Warum soll der Normenkontrollrat nicht bei einer Änderung im Sozialbereich darauf hinweisen, dass eine kleine Modifikation am Gesetz den Unternehmen in Deutschland erhebliche Kosten sparen könnte? Der Normenkontrollrat soll ja gleich einem Fieberthermometer in der Lage sein, solche Kosten zu messen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Deswegen lautet mein Vorschlag: Lassen Sie uns diesen Zaun in dem Gesetz abbauen! Lassen Sie uns dem Normenkontrollrat das Vertrauen entgegenbringen, dass die Experten, die in ihn berufen werden, schon wissen, welche Gesetze ihnen besonders wichtig sind. Lassen Sie uns in der Begründung darauf hinweisen, dass in anderen Ländern mit den Informationspflichten ein besonderer Erfolg erzielt wurde! Wenn wir uns bei diesen beiden Punkten entgegenkommen können, dann hat jedenfalls meine Fraktion keine Bedenken, einem solchen Vorhaben zuzustimmen.

   Das Ziel, Bürokratie abzubauen, ist ohnehin das Ziel der meisten Regierungen. Ich habe mir das in den Ländern angesehen, egal wer dort regiert hat, ob das eine Alleinregierung wie in Bayern war oder - man möchte es kaum glauben - eine Regierung wie Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen. Landauf, landab haben Landesregierungen das Ziel, Bürokratie abzubauen. Das ist in den letzten Jahren Gegenstand jeder Regierungserklärung von neu gewählten Kanzlern und der Kanzlerin gewesen. Es gibt also einen großen Konsens im Parlament. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass wir es beim Bürokratieabbau mit der Ministerialbürokratie zu tun haben, einem relativ mächtigen Partner, der häufig zu jeder Lösung ein Problem findet

(Dr. Michael Bürsch (SPD): Der Satz ist gut!)

und uns genau sagt, dass es nur eine ganz bestimmte Lösung für ein Problem gibt, die häufig mit Bürokratie verbunden ist, also Sachzwänge erzeugt. Ich denke, dass das richtig ist. Die meisten Kolleginnen und Kollegen haben Erfahrungen sammeln können. Ich selbst habe Erfahrungen auf beiden Seiten des „Bauzauns“ machen können; schließlich war ich früher Staatssekretär.

   Zur Debatte gehört schon, festzustellen, dass wir Parlamentarier auch nicht ganz ohne sind. Nach einem Skandal, beispielsweise nach einem Brand in einem Flughafengebäude, sind wir Parlamentarier die Ersten, die sagen: Die Brandschutzvorschriften müssen enorm verbessert werden. So ist es nach dem Brand auf dem Düsseldorfer Flughafen geschehen. Wenn infolge hoher Schneebelastungen Turnhallendächer einstürzen, dann wird zuerst darüber geredet, ob man nicht die Vorschriften verändern muss. Nach einem Lebensmittelskandal - zuletzt hatten wir einen Gammelfleischskandal; es wurde so manche Sau durchs Dorf getrieben - schienen geradezu bergeweise neue Vorschriften die einzige Lösung der Probleme zu sein.

   Man wird mit diesem Gesetz nur dann Erfolge erzielen, wenn das Parlament an bestimmten Stellen den Mut hat, auf Regelungsdichte zu verzichten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)

Dazu bedarf es in der Tat der Mitwirkung von Opposition und Regierung. Die Regierung allein kann das nicht schaffen.

   Die Kollegin Zimmermann hat den Datenschutz, das Umweltrecht und verschiedene andere Standards genannt, die ihr wichtig sind. In diesem Sinne hat sich auch der Kollege Wend geäußert. Auch ich stehe auf diesem Standpunkt. Für mich ist das heutige Datenschutzrecht allerdings nicht sakrosankt. Das Datenschutzrecht dient dazu, die Bürgerinnen und Bürger und auch Unternehmen elementar zu schützen. Das enthebt uns aber nicht davon, dafür zu sorgen, dass dieses Recht effizient ist. Es nutzt dem Datenschutz überhaupt nichts, das Datenschutzrecht von Veränderungen auszuklammern, indem wir sagen: Das ist ein Heiligtum; wir reden nicht darüber, ob auf diesem Gebiet etwas besser werden kann. Der Datenschutz ist unser gemeinsames Anliegen; da sind wir uns einig. Wir wollen durch Bürokratieabbau keine Bürgerrechte beseitigen. Daher sollten wir selbstverständlich auch Themen wie Datenschutz, Umweltrecht bearbeiten.

   Ich glaube im Übrigen nicht, dass sich die Qualität von Umweltschutz an der Anzahl der Seiten von Vorschriften messen lässt. Ich bin daher sehr froh, dass es ein Umweltgesetzbuch geben soll, in dem die Umweltschutzvorschriften neu zusammengefasst werden.

   An dieser Stelle möchte ich eine kleine Nebenbemerkung machen. Wenn wir mit der in den nächsten Wochen anstehenden Föderalismusreform dafür Sorge tragen, dass jedes einzelne Bundesland dieses Umweltgesetzbuch mit Einzelvorschriften umgehen kann, dann laufen Investoren Amok, weil sie glauben, dass sie bestimmte Investitionen nach Prüfung von deren Rechtmäßigkeit in einem Bundesland auch in einem anderen tätigen können, und anschließend feststellen müssen, dass es erhebliche rechtliche Unterschiede gibt.

   Ich halte es für wichtig, an dieser Stelle nicht den Fehler zu machen, Föderalismusreform mit der bürokratischen Verkomplizierung unseres Rechtssystems zu verwechseln. Mir ist zum Beispiel auch nicht ersichtlich, warum wir 16 verschiedene Bauordnungen haben, nachdem man sich zunächst einmal auf eine Bundesbauordnung verständigt hat. So etwas ist keine Stärkung der Länder, sondern greift das Nervenkostüm vieler Beteiligter an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Zwei Beispiele zum Abschluss.

   Erstens. Heute steht ein zweites Gesetz auf der Tagesordnung. Durch eine ganze Reihe von Regelungen sollen kleine und mittlere Unternehmen von Bürokratie entlastet werden. Was kleine Unternehmen angeht, soll die Bagatellgrenze von 350 000 Euro Umsatz im Jahr auf 500 000 Euro angehoben werden, damit sie es mit einer geringeren Regelungsdichte zu tun haben. Man setzt etwas fort, was Rot-Grün in der letzten Legislaturperiode begonnen hat. Das freut mich sehr. Ich habe mir seitens einer Finanzverwaltung Informationen darüber besorgt, was es für diese Betriebe bedeutet, wenn wir ihnen auf diese Art und Weise mehr Freiheiten einräumen wollen: Entsprechende Vordrucke werden entwickelt, aus denen die neue Definition der Einnahme-Überschuss-Regelung für die Betriebe hervorgeht. In der Praxis wird es dadurch komplizierter als zuvor.

   Dazu sage ich Ihnen: So kann es nicht funktionieren. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die von uns vorgenommenen Änderungen wirkliche Entlastungen für die Betriebe sind. Es geht nicht an, dass etwa die Steuerverwaltung eines Landes dem mit irgendwelchen Vordrucken entgegenwirkt, sodass am Ende womöglich das Gegenteil von dem herauskommt, was das Parlament erreichen wollte. Es reicht also nicht, Gesetze abzuschaffen; vielmehr müssen wir berücksichtigen, wie sich etwas in der Realität auswirkt. Bei dem von mir genannten Beispiel ist es nicht so gut gelaufen.

   Zweitens - Stichwort „Gaststättenrecht“ -: das so genannte Bulettenabitur. Frau Zimmermann, ich war für Verbraucherschutz zuständig. Ich kann Ihnen eines sagen: Wenn man eine Gaststätte eröffnen will, dann hat man es mit Regelungen zu tun, die nicht für Verbraucherschutz sorgen, sondern dafür, dass man verzweifelt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Ich bin für einen modernen Verbraucherschutz und eine gute Kontrolle. Regelungen wie die bisherigen müssen beseitigt werden. Der Bundeswirtschaftsminister hat zunächst die Abschaffung dieser Regelungen angekündigt. Dann hat er gesagt, er trete doch nicht für deren Abschaffung ein, weil das Ganze im Zusammenhang mit der Föderalismusreform in die Zuständigkeit der Länder falle. Wir sollten ein Signal setzen, finde ich, und das dennoch abschaffen. Wenn einzelne Länder nach der Föderalismusreform der Meinung sind, dass sie das Bulettenabitur doch brauchen, dann sollen sie es meinetwegen wieder einführen. Die Abschaffung wäre ein richtiger Schritt. Das ist eine von den Maßnahmen, Herr Kollege Wend, über die wir vorhin gesprochen haben, die wieder in diese Vorlage hineinkommen sollten.

   Ich habe die Zeit ein bisschen überzogen, danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und hoffe, dass wir gemeinsam vorankommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD - Dr. Rainer Wend (SPD): Du hast ja ganz gut gesprochen!)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Hartmut Koschyk, CDU/CSU-Fraktion.

Hartmut Koschyk (CDU/CSU):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Berninger, Sie haben durch Ihren konstruktiven Redebeitrag deutlich gemacht, dass sich die große Koalition bei ihrem Ziel, mit messbarem Bürokratieabbau und wirksamer Mittelstandsentlastung in Deutschland ernst zu machen, in diesem Hause auf eine breite Mehrheit weit über die Koalitionsfraktionen hinaus abstützen kann.

   Wir alle sind uns einig, dass vor allem Wirtschaft und Mittelstand seit Jahrzehnten unter der Last unsinniger Vorschriften und Regelungen leiden. Wir alle, auch die Kollegen der Freien Demokraten, sollten die Kraft zur Selbstkritik haben und einräumen, dass die Bundesregierungen aller Farbschattierungen, auch Wirtschaftsminister - über lange Zeit sind sie von den Freien Demokraten gestellt worden -, ihren Beitrag dazu geleistet haben.

   80 Prozent der Bürokratiekosten tragen Handwerk und Mittelstand in unserem Land und die entsprechenden Mittel fehlen bei den Investitionen und bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Ich bin dankbar dafür, dass das Bundeswirtschaftsministerium durch das Institut für Mittelstandsforschung einmal hat errechnen lassen, wie hoch die jährlichen Bürokratiekosten sind. Man schätzt diese Kosten auf 45 Milliarden Euro. Wenn es uns gelingt, davon auch nur ein Viertel abzubauen, dann entlasten wir die Unternehmen in unserem Land um rund 10 Milliarden Euro. Das ist ein Betrag, der jede Mühe wert ist. Das Beste daran ist: Der Abbau überflüssiger Bürokratie kostet den Finanzminister keinen Cent.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir haben uns für eine Doppelstrategie bei diesen Maßnahmen entschieden. Wir richten einen Normenkontrollrat ein, der Regierung und Parlament berät und bei der Aufgabe unterstützt, den Wildwuchs in Gesetzen und Verordnungen dauerhaft zu bändigen. Herr Kollege Berninger, wir sind sehr offen dafür, dies nicht auf Gesetzesinitiativen der Bundesregierung zu beschränken, sondern dies im parlamentarischen Beratungsverfahren auf Gesetzentwürfe aus dem Parlament auszudehnen. Auch darüber, ob wir die Kompetenzen des Normenkontrollrats noch um das eine oder andere erweitern können, wollen wir im Verfahren offen sprechen.

   Ich sage sehr deutlich: Es ist gut und richtig, dass die Einrichtung eines Normenkontrollrats kein bürokratischer Akt ist, den eine Bundesregierung auf dem Verordnungswege erledigt, sondern dass das eine Initiative aus dem Parlament heraus ist

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und dass dieser Epoche machende Schritt bei der Bekämpfung überflüssiger Bürokratie in unserem Land vom Parlament getan wird.

   Wir beraten und verabschieden mit diesem Entwurf eines Gesetzes zur Einsetzung eines Normenkontrollrats auch den Entwurf eines Mittelstandsentlastungsgesetzes, das den Bürokratiekostendschungel mit ersten konkreten Maßnahmen lichtet. Wir sollten uns als Deutsche immer anschauen - davon ist hier mehrfach gesprochen worden -, was unsere Nachbarn in dieser Frage besser machen. Wir haben uns das genau angeschaut. Ich bin unserem Kollegen Röttgen sehr dankbar, der über lange Zeit mit Fachleuten gesprochen hat, die in die Niederlande gereist sind und sich das dort genau angeschaut haben. Wir haben uns das auch in Dänemark und in Großbritannien angeschaut. Was sich bei unseren Nachbarn beim Abbau überflüssiger Bürokratie bewährt hat, das wollen wir jetzt auch in Deutschland wagen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe von der Doppelstrategie gesprochen. Es kommt der Normenkontrollrat, aber es kommt auch ein Mittelstandsentlastungsgesetz. Ich will einige Beispiele dafür nennen, wo das Mittelstandsentlastungsgesetz greifen wird. Jährlich fallen in Deutschland 8 Millionen Tonnen Altholz an. Wenn jemand zurzeit eine Lieferung von nur 100 Kilogramm erhält, muss er einen zweiseitigen amtlichen Vordruck ausfüllen. Das wird der Vergangenheit angehören. Im produzierenden Gewerbe werden wir bei der Statistikerhebung die Grenze, von der an Unternehmen einbezogen werden, von 20 auf 50 Beschäftigte anheben. Damit werden wir 25 000 Kleinbetriebe sozusagen von der Stichprobe und damit auch von der Meldepflicht befreien. Für Betriebe mit insgesamt 600 000 Beschäftigten wird in dem Jahr 2007 die Lohnstrukturerhebung ganz entfallen.

   Wir wissen, das alles reicht noch nicht. Deshalb werden wir im laufenden Gesetzgebungsverfahren prüfen, wo wir noch weitere Entlastungsmomente einbringen können. So wollen wir, dass Existenzgründer in den ersten drei Jahren von allen Pflichten bezüglich statistischer Auskünfte freigestellt werden. Das wollen wir ins laufende Gesetzgebungsverfahren einbringen. Ein anderer Punkt betrifft die vielen technischen Möglichkeiten - Herr Kollege Berninger hat davon gesprochen -, die uns die moderne Informationstechnik auch bei der Bürokratieentlastung bei Handwerk und Mittelstand bietet.

   Wir werden auch in das laufende Verfahren zum ersten Mittelstandsentlastungsgesetz schnell realisierbare weitere Vorschläge einfügen. Gleichzeitig beginnen wir mit den Vorbereitungen für ein zweites Mittelstandsentlastungsgesetz, das bereits im Herbst konkrete Gestalt annehmen soll.

   Unsere Fraktion hat über 60 konkret umsetzbare Punkte genannt, die wir uns für diese Legislaturperiode vorgenommen haben. Ein Drittel wird umgesetzt; bei einem weiteren Drittel sind wir auf einem guten Weg. Wir lassen nicht locker, wenn es darum geht, in unserem Land etwas für mehr Wachstum und Beschäftigung zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Denn wenn ein Unternehmer sich nicht mehr mit der Meldung für die vierteljährliche Produktionserhebung im Fertigteilbau beschäftigen muss, dann hat er mehr Zeit für sein Unternehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Somit sichert Entbürokratisierung Arbeitsplätze und schafft neue. Mehr Arbeitsplätze garantieren durch höhere Steuereinnahmen auch die Entlastung, die wir brauchen, um wieder zukunftsnotwendige Investitionen für unser Land tätigen zu können.

   Deshalb freuen wir uns, dass wir schon bei dieser Debatte gespürt haben, dass auch die Freien Demokraten und Bündnis 90/Die Grünen sich an diesem Gesetzgebungsverfahren und diesen Beratungen in Bezug auf echten Bürokratieabbau in Deutschland und echte Mittelstandsentlastung konstruktiv beteiligen wollen. Wenn es uns insgesamt gelingt, mit breiter parlamentarischer Mehrheit endlich Konkretes auf den Weg zu bringen, dann werden die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land spüren, dass die Politik aus dem Parlament heraus Ernst macht, den Dschungel überflüssiger Bürokratie in Deutschland nachhaltig zu lichten.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollegin Birgit Homburger, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Birgit Homburger (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte ist über die Gesetzentwürfe zum Bürokratieabbau schon einiges gesagt worden. Herr Kollege Röttgen, Sie haben beispielsweise einleitend erklärt, dass es seit 30 Jahren im Prinzip Ziel jeder Regierung gewesen sei, Bürokratie abzubauen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Diese Meinung teile ich nicht. In den 80er-Jahren, als es Deutschland wirtschaftlich gut ging, sind in diesem Land einige Bestimmungen beschlossen worden, die für mehr Bürokratie gesorgt haben und die den Deutschen Bundestag heute nicht mehr passieren würden. Es ist nicht so, dass das Ziel seit 30 Jahren dasselbe ist.

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Ich habe gesagt, dass das Ziel proklamiert, aber nicht erreicht wurde!)

   Aber es ist in der Tat richtig - da wende ich mich an Sie, Herr Dr. Wend, denn Sie haben das gesagt -, dass die FDP in der Vergangenheit an den Bundesregierungen beteiligt war.

(Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Leider viel zu häufig!)

Ich sage Ihnen klipp und klar: Wir haben schon Anfang der 90er-Jahre deutlich gemacht, dass wir in Zeiten, als wir Verantwortung getragen haben, Dingen zugestimmt haben, denen wir heute nicht mehr zustimmen würden, die man damals als richtig empfunden hat und die zu mehr Bürokratie geführt haben. Wir stehen zu der Verantwortung; aber weil wir das erkannt haben, fordern wir schon seit Beginn der 90er-Jahre konsequent immer wieder die Reduzierung von überflüssigen Vorschriften in Deutschland.

(Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Bis 1998 waren Sie an der Regierung!)

Da sind wir bei den anderen Fraktionen bisher gegen eine Wand gelaufen. Ich freue mich, dass es jetzt eine gemeinsame Erkenntnis des ganzen Hauses gibt.

(Beifall bei der FDP)

   Ich möchte auch deutlich machen, dass die Landesregierungen, in denen wir vertreten waren bzw. sind, immer wieder Anstrengungen unternommen haben. Ich nenne beispielsweise entsprechende Zahlen für Baden-Württemberg. Dort wurde im Jahr 2000 eine Initiative zum Abbau überflüssiger Bürokratie gestartet. Wir haben es geschafft, innerhalb von vier Jahren die Verwaltungsvorschriften in Baden-Württemberg um über 2 000 auf die Hälfte zu reduzieren. Das ist immer noch nicht genug. Deswegen werden wir die Anstrengungen fortsetzen. Anstrengungen erwarten wir aber auch von der Bundesregierung.

(Beifall bei der FDP)

   Von der Bundesregierung gab es nach der Wahl bisher nur zahllose Ankündigungen. Es hieß, Bürokratieabbau werde Chefsache. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos wurde dies angekündigt. Man muss allerdings deutlich sagen, dass wir davon bisher nichts gesehen haben. Jetzt haben wir die erste Lesung eines entsprechenden Gesetzentwurfs. Was bisher gelaufen ist, ist also wirklich kein Ruhmesblatt für die Koalition.

   Ich sage sehr deutlich: Wir begrüßen beide Gesetzentwürfe. Aber ich sage Ihnen auch sehr deutlich: Sie gehen nicht weit genug. Ich bin der Auffassung, dass wir endlich dazu kommen müssen, in Deutschland über die Befristung von Gesetzen nachzudenken und Verordnungen grundsätzlich mit einem Verfallsdatum zu versehen. Es soll nicht derjenige sozusagen die Beweislast haben, der sie abschaffen will, sondern derjenige, der sie weiter behalten will. Auch das wäre eine strukturelle Maßnahme.

(Beifall bei der FDP)

   Wir fordern von Ihnen klipp und klar - ich komme darauf noch zu sprechen - eine Eins-zu-eins-Umsetzung der europäischen Richtlinien. Diese haben Sie vollmundig angekündigt. Sie tun es allerdings nicht. Ich nenne in diesem Zusammenhang beispielsweise das Antidiskriminierungsgesetz. Vor diesem Hintergrund sind natürlich alle möglichen Bekenntnisse zum Bürokratieabbau nicht allzu viel wert.

   Ähnliches gilt für das Mittelstandsentlastungsgesetz. Es geht zwar in die richtige Richtung; Herr Röttgen, Sie haben das Gesetz überschwänglich gelobt. Ihr Kollege, Herr Fuchs, hat als mittelstandspolitischer Sprecher Ihrer Fraktion aber öffentlich geäußert, dieses Gesetz sei bei weitem nicht ausreichend und müsse an entscheidender Stelle überarbeitet werden.

(Ernst Burgbacher (FDP): Aha!)

Wo Herr Fuchs Recht hat, hat er Recht.

(Ernst Burgbacher (FDP): Recht hat er!)

Wir können ihm nur zustimmen.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Das habe ich doch angekündigt, Frau Kollegin!)

   Ich möchte Ihnen sehr deutlich sagen: Wenn durch das Mittelstandsentlastungsgesetz für kleine und Kleinstbetriebe ein paar Regelungen verändert werden - beispielsweise durch eine vereinfachte Statistik -, dann ist das lobenswert.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Es kommt, Frau Homburger!)

Aber wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie endlich an die Hauptkostenblöcke geht. Es wurde schon das Institut für Mittelstandsforschung zitiert, das jährliche Kosten in Höhe von 46 Milliarden Euro allein aufgrund bürokratischen Aufwands für die Betriebe festgestellt hat.

   Was sind die großen Kostenblöcke? Ein zu kompliziertes Steuerrecht, ein zu kompliziertes Sozialversicherungsrecht, ein zu kompliziertes Arbeitsrecht, ein zu kompliziertes Umweltrecht und viel zu viel Statistiken. Das ist das Ergebnis der Studie, die im Auftrag des Wirtschaftsministeriums durch das Institut für Mittelstandsforschung durchgeführt wurde. Was aber machen Sie? Fehlanzeige! Wenn Sie nicht bereit sind, auch an die großen Kostenblöcke heranzugehen, dann werden Sie in der Zukunft keine Entlastung im Bereich der Bürokratiekosten erreichen.

(Beifall bei der FDP)

   Das zeigt sich beispielsweise auch an dem Vorziehen der Fälligkeit für die Abgabe der Sozialversicherungsbeiträge; die entsprechende Regelung gilt seit Januar. Das bedeutet Zusatzbelastungen in Höhe von 3 Milliarden Euro. Herr Röttgen, wenn Sie sagen, zusätzliche Kosten müssten zukünftig gerechtfertigt werden, dann sind Sie schlicht und ergreifend unglaubwürdig. Sie hätten im Januar die Chance gehabt, dieses unsinnige Gesetz rückgängig zu machen. Sie haben dies nicht gewollt und haben sehenden Auges 3 Milliarden Euro zusätzliche Kosten für die Betriebe und für die Krankenkassen, die jetzt zweimal eine Abrechnung machen müssen, in Kauf genommen. Trotzdem erklären Sie heute, dass Sie zukünftig die Bürokratiekosten gerne reduzieren wollen.

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Genau!)

   Das ist nicht akzeptabel.

   Unser Vorschlag zum Antidiskriminierungsgesetz - Herr Dr. Wend, Sie haben dies angesprochen - ist ganz einfach: Gehen Sie über eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Europäischen Richtlinien nicht hinaus.

(Beifall bei der FDP)

Wenn Sie jedes Mal bei der Umsetzung einer solchen Richtlinie weitere Kriterien draufsatteln, dann wird das nur dazu führen, dass Sie mehr Bürokratie und mehr Kosten in diesem Land provozieren. Das lassen wir Ihnen als Opposition nicht durchgehen.

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wend?

Birgit Homburger (FDP):

Gerne.

Dr. Rainer Wend (SPD):

Frau Kollegin Homburger, könnten Sie mir freundlicherweise erklären, was die Frage, ob in Zukunft auch Behinderte in den Schutzbereich des Antidiskriminierungsgesetzes genommen werden sollen, mit dem Thema Bürokratie zu tun hat?

Birgit Homburger (FDP):

Das will ich Ihnen gerne erklären. Wir haben in Deutschland eine ganze Reihe von Regelungen, die eine Diskriminierung verhindern. Wir alle - ich glaube, da sind wir uns in diesem Hause völlig einig - sind gegen eine Diskriminierung sowohl von Behinderten als auch von alten Menschen wie auch gegen eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung. Wir haben aber klare Regelungen in Deutschland, die das schon jetzt verhindern.

(Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Reden Sie mal mit den Behindertenverbänden!)

Wenn es jetzt auf europäischer Ebene zusätzliche Richtlinien gibt, die in Deutschland umgesetzt werden müssen, dann werden sie - das sagen wir als Rechtsstaatspartei FDP - auch umgesetzt.

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Aber wir sagen Ihnen sehr deutlich: Dass Sie jetzt anfangen, im Zivilrecht Kriterien einzuführen, wonach es sanktioniert werden kann, wenn zwei Menschen sich dazu entscheiden, keinen Vertrag miteinander zu schließen, ist schlicht und ergreifend falsch.

(Dr. Rainer Wend (SPD): Aber was hat das mit Bürokratie zu tun?)

- Moment, ich bin gerade dabei, das zu erklären. - Das Wesen des Zivilrechts besteht darin, Herr Kollege Dr. Wend, dass zwei Menschen selber entscheiden können, ob sie einen Vertrag schließen oder nicht.

(Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Oder diskriminieren!)

Wenn dem einen die Nase des anderen nicht gefällt, dann braucht er keinen Vertrag abzuschließen, auch wenn Ihnen das nicht passt. Das ist das Wesen des Zivilrechts.

   Wenn Sie jetzt hier Kriterien einführen und anfangen, dies zu ändern, dann führt das nur zu einem: dass zukünftig in diesem Zusammenhang auch im Bereich des Zivilrechts Klage eingereicht wird und dadurch zusätzliche Bürokratie und höhere Kosten entstehen. Das ist kontraproduktiv für Deutschland. Wir brauchen dies nicht, um Diskriminierung zu verhindern. Was Sie jetzt vorhaben, ist eine überflüssige Vorschrift und überflüssige Bürokratie.

(Beifall des Abg. Ernst Burgbacher (FDP))

Deswegen lehnen wir Ihren Vorschlag ab. Ich kann nur darauf verweisen, dass Frau Dr. Merkel, die heute Bundeskanzlerin ist, das noch vor wenigen Monaten, vor der Bundestagswahl, genauso gesehen hat wie wir.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Birgit Homburger (FDP):

Unter Schwarz-Rot ist Bürokratie wie eine Hydra. Schon für jede Ankündigung der Abschaffung einer Vorschrift kommen zwei neue hinzu. Deswegen werden wir als FDP-Bundestagsfraktion alles daransetzen, Sie auch zukünftig beim Thema Bürokratieabbau zu treiben, damit es wirklich zu Bürokratieabbau kommt und Kosten reduziert werden. Die Republik ächzt in diesem Zusammenhang unter Kosten von jährlich 46 Milliarden Euro und Sie kommen nicht vorwärts. Das muss ein Ende haben, und zwar so, dass wir in diesem Lande mehr Freiheit und damit mehr Chancen insbesondere für mehr Arbeitsplätze haben.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Michael Bürsch, SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die allgegenwärtigen DIN reichen von der einheitlichen Kennzeichnung von Lineaturen in Schulheften über Prüfnormen für den Knieschutz bis zum IT-Management. Das Europäische Komitee für Normung, CEN, hat im März 2006 stolz verkündet, den zehntausendsten europäischen Standard verabschiedet zu haben. Hinzu kommen immer mehr EU-Normen, die kompliziert und unübersichtlich erscheinen.

   Die Wirtschaft sollte sich an ihre eigene Nase fassen. Es gibt wunderbare Beispiele dafür, wie bürokratisch die Wirtschaft - das ist die Domäne der FDP - selber verfährt und jede Menge interne Regeln aufstellt. In der „Zeit“ wurde darüber vor kurzem ein Artikel veröffentlicht. Ein Beispiel: Die Mitarbeiterin eines Chemiekonzerns wollte etwas Gutes tun. Sie schlug vor, zehn veraltete Computer nicht einfach wegzuwerfen, sondern an eine Schule abzugeben. Was ist passiert? In allen Abteilungen wurde geprüft, ob das möglich ist. Die Buchhalterin sagte schließlich, das geht nicht, ich kann das nicht verbuchen. Im Ergebnis landeten die Computer auf dem Sondermüll. So sieht die Bürokratie aus, die uns die Wirtschaft vorlebt. Wenn die Wirtschaft mit dem Finger auf die Politik zeigt, zeigen drei Finger auf sie zurück.

   Dritte Klarstellung zu den Möglichkeiten des Gesetzgebers unter dem Gesichtspunkt, dass es nicht um das Staatsmodell geht, sondern darum, wie wir ressourcenschonend vorgehen und Gesetze besser machen können. Es geht um eine kosten- und zeitsparende Gesetzesanwendung. Ein Beispiel für eine bessere Gesetzgebung ist die Vereinfachung und Zusammenführung von Vorschriften. Eine große Hilfe wäre beispielsweise die Zusammenführung der Normen, die das Arbeitsrecht regeln - sie sind bisher auf viele Einzelgesetze verstreut -, in einem Gesetz. Ein weiteres Beispiel ist die Vermeidung von Doppelzuständigkeiten, die wir immer noch zuhauf haben. In Deutschland gibt es - das wissen viele nicht - zwei Meldewesen, nämlich über das Standesamt und über das Einwohnermeldeamt. Muss das denn sein? Viele Länder haben überhaupt kein Meldewesen. Die USA sind vielleicht nicht das beste Beispiel. Ob wir aber zwei Meldewesen brauchen, stelle ich infrage. Solche Beispiele können sie rauf- und runterdeklinieren. An dieser Stelle können wir ansetzen.

   Zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf sage ich: Das Standardkostenmodell ist der richtige Weg, weil zum ersten Mal auf der Basis von Zahlen und Fakten mit den vier Grundrechenarten belegt werden kann, wo man ansetzen kann. Man darf allerdings nicht zu viel erwarten. Die Informations- und Berichtspflichten, die hiermit ins Visier genommen werden, machen in der Tat gerade einmal 5 bis 10 Prozent des bürokratischen Aufwands aus. Es ist aber immerhin ein richtiger Schritt auf dem Weg, bei den Kosten Transparenz herzustellen und - das ist neu - bei den Beteiligten ein Kostenbewusstsein zu schaffen. Man muss in der Tat bei der Verwaltung anfangen.

   Vierte Klarstellung. Das, worüber wir reden, ist eine Domäne der Bürgerinnen und Bürger. Fassen wir uns doch einmal an unsere eigene Nase! In Deutschland leisten auch wir, die Bürgerinnen und Bürger, einen erheblichen Beitrag zum Bürokratieaufwand, weil wir bei allen Entscheidungen der Verwaltung auf Einzelfallgerechtigkeit pochen. Bei finanziellen Ansprüchen ist es sehr beliebt, für den eigenen Fall bis auf zwei Stellen nach dem Komma Gerechtigkeit zu verlangen, sie notfalls vor Gericht einzuklagen. Das ist eine Aufforderung an uns alle und an die Organisationen, die im gesellschaftlichen Sektor tätig sind.

   Ich weise darauf hin, dass sich der Deutsche Beamtenbund dieses Themas dankenswerterweise annimmt.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Sehr gut!)

Er will dafür sorgen, dass in der Verwaltung ein anderes Bewusstsein, eine andere Mentalität Einzug hält. Die Verwalter müssen allerdings bereit sein, Ermessen auszuüben. Wir brauchen einen Kulturwandel. Wir brauchen einen Verwalter, der nicht die buchstabengetreue Verwaltung der Vorschriften anstrebt, sondern bereit ist, zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen. Wenn der Beamtenbund und andere Organisationen bei diesem Kulturwandel mitmachen, sind sie herzlich willkommen.

   Also: Wir gehen an die Arbeit. Das Werk wird uns mindestens noch 25 Jahre lang beschäftigen. Viel Vergnügen!

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile der Staatsministerin Hildegard Müller das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hildegard Müller, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Deutschland haben wir - das ist bereits gesagt worden - ein zu enges Geflecht von Gesetzen und Verordnungen. Viele Vorschriften, Auflagen und Meldepflichten schränken die Spielräume der Menschen, Unternehmen ein und lähmen ihre Initiativen. Deshalb ist es notwendig, zu überlegen, ob wir unsere Kräfte nicht viel besser für die Freisetzung innovativer Kräfte nutzen sollten.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Sehr richtig!)

Wir beschneiden die Freiheit und damit die Kreativität der Menschen und Unternehmen in unserem Land.

Wir alle haben dazu beigetragen. Es wurden bereits gute Beispiele genannt. Kollege Berninger hat auf das große Sicherheitsbedürfnis hingewiesen. Wann immer irgendetwas passiert, wird sofort gefragt: Warum hat die Politik das nicht geregelt? Warum gibt es Regelungslücken? Warum wurde etwas abschließend nicht so geregelt, dass alles hundertprozentig abgedeckt ist?

   Es hat auch viel versteckten Protektionismus aus der Wirtschaft heraus gegeben. Die Wirtschaft hat ihre Verantwortung mitzutragen und kann sich daraus nicht zurückziehen. Oftmals geht es um den Schutz von Produkten, die Sicherung von Nischen oder vieles andere. Natürlich hat auch die Verwaltung selber ein Bestreben, alles perfekt zu machen, und damit hat sie zu den Problemen beigetragen. Das heißt, einfache Schuldzuweisungen nützen uns nichts.

   Die Ursache liegt vielleicht darin, dass in den letzten 30 Jahren immer wieder über dieses Thema gesprochen wurde, aber am Ende nichts passiert ist.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): So ist es!)

Wir müssen Kräfte freisetzen - nicht vorrangig für neue Gesetze, sondern für neue Ideen, die zugleich neue Freiheiten und damit neuen Wohlstand sichern. Unsere Unternehmen müssen wieder investieren, produzieren und neue Arbeitsplätze schaffen, statt mit neuen Statistiken beschäftigt zu werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Mit den heutigen Initiativen und dem Programm der Bundesregierung für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung tragen wir diesen Anforderungen an einen modernen Bürokratieabbau Rechnung. Ziel ist es dabei, einen wirkungsvollen und zugleich möglichst schlanken und kostengünstigen Ansatz zum Abbau von Bürokratie zu wählen. Hierbei sollten wir - das ist gesagt worden - durchaus von guten Beispielen aus dem Ausland lernen. Wir müssen mehr von anderen Ländern - im Übrigen auch von unseren eigenen Bundesländern - lernen, in denen es bereits gute Initiativen zum Bürokratieabbau gibt.

   Die Bundesregierung selber hat vor zwei Wochen einen ersten - ich betone: ersten - entscheidenden Schritt unternommen. Am 25. April dieses Jahres hat das Kabinett das Programm „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ beschlossen. Dabei handelt es sich um eine Gesamtstrategie, die den Anforderungen an einen modernen Bürokratieabbau Rechnung tragen wird. Ziel dieser Strategie ist es, nicht nur die Reduzierung bestehender Belastungen zu intensivieren, sondern vor allem auch bei der frühzeitigen Verhinderung neuer Bürokratie effektiv anzusetzen. Wir brauchen eine bessere Rechtsetzung. Wir vergrößern damit den Freiraum für Wirtschaft und Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Lassen Sie mich kurz nur einige Maßnahmen dieses Programms vorstellen. Neu ist, dass sich wirklich die gesamte Bundesregierung, alle Kabinettsmitglieder diesem Ziel verpflichtet haben. Damit sind sich Kabinett, Ministerien und Verwaltung bei diesem Thema einig und werden gemeinsam vorangehen.

   Auch wir sind für die Einführung des Standardkostenmodells. Das ist ein innovativer und für Deutschland neuer Ansatz. Denn bislang hat es keine Methode gegeben, bestehende Bürokratiekosten zuverlässig zu erfassen. Liebe Kollegen von der FDP, Sie haben bemängelt, dass sich das nur auf Berichts- und Informationspflichten bezieht. Ihr eigener Antrag vom Januar dieses Jahres beinhaltete genau diesen Ansatz, die Messung von Berichts- und Informationspflichten.

(Martin Zeil (FDP): Der war weitergehend!)

Darauf sollten Sie hier ehrlicherweise hinweisen.

   Das Standardkostenmodell ist eine wichtige Voraussetzung für die Quantifizierung und damit letztlich die Rückführung von Bürokratiekosten in Deutschland. Der einheitliche methodische Ansatz erlaubt es, hier schnellstmöglich vorzugehen und systematisch zu messen. Wir werden die Belastungen, die auf Berichten, Formularen und Anträgen beruhen, sehr konkret messen. Es gibt zum Beispiel 62 so genannte Primärstatistikerhebungen, 62 Auskunftspflichten, die teilweise mehrfach pro Jahr erhoben werden. Dies muss sich ändern.

   Auf der Grundlage dieser Messung wird die Bundesregierung ein verbindliches Abbauziel für bestehende, auf Informationspflichten beruhende Bürokratiekosten festlegen. So wird Bürokratiekostenabbau transparent, nachvollziehbar und messbar. Wir werden hier darüber berichten.

   Wir wollen uns aber nicht nur auf das Standardkostenmodell beschränken. Auch weitergehende Instrumente und Verfahren sollen geprüft und durchgeführt werden. Wir müssen noch neue Techniken entwickeln, um eine umfassende Bewertung aller Lasten durchführen zu können. Wir haben diese Techniken heute noch nicht. Die Bundesregierung wird in diesem Bereich eigeninitiativ weiterdenken.

   Der Normenkontrollrat ist bereits erwähnt worden. Die Bundesregierung hat sich in ihrem Programm zum Bürokratieabbau bereits jetzt verpflichtet, den künftigen Normenkontrollrat regelmäßig in Anspruch zu nehmen. Es ist gut, dass wir heute die Einrichtung dieses Bürokratie-TÜV auf den Weg bringen. Ich freue mich schon jetzt auf eine konstruktive und intensive Zusammenarbeit mit den Experten, die in diesem Gremium sitzen werden. Er soll eine starke Stimme bekommen. Seine Macht wird die Öffentlichkeit sein. Aber ich sage auch: Politische Verantwortung ist nicht übertragbar. Auch wir müssen zu den Dingen stehen, die wir politisch regeln. Aber das, was für notwendig erachtet wird, sollte so schlank wie möglich in Kraft treten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe nicht nur die Überprüfung bestehender Normen im Auge, sondern wir müssen auch grundlegende Ansätze zu besserer Rechtsetzung mit dem Normenkontrollrat besprechen und praktische Umsetzungsmöglichkeiten finden. Ich bin mir sicher, dass der Normenkontrollrat für uns alle eine Bereicherung sein wird.

(Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Sehr gut!)

   Vor diesem Hintergrund und weil das Initiativrecht für die Gesetzgebung - das ist bereits gesagt worden - nicht allein bei der Bundesregierung liegt, würde auch ich mich freuen, wenn der Sachverstand der Experten nicht nur von den Bundesministerien genutzt würde.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Sehr gut!)

Im Laufe des Verfahrens lassen sich ja vielleicht noch Änderungen vornehmen.

   Insbesondere in der Woche des Europatages muss darauf hingewiesen werden - auch die Bundeskanzlerin hat das eben ausdrücklich gesagt -, dass auch die Europäische Union erheblich zur Bürokratie beiträgt. Viele Rechtsetzungsakte gehen mittlerweile auf europäische Vorgaben zurück. Daher ist es entscheidend, dass wir die Bürokratie nicht nur beim Bund, sondern auch auf europäischer Ebene begrenzen und, wo möglich, abbauen. Wir bieten den anderen europäischen Ländern hier unsere Partnerschaft an. Wir sollten nicht nur die Möglichkeiten nutzen, voneinander zu lernen, sondern uns auch dem gemeinsamen Ziel des Bürokratieabbaus verpflichten.

    Dieser Prozess muss auch auf der Ebene der EU in einem möglichst frühen Stadium der Gesetzgebung besser als bisher berücksichtigt werden. Ich begrüße, dass Kommissionspräsident Barroso vorgestern angekündigt hat, die nationale Ebene bereits bei der Formulierung von Gesetzentwürfen stärker an der Rechtsetzung mitwirken zu lassen. Auch das ambitionierte Programm von Vizepräsident Verheugen, das Maßnahmen zur Rechtsbereinigung und Folgenabschätzung von EU-Recht enthält, zielt in die richtige Richtung.

   Mittlerweile hat auch die Kommission das Standardkostenmodell für sich entdeckt, für das wir ebenfalls werben. Ich kündige schon jetzt an, dass dieses Thema im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr einen unserer Schwerpunkte bilden wird. Wir wollen innerhalb der Europäischen Union eine bessere Rechtsetzung erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Heute beraten wir aber nicht nur die Einführung des Standardkostenmodells, sondern auch das erste Mittelstandsentlastungsgesetz. Weitere konkrete Maßnahmen werden folgen. Seien Sie versichert, dass nicht nur die Bundesregierung viele weitere Ideen hat. Auch aus der Mitte des Parlaments, zum Beispiel im Parlamentskreis Mittelstand der Union - er ist bereits erwähnt worden -, werden eine Reihe von Maßnahmen entwickelt, wie wir die Unternehmen ganz konkret entlasten können. Durch die Anhebung der Buchführungspflichtgrenze auf 500 000 Euro werden zum Beispiel 150 000 Unternehmen entlastet.

   Der Bürokratieabbau in unserem Land ist eine dringend notwendige Aufgabe. Er ist überfällig und er wird sich nur als gemeinsame Kraftanstrengung meistern lassen. Ich setze großes Vertrauen in die große Koalition und bedanke mich schon jetzt für die Unterstützung der verschiedenen Ressorts der Bundesregierung. Sie macht mich zuversichtlich, dass wir bei dieser Aufgabe vorankommen werden.

   Ich würde mich freuen, wenn wir bei diesem Vorhaben über die Parteigrenzen hinweg zusammenarbeiten könnten. Dazu liegen Angebote der verschiedenen Fraktionen vor. Ich werde in dieser Frage auf die Fraktionen zugehen und ihre Expertise einbeziehen. Aber wir sollten ehrlich sein: In keiner Fraktion ist ein Platz für Heiligenscheine angebracht. Wir sollten uns dazu bekennen, dass wir alle in den vergangenen Jahren Fehler gemacht haben. Ich denke nur an eine Fragestunde, in der von der FDP-Fraktion kritisiert wurde, dass sich die Bundesregierung nicht mehr für die Rückhaltebügel in Omnibussen einsetze.

(Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Aha! So war das! Jetzt kommt es raus!)

Dazu sage ich nur: Auch in der FDP mag es in dieser Frage den einen oder anderen Hänger gegeben haben.

(Martin Zeil (FDP): Kümmern Sie sich lieber einmal darum, was Sie in den letzten Monaten gemacht haben!)

Wie gesagt: Das Ziel des Bürokratiekostenabbaus ist unser gemeinsames Ziel.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich bedanke mich für die Diskussion. Als Koordinatorin der Bundesregierung für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung werde ich als Ansprechpartnerin fungieren. Ich lade Sie zur Mitarbeit ein. Ich bin mir sicher, dass wir mit diesem zukunftsweisenden Konzept gemeinsam einen Erfolg haben werden.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Carl-Christian Dressel, SPD-Fraktion.

Dr. Carl-Christian Dressel (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Max Weber hat Bürokratie als die rationale Form legitimer Herrschaft definiert. Demnach vollzieht sich bürokratische Herrschaft im Unterschied zu traditionaler oder charismatischer Herrschaft nach überprüfbaren Regeln. Der Vorteil einer funktionierenden Verwaltung ist, dass sie für Legitimität und Transparenz im demokratischen Staatswesen sorgt. Alles Verwaltungshandeln im demokratischen Rechtsstaat muss sich auf Gesetze zurückführen lassen. Ich bin froh, dass wir in Deutschland über eine, wie ich glaube, effiziente Verwaltung verfügen. Wir müssen durch unsere Gesetze dafür sorgen, dass die Verwaltung auch effizient sein kann.

   Nicht nur im öffentlichen Dienst gibt es Bürokratie - wie Kollege Bürsch schon ausgeführt hat -; aber der öffentliche Dienst in Deutschland, meine Damen und Herren von der FDP, ist leider seit Jahren dazu verurteilt, in regelmäßigen Abständen Ihre Anträge zur Entbürokratisierung, die sich nicht nur sinngemäß, sondern auch im Wortlaut häufig wiederholen, auf Papier zu drucken, zu verteilen, zu verwalten und vor allem zu ertragen. Da tun mir nicht nur die Beamten Leid, da tun mir auch die Bäume Leid, die für das Papier der Drucksachen sterben müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das meine ich nicht im Spaß. Ihre redundante Antragsflut der letzten Jahre hat dazu beigetragen, dass der Begriff des Bürokratieabbaus häufig zu einer Leerformel verkommt. Ich möchte bei dieser Gelegenheit einen sachlichen Beitrag beisteuern.

    Vonseiten der FDP höre ich immer wieder, Gesetze bräuchten ein Verfallsdatum. So schreiben Sie unter Punkt I. 3 des vorliegenden Antrags:

Wenn ein Gesetz ein Verfallsdatum hat und von ganz allein aufgehoben wird, wird der Aufwand schon sehr viel größer sein, es dann doch noch zu verlängern.

Das halte ich für eine gewagte These. Glauben Sie denn allen Ernstes, dass sich nach Ablauf der Frist bei der Überprüfung eines Gesetzes die Normierungsgegner durchsetzen werden? Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Das ist nicht so. In Bayern laufen kommunale Verordnungen nach 20 Jahren aus. Doch nichts ist einfacher, die identische Rechtsnorm als gut und bewährt erneut zu verabschieden. Das Gleiche geht im Übrigen aus einer Studie der BertelsmannStiftung zum Thema Sunset-Legislation hervor: keine Reduzierung der mit Regulierung verbundenen administrativen Lasten.

   Zweitens möchte ich von Ihnen gerne wissen, wie Sie festlegen wollen, welche Gesetze befristet sein sollen. Anders als in Ihrem Antrag haben Sie, Frau Homburger, selbst gesagt, dass es Grenzen bei der Anwendung der von Ihnen vorgeschlagenen Befristung geben muss; Quelle „Financial Times Deutschland“, 10. April 2006. Wo liegen diese Grenzen? Wie wollen Sie eingrenzen, welche Gesetze ein solches Verfallsdatum haben sollen? Es ist so wie immer - Rainer Wend hat das auch schon festgestellt -: Ihre Vorschläge klingen markig und dynamisch, aber sie sind wenig konkret.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Das Gleiche gilt für den Bürokratiekosten-TÜV. Mit Normenkontrollrat und Standardkostenmodell setzen wir unsere Koalitionsvereinbarung zum Bürokratieabbau jetzt in die Tat um. Wenn Gesetzesvorlagen auf Effizienz und Wirtschaftlichkeit hin überprüft werden, werden wir ordentlich Bürokratie einsparen.

    Auch wenn für diese Vorlage das strucksche Gesetz gilt, muss man eines klar machen: Der Nutzen dieser Form des Bürokratieabbaus liegt in der kritischen Analyse der bürokratischen Auswirkungen einer Gesetzesvorlage, nicht aber ihrer inhaltlichen Zielsetzung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es wird Ihnen wieder nicht gelingen, damit ein Gesetz zum Kündigungsschutz zum Scheitern zu bringen, meine Damen und Herren von der FDP.

   In der Rechtsbereinigung, die Sie auch ansprechen, haben wir in der vergangenen Legislaturperiode im Rahmen der Initiative schon Zahlreiches bewegt; gekrönt wurde es durch die Einsparung von 217 Gesetzen und Rechtsverordnungen im Bereich des damaligen Ministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung - der größte Beitrag zur Rechtsbereinigung in 40 Jahren. Sie ignorieren dies schlichtweg.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren von der FDP, Sie könnten einen wichtigen Beitrag zum Bürokratieabbau leisten, wenn Sie die Ministerien und auch den Deutschen Bundestag nicht mehr mit der Forderung, jährlich ein Bereinigungsgesetz vorzulegen, von der Arbeit abhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Martin Zeil (FDP): Also: Wir brauchen kein Parlament mehr!)

   Für interessant halte ich es, dass Sie im gleichen Atemzug fordern, neue Maßnahmen zu ergreifen wie eine Pflicht, die Gesetzesfolgenabschätzung zu dokumentieren. Das führt zum Aufbau von mehr Bürokratie. Wenn wir im Rahmen der ZPO-Reform über Dokumentierungspflichten sprechen, sind es doch gerade Ihre Rechtspolitiker, die sagen: Das ist überflüssiger Bürokratismus. Ich kann Ihnen nur auf den Weg mitgeben: Es reicht, was in §§ 43 und 44 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien steht; es muss nur umgesetzt werden.

   Herr Zeil, Sie haben vorhin das Stichwort Staatsverständnis genannt. Anhand der Äußerungen von Ihnen und Ihren Fraktionskollegen kann man klar und deutlich erkennen: Es geht Ihnen nicht um Bürokratieabbau, es geht um das Staatsverständnis. Wenn Sie von Bürokratieabbau sprechen, dann meinen Sie neben dem Aufbau von Entbürokratisierungsbürokratien doch nur den Abbau von Schutz- und Beteiligungsrechten der Bürger bis hin zum Abbau des Sozialstaats.

(Beifall bei der SPD)

   Die SPD-Fraktion hat Ihrem Antrag in der 15. Legislaturperiode nicht zugestimmt; sie wird ihm auch in der 16. Legislaturperiode nicht zustimmen.

(Dr. Michael Bürsch (SPD): In der 17. auch nicht!)

Sollten Sie in der 17. Legislaturperiode diesem Hause noch angehören, dann wird auch bei der dann sicherlich erscheinenden Neuauflage eine Ablehnung des Wiedergängers seitens unserer Fraktion erfolgen.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ernst Burgbacher (FDP): Ob Sie dann noch da sind?)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Kollege Dressel, dies war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Herzliche Gratulation und alles Gute für Ihre weitere Arbeit!

(Beifall)

   Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/1406, 16/1407, 16/1167 und 16/119 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 n sowie Zusatzpunkte 4 a bis 4 d auf:

22. a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes und des Allgemeinen Eisenbahngesetzes

- Drucksache 16/1039 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt

- Drucksache 16/1110 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Gesundheit

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldenwesens des Bundes (Bundesschuldenwesenmodernisierungsgesetz)

- Drucksache 16/1336 -

Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und des Bundesministeriums für Gesundheit

- Drucksache 16/1293 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

- Drucksache 16/1290 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Innenausschuss

f) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung von Zulassungsverfahren für Verkehrsprojekte

- Drucksache 16/1338 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

g) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes

- Drucksache 16/1341 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Tourismus

h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Grundqualifikation und Weiterbildung der Fahrer im Güterkraft- oder Personenverkehr

- Drucksache 16/1365 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus

i) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Besteuerung des Spieleinsatzes

(Spieleinsatzsteuergesetz - SpEStG)

- Drucksache 16/1032 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Sportausschuss

j) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung

- Drucksache 16/1340 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

k) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt

- Drucksache 16/1344 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Gesundheit

l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Patrick Döring, Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes - Wettbewerb im öffentlichen Personenfernverkehr zulassen

- Drucksache 16/384 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus

m) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen

Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2005 - Vorlage der Haushalts- und Vermögensrechnung des Bundes

(Jahresrechnung 2005) -

- Drucksache 16/1122 -

Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Hellmut Königshaus, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Die Entwicklungszusammenarbeit mit Kenia auf den Prüfstand stellen

- Drucksache 16/965 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f)
Auswärtiger Ausschuss

ZP 4 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 6. November 2003 über den Schutz von Tieren beim internationalen Transport (revidiert)

- Drucksache 16/1346 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f)
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Brigitte Pothmer, Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Ich-AG

- Drucksache 16/1405 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Flugticketabgabe jetzt - Entwicklungsfinanzierung auf breitere Grundlagen stellen

- Drucksache 16/1203 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, Kerstin Andreae, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Umsetzung des EU-Stufenplans zur Entwicklungsfinanzierung (0,7-Prozent-Ziel) durch Flugticketsteuer unterstützen

- Drucksache 16/1404 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

   Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.

   Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

   Zunächst Tagesordnungspunkt 23 a:

23. a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen über das Recht der nichtschifffahrtlichen Nutzung internationaler Wasserläufe

- Drucksache 16/738 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)

- Drucksache 16/1419 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Petzold
Dirk Becker
Horst Meierhofer
Lutz Heilmann
Sylvia Kotting-Uhl

   Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1419, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen oder Enthaltungen? - Keine. Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 23 b:

b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 17. Juni 1999 über Wasser und Gesundheit zu dem Übereinkommen von 1992 zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen

- Drucksache 16/739 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)

- Drucksache 16/1420 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Petzold
Dirk Becker
Horst Meierhofer
Lutz Heilmann
Sylvia Kotting-Uhl

   Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1420, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Auch dieser Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen.

   Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion der FDP

Haltung der Bundesregierung zur Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie

   Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der FDP)
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 35. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 12. Mai 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/16035
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