Bildwortmarke des Deutschen Bundestages . - Schriftzug und Bundestagsadler
English    | Français   
 |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ  |  Druckversion
 
Startseite > DOKUMENTE > Plenarprotokolle > Vorläufige Plenarprotokolle >
15. Wahlperiode
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

   33. Sitzung

   Berlin, Freitag, den 7. April 2006

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Die Sitzung ist eröffnet.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich, wünsche uns einen guten Tag, kluge Entscheidungen und danach die verdiente parlamentarische Osterpause.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan (UNMIS) auf Grundlage der Resolution 1663 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 24. März 2006

- Drucksachen 16/1052, 16/1148 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Anke Eymer (Lübeck)
Brunhilde Irber
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Dr. Uschi Eid

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung

- Drucksache 16/1177 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Koppelin
Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde

   Wir werden über die Beschlussempfehlung später namentlich abstimmen.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst für die Bundesregierung der Staatsminister Gernot Erler.

Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 24. März hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Verlängerung der Mission der Vereinten Nationen im Sudan, abgekürzt UNMIS, bis zum 24. September, also um ein halbes Jahr, beschlossen. Bereits am 22. März hat das Bundeskabinett beschlossen, die deutsche Beteiligung um den in der Resolution genannten Zeitraum zu verländern, und bittet jetzt um die Zustimmung des Bundestages. Weder der Sicherheitsrat noch die Bundesregierung haben irgendetwas an dem Mandat geändert, das der Deutsche Bundestag vor knapp einem Jahr erstmals zustimmend beschlossen hat.

   Worum geht es bei UNMIS? Im Januar 2005 gelang es, den jahrelangen blutigen Bürgerkrieg im Sudan - zwischen dem Norden und dem Süden - mit dem Friedensvertrag von Nairobi zu beenden. Die Bilanz dieses Bürgerkriegs erschreckt noch heute: 2 Millionen Tote, 4 Millionen Vertriebene und eine enorme Zerstörung der Lebensgrundlagen dieser Menschen in diesem Land. Am 24. März 2005 hat der Sicherheitsrat den Beschluss gefasst, dieses auch „Comprehensive Peace Agreement“ genannte Dokument von Nairobi mit einer Beobachter- und Schutzmission zu unterstützen, die teilweise nach Kap. VI und teilweise - was die Schutzaufgaben, auch bezüglich der Bevölkerung und der internationalen Helfer angeht - nach Kap. VII der UN-Charta agiert. Für diese Hilfe zur Umsetzung des Friedensvertrags sollten 10 000 bewaffnete Kräfte eingesetzt werden. Von denen sind im Augenblick 80 Prozent im Einsatz, das heißt, UNMIS ist immer noch im Aufbau begriffen. Wir erwarten, dass bis Sommer dieses Jahres tatsächlich 10 000 Mann eingesetzt werden können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hat bei der Umsetzung des Friedensvertrages von Nairobi durchaus sichtbare Fortschritte gegeben: Es gibt inzwischen eine Verfassung, nach der der Süden des Sudan eine Teilautonomie genießt, mit einer eigenen, regionalen Regierung. Es gibt eine Gesamtregierung der nationalen Einheit, die auch die Rebellen aus dem Süden - von der SPLM - einbindet. Mehrere der in dem Friedensvertrag vorgesehenen Kommissionen haben ihre Arbeit inzwischen aufgenommen. Die wichtigste ist wahrscheinlich die Nationale Petroleumkommission, die für die Verteilung des Reichtums zuständig ist. Die ungerechte Verteilung war einer der Kriegsgründe im Hintergrund der blutigen Auseinandersetzungen. Inzwischen hat auch die Internationale Kommission zur Überwachung des Friedensprozesses ihre Arbeit aufgenommen.

   Die Situation vor Ort ist aber immer noch nicht stabil. Es gibt immer noch Misstrauen der verschiedenen Parteien untereinander, was zu einer Verzögerung bei der Implementierung des Friedensvertrages führt. Es gibt immer noch Übergriffe und Gewalt gegen die Bevölkerung, zum Beispiel von den Rebellen der LRA, der Lord’s Resistance Army, die über die Grenze von Uganda agiert, und auch von kriminellen Gruppen, die die Bevölkerung attackieren. Mit anderen Worten: Eine Absicherung des Friedensvertrages ist weiterhin notwendig. Dabei geht es um die Aufgaben, die Truppen weiter zu entflechten, die Milizen zu entwaffnen und eine gemeinsame sudanesische Armee zu bilden. Es geht auch um Streitschlichtung. Schließlich geht es dort nach wie vor auch um die Verteilung der Öleinkünfte, um den Schutz der Bevölkerung und der internationalen Helfer sowie um die Bildung einer gemeinsamen Polizei.

   Warum ist es so wichtig, dass die Umsetzung des Friedensvertrages von Nairobi weiterhin erfolgreich und ohne nennenswerte Verzögerung erfolgt? - Dies ist wichtig für die Menschen vor Ort, die unter dem Bürgerkrieg gelitten und erstmals eine Chance auf ein Ende der Gewalt, auf Frieden, auf Mitbeteiligung an den politischen Entscheidungsprozessen, auf Selbstbestimmung und auf einen fairen Anteil an den Einkünften aus dem Verkauf der Ölreserven haben. Dies ist auch wichtig, weil nach dem Nord-Süd-Ausgleich längst auch andere Teile des Landes Forderungen erheben. Wir sprechen inzwischen auch von einer Eastern Front. Dort drohen neue bewaffnete Auseinandersetzungen, wenn es nicht gelingt, diesen Nord-Süd-Konflikt auf Dauer und nachhaltig zu beenden.

   Die Welt schaut außerdem nach wie vor mit großer Sorge auf die Situation in Darfur; das wissen wir alle. Sie ist immer noch dramatisch. Leider ist es den Kräften der Afrikanischen Union, der AMIS, dort noch nicht gelungen, die Menschenrechtsverletzungen auf Dauer zu beenden. Sie wissen, dass wir eine Diskussion darüber führen, ob diese Aufgabe nicht auch in die Verantwortung der Vereinten Nationen gegeben werden muss. Eine Entscheidung darüber steht möglicherweise im Herbst an. Eine Voraussetzung dafür wäre natürlich, dass UNMIS weiter besteht und erfolgreich ist.

   Ich fasse zusammen: UNMIS wird gebraucht, um das Wiederaufflammen eines der blutigsten Bürgerkriege in Afrika auf Dauer zu verhindern. UNMIS wird gebraucht, um einen Friedensweg für den ganzen Sudan - inklusive für Darfur - zu eröffnen und den Störungen, die sowohl von innen als auch über die Grenzen von außen kommen, nachhaltig entgegenzutreten. UNMIS wird auch gebraucht, damit der Sudan ein Beispiel für eine unblutige, vertragsgestützte Streitbeilegung wird. Das ist ganz besonders in dieser Region wichtig, wo es in der Nachbarschaft noch eine ganze Reihe von anderen Konflikten gibt.

   Insofern gibt es sehr gute Gründe, den deutschen Beitrag zu UNMIS aufrechtzuerhalten und dadurch mit dafür zu sorgen, dass UNMIS ein Erfolg wird. Dieser deutsche Beitrag besteht nach der Mandatsentscheidung in der Entsendung von bis zu 75 bewaffneten Kräften. Im Augenblick sind 28 entsandt, nämlich acht Stabsoffiziere und 20 Militärbeobachter.

   Mit Blick auf diese friedenspolitische Aufgabe von UNMIS bittet die Bundesregierung den Deutschen Bundestag um die konstitutive Zustimmung zur Verlängerung des Mandates.

   Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun für die FDP-Fraktion der Kollege Dr. Rainer Stinner.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Rainer Stinner (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Fraktion wird heute dem Verlängerungsantrag der Bundesregierung zustimmen.

(Walter Kolbow (SPD): Gut!)

Wir wären auch mit dem vereinfachten Verfahren einverstanden gewesen; aber nun diskutieren wir darüber. Trotz aller Probleme bei der Umsetzung halten wir es für ein richtiges und verantwortbares Mandat. Deshalb stimmen wir heute zu.

   Allerdings birgt der vorliegende Antrag eine Gefahr. Diese Gefahr versteckt sich in den letzten Absätzen der Begründung. Bei einer kritischen und genauen Lektüre deutet einiges darauf hin, dass hier eine Zusammenlegung von UNMIS und AMIS und - das steht zwischen den Zeilen - eine eventuelle deutsche Beteiligung vorbereitet wird. Ich sage für die FDP-Fraktion sehr deutlich: Unsere Zustimmung zur Verlängerung des UNMIS-Mandates heute beinhaltet in keiner Weise irgendeine Festlegung oder Zustimmung zur Zusammenlegung von AMIS und UNMIS und eine eventuelle deutsche Beteiligung. Das möchte ich für meine Fraktion deutlich machen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Es handelt sich hier schließlich um völlig unterschiedliche Einsätze. Bei UNMIS geht es darum, einen geschlossenen Friedensvertrag abzusichern. Diese Absicherung beinhaltet viele Probleme - Herr Staatsminister, Sie haben darauf hingewiesen -; aber diese richtige Aktion müssen wir unterstützen. Bei AMIS hingegen geht es um friedenserzwingende Maßnahmen. Das ist eine völlig andere Situation. Hier eine Beteiligung in Aussicht zu stellen, wäre aus heutiger Sicht sehr problematisch. Bisher gibt es keinen Ansatz für eine annehmbare Friedenslösung im Darfurkonflikt. Solange für den Frieden kein politisches Konzept vorliegt, wäre es unverantwortlich, deutsche Soldaten dorthin zu schicken.

   Bei UNMIS ist die sudanesische Regierung Partner eines Friedensprozesses. Bei AMIS hingegen ist die sudanesische Regierung eventuell an diesem Konflikt beteiligt. Auch das ist ein wesentlicher Unterschied. Im Darfurkonflikt unterstützen wir völlig zu Recht die Afrikanische Union. Wir sprechen von „African Ownership“. Dieses Konzept halte ich trotz aller Probleme nach wie vor für richtig. Das Konzept des „African Ownership“ ist das einzige Konzept, das auf diesem geplagten Kontinent langfristig zu einer positiven Entwicklung führen kann. Wir können nicht auf Dauer von außen einwirken und helfen.

(Walter Kolbow (SPD): Sehr richtig!)

   Wir bekommen Signale aus Brüssel und New York, dass das AU-Mandat eventuell durch ein UN-Mandat abgelöst werden soll. Das unterstützen wir zwar; aber mit der Ablösung habe ich Probleme. Wir erleben, dass NATO und EU schon vorauseilend Hilfe und die Übernahme des Mandats anbieten. Wir alle wissen: Wenn NATO und EU dabei sind, dann ist die Anfrage an uns, dort mitzumachen, nahe liegend, weil wir der größte Partner der Europäischen Union sind. Deshalb sage ich: Wir als FDP-Fraktion werden einem solchen Automatismus nicht folgen, sondern uns das im Herbst sehr genau überlegen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Ich fordere die Bundesregierung angesichts der Kongodebatte auf: Begeben Sie sich nicht noch einmal auf den falschen Weg, der dazu führt, angeblich mitmachen zu müssen. Das darf nicht passieren. Ich will heute keine Kongodebatte initiieren, obwohl wir alle wissen, dass jedes Mandat in Afrika heutzutage im Zusammenhang mit dem Kongoeinsatz diskutiert wird. Aber wir können feststellen, dass das politische Management der Kongodebatte sowohl auf UN-Ebene als auch auf EU-Ebene und auch vonseiten der Bundesregierung nur mit dem Wort „miserabel“ gekennzeichnet werden kann.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Lassen Sie uns bei AMIS nicht in dieselbe Falle laufen, wie das der Bundesregierung beim Kongoeinsatz leider passiert ist.

   Bei der Betrachtung der Auslandseinsätze überall auf der Welt stellen wir fest: Der Engpass ist nie unsere Bundeswehr. Wir haben eine überdurchschnittlich gute Bundeswehr, die international Anerkennung gewinnt. Diese Bundeswehr kann vieles und macht vieles möglich. Der Engpass ist immer die Politik. Ich habe die Befürchtung, dass auch in diesem Falle die Qualität der Bundeswehr höher ist als die Qualität der Politik, die dahintersteht. Daran muss die Bundesregierung verstärkt arbeiten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das gilt auch für UNMIS. Unsere Soldaten sollen ein Friedensabkommen absichern. Aber die Politik ist nicht in der Lage, die in dem Friedensvertrag festgelegten Bedingungen politisch wirklich umzusetzen. Das geschieht nur marginal. Sie haben festgestellt, Herr Staatsminister, dass es eine ganze Reihe von Lücken gibt. Es ist Aufgabe der Politik, diese zu schließen. Nur so können wir unseren Soldaten gegenüber glaubwürdig sein.

   Afrika wird uns in den nächsten Jahren leider noch häufiger beschäftigen. Wir als FDP stehen zu unseren internationalen Verpflichtungen. Wir wissen, dass der afrikanische Kontinent für uns in Europa und in Deutschland sehr wichtig ist. Wir wissen - salopp gesagt -, dass uns eines Tages all das, was in Afrika passiert, auf die Füße fallen wird. Deshalb müssen wir an einer Afrikastrategie arbeiten.

   Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich ein schlüssiges Afrikakonzept vorzulegen. Wir haben seinerzeit auch Ihre Vorgängerregierung dazu aufgefordert. Sie sind neu im Amt; trotzdem haben Sie die Verpflichtung, das endlich zu tun. Denn nur dann, wenn wir die deutschen und europäischen Interessen nachhaltig definieren, können wir ein Raster für unsere wichtigen Entscheidungen über die Einsätze deutscher Soldaten bekommen. Die Soldaten, die in unserem Auftrag in Auslandseinsätzen Leib und Leben riskieren, haben einen Anspruch darauf, dass wir als Politiker diese Vorarbeit für sie leisten.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege Eckart von Klaeden für die CDU/CSU-Fraktion.

Eckart von Klaeden (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Wir sprechen heute über die Verlängerung des UNMIS-Mandates im Sudan und nicht über den Kongo, auch wenn sich die FDP bemüht, aus jeder außenpolitischen Debatte eine Kongodebatte zu machen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Das war nur ein bisschen vorausschauend!)

Wir debattieren heute über das UNMIS-Mandat.

   Ich will zu Anfang darauf hinweisen, dass es um die Verlängerung eines bestehenden Mandates geht und dass die Bundesregierung zu Recht beantragt hatte, diesem Mandat im so genannten vereinfachten Verfahren zuzustimmen. Die heutige Debatte wird nur deshalb geführt, weil die Fraktion Die Linke Widerspruch eingelegt hat.

(Beifall bei der LINKEN)

   Wir als CDU/CSU unterstützen den Antrag der Bundesregierung und werden ihm zustimmen. Wir danken unseren Soldatinnen und Soldaten herzlich für ihren Einsatz für den Frieden im Südsudan.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wenn die Fraktion Die Linke aber eine Debatte führen möchte, dann ist das eine Gelegenheit, sich mit den Positionen dieser Partei zur Afrikapolitik und mit der besonderen Verantwortung, die diese Partei für das trägt, was sie in Afrika angerichtet hat, auseinander zu setzen.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Das ist keine Partei! Das ist ein Konglomerat!)

   Der eine oder andere glaubt, die Konflikte in Afrika alleine mit postkolonialen Problemen erklären zu können. Das ist aber zu kurz gesprungen. Ein anderer Aspekt sind die Spuren, die der Ost-West-Konflikt auf diesem Kontinent hinterlassen hat. Dabei ist es interessant, was die damalige DDR in der Verantwortung der SED in Afrika angerichtet hat. Ich will in diesem Zusammenhang aus der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 24. März dieses Jahres zitieren, in der über den Einsatz der Nationalen Volksarmee berichtet worden ist:

Die DDR sandte Spezialisten, die in den jeweiligen Ländern von ihren Freunden hoch gelobt wurden,

- da war kein Demokrat dabei -

von ihren Gegnern aber als „Neonazis“, „wiederkehrende Preußen“ oder als „Rote Legion Condor“ beschimpft wurden.

   In dem Artikel heißt es weiter:

Wie die Hilfe aussah, zeigt ein Beispiel aus Moçambique. Dort bedienten DDR-Techniker einen Störsender, um den Radiosender „Stimme des Freien Afrikas“ zu unterbinden. In Angola sollen Angehörige der Staatssicherheit geholfen haben, KZ-ähnliche „Genesungslager“ aufzubauen.

   Das ist die Verantwortung insbesondere Ihrer Partei. Ich würde mich freuen, wenn Sie - auch durch Ihre Zustimmung - einen Beitrag dazu leisten würden, Freiheit und Demokratie in Afrika zu stärken, statt sie zu bekämpfen

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

und denjenigen in die Hände zu spielen, die nach wie vor meinen, dass Morden und Brandschatzen Mittel der Politik sein könnten.

   Wenn man mit dem eigenen Militär Menschenrechte, Demokratie und Frieden verletzt hat, dann ist es die falsche Lehre, jeden militärischen Einsatz, der der Unterstützung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten dient, abzulehnen.

Wenn Sahra Wagenknecht erklärt, Militäreinsätze führten niemals zu Stabilität und Sicherheit,

(Beifall bei der LINKEN)

sollten Sie sich einmal in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Mazedonien, in Afghanistan, im Kongo oder im Sudan umsehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Besuch von Herrn Gysi bei Herrn Miloševic ist uns allen noch in lebhafter Erinnerung.

   Welche Interessen haben wir in Afrika? Wir haben ein Interesse daran, dass in Afrika politische Instabilität und Unordnung ein Ende finden und dass es nach und nach zu einem Demokratisierungs- und Stabilisierungsprozess kommt. Es gibt unmittelbare Zusammenhänge zwischen den Konflikten in Afrika: Der Konflikt in Norduganda ist ohne Frieden im Südsudan und im Kongo nicht zu bewältigen. Die endgültige Aufarbeitung des Völkermordes in Ruanda ist ohne endgültige Befriedung des Kongos nicht zu erreichen. Der Zerfall Somalias hat die Ausbreitung des islamistischen Terrors nach Ostafrika erleichtert. Afrikas Kriege und Konflikte bringen humanitäre Katastrophen bis hin zu länder- und kontinentübergreifenden Migrationsströmen mit sich.

   Wir sollten die Lehre aus Afghanistan berücksichtigen. Wir hatten dieses Land zu lange vernachlässigt. Wir haben uns zu wenig klar gemacht, was permanente Konflikte, permanentes Morden und permanentes Brandschatzen in Gesellschaften anrichten können. Wir haben ein Interesse daran, dass es zu Good Governance, zu einer an Demokratie und Menschenrechten ausgerichteten Regierungsform, kommt. Wir haben ein Interesse daran, dass es zu stabilen Wirtschaftsbeziehungen mit den Staaten Afrikas kommt, dass die Rohstoffressourcen dort nicht ausgebeutet, sondern nach internationalen Standards abgebaut werden und dass die Bevölkerung, der die Gewinne aus dem Abbau der Rohstoffe zustehen, nicht ausgenutzt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir müssen darauf achten, dass unsere Politik glaubwürdig bleibt. Wenn wir uns für das Funktionieren internationaler Organisationen einsetzen, wenn wir es mit einer Verpflichtung gegenüber den Vereinten Nationen und einem internationalen Vorgehen ernst meinen, dann müssen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten und nach sorgfältiger Risikobeurteilung zustimmen, wenn die Vereinten Nationen uns um Hilfe bitten. In diesem Fall ist unser Beitrag denkbar gering. Es ist ein Mandat, das den Einsatz von bis zu 75 zum großen Teil unbewaffneten Militärbeobachtern vorsieht. 28 sind derzeit im Einsatz. Angesichts dessen von einer Militarisierung der Außenpolitik zu sprechen, ist geradezu grotesker Unsinn.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sehen, dass gemäß dem Friedensvertrag von Nairobi aus dem Jahr 2005 der Wiederaufbau staatlicher Strukturen sowie die Entwaffnung und Eingliederung der zahlreichen Milizen vorankommen, wenn auch schleppend. Es geht um die Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für Hilfsorganisationen und die Zivilbevölkerung. Wir haben ein Interesse daran, dass UNMIS auf diesem beschwerlichen Weg weitergehen kann.

   Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, hat bereits im Dezember 2005 darauf hingewiesen, dass wir alle Anstrengungen unternehmen müssen, um zu einer friedlichen Lösung im gesamten Sudan zu kommen. Deswegen spielen auch der Erfolg von UNMIS und der Erfolg des Friedensprozesses nach dem Friedensvertrag von Nairobi aus dem Jahr 2005 für eine friedliche Lösung des Konflikts in Darfur eine entscheidende Rolle. Wer den Völkermord in Darfur stoppen will, der kommt um die Unterstützung von UNMIS nicht herum.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, zum Erfolg dieser Mission der Vereinten Nationen einen bescheidenen, aber wichtigen Beitrag zu leisten.

   Wie gesagt, das Mandat sieht den Einsatz von bis zu 75 zum großen Teil unbewaffneten Militärbeobachtern vor. Zurzeit sind 28 im Einsatz. Dabei geht es um die Wiederherstellung eines sicheren Umfeldes für Hilfsorganisationen und die Zivilbevölkerung.

   Ich finde, eine Fraktion zeigt ihr wahres Gesicht, wenn sie einem solchen Einsatz zustimmt oder wenn sie einen solchen Einsatz ablehnt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort der Kollegin Monika Knoche, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Monika Knoche (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Herren und Damen! Herr von Klaeden, die politische Realität nach der Bundestagswahl 2005 sieht so aus, dass die neue Linke in den Bundestag eingetreten ist und nicht die alte SED.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Eine alte Grüne ist bei den alten Linken gelandet!)

   Wir haben heute über die Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an UNMIS zu entscheiden. Ich rufe in Erinnerung, in welchem Umfang deutsche Soldaten bereits „out of area“ tätig sind: Sie sind in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Afghanistan, in Usbekistan und demnächst auch im Kongo. Sämtliche Mandate sind höchst unterschiedlich. Doch die Hemmschwelle, Militär mit einem Kampfauftrag einzusetzen, sinkt von Einsatz zu Einsatz.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

   Eine andere als die über die Selbstverteidigung hinausgehende Militäraktion diskutiert außer uns anscheinend niemand mehr. Wir teilen nicht die Auffassung, dass die Konflikte der heutigen Zeit nur noch mit Militär gelöst werden können, zumal die Energiesicherung in nahezu allen akuten Krisengebieten, die in den Fokus unserer Wahrnehmung geraten, eine wichtige Rolle spielt. Dazu ist zu sagen: Es ist von grundsätzlicher Bedeutung, dass, erstens, gerechte Verträge mit ressourcenreichen Ländern geschlossen werden, die der Bevölkerung einen Anteil am Reichtum ihres Landes garantieren,

(Beifall bei der LINKEN)

und dass wir, zweitens - dies ist ein zentraler Punkt -, über unsere eigene Emanzipation von fossilen Energieträgern eine Friedensdividende für die Zukunft generieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Chance dürfen wir nicht verspielen.

   Die Linke erkennt an, dass die ehemaligen Kriegsparteien im Sudan der UN-Mission im Rahmen des Friedensabkommens zugestimmt haben. Das bisherige Mandat hat erheblich dazu beigetragen, das Friedensabkommen abzusichern. Das wiegt im positiven Sinn schwer; denn es verhalf dem Peacekeeping trotz Diskriminierung des Südsudans, trotz der Konflikte in Darfur und trotz einer arabisch geprägten Regierung zum Erfolg. Obgleich dieser Einsatz auf der Grundlage von Kap. VII der UN-Charta stattfand, war es de facto ein klassischer Blauhelmeinsatz. Das festzustellen, gehört zur Redlichkeit. Das Friedensabkommen sieht ein Referendum im Jahr 2011 vor, wodurch es möglicherweise zu einer Sezession des Landes in Nord und Süd kommt. Das ist eine souveräne Angelegenheit des Sudans.

   Unter den Prämissen des jetzt bestehenden Mandats - wie gesagt, es wird auf der Grundlage von Kap. VII der UN-Charta ausgeübt - ist in Verbindung mit der zu erwartenden Zusammenlegung der Operationen UNMIS und AMIS fast eine „NATOMIS“ entstanden, was zu erheblichen Konflikten führen kann.

(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE))

Es stellt sich die Frage, weshalb die AMIS nicht angemessen finanziell unterstützt wird. Außerdem stellt sich die Frage, wie belastbar die prinzipielle Zustimmung des Friedens- und Sicherheitsrates der AU ist. Bislang lehnte die sudanesische Zentralregierung die Ausdehnung der UNMIS auf Darfur nämlich ab.

   All diese Überlegungen prägen unsere heutige Entscheidung. Aber weisen sie deshalb zwingend auf die Entsendung von Militär hin? Unserem Parlament steht es frei, zu entscheiden, mit welchen Mitteln der Friedensprozess unterstützt werden soll. Die UN-Resolution 1590 ermöglicht zahlreiche Aufgaben.

   75 deutsche Militärbeobachter sollen entsandt werden. Warum nicht 750 Zivildienstleistende?

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meinen Sie das etwa ernst? - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 20 Osterhasen! - Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie wollen das Leben von Zivildienstleistenden gefährden! - Olaf Scholz (SPD): Wer beschützt denn die Zivildienstleistenden?)

Eine Blauhelmmission kann im Sudan bleiben und von deutschen Zivilkräften unterstützt werden. Mit dieser Auffassung mögen wir in diesem Haus eine Minderheit sein, aber nicht in der Bevölkerung.

(Beifall bei der LINKEN - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine Torheit, keine Minderheit!)

Eine neue Studie besagt - über sie wurde in den letzten Tagen in der „FAZ“ berichtet -, dass die Bevölkerung den Verfassungsauftrag mehrheitlich nach wie vor als Verteidigungsauftrag interpretiert.

   Es geht uns darum, der Kultur des Friedens die Kraft der nicht militärischen Intervention und der Stabilisierung der Zivilgesellschaft zu geben. Damit muss endlich einmal begonnen werden. Das heutige Mandat ist durch eine solche Form von zivilgesellschaftlichem Engagement ersetzbar.

(Beifall bei der LINKEN)

   Deshalb fragen wir heute: Welcher Art soll die Hilfe sein, die es dem Sudan ermöglicht, maximalen Nutzen aus dem deutschen Engagement zu ziehen? Wir als Linke wollen keine deutschen Soldaten, aber viele zivile Kräfte im Sudan. Verspielen wir nicht die Gelegenheit für ziviles Tun und damit eine positive Identifikation der Bevölkerung mit deutscher Außenpolitik!

   Weil wir das bejahen, können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.

   Danke.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Monika Knoche, Ihr Vorschlag, 750 Zivildienstleistende in den Südsudan zu schicken,

(Monika Knoche (DIE LINKE): Zivile Kräfte!)

ist so absurd, so abenteuerlich und verantwortungslos, dass dies der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden sollte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Sie haben offenkundig nicht den Film gesehen, der in den letzten Monaten hier zu sehen war, nämlich „Lost Children“.

(Abg. Monika Knoche (DIE LINKE) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Ich fange jetzt erst einmal mit meiner Rede an. - In diesem Film wird in einer äußerst erschütternden Weise das Schicksal von Kindersoldaten in Norduganda dargestellt. Sie leiden dort fürchterlich und werden von der Lord’s Resistance Army zu mörderischen Instrumenten gemacht. Dieser Film schildert auch, dass der UN-Sicherheitsrat gegenüber dem verheerenden 20-jährigen Krieg in Norduganda bisher weitgehend versagt hat.

   Aber sonst brauchen sich die Vereinten Nationen nicht zu verstecken. Wer weiß schon, dass die Vereinten Nationen in den letzten 15 Jahren durch Verhandlungen zum Ende von mehr Bürgerkriegen beigetragen haben, als dies in den letzten 200 Jahren zuvor gelang? Eine fantastische Leistung!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

Aber der Nachteil dabei ist: Innerhalb von fünf Jahren ist die Hälfte dieser Länder wieder in den Krieg zurückgerutscht. Woran lag es? Es lag wesentlich daran, dass die internationale Friedenssicherung inkonsequent war und zu wenig Ausdauer hatte. Hierum geht es im Südsudan.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Wenn man sich einmal den Fahrplan des Friedensabkommens von Nairobi ansieht, dann stellt man fest, wie hoch kompliziert das ist und dass das nicht einfach nur aus militärischen Maßnahmen besteht. Es geht in erster Linie um politische Unterstützung, um den Aufbau von Zivilpolizei, um die Menschenrechtsförderung, die Verwaltung sowie die humanitäre und Entwicklungsunterstützung. Das alles ist ohne ein Mindestmaß an Sicherheit und Frieden nicht möglich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

Das alles zusammen bildet die UNMIS - beschlossen einhellig, einmütig vom UN-Sicherheitsrat, personell getragen von mehr als 60 Staaten, darunter Russland, China und sogar Simbabwe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Der Bundestag entscheidet heute über den militärischen Teilbeitrag von deutscher Seite. Es ist schon darauf hingewiesen worden: UNMIS ist insgesamt nach Kapitel VII mandatiert. Das heißt, UNMIS ist über die Selbstverteidigung hinaus grundsätzlich berechtigt, Zwang auch zur Nothilfe und zur Durchsetzung des Auftrags einzusetzen. Es ist inzwischen eine zehn Jahre alte Erfahrung von UN-Peacekeeping, dass man das machen muss; damit müssen Sie sich einmal auseinander setzen. Wenn man sich die Situation in Südsudan anschaut, miss man zu dem Ergebnis kommen, dass das auch unverzichtbar ist. Denken Sie nur an die Angriffe, die es zuletzt wieder von der Lord’s Resistance Army gegeben hat! Den Vorschlag, Zivildienstleistende dahin zu schicken, brauche ich nicht noch einmal zu kommentieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

   Der deutsche Beitrag besteht aus - das ist die Regelhöhe - 50 Militärbeobachtern und einigen Stabsoffizieren.

Diese unbewaffneten Militärbeobachter wirken in Uniform gewaltfrei für Gewaltverhütung. Sie sind so sehr auf sich gestellt und auf UNMIS-Blauhelme von Nichtverbündeten angewiesen wie nirgendwo sonst. Diesen Militärbeobachtern ist, so finde ich, für ihren Einsatz ganz besonders zu danken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Vor einem Jahr stimmte die Bundesregierung zum ersten Mal über die deutsche UNMIS-Beteiligung ab. Dabei hat es drei Stimmen aus der FDP dagegen gegeben. Damals gab es eine zusammenfassende Bewertung dieser UNMIS-Beteiligung. Zitat:

Der Blauhelmeinsatz im Süd-Sudan ist völkerrechtlich abgesichert, politisch begründet und moralisch geboten. ... Diese Entscheidung entspricht dem ...Verständnis, Gewalt und Androhung von Gewalt aus der Politik zu verbannen.

Völlig richtig. Wer hat diese Worte damals gesagt? Das war der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Heute sind Gegenstimmen gegen die UNMIS noch weniger begründbar. Sie können nur aus innenpolitischen Gründen motiviert sein.

(Beifall des Abg. Markus Löning (FDP))

   Kollege Gehrcke, Sie weisen - ich finde, zu Recht - immer wieder darauf hin, dass Krieg kein Mittel der Politik sein darf.

(Beifall bei der LINKEN)

Seit 1945 müssen Sie dazu aber immer auch einen zweiten Satz sagen, der inhaltlich aussagt: Die Vereinten Nationen und die UN-Charta sind das Regelwerk und der Weg zur Kriegsverhütung und Friedenssicherung.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Nachtwei, Sie müssen zum Schluss kommen.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich komme zum Schluss. - Gegenüber diesem zweiten Gebot internationaler Friedenspolitik verweigert sich die Mehrheit Ihrer Fraktion. Von UNO-Fähigkeit, von Friedensfähigkeit sind Sie offenkundig noch sehr weit entfernt.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Knoche noch einmal das Wort.

Monika Knoche (DIE LINKE):

Danke, Herr Präsident. - Herr Nachtwei, gestatten Sie mir, dass ich Folgendes sage. Ich stelle fest, dass Sie und Ihre Fraktion sich in der heutigen und den zurückliegenden Debatten, in denen es um prinzipielle Friedensfragen und Militäreinsätze geht, in Ihrer Argumentation ausschließlich gegen die Linke wenden, weil es erkennbar außerhalb Ihrer Gewöhnungen und Ihres Selbstverständnisses liegt, dass es in diesem Deutschen Bundestag eine konsequente Friedenspolitik noch gibt.

(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Einen ganz deutlichen Hinweis darauf finde ich in zwei Ihrer Bemerkungen. Sie haben sich gleich zu Beginn Ihrer Rede einen sehr euphorischen Applaus aus dem Hause verschafft, indem Sie einen wirklich offenkundigen Versprecher von mir aufgegriffen haben. Selbstverständlich meinte ich „zivile Friedensdienste“, die in diesem Gebiet ihren Einsatz finden können, was die Resolution 1590 der UNO in ausführlicher Breite darstellt.

(Beifall bei der LINKEN)

Das deutsche Engagement findet sich da nicht in hinreichendem Maße wieder.

(Lachen bei der CDU/CSU und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich finde es, wenn Sie gestatten, etwas uncharmant und schon gar nicht galant, wenn jemand auf einem offenkundigen Versprecher eine rhetorische Figur aufbaut.

   Danke.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Mir kommen die Tränen! - Volker Kauder (CDU/CSU): Wie traurig!))

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zur Erwiderung Kollege Nachtwei.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Kollegin Monika Knoche, ich erlaube mir, mich deshalb mit den Positionen der Linksfraktion auseinander zu setzen, weil ich erstens begrüße, dass durch die Linksfraktion jetzt wieder so konträre Positionen in den Bundestag kommen, wie sie auch in der Gesellschaft vorhanden sind,

(Beifall bei der LINKEN)

und weil es mir zweitens äußerst wehtut, dass es hier eine Fraktion gibt, die die friedens- und sicherheitspolitischen Entwicklungen des letzten Jahrzehnts vollkommen verpennt hat und trotzdem die Backen so aufbläst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Dieses Maß an Heuchelei in diesem Bereich muss man erst einmal an den Tag legen.

   Nun zu Ihrem Versprecher. Ich nehme gern Ihre Korrektur zur Kenntnis, dass Sie meinten, der „zivile Friedensdienst“ solle dorthin geschickt werden. Ich gehöre zu den Förderern und Betreibern des zivilen Friedensdienstes von Anfang an. Ich weiß daher, wie schwierig diese Aufgabe ist und dass dieses Feld noch weit mehr der Unterstützung dieses Hauses und der Bundesregierung bedarf.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Zugleich muss ich Ihnen sagen: Wir müssen immer sehr genau aufpassen, dass diese Friedensfachkräfte nicht überfordert und dass sie nicht in Abenteuer geschickt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Aus Ihrem Munde hört sich der gute Begriff von der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung wie eine faule Ausrede an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun die Kollegin Brunhilde Irber, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Brunhilde Irber (SPD):

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich zunächst für den freundlichen Anfangsapplaus meiner Kolleginnen und Kollegen.

   Frau Knoche, Sie haben heute hier etwas ins Spiel gebracht, was ich überhaupt nicht verstehen kann. Ich gebe dem Kollegen Nachtwei völlig Recht: Sie müssen sich Ihrer Verantwortung stellen. Sie haben ein Problem damit, bis zu 75 gut ausgebildete deutsche Soldaten an UNMIS zu beteiligen. Aber Sie hätten kein Problem damit, zivile Friedenskräfte dorthin zu schicken. Erst UNMIS muss doch den Boden dafür bereiten, dass sich dort zivile Friedenskräfte betätigen können.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Rainer Stinner (FDP))

   In der Debatte am 22. April 2005 über die Beteiligung der deutschen Streitkräfte an der Friedensmission im Sudan sagte die damalige Kollegin Brigitte Wimmer:

Die Umsetzung des Friedensabkommens wird in hohem Maße davon abhängen, wie die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft gelingt.

Das ist auch heute noch richtig. Denn wir stehen am Anfang eines Prozesses, dessen Gelingen, wie es auch im Falle des Kongos zutrifft, zur Stabilisierung des afrikanischen Kontinents beitragen wird.

   Der Übergangsprozess - so sieht es der Friedensvertrag von Nairobi vom 9. Januar 2005 vor - soll bis zum Jahr 2011 dauern. Dann wird die Bevölkerung im Südsudan per Referendum über den Verbleib im Gesamtsudan entscheiden. Eine von der SPLM und der Zentralregierung vereinbarte Übergangsverfassung trat am 9. Juli 2005 in Kraft. Im September wurde die Regierung der nationalen Einheit vereidigt. Im Dezember trat im Südsudan eine eigene Verfassung in Kraft. Eine Interimsregierung war seit Ende Oktober im Amt.

   Das sind wichtige Stationen eines langen Weges, an dessen Ende nicht die Ruhe vor dem nächsten Sturm stehen soll, sondern - -

(Unruhe)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Einen Augenblick bitte, Frau Kollegin. Es wäre schon ganz gut, wenn es außer der Ruhe vor dem Sturm auch ein bisschen Ruhe für die letzten Rednerinnen und Redner gäbe. Danach wird abgestimmt.

(Beifall)

   Bitte schön, Frau Kollegin.

Brunhilde Irber (SPD):

Ich bedanke mich, Herr Präsident.

   Es wäre schon gut, wenn, wie gesagt, dieser lange Weg nicht die Ruhe vor dem nächsten Sturm, sondern die Hoffnung auf ein Leben in Würde für die sudanesische Bevölkerung wäre.

(Beifall bei der SPD)

   Wir übersehen dabei nicht, dass nicht alle Vorgaben des Friedensvertrages so erfüllt werden, wie es wünschenswert wäre. Dazu einige Beispiele:

   Die strittige Grenzziehung im ölreichen Abyei ist nicht umgesetzt worden. Noch immer greifen ugandische Rebellen die Zivilbevölkerung und Hilfsorganisationen im Südsudan an; die Rebellengruppe Eastern Front entfaltet im Ostsudan Aktivitäten. Die Gespräche zur Lösung des Konflikts in Darfur verlaufen nur schleppend.

   Deshalb ist es konsequent, wenn Deutschland auf der Basis der Resolutionen 1590 und 1663 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen das Mandat seiner Soldaten entsprechend verlängert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Der Einsatz wird sich inhaltlich nicht ändern. Dies gilt auch für die Protokollnotiz der Bundesregierung, nach der die Obleute des Verteidigungs- und des Auswärtigen Ausschusses unterrichtet werden, wenn deutsche Soldaten außerhalb des Schwerpunktgebietes des UNMIS-Einsatzes eingesetzt werden sollen. Im Falle erheblicher Bedenken würde einem solchen Einsatz nicht zugestimmt werden. Die Kosten für den Einsatz von bis zu 75 Soldaten sind mit 900 000 Euro überschaubar.

   Zurzeit sind - das wurde mehrmals erwähnt - 28 Soldaten im Einsatz. Sie sind mit der Wahrnehmung von Militärbeobachteraufgaben beauftragt. Sie sind in den für UNMIS gebildeten Stäben und Hauptquartieren eingesetzt. Sie sind an der Bewältigung von Verbindungs-, Beratungs- und Unterstützungsaufgaben bei AMIS beteiligt und unterstützen die VN-Programme in dieser Region. An dieser Stelle darf ich den deutschen Soldaten für ihre bisher geleistete Arbeit meinen herzlichsten Dank aussprechen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Es besteht kein Zweifel: Der Friedensprozess muss von einem Aufbau der Infrastruktur begleitet werden. Die Kinder brauchen Schulen. Ein Gesundheitssystem muss etabliert werden und die Ernährungssicherung bleibt eine enorme Herausforderung. Dazu kommen all die Anstrengungen, das Leid der Vertriebenen zu lindern und Vorkehrungen dafür zu treffen, dass die Binnenflüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren können.

   All das kostet natürlich viel Geld. Deutschland beteiligt sich im Rahmen seiner Möglichkeiten. Die Bundesregierung beteiligt sich mit 10 Millionen Euro am Multi Donor Trust Fund für den Südsudan und gehört zu den größten Gebern im Sudan. Es erfordert einen sorgfältigen Umgang mit den Mitteln, die in den Sudan fließen. Ich halte nichts davon, dass Erlöse aus dem sudanesischen Erdölexport zu einem großen Teil dazu verwendet werden, den Waffennachschub zu finanzieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mit der Umsetzung des Waffenembargos in Verbindung mit Sanktionsmöglichkeiten könnte dem vielleicht ein Riegel vorgeschoben werden. Dies wird allerdings von China verhindert, das mehr als die Hälfte des sudanesischen Erdöls bezieht.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ziel der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ist es, für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit einzutreten. Zerfallende Staaten bieten den Nährboden für Kriminalität und Terror. Die internationale Staatengemeinschaft versucht, in Kooperation mit der AU im Sudan einen friedlichen Interessenausgleich zwischen den Konfliktparteien zu flankieren.

   Es ist ein schwieriger Einsatz. Aber die Hoffnung auf dauerhaften Frieden und eine Zukunftsperspektive für das sudanesische Volk sind alle Mühen wert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Einsatz der deutschen Soldaten im Sudan dient dem Frieden. Um es mit Willy Brandt zu sagen:

Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.

   Deshalb bitte ich um breite Zustimmung des Deutschen Bundestages zur Verlängerung des Mandats der deutschen UNMIS-Soldaten.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Hans Raidel für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hans Raidel (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! UNMIS wird gebraucht. Die besonnenen Kräfte im Sudan stellen fest: UNMIS ist die einzige Hoffnung, dass der Krieg nicht wieder ausbricht. Gleichzeitig stellt der UNO-Sondergesandte fest: Wir brauchen deutsche Hilfe.

   Wir stellen uns dieser Verantwortung. Die Bundeswehr hat diesen Einsatz wie immer sehr sorgfältig und fürsorglich geplant. Wir vertrauen auch hier dem Bundesminister der Verteidigung und dem Generalinspekteur.

   Das deutsche Interesse ist begründet worden. Das Interesse des Sudan ist begründet worden. Die außenpolitische Linie ist durch Staatsminister Erler begründet worden.

   Ich möchte das alles nicht wiederholen und es in unserem Interesse nur zusammenfassen in einem Zitat von Pestalozzi, der festgestellt hat:

Man muss das Unglück mit Händen und Füßen und nicht mit dem Maul angreifen.

   Wir stellen uns unserer Verantwortung.

   Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/1148 zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1052 anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt.

   Mir liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung des Kollegen Jürgen Koppelin vor.

   Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Die Plätze sind offenkundig besetzt. Ich eröffne hiermit die Abstimmung.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer mit der Auszählung zu beginnen. Wir werden das Ergebnis der Abstimmung später bekannt geben und setzen jetzt die Beratungen fort. Es wäre gut, wenn der größere Teil der Mitglieder des Hauses die dafür vorgesehenen Plätze einnehmen würde.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte noch einmal darum, Platz zu nehmen, weil das die Fortsetzung unserer Beratungen sehr erleichtern würde.

(Dr. Peter Struck (SPD): Herr Präsident, machen Sie weiter!)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, angefeuert durch einen Vorsitzenden einer Fraktion dieses Hauses möchte ich noch einmal einen Versuch unternehmen, in unserer Tagesordnung fortzufahren. - Lieber Kollege Andreas Schmidt, könnten Sie - stilbildend für andere - vielleicht schon einmal die Auflösung des Stehkonventes in Ihrer Nähe organisieren? - Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gibt doch noch einzelne Sitzplätze!

(Heiterkeit und Beifall)

Für diejenigen, die Orientierungsprobleme haben, ist Hilfestellung organisiert.

   Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten

- Drucksache 16/1116 -

   Die Fraktion Die Linke schlägt die Abgeordnete Petra Pau als Stellvertreterin des Präsidenten vor.

(Beifall bei der LINKEN)

Werden weitere Vorschläge gemacht? - Das ist offenbar nicht der Fall.

   Ich gebe nun einige Hinweise zum Ablauf der Wahl. Gewählt ist, wer die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt. Für die Wahl benötigen Sie Ihren blauen Wahlausweis, den Sie, soweit noch nicht geschehen, den Stimmkartenfächern in der Lobby entnehmen können. Die blaue Stimmkarte wird von den Schriftführern an den Ausgabetischen neben den Wahlkabinen ausgegeben.

   Da die Wahl geheim ist, dürfen Sie Ihre Stimmkarte nur in der Wahlkabine ankreuzen und müssen die Stimmkarte ebenfalls noch in der Wahlkabine in den Umschlag legen. Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten, sind ungültig.

   Nachdem Sie die Stimmkarte in einer der Wahlkabinen gekennzeichnet und in den Wahlumschlag gelegt haben, gehen Sie bitte zu den Wahlurnen, die neben den Sitzreihen der Bundesregierung und des Bundesrates sowie hier vorne auf dem Stenografentisch aufgestellt sind. Bevor Sie die Stimmkarte in die Wahlurne werfen, müssen Sie dem Schriftführer an der Wahlurne Ihren blauen Wahlausweis übergeben. Ein Hinweis bezüglich der günstigsten Anmarschordnung ist erkennbar unnötig, weil sich die meisten Mitglieder des Hauses schon in der Nähe der Wahlurnen aufhalten. Ich hoffe, das trifft auch für die Schriftführerinnen und Schriftführer zu. - Das wird bestätigt. Dann eröffne ich hiermit den Wahlgang.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, hat noch jemand eine Stimmkarte, die er noch nicht abgegeben hat?

(Zuruf: Ja!)

- Dann wäre es schön, wenn diese in die Nähe der Wahlurnen transportiert würde.

   Offenkundig haben jetzt alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarten abgegeben. Dann schließe ich die Wahl. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir setzen unsere Beratungen fort; das Wahlergebnis geben wir bekannt, sobald es vorliegt.

   Bevor ich den Tagesordnungspunkt 34 aufrufe, kann ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan, UNMIS, mitteilen: Abgegebene Stimmen 577. Mit Ja haben gestimmt 523, mit Nein haben gestimmt 45, Enthaltungen neun. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt und weiterer Abgeordneter

Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

- Drucksachen 16/990, 16/1179 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Kaster
Christine Lambrecht
Jörg van Essen
Ulrich Maurer
Volker Beck (Köln)

   Eine Aussprache ist hierzu nicht vorgesehen. - Ich stelle Einvernehmen fest.

   Dann kommen wir gleich zur Abstimmung. Nach Art. 44 Abs. 1 des Grundgesetzes ist der Deutsche Bundestag verpflichtet, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, wenn die Einsetzung von einem Viertel seiner Mitglieder verlangt wird. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1179, den Antrag auf Drucksache 16/990 in der Ausschussfassung anzunehmen.

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit großer Mehrheit bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.

(Unruhe)

- Die Übersicht von hier oben ist eigentlich relativ ordentlich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen wiederhole ich: Die Beschlussempfehlung ist mit breiter Mehrheit bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen. Damit ist der 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode eingesetzt.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN)

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung

- Drucksache 16/240 -

a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss)

- Drucksache 16/1161 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich (Bayreuth)

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung

- Drucksache 16/1178 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Königshofen
Carsten Schneider (Erfurt)
Dr. Claudia Winterstein
Roland Claus
Anna Lührmann

   Zu diesem Gesetzentwurf liegt ein gemeinsamer Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen vor.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.

   Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Uwe Beckmeyer (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Deutsche Flugsicherung ist ein Unternehmen von besonderer Sensibilität. Sie wurde 1953 als Bundesanstalt für Flugsicherung gegründet. 40 Jahre später erfolgte durch einen vom Parlament breit getragenen Beschluss die Organisationsprivatisierung. Das gleiche Parlament, der Deutsche Bundestag, hat die Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode aufgefordert, auch die Kapitalprivatisierung vorzubereiten. Nun sind wir an dem Punkt, diese Kapitalprivatisierung des Unternehmens zu beschließen. Gleichzeitig halten wir aber auch fest, unter welchen Bedingungen eine solche Kapitalprivatisierung stattfinden muss. Dazu möchte ich hier und heute ein paar Dinge sagen.

   Ich glaube, das Unternehmen hat in den vergangenen zehn bis zwölf Jahren - also gerade nach der Organisationsprivatisierung - Hervorragendes geleistet. Die Steigerung der Sicherheit im unteren und oberen Luftraum in Deutschland, die diese 5 300 Mitarbeiter - Fluglotsen und Flugtechniker - geschaffen haben, macht sich alleine daran fest, dass es 1990 bei ungefähr 1,5 Millionen kontrollierten Flügen über Deutschland immerhin noch 40 gefährliche Annäherungen von Flugzeugen gab. 15 Jahre vorher, 1975, waren es noch 210 und im Jahre 2005 gab es gerade einmal noch drei Fälle, die unter diese Definition zu fassen sind. Das heißt, es wurde eine exorbitante Steigerung von Sicherheit produziert. Ich glaube, das ist eine ganz tolle Leistung der Deutschen Flugsicherung.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

   Sie ist ein Unternehmen, dessen Mitarbeiter und Geschäftsführung pro Jahr insgesamt 2,8 Millionen Flüge in Deutschland kontrollieren. Der Markt wächst ständig. Die zivile Luftfahrt ist in Deutschland auf einem guten Wege und die Deutsche Flugsicherung leistet dazu Hervorragendes. Wir wollen, dass sich diese Deutsche Flugsicherung im konsolidierten Flugsicherungsmarkt in Europa breiter aufstellen kann. Deshalb wollen wir diese Kapitalprivatisierung durchführen.

   In diesem Zusammenhang haben wir festzuhalten, dass das Thema Sicherheit natürlich auch vor dem Hintergrund der zivil-militärischen Integration der Flugsicherung eine große Rolle spielt; denn immerhin haben wir es noch mit gut 80 000 Militärflügen über Deutschland pro Jahr zu tun. Wir haben eine Form gefunden, durch die sichergestellt wird, dass auch der militärsicherheitspolitische Aspekt so gefasst ist, dass er umgesetzt wird. Auch nach der Kapitalprivatisierung ist in Zukunft gewährleistet, dass die sicherheitspolitisch sensiblen Aspekte im Krisenfall so umgesetzt werden, dass es für den Verteidiger eine Rückholmöglichkeit, also eine Call-back-Möglichkeit, gibt. In diesem Fall kann der Bund seine wichtigen Flugsicherungsaspekte jederzeit umsetzen.

   Bei dieser Kapitalprivatisierung können wir davon ausgehen, dass bis zu 74,9 Prozent der Gesellschaftsanteile der Deutschen Flugsicherung verkauft werden können. Ich will hier im Parlament nicht über die Erträge spekulieren. Aber ich glaube, hier kann von einem ansehnlichen drei- bis vierstelligen Millionenbetrag ausgegangen werden.

   Gleichzeitig möchte ich betonen, dass wir es uns nicht einfach gemacht haben. Wir wollen - das haben wir in dem Entschließungsantrag der Fraktionen deutlich gemacht - einige Eckpunkte festgehalten wissen, die bei dieser Kapitalprivatisierung zu beachten sind. Insofern gibt der Bundestag mit dieser Entschließung seiner Erwartung Ausdruck, dass bei den Verkäufen von Gesellschaftsanteilen Interessenskonflikte hinsichtlich der Unternehmensziele der Deutschen Flugsicherung und interessierter Übernehmer von Gesellschaftsanteilen ausgeschlossen werden. Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass die Deutsche Flugsicherung im europäischen Konsolidierungsprozess mit einem neuen Gesellschafter wachsen kann und dass auch Möglichkeiten der Beteiligung an Partnerorganisationen im europäischen Raum nicht behindert, sondern erleichtert werden. Auf diesen entscheidenden Punkt möchte ich hinweisen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

   Im Vorfeld dieses Gesetzes wurde die Frage aufgeworfen: Ist das deutsche Flugsicherungsgesetz verfassungskonform? Darüber wurde in den vergangenen Tagen an der einen oder anderen Stelle noch diskutiert. Ich darf einmal aus einem Kommentar zu Art. 87 d des Grundgesetzes zitieren: Der privatrechtlich organisierte Verwaltungsträger kann die Aufgabenerfüllung in Form unmittelbarer oder mittelbarer Bundesverwaltung ganz ersetzen oder zum Teil neben diese treten. Auch kann hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse der Privatrechtsgesellschaft eine Mischform zwischen öffentlicher und privater Kapitalbeteiligung vorgesehen werden, sofern ein hinreichender Einfluss des Bundes auf die Verwaltungstätigkeit gewahrt bleibt. - Ich bin mit den Rechtspolitikern meiner Fraktion der Meinung: Dies ist durch die Sperrminorität von 25,1 Prozent und auch durch die Call-back-Option im Krisenfall gewährleistet. Insofern bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

   Das zweite Thema, das ich in diesem Zusammenhang ansprechen möchte, sind die Einwände der Gewerkschaften. Diese haben wir ernst genommen. Die Gewerkschaften haben davor gewarnt, dass die Sicherheitskette aus zertifiziertem Flugzeug, zertifiziertem Lotsen und zertifiziertem Techniker möglicherweise gefährdet ist, weil sich Europa bei der Zertifizierung von Technikern anders aufstellt, als dies in Deutschland der Fall ist. Nach den Beratungen haben wir im Rahmen der Änderungswünsche der Fraktionen eins zu eins die Formulierungen in das Gesetz aufgenommen, die bei den Eurocontrol Safety Regulatory Requirements die Sicherheitsanforderungen beschreiben. Insofern befinden wir uns in völligem Einklang mit den einschlägigen europäischen Vorschriften. Ich glaube, die Kollegen von der Gewerkschaft der Flugsicherung sind mit diesen Änderungen einverstanden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Zum Schluss möchte ich mich bedanken; denn die Beratungen der Berichterstatter und auch die Beratungen in den Ausschüssen waren von einem breiten Konsens getragen. Dabei ist zum Ausdruck gekommen, dass man dieses Thema sachorientiert bearbeitet hat. Wir haben mit den Beteiligten - sei es die Flugsicherung selbst, seien es die Gewerkschaften, seien es die politischen Parteien dieses Hauses - dafür gesorgt, dass der breite Konsens, der in diesem Haus in den vergangenen Jahrzehnten bei dem sensiblen Thema Deutsche Flugsicherung immer bestand, weitergetragen wird.

   Ich freue mich, dass zumindest vier Fraktionen den gemeinsamen Entschließungsantrag gezeichnet haben und ihn, wie ich denke, nachher auch verabschieden werden. Insofern ist dem Anliegen des Hauses Rechnung getragen, die Kapitalprivatisierung so zu vollziehen, dass sie letztlich zu mehr Sicherheit beiträgt, die Deutsche Flugsicherung wachsen kann und wir dadurch auch auf europäischer Ebene die Sicherheit stärken können. Denn wir haben in Deutschland eine der besten Flugsicherungsgesellschaften der Welt, was auch für Europa gut ist.

   Ich möchte mich bei den Beteiligten der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP, aber auch der Grünen recht herzlich bedanken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich würde mich freuen, wenn auch die Fraktion Die Linke dem Antrag zustimmen würde. Man kann sich aber auch der Stimme enthalten. Es wäre vielleicht ein Zeichen von Noblesse, das Vorhaben auf diese Art zu unterstützen. Ich würde mich darüber freuen.

   Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Bevor wir mit der Aussprache fortfahren, kann ich Ihnen das Ergebnis der Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten mitteilen: Abgegebene Stimmen 581, gültige Stimmen 581. Mit Ja haben gestimmt 385.

(Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es hat auch einzelne Neinstimmen gegeben. Vielleicht darf ich das der Vollständigkeit halber zumindest für das Protokoll bekannt geben: Mit Nein haben gestimmt 138. Enthalten haben sich 58 Kolleginnen und Kollegen. Damit hat die Kollegin Petra Pau die erforderliche Mehrheit erhalten und ist somit zur stellvertretenden Präsidentin gewählt.

   Liebe Frau Kollegin Pau, ich übermittle Ihnen die Glückwünsche des ganzen Hauses und auch meine ganz persönlichen Wünsche. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und wünsche Ihnen bei der Wahrnehmung der nicht immer einfachen Aufgaben eine glückliche Hand. Alles Gute!

(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Abgeordnete aller Fraktionen gratulieren der Vizepräsidentin - Abg. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) und Abg. Oskar Lafontaine (DIE LINKE) überreichen der Vizepräsidentin Petra Pau einen Blumenstrauß)

   Frau Kollegin Pau, gehe ich recht in der Annahme, dass Sie die Wahl anzunehmen bereit sind?

Petra Pau (DIE LINKE):

Ja.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herzlichen Dank.

   Wir fahren nun fort mit der Aussprache zum Tagesordnungspunkt 24. Nächster Redner ist der Kollege Horst Friedrich für die FDP-Fraktion.

Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP):

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Beratung des Gesetzentwurfs zur Neuregelung der Flugsicherung findet aus Sicht der FDP eine Erfolgsgeschichte ihren Abschluss, die 1992 vom Parlament - und zwar von allen Seiten des Parlaments; auch das muss deutlich gemacht werden - gegen den anhaltenden Widerstand vieler Bedenkenträger begonnen wurde, die zum damaligen Zeitpunkt die Privatisierung der Flugsicherung für völlig unvorstellbar hielten. Es wurde gesagt: Die Welt geht unter; die Flieger fallen vom Himmel. Es kann nicht funktionieren.

   Der Kollege Uwe Beckmeyer hat deutlich gemacht, wie die Entwicklung tatsächlich verlaufen ist. Insofern finde ich es ausgesprochen bedenklich, dass dieselben Bedenkenträger, die schon damals nicht im Recht waren, jetzt wieder anfangen, mit denselben falschen Argumenten erneut gegen den nächsten - aus unserer Sicht völlig logischen - Schritt zu opponieren, die Deutsche Flugsicherung, die ich nicht ganz ohne Stolz als die beste der Welt bezeichnen möchte - sie ist auch schon zweimal ausgezeichnet worden -, für den weltweiten Wettbewerb fit zu machen, einen Wettbewerb, der mit den Airlines begonnen hat.

   Sicherlich denkt kaum jemand in diesem Hause noch daran, dass die Lufthansa früher vollständig in Staatsbesitz war. Auch damals gab es eine Diskussion über die beabsichtigte Privatisierung, in der die Meinung vertreten wurde, die Lufthansa könne niemals privatisiert werden. Heute wage ich zu behaupten: Wenn die Privatisierung nicht erfolgt wäre, gäbe es die Lufthansa heute gar nicht mehr. Tatsächlich ist sie aber inzwischen eine der führenden Fluglinien innerhalb der Star Alliance und positioniert sich weltweit. Was bei den Fluglinien begonnen hat, setzt sich jetzt bei den Flugsicherungsgesellschaften fort. Wir müssen sie fit machen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Es ist sicherlich ärgerlich, dass die damalige Bundesregierung, insbesondere das Finanzministerium, eine bereits 1998 vom Bundestag mit breiter Mehrheit beschlossene Novellierung des Flugsicherungsgesetzes förmlich nicht umgesetzt hat. Wir hätten schon damals der Flugsicherung mehr Möglichkeiten der geschäftlichen Betätigung einräumen können.

   Was nun umgesetzt wird, ist ein Kompromiss, über den, glaube ich, breiter Konsens besteht. Uwe Beckmeyer ist schon auf einiges eingegangen. Ich will auf die Voraussetzungen eingehen. Ausgangspunkt war, nicht nur die Kapitalprivatisierung und damit die Beschlusslage des Bundestages in der letzten Legislaturperiode, sondern auch die Vorgaben der so genannten Single-European-Sky-Verordnungen umzusetzen, die eine Trennung von Aufsichts- und Durchführungsaufgaben erforderlich machen. Das bedeutet, dass man wieder ein Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung errichten muss, das die Aufsichtsaufgaben wahrnehmen soll. Die Position der FDP war, nicht wieder ein solches Amt zu installieren, von dem man ja durch die Organisationsprivatisierung der Flugsicherung wegzukommen versucht hat. Die Zahlen sprechen ja für sich.

   Die Kompetenz der Mitarbeiter eines Bundesaufsichtsamtes muss höher sein als die derjenigen, die den Luftverkehr kontrollieren. Daher müssen die Mitarbeiter eines solchen Amtes eine höhere Dotierung erhalten. Das kann man aber mit dem öffentlichen Haushaltsrecht allein nicht hinbekommen. Eine höhere Dotierung ist jedoch möglich, weil die Kosten eines Bundesaufsichtsamtes im Endeffekt die Nutzer, die Fluggesellschaften und die Passagiere, tragen. Ich bitte die Bundesregierung daher, in manchen Fällen das klassische Haushaltsrecht hintanzustellen. Es wird uns nicht auf die Füße fallen, weil die Nutzer die Kosten tragen. Wir brauchen dort hoch qualifizierte Mitarbeiter und dürfen keinen neuen Flaschenhals - diesen haben wir 1992 durch die Privatisierung der Bundesanstalt für Flugsicherung beseitigt - schaffen. Schließlich soll hier auch eine ökonomische Regulierung stattfinden. Das ist aber nur möglich, wenn Kompetenz von außen zugeführt wird.

   Nun erleben wir eine Aktion der Gewerkschaft Verdi. Uwe Beckmeyer hat es schon angesprochen. Die Gewerkschaft behauptet, dass das Gesetz die Sicherheit des Luftverkehrs in Deutschland gefährde; das trifft mich. Wie wird das begründet? Momentan bildet die Deutsche Flugsicherung ihre Fluglotsen an eigenen Schulen aus und zertifiziert sie; das ist völlig richtig. Aber alle anderen wie Techniker und Ingenieure werden nicht von der Flugsicherung ausgebildet, sondern erhalten ihre Ausbildung - wie nun auch vorgesehen - an anderen Institutionen, an Hochschulen oder Fachhochschulen. Was sich ändert, ist lediglich, dass ein Zertifikat der Flugsicherung nicht mehr ausgestellt wird, weil es im europäischen Bereich nicht mehr notwendig ist. Aber an der Qualität des Personals und damit an der Sicherheit ändert sich nichts. Deswegen, finde ich, ist es höchst fahrlässig, zu sagen: Wenn dieses Gesetz in Kraft tritt, leidet die Sicherheit unter den Kapitalinteressen. Das ist aus meiner Sicht eine völlig unzulässige Verkürzung der Fakten. Das sollten wir nicht mittragen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich musste lesen, dass eine andere Gewerkschaft angedroht hat, während der Fußballweltmeisterschaft zu streiken, wenn dieses Gesetz in Kraft tritt. Dazu kann ich nur sagen: Aus unserer Sicht wäre das ein politischer Streik; das darf nicht sein. Politik darf sich so nicht beeinflussen lassen. Das muss deutlich werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Dr. Guido Westerwelle (FDP), zur SPD gewandt: Genossen, da fehlt euer Beifall!)

Zum Gesetzgebungsverfahren möchte ich für die FDP-Fraktion noch zwei Dinge anmerken. Wir wären durchaus bereit gewesen, das Ganze noch klarer wirtschaftlich zu positionieren. Aber wir tragen den Kompromiss mit. Mich hat jedoch verwundert, dass kurz vor Ende der Sitzung des Verkehrsausschusses am vergangenen Mittwoch vorgeschlagen wurde, dass die Flugsicherung auch die Aufgaben Überprüfung, Warnung und Umleitung von Luftverkehrfahrzeugen im Luftraum übernehmen soll. Aus unserer Sicht kann die Flugsicherung das nicht übernehmen. Das kann man mit einem Piloten, der kooperiert, also den Anweisungen der Flugsicherung folgt, sicherlich machen. Das kann man aber von einem Piloten, der ein gekapertes Flugzeug führt, wahrscheinlich nicht erwarten. Flugsicherung allein kann das nicht leisten.

   Es ist etwas höchst Ungewöhnliches geschehen: Die Geschäftsführung der Deutschen Flugsicherung hat mitgeteilt, wie sie diese Gesetzesformulierung interpretiert, nämlich im Sinne der bereits bestehenden Zusammenarbeit mit dem Nationalen Lage- und Führungszentrum Sicherheit im Luftraum in Kalkar. Die Bundesregierung hat die Richtigkeit dieser Interpretation bestätigt. Ich gebe zu: Das ist ein durchaus ungewöhnlicher Vorgang; in einem Gesetzgebungsverfahren ist er sicherlich nicht alltäglich. Die Flugsicherung hat signalisiert, dass sie mit dieser Regelung leben könne. Wenn das die Grundlage für die Arbeit der Bundesregierung auf diesem Gebiet ist, dann tragen wir das Ganze im Endeffekt mit. Die große Mehrzahl der Mitglieder dieses Hauses trägt diesen Entschließungsantrag im Konsens; Kollege Uwe Beckmeyer hat schon darauf hingewiesen.

   Das Parlament hat 1992 die Erfolgsgeschichte der Flugsicherung begonnen, und zwar gegen den Widerstand vieler Bedenkenträger. Das Parlament macht jetzt den nächsten Schritt. Ich sage voraus: Das Parlament hat sowohl die Kraft als auch die Zuständigkeit, im Falle von diversen Fehlallokationen nach entsprechenden Entscheidungen Korrekturen im Sinne der Flugsicherung vorzunehmen. Insofern vielen Dank für die bisherige Unterstützung! Wir wünschen unserer Flugsicherung weiterhin den Erfolg, den sie bisher hatte. Die FDP wird den Vorlagen zustimmen.

   Danke sehr.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Norbert Königshofen ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.

Norbert Königshofen (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch für die Union ist der heutige Tag verkehrspolitisch ein besonderer Tag: Das Gesetz zur Neuregelung der Flugsicherung soll heute verabschiedet werden. 13 Jahre lang sind hier im Bundestag Gespräche und Verhandlungen, auch Auseinandersetzungen geführt worden; Anträge sind gestellt worden. Ich bin seit 1994 Abgeordneter des Bundestages. Das Thema Flugsicherung hat uns seitdem dauend beschäftigt; es war mir ein ständiger Wegbegleiter.

   Es ist bereits erwähnt worden: 1992/93 gab es die Organisationsprivatisierung. Das war der erste wichtige Schritt. Er wurde damals von fast allen Mitgliedern des Hauses unterstützt. Ich hoffe, dass der vorliegende Gesetzentwurf und die Abänderungen, die wir beraten haben, hier eine überwältigende Mehrheit finden werden.

   Organisationsprivatisierung und Kapitalprivatisierung sind zwei Fixpunkte im Bemühen, die DFS zu reformieren. Man kann sich fragen: Muss die DFS reformiert werden? Kollege Friedrich und Kollege Beckmeyer haben darauf hingewiesen, dass die DFS eine der erfolgreichsten Flugsicherungsorganisationen der Welt ist. Ich möchte in Erinnerung rufen: Sie hat im Jahre 2000 immerhin den so genannten Eagle Award bekommen, das ist eine Auszeichnung für außergewöhnlich gute Flugsicherung, für Pünktlichkeit und für Kostenbewusstsein.

   Die Wettbewerbsbedingungen auf dem Luftverkehrsmarkt haben sich radikal verändert. Außerdem hat sich die Rechtslage in Europa verändert. Einerseits ist der Luftverkehr heute ein viel wichtigerer Wirtschaftsfaktor als vor 15 oder 20 Jahren. Er ist eine Schlüsselindustrie für moderne Volkswirtschaften, eine Jobmaschine. 1 Million Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt davon ab. Diese Industrie schafft immer wieder neue Arbeitsplätze. Zum Beispiel sind zuletzt bei der Lufthansa 2 700 neue Arbeitsplätze entstanden.

   Andererseits ist der Luftverkehr internationaler und liberaler geworden. Die Single-European-Sky-Verordnungen sind gerade schon kurz angesprochen worden. Es gibt Open-Sky-Urteile des Europäischen Gerichtshofs.

Das muss berücksichtigt werden. Die DFS muss sich auf die neuen Entwicklungen einstellen können, um ihre internationale Spitzenposition zu behaupten und auszubauen.

   Nach der erfolgten Kapitalprivatisierung wird sie noch mehr als bisher am Markt teilnehmen, andere Geschäftsfelder erschließen

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): So ist es!)

und sich an anderen Unternehmen beteiligen können. Das hat wiederum mit Sicherheit Auswirkungen auf den Luftverkehrsstandort Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP))

So wie die Lufthansa in Europa der führende Carrier an der Spitze der Star Alliance geworden ist, so soll die DFS - das stellen wir uns vor - an die Spitze der Flugsicherungsgesellschaften in Europa kommen. Die DFS für die Zukunft fit zu machen, ist also eine der Aufgaben.

   Die andere Aufgabe ist: Die staatlichen Verpflichtungen, die hoheitlichen Aufgaben müssen abgesichert werden.

   Ich bin davon überzeugt, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und den Änderungen, die wir gemeinsam beschließen werden, beides erreicht wird. Die Flugverkehrskontrolle bleibt hoheitliche Tätigkeit. Sie dient der Gefahrenabwehr und der Prävention von Gefahren. Wir werden weiter eine Fortsetzung der erfolgreichen zivil-militärischen Integration haben. Das gibt es bei der überörtlichen Flugsicherung sonst nirgendwo in der Welt.

   Die Kapitalprivatisierung bedeutet nicht, wie vielleicht befürchtet wird, eine Aufgabenprivatisierung. Die DFS bleibt ein mit staatlichen Aufgaben beliehenes Unternehmen. Der Bund hat Durchgriffsrechte. Wir sichern das zum Ersten durch die Sperrminorität von 25,1 Prozent ab. Bei der Kapitalprivatisierung werden nämlich 25,1 Prozent beim Bund verbleiben. Zum Zweiten - auch das ist gerade schon dargelegt worden - wird eine nationale Aufsichtsbehörde, das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, BAF, geschaffen. Diese Aufsichtsbehörde hat die Rechts- und Fachaufsicht über die DFS. Sie kontrolliert die DFS. Sie verfügt über ein Informationsbeschaffungsrecht. Sie hat ein Weisungsrecht. Sie hat das Recht zur Ersatzvornahme. Sie hat ein Betretungsrecht und sie hat ein Herausgaberecht. Sie kann auch ein Warnungsgeld in Höhe von bis zu 500 000 Euro verhängen. Wenn man den Eindruck hat, die kapitalprivatisierte DFS erfülle ihre Aufgaben nicht so recht, dann kann man sie zur Kasse bitten und notfalls auch durchgreifen.

   Also erfüllt das Gesetz beides: Es sichert die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben und macht die DFS zu einem erfolgreichen Teilnehmer am expandierenden Luftverkehrsmarkt.

   Eines wollen wir nicht vergessen: Die Kapitalprivatisierung - das freut den Finanzminister - bringt auch einen zehnstelligen Eurobetrag - ich wiederhole: einen zehnstelligen Eurobetrag - in die klammen Kassen des Bundes. Das ist auch Geld.

   Es gibt einen Entschließungsantrag, gestellt von allen vier Fraktionen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. Auf den möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch einmal lenken; denn er ist wichtig. Er ist deswegen wichtig, weil wir in diesem Entschließungsantrag etwas darüber aussagen, wie wir uns die Kapitalprivatisierung und die zukünftigen Eigentümer vorstellen. Wir wollen ein langfristiges Engagement derjenigen, die sich da beteiligen. Wir wollen nicht die, die berühmte Kollegen einst „Heuschrecken“ genannt haben, die nämlich kommen, drei Jahre etwas halten und dann wieder verkaufen. Wir suchen nicht den Investor, der 20 Prozent Dividende haben möchte. Nein, wir suchen die, die ein Interesse an der Flugsicherung haben, die sich beteiligen wollen und die natürlich auch eine auskömmliche Rendite für ihr Geld bekommen müssen. Denn wer gibt schon Geld, wenn er damit nichts verdienen kann?

Aber es muss im Rahmen bleiben.

   Wir haben auch deutlich gemacht: Niemand soll dort einen beherrschenden Einfluss haben, kein Carrier, kein Einzelner, der dann am Ende über 50 Prozent der Anteile hält. Das wollen wir nicht. Aber wir wollen, dass auch die deutschen Nutzer sich beteiligen; denn es macht Sinn, wenn die Flughäfen, die Airlines und die DFS zusammenarbeiten.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie des Abg. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Wir hätten natürlich gern, wenn es geht, in Ergänzung auch einen internationalen Investor, weil wir, wie gesagt, bei der DFS auch auf Expansion im europäischen Raum setzen. Es gibt da viele sozusagen artnahe Geschäfte, in denen die DFS tätig werden kann und die dazu beitragen, die DFS mit den entsprechenden Geldern zu versehen.

   Bei den Investoren muss also - das wollen wir mit dem Entschließungsantrag klar machen - das Interesse am Unternehmen im Vordergrund stehen, langfristig, dauerhaft, verlässlich.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie des Abg. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Zum Schluss, meine Damen und Herren: Man muss danken, weil das, was heute hier passiert, in diesem Hohen Hause nicht selbstverständlich ist. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Gesetz, über das man natürlich hier und da verschiedener Meinung sein kann, am Ende eine Mehrheit von über 90 Prozent findet - jedenfalls wenn alle da sind und abstimmen. Wir werden die Zustimmung der Union und der SPD, der Koalitionsfraktionen, haben - das gehört sich so -, aber, was nicht selbstverständlich ist, auch der FDP und der Grünen.

   Ich möchte mich beim Kollegen Beckmeyer bedanken, mit dem ich diese Gesetzgebung sehr eng vorbereitet und begleitet habe, aber auch bei den Kollegen Friedrich und Hermann,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

die uns immer konstruktiv, wenn auch kritisch, begleitet haben.

   Auch bezüglich der Seite des Ministeriums - das ist ebenfalls nicht selbstverständlich; häufig gibt es ja einen gewissen Dualismus zwischen der Politik und den Ministerien - kann man nur sagen: hervorragende Zusammenarbeit. Mein Dank gilt Staatssekretär Kasparick, aber auch seinen Mitarbeitern Schmidt und von Elm.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ebenso müssen wir Staatssekretär Karl Diller danken; denn er hat es möglich gemacht, dass wir bei der BAF, also beim Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, die Leute engagieren können, die wir brauchen. Für einen Außenstehenden scheint das vermutlich kein Problem zu sein: Wenn die Nutzer es ohnehin bezahlen, kann man auch ordentliche Leute einkaufen. Aber für eine Behörde ist es schon schwierig, davon abzugehen, Mitarbeiter nach einem ganz bestimmten Schema zu bezahlen; in diesem Fall erfolgt die Bezahlung normalerweise nach B 3 bzw. den darunter liegenden Besoldungsgruppen. Da gibt es nicht mehr und nicht weniger. Das wird hier durchbrochen. Die Leute, die von der DFS kommen und bei der Bundesaufsicht arbeiten, können ihre Zulagen behalten. Das ist durch den Kollegen Diller möglich geworden, der sich da vermittelnd eingeschaltet hat. Also herzliches Dankeschön!

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Ich danke dem Bundesrechnungshof, mit dem wir nicht nur korrespondiert, sondern auch gesprochen haben. Ebenso haben wir das Gespräch mit den Freunden aus dem Südwesten gesucht, die natürlich unter dem Flughafen Zürich-Kloten leiden. Aber dieses Gesetz hat mit dem Problem sehr wahrscheinlich gar nichts zu tun.

(Beifall des Abg. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Jan Mücke (FDP): Das ist der Punkt!)

Aber die Bedenken und die bestehenden Probleme haben wir natürlich gesehen. Deswegen haben wir Verständnis, dass sie sich so eingelassen haben, wie sie es getan haben.

   Außerdem haben wir -

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege - -

Norbert Königshofen (CDU/CSU):

- das ist mein letztes Wort, Herr Präsident, mit Dank an Sie für Ihren Großmut -

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)

ebenfalls sehr konstruktiv mit der Unternehmensführung und den Arbeitnehmervertretern gesprochen. Auch dafür mein herzliches Dankeschön.

   Ich danke Ihnen allen dafür, dass Sie gleich zustimmen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich bedanke mich für das Kompliment in Sachen Großmut, Herr Kollege Königshofen, und erteile als nächster Rednerin Dorothee Menzner für die Fraktion Die Linke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)
(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

Dorothee Menzner (DIE LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Kollege Königshofen hat es eben schon breit ausgeführt: Wir haben es heute mit einer Superkoalition aus CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen zu tun. Sie wollen den Verkauf der Flugsicherung beschließen. Damit beginnt nach unserer Meinung die Play-off-Serie der Privatisierungsfestspiele dieser Regierung. Bundesvermögen wird ans Kapital verkauft, während breite Bevölkerungskreise wegen Hartz IV am Existenzminimum leben müssen.

(Zuruf von der LINKEN: Richtig!)

   Was passiert genau und warum diese Eile? Nur um Haushaltslöcher zu stopfen, will die Bundesregierung unser Tafelsilber veräußern - ohne Sinn, ohne Herz und ohne Verstand.

(Beifall bei der LINKEN)

Drei Viertel der Flugsicherung liegen auf dem Gabentisch. Dafür kriegen Sie - das wurde eben ausgeführt - eine einmalige Finanzspritze. Aber was bleibt danach? Nichts! Dann fehlen die Gewinne der Flugsicherung im Haushalt. Dieses Jahr sind es fast 13 Millionen Euro. Schlimmer noch: Perspektivisch könnte die Situation eintreten, dass gar keine Gewinne aus der Flugsicherung mehr in den Bundeshaushalt fließen.

   Seit längerem kursieren in Juristenkreisen genau die gleichen Formulierungen, die jetzt in den Drucksachen geschrieben stehen und die hier debattiert werden. Wir aber, also meine Fraktion, bekamen nichts Offizielles. Daher wundert es mich zutiefst, weshalb die seit langem angekündigten Änderungen des Gesetzentwurfs mein Büro erst auf den allerletzten Drücker erreichten. Letzten Dienstag um 19 Uhr bekamen wir die Drucksache, genau 14 Stunden vor der entscheidenden Ausschusssitzung.

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Das ist ja unglaublich!)

   Schon tags darauf gab es im Ausschuss die gemeinsame Entschließung dieser Superkoalition.

(Zurufe von der SPD: Nach den Anstrengungen der Berge kommen die Mühen der Ebene! So ist das! - Früher aufstehen!)

   Dies ist mir als Neuling ziemlich unverständlich und ich frage mich, weshalb das so lief. Absicht?

(Hans-Joachim Hacker (SPD): Schneller arbeiten!)

   Ich darf daran erinnern: Die Linke hat zu all den Fragen der Privatisierung der Flugsicherung, die aus unserer Sicht noch offen sind, eine Anhörung im Ausschuss beantragt. Leider konnte sich nur die Fraktion der Grünen entschließen, diesem Antrag zuzustimmen.

(Zuruf von der LINKEN: Immerhin!)

   So sind aus unserer Sicht nach wie vor viele Fragen offen:

   Erstens. Die Gewerkschaft der Fluglotsen erhebt nach wie vor starke Einwände.

   Zweitens. Die Bundesvereinigung gegen Fluglärm befürchtet bei der Planung der Flugrouten den Vorrang der Wirtschaftlichkeit vor dem Lärmschutz.

   Drittens. Die EU-Vorgaben - sie wurden hier schon angesprochen - sehen keine Kommerzialisierung bei hoheitlichen Aufgaben der Gefahrenabwehr vor. Wozu auch?

   Viertens. Besonders der Flugzeugabsturz im Jahr 2002 am Bodensee wirft bis heute Fragen auf. Die schwierigste davon: Ist es überhaupt mit unserer Verfassung vereinbar, dass ein Schweizer Privatunternehmen den südwestdeutschen Luftraum verwaltet?

(Beifall bei der LINKEN)

   Damit komme ich - fünftens - zu meinem und unserem Haupteinwand. Die Linke sagt es klipp und klar: Die Neuregelung der Flugsicherung verstößt eindeutig - ich wiederhole es gerne: eindeutig - gegen die geltende Verfassung.

(Beifall bei der LINKEN)

Kollege Beckmeyer zitierte vorhin aus einem Kommentar zum Grundgesetz. Ich möchte es nicht unterlassen, Art. 87 d Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes zu zitieren:

Die Luftverkehrsverwaltung wird in bundeseigener Verwaltung geführt.

Satz 2 lautet:

Über die öffentlich-rechtliche oder privat-rechtliche Organisationsform wird durch Bundesgesetz entschieden.

Dazu sollten wir wissen: Dieser zweite Satz wurde bewusst in die Verfassung eingefügt, als die Flugsicherung organisationsprivatisiert wurde. Manche werden sich erinnern: Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte die Unterzeichnung eines Gesetzes zur Flugsicherung damals wegen ungenügender Verfassungsvorgaben verweigert.

   Und heute, wo eine viel schwerwiegendere Entscheidung ansteht? Heute geht es um die Frage: Dürfen hoheitliche Belange hinsichtlich Gefahrenabwehr und Ordnungsrecht überhaupt durch privates Kapital wahrgenommen werden?

(Beifall bei der FDP: Wer privatisiert denn die Gefahrenabwehr?

   Die Verfassungsfrage ist auch - aber nicht nur - wegen des Flugzeugabsturzes vor wenigen Jahren am Bodensee brisant. Der Vertrag, die dortige Flugsicherung einem Privatunternehmen zu übertragen, wurde vom Schweizer Bundesrat bis heute nicht ratifiziert. Juristen nennen das: Der Vertrag ist nicht in Geltung gewachsen. - Damit ist die Flugsicherung durch die Schweizer Skyguide AG bis heute auf keine belastbare Rechtsgrundlage gestellt.

   Ich schließe mit der eindringlichen Bitte an Sie alle: Vertagen Sie die Entscheidung! Einen Verstoß gegen die Verfassung werden wir nicht hinnehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Winfried Hermann, Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Redebeitrag meiner Kollegin von der Linksfraktion macht es notwendig - auch andere Kollegen fragen immer wieder, ob diese Neuregelung, diese Privatisierung, zwingend ist -, dass ich zu Beginn meiner Rede ein paar grundsätzliche Ausführungen mache.

(Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): Sehr gut!)

Es gilt festzuhalten, dass die Europäische Union durch ihre Verordnung zum Single European Sky einen neuen Rechtsrahmen geschaffen hat. Diese Verordnung schafft unmittelbares Recht. Das heißt, vieles ist jenseits unserer bisherigen nationalen Regelungen schon neu geregelt. Diese Neuregelung, diese Verordnung gibt uns zusätzlich die Möglichkeit, das deutsche Recht dementsprechend auszugestalten.

   Die EU zwingt allerdings nicht zur Privatisierung, sondern ermöglicht sie. Das ist ein Unterschied. Die EU verlangt mehr Wettbewerb. Das darf sie; das soll sie. Aber sie verlangt keinen ungeregelten Wettbewerb. Darauf reagieren wir. Sie verlangt zwingend die Trennung von Aufsichts- und Durchführungsaufgaben in der Luftsicherung. Das erkennen wir an. Zugleich wird damit anerkannt, dass es eine europäische und eine nationalstaatliche hoheitliche Verantwortung gibt. Insofern meine ich, dass das verfassungsrechtliche Argument, das gerade vorgetragen wurde, ins Leere geht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Der vorliegende Gesetzentwurf ist im parlamentarischen Verfahren erheblich verbessert worden. Dies zeigt, dass wir im Parlament einen eigenständigen und eigenverantwortlichen Umgang mit dem Luftsicherheitsrecht praktiziert haben und europäisches Recht und deutsches Recht gemeinsam gestaltet haben.

   Übrigens folgt dieser Gesetzentwurf einigen wichtigen Grundeinsichten - dies wurde im vorherigen Redebeitrag anders dargestellt -, die ich gerne ansprechen will. Er folgt der Einsicht, dass mehr Wettbewerb, mehr unternehmerisches Handeln und eine klare Trennung der Durchführung der Aufgaben und der Kontrolle zu einer effizienten und sehr hohen Flugsicherheit führen und dass dies eine effiziente Wirtschaftsform ist.

(Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE))

Es wird anerkannt, dass es nicht zwingend ist, dass bestimmte betriebliche Abwicklungen zu 100 Prozent in staatlichem Eigentum sein müssen. Das genau brauchen wir nicht.

   Dies ist also keine wildliberale Veranstaltung, wie es gerade wieder geäußert wurde nach dem Motto: Die verkaufen alles und die Grünen sind auch dabei. Ich kann nur sagen: Wer in Dresden unter Beteiligung der Linkspartei und ihrer Abgeordneten zusammen mit anderen alle kommunalen Wohnungen versilbert, sollte das Maul im Parlament in solchen Fragen nicht voll nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD - Zuruf von der FDP: Was ist denn an Dresden falsch?)

Denn starke Sprüche allein genügen nicht.

   Man muss vielmehr einen Rechtsrahmen schaffen. Die vorliegende gesetzliche Regelung schafft sehr verantwortungsvoll und sehr verantwortungsbewusst einen Rechtsrahmen gegen eine wildliberale Privatisierung.

(Zuruf von der FDP: Was ist denn an dem Wohnungsverkauf in Dresden falsch?)

Wir haben sichergestellt, dass bei dieser neuen, teilprivatisierten Flugsicherung die kommerziellen Interessen nicht ganz obenan stehen dürfen, sondern dass das oberste Prinzip der Sicherheit erhalten bleibt. Die Deutsche Flugsicherung soll also ein starker Partner im Wettbewerb sein, aber auch klaren sicherheitspolitischen Vorgaben dienen.

   Wir haben uns als Grüne jetzt über drei bis vier Jahre kritisch an dem Verfahren beteiligt. Ich kann bestätigen, was meine Kollegen dankenswerterweise bereits gesagt haben: Es lief außerordentlich kooperativ. Ich habe bisher im Parlament noch kein Verfahren erlebt, bei dem es einen so engen Austausch gab und bei dem es tatsächlich einmal gelungen ist, über Fraktionsgrenzen hinweg Argumente und kritische Einwände anzuerkennen. Danke schön für diese Kooperation!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Für uns war wichtig, dass wir sicherstellen, dass wir europäisches Recht und unsere Verfassung in Einklang bringen und zusammenführen. Das ist mit diesem Gesetzentwurf gelungen. Wir haben klargestellt, dass die hoheitlichen Aufgaben weiterhin klar in hoheitlicher Hand und letztendlich in Bundesverantwortung sind. Das ist ganz klar geregelt, trotz Wettbewerbsbeteiligung, trotz Teilprivatisierung. Das hat mit Sicherheit viel damit zu tun, dass wir neben den zahlreichen Regelungen auch die unabhängige Aufsicht geschaffen haben, die eben voll öffentlich ist.

   Wir haben - es ist mir wichtig, das zu sagen - mit der Konstruktion der Sperrminorität ein Konstrukt gefunden, das ganz klar macht, dass die wesentlichen Ziele dieser neuen Gesellschaft nicht einfach geändert werden können. Eventuelle hoheitliche Bedenken können also nicht einfach aufgrund von Marktinteressen oder anderen ökonomischen Interessen übergangen werden. Das ist hiermit sichergestellt.

   Wir haben übrigens - was uns sehr wichtig war - in der Resolution deutlich gemacht, dass wir bei der Veräußerung sehr genau darauf achten müssen, wer sich einkauft und wie die Aktien verkauft werden. Denn eines wollen wir klarstellen: Wir sind doch nicht für mehr Wettbewerb im Prinzip und sorgen dann hinterher beim Verkauf dafür, dass ein neues Monopol entsteht, indem sich etwa eine Fluggesellschaft die Flugsicherheit aneignet und sozusagen als billige Tochter, als billige Dienstleistung hält. Mit der Resolution haben wir deutlich gemacht: So etwas wollen wir nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Insofern gibt es auch klare Ansprüche und klare Auflagen an zukünftige Investoren.

   Wir haben sichergestellt, dass die zivil-militärische Integration weiterhin funktioniert - sie muss funktionieren -; wir haben sichergestellt, dass es ein Weisungsrecht gibt - etwa im militärischen Notfall -; wir haben über ein Konstrukt der Beleihung und des Widerrufs sichergestellt, dass die private DFS nicht einfach gegen die Interessen des Staates verstoßen kann. Diese Beleihung findet auf Zeit und auf Widerruf statt und ist an harte Kriterien gebunden. Das Argument, dass ein Privater etwas gegen die öffentlichen Sicherheitsinteressen tun kann, stimmt somit grundlegend nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

   Ich muss jetzt etwas abkürzen; ich will aber noch darauf hinweisen, dass wir Einwände der Gewerkschaften und der Deutschen Flugsicherung mit aufgenommen haben. Es ist sehr selten, dass man auch arbeitsrechtliche Einwände und Bedenken - etwa Mitbestimmungsinteressen - berücksichtigt. Auch als Linker kann ich daher sehr gut zu dem Gesetzentwurf stehen.

   Ich komme zum Schluss. Wir verabschieden heute nach mehrjährigen Debatten und Verhandlungen einen überfraktionellen Gesetzentwurf - samt Veränderungen - und einen Resolutionstext. Der Entwurf führt zu einer Teilprivatisierung in politisch klar gestalteter öffentlicher Verantwortung.

   Ich bedanke mich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick.

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der heutige Tag ist ein wichtiger Tag für die deutsche Luftsicherheit und - das darf ich hinzufügen - für die europäische Luftsicherheit, weil wir ein Unternehmen im europäischen Markt aufstellen und für den Wettbewerb stark machen, das noch von sich reden machen wird.

Die deutsche Flugsicherheit ist zu Recht ausgezeichnet worden als die beste der Welt. Wir wollen sie stark machen für den europäischen Wettbewerb. Wir wollen die Rahmenbedingungen, die uns Europa bietet, nutzen, um die deutsche Wirtschaft in einem sehr stark wachsenden und wirtschaftlich hoch interessanten Markt an die erste Stelle im Wettbewerb zu stellen.

   Die Entscheidung, die das Parlament heute trifft, hat eine längere Vorgeschichte. Die Organisationsprivatisierung aus dem Jahre 1993 ist ebenso wie die Integration der militärischen Flugsicherungsdienste in die DFS im Jahre 1994 bereits erwähnt worden. Der Schritt, den wir jetzt unternehmen, die Kapitalprivatisierung, ist die logische Folge dieser vorausgegangenen Schritte. Man muss sich klar machen, dass wir in Europa derzeit noch 31 unterschiedliche nationale Systeme der Flugsicherung haben.

   Die neuen Richtlinien geben den Rahmen vor und weisen die Richtung: Wir wollen einen einheitlichen europäischen Luftraum schaffen. Wir sind der Überzeugung, dass der in einem dichten Beratungsnetzwerk erarbeitete Gesetzentwurf dazu beitragen wird, eines unserer stärksten Unternehmen besonders gut für den Wettbewerb aufzustellen.

   Ich will in zweierlei Hinsicht kurz auf die Kritik der Linken eingehen. Das Verfahren wurde kritisiert. Mich hat überrascht, dass eine Fraktion bereits zu Beginn der Beratungen, nach der ersten Lesung, erklärt hat, sie sei gegen das Gesetz.

(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Das ist doch logisch!)

   Dass man sich so dem Beratungsprozess entzieht, ist zumindest bemerkenswert.

(Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Ist doch gar nicht wahr!)

Jetzt, am Ende des Beratungsprozesses, beschweren Sie sich, Sie seien nicht ausreichend beteiligt worden. Für mich tut sich da ein Widerspruch auf. Es war das Bemühen unseres Hauses, mit den Berichterstattern, mit den Mitarbeitern der DFS und mit den Gewerkschaften einen ganz engen, persönlichen Kontakt zu pflegen sowie alle Anregungen und Kritikpunkte aufzunehmen, sorgfältig zu diskutieren und abzuwägen.

   Ich will das unterstreichen, was Kollege Hermann gesagt hat: Dieser Gesetzgebungsprozess ist auch nach meinem Eindruck etwas Besonderes, weil eine partei- und fraktionsübergreifende Zusammenarbeit in dieser Form in diesem Haus nicht selbstverständlich ist.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Menzner?

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Ich würde gerne zu Ende vortragen. 

(Zuruf von der LINKEN: Ah ja!)

Die fraktions- und parteiübergreifende Zusammenarbeit an diesem Gesetz ist in der Tat etwas Besonderes, was lohnt, erwähnt zu werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Zum zweiten Kritikpunkt will ich ausdrücklich etwas betonen, was schon mehrfach angesprochen wurde: Die Flugsicherung bleibt hoheitliche Aufgabe des Bundes. Das ist die zentrale Aussage. Der Bund hat nach wie vor Durchgriffsrechte. Diese Rechte haben wir gesichert. Über die Anteile ist bereits gesprochen worden. Ich finde es besonders wichtig, dass nicht nur das Ministerium, sondern auch das Parlament an der Kontrolle direkt beteiligt ist. Wir haben an zentralen Stellen Parlamentsvorbehalte in das Gesetz eingefügt. Das ist bei dem hoch sensiblen Bereich der Luftverkehrssicherheit zwingend. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung wird bei der Sicherstellung dieser hoheitlichen Aufgaben eine ganz zentrale Funktion übernehmen müssen.

   Wir haben uns bemüht - ich bin der Überzeugung, es ist gelungen -, in einem kooperativen Arbeitsstil ein Gesetz zu erarbeiten. Das war ein mehrjähriger Prozess. Heute können wir erleben, dass der Erfolg viele Väter hat. Die Berichterstatterinnen und Berichterstatter, die sich seit vielen Jahren mit diesem Problem befassen, kennen die Geschichte aus eigenem Erleben.

   Das, was wir heute vorlegen, ist nach unserer Überzeugung eine runde Sache. Die wesentlichen Kritikpunkte, bis hin zu denen des Bundesrechnungshofs, sind nach ausführlichen Gesprächen ausgeräumt worden. Die gefundene Lösung macht es nicht zuletzt für Investoren interessant, sich bei der deutschen Flugsicherung zu engagieren.

Ich wünsche den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der deutschen Flugsicherung eine gesicherte, wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft. Ich wünsche den Kolleginnen und Kollegen, die an diesem Gesetz mitgearbeitet haben, wenn sie denn wieder einmal mit dem Flugzeug unterwegs sind - das sind viele unserer Kollegen -, dass sie davon profitieren, dass wir unsere Sicherheit neu aufstellen.

(Iris Gleicke (SPD): Das wünschen wir allen! Auch den anderen!)

   Ich bin mir ganz sicher, dass die DFS mit diesem Gesetzentwurf in die Lage versetzt wird, im europäischen Wettbewerb ganz vorne mitzuspielen. Das war Ziel dieses Gesetzes. Herzlichen Dank für Ihre Mitarbeit und alles Gute!

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort der Kollegin Menzner.

Dorothee Menzner (DIE LINKE):

Herr Staatssekretär Kasparick, Ihre Ausführungen kann ich nur so verstehen: Für Sie ist es offenbar normal, dass dann, wenn sich eine Fraktion kritisch zu einer Vorlage in erster Lesung und in den Beratungen im Ausschuss äußert, die veränderte Version ganz kurzfristig kommt, obwohl sie im Vorfeld bereits im Hause und in den einschlägigen Kreisen breit kursierte. Ich finde, das offenbart zumindest ein etwas schwieriges Verständnis.

(Beifall bei der LINKEN - Hans-Joachim Hacker (SPD): Na, na, na! - Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Darauf muss man jetzt aber nicht antworten!)

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Ich habe nur meiner Verwunderung darüber Ausdruck verliehen, dass sich eine Fraktion am Beginn eines Beratungsprozesses schon auf eine Ablehnung festlegt und sich dann darüber beschwert, sie sei zu wenig beteiligt worden.

(Beifall bei der SPD - Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Das sagt das doch mit den gleichen Worten!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Ingo Schmitt, CDU/CSU-Fraktion.

Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nie zuvor verzeichnete der deutsche Luftraum so viele Flugbewegungen wie in diesem und im letzten Jahr. Mit 2,8 Millionen kontrollierten Flügen in 2005 und bisher rund 700 000 in 2006 befindet sich die deutsche Flugsicherung im Höhenflug. Gut, dass wir diesen positiven Trend aufnehmen und durch das vorstehende Gesetz der deutschen Flugsicherung noch größere Leistungsfähigkeit und Expansionsfähigkeit ermöglichen.

(Lutz Heilmann (DIE LINKE): Gewinne privatisieren!)

   Gemeinsames Ziel sollte es sein, dass die deutsche Flugsicherung auch im Wettbewerb gegenüber den europäischen Anbietern künftig eine Führungsrolle übernimmt. Damit stellen wir uns einer besonderen Herausforderung; denn der Luftraum über Europa ist eine knappe Ressource. Verbesserungen, die durch die Flugsicherung geschaffen wurden, werden ebenso schnell wieder vom Verkehrswachstum aufgezehrt. Bis zum Jahre 2010 werden in Europa schätzungsweise rund 11 Millionen Flüge jährlich erwartet. Im Jahre 2020 sollen es sogar knapp 16 Millionen sein. Höchste Zeit also, dass sich die europäische und mit ihr auch die deutsche Flugverkehrslandschaft neu definiert.

   Richtungweisende Schritte, wenn auch manchmal nur halbherzig durch die Mitgliedstaaten mitgetragen, sind bereits durch die Single-European-Sky-Verordnungen der Europäischen Kommission getan worden. Der europäische Luftraum und die Flugsicherungseinrichtungen werden künftig umstrukturiert. Die Fluglotsenausbildung und die Flugsicherungstechnik werden harmonisiert. Deshalb ist der Handlungsbedarf für uns dieser Tage sehr hoch. Denn für die deutsche Flugsicherung müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, die sie im europäischen Markt erfolgreich bestehen lassen.

   In diesem Zusammenhang ist die Kapitalprivatisierung der DFS ein notwendiger und zielführender Schritt. Schließlich dürfen wir den Blick nicht nur auf Deutschland, sondern sollten ihn auch auf Europa richten. Die deutsche Flugsicherung wird in der Gemeinschaft eine Vorreiterrolle übernehmen können. Denn einerseits steht sie für höchste Qualität und andererseits wird sie durch dieses Gesetz die modernsten Rahmenbedingungen aufweisen können. Es lässt sich also sagen, dass wir hierzulande ein Modell für Europa schaffen, als Anreiz für andere Mitgliedstaaten, sich diesem anzuschließen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Der europäische Luftraum glich bisher einem Flickenteppich; der Flugverkehr wurde von über 40 unterschiedlichen Kontrollzentren geregelt. Dies führte zu unnötigen potenziellen Gefahren, zu einem Anstieg der Verspätungen und zu einem erhöhten Treibstoffverbrauch. Die Fragmentierung des Luftraumes zieht nach Feststellung der Europäischen Union das europäische Gesamtssystem derart in Mitleidenschaft, dass in einem einheitlichen europäischen Luftraum zukünftig zwingend funktionale Luftraumblöcke gebildet werden müssen. Diese orientieren sich dann nicht mehr an Ländergrenzen, sondern an Verkehrsströmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Für diese gewaltigen Herausforderungen durch die kommende Marktsituation muss die deutsche Flugsicherung fit gemacht werden, in einem Teilbereich bereits bis Ende des Jahres. Denn mit Einführung der so genannten Platzkontrolle an den Regionalflughäfen kann dort künftig jedes EU-zertifizierte Flugsicherungsunternehmen in Deutschland tätig werden.

   Die Kapitalprivatisierung ist zwar ein notwendiger, ordnungspolitisch gebotener, jedoch längst nicht hinreichender Schritt für den Erfolg. Das Management sowie die Steuerungs- und Entscheidungsstrukturen müssen neu ausgelegt werden können. Der Wille zum Mitspielen auf europäischem und internationalem Parkett muss der Motor für unternehmerisches Denken und Handeln sein. Durch den bevorstehenden Prozess wird es der deutschen Flugsicherung gelingen, unter Beibehaltung höchster Sicherheitsstandards noch effizienter zu arbeiten und dadurch das deutsche Gesamtsystem sowie die hiesige Volkswirtschaft zu stärken.

   Einen zusätzlichen positiven Aspekt darf man natürlich nicht vergessen: Die Kapitalprivatisierung dient zudem dazu, Finanzmittel in die Kasse des Bundes fließen zu lassen. Ich sage an dieser Stelle allerdings auch: Es wäre schön, wenn wenigstens ein Teil dieser Gelder für verkehrspolitische Vorhaben zur Verfügung gestellt würde.

   In den letzten sechseinhalb Jahren habe ich mich im Europäischen Parlament um Verkehrs- und insbesondere um Luftverkehrspolitik gekümmert. Aufgrund dieser Erfahrung darf ich Ihnen heute sagen: Ich bin davon überzeugt, dass die deutsche Flugsicherung, wenn dieses Gesetz beschlossen wird und sie dadurch andere Rahmenbedingungen erhält, eine Riesenchance hat, in dem sich bildenden Single European Sky nicht nur zu bestehen, sondern zukünftig auch eine entscheidende Rolle als Topplayer im europäischen Luftraum zu übernehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich empfinde den Gedanken als äußert angenehm, dass man sich in einigen Jahren auch bei Flügen, die die deutsche Grenze überschreiten, in sichersten Händen fühlen kann, nämlich in den Händen der deutschen Flugsicherung.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Schmitt, ich habe gehört, dass dies Ihre erste Rede in diesem Hohen Hause war. Ich gratuliere Ihnen recht herzlich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen und wünsche Ihnen persönlich und politisch alles Gute.

(Beifall)

   Ich schließe die Aussprache.

   Bevor wir zur Abstimmung kommen, sage ich noch, dass eine schriftliche Erklärung der Abgeordneten Thomas Dörflinger, Siegfried Kauder und Andreas Jung nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegt.

   Wir kommen dann zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung der Flugsicherung auf Drucksache 16/240. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt auf Drucksache 16/1161, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -

(Zurufe von der SPD: Oho! - Was ist denn in der CDU/CSU los? - Was ist denn das? - Ein Fall für den Koalitionsausschuss!)

Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU - mit Ausnahme dreier Kollegen aus der CDU/CSU - und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion der Linken und drei Gegenstimmen von CDU/CSU angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Linken, dreier CDU/CSU-Abgeordneter und einer Enthaltung eines Abgeordneten der Grünen angenommen.

   Wir stimmen jetzt ab über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1174. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion der Linken angenommen.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 33. Sitzung - wird am
Montag, den 10. April 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/16033
Seitenanfang
Druckversion