Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 01-02 / 02.01.2006
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Interview

"Diese Stürme sind eine ökologische und ökonomische Katastrophe"

Interview mit dem Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber

Hans-Joachim Schellnhuber sieht angesichts zerstörerischerer Hurrikane große Gefahren auf die Karibik zukommen. Die Indizien sprächen dafür, dass auch der Klimawandel für deren zunehmende Stärke mit verantwortlich sei. Der 55-Jährige ist Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung und Vize-Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).

Das Parlament: Herr Schellnhuber, waren Sie schon einmal in der Karibik?

Schellnhuber: Ja, bereits mehrere Male. Das war immer sehr reizvoll. Zuletzt war ich im Mai auf der Halbinsel Yukatan, die später vom Hurrikan "Wilma" schwer heimgesucht wurde. Das macht einen natürlich besonders betroffen.

Das Parlament: Reisen Sie wieder in die Karibik? Oder ist es Ihnen wegen der heftigen Tropenstürme dort inzwischen zu gefährlich?

Schellnhuber: Derzeit beeinflusst diese Entwicklung eine solche Entscheidung noch nicht. Meine Frau und ich überlegen, vielleicht bald einmal auf die Bahamas zu fliegen. Die Wahrscheinlichkeit, an einem bestimmten Ort von einem bestimmten Hurrikan getroffen zu werden, ist sehr gering. Funktionieren die Frühwarnsysteme, kann man sich außerdem rechtzeitig in Sicherheit bringen.

Das Parlament: 2005 war in der Karibik ein historischer Rekord mit 26 Hurrikanen zu verzeichnen. Mit "Katrina" gab es den zerstörerischsten und mit "Wilma" den stärksten Tropensturm der Geschichte. War das eine Ausnahmesituation oder wird es nun jedes Jahr so gravierend?

Schellnhuber: Statistisch war 2005 wohl ein Ausnahmejahr. Noch nie traten in einer Saison annähernd so viele tropische Stürme auf. 2006 dürfte es vermutlich nicht so schlimm zugehen. Man kann nicht damit rechnen, dass die Tropenstürme nun jährlich immer mehr Verwüstungen anrichten. Aber es ist nicht zu leugnen, dass es in der Karibik die Tendenz zur langfristigen Intensivierung des Hurrikanregimes gibt.

Das Parlament: Es ist umstritten, ob die Häufung immer heftigerer Tropenstürme etwas mit dem Klimawandel zu tun hat. Gerade manche US-Forscher vertreten die These, solche Zyklen habe es schon immer gegeben, das sei eine natürliche Sache.

Schellnhuber: Man muss dieses Problem in zwei Teile zerlegen. Zum einen ist zu fragen, wie ein Wirbelsturm überhaupt entsteht. Zum andern muss untersucht werden, ob der Mensch über den Kohlendioxidausstoß diese Entwicklung beeinflusst. Ein Hurrikan bildet sich nur, wenn die Ozeanoberfläche mindestens 26,5 Grad warm ist. Physikalisch müssen bei diesem Prozess mehrere Faktoren zusammenkommen, aber der wichtigste Aspekt ist die Temperatur: Je wärmer das verdunstende Wasser ist, desto stärker kann sich ein Hurrikan aufladen. Nun war das karibische Meer einschließlich des Golfs von Mexiko 2005 außergewöhnlich warm. Ob dieser Temperaturanstieg allein auf den Klimawandel zurückzuführen ist, lässt sich bislang wissenschaftlich nicht hieb- und stichfest beweisen. Bei der Oberflächentemperatur tropischer und subtropischer Meere existieren seit jeher große natürliche Schwankungen. Aber 2005 war auf dem Globus wohl das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen - unter tätiger Mitwirkung der Menschheit. Der Verdacht liegt deshalb nahe, dass unsere Zivilisation auch beim karibischen Hurrikanjahr 2005 ihre Hand im Spiel hatte.

Das Parlament: Werden die Tropen also eines der ersten Opfer des Treibhauseffekts?

Schellnhuber: Mit Sicherheit werden die Schadstoffemissionen und damit auch die Erderwärmung weiter zunehmen. Insofern ist mit großer Wahrscheinlichkeit für die Karibik mit einer Intensivierung der Hurrikan-Tätigkeit zu rechnen. Das wird die Inseln wie die Festlandküsten vor große Probleme stellen. Was oft übersehen wird: Die Wirbelstürme zerstören in der Karibik auch zusehends die Korallenriffe, deretwegen viele Taucher als Touristen anreisen.

Das Parlament: Sind "Katrina" und "Wilma" eine direkte Folge des Klimawandels?

Schellnhuber: Nein, das kann man selbstverständlich nicht sagen. Ein einzelner Hurrikan lässt sich nicht auf den Kohlendioxidausstoß eines bestimmten Autos zurückführen. Es handelt sich um einen schleichenden Prozess der Erderwärmung, und dieser Trend wirkt sich im langfristigen Schnitt auf Zahl und Schlagkraft der Tropenstürme aus.

Das Parlament: Ist diese Entwicklung auf absehbare Zeit unumkehrbar? Müssen sich die Bewohner dieser Region mit solchen Umweltkatastrophen abfinden?

Schellnhuber: Der Prozess der Erderwärmung lässt sich nicht mehr stoppen, sondern nur noch bremsen. In diesem Jahrhundert wird die Temperatur global um mindestens 1,5 Grad nach oben klettern, das ist definitiv. Das System ist sozusagen bereits "geladen", wie wir Wissenschaftler sagen. Aber ob es drei oder vier Grad werden, das steht nicht fest und ist durchaus noch zu beeinflussen.

Das Parlament: Gibt es wenigstens Hoffnung auf lange Sicht, falls der Kohlendioxidausstoß spürbar reduziert werden sollte?

Schellnhuber: Technisch, ökonomisch und sozial ist eine ausreichende Verminderung dieser Schadstoffemissionen machbar. Der Erfolg hängt von politischen Entscheidungen ab. Es kommt auf Regierungen, Unternehmen, Konsumenten, kurzum auf die gesamte Gesellschaft an. Es muss uns gelingen, die globale Erderwärmung in diesem Jahrhundert auf etwa zwei Grad zu begrenzen. So lässt sich natürlich nicht garantieren, dass es keine Wirbelstürme mehr geben wird. Aber deren Folgen werden eher beherrschbar sein.

Das Parlament: Haben denn die karibischen Inseln und Küsten eigentlich eine Chance, sich vor Zerstörungen durch Hurrikane zu schützen?

Schellnhuber: Gewisse Vorsichtsmaßnahmen lassen sich durchaus bewerkstelligen. Ich finde es beispielsweise beeindruckend, wie man auf Kuba mit diesem Problem umgeht. Für die Bucht von Havanna hat man ein effektives Frühwarnsystem installiert. Evakuierungspläne liegen griffbereit, und für den Fall der Fälle steht eine große Zahl freiwilliger Helfer bereit. Beim Heranstürmen eines Hurrikans lassen sich auf Kuba ganze Regionen binnen kurzem evakuieren. So kann man viele Menschenleben retten. Wäre New Orleans in gleichem Maße gewappnet gewesen, hätte man an der US-Südküste vermutlich nicht über 1.000 Todesopfer beklagen müssen. Auf manchen Karibikinseln wurde der Katastrophenschutz mittlerweile zum Staatsziel erklärt, dessen Erreichen wissenschaftlich unterstützt wird. Aber eines ist klar: Geht ein Wirbelsturm der Kategorie fünf an Land, dann bleibt den betroffenen Bewohnern nur noch die Flucht.

Das Parlament: Die ökonomischen Schäden der Hurrikan-Saison 2005 sind gigantisch. Die reichen USA können das vielleicht noch verkraften, die wirtschaftsschwächeren Inseln indes wohl kaum. Der Tourismus ist gefährdet. Häuser werden zerstört, Ernten vernichtet. Machen die Tropenstürme die Karibik zu einer Armen-Region?

Schellnhuber: Das ist eine ebenso brisante wie komplexe Frage, die in ihrer Tragweite bislang noch nicht gründlich erörtert worden ist. Von einem einzelnen gewaltigen Hurrikan und dessen Verwüstungen dürfte sich eine Region schon erholen können. Wenn so etwas aber häufiger vorkommen sollte, müssen vielleicht ganze Landstriche aufgegeben werden. Die Bewältigung von "Katrina" stellt selbst die reichen USA vor riesige finanzielle Probleme. Umso stärker trifft es jedoch die ärmeren Inselstaaten in der Karibik. Und haftet einer Region einmal das Image von Gefahr und Bedrohung an, schadet das unvermeidbar auch dem Tourismus. Kein Zweifel: Die Tropenstürme sind nicht nur eine ökologische, sondern auch eine ökonomische Katastrophe.

Das Parlament: Herr Schellnhuber, Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.


Das Interview führte Karl-Otto Sattler


Weitere Informationen im Internet:

www.pik-potsdam.de


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