Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 50-51 / 06.12.2004
Susanne Kailitz

Mauerbauer und williges Wahlvolk

"Die Partei" will Deutschland wieder teilen

Die "Titanic" ist ein Wendeverlierer: Das "endgültige Satiremagazin" hat mit der Wiedervereinigung keinen einzigen Leser dazu gewonnen. Für Chefredakteur Martin Sonneborn Beweis dafür, dass man im Osten nicht verstanden werde - und auch ein Grund dafür, sich nun dafür einzusetzen, dass die Zustände sich wieder ändern. Getreu dem im Impressum des Magazins festgehaltenen Motto ihres Mitbegründers Chlodwig Poth "Die endgültige Teilung Deutschlands - das ist unser Auftrag" will die "Titanic" wieder trennen, was ihrer Meinung nach ohnehin nicht zusammen gehört und hat eine Partei gegründet, deren Ziel der Wiederaufbau der Mauer ist.

"Die Partei" ist laut Satzung eine "Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative", doch ihr Vorsitzender Sonneborn räumt ein, dass man sich um konkrete Ziele abseits des Mauerbaus bislang wenig Gedanken gemacht habe. Klar ist nur: "Wir sehen uns als linke Alternative zu den etablierten Parteien - und wir wollen auf dem direkten Weg an die Macht. Unser Wahlkampf wird schmutzig sein, denn uns ist keine Parole zu populistisch." Dass die Mauer wieder her muss, liegt für Sonneborn und seine Parteikollegen auf der Hand. "Deutschland ist politisch, wirtschaftlich und kulturell geteilt und mit der Mauer würde es den Menschen in beiden Teilen Deutschlands wieder besser gehen." Die Mauer an sich sei dafür jedoch nur Symbol: "Wir wollen die neuen Länder zu einer Sonderbewirtschaftungszone machen, dafür muss die Mauer gar nicht konkret wieder aufgebaut werden. Wenn demokratisch gewählte Mehrheiten in diesem Land das aber wollen, werden wir das auch tun."

4.000 Mitglieder hat die Partei inzwischen, einen offiziellen und sieben inoffizielle Landesverbände, außerdem 45 Ortsverbände. Auch im Osten findet Sonneborns Plan Anhänger. Ingo Roeser hat im September einen Ortsverband der "Partei" in Leipzig gegründet, weil die etablierten Parteien nicht mehr in der Lage seien, "sich den alltäglichen Problemen der Bevölkerung zu widmen". Im Westen sei man der Ansicht, der Osten habe "nun genügend Beiträge abgefasst" und auch praktisch sei man "getrennt, wenn Sie sich die Gehälter und Tarifausnahmen ansehen" - deshalb müsse man im Osten reagieren. "Sonst sind wir am Ende die, die nach der Dunkelheit allein dastehen und schlimmstenfalls mit ansehen müssen, wie die einstigen Investitionen noch herausgetragen werden." Das regionalpolitische Programm der Partei sehe daher die Abtrennung der neuen Länder vor. Roeser macht kein Hehl daraus, dass sein Programm reine Satire ist. "Andere Parteien, die noch an der Macht sind, bauen Arbeitsplätze ab, schaffen merkwürdige Beschäftigungsprogramme, benennen Panzer, überwachen und observieren Bürger, unterstützen einen Mauerbau an anderer Stelle der Welt, erhöhen die Steuern und senken soziale Ansprüche, ziehen in Kriege und verbieten Sekten - nennen sich aber sozial, humanistisch und freiheitlich. Ist das keine Satire?"

Satire oder bitterer Ernst?

Anders ist dagegen der Eindruck, der im Gespräch mit Sonneborn entsteht. Wer den 39-Jährigen reden hört, nimmt verblüfft zur Kenntnis, wie souverän ihm die Politphrasen über die Lippen kommen. Kein Zögern, kein Augenzwinkern erlaubt Schlüsse darüber, ob Sonneborn das alles ernst meint oder ein begnadeter Satiriker ist. Nur dann, wenn er abfällig von den "Verrückten" spricht, die ihre Zeit im Internetforum der Partei verbringen, oder dem "willigen Wahlvolk", das den "Titanic"-Machern den Weg zur Macht ebne, kommt etwas von der Verachtung zum Vorschein, die Sonneborn seiner Klientel entgegen bringt. Mittlerweile muss der Neu-Parteichef ohnehin zur Kenntnis nehmen, dass seine Aktion sich verselbständigt hat. Dass die "Partei"-Mitglieder alle "Titanic"-Leser sind, die sich an der Aktion als glänzende Entlarvung des Politbetriebs erfreuen oder die Zeitschrift wenigstens kennen, darf angesichts der Zahlen, die eine Forsa-Umfrage veröffentlicht hat, bezweifelt werden. Danach wollen etwa 21 Prozent der Deutschen die Mauer wieder haben - ganz im Ernst und gar nicht satirisch.

Für Sonneborn hat die "Partei" genau das aufgegriffen, was das Volk wirklich will. Zum ersten Mal sieht er eine Chance, die Politik nicht nur satirisch zu begleiten - wie etwa damals, als die "Titanic" mit einem vermeintlichen SPD-Wahlkampfbus mit der Aufschrift "Wir geben auf" durch Bayern tourte oder mit antisemitischen Plakaten für die FDP warb - , sondern aktiv zu gestalten: "Unsere Parteien werden immer satirischer, also müssen wir immer politischer werden." Die "Partei" will im Mai 2005 bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen antreten, gern auch 2006 bei der Bundestagswahl. Die Unterlagen sind beim Bundeswahlleiter eingereicht und auch das Zulassungsverfahren für die NRW-Wahl läuft. Bis April 2005 hat die "Partei" nun noch Zeit, in den 128 Wahlkreisen des Landes jeweils 100 Unterstützerunterschriften zu sammeln, um antreten zu dürfen.

Während Journalisten und Politiker über den richtigen Umgang mit Sonneborns Partei noch rätseln, versuchen andere schon, auf der Welle, die Sonneborn ausgelöst hat, mitzureiten. Bernd Honsberg etwa, Geschäftsführer der IG Bau Nordhessen, hat Sonneborn am 9. November dabei geholfen, in Philippsthal ein Stück Mauer aufzubauen. Eine medienwirksame Demonstration gegen die "bestehende Tarifmauer in den Köpfen und der Realität" sei das gewesen, freut sich der Gewerkschafter. Er glaubt, er habe die Popularität der "Titanic" für "meine Botschaft nutzen können" und weist die Idee von sich, er könne von dem eloquenten Chefredakteur vielleicht nur vorgeführt worden sein.

Immer wenn die Rede auf Sonneborn und seine "Partei" kommt, ist der Begriff "Realsatire" nicht weit. Doch ist das noch Satire, die durch Übertreibung Kritik an Personen und Zuständen üben will - oder nicht doch purer Zynismus, ein, in den Worten Max Goldts, "Resultat von Enttäuschung und innerer Vereinsamung"? Können und sollen Zyniker antreten, die Lage zu verbessern? Diese Frage muss bei Wahlen entschieden werden. Bleibt die Hoffnung, dass das "willige Wahlvolk" so willig dann doch nicht ist.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.