Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 30 - 31 / 25.07.2005
Konrad Watrin

Vom alten Psychostress zu einer neuen Gutsherrenart?

Kritischer Blick auf Praxiserfahrungen junger Lehrer in Schleswig-Holstein
Der Wechsel von den hehren Hallen der Alma Mater zu den Niederungen der pädagogischen Täler war für die meisten jungen Pädagogen bislang vor allem ein Schock. Der Einstieg ins Berufsleben grenzte oft an seelische Grausamkeit. "Mein Beileid, dass Sie hier durch müssen, aber zusammen schaffen wir das." So oder ähnlich lautete oft nach den Worten eines unlängst Entronnenen - eines 35-jährigen Politik- und Geschichtslehrers aus Schleswig-Holstein - die mild-sarkastische Begrüßungsformel für den Lehrprobe-Kandidaten an einem solchen Tag der Wahrheit.

Neben veralteten Arbeitsbedingungen, der Gängelung und leistungsfeindlichen Vergütung hat auch der letzte OECD-Report weniger die Lehrer selber und ihre Moral als vielmehr die praxisferne Ausbildung in Deutschland angeprangert. Punktuell wurde daran seit Jahrzehnten in wohl sämtlichen Bundesländern kuriert. Unter dem Druck der Diskussion ist die immer wieder mit dem Argument der akademischen Freiheit verteidigte Ausbildung nun mächtig in Bewegung geraten. So empfiehlt der Züricher Erziehungswissenschaftler Jürgen Oelkers vor allem die "Berufseingangsphase" neu zu gestalten. Dies geschieht nach Auswertung von Erfahrungen aus der Wirtschaft etwa durch Bildung von "Austauschgruppen", in denen die Nöte und Probleme der Junglehrer wie in einer Selbsterfahrungsgruppe unter Anleitung erörtert - und wohl auch therapiert - werden sollen.

In Schleswig-Holstein, wo die bisherige rot-grüne Landesregierung in der soeben spektakulär zu Ende gegangenen Legislaturperiode zusätzlich zu den durch Pensionierung frei werdenden Stellen weitere 1.000 Lehrer einstellen wollte, gilt nun Evaluation allenthalben: des Schulklimas, der Unterrichtsmethoden bis hin zu Eltern- wie auch Schülermeinungen. Vor allem aber wurde dort nach dem Empfinden vieler junger Lehrer die Ausbildung vor einem Jahr am grundlegendsten geändert. An das Lehramtsstudium, das mit dem Staatsexamen endet und nun auch Pädagogenstoff beinhalten soll, schließt sich weiter der zweijährige Vorbereitungsdienst an, an dessen Ende die Zweite Staatsprüfung steht. Diese zweite Phase jedoch wird nicht mehr zur Hälfte am Pädagogischen Seminar absolviert, sondern findet zweigeteilt - nahezu ausschließlich an den rund 100 Gymnasien im Lande wie auch an anderen Schulformen - statt. "Die jungen Lehrer und Lehrerinnen werden dort durch eine eigens für diese Aufgabe qualifizierte Ausbildungskraft beraten und unterstützt", einen Mentor, heißt es beim "Bewerberlotsen", dem Internet-Wegweiser der Kieler Regierung.

Die neuen ?Lehrer in Ausbildung' (LiA) unterrichten eigenverantwortlich zehn Stunden pro Woche. Hinzu kommen Unterricht unter Anleitung der Mentoren sowie Hospitationen bei diesen, aber keine Hospitationsbesuche mehr durch die früheren Fachleiter. Daneben muss ein LiA Veranstaltungen des so genannten ?Instituts für die Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holsteins' (IQSH) absolvieren. Das IQSH ist für die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Lehrer zuständig, nachdem die bisherigen fünf Seminare in den Landesbezirken praktisch abgeschafft worden sind. Die Ausbildungsveranstaltungen sind Wahl- und Pflichtkurse, als Module vom IQSH online angeboten. Die Anwärter werden noch zentral von Kiel als Beamte auf Widerruf in den Landesdienst eingestellt und erhalten Anwärterbezüge nach dem Bundesbesoldungsgesetz, deren Grundbetrag zwischen 800 und 1.000 Euro im Monat liegt. Daneben sind wie in anderen Bundesländern auch "Quer- und Seiteneinsteiger" mit "schulrelevanten Fächern" wie der IT-Branche gefragt, die ursprünglich nicht "auf Lehramt" studiert haben.

Besuche durch die einst mehr oder minder gefürchteten Fachleiter, die anderweitige Verwendung in Schulen oder IQSH fanden, die jedoch ebenso erfahren und meist auch fair genug waren, den existenziellen Psychostress der Kandidaten abzufedern, entfallen nun bis auf die Abschluss-Lehrprobe. Kritiker wie ein junger Politiklehrer sehen in der Einsparung dieser Direktorenposten freilich einen Hauptgrund der Reform. Doch handelte es sich bei der alten Referendarausbildung - und wer dies durchmachte, war "fürs Leben gestählt" oder aber beschädigt - um eine monatelange demütigende Situation. Eine 31-jährige Deutschlehrerin: "Der Kandidat wurde ständig beobachtet: In acht Lehrproben innerhalb von zwei Jahren, wobei auf den hintersten Stühlen neben dem Schul- und Fachleiter auch noch die übrigen Referendare des Semesters Platz nahmen."

Abhängig vom Gutdünken?

Die Benotung der LiA obliegt nun nicht den Mentoren, sondern vor allem den - ohnehin notorisch überlasteten - Schulleitern. Insgesamt werden neben zwei schriftlichen Hausarbeiten vor allem die Lehrproben begutachtet. Daneben gibt der Schulleiter, der nun der Prüfungskommission angehört, eine Dienstbeurteilung über den Kandidaten ab, testet ihn oder sie im Schulrecht sowie einem weiteren Gespräch im Anschluss an die Lehrprobe. Wie im übrigen Ausbildungsleben auch gilt daher: gerät LiA an einen Direktor, der ihm oder ihr liegt, ist alles prima. Wenn nicht, befinde man sich im verstärkten Abhängigkeitsverhältnis wie weiland beim alten Gutsherrn, fürchten alle Befragten. Durch die online-Verteilung der Kurse über das ganze Land indes sollte zudem die bisherige Fahrerei der pädagogischen Azubis zu den ehemals fünf Seminar-Stätten entfallen. Doch zeichnet sich hier nach Aussage einer jungen Mentorin ein neues Problem ab: "Die LiA melden sich vorsorglich in mehr IQSH-Modulen an als erforderlich, sodass manchem das Wunschseminar verschlossen bleibt - und er somit unter Umständen sogar noch erheblich weiter zu den Veranstaltungen kutschieren muss."

Ein nicht unerhebliches psychologisches Problem der Technokratisierung jedoch dürfte eine typische Nebenfolge aller modernen Internet-Beschäftigung sein: die Vereinsamung. Konnte man früher gerade im Kontakt mit den Leidensgenossen am Seminar seine seelischen Nöte und Ängste abbauen, wenn man sich als 30-Jährige/-r erneut in die Schülerrolle versetzt sah, so bleibt heute wohl die Hoffnung auf einen "netten" Managing Director als Schulleiter. Manchem von ihnen wird nachgesagt, gemäß den erhöhten Entscheidungsbefugnissen am liebsten auch "seine" Kandidaten gleich selber einstellen zu wollen.

Noch ist es zu früh über das neue System zu urteilen. Zumal an den Schulen noch nicht genügend Ausbildungskräfte zur Verfügung stehen. Die Freiwilligen müssen erst in Extrakursen ausgebildet werden. Auch die Schulen müssen eigene Konzepte zur sinnvollen Einbindung der jungen "Hilfslehrer" erarbeiten. Da bleibt ausreichend Zeit, um bis zum Ende der laufenden Pensionierungswelle etwas zu nutzen, von dem in der gegenwärtigen Zeit kaum mehr die Rede zu sein scheint: die Erfahrung der Älteren.


Der Autor ist Gymnasiallehrer und freier Journalist in Aumühle, Schleswig-Holstein.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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