Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 03 / 16.01.2006
Johanna Metz

Keine ganz neue Idee

Damals ...vor 50 Jahren am 18. Januar: Die DDR-Volkskammer beschließt die Schaffung der Nationalen Volksarmee

Der Gesetzestext füllte gerade mal eine DIN-A4-Seite: Es solle eine "Nationale Volksarmee" aus Land-, Luft- und Seestreitkräften geschaffen werden und überdies ein "Ministerium für Nationale Verteidigung" (MfNV), welches die Armee "auf Grundlage und in Durchführung der Gesetze, Verordnungen und Beschlüsse der Volkskammer und des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik" künftig leiten solle. So steht es kurz und knapp im "Gesetz über die Schaffung der NVA und des MfNV", das die Volkskammer am 18. Januar 1956 einstimmig beschloss. Etwas deutlicher wurde da schon die Präambel des Gesetzes. Sie begründete, warum eine solche Maßnahme den Machthabern in der DDR überhaupt notwendig erschien: "Die Wiedererrichtung des aggressiven Militarismus in Westdeutschland und die Schaffung der westdeutschen Söldnerarmee ist eine ständige Bedrohung des deutschen Volkes und aller Völker Europas", heißt es dort unmissverständlich, und der designierte Verteidigungsminister Willi Stoph legte in seiner Rede vor dem Parlament nach: "Der sichtbarste Ausdruck für die Remilitarisierung Westdeutschlands ist die beschleunigte Aufstellung einer Söldnerarmee unter dem Oberkommando amerikanischer NATO-Generäle und die Umwandlung Westdeutschlands und Westberlins in eine NATO-Kriegsbasis." Der Aufbau eigener Streitkräfte zum Schutz der DDR und zur Sicherung des Friedens sei angesichts dieser Situation eine "Notwendigkeit".

War die Errichtung einer Armee, eines eigenen Verteidigungsministeriums und die anschließende Einbindung in das östliche Militärbündnis, den Warschauer Pakt, also die direkte Reaktion auf die als "bedrohlich" empfundene Entwicklung in der Bundesrepublik? Immerhin war der westdeutsche Teilstaat erst wenige Monate zuvor in die Nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft (NATO) aufgenommen worden und hatte kurz darauf begonnen, die ersten Freiwilligen in die neu geschaffene Bundeswehr aufzunehmen.

Heute weiß man: So sehr die DDR-Führung im Winter 1956 auch darauf bedacht war, genau diesen Eindruck zu erwecken - so wenig traf es zu. Denn tatsächlich war man in der Sowjetischen Besatzungszone schon seit 1948 bemüht, bewaffnete Einheiten aufzustellen, nicht zuletzt, weil die Sowjetunion massiv da- rauf drängte. Die Streitkräfte sollten bei nichts Geringerem helfen, als den Sozialismus zu sichern und in der Bevölkerung durchzusetzen.

Bereits ab 1952 begann daher der Aufbau der zunächst über 70.000 Mann starken, so genannten Kasernierten Volkspolizei (KVP). Diese de-facto-Armee, die später geschlossen in die NVA überführt wurde, verfügte schon damals über erste See- und Luftstreitkräfte und Ende 1955 immerhin über 115.000 Sollplanstellen. Als die NVA dann Monate später offiziell gegründet wurde, standen in kürzester Zeit 120.000 Mann unter Waffen. Und für die war es ziemlich einerlei, ob sie den KVP oder der NVA angehörten - der Alltag der Truppe blieb im wesentlichen der gleiche.

Die Bevölkerung sah das allerdings anders: Sie stand der neuen alten Volksarmee skeptisch gegenüber, so sehr, dass die NVA ernsthafte Schwierigkeiten hatte, Freiwillige zu rekrutieren. Ursache war vor allem ein Widerspruch: Schließlich hatte sich die DDR seit jeher ausdrücklich als "Lager des Friedens" verstanden und mit aller Schärfe gegen die "Kriegsvorbereitungen" im Westen gehetzt. Viele Bürger, vor allem pazifistisch orientierte Bezirksleitungen der Freien Deutschen Jugend (FDJ), mochten da nicht recht verstehen, warum die DDR nun über eine eigene Armee verfügen sollte. Ein damaliger Generalmajor bemerkte dazu: "Das Übel besteht darin, dass die Jugendlichen die Losungen, welche wir anwenden gegen die Söldner-Armee, für uns mit in Anspruch nehmen." Eine Lösung fand sich erst, als die DDR 1962 die allgemeine Wehrpflicht einführte.

Knapp 30 Jahre später hatten insgesamt 2,5 Millionen junge Männer die steingraue Uniform der Truppe übergestreift. Sie waren auf riesigen Paraden mit olivgrünen Stahlhelmen an der Staatsführung vorbeimarschiert und durch regelmäßige Politikschulungen auf den Kurs der Parteiführung eingeschworen worden. Es galt, den Befehlen der SED ohne Widerspruch Folge zu leisten und das Feindbild, den "imperialistischen Westen", zu pflegen.

Der allerdings bot knapp 34 Jahre nach Gründung der NVA auch vielen Soldaten eine neue Heimat: Als mit der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 die Nationale Volksarmee aufgelöst wurde, übernahm die Bundeswehr 11.000 der 175.000 Soldaten. Und die mussten sich ganz schön umstellen: Für sie wurde praktisch über Nacht der Feind zum Freund.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.