Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 03 / 16.01.2006
Gernot Facius

Ohne den Bund geht es nicht

Föderalismusreform - Wettbewerb statt Verteilung
Der Zug bewegt sich, aber noch steht das Signal nicht auf freie Fahrt. Die angestrebte Föderalismusreform bedeutet einen Paradigmenwechsel in der Hochschulpolitik. Wettbewerbsföderalismus statt Verteilungs föderalismus - zu revolutionär, um so einfach hingenommen zu werden. Gegen das ehrgeizige schwarz-rote Projekt regt sich Widerstand selbst in den Parteien der Regierungskoalition, vor allem unter den Politikern der Bundesländer.

Die Lage scheint paradox. Jahrelang haben die Länder, nach dem Grundgesetz die Träger der Kulturhoheit, für die alleinige Zuständigkeit in der Schul- und Hochschulpolitik gekämpft. Nun ist die Situation greifbar nah, schon prophezeien SPD-Experten einen empfindlichen Rückschlag für den Bildungsstandort Deutschland. In der Tat kommt auf die 16 Bundesländer eine größere gesamtstaatliche Verantwortung zu. Der Bund, so die Vereinbarungen über die Föderalismusreform, muss sich nach 2013 aus der Förderung des Hochschulbaus völlig zurückziehen; er darf keine Finanzmittel mehr in all jenen Bereichen zur Verfügung stellen, die ausschließlich in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen. Vom Hochschulrahmengesetz bleibt dem Bund nur das Recht, Zugang und Abschlüsse zu regeln - die Länder dürfen davon aber abweichen.

Die Reformer versprechen sich von einer Kompetenzabgrenzung Klarheit bei der Hochschulfinanzierung. Bisher finanzieren Bund und Länder zu gleichen Teilen den Hochschulbau. Künftig sollen das die Länder allein schultern. Noch bis 2013 soll der Bund ihnen dafür seinen Anteil überweisen. Doch das Echo bei den Praktikern ist eher gedämpft. "Es ist zu hoffen", sagt etwa der Rektor der Ruhr-Universität Bochum, Gerhard Wagner, "dass künftig Blockadesituationen, wie das Hickhack um die 1,9 Milliarden Euro der Exzellenzinitiative, vermieden werden. Wichtig wird sein, dass die bisherigen Bundesgelder für Hochschule und Forschung in vollem Umfang an die Länder gehen und dort in die Hochschulen fließen."

Finanzreform steht noch aus

Die Betonung liegt auf "hoffen", nicht nur bei Professor Wagner. Ist doch die finanzielle Situation der Länder sehr prekär. ""Vielmehr müsste jetzt jedes einzelne Land unter Beweis stellen, wie viel ihm der Hochschulbau wert ist", kommentierte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Es ist kein Geheimnis, dass einige Bundesländer schon jetzt Mühe haben, ihre Hochschulbauten in einem vernünftigen Zustand zu halten. Föderalismusreform hin oder her - vermutlich wird erst eine Finanzreform, bei der die Steuereinnahmen zwischen Bund und Ländern neu verteilt werden, wirklich für finanzielle Klarheit sorgen.

Dass in Zukunft neben den Investitionshilfen durch den Bund keine Hochschulsonderprogramme mehr möglich sein sollen, beunruhigt den Wissenschaftsrat "am allermeisten". Er will alles daransetzen, dass dies "im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zurückgedreht wird".

Die Botschaft ist eindeutig: Ganz ohne Bund geht es nicht. Nicht nur bei den Investitionen, sondern auch bei den Kosten der Lehre. Und schon werden in der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) "Notwehr"-Szenarien für den Fall entworfen, dass Bund und Länder nicht gemeinsam handeln: Entweder scheitere die personalintensive Umstellung auf die Bachelor- und Masterabschlüsse, oder es müsse flächendeckend der Numerus clausus eingeführt werden: "Damit würden wir mehrere Generationen von der Hochschulbildung ausschließen." Schon heute entscheiden sich immer mehr Abiturienten für ein Studium. Schulzeitverkürzungen in einigen Bundesländern führen dazu, dass von 2011 an über mehrere Jahre jeweils zwei Abiturjahrgänge die Schulen verlassen werden. Das zwingt zu Konsequenzen. Unter anderem zu der Überlegung, die große Studienreform mit Bachelor und Master durch Hochschulsonderprogramme zu unterstützen. Ein neuer Artikel 104b des Grundgesetzes soll dieses Verfahren verfassungsrechtlich absichern. Der Exzellenzwettbewerb zur Stärkung der Forschung an den Hochschulen soll fortgesetzt werden: Von den 1,9 Milliarden Euro wollen der Bund 75 Prozent und die Länder 25 Prozent aufbringen.

Dass die deutsche Wissenschaft insgesamt durch ein komplexes System von Trägerschaft und staatlichen Zuständigkeiten gekennzeichnet ist und das daraus resultierende Gemenge von Entscheidungswegen entflochten werden muss - daran lassen auch Kritiker der beabsichtigten Föderalismusreform keine Zweifel. Auch die Hochschulrektorenkonferenz steht hinter der Entflechtungsidee. Sie betont aber stark den Gedanken der "nationalen Anstrengung". Eine Zuordnung des Hochschulsystems in die ausschließliche Kompetenz der Länder sei schon angesichts der Entwicklung des europäischen Bildungs- und Forschungsraums nicht vernünftig, "solange Instrumente einer die Bundesländer übergreifenden Koordination mit rechtlicher Bindung nicht existieren oder - wie Staatsverträge - zu unflexibel sind", gab die HRK schon im Oktober zu Protokoll. "Eine stark reduzierte, insbesondere auf die internationale Handlungsfähigkeit gerichtete Rahmenkompetenz des Bundes auch für das Hochschulwesen muss daher erhalten bleiben." Die HRK beschrieb aber auch gleich, woran sich die Politik der Entflechtung verfassungsrechtlicher Zuständigkeiten zu orientieren habe: an den Kriterien von Effizienz und Qualitätssteigerung in Wissenschaft und Forschung.

Darüber wird noch gestritten werden, wenn in diesem Jahr das konkrete Gesetzgebungsverfahren beginnt. Dann kommt auch aufs Tapet, ob die geplante Föderalismusreform zu einem Flickenteppich von Regelungen beim Hochschulzugang und bei den Abschlüssen führt - zum Schaden der Mobilität von Studenten und Professoren. Der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Karl Max Einhäupl, äußerte jedenfalls "Zweifel, ob die Kultusminister in der Lage sind, die gegenseitige Anerkennung geregelt zu bekommen".


Der Autor ist Redaktionsmitglied der Tageszeitung "Die Welt".


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