Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 03 / 16.01.2006
Heiko Schwarzburger

Ein rauer Wind weht

Debatte über Studiengebühren
Es war ein Nikolausgeschenk der besonderen Art: Anfang Dezember vergangenen Jahres beschloss der Landtag in Hannover, dass die Studenten an den niedersächsischen Hochschulen demnächst 500 Euro im Semester hinblättern müssen. Studienanfänger sollen schon ab Herbst 2006 zur Kasse gebeten werden. Damit führt Niedersachsen als erstes Bundesland die umstrittenen Studiengebühren ein. Baden-Württemberg könnte ein Jahr später folgen, auch das Saarland und Hamburg erwägen diesen Schritt.

Hans-Dieter Rinkens, Präsident des Deutschen Studentenwerkes, mahnte, "dass die Länder ihre Zuschüsse zur Studienfinanzierung ausbauen, dass sie Stipendienprogramme auflegen und bei der Gebührenerhebung auf die tatsächliche finanzielle Situation der Studenten abstellen." Insbesondere Studenten, deren Budget unter dem gesetzlichen Mindestbedarf von 640 Euro im Monat liegt, sollten von Gebühren freigestellt werden. Rinkens präzisierte: "Dies muss für deutsche wie auch für ausländische Studenten gleichermaßen gelten." Schon heute muss ein Viertel der rund zwei Millionen Studenten in Deutschland mit 600 Euro und weniger im Monat auskommen. "Wir müssen in Zukunft vor allem Studenten aus einkommensschwachen und aus Mittelstandsfamilien gewinnen, um die Studierquote in Deutschland wirklich auf 40 Prozent zu erhöhen", warnte Rinkens.

Allen Mahnungen zum Trotz steigt die Flut. Auch das bayerische Kabinett beschloss Anfang Dezember 2005, dass im Sommer 2007 im Freistaat bis zu 500 Euro Studiengebühren fällig werden. Schon ab Herbst 2006 will Nordrhein-Westfalen von den neuen Studenten Gebühren eintreiben. Auch das bevölkerungsreichste Bundesland, das zudem die meisten Hochschulen und Studenten hat, rechnet mit 500 Euro pro Nase. Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) erhofft sich davon Mehreinnahmen in zweistelliger Millionenhöhe. Ab dem Frühjahr 2007 soll die Zahlungspflicht für alle Studenten gelten. Allerdings ist Ärger vorprogrammiert: Pinkwarts Vorstoß schließt die Empfänger von Ausbildungsförderung des Bundes (BAföG) ausdrücklich in die Zahlungspflicht ein. "Für sie wird es eine Kappungsgrenze bei 10.000 Euro geben", beschwichtigte er. In der Realität haben die Betroffenen wenig von solchen Rechenspielen: Selbst wer den BAföG-Höchstsatz bekommt, liegt inklusive verzinster, nachlaufender Gebühren nach zehn Semestern nur etwa 1.500 Euro über der Kappungsgrenze. Immerhin erhält jeder sechste der 420.000 Studierenden in NRW einen monatlichen Zuschuss aus dem BAföG.

Offene Konkurrenz

In zwei Punkten preschte Pinkwart weiter vor, als seine Ressortkollegen in den anderen Bundesländern. Zum einen will der Minister, dass die Hochschulen selbst entscheiden, ob sie die Gebühren in voller Höhe von 500 Euro ausschöpfen. Wohl hoffend, dass die Konkurrenz das Geschäft belebe. "Das führt zu Zerreißproben in den Hochschulen", prophezeite Dieter Timmermann, Sprecher der Hochschulrektoren in NRW. Um das Chaos nicht ausufern zu lassen, werden sich die Hochschulen schnell darauf verständigen, den Höchstsatz auszureizen. Die erhoffte Konkurrenzsituation dürfte sich also gar nicht erst einstellen. Auch Pinkwarts Idee einer "Geld-zurück-Garantie" stößt bei den Hochschulen auf wenig Gegenliebe. Er will, dass Studenten, die wegen Überfüllung bestimmte Pflichtkurse nicht besuchen können, ihre Beiträge zumindest teilweise erstattet bekommen. "Jede Hochschule muss sich verpflichten, eine Schiedskommission einzurichten, die sich solcher Fälle annimmt", schlägt er vor.

Die Auswirkungen dieser Idee liegen noch völlig im Dunkeln. Wenn ein Student für sein Studium zahlt, und die Hochschule ihre Leistungen nicht ordnungsgemäß erbringt, werden sich die Dekane und Präsidenten sehr schnell vorm Kadi wiederfinden. Eine Schiedskommission, wie auch immer vom Gesetzgeber konzipiert, dürfte sich als Rohrkrepierer erweisen. Denn die Gebühren machen aus den Studenten zahlende Kunden, die den Universitäten ganz anders als bisher gegenübertreten. Bislang waren sie den desolaten Betreuungsverhältnissen nahezu wehrlos ausgeliefert.

So hat die Freie Universität Berlin die Verwaltung ihrer Studenten im vergangenen Herbst auf eine unausgereifte Software umgestellt, die bei den Einschreibungen der Studenten in ihre Pflichtkurse ein heilloses Durcheinander verursachte. Manche Studenten verlieren bis zu einem Jahr Zeit. Hätten sie Gebühren gezahlt, entstünde möglicherweise ein juristisch einklagbarer Anspruch auf ordnungsgemäße Studienbedingungen, inklusive Schadenersatz für längere Studienzeiten. Solche Klagen rollen beinahe unvermeidlich auf die Universitäten zu. So freute sich zwar der Tübinger Rektor Eberhard Schaich angesichts der Gebührenpläne im Ländle, "dass wir ab 2007 mehr Lehrkräfte einstellen können. Das bedeutet einen gewaltigen Qualitätsschub." Aber Tatsache ist: Die Einnahmen aus den Gebühren werden nicht ausreichen, die grundsätzliche Unterfinanzierung und damit mangelhafte Betreuungssituation an den Hochschulen zu beheben. Auch nicht mit 1.000 oder 2.000 Euro im Semester.

Verbesserungseffekt fraglich

Im Gegenteil: Nach Berechnungen der Kultusminister werden zwischen 2011 und 2020 jährlich mehr als 450.000 junge Leute an die deutschen Hochschulen drängen, die Zahl der Studenten wird auf fast drei Millionen hochschnellen. Eigentlich eine schöne Prog-nose, beklagen doch Politiker und Unternehmer unisono, dass Deutschland zu wenig Akademiker ausbildet. Doch die Anhänger der Studiengebühren geraten nun in Erklärungsnöte: "Bevor wir auf das Problem des zu erwartenden Studentenbergs aufmerksam geworden sind, haben die Hochschulpolitiker betont, dass die Studiengebühren die Lehre unter den schon jetzt bestehenden Bedingungen der Überlast verbessern sollen", sagt der Berliner Mediziner Karl Max Einhäupl, Vorsitzender des Wissenschaftsrats. "Wenn mit den Einnahmen aus den Studiengebühren die auf uns ab 2011 zukommenden zusätzlichen Studentenmassen kompensiert werden sollen, wird der Effekt für die Verbesserung der Lehre verpuffen. Diese Begründung würde angesichts eines neuen Massenandrangs von Studenten unter den Tisch fallen."

Und: Da bisher nur einige Bundesländer konkret über Gebühren entscheiden, ist noch nicht abzusehen, ob den gebührenfreien Ländern nicht schon im Herbst 2006 ein unkontrollierbarer Studentenansturm droht. Zwar stellen beispielsweise Baden-Württemberg und Bayern ihren Landeskindern Sonderkredite der Landesbanken in Aussicht. Doch einer jungen Frau aus Sachsen, die an einer bayerischen Hochschule studieren will, muss dieser Weg gleichfalls offen stehen. Hans-Dieter Rinkens vom Deutschen Studentenwerk befürchtet einen hochschulpolitischen "Rückfall in die Kleinstaaterei sowie Mobilitätshemmnisse für die Studenten".

Auch hier werden die Gerichte manchen frommen Wunsch der Landespolitiker beerdigen. Wie bereits geschehen: So entschied das Oberwaltungsgericht Hamburg Ende 2005, dass Studiengebühren nicht vom Wohnort des Studenten abhängig gemacht werden dürfen. Die Freie und Hansestadt wollte alle nicht in Hamburg lebenden Studenten zur Kasse bitten. Das Gericht argumentierte, dass damit die grundgesetzlich geschützte freie Wahl des Wohnsitzes und der Gleichbehandlungsgrundsatz aller deutschen Bürger gefährdet seien. Es verfügte die sofortige Aussetzung derartiger Gebühren, denn der Ausgleich von Bildungslasten durch Kinder anderer Bundesländer sei im Länderfinanzausgleich ausreichend geregelt.

Globaler Wettbewerbsvorteil passé?

Die Studiengebühren werden daneben aber noch einen anderen Effekt haben, der bislang kaum in der Öffentlichkeit diskutiert wurde: Das kostenfreie Studium galt als globaler Wettbewerbsvorteil der deutschen Hochschulen. Mit Studiengebühren gibt es keinen Grund mehr, sich bei der Wahl der Hochschule auf Deutschland zu beschränken. Junge Leute sprechen heutzutage fließend Englisch, sie sind mobil und haben kaum Schwierigkeiten damit, für einige Jahre in die Ferne zu gehen. Da die deutschen Hochschulen derzeit auch bei den Abschlüssen das angloamerikanische Modell der Bachelor und Master übernehmen, werden zumindest die besten Studenten für ihr teures Geld ins Ausland abwandern. Oder von zu Hause aus "online" studieren, ohne Wartesemester und dennoch hervorragend betreut. So bietet die britische Open University im Internet schon jetzt ein komplettes Psychologiestudium mit dem Abschluss eines "Bachelor of Science with Honors in Psychology" an, anerkannt vom Bundesverband der deutschen Psychologen. Die Kursgebühren bewegen sich auf dem Niveau der geplanten Studiengebühren in Deutschland.


Der Autor ist Wissenschaftsjournalist in Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.