Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 03 / 16.01.2006

Größere Autonomie weitergeben

Im Gespräch: Christiane Ebel-Gabriel
Interview mit Christiane Ebel-Gabriel, Generalsekretärin der Hochschulrektorenkonferenz, über Studiengebühren, politische Zuständigkeiten und die Zukunft der Hochschulen.

Das Parlament: Frau Ebel-Gabriel, ein heiß diskutiertes Thema sind die Studiengebühren beziehungsweise Studienbeiträge. Sind sie überhaupt ein richtiger Schritt, um Verkrustungen an den Hochschulen aufzubrechen?

Christiane Ebel-Gabriel: Die HRK hat sich für Studienbeiträge ausgesprochen. Wir haben aber gleichzeitig deutlich gemacht, dass sie nur unter bestimmten Voraussetzungen Sinn machen. Die Studienbeiträge müssen ausschließlich als Drittmittel zur Verbesserung der Lehre genutzt werden. Die Studierenden müssen erkennen können, dass damit ihre Studienbedingungen verbessert werden. Das heißt zum Beispiel, dass mit diesen Einnahmen nicht Stellen geschaffen werden dürfen, die kapazitätswirksam werden, so dass dann wieder mehr Studierende zugelassen werden, statt damit die Studiensituation zu verbessern. Und die Hochschulen müssen die Freiheit haben, innerhalb eines Korridors oder unterhalb einer Obergrenze selber zu entscheiden, in welcher Höhe sie solche Studienbeiträge erheben. Zentral wichtig ist, dass die Auflage des Bundesverfassungsgerichts, Studiengebühren sozialverträglich zu gestalten, nicht auf die Hochschulen abgewälzt wird. Ausfallfonds von den Hochschulen finanzieren zu lassen, die bei der Stellung von Krediten ja nur das Risiko tragen, aber nicht den wirtschaftlichen Gewinn haben, ist ein Unding. Das ist eine Aufgabe des Staates zusammen mit den Banken als Kreditgeber.

Das Parlament: Die finanzielle Zukunft der Hochschulen ist auch mit Studiengebühren nicht rosig. Sie wollen die Wirtschaft stärker ins Boot holen und auch Ehemalige stärker einbinden. Wie erfolgreich sind die Hochschulen in diesem Bereich bisher?

Christiane Ebel-Gabriel: Wir haben mit Bedauern festgestellt, dass sich die Ankündigung aus der Wirtschaft, einen Stipendienfonds zustande zu bringen, offenbar nicht realisieren lässt. Wir hoffen aber trotzdem, dass es durch direkte Kontakte zwischen Unternehmen und einzelnen Hochschulen dazu kommt, dass Mittel für Stipendien zur Verfügung gestellt werden. Hochschulen müssen allerdings als Institution in der Gesellschaft deutlicher sichtbar werden. Ein wesentlicher Beitrag dazu ist die Pflege von Nachkontakten. Ich glaube nicht, dass wir in Deutschland davon ausgehen können, dass Alumnipflege unmittelbar in die Generierung größerer Geldbeträge mündet. Das sollten wir auch gar nicht anstreben. Wir haben keine Stifterkultur, wie man sie in Amerika hat. Aber eine Verbundenheit herzustellen zwischen denen, die in der Arbeitswelt sind und der Hochschule, der sie diese Arbeitsmarktchance verdanken, das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass man alles Mögliche für die Hochschule erreichen kann: politische Sichtbarkeit, Rat über Beiräte, Entwicklungsperspektiven.

Das Parlament: Bleibt die Hoffnung auf höhere Landeszuschüsse, um die Hochschuletats zu erhöhen. Ist das realistisch?

Christiane Ebel-Gabriel: Das muss realistisch sein. Es ist natürlich nicht realistisch, wenn man den gegenwärtigen finanziellen Ansatz und das Steueraufkommen der Länder betrachtet. Es ist dann realistisch, wenn Politik und Öffentlichkeit erkennen, welche Bedeutung die Wissenschaft für die Entwicklungsfähigkeit eines einzelnen Bundeslandes, aber auch der Bundesrepublik und Europas insgesamt, hat. Nur wenn hier eine klare Prioritätensetzung erfolgt, wie das in Österreich oder auch in Großbritannien gerade passiert ist, dann werden auch zusätzliche Mittel verfügbar gemacht werden. Insofern ist es realistisch, wenn man die Bedeutung des Hochschulsystems für Ausbildung und Forschung eben wirklichkeitsgerecht einschätzt.

Das Parlament: In Zukunft soll es im Hochschulbereich mehr Föderalismus geben, sprich mehr Länderverantwortung für die Hochschulen und weniger Bundesverantwortung. Besteht nicht die Gefahr einer zerklüfteten Hochschullandschaft?

Christiane Ebel-Gabriel: Natürlich sehen wir diese Gefahr. Wir hören ja gelegentlich den bösen Satz, dass es leichter ist, die Mobilität der Studierenden zwischen einer bayerischen Hochschule und den USA herzustellen, als zwischen Bayern und Nordrhein-Westfalen. Das ist zugespitzt, aber nicht unrealistisch, da die Umsetzung des Bologna-Prozesses unterschiedlich weit fortgeschritten ist. Ich denke, die gestärkte Zuständigkeit der Länder bietet Chancen, stellt aber auch eine große Herausforderung dar. Die Ministerpräsidenten und Wissenschaftsminister kündigen immer wieder an, dass es durch einen gestärkten Wettbewerb zwischen den Ländern auch verstärkte Investitionen in die Hochschulen geben wird. Wenn sich diese Erwartungen erfüllen, wäre das außerordentlich zu begrüßen. Dies aber setzt eben die Prioritätenverschiebung voraus, von der ich gerade gesprochen habe. Die Hochschulen haben in der Vergangenheit oft die Erfahrung gemacht, dass die Länder in erster Linie Budgets kürzen. In der Neuordnung der Zuständigkeiten liegt eine Chance, aber sie muss jetzt auch wirklich genutzt werden. Das andere Thema ist Mobilität als Voraussetzung für Wettbewerb. Wir haben einen großen Abstimmungsbedarf in der Ausgestaltung des Bologna-Prozesses, zum Beispiel durch die Umstellung so schwieriger Bereiche wie Lehramtsstudiengänge. Oder nehmen Sie die Einführung von Studiengebühren. Wenn die Kredite nicht transferierbar sind, ist die Mobilität eingeschränkt. Das ist ein extremes Qualitätshemmnis. Ohne Mobilität kann der Wettbewerb nicht stattfinden. Wir haben unterschiedlich ausgestaltete Zulassungsverfahren. Eine wichtige Forderung der Hochschulen lautet, dass die größere Autonomie, die die Länder jetzt vom Bund in der Zuständigkeit für die Hochschulen erhalten, direkt an diese weitergegeben werden müsse. Die Länder müssen ihren neuen Spielraum nutzen und an die Hochschulen weitergeben, so dass die Hochschulen in einen Wettbewerb treten können. Das ist ja auch das Erfolgsrezept der angelsächsischen Länder.

Das Parlament: Der Staat hat auf der einen Seite die gesetzliche Zuständigkeit für den Hochschulbereich. Auf der anderen rufen die Hochschulen nach mehr Autonomie und Regelungszuständigkeiten. Wie kann hier ein vernünftiges Miteinander aussehen?

Christiane Ebel-Gabriel: Also, der Staat regelt, dass die Hochschulen Studienbeiträge zur Verbesserung der Lehre erheben dürfen. Er ermächtigt die Hochschulen, diese Gebühren einzunehmen und er definiert einen Korridor, innerhalb dessen sich die Studiengebühren bewegen. Aber zwingend ist die Erhebung nicht. Und alles andere muss Aufgabe der Hochschulen sein. Ein anderes Beispiel: Die Hochschulen haben die Möglichkeit, de facto 80 Prozent der Studierenden selbst zuzulassen. Hier ist es wieder eine Frage der Definition der Kriterien. Es reicht, wenn der Staat sagt, das Abitur ist die erste Voraussetzung und die Hochschulen lassen nach dem Kapazitätsrecht die Studierenden nach ihren eigenen Kriterien zu. Wir haben in einer Reihe von Ländern die Situation, dass die Gewichtung der Abiturnote von staatlicher Seite vorgegeben wird. Das ist nicht sinnvoll. Genauso wie es nicht hilfreich ist, Übergangsquoten zwischen Bachelor- und Masterstudiengängen staatlich festzuschreiben oder die Zahl der Masterangebote an Hochschulen. Man kann nicht von Markt und Wettbewerb reden und dies andererseits wieder von staatlicher Seite vorgeben. Dann kann die Selbstkorrektur im Wettbewerb nicht greifen.

Das Parlament: Was bedeutet das? Es geht unter anderem auch um mehr Qualitätsmanagement an den Hochschulen in der Praxis.

Christiane Ebel-Gabriel: Das Neue an der gesamten Diskussion ist, dass man Steuerungsprozesse im Hochschulbereich an Qualitätskriterien bindet. Das betrifft die Vergabe von Mitteln zwischen Staat und Hochschule wie auch innerhalb der Hochschule. Die kann man nach den unterschiedlichsten Kriterien vergeben. Gut ist, wenn man sie im Sinne einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung der Kriterien wissenschaftlicher Qualität vergibt. Das setzt voraus, dass man diese Qualität kennt. Das wiederum setzt voraus, dass man zunächst weiß, was man für Qualität hält. Was macht gute Lehre aus? Eine hohe Zahl von Studierenden? Eine besonders gute Betreuung, besonders gutes Lehrmaterial, die Studierbarkeit, eine breite Interdisziplinarität, eine hohe Absolventenquote? Das nächste ist systematische Qualitätserkenntnis anhand der selbst definierten Ziele. Das ist ein erheblicher Prozess für die Hochschule, weil er schließlich eine Selbstreflexion voraussetzt. Und dann geht es darum, Verfahren zu entwickeln. Es gibt welche, die den Schwellenstandard sichern. Da ist zum Beispiel die Akkreditierung als die Voraussetzung für die Einführung von Studiengängen. Dann gibt es Evaluationsverfahren. Es wäre natürlich wünschenswert, dass diese ineinander greifen, sodass man Evaluationserkenntnisse in der Akkreditierung berücksichtigen kann, dass man dann breitere Qualitätserkenntnisse zusammenführen und irgendwann sagen kann, eine Hochschule hat zum Beispiel so gute Prozesse im Management von Qualität, dass wir davon ausgehen, wir müssen nicht jeden einzelnen Studiengang akkreditieren, wenn die Hochschule das nicht möchte. Wir wünschen uns unterschiedliche Formen und Stufen der Qualitätssicherung. Dann bleibt die Frage, ob man in Deutschland irgendwann zur institutionellen Akkreditierung kommt.

Das Parlament: Ein kurzer Blick auf die Forschung. Müssen die aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen wissenschaftsfreundlicher werden, beispielsweise in der Gentechnologie?

Christiane Ebel-Gabriel: Wenn sie es nicht werden, dann werden wir weiterhin ein Abwandern der aktuellen Forschung in diesem Bereich ins Ausland erleben. Deutschland hat auf manchen Gebieten schon einen deutlichen Rückstand. Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben es immer wieder beklagt. Auch die DFG betont das für die Hochschulen immer wieder. Natürlich gibt es ein großes Maß an Verantwortung. Aber wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass man diese Verantwortung gestalten muss und sich ihr nicht einfach verweigern darf. Denn dass Deutschland wenigstens wieder den Anschluss finden kann in diesen Bereichen der Forschung, das ist, glaube ich, schon zentral wichtig. Es ist außerordentlich bedauerlich und gefährlich, wie weit wir hier in einzelnen Gebieten schon zurück gefallen sind. Die Reglementierung, die wir in Deutschland haben, trägt auch dazu bei, dass diese Forschung nicht ausschließlich, aber zum Teil in Teilen der Welt gemacht wird, wo man ganz deutlich unter ethische Standards zurückfällt, die wir als Minimalstandards ansehen würden. Aus dem Verantwortungsgesichtspunkt hieße es aus meiner Sicht: Forschung möglich machen und dafür sorgen, dass kein Missbrauch betrieben wird.

Das Parlament: Der Autonomieprozess der Hochschulen steht noch ganz am Anfang. Trotzdem ein kurzer Blick in die Zukunft. Wo sieht das Hochschulsystem der Zukunft aus?

Christiane Ebel-Gabriel: Wir wollen Verschiedenes von einer Hochschule in einer Gesellschaft: Innovation, Arbeitsplätze, Qualifizierung von Führungsnachwuchs, Qualifizierung von 40 oder 45 Prozent einer Alterskohorte, lebenslange Weiterbildung. Wir müssen der Tatsache Rechnung tragen, dass man das nur in einer ausdifferenzierten Hochschullandschaft kann. Das ist eine meiner Visionen für die Zukunft. Nicht mehr nur eine Pyramide, sondern viele. Und eine leistungsorientierte Finanzierung und Förderung von Hochschulen, die auch diesen unterschiedlichen Erwartungsprofilen Rechnung trägt. Mir erscheint es wichtig, dass eine Hochschule ihr eigenes Handeln finanziell und in der Profilbildung weitgehend selbst bestimmen kann, sie aber Rechenschaft gibt über das, was sie tut, und zwar gegenüber der Gesellschaft und den Geldgebern. Sie muss bereit sein, sich dem durchaus scharfen Wettbewerb zu stellen. Für die interne Struktur einer Hochschule heißt das wahrscheinlich auch, dass man sich über die Aufgabenverteilung zwischen Forschung und Lehre neue Gedanken machen muss. Dass Forschung und Lehre zusammen gehören, insbesondere in einer Universität, aber anders gewichtet auch in einer Fachhochschule, ist unverzichtbar. Das heißt aber nicht, dass jeder unbedingt alles machen muss. Denkbar sind auch Strukturen, in denen einerseits die Lehre verankert ist und andererseits der Forschungsauftrag und die Lehre sich strukturell und personell überschneiden und gegenseitig bereichern. Da müssen wir über neue Konzepte nachdenken, wenn wir gerade angesichts der wachsenden Erwartung in der Lehre und einer hohen Spezialisierung in der Forschung entwicklungsfähig bleiben wollen.


Das Interview führte Ines Gollnick.


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