Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 03 / 16.01.2006
Silke Linneweber

Per Darlehen zum Examen

Der neue Markt fordert Studierende zum Kalkulieren heraus

Studieren geht ganz schön ins Geld. Mindestens 694 Euro haut der akademische Nachwuchs im Durchschnitt pro Monat auf den Kopf, hat das Deutsche Studentenwerk ausgerechnet. Ausgaben für die schönen Dinge des Lebens nicht mitgezählt. 250 Euro verschlingt die Miete, 159 Euro das Essen. Den Rest brauchen Studierende für Lernmittel sowie für Grundbedürfnisse wie Telefonieren und Kleidung oder die Krankenversicherung. Künftig wird das studentische Dasein noch teurer. Denn über kurz oder lang werden die meisten Studies in Deutschland Gebühren zahlen müssen. Als erstes Bundesland macht demnächst Niedersachsen Schluss mit dem kostenlosen Erststudium. Vom Wintersemester 2006/07 an müssen Studienanfänger in Norddeutschland 500 Euro pro Halbjahr aufbringen. Für alle anderen angehenden Akademiker rund um Hannover wird die Gebühr vom Sommersemester 2007 an fällig.

Möglich macht das ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Vor rund einem Jahr gab das Verfassungsorgan nämlich den Weg frei für allgemeine Studiengebühren. Gleichzeitig forderten die Karlsruher Richter aber auch, dass dem Nachwuchs passende Finanzierungsmöglichkeiten an die Hand gegeben werden müssen. Quasi als Nebenprodukt des Urteils entstand so einer neuer Markt für ein innovatives Finanzprodukt - den Studienkredit. Experten schätzen das Marktvolumen auf immerhin rund 500 Millionen Euro pro Jahr.

Bisher liegen erst wenige Angebote auf dem Tisch. Den Vorreiter spielen die Sparkassen und die Deutsche Bank, die ihre Produkte pünktlich zum Beginn des Wintersemesters 2005/06 vorstellten. Ursprünglich ebenfalls im Oktober wollte die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ein Studienkreditprogramm auflegen. Im Sommer machte die staatliche Bank jedoch einen Rückzieher. Offiziell um "für die Einführung ein besseres Umfeld zu gewährleisten", sprich, um den Bundestagswahlkampf auszusitzen. Gerüchten zufolge hatte sie jedoch mit Vertriebsproblemen und Vorbehalten der Wettbewerbswächter zu kämpfen. Nun soll der Studienkredit zum Sommersemester 2006 starten. "Uns geht es darum, ein Angebot für die Finanzierung des Lebensunterhaltes zu schaffen", betont Vorstandssprecher Hans W. Reiche. Weitere Anbieter dürften folgen. "Derzeit sondieren wir den Markt", sagt etwa ein Sprecher der Dresdner Bank. Wie das Produkt aussieht, bleibt noch Geschäftsgeheimnis. Hinzu kommt: Einzelne lokale Institute bieten ebenfalls Studienkredite an. Diese richten sich jedoch häufig an Lernende bestimmter Hochschulen und Akademien vor Ort. Schon jetzt steht fest: Studierende mit Kreditwunsch müssen sehr genau hinsehen. Die Angebote variieren stark.

So bietet die Deutsche Bank Verschuldungswilligen aller Studiengänge bis zu 800 Euro im Monat. Wegen der hohen Abbruchraten bekommen Erstsemester allerdings nur ein Viertel dieser Summe. Nach höchstens fünf Jahren ist Schluss. Wann frisch gebackene Akademiker das Geld zurückzahlen, hängt zum Teil von ihnen ab. Aber spätestens zwölf Monaten nach Abschluss will die Bank das erste Geld sehen. Die Tilgung kann über zwölf Jahre gestreckt werden. Der Zinssatz liegt bei 5,9 Prozent. Erhältlich ist das Produkt in den campusnahen Filialen der Deutschen Bank.

Die Sparkassen stürzen sich ebenfalls ins Getümmel. Hier gilt: Jedes Institut bastelt sein eigenes Angebot. So wird etwa der Zins vor Ort festgelegt. Den Rahmen liefert der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV). Der Kredit wird unabhängig vom Fach und vom Einkommen der Eltern gewährt und über maximal sechs Jahre ausgezahlt. Für die Rückzahlung hat der Schuldner höchstens zehn Jahre Zeit. Zwischen Auszahlung und Tilgung liegen zwei Jahre Pause. In dieser Zeit können sich die Absolventen beruflich orientieren. Außerdem bieten die Sparkassen ein Netz, falls alle Stricke reißen: Berufsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit werden über eine Restkreditversicherung abgefangen. Wie üppig das Darlehen ausfällt, gibt der DSGV nicht vor. "Unsere Empfehlung liegt bei einer Darlehenshöhe von 25.000 Euro", sagt Vorstand Christoph Schulz. Im Kampf um Kunden spielen die Sparkassen übrigens einen dicken Heimvorteil aus. Nach Angaben des DSGV hat rund die Hälfte der Studierenden ihre Hauptkontoverbindung bei einem der öffentlich-rechtlichen Institute.

Auch der Rahmen des KfW-Programms steht bereits: maximal 650 Euro im Monat für längstens zehn Semester, zu einem Zinssatz zwischen fünf und 5,5 Prozent, in der Rückzahlung auf bis zu 25 Jahre streckbar. Außerdem soll die Tilgung vom Einkommen abhängen. Den Vertrieb werden aller Voraussicht nach die Volks- und Raiffeisenbanken übernehmen.

Wer auf Pump studieren will, muss also zum Taschenrechner greifen, um das passende Angebot zu finden. Als Faustregel gilt: Der billigste Kredit ist der mit dem niedrigsten Effektivzins. Wird er über die gesamte Laufzeit garantiert, lässt sich die Belastung recht gut überschauen. Anders bei variablen Zinssätzen. Hier müssen Studierende damit rechnen, dass sie in den kommenden Jahren steigen. Außerdem wichtig: Kaum ein Studium verläuft nach dem 08/15-Schema. Wer kann, sollte mit seiner Bank schon im Vorfeld mögliche Szenarien klären. Wie werden Auslandsaufenthalte gehandhabt? Was passiert, wenn der Kreditnehmer in Elternzeit geht? Was, wenn er das Fach wechselt oder das Studium an den Nagel hängt?

Fragen, die gut durchdacht werden müssen. Denn wer einen Kredit aufnimmt, muss ihn auch zurückzahlen. Eine Belastung, die nach dem Studium ganz schön drücken kann. Wer etwa vom nächsten Sommer an über acht Semester 650 Euro im Monat bei der KfW leiht, steht anschließend mit 31.200 Euro Schulden da. Hinzu kommen Zins und Zinseszins. Die Bank rechnet vor: Bei einem Zinssatz von 5,1 Prozent werden über 15 Jahre monatlich 248 Euro fällig. Das entspricht 7,4 Prozent eines Jahresbruttoeinkommens von 40.000 Euro. Eine hübsche Summe, die wohl nur aufbringen kann, wer nach dem Abschluss gut verdient. Für alle anderen heißt es schnell: Kredittilgung statt Auto, Wohnung oder Familie.

Ob die Zielgruppe das Angebot tatsächlich annimmt, steht in den Sternen. "Die Verschuldungsbereitschaft von Studierenden ist relativ gering", glaubt Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerkes. Eine Umfrage des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) gibt ihm Recht: Nur 21 Prozent der Jugendlichen wären vielleicht bereit, einen Studienkredit aufzunehmen.

Hinzu kommt: Bestehende Verschuldungsmöglichkeiten werden kaum genutzt. Das zeigt die aktuelle Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks. Beispiel BAföG: 2003 erhielten rund 27 Prozent der angehenden Akademiker das öffentliche Teildarlehen. Aber vor allem Förderbeträge bis 250 Euro werden nur zögerlich abgerufen. Anscheinend sträuben sich Studierende, bei Vater Staat wegen relativ geringer Beträge in der Kreide zu stehen. Als in den 80er-Jahren unter Helmut Kohl das BAföG auf ein Volldarlehen umgestellt wurde, wurde der Aufenthalt an der Hochschule für viele unattraktiv. "Die Zahl der Abiturienten im dualen Ausbildungssystem stieg um 10.000 bis 20.000", sagt Meyer auf der Heyde.

Nur zwei Prozent der Studierenden verschuldeten sich bei einer Bank oder bei Dritten um einen Teil ihrer Lebenshaltungskosten zu decken oder nahmen einen so genannten Bildungskredit auf. Dieses Programm des Bundesbildungsministeriums greift seit 2001 Studies kurz vor dem Examen mit bis zu 7.200 Euro unter die Arme. Im Durchschnitt borgten sich die Nutzer 295 Euro im Monat aus dem staatlichen Programm. Bei den privaten Darlehen lag der Betrag bei 253 Euro. Sein Fazit: Kredite könnten andere Geldquellen höchstens ergänzen. "Vorausgesetzt, sie sind allgemein zugänglich, weisen gleiche Zinssätze über alle Fächer auf und machen die Belastung transparent", findet er.


Die Autorin ist Redakteurin beim "Rheinischen Merkur" in Bonn.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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