Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 03 / 16.01.2006
Florian Kain

Umkrempeln um jeden Preis

Hamburg: Wirtschaft und Wissenschaft sollen stärker zusammenarbeiten
Die Aufregung um seinen hochschulpolitischen Reformkurs hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt: Jörg Dräger, der parteilose Wissenschaftssenator im Hamburger CDU-Senat, ist in der Hansestadt mit dem ehrgeizigen Ziel angetreten, die universitäre Ausbildung von Grund auf umzukrempeln. Überall sieht er Ansatzpunkte für Reformen, jede Gründung einer neuen Mini-Hochschule auf Hamburger Boden ist ihm willkommen. Und ständig hört man ihn in der Elbmetropole über "innovative Konzepte", "neue Chancen", "Visionen" und "zu sprengende Fesseln" reden.

Klar, dass der promovierte Physiker an vorderster Front mit dabei war, als es um die rasche Einführung von Studiengebühren ging oder um den Austausch von Diplom- und Magisterabschlüssen gegen die international gängigeren Bachelor- und Mas-tertitel. Denn Dräger bewundert das Ausbildungssystem der amerikanischen Universitäten.

Konservativ kann man seine Politik kaum nennen; dafür treibt er den Umbau insbesondere der Universität Hamburg zu radikal voran. Aber die Rückendeckung von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) genießt der 37-Jährige dennoch: Der Senatspräsident bezeichnet den Ex-Unternehmensberater, der seine Dienste einst auch der damals noch regierenden SPD angeboten hatte, als "Perle" der Hamburger Regierungsmannschaft. Dabei ist die Bilanz Drägers seit seinem Amtsantritt 2001 durchaus umstritten.

Fakultäten statt Fachbereiche

Was er bislang erreicht hat, ist vor allem eine Veränderung grundlegender Strukturen. So existieren an der Uni und an der "Hochschule für Angewandte Wissenschaften" (HAW, früher: Fachhochschule) seit Sommersemester 2005 keine Fachbereiche mehr, sondern stattdessen Fakultäten, in denen unterschiedlichste Disziplinen zu großen Einheiten zusammengefasst wurden. Diese sollen, so die Theorie, weitgehend eigenständig die Hochschulaufgaben auf ihrem jeweiligen Gebiet wahrnehmen. Zu diesem Zweck wurde die Macht der Dekane gestärkt, während das Präsidium weniger Eingriffsmöglichkeiten hat als früher.

Aus den Fakultäten - das ist die Vision des ehrgeizigen Senators - könnten eines Tages sogar eigenständige Hochschulen entstehen. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür wurden geschaffen. Kritiker halten dem Wissenschaftssenator deshalb vor, er betreibe eine Zersplitterung des Hochschulsystems in der Elbmetropole.

Tatsächlich scheint ihm die in Hamburg bis zu seinem Amtsantritt gültige Idee einer Universität, an der unter einem Dach von Ägyptologie bis Zoologie die unterschiedlichsten Fächer gelehrt werden, wenig zukunftstauglich zu sein. Denn Dräger fördert neben Neugründungen wie der "Media School" auch Ausgliederungen wie die jüngst beschlossene "HafenCity Universität Hamburg" (HCU). In ihr sollen unter anderem die Architektur-Studiengänge der Hochschule für bildende Künste (HfbK) und der HAW sowie der Studiengang Stadtplanung der Technischen Universität Hamburg-Harburg zusammengefasst werden, was bei den betroffenen Instituten nicht gerade Jubelstürme ausgelöst hat. Doch der Senator ist sich sicher: "Die neue Universität wird Strahlkraft für Hamburg entwickeln."

Die Bau-Uni ist schließlich ganz nach seinem Geschmack. Denn Dräger will vor allem Fächer stärken, die dem wirtschaftlichen Bedarf der Region entsprechen. Sechs Disziplinen stehen im Zentrum dieser Überlegungen. Neben "Bio", "Nano" und "Info" sieht der Senator Logistik, Gesundheitswissenschaften und Luftfahrt als besonders relevant an - "Cluster" heißen in seiner Diktion jene Bereiche, in denen die Interessen von Wirtschaft und Wissenschaft zusammenkommen sollen.

Von den Geistes- und Kulturwissenschaften, bisher traditionell eines der größten Forschungsfelder speziell der Universität, spricht Dräger in diesem Zusammenhang kaum - auch wenn gerade die Medienunternehmen der Elbmetropole von den Absolventen der in Hamburg traditionell starken Sprachwissenschaften jahrzehntelang profitiert haben.

Für Aufregung, die sogar bis nach Amerika reichte, sorgte er mit seinem inzwischen verworfenen Plan, die Geisteswissenschaften an der Uni bis zum Jahre 2012 zu halbieren - etliche Fächer, zum Teil international renommierte Angebote wie Sprachlehrforschung und Gebärdensprache, sollten zugunsten einer Stärkung naturwissenschaftlicher und vermeintlich wirtschaftsnäherer Fächer gestrichen werden. Der anhaltende Protest gegen den beabsichtigten Schrumpfkurs, der dem Senator den Ruf einbrachte, der "Totengräber" der Geisteswissenschaften zu sein, ließ Dräger schließlich einlenken. Die kritischen Stimmen schienen sein positives Reformer-Image arg zu beschädigen. Und die Universität, auf deren Kooperation er in gewissem Maße angewiesen war, stellte sich stur.

Tatsächlich hatten dem Senator selbst Wissenschaftler aus Übersee - darunter der renommierte amerikanische Philosoph Richard Rorty von der Stanford University - vorgeworfen, die in Deutschland einst etablierte und nach Amerika exportierte Maxime von der Selbstbestimmung der Universitäten zerstören zu wollen. In einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schrieb Rorty: "Es ist kaum zu fassen, dass derart weitreichende Entscheidungen, durch die Wesen und Funktion einer bedeutenden Universität substanziell geändert werden, den betroffenen Fakultäten (…) in Form einer politischen Direktive durchgestellt werden." Tatsächlich schien dieser Versuch der Einflussnahme im Gegensatz zu der von Dräger stets proklamierten "Autonomie" der Hochschulen zu stehen, die er eigentlich fördern statt beschränken wollte.

Die politisch heikle Einführung von Studiengebühren spätestens ab 2007 (500 Euro pro Semester) etwa wollte er den Hochschulen zunächst nicht per Gesetz vorschreiben, sondern lediglich "ermöglichen". Die Unis müssten eigenverantwortlich entscheiden, ob sie die zusätzliche Einnahmequelle für eine Verbesserung von Forschung und Lehre nutzen wollen, wiederholte Dräger. Dies hatte schließlich zur Folge, dass Uni-Präsident Jürgen Lüthje im Sommersemester 2005 mit massiven Studentenprotesten gegen die mögliche Einführung von Gebühren konfrontiert wurde und sich genötigt sah, dem Senator öffentlich vorzuwerfen, er wälze die Verantwortung für diesen Schritt auf die Hochschulen ab. Die HAW hatte bereits angekündigt, wenn sie die Möglichkeit habe, selbst zu entscheiden, dann würde sie auf die Einführung dankend verzichten.

Verbesserung der Lehre

Nach diesen Querelen leitete Dräger auch hier die Kehrtwende ein - jetzt soll die von ihm ohnehin als notwendig erachtete Studiengebühr den Hamburger Hochschulen eben doch vorgeschrieben werden. Außerdem wird in seiner Behörde an einem speziellen Studienkreditmodell für die Studenten der Hansestadt gearbeitet, das die soziale Absicherung der angehenden Akademiker garantieren soll. Auch hierfür sah sich Dräger zunächst nicht zuständig. Die Universität Hamburg rechnet nun mit Mehreinnahmen von 20 bis 30 Millionen Euro im Jahr. Für die Massenstudienfächer Jura und BWL verspricht sich Lüthje eine Verbesserung der Studienbedingungen um bis zu 40 Prozent.

Die Proteste werden weitergehen, doch die Attraktivität der Hamburger Studiengänge auf Abiturienten scheint das Gebühren-Vorhaben nicht zu beeinträchtigen. Zum Wintersemester 2005 bewarben sich allein an der Universität 17.540 Studierwillige - Rekord. Doch während in Fächern wie Physik und Informatik sogar noch Plätze frei blieben, drängelten sich in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen wie Germanistik oder Medien- und Kommunikationswissenschaft tausende von Bewerbern.

"Nur, weil es die Marschrichtung gibt, dass Naturwissenschaften gefördert werden sollen, bleibt noch lange nicht der Ansturm bei den Geisteswissenschaften aus", brachte es Uni-Sprecher Christian Hild auf den Punkt, wo die steuernde Einflussnahme der Politik auf Lehre und Forschung auch in Hamburg spätes-tens endet: Bei der individuellen Entscheidung jedes Abiturienten, wo - und was er studieren will.


Der Autor ist Redakteur beim "Hamburger Abendblatt".


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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