Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 07 / 13.02.2006
Aschot Manutscharjan

Irans offenes Fenster

Der Atomstreit mit Teheran geht in eine neue Runde
Am 16. Februar gehen die russisch-iranischen "Atom"-Verhandlungen in die nächste Runde: Noch steht Moskaus Angebot. Allerdings sollte Teheran bald entscheiden, ob es seine Urananreicherung in Russland durchführen lassen will oder nicht. Denn von dieser Entscheidung wird es abhängen, wie der UN-Sicherheitsrat die "Iran-Mappe" der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) behandelt.

In ihrer Grundsatzrede auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Februar appellierte Bundeskanzlerin Angela Merkel ausdrücklich an den Iran, dieses offene "russische Fenster" zu nutzen und auf einen Kompromisskurs zu gehen. Schließlich wollen sich sogar die USA auf diese Lösung einlassen, obwohl sie anfänglich keineswegs davon begeistert waren. Anstatt in sich zu gehen, zog es Irans Präsident Ahmadinedschad jedoch vor, die Bundeskanzlerin, und damit Deutschland, als "Feinde" zu verunglimpfen, während die iranischen Diplomaten schon wieder Gesprächsbereitschaft signalisierten.

Dieses Katz-und-Maus-Spiel der iranischen Regierung kratzt langsam aber sicher am Image Russlands. Hatte sich Moskau lange Zeit in dem Glauben gesonnt, bestens über das iranische Atomprojekt informiert zu sein und über einigen Einfluss in Teheran zu verfügen, zeigt sich jetzt das Gegenteil. Aus dem Iran tönt es Richtung Moskau: Russland habe den Iranern gar nichts vorzuschreiben, erst recht nicht, wenn die Russen dort weiterhin Geld verdienen wollten.

Dabei lief am Anfang alles so gut: Russland übernahm den Auftrag, das Atomkraftwerk in Buscher fertig zu stellen. Außerdem entwickelte es für Teheran ein Programm für die friedliche Nutzung der Kernenergie. Nach dem Zerfall der Sowjetunion intensivierte Moskau seine Zusammenarbeit mit dem Iran, um das antiamerikanische Lager zu stärken. Dass die Vereinigten Staaten den Iran als Sicherheitsrisiko ("Achse der Bösen") einstuften, schien in Moskau niemanden sonderlich zu beeindrucken.

Offiziell kündigte Moskau im Jahr 2000 als Reaktion auf das amerikanische Nationale Raketenabwehr-Programm (NMD) Waffenlieferungen an den Iran an. Und verstieß damit gegen eine geheime Übereinkunft mit Washington aus dem Jahr 1995. Infolge des "Tschernomyrdin-Gore-Memorandums" hatte der Kreml seit dieser Zeit auf Rüstungslieferungen an Teheran verzichtet. Als Gegenleistung erhielt Moskau Finanzhilfen aus den USA und aus der Europäischen Union für die Instandsetzung und Wartung der russischen Atomkraftwerke und zur Sicherung seiner Nuklearwaffenprogramme. Immerhin verzichtete die russische Regierung auch nach dem Jahr 2000 darauf, Güter für die Produktion von Massenvernichtungswaffen an den Iran zu liefern. Damit nichts unter der Hand weitergegeben wurde, übergaben die USA Mos-kau Informationen über russische Rüstungsunternehmen, die verdächtigt wurden, Nukleartechnik an den Iran weiterzugeben und beim Raketenbau zu helfen.

Obwohl Moskau die Beziehungen zu Teheran offiziell nicht als "strategische Partnerschaft" einstuft, sind sie es de facto dennoch. So ist der Iran der wichtigste Ansprechpartner Russlands im Mittleren Osten und in der islamischen Welt. Zudem unterstützt die iranische Regierung Russland in den Grenzgebieten zu den GUS-Ländern, indem sie eine direkte Präsenz der NATO im Kaukasus und in Zentralasien verhindert. Hinzu kommt, dass der Iran für Russland ein wichtiger Absatzmarkt für Waren und Waffen ist. Allein das iranische Atomprogramm bringt der russischen Atomindustrie circa 700 Millionen US-Dollar Gewinn ein. Deswegen ist es kein Zufall, dass der Kreml an einer Fortsetzung der Zusammenarbeit mit dem Teheraner Regime interessiert ist und einen proamerikanischen Machtwechsel fürchtet.

Der stellvertretende Minister für Atomenergie, Professor Sergej Antipow, bestätigte im Gespräch mit "Das Parlament" bereits im Juni 2004, dass Russlands "Zusammenarbeit mit dem Iran eindeutig nur friedlichen Zielen dient". Man helfe dem Land, ein Atomkraftwerk zu bauen. Diese Technologie könne jedoch nicht für Waffenprogramme genutzt werden. "Das ist ausgeschlossen", war sich der russische Fachmann sicher. Die IAEA kontrolliere die Anlage sehr streng, und jeder Schritt, jede Operation, jeder nukleare Brennstab sei unter Kontrolle. Die Besorgnisse Washingtons führte Antipow darauf zurück, dass die USA schlicht dagegen seien, "dass Russland das Kernkraftwerk im Iran baut". Es handele sich "um ein gutes Geschäft, das die Amerikaner gerne selbst übernommen hätten". Die "politischen und militärischen Horrorszenarien" bezeichnete er als "Luftblasen". Kurz: Zu beobachten sei ein "normaler Konkurrenzkampf, der leider mit schmutzigen Mitteln" geführt werde.

Peinlich: Der scheinbar gut informierte Wissenschaftler Antipow war genauso wenig über die Vorgänge im Iran informiert wie sein Präsident. So dementierte Wladimir Putin immer wieder, dass der Iran ein Nuklearwaffenprogramm verfolge. Er zeigte sich überzeugt, dass Washington "die atomare Karte" gegen Teheran benutze, "um auf dem iranischen Markt eine Konkurrenz aufzubauen". Diese Erkenntnis hat ihn jedoch nicht davon abgehalten, seinem "Freund" Bush im Oktober 2003 zu versprechen, Russland werde die Brennstäbe für das iranische Atomkraftwerk so lange nicht ausliefern, bis der Iran allen Forderungen der Internationalen Atomenergiebehörde nachgekommen sei.

Zu diesem Stimmungsumschwung haben nicht nur die unerwartet schnelle Niederlage des irakischen Diktators Saddam Hussein beigetragen, sondern auch die Solidaritätsadressen der arabischen Herrscher zugunsten Washingtons. Sie haben Moskau die Grenzen seiner Macht im Nahen und Mittleren Osten gezeigt. Seitdem unterstützt der Kreml "in grundlegenden Fragen" die Nahostpolitik der USA und zeigt mehr "Verständnis" für die Politik Israels als für diejenige der Palästinenser.

Obwohl Russland und der Iran gemeinsame Interessen haben, haben die Beziehungen zu den USA und zur Europäischen Union für Moskau Priorität. Um Teheran zu Gefallen zu sein, wird Russland sie nicht aufs Spiel setzen. Obwohl der Irak-Krieg und die "Einmischung" von USA und NATO in den postsowjetischen Raum zu ernsten Krisen geführt haben, hat Wladimir Putin die "strategische Partnerschaft" mit Washington nicht nur nicht in Frage gestellt, sondern die militärisch-politische und energiepolitische Zusammenarbeit mit dem Westen intensiviert. Allerdings ergänzt Mos-kau diese Partnerschaft zunehmend um eine engere militärische Kooperation mit China und Indien. Diese Strategie beruht auf der Einsicht, dass die USA die einzig verbliebene Supermacht sind und die gegenwärtige wirtschaftliche Schwäche Russlands keine andere Politik zulässt. Statt sich auf einen offenen Konfrontationskurs mit den USA einzulassen, steuert Moskau einen flexibleren Kurs. Für den Iran wird Putin sich nicht in neue, unkalkulierbare Konflikte mit den USA und der NATO stürzen. Von daher ist es kaum ein Zufall, dass der Iran im November 2003 die Produktion von waffenfähigem Plutonium gegenüber der IAEA zugegeben und damit Präsident Putin bis auf die Knochen blamiert hat. Putin glaubte tatsächlich lange Zeit, dass Teheran den Atomwaffensperrvertrag nicht verletzen würde, dem das Land seit 1970 angehört.

Neben Russland und China beteiligt sich seit 2004 auch die Europäische Union am Versteckspiel Teherans. Das schenkte den Iranern genau ein Jahr Zeit. Die Iran-Initiativen der EU-3, also von Deutschland, Frankreich und Großbritannien, wurden in Moskau genau beobachtet und als eine "Einmischung ins Geschäft" betrachtet. Schließlich bot auch die EU-Troika dem Iran ihre Partnerschaft bei einem friedlichen Nuklearprogramm an. Während also Russland wie die USA die europäische Initiative unterschwellig begrüßten, kritisierten sie die unerwünschte Intervention inoffiziell scharf. Der Iran durfte sich geschmeichelt fühlen, den Zwist verursacht zu haben und spielte geschickt die Interessen Russlands, Chinas, der USA und der Europäischen Union gegeneinander aus.

Mit der Machtübernahme des unberechenbaren iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, seiner Leugnung des Holocaust und den verbalen Angriffen gegen das Existenzrecht Israels wurden die Schwierigkeiten Moskaus noch größer: Einerseits haben die Russen wirtschaftliche Interessen im Iran, andererseits sollen sie mögliche Sanktionen des UN-Sicherheitsrates gegenüber Teheran befürworten und damit riskieren, aus dem iranischen Markt verdrängt zu werden. Allerdings hat Ahmadinedschad bereits öffentlich deutlich gemacht, dass Russland für ihn als Partner ohnehin nicht so wichtig ist, wie manche in Moskau glauben. Es dürfen sich also die russischen Politiker bestätigt fühlen, die seit Jahren die Bedrohung durch iranische Atombomben an die Wand malen. Für sie sind die Gewinne aus den Geschäften mit dem Iran nicht wichtiger als die Gefahr, die von einer Atommacht Iran herrühren würde. Schließlich ist die Bedrohung für Russland genau so groß wie für die USA, Europa oder Israel.

Der international bekannte russische Militärstratege Professor Andrej Kokoschin, der seit 1999 in der Duma dem GUS-Ausschuss vorsitzt, meint denn auch, die Gefahr eines Nuklearkrieges sei im 21. Jahrhundert größer als zu Zeiten des Kalten Krieges. In seinem 2003 veröffentlichten Buch über "Die nuklearen Konflikte im 21. Jahrhundert" schreibt er, man könne "mit hoher Wahrscheinlichkeit" sagen, dass der Iran im laufenden Jahrzehnt in den Besitz von Nuklearwaffen kommen wird". Vor diesem Hintergrund plädiert Kokoschin für eine engere politische Kooperation zwischen Russland und den USA, um zumindest zu verhindern, dass der Iran und Nordkorea in den Besitz der Atombombe kommen. Russland soll nicht "zur Geisel des abenteuerlichen, emotionalen, paranoiden und unverantwortlichen Handels" der einen oder anderen Atommacht werden, meint der russische Experte. Um diese Bedrohung abzuwehren, reichen die militärischen Mittel Russlands sowie seiner Verbündeten in der Region nicht aus. "Das Beste wäre", schreibt Kokoschin, "wenn der Iran auf den Besitz von Nuklearwaffen verzichtet und die Arbeiten am Bau von Raketen auf eine nichtmilitärische Nutzung umstellt." Russland allein könne das aber nicht erreichen. Notwendig sei eine seriöse institutionelle Zusammenarbeit Moskaus mit den USA, China und der Europäischen Union.


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