Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 07 / 13.02.2006
Joachim Hildebrandt

Verbündete gesucht

Nach der Energiekrise - Georgien will sich von Russland emanzipieren

Der Zeitpunkt der Staatsvisite war gut gewählt: Der georgisch-russische Streit über Energielieferungen hatte sich gerade einigermaßen beruhigt, da besuchte der Präsident Georgiens, Michail Saakaschwili, Anfang Februar Deutschland, traf sich mit Außenminister Frank-Walter Steinmmeier, gab Interviews, stand für Hintergrundgespräche zur Verfügung, warb bei der Münchner Sicherheitskonferenz für eine rasche Aufnahme von Georgien und der Ukraine in die NATO und sprach sich für eine stärkere Zusammenarbeit seines Landes mit den europäischen Institutionen aus. Hintergrund dieser Bemühungen: Georgien sucht nach Verbündeten in Europa. Gründe dafür gibt es aus georgischer Sicht genug. Zu den wichtigsten gehören die enerpolitische Abhängigkeit des Landes von Russland - die inzwischen zur einer strategischen Frage geworden ist - und Grenzstreitigkeiten um die abtrünnige georgische Teilrepublik Süd-Ossetien und um Abchasien.

Saakaschwili versuchte in München, gemeinsame strategische Interessen der Europäer zu beschwören: "In der zunehmend verflochtenen Welt ist unsere Sicherheit Ihre Sicherheit", sagte er. Von einer engeren Bildung an die EU und NATO verspricht sich Georgien eine Entschärfung des Konfliktes an seinen Grenzen. Aus Sicht von Saakaschwili wird der Grenzverlauf nicht so eingehalten, dass die territoriale Integrität Georgiens gesichert ist. Er wertet es als Einmischung Russlands. Die russische Lesart der Auseinandersetzungen in Süd-Ossetien und Abchasien lautet wiederum: ethnische Konflikte. Das der Streit an Brisanz nichts verloren hat, zeigte sich vergangene Woche - da war der Präsident schon in sein Land zurückgekehrt - als die Agenturen neue Eskalation meldeten. Moskau beschuldigte am 8. Februar Georgien, Truppen nach Süd-Ossetien entsandt zu haben. Damit habe Georgien das Abkommen über die Regelung des Konflikts aus dem Jahr 1992 verletzt. Tiflis wies die Vorwürfe zurück. Indessen verlängerte Deutschland seine Teilnahme an der seit 1993 laufenen Beobachtermission der Vereinten Nationen (UNOMIG) in Georgien um sechs Monate. Das Kabinett beschloss dies am 8. Februar. Der Beschluss muss nach Angaben des stellvertretenden Regierunssprechers Thomas Steg nicht vom Bundestag bestätigt werden, da es sich um eine unbewaffnete Mission handelt. UNOMIG soll der Entschärfung des Konfliktes zwischen Georgiern und Abchasen dienen.

Bei seinem Deutschlandsbesuch unterstrich Saakaschwili, dass er den Wunsch des großen Nachbarn nach sicheren Grenzen akzeptiere. Er wolle aber selbst entscheiden, mit wem sein Land freundschaftliche Beziehungen unterhält. Das bedeutete für ihn Annäherung an Europa.

Georgien hofft vor allem auf Unterstützung der Europäer bei der Energiesicherheit, da die Europäische Union der weltweit größte Energieimporteur ist. Ein Drittel der EU-Gasimporte stammen dabei aus Russland. Vor allem der russisch-ukrainische Streit um Gaslieferungen ließ die EU zu Beginn des Jahres aufhorchen, denn nachdem Moskau den Gashahn Richtung Ukraine zudrehen ließ, kam auch bei den EU-Kunden Russlands bis zu 50 Prozent weniger Gas als vereinbart an. Obwohl die EU schon seit Jahren das Problem kennt, sind bislang alle Initiativen für eine gemeinsame Energiepolitik ergebnislos geblieben. Die Zeit dafür scheint aber reif zu sein: Die Gaskrise stand im Januar ganz hoch auf der Agenda des Europäischen Parlaments, und der EU-Energiekommissar Andris Piebalgs, der als Lette die strategische Bedeutung der Energieunabhängigkeit von Russland wohl hoch schätzt, kündigte am 10. Februar eine neue Initiative an: Bis Ende des Jahres will die Europäische Kommission konkrete Vorschläge für eine einheitliche europäische Energiepolitik ausarbeiten, so Piebalgs am Rande der Gespräche mit Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) in Berlin.

Georgien bekam seine Abhängigkeit von Russland schmerzlich zu spüren als Ende Januar die russischen Gaslieferungen ausfielen, weil unter ungeklärten Umständen zeitgleich beide Pipelines - die Gasleitung im Nordkaukasus und die Mosdok-Tiflis-Leitung - durch Explosionen beschädigt wurden. Georgien war tagelang von der Energieversorgung abgeschnitten. Die Hälfte seines Gasbedarfs stammen aus Russland.

Wer ein Interesse an der Kappung der Gaszufuhr nach Georgien haben könnte, ist völlig unklar. Georgische Separatisten gelten als wenig organisiert und tschetschenische Rebellen wollen nur Russland Schaden zufügen. Außerdem wird die Pipeline normalerweise von russischen Soldaten streng bewacht.

Die Führung in Tiflis verdächtigt Moskau, den Gashahn aus politischen Gründen absichtlich zugedreht zu haben. Daher bezieht das Land seitdem zusätzlich Erdgas aus dem Iran. Saakaschwili rechtfertigte diese Entscheidung in Berlin und machte deutlich, dass die Vereinbarung mit Teheran in einer Notsituation entstanden sei. Der Vertrag sei auf zwei Wochen begrenzt, unterstrich der Präsident bei einem Hintergrundgespräch des German Marshall Fund. Erhöht worden seien auch die Gaslieferungen aus Aserbaidschan. Das Land habe Georgien in der aktuellen Krise ausgeholfen. Über einen längeren Zeitraum sei jedoch geplant, Erdgas aus Zentralasien zu beziehen. Der Präsident verwies darauf, dass das auch für Europa von großem Interesse sei - ein Hinweis auf die geostrategische Lage seines Landes. Die möchte Saakaschwili bei den Bestrebungen der Europäer um eine sichere Energiepolitik nutzen und unterstrich daher die Bedeutung der Fertigstellung der Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline für die Energieversorgung Europas und für das wirtschaftliche Wachstum Georgiens.

Industrie liegt brach

Wichtig schien Saakaschwili bei seinem Staatsbesuch auch, die Entwicklung des Landes nach der "Rosenrevolution" vom November 2003 im besten Licht darzustellen. Georgien sei eine "freie Gesellschaft". Sie habe sich in den letzten zwei Jahren so verändert, dass sein Land richtig modern aussehe. Die Wirklichkeit sieht freilich weniger rosig aus. So beklagt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) in ihrem jüngsten Bericht vom 9. Februar, dass in den georgischen Gefängnissen weiter gefoltert wird. In einigen Bereichen gebe es aber Fortschritte: Die Gefängnisse des Innenministeriums würden strenger kontrolliert, zudem lägen Gesetzentwürfe zur Folterprävention vor.

Wirtschaftlich liegt nach dem Zerfall der Sowjet- union der Industriesektor in Georgien brach. Die früher mit anderen Sowjetrepubliken vernetzte Chemie- und Stahlindustrie wurde weitgehend stillgelegt. Neuerdings exportiert das Land Orangen und Mandarinen. Aber nur der Fremdenverkehr kann ein eindeutiges Plus verzeichnen.

Kein Wunder also, dass Georgien angesichts seiner Probleme Unterstützung im Ausland sucht. Deutschland genießt dabei hohes Ansehen. Es war das erste Land, das Georgien nach der Unabhängigkeit 1991 anerkannte. Als Koordinator der Freundesgruppe des UN-Generalsekretärs ist es zudem auch um die Vermittlung im Konflikt um die abtrünnige georgische Republik Abchasien bemüht.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.