Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 07 / 13.02.2006
Birgit Johannsmeier

Ein Aufschwung mit Kratzern

Die lettische Immobilienbranche boomt - die Inflation auch

Der Aufschwung Lettlands ist in der Hauptstadt Riga überall zu sehen. Der erste verspiegelte Wolkenkratzer erhebt sich vis à vis der Altstadt an dem Dagauva-Fluss und Reihenhaussiedlungen sprießen rund um das Zentrum aus dem Boden. Auch David Ernstreits hat lange davon geträumt, Besitzer der eigenen Wohnung zu sein. Noch bis vor kurzem musste sich der 29-Jährige mit Eltern und Geschwistern zwei Zimmer im Zentrum von Riga teilen. Doch seit Lettlands Austritt aus der Sowjetunion vor 15 Jahren darf jeder privates Eigentum erwerben. Immer mehr Menschen drängten auf den schnell wachsenden Immobilienmarkt und auch David Ernstreits wurde vom Kaufrausch gepackt. Mehr als ein Jahr habe er darüber nachgedacht, ob er kaufen solle oder nicht. Und schon in dieser Zeit seien die Preise Monat um Monat gestiegen, aber wie lang würde das so weitergehen? "Als ich dann unterschrieb, warnten mich Leute", sagt David Ernstreits. "Die Preise würden bald fallen, ich sollte lieber später kaufen. Zum Glück habe ich nicht darauf gehört, denn heute ist meine Wohnung bereits doppelt so viel wert."

David Ernstreits ist Sportjournalist, ein dynamischer junger Mann mit gutem Gehalt. Trotzdem traute er sich nur den Kauf einer billigen Altbauwohnung zu. Weil es in der lettischen Hauptstadt aber immer noch an Wohnraum mangelt, sollen allein im nächsten Jahr mehr als 2.000 neue Appartments und Eigenheime in Riga entstehen.

Das Immobiliengeschäft boomt und die Grundstück-spreise haben sich in den letzten Jahren verfünffacht, erklärt Edgars Lasewitsch, Makler der Immobilienfirmen "Arcor": "Im letzten Jahr kostete ein Neubau 900 bis 1.000 Euro pro Quadratmeter, in unserer Siedlung wird der Quadratmeterpreis schon 1.500 Euro betragen, und wir haben den Gipfel noch nicht erreicht." Aus Angst vor steigenden Preisen möchte jeder wie David Ernstreits lieber heute als morgen Hausbesitzer werden. Die lettischen Banken locken mit billigen Krediten. Viele bieten Vollfinanzierung an. Ernsreits war besonnen und hatte den halben Kaufpreis seiner Zweizimmerwohnung bereits angespart.

Agressive Geldpolitik der Banken

Viele haben aber keine Rücklage für ihr Traumhaus und lassen sich auf lebenslange Monatsraten von mehr als 1.000 Euro ein. Mit ihrer agressiven Geldpolitik wollten die neu entstandenen Banken schnell Kunden gewinnen, um sich Marktanteile zu sichern, meint Annbritt Hertrampf. Sie leitet die lettische Filiale der Hypovereinsbank und befürchtet eine Überhitzung der Wirtschaft. Weil gemessen am Durchschnittslohn die Quadratmeterpreise in Riga bereits höher als in London oder Warschau sind. Es könne natürlich sein, dass sich diese Spirale beschleunigt, die Preise weiter steigen, die Inflation weiter steigt und sich die Frage stellt, ob Lettland dann noch konkurrenzfähig auf dem Markt bestehen kann. "Zurzeit liegt ein Vorteil in sehr niedrigen Lohnkosten", erklärt die Bankerin, "wenn diese aber schell steigen, ist die Frage, wie die Wettbewerbsfähigkeit stabilisiert werden kann." Eine Inflation von mehr als sieben Prozent treibt nicht nur Lohnkosten in die Höhe. Sogar die geplante Einführung des Euros im Jahr 2008 rückt in weite Ferne, denn bei hoher Inflation werden die Maastricht-Kriterien nicht erfüllt. Kürzungen der Sozialleistungen könnten helfen, doch der lettische Finanzminister winkt ab. In der ehemaligen Sowjetrepublik Lettland liessen sich derartige Einschnitte nur schwer verkaufen - oder wären bei einer Durchschnittsrente von 150 Euro im Monat auch schier unmöglich, sagt der Finanzminister Oskars Spurdzins.

"Wenn wir es nicht schaffen, den Euro am 1. Januar 2008 einzuführen, dann ist das keine Tragödie. Unsere wichtigsten Ziele sind Wohlstand und das rapide Wachstum unseres Landes beizubehalten, der Euro spielt nur eine untergeordnete Rolle." Die Preisspirale in Lettland dreht sich also weiter. Das spürt auch der Wohnungsbesitzer David Ernstreits Tag für Tag. Seine Lebenshaltungskosten haben sich in den letzten Jahren nahezu verdoppelt und er schafft es nur mit Zusatzjobs, seine Kreditraten aufzubringen. Viele hochverschuldete Hausbesitzer haben deshalb Angst, ihre Immobilie wieder zu verlieren. David Ernstreits hat seine Finanzen besser im Griff. "Ich habe gezielt nur eine kleine Wohnung gekauft, in zwei Jahren gehört sie mir", sagt er.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.