Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 07 / 13.02.2006
Karin Tomala

China kümmert sich wenig um westliche Befindlichkeit

Der Fischer Weltalmanach bietet viel Wissen über den "Gewinner der Globalisierung"

China ist im Aufbruch. Jährlich verzeichnet das Land Wachstumsraten von neun und mehr Prozent, und das ununterbrochen seit über 20 Jahren. Das "Reich der Mitte" erlebt eine beispiellose Wirtschaftsentwicklung. Staat und Gesellschaft befinden sich im Wandel und voller Widersprüche. In Europa und den USA wachsen Ängste und Befürchtungen über den großen Rivalen, der künftig die Weltpolitik mitsteuern will.

Das Land steht seit längerem in den Schlagzeilen. Da geht es um die Überschwemmung mit billigen chinesischen Textilien, um steigende Rohstoffpreise, die durch Chinas Entwicklung verursacht werden, aber auch um jene Branchen, die heute in der Weltproduktion bereits zum großen Teil von China abgedeckt werden. Zu den Dauerbrennern gehören allerdings auch die Berichte über Menschenrechtsverletzungen, an denen es wahrlich in diesem Land nicht fehlt, obgleich die übergroße Anzahl der Chinesen diese Vorwürfe kaum zu verstehen vermag. Genießen doch die Menschen zum ersten Mal viele persönliche Freiheiten, und es sind wahrlich nur wenige, die das Fehlen von politischen Bürgerrechten beklagen.

In dem vorliegenden Band der Wochenzeitschrift "Die Zeit" und des Fischer Weltalmanachs wurden 39 Reportagen, Essays und Artikel zusammengetragen (14 von Georg Blume, dem "Zeit"-Korrespondenten in China), die zum großen Teil seit 1978 bereits im Blatt erschienen sind. Das ist mutig, weil doch vieles in den Texten nicht mehr ganz aktuell ist. Autoren sind Korrespondenten, Redakteure, Politiker und Wissenschaftler.

Im Einleitungsessay verweist Matthias Maß mit Recht auf die unglaubliche Entwicklung Chinas vom ehemaligen Armenhaus zum heutigen Gewinner der Globalisierung und zum Herausforderer der Supermacht Amerika. Die Kernfrage, so lesen wir, bestehe darin, ob China zum Gegenmodell des westlichen Wirtschafts- und Sozialsystems werden könnte. Heißt das nicht mit anderen Worten, dass der Westen seine Hoffnung auf den Aufbau einer rechtsstaatlichen Ordnung in China aufgibt? In den Texten ist davon wenig zu spüren.

Der Band besteht aus einem Vorwort, der Einleitung, acht großen Themenbereichen - Maos Erbe und Dengs Reformen, autoritäres System und Menschenrechte, ungewisse Zukunft: Hongkong und Taiwan, der rasante Aufstieg zur Wirtschaftsmacht, wachsendes Gewicht in der Weltpolitik, Gesellschaft im Umbruch, Auf dem Weg zur Spitze: Wissenschaft und Bildung, Soviel Freiheit war nie. Kultur im 21. Jahrhundert - und einer Zeittafel, Fakten und Statistiken aus dem Fischer Weltalmanach.

In den unterschiedlich konzipierten Artikeln wird versucht, eine gewisse Bestandsaufnahme der bisherigen Entwicklung mit den verschiedenen Schattenseiten zu geben und auf die Frage zu antworten, welche Rolle China künftig in der globalen Politik spielen könnte. So unterschiedlich die Einschätzungen jeweils auch sind, man kann sich bei vielen leider nicht des Eindrucks erwehren, dass man bei uns im Westen die chinesischen Realitäten noch immer aus der europäischen Perspektive der Aufklärung betrachtet.

Tatsache ist, dass sich in China die Marktwirtschaft ohne Demokratie, nicht nach westlichem Modell entwickelt. Als die wichtigsten Menschenrechte werden nicht die politischen Bürgerrechte betrachtet. Der traditionelle Wertekatalog ist immer noch von Bedeutung. Das Regime sieht heute seine wichtigste Aufgabe darin, Wohlstand für alle zu schaffen und die Lebensbedingungen für das Volk zu verbessern.

Wenn man über Chinas Kommunistische Partei spricht, sollte man bedenken und gewiss auch erläutern, warum sie nur noch dem Namen und dem Organisationsprinzip (in das aber jetzt auch Millionäre passen) entspricht. Man sollte sich bewusst machen und das auch in den Analysen verdeutlichen, dass man mit China nicht mehr arrogant oder fahrlässig umgehen kann. Das hätte in dieser Publikation stärker betont werden müssen. Trotz dieser kleinen Einwände lohnt es sich natürlich für alle Interessierten, den Band in die Hand zu nehmen, um über die widersprüchliche Entwicklung in China mehr zu erfahren. Denn China ist wirklich auf dem Wege, zu einem Gegenmodell zum Westen zu werden und es kümmert sich wahrlich nicht zu sehr um westliche Befindlichkeiten und Wünsche.


Volker Ulrich, Eva Berie (Hrsg.)

Der Fischer Weltalmanach aktuell.

Weltmacht China.

Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 2005; 190 S., 8,95 Euro


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.