Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 07 / 13.02.2006
Mona Naggar

Basis für den Dialog

Eine Einführung in den Koran
Eine der großen Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen dem Christentum und dem Islam ist die Gestalt von Jesus. Anders als in den Evangelien spricht der Koran von Jesus als einem Prophet, der zwar eine besondere Verehrung erfährt, aber in einer Reihe mit anderen Propheten vor und nach ihm steht. Der Koran geht ausführlich auf die Geschichte Marias ein, auf die Geburt ihres Sohnes Isa (so der arabische Name von Jesus), auf seine Mission und auf sein geheimnisvolles Ende.

Viele Ereignisse aus dem Leben Jesu, die der Koran beschreibt, finden sich auch in verschiedenen Evangelien, etwa die Heilung der Blinden und Aussätzigen. Die Erweckung der Toten findet sich im apokryphen Thomasevangelium wieder. Sowohl im Koran als auch im Matthäusevangelium bestätigt Jesus die Thora. Nicht so harmonisch gestaltet sich die Schilderung der Kreuzigung in den islamischen und christlichen Quellen. In Sure vier lesen wir: "Sie haben ihn aber nicht getötet, und sie haben ihn nicht gekreuzigt, sondern es erschien ihnen eine ihm ähnliche Gestalt."

Die gängige islamische Interpretation ist davon überzeugt, dass Jesus am Kreuz gestorben ist. Aber es gab schon früh Korankommentatoren, die andere Deutungen ins Auge fassten. Die detaillierte Gegenüberstellung von islamischen und christlichen Quellen zu Jesus ist ein Beispiel für die Vorgehensweise von Adel Theodor Khoury in seinem Buch "Der Koran". Khoury war bis 1993 Professor für Religionswissenschaften an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Er hat bereits eine Koran-Übersetzung veröffentlicht und ist ein guter Kenner des islamisch-christlichen Dialogs.

Viele Gemeinsamkeiten

Khoury kennt die heiklen Stellen dieses heiligen Textes, aber auch die vielen Gemeinsamkeiten der Muslime mit Juden und Christen. Sein Buch ist eine Erklärung zum Islam: Die Glaubensgrundsätze, das Menschenbild, die sozialen Leitsätze und das Verhältnis zu anderen Religionsgemeinschaften werden auf der Basis koranischer Aussagen dargelegt.

Den Einstieg dazu bildet die Biografie Muhammeds und die Geschichte des koranischen Textes von der Offenbarung bis zu der Sammlung in der uns heute vorliegenden Form. Eine Randspalte bietet dem Autor die Gelegenheit, weitere Quellen zu Wort kommen zu lassen, insbesondere die Aussprüche Muhammeds, ferner weitere Informationen zum jeweiligen Thema, Zitate von Islamwissenschaftlern oder kritischen islamischen Intellektuellen. Das Buch ist keine einfache Lektüre, ist aber lesefreundlich gestaltet. Ein ausführliches Inhaltsverzeichnis und Register geben dem Leser eine gute Hilfe zur Hand.

Der Koran ist zwar die Grundlage des Islam und zentraler Text für das Verständnis dieser Religion, aber nicht alle Facetten der praktizierten Religion und der islamischen Gesellschaften lassen sich auf den Koran zurückführen. Dem versucht Khoury Rechnung zu tragen in dem er bei dem Kapitel zum Gesetz beispielsweise ein Zitat präsentiert, das auf die höchst komplizierte und uneinheitliche rechtliche Situation in der islamischen Welt hinweist. Das islamische Recht, das auch aus dem Koran schöpft, ist heute nur eines von mehreren Rechtssystemen, die oft nebeneinander existieren. Hier zeigen sich auch die Schwierigkeiten, mit denen sich Khoury sicherlich konfrontiert sah.

Der Koran liegt seit ungefähr 1.400 Jahren vor. Er ist ein lebendiger Text, mit dem Muslime in der Vergangenheit auf sehr unterschiedliche Weise umgegangen sind und auch heute noch umgehen. Außerdem bestimmen weitere Quellen wie etwa die Aussprüche und Taten Muhammeds sowie rechtliche Methoden die religiöse und rechtliche Vorgehensweise. Bei dem Thema "Ehe und Familie" konzentriert sich Khoury nicht auf die koranischen Aussagen, sondern integriert auch Aussprüche Muhammeds, verweist auf den "traditionellen" Islam oder auf das "traditionelle" Verständnis und auf kulturelle Eigenheiten.

An dieser Stelle wäre eine klarere Trennung von koranisch verankerten Regeln, die die Frauen betreffen, von anderen Quellen und Einflüssen wünschenswert gewesen, um die Problematik der Stellung der Frau im Islam etwas zu entwirren. Außerdem wären Verweise auf entsprechende Textstellen im alten und neuen Testament sehr aufschlussreich gewesen.

Trotzdem, das Buch ist ein empfehlenswertes Handbuch zum Islam, mit Querverweisen zu Christentum und Judentum. Reizvoll wäre der Gedanke, das Konzept dieses Buches auf Arabisch, Türkisch oder in anderen Sprachen, die vielen Muslimen zugänglich sind, zu verwirklichen. So käme man einem wirklichen Dialog näher.


Der Koran. Erschlossen und kommentiert von Adel Theodor Khoury.

Patmos Verlag, Düsseldorf 2005; 349 S., 49,90 Euro


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