Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 07 / 13.02.2006
Geneviève Hesse

Da werden Kleinkinder große Augen machen

Umstrittenes Fernsehformat - das Baby TV

Es ist keine Seltenheit, dass der Fernseher als Babysitter missbraucht wird. Doch setzten bislang Eltern ihre Kids mit mal mehr, mal weniger schlechtem Gewissen vor die "Glotze", um endlich Ruhe zu haben, droht nun nicht nur Kindern im Teletubbies-Alter ab drei Jahren diese Art der Betreuung, sondern auch Babys. Seit Dezember können eine Million Haushalte in Baden-Württemberg das neue Fernsehprogramm Baby TV empfangen. Der Name ist Programm. Mit zarten Pastellfarben und sanfter Musik sollen die Kleinsten eingelullt werden, es gibt Expeditionen ins Tierreich, Lieder werden gesungen. Die Formate sind zwischen zwei bis sieben Minuten lang. Spätestens im April will die internationale Mediengruppe Talit Communications Baby TV bundesweit einführen.

Das Programm, das 24 Stunden am Tag läuft, zeigt keine Werbespots. Nach Ansicht der Macher wird ihr Programm pädagogisch und altersgerecht aufbereitet. Experten und Psychologen würden das Programm mitgestalten, so die Kommunikationsleiterin von Baby TV, Maya Talit.

Entwickelt wurde das Format in Israel. Mit großem Erfolg: Seit Ende 2003 hat der "Schnullersender" dort 70.000 Zuschauer gefunden. Im vergangenen Herbst startete Baby TV in Europa. Babys aus zehn EU-Ländern können nun berieselt werden, mit spezieller Bedienungsanleitung zur Handhabung: "Ein Erwachsener muss immer dabei sein. Das Baby darf beim Zuschauen nicht essen. Es darf nicht länger als fünf bis 15 Minuten an einem Stück und maximal 30 Minuten am Tag fernsehen. Danach soll das Baby mit etwas anderem beschäftigt werden", erläutert Michèle Lourdelle, Pressesprecherin von Baby TV in Frankreich.

In Deutschland beschränkt sich das Angebot derzeit noch auf Haushalte mit modernisiertem Kabel in Baden-Württemberg - ohne Extra-Gebühr. Für die anderen Bundesländer ist die Leitung von Baby TV im Gespräch mit mehreren Kabelnetzbetreibern, darunter Kabel Deutschland, "ish"und "iesy", Kabelnetzbetreiber in Nordrhein-Westfalen und Hessen.

Bei "ish" zeigt sich der Verhandlungspartner Dirk Ulf Stötzel "kritisch, wenn auch positiv" gegenüber dem neuen Sender. Er bezweifle zwar, Fernsehen könne für einjährige Babys gut sein. Ab zwei Jahren aber könnten Kleinkinder anfangen, maximal 30 Minuten am Tag ihre Medienkompetenz zu entwickeln, wenn die Eltern dabei seien und auf ihre Erlebnisse reagieren würden. "Drei Stunden Fernsehen am Tag sind sicher nicht entwicklungsförderlich, aber ein kleiner Zeichentrickfilm ist völlig undramatisch."

Birgit Pohl, Pressesprecherin bei Bundesverband des Kinderschutzbundes, erkennt keinen entwicklungsfördernden Sinn im Babyfernsehen. Babys seien mit den Bildern überfordert, denn sie können mit ihnen nicht kommunizieren. Anfassen, fühlen, riechen - diese Sinneseindrücke kann das Fernsehen nicht vermitteln. "Mit oder ohne Bezugsperson gehören Kinder unter drei nicht vor den Fernseher, auch nicht zur Beruhigung, wenn sie schreien", meint Pohl.

Der Münchner Kinderpsychiater Nikolaus von Hofacke sagt: "Fernsehen ist immer eine Mattscheibe. Die Signale des Babys werden nicht beantwortet. Dabei ist der permanente Austausch mit einem Gegenüber ihre wesentliche Art zu lernen." So pädagogisch eine Sendung auch immer sei, sie enthalte nicht die wichtige Erfahrung der Selbstwirksamkeit, es sei denn beim Ein- und Ausschalten des Gerätes. Das Baby sei nur Konsument. Trotz all dieser Nachteile meint von Hofacker nicht, eine Viertelstunde Fernsehen im Beisein der Eltern könnte schaden. Problematisch findet er eher den subtilen, strategischen Versuch, eine Zielgruppe so frühzeitig auf die attraktive Simulation des Fernsehens zu konditionieren. "Bedürfnisse werden früh geweckt. Im Alter von drei Jahren fragen Kinder dann nach der nächsten Unterhaltung." Das pädagogisch gestaltete Programm liefere außerdem "ein wunderschönes Alibi". Sobald Kinder nerven oder die Eltern keine Zeit haben, sei die Verführung sehr groß, den Fernseher einzuschalten. Die Eltern beruhigen sich mit dem Gedanken, es sei immer noch besser als jedes andere Programm. "Genau in diesen Situationen werden Babys sich allein überlassen", sagt von Hofacker. "So geschickt wie sie mit anderthalb bis zwei Jahren sind, beherrschen sie bald die Fernbedienung und landen auf einem anderen Kanal, der nicht für sie gedacht ist."

Wie auch die anderen Experten, kann die Medienwissenschaftlerin Maya Götz den pädagogischen Sinn von Baby TV nicht erkennen. Sie leitet das internationale Zentralinstitut (IZI), ein Informations- und Dokumentationszentrum für das Kinder-, Jugend- und Bildungsfernsehen beim Bayerischen Rundfunk. "Wenn Eltern sich erhoffen, dadurch den großen Trick zum Einschlafen für ihr Baby zu erhalten", sagt sie, "dann werden sie enttäuscht. Das Flackernde beunruhigt sie eher." Als Maskottchen hat Baby TV einen Schmetterling mit übergroßem Kopf und riesigen Augen gewählt. Seine tief hängenden Augenlider erinnern an den glasigen Blick von Kindern nach zu vielem Fernsehen. Der Eindruck ist von den Programm-Machern sicher nicht gewollt - aber zutreffend.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.